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Gennadis Jackett

 

Wer kennt das nicht? Die KraWatte sitzt falsch, der Anzug ist zu warm, das Aufnahmegerät fällt aus. Schreckminuten in einem Interview. Je schlimmer, desto wichtiger der Gesprächspartner. Eine Toleranzbreite allerdings gibt es immer. Doch ohne Krawatte geht’s nun einfach nicht, wenn man als männlicher Vertreter des Gewerbes zu Friedenszeiten ein Interview mit der Macht anpeilt. In Polen half mir einmal der Fotograf mit seiner Zweitkrawatte aus der Patsche. Und die Sache blieb unter uns. Die Geschichte von Gennadis Jackett aber wird die abchasische Politszene wohl bis zum Präsidentschaftswahlkampf im Dezember beschäftigen.

 

Dabei begann alles ganz harmlos mit einem Hintergrundgespräch in einem verrauchten Cafe von Suchum (vor der einseitigen Unabhängigkeitserklärung von 1999 eher unter dem georgischen Namen Suchumi bekannt), der Hauptstadt Abchasiens (http://www.therepublicofabkhazia.org/). Ich traf dort einem der wichtigsten Oppositionspolitiker des ausser von Russland, Nicaragua und Venezuela von niemandem anerkannten Zwergstaates. Gennadi Alamia (http://abkhasia.kavkaz-uzel.ru/articles/82870) heisst der Mann, wie so viele Politiker in Abchasien eigentlich ein Dichter von Beruf. Alamia sitzt mir im schwarzen Anzug und weissem Hemd – aber ohne Krawatte – gegenüber, ich ihm in Jeans, T-Shirt und Reporterjacke. Einzig von der Statur her ähneln wir uns.

 

Als ich ihm zum Abschluss einer heftigen geopolitischen Diskussion erzähle, dass ich am nächsten Tag den Staatspräsidenten, Sergej Bagapsch (http://www.abkhaziagov.org), interviewe, beginnt der Intellektuelle sich auszuziehen. Zuerst das Handy, dann die schmale Brieftasche und schliesslich das ganze fein gewobene Jackett. „Hier nimm dieses und gibs mir bei Gelegenheit wieder zurück“, sagt Alamia, den ich gerade das erste Mal getroffen habe.

 

Das Präsidenten-Interview in den Kleidern seines schärfsten Kritikers lief übrigens hervorragend. Und tags darauf kannte schon halb Suchum die Geschichte von Gennadis Jackett im Präsidentenpalast. Wären wir Diplomaten statt Journalisten, wer würde solch hilfsbereiten Menschen das Recht auf Selbstbestimmung absprechen? 

 

 

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