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Helm ab zum Gebet

In Griechenland gibt es eine neue Art landestypischer Unfälle. So kann es einem auf der Autobahn jederzeit passieren, dass der Vordermann plötzlich die Warnblinkanlage einschaltet und mit Vollbremsung auf den Seitenstreifen schleudert. Beim erstenmal dachte ich an einen schweren Motorschaden, Kolbenfresser oder so. Ein griechischer Bekannter hat mich aufgeklärt: Die griechische Regierung hat die Strafen für Handytelefonieren-am-Steuer auf 400 Euro angehoben. Und seit die Polizei die Rekordstrafe gelegentlich auch verhängt, ziehen viele Griechen den schnellen Boxenstopp vor, um am Randstreifen hastig auf Empfang zu gehen. Wer die Reihenfolge Warnblink-Bremsen-Telefonieren einhält, riskiert zwar sein Leben, aber keinen Strafzettel.  Allerdings glaubt die griechische Regierung selbst nicht so recht, dass die 400 Euro auch bezahlt werden. Schließlich kennt jeder Grieche jemanden, der jemanden kennt, der in der Polizei oder in der Verwaltung einen guten Bekannten hat.  Da lässt sich meist was machen, jedenfalls kann man es probieren. Deshalb gibt die griechische Regierung 50 Prozent Skonto, wenn das Knöllchen innerhalb von zwei Wochen beglichen wird. Ungewöhnlich scharfe Drohungen wie auch drastische Rabatte deuten in der Regel auf gewisse Schwächen bei der Durchsetzung von Gesetzen hin. Das kann man in vielen Ländern beobachten, aber nirgends so schön wie in Griechenland. Athen kämpft bei der EU seit Jahren für die Erlaubnis, die Mehrwertsteuer auf Motorradhelme senken zu dürfen. In der Hoffnung, dass dann endlich jeder Biker einen kauft. Denn trotz drastischer Strafen halten viele griechische Motorradfahrer ihren Kopf nach wie vor ungeschützt in den Fahrtwind. Dass das nicht immer gut geht, kann man an den Unfallstatistiken ablesen. Die EU drängt deshalb auf stärkere Kontrollen. Doch die Griechen halten sich lieber an eine andere Instanz: Autobahnen und Landstraßen sind gesäumt von kleinen Votivkapellen, jede ein Dankeschön für den Schutzengel, wenn es gerade noch mal gut gegangen ist. Die Heiligen sollen wissen, dass es sich lohnt, ihre Hand über helmlose griechische Köpfe zu halten.

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