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Große Christen sind sie nicht, die Tschechen – nirgendwo anders in Europa ist die Quote der Nicht-Gläubigen höher als hier. An der liebsten Weihnachtstradition ihrer Vorfahren halten sie dennoch eisern fest: an den Festtags-Karpfen.
Und so ändert sich ein paar Tage vor dem Heiligen Abend das ganze Stadtbild in Prag: An fast allen Straßenecken bauen Händler ihren Stand auf, der aus zwei oder drei großen Wannen besteht und einem Campingtisch. Über dicke Schläuche fließt vom nächstgelegenen Hydrant, den die Stadt zu diesem Zweck freigegeben hat, frisches Wasser in die Becken. Darin tummeln sich dicht gedrängt die Fische; stattliche Exemplare sind es von beachtlichem Gewicht.
Die eigentliche Weihnachtstradition nun geht so: Man erwirbt einen solchen Karpfen, trägt ihn lebendig in einer mit Wasser gefüllten Plastiktüte nach Hause und lässt ihn dort die Badewanne beziehen. Ich habe von Familien gehört, in denen sich einige Tage vor Weihnachten niemand duscht, weil ja die Wanne blockiert ist. Und an Heiligabend ist es die vornehme Pflicht des Familienvaters, zuerst die kleinen Kinder aus dem Raum zu schicken und dann den Karpfen zu meucheln. Die Mutter muss anschließend die Schuppen abschaben und den Fisch pfannenfertig zubereiten, damit das Abendessen gesichert ist.
Soweit die Tradition. Bei den Tschechen jedenfalls löst der Anblick der mächtigen Wannen an den Straßenecken allein schon weihnachtliche Gefühle aus. Nur einen Fehler sollte man nicht machen: auf die Preisschilder an den Verkaufsständen schauen. Darauf sind die Einzelposten aufgelistet: Ein Kilo so und so viele Kronen, eine Plastiktüte so und so viel. Und dann, gewissermaßen als Zusatzangebot: „Zbavení zivota“ – das „Entledigen vom Leben“. Fünf Kronen wollten sie im vergangenen Jahr dafür. Mal schauen, ob die Inflation vor diesem Weihnachtsfest auch den Karpfentotschlag erfasst hat.