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Nun ist es also soweit: Nicht genug damit, dass man den Mücken in unserem Haus um diese Jahreszeit nur unterm Moskitonetz vollständig entkommt. Aus dem Wohnzimmer tönt zudem das Geräusch eines Schwarmes tausender heranschwirrender Moskitos – auch wenn es tatsächlich glücklicherweise nur das Konzert dieser Ohren-beleidigenden Vuvuzela-Trompeten ist. Im Wohnzimmer sitzt mein Mann, Schotte, Fußballfan und schaut begeistert den Worldcup, unterbrochen nur vom Ausfall der Satellitenübertragung von Al Jazeera. Das aber regelmäßig.
Nun könnte man meinen, Türen schließen würde helfen. Aber es ist Sommer, die Temperaturen liegen auch am frühen Abend noch bei 30 Grad C und die Luftfeuchtigkeit in Beirut steigt. Da öffne ich persönlich gerne die Fenster. Damit befinde ich mich leider in bester Gesellschaft. Drum schallen eben jene Vuvuzelas sowie die Jubelschreie der Nachbarn, wann immer ein Tor für ihre Lieblingsmannschaft gefallen ist, ungefiltert zu mir herüber. Als Deutschland die australische Mannschaft vorgestern mit 4:0 besiegte, ging es besonders hoch her. Schreie, Freudenschüsse, Knallgranaten und Hupkonzerte – die Libanesen lieferten die ganze Palette.
Denn die deutsche Mannschaft steht hier besonders hoch im Kurs. Zahlreiche Balkone, Autos und ganze Straßen sind mit den deutschen Nationalfarben beflaggt. Gestern stand ich im Stau neben einem Cabrio mit vier libanesischen Fußballnarren. Sie alle trugen samtene Schlapphüte in schwarz-rot-goldenem Karo, einer wedelte mit einer besonders großen deutschen Flagge, der Fahrer hielt eine Attrappe der goldenen WM-Trophäe in der einen Hand, in der anderen zu meiner Erleichterung das Lenkrad. Wenn es nach den meisten Libanesen geht, dann wird die Elf von Trainer Löw auf jeden Fall Weltmeister. Es sei denn Brasilien sticht sie aus. Doch Flip-Flops in den deutschen Nationalfarben sind mit Abstand die beliebtesten, selbst in den Strandclubs gibt es kein Entkommen von der WM.
Bars und Restaurants haben alle ohne Ausnahme große Fernsehbildschirme installiert. Nachbarn in den ärmeren Gegenden haben ihre persönlichen Couchen auf kleinen, freien Plätzen zusammengerückt, einer hat seinen Fernseher zur Verfügung gestellt und so sitzt man eng und kuschelig beieinander, Fähnchen in der Hand, jubelnd oder schimpfend. Das WM-Vergnügen will geteilt sein. Auch mit all denen, die davon gar nichts wissen wollen. Wie ich.
All das übrigens, obwohl die libanesische Nationalmannschaft gar nicht dabei ist in Südafrika. Die Libanesen haben sich seit Jahren nicht mehr für eine WM qualifiziert, was vor allem daran liegt, dass im Zedernstaat trotz enormer Fußballbegeisterung junge Talente nicht systematisch gefördert werden. Der Fußballverband hat kein Geld. Fußball ist seit ein paar Jahren eine Arena für die Austragung politischer und konfessioneller Rivalitäten geworden, woran die libanesischen Politiker maßgeblich die Schuld tragen.
Also identifizieren sich die Libanesen mit den Nationalmannschaften, denen sie einen Sieg zutrauen. Denn schließlich will man am Ende etwas zu feiern haben. Und feiern tun sie lautstark, hemmungs- und gnadenlos. Bis tief in die Nacht. Der Libanese an sich braucht offenbar nicht sehr viel Schlaf, anders ist es kaum zu erklären, dass er morgens im Service-Taxi auf dem Weg zur Arbeit schon wieder hitzig über die jüngsten Spielergebnisse debattiert. Meine deutschen Gene scheinen mich da anders programmiert zu haben. Drum bin ich mir trotz ohnehin nur verhalten vorhandenem Patriotismus nicht sicher, ob ich mir wünsche, dass die deutsche Mannschaft bis ins Endspiel kommt. Andererseits, wenn es nicht die Deutschen sind, dann sind es eben die Brasilianer. An der Begeisterung und am Lärmpegel in Beiruts Straßenschluchten wird das wenig ändern. Da es kein Entkommen gibt, wird mir nichts anderes übrig bleiben als tapfer durchzuhalten. Inshallah.