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Alkohol, ein männlicher Journalist und ein Kuss – im moralisierenden Schweden eine Mischung, die eine Politikerin die Karriere kosten kann. Nachdem sie am Dienstagabend vergangener Woche diesen Cocktail aus den drei pikanten Zutaten genossen hatte, trat Ulrica Schenström, Staatssekretärin unter dem schwedischen Regierungschef Fredrik Reinfeldt, gestern ab. „Schon die Bilder, die publiziert wurden und die Tatsache, dass ich mit einem Journalisten gesprochen und dabei Wein getrunken habe, sind bedauernswert“, schrieb sie in ihrem Rücktrittsbrief und verschwieg, dass es wohl mehr als ein Glas war und das sie an jenem Abend für die Krisenbereitschaft Schwedens zuständig war – zweiter Fehltritt.
Für umgerechnet rund 100 Euro sollen Staatssekretärin Ulrica Schenström und der Fernsehjournalist Anders Pihlblad am Dienstag vergangener Woche Wein und Bier getrunken haben. So hoch wie die Alkoholpreise in Schweden sind, nicht genug Geld, um sich besinnungslos zu besaufen, aber ausreichend, um die Zunge zu lösen. Zumal, so berichtet das Boulevardblatt Expressen, Schenström „Domaine Lalande Merlot” getrunken haben soll, der laut Weinkarte der Kneipe, die die beiden besuchten „die Leute gesprächig“ mache. Genau das, so wird gemutmaßt, habe der Journalist gewollt.
Damit haben die beiden Betroffenen gleich zwei empfindliche Stellen der Schweden getroffen. Zum einen haben sie den Eindruck erweckt, dass sich zwei, die beruflich eine Art Gegner sind, zu gut kennen und womöglich an der Öffentlichkeit vorbei Geheimnisse austauschen. Das gilt in dem nordeuropäischen Land als Korruption; entsprechende Anzeigen sind bereits eingegangen. Zum anderen ist die Krisenbereitschaft seit Ende 2004 in Schweden ein besonders heikles Thema. Damals kamen sehr viele Schweden bei der Tsunami-Katastrophe um und die Politiker traten – weil die Krisenbereitschaft nicht funktioniert hatte – erst spät an die Öffentlichkeit. Schon damals mußte ein Staatssekretär zurücktreten. Seither ist man in dem nordeuropäischen Land sehr darum bedacht, stets eine einsatzfähige Krisenbereitschaft zu haben. Nun hat Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt den Fehler gemacht, zu behaupten, es gefährde die nationale Sicherheit, wenn er bekannt gebe, ob Schenström Verantwortliche war und verschwieg eben genau jenes bis zum Rücktritt Schenströms. So ziemlich das Dümmste, was er nach nüchterner Betrachtung hätte tun können. Nachdem Reinfeldt gleich nach Amtsantritt im vergangenen Herbst schon zwei Ministerinnen verloren hatte, weil sie keine Fernsehgebühren bezahlt und Schwarzarbeit hatten ausführen lassen, sollte er eigentlich Übung im Hantieren von politischen Krisen haben. So war denn der Kuss des Journalisten, der schnell als rein freundschaftlich abgetan wurde, wohl vielmehr ein Judaskuss. Und die Geschichte geht weiter, denn die zwischenzeitlich eingesetzte Staatssekretärin hat ebenfalls Schwarzarbeit ausführen lassen.