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Kritische Kernspaltung

Vor ziemlich genau einem Jahr machte ich mich zu einer Reise durch das lange Schweden auf. Ich wollte der jüngsten Wendung im Dauerstreit um die Atomkraft nachspüren. Die bürgerliche Regierung in Stockholm hatte gerade den Ausstieg aus dem Ausstieg beschlossen. Die alten Meiler sollten länger laufen dürfen, bei Bedarf sogar neue entstehen.  Aus seinem Bürofenster im stillgelegten AKW Barsebäck  betrachtete Leif Öst  ein Spalier von Windmühlen im Sund vor Kopenhagen. Der scheidende Kraftwerkschef führte damals das Kommando über 200 Arbeiter und Ingenieure in einer absurd anmutenden Zwischenwelt – während sich die einen noch Gedanken über die Abwicklung machten, planten die Kollegen nebenan schon die Reaktoren von morgen.   

Wie all ihren Besuchern, versicherte mir Jenny Rees von der Atomfirma SKB, das Problem mit der Endlagerung sei gelöst. Rund 10 000 Atomtouristen schleusen Jenny und ihre Kollegen alljährlich durch den Versuchsstollen  unter einer idyllischen Halbinsel bei Oskarshamn .  450 Meter tief im Granitgestein soll der Strahlenmüll, eingehüllt in 25 Tonnen schweren Kupferkapseln, bis in alle Ewigkeit ruhen.

Auch in der Atomgemeinde Forsmark, die am Ende den Zuschlag für den Bau des Endlagers erhielt, strahlten sie einen überraschenden Optimismus aus. Ausländischen Fernsehteams wurden so oft die badenden Kinder im warmen Abflusskanal des Pannenreaktors vorgeführt, dass sich das Bild vom „Schwedischen Atomidyll“ zwangsläufig aufdrängte.

Dabei brodelte es schon damals gewaltig hinter den Kulissen. „Schweden ist furchtbar abhängig von der Atomkraft und das Zentrum hat ein Problem mit der Demokratie“. So brachte etwa Christer Jonsson aus Kalmar seine Enttäuschung über den drastischen Kurswechsel seiner Partei auf den Punkt. Wie so viele seiner Parteifreunde ist der einflussreiche Lokalpolitiker überzeugter Atomkraftgegner. Dass ausgerechnet das bäuerliche Zentrum, lange Jahre eine feste Bastion des Widerstands, den drei Jahrzehnte gültigen Volksentscheid kippte, können viele an der Basis nicht begreifen. Zumal sie nicht gefragt wurden. Den Kurswechsel habe die Vorsitzende Maud Olofsson an der Partei vorbei organisiert, monieren die Kritiker. 

Die muss sich nun warm anziehen. Mindestens drei parteiinterne Widerständler im Parlament wollen bei der noch vor den Wahlen im September anstehenden Abstimmung über den Energiekompromiss ihre Stimme verweigern. Die Schauspielerin Solveig Ternström (Jahrgang 1937) erklärte, sie ließe sich selbt vor einer Pistolenmündung nicht umstimmen. Und ihre Parteifreundin Eva-Salin Lindgren geht noch einen Schritt weiter. Wie es denn sein könne, fragt die Kernphysikerin, dass mit der Entwicklung der Endlagermethode ausgerechnet die Atomfirma SKB betraut sei. In der Tat werden aus einem staatlich verwalteten Rücklagenfonds für die Atomendsorgung Projekte finanziert, die SKB in Auftrag gibt. „Wir brauchen mehr unabhängige Forschung“, fordert Lindgren.

Der Aufruhr gegen den Energiepakt könnte für das Zentrum böse Folgen haben. In jüngsten Umfragen kratzt die Partei gefährlich an der 4-Prozent-Hürde.

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