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Zeichnung von Toshio Saeki aus seinem Buch „The Earliest Work“, Seirin-Kogeisha-Verlag
„Kann sein, dass der Kopf auf meinem Rücksitz rumgerollt ist!“ sagt der Taxifahrer, „oder auch nicht! Wer merkt sich schon alle Gesichter!“ Und dann lacht er über seinen Versuch, dem Fahrgast näher zu kommen. In Tomigaya gegenüber dem Issey Miyake Headquarter geht überhaupt nichts weiter. Lastwagen der TV-Anstalten TBS und Fuji TV blockieren die Kreuzung. Zu Fuss zu meinem Studio wären es zehn Minuten – und jetzt sitze ich im Taxi fest, schon eine Viertelstunde, muss mir auf nüchternen Magen Kommentare zu Kaori Mihashi anhören. Die hatte am 12. Dezember ihren Mann Yusuke in drei Teile zersägt – weil er sich nicht bei ihr entschuldigen wollte (Affäre, betrunken nach Hause, was immer…). Und weil er sich nicht entschuldigt hat, komme ich nun zu spät zum Meeting. Gegenüber von Issey untersucht die Polizei die Wohnung des Ehepaars. Deshalb die TV-Transporter. Deshalb die Verstopfung.
„Das war nicht der Kopf,“ sage ich, „den hat sie zum Machida Park in der U-Bahn gebracht. Vielleicht der Oberkörper?“ „Sooo-des-neeee…!“ sagt der Taxifahrer, drückt damit wie alle Japaner aus, dass etwas so ist, sein könnte oder nicht so ist und nicht so sein könnte. „Wir fahren jeden Tag mit Plastiksäcken herum. Eine Frau wie Kaori, mit schwerer Plastiktüte? Sooo-des-neeee…..!“ In den Morgennachrichten hiess es, dass die schmächtige 30-jährige den Oberkörperklumpen von Yusuke, Spekulant bei Morgan Stanley, im Taxi nach Shinjuku geschleppt hat (Passanten dachten, da liegt ein Schaufensterpuppenteil am Gehweg.). Gesetz der Serie? Vor zehn Tagen verhaftete die Polizei den Studenten Yuki Muto, weil der seine Schwester gar zehnfach zerlegt hatte – nicht mitgezählt die abgeschnittenen Brüste. Auch dieses Opfer wollte sich nicht entschuldigen, diesmal für die verhängnisvollen Worte „Du bist ein hoffnungsloser Kerl und hast kein Lebensziel!“. Und auch das ist bei mir ums Eck passiert – in Hatagaya. Den Eltern, beide Zahnärzte, hat Yuki den Verwesungsgeruch im Wandschrank damit erklärt, dass ihm Freunde einen kleinen Hai geschenkt hatten, und der sei nun eingegangen.
Zugegeben, der Stadtteil Roppongi liegt etwas weiter entfernt als Hatagaya und Tomigaya, ca. 20 Minuten mit dem Auto. Berücksichtigt man aber die Weite Tokios, dann sind es auf Münchener Verhältnisse umgerechnet von meinem Studio aus 5 Minuten. In diesem Roppongi (bekannt für Nachtleben und Mori Museum) hat der 54-jährige Unternehmer Joji Obara ausländische Bardamen betäubt, vergewaltigt und angeblich mindestens eine in seiner Badewanne … was wohl? – zerstückelt!
„Jetzt einen direkten Bezug zu der makabren, japanischen Mangakultur herzustellen, wäre sicher zu banal,“ habe ich gestern noch via Skype-Video zur Kollegin Angela Köhler von der Wirtschaftswoche gesagt. In den wöchentlich erscheinenden, oft hunderte Seiten starken Comics spritzt Blut in alle Richtungen – mit Brutalsex als Begleiterscheinung. Dem Leseralter sind keine Grenzen gesetzt.
Angela hat mir darufhin das preisgekrönte Buch „Out“ empfohlen, von Kirino Natsuo (in Deutschland unter dem Karl-May-haften Titel „Umarmung des Todes“ erschienen). Das Thema klingt vertraut, fast telepathisch: Ehefrau in Tokyo bringt Mann um, zerstückelt ihn, plant Verteilung der Bodyparts. Wenn nicht Mangas, was könnte die rachsüchtigen, dunklen Täterseelen noch inspiriert haben? Jungsche Archetypen wie Samurais etwa? Jene Halsabschneider, die sich ihren Lebensunterhalt über Jahrhunderte mit dem Mutilieren von Menschen verdingt haben – und zwar nicht so ehrenhaft, wie es im Nachhinein der Mythos will?
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Filmdirektor und Schauspieler Takeshi Kitano, wo er mir trocken erklärt, dass er für seine Blutorgie Zatoichi tagelang geübt hat, wie man dem Gegner fachgerecht die Hand abhackt. „Details im Film sind alles!“ Und ich erinnere mich auch an den kaiserlichen Schwertschmied Yoshindo Yoshihara: „Meine Schneiden sind scharf,“ hat er gesagt, „so scharf, dass sie mit einem Streich auf Brusthöhe ihren Körper druchtrennen können.“ All das geht mir im Taxi durch den Kopf, während überhaupt nichts weiter geht.
„Aus Amerika?“ fragt der Fahrer. „Nein, doitsu!“ Ich sage immer Deutschland, weil ostoria (Österreich) klingt so wie ostoralia (Australien). „Ah, hitola!“. Es folgt ein Hitlergruss. „Deutschland und Japan. Zweiter Weltkrieg. Zusammen! Zusammen!“ Die Augen des Taxifahrers leuchten auf im Rückspiegel. Jetzt hat er doch noch Zugang gefunden zu seinem Fahrgast – glaubt er zumindest.