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Marcus Bensmann: Gespräch mit meinem Mann

Erst am Dienstag früh Manilazeit bekomme ich mit, was Marcus widerfahren ist. Daran ist meine derzeit miese Internetverbindung schuld, entsprechend dauert das Lesen der vielen emails, die im Netzwerk hin- und hergehen, quälend lange. In das Entsetzen über das, was Marcus passiert ist, mischt sich Besorgnis. In wenigen Tagen fährt mein Mann nach Almaty, der alten Hauptstadt von Kasachstan. Auch Bischkek, die kirgisische Hauptstadt, steht auf dem Reiseplan.

Alles wie immer eigentlich, denn Jürgen ist seit 20 Jahren regelmäßig beruflich in Zentralasien. Derzeit leitet er dort Entwicklungsprojekte im Finanzsektor für die Asian Development Bank (ADB). Für die Projektbetreuung muss er auch regelmäßig Kollegen und Berater in die Region schicken.

Auch Jürgen erschrickt, als er von dem brutalen Überfall hört. Marcus kennt er als den Mann, der für die taz aus Zentralasien berichtet. Dennoch glaubt er nicht an einen von Usbekistan gesteuerten Anschlag, wie er mir abends erklärt: „ Ein usbekischer Dienst würde sich bei einem Einsatz in Kasachstan sozusagen auf feindlichem Gebiet befinden. Usbeken und Kasachen sind Erbfeinde. Warum sollten die Usbeken versuchen, Marcus in Kasachstan zu überfallen? Er ließe sich an seinem ständigen Wohnsitz in Kirgisistan viel leichter ausspähen und attackieren als auf einer Recherchereise in Kasachstan.“

Laut Jürgen ist blanke, kriminelle Gewalt eine viel plausiblere Erklärung. Die pausenlosen Veränderungen der letzten 20 Jahre durch die Perestroika und nachfolgende Reformen hätten viele Menschen in der Region entwurzelt. Die Gesellschaft sei verroht, viele Jugendliche verwahrlost. Immer mehr Tabus seien gefallen. Außer in Usbekistan, wo eine repressive Staatsmacht vieles unterdrücke, sei in anderen zentralasiatischen Ländern Gewalt auf der Strasse inzwischen gang und gebe.

Aber was heißt das jetzt im Klartext für einen Ausländer, für ihn, der ja nun mal mehrfach im Jahr in diese Länder fährt? „In Kasachstan und Kirgisistan konnte ich noch bis vor wenigen Jahren völlig frei durch die Strassen und Parks schlendern. Auch nachts. Das ist vorbei“, sagt Jürgen. „Inzwischen stehen fast an jeder Straßenecke Autos unterschiedlicher Preisklassen, in denen zwei, drei, oder vier junge Männer stecken, die finster vor sich hinschauen und plötzlich schweigen, wenn ich vorbei gehe. Zugegeben, ihre Gesichter sehe ich gar nicht so deutlich durch die dunklen Scheiben. Ich gucke auch nicht so genau hin, um keine Kontaktbrücke zu bauen. Wenn ich das Auto rechtzeitig sehe, wechsele ich die Straßenseite. Diese Jungs haben offenbar keinen normalen Job. Sie verdienen ihr Geld im Dunstkreis von großkalibrigen Kriminellen, Politikern, oder auch Unternehmern. Sie hängen viel rum, sind nicht in bürgerliche Strukturen integriert und irgendwie außer Kontrolle. Sie haben auch keinen Respekt vor der Staatsgewalt: Ihr Pate passt schon auf sie auf, wenn’s mal eng wird.“

Mir wird ein wenig flau im Magen. Zwar hat mir Jürgen immer mal wieder solche Szenen geschildert, aber wie allgegenwärtig sie offenbar sind, war mir nicht klar gewesen. Vielleicht wollte ich es auch nicht wahr haben. Jürgen meint, dass u.a. die Landflucht zu der Misere beiträgt. Viele Bewohner aus ländlichen Gebieten strebten in Städte wie Astana, Almaty, oder Bischkek, um dort ihre Chance zu suchen. Diese Neuankömmlinge fänden aber oft nicht sofort ein Auskommen und sozialisierten sich nur mühsam. Kleinkriminalität und alle Arten von Aggression hätten deshalb in den Städten vor allem in den letzten 2-3 Jahren stark zugenommen.

“Man trifft in Kasachstan und Kirgisistan viele dubiose Gestalten“, erzählt Jürgen weiter. „Nachts natürlich noch mehr, vor allem in der Nähe von Diskotheken und Spielkasinos. Da wird man dann plötzlich aus einer Gruppe heraus angesprochen und ganz schnell angemacht. Die Jungs machen das zum Zeitvertreib, oder um sich zu produzieren, oder um jemanden abzuziehen. Vielleicht auch nur, weil der Club zu einem bestimmten Machtbereich gehört, und die Burschen wissen wollen (oder müssen), wer da unterwegs ist. Vielleicht
auch, weil sie nicht wollen, dass jemand einheimische Mädchen anbaggert oder sich zu genau umschaut und Fragen stellt. Ich denke, das wäre ein plausibles Szenario für das, was Marcus passiert sein könnte. Und so stellt sich das vermutlich auch derzeit der kasachischen Polizei dar.“

Jetzt rückt Jürgen noch mit einem Überfall auf einen anderen Deutschen raus: Professor Heiko Fritz ist kurz vor Weihnachten 2007 in Almaty brutal zusammengeschlagen worden. „Heiko unterrichtet in Almaty an einer Universität. Als er abends auf dem Heimweg war, wurde er von einer Gruppe Kasachen nach einer Zigarette gefragt. Sein ausländischer Akzent passten den Kasachen wohl nicht, sie schlugen und traten auf Heiko ein. Anscheinend wurde noch nicht einmal der Versuch gemacht, irgendetwas zu stehlen. Heiko geht davon aus, dass er noch Glück hatte: Es war "nur" die Nase gebrochen und der Kiefer ausgerenkt. Er hat Schlimmeres aus seinem Bekanntenkreis gehört. Heiko ist am 22. Dezember in München operiert worden und sollte jetzt schon wieder in Almaty sein.“

Auch dieser Vorfall zeugt von unsinniger Brutalität. Ich frage mich, ob Jürgen als Ausländer – auch wenn er wie Marcus lange Erfahrung in der Region hat und fließend russisch spricht – sich besonders in Acht nehmen muss?

“Ich glaube nicht, dass Kriminalität und Gewalt in Kasachstan oder Kirgisistan sich primär gegen Ausländer richtet“, meint er dazu. „Ausländer vor Ort hören natürlich in erster Linie von Gewalt innerhalb ihrer Kreise. Ich höre aber viel öfter von sinnlos brutalen Straßenüberfällen auf Einheimische. Ein- bis zweimal pro Jahr überfallen zu werden ist für Einheimische in Bischkek um Beispiel nichts Außergewöhnliches mehr. Wer nicht geschlagen wird, hat Glück. Als westlicher Ausländer ist man wohl nach wie vor eher geschützt, vielleicht weil die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass ein Überfall von der Polizei überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Ich hoffe, ich mach mir hier nichts vor“, räumt er ein.

Generell sei die Lage in Kasachstan und Kirgisistan schlimmer als in Usbekistan. Das liege nicht nur an der Repression in Usbekistan, sondern auch daran, „dass Kasachen und Kirgisen als Abkömmlinge von Nomaden echt raue Burschen sind. Wenn einem etwas in Mittelasien passiert, dann in Kasachstan oder Kirgisistan. Bei all meinen Reisen in fast
alle osteuropäischen Länder und die GUS-Staaten, bin ich nur einmal auf der Strasse überfallen worden, und das war in Schimkent in Südkasachstan. In beiden Ländern haben viele meiner Kollegen und Bekannte negative Erfahrungen gesammelt.“

Ein Security update, das die ADB Jürgen gerade geschickt hat, stimmt mich auch nicht gerade heiter. Es macht irgendwie drastisch klar, dass seine nächste Dienstreise keine sein wird „wie immer“. Für mich nicht und für ihn nicht.

 

Security in the Field: Kazakhstan

Executive Summary

The most commonly reported crimes committed against foreign travelers are purse snatching, pick pocketing, assaults and robberies. Foreign travelers, especially westerners, are perceived as being affluent and vulnerable by criminals. Criminals tend to operate in the vicinity of western hotels, transportation sites and open-air markets in population centers.

The central open-air market in Almaty, known locally as the "green market", and other areas frequented by foreign travelers are considered higher density petty crimes areas. Foreign travelers are often targeted for confidence schemes at transportation hubs.

One scheme is for a petty criminal to pose as driver and to offer passengers ground transportation to their hotel. The driver then drives the unsuspecting passenger to an isolated and remote area and demands an exorbitant rate to return the passenger to the city.

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