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Mit Adidas Richtung KZ

Vorletzten Freitag war ich auf einem Pokerabend. Zum Zocken kam es aber nicht, denn kaum wandte sich der unpatriotische Gastgeber dem Wein zu,  da schaltete ein Sportsfreund schnell den Fernseher an. Es lief nämlich die Eröffnung der Rugbyweltmeisterschaft auf heimischem Boden. Wer die verpasst, der kann auch gleich „nach drüben gehen“, also zum Erzfeind Australien.  

Was wir sahen, war bombastisch und rührte selbst das härteste Pokerface: Gesänge und Maori-Tänze, Feuerwerk und Nationalhymne, Pathos und Poesie. Unser Gastgeber murrte nur einmal im Hintergrund – „was das alles kostet, davon kann man halb Christchurch wiederaufbauen“ – aber wurde von der Runde weggezischt. Und dann gewannen die All Blacks auch noch im Auftaktspiel gegen Tonga. Welch ein Abend! Gänsehaut pur. Doch in Auckland, wo das ganze Spektakel unter freiem Himmel bei schönstem Wetter stattfand, wurde die Heldenfeier als mittlere Katastrophe verbucht.

In Neuseelands Metropole waren rund 200.000 Fans aus aller Welt aufgelaufen. Die wenigsten von ihnen schafften es zum Stadion und sahen wie wir vor dem Bildschirm den Traum in Türkis. Der öffentliche Verkehr der Stadt brach komplett zusammen. Überfüllte S-Bahnen standen zwei Stunden auf den Gleisen, ein Bus fuhr in eine Gruppe Fußgänger. Totales Chaos. In bester Diktatorenmanier entzog Neuseelands Rugby-Minister prompt Aucklands Bürgermeister die logistische Oberaufsicht. Und Raybon Kan, Komiker und prominentes Lästermaul, twitterte kurz darauf ins Volk: „Vielleicht sollte Adidas den Nahverkehr übernehmen. Nette deutsche Firma. Die wissen, wie man Tausende auf Züge verlädt.“

Nun hat sich Adidas weiß Gott nicht immer mit Ruhm bekleckert. Und ich meine damit nicht die Tatsache, dass Firmengründer Adi Dassler Nazi war, genauso wie sein Bruder Rudi, dessen Schuhfabrik auch Panzerschrecks für die Wehrmacht  herstellte. Immerhin nannte sich die Firma nicht nach Adis vollem Geburtsnamen, sonst hieße sie jetzt Adolfdas. Nein, was den Kiwis aufstieß, war der Trikot-Skandal. Adidas hatte sich nämlich erdreistet, das offizielle Rugby-Shirt der Nationalmannschaft im Lande der All Blacks zum Wucherpreis von 220 Dollar anzubieten, obwohl der Fummel im Internet weltweit bis um die Hälfte billiger zu erstehen war. Ein Eigentor und ein PR-Desaster, das die Kiwis dem Sportmulti nicht verzeihen. Aber dafür gleich als Zugführer auf den KZ-Transport?

Raybon Kans Tweet rief die erwartete Empörung hervor: Antisemitisch sei das, da den Schrecken des Holocausts dreifach gestreift mit Füßen tretend. Wie immer in solchen Fällen wurde der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde um Stellung gebeten, und wie immer mahnte der gute Mann milde, aber verteidigte das Recht auf freie Rede. Als einziger Kommentator merkte er an, dass Kans Transport-Witz ja auch den „modern Germans“ Unrecht täte. Worauf ihm der Komiker prompt Recht gab. Wenn überhaupt, habe er die Deutschen beleidigt, nicht die Juden. Schon okay. Wir haben ja noch nicht mal eine Rugbymannschaft bei der WM.

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