Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Mondpreise für Wohnungen

Da wir demnächst umziehen, sehe ich auf den Straßen Shanghais nur noch Immobilienmakler. Überall stehen sie, teilen an der Straße Broschüren an vorbeihastende Passanten aus. Oder geleiten junge Paare, Familien, Singles in Apartmentblöcke, alte Villen oder umzäunte, begrünte Wohnanlagen. Junge Typen meist, mit dunklem Anzug, Schlips und weißem Hemd, und einer Klemmmappe unterm Arm. Ich bilde mir ein, selbst bei jungen Männern auf einem Moped zu erkennen, wer ein Makler ist und wer nicht.

Tolle Sachen haben die Wohnungsmakler hier in Shanghai im Angebot. Alte Villen ausländischer Diplomaten oder einstiger Shanghaier Drogenbarone in verwunschenen Gärten zum Beispiel – die sind inzwischen gerne mal für sagenhafte 100 Millionen Yuan zu haben: Gut 10 Millionen Euro. Unrenoviert auch mal für 5 Millionen. Ein echtes Schnäppchen. Sanierte Reihenhäuser in den alten Gassen, Lilongs genannt, kosten mindestens eine halbe Million Euro. Dieses Hochpreissegment zieht auch ganz gewöhnliche Wohnungen in guten Lagen mit. Vier kleine Zimmer in einem weiß gekachelten, 15 Jahre alten Hochhausturm für 480.000 Euro? Gar kein Problem. Irgendwas in Innenstadtlage für 4 Personen, so für 200.000 Euro? Stirnrunzeln. Vielleicht in einem der alten grauen Arbeiterblöcke noch zu haben. Günstige Wohnungen – das war einmal. Wer vor acht Jahren gekauft hat, war klug und ist heute reich.

In vielen Städten Chinas sind die Wohnungspreise allein im vergangenen Jahr um 50 Prozent oder sogar mehr gestiegen. Eigentlich müsste das ein Fest für die Makler sein. Ist es aber nicht. Denn die Preise sind zwar hoch, aber kaum einer kauft.  Eine Maklerin schleust grade jede Woche 30 Interessenten durch ein saniertes Altstadthaus. Vergeblich.”Nur wer wirklich eine Wohnung braucht, kauft heute”, sagt ein Kollege und nestelt an seiner Krawatte. ” Alle anderen, Investoren zum Beispiel, warten ab.” Nur worauf warten sie? Dass die Preise einbrechen? Das erwartet nichtmal der junge Makler. “Zum Jahresende werden die Preise trotz allem noch etwas höher liegen”, ist er sich sicher.

Und wer kann das alles noch bezahlen? Für normale chinesische Mittelstandsfamilien wird der Wohnungskauf immer schwieriger. Ein Drama, für die von Wohneigentum besessenen Shanghaier. Junge Männer, die keine Wohnung besitzen, bekommen keine Frau. “Sie mögen noch das Mädchen rumkriegen, die Schwiegermutter aber auf keinen Fall!” sagt Cindy Su. Sie hat Glück. Sie hat eine Wohnung und einen Mann. Ein Freund von ihr hat aus Verzweiflung gerade eine Wohnung in Kunshan gekauft, einer staubigen Industriestadt vor den Toren Shanghais. Wohnen will er da nicht. Aber es ist billiger, 700 Euro kostet der Quadratmeter. Und er hat den begehrten Trumpf in der Hand: Eine eigene Wohnung, die er zumindest vermieten kann.

Schon geht unter Experten und Politikern die Angst um, dass Chinas Immobilienmarkt eine Blase ist, die bald platzt – so wie 2008 in den USA. In Peking stürzten die Kaufpreise im Frühjahr um 800 Euro pro Monat ab, nachdem die Zentralregierung zuvor Hypothekenkredite verteuert und andere Hindernisse für Wohnungskäufer eingeführt hatte – vor allem für Investoren, die zwei oder mehr Apartments besitzen. Ganz abwürgen will das Land den Sektor aber nicht. Es braucht ihn für die wirtschaftliche Erholung. Und der Bausektor schafft viele Arbeitsplätze. Aber er ist auch anfällig für Korruption. Gerade verbot daher die Kommunistische Partei ihren Kadern, sich “in Bauangelegenheiten einzumischen”.

Wir mieten unsere neue Wohnung, genau wie die alte. Wurden wir dafür früher belächelt, liegen wir dank der Mondkaufpreise heute zunehmend im Trend. Die Mieten immerhin waren in der Krise gesunken. Und auch wenn sie wieder steigen, liegt das Niveau bisher nicht höher als vor der Krise. Und so sind die vielen jungen Makler wohl heutzutage vor allem mit potenziellen Mietern statt Käufern unterwegs. Auch wenn das natürlich viel weniger Kommission bringt. Besser als nichts. “Ich bin doch nicht verrückt und kaufe eine Wohnung”, sagt Jia Kan und lacht sich kaputt. “Bei den jetzigen Preisen bekommt man da nie vernünftige Erträge. Und mit einer Mietwohnung hat man viel mehr Freiheit, wenn man mal umziehen will.”

Seine Freundin hat ihn trotzdem kürzlich geheiratet.

Newsletter

Es gibt Post!