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Nachhilfe im Supermarkt

 

Seit kurzem habe ich eine neue Routine. Einmal die Woche geht’s zu einem Supermarkt, um den ich früher aus Prinzip einen großen Bogen gemacht habe. Ich fand es ätzend, wie Ausländer scheinbar jeden Preis zahlen, um ihren Kühlschrank mit vertrauten Produkten aus den USA, Europa oder Australien bestücken zu können. Kam für mich nicht in Frage. War ja auch nicht nötig, beim japanischen Tante-Emma-Laden um die Ecke gab’s alles, was ich brauchte, und halb so teuer wie im Internationalen Supermarkt.

Doch das strahlende Atomskelett in Fukushima hat meine Einkaufsgewohnheiten verändert. Etwas verschämt parke ich nun mein altes Rad im Diplomatenviertel zwischen all den Staatskarossen und Protzautos „made in Germany“. Ich ärgere mich zwar weiter über die Preise, die einem abgeknöpft werden. ABER ich kann lesen, wo das Gemüse, das Obst und die Milch herkommen, denn die Geschäftssprache dort ist Englisch. Zwar verraten auch viele japanische Läden ihren Kunden, aus welcher Präfektur der Salat oder der Kohl kommen, doch die drei in Japan gebräuchlichen Alphabete stellen mich noch immer vor zu viele Rätsel. Die Furcht vor kontaminierten Lebensmitteln aus dem Gebiet um das kollabierte AKW ist ein bindendes Glied zwischen den Ausländern und Einheimischen. Auch viele Japaner greifen derzeit lieber zu, wenn die Waren aus einer Gegend fernab von Fukushima kommen.

Aber wie gesagt, ich kann die japanischen Etiketten nicht lesen und misch mich daher unter die illustre Kundschaft im Internationalen Supermarkt in Hiro-o. Ist schlecht für den Geldbeutel, aber gut fürs störanfällige seelische Gleichgewicht. Und ich muss zugeben –das Management hat sich etwas einfallen lassen. Nicht nur ist die kleinste Knoblauchknolle mit Herkunftsort ausgezeichnet. Nein, es gibt nun auch Handzettel, die der werten Kundschaft in Geographie helfen. Die praktischen Flyer verraten, wo in Japan denn Fukuoka, Aomori  oder Saitama liegen.

Als Grundregel gilt: Alles südwestlich von Tokio kommt ins Körbchen, alles aus den Präfekturen rund um das nördlich der Hauptstadt gelegene Fukushima tendiert zum Ladenhüter. Ganz und gar unverkäuflich waren jüngst wohl die köstlichen Shiitake-Pilze. Sie stammten aus der an Fukushima angrenzenden Präfektur Gunma und da kann ein plakativ aufgestelltes Strahlenfreiheits-Zertifikat noch so versprechen, dass die Pilze astrein sind. Auch ich kaufe sie nicht, obgleich es ein Dilemma ist.

 

Das veränderte Konsumverhalten in Japan trifft ausgerechnet jene, die ohnehin am stärksten von den Katastrophen des 11. März betroffen sind. Bauern aus der Region um das AKW haben ihre Lebensgrundlage verloren, da helfen alle Zertifikate nichts. Es wird eine ganze Weile dauern, bis in den Supermärkten wieder Normalität eingekehrt ist, und sich die Verbraucher wieder am Preis oder der Qualität der Lebensmittel orientieren und nicht an der Herkunft.   

 

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