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Philosophie in Kabul

Gestern fand an der Mediothek in Kabul eine Diskussion zum Thema „Moderne und Postmoderne“ statt. Ich will mich nicht weiter zu der Frage äußern, ob dies ein sinnvolles Thema in einem Land ist, das zu 90 Prozent in der Prä-Moderne lebt. Philosophie ist das Opium der Intellektuellen. Darüber sind sich die Afghanen selbst bewusst genug. Beim Abendessen nach der Konferenz entspann sich folgendes Gespräch: Frage: „Wer ist denn nun der Löwe der Postmoderne (Persisch: Sher-e-Postmodern)?“ Antwort: Wir sind alle sind Löwen des Quatschens (Sher-e-gap mezanan)“.

Einig waren sich die afghanischen Intellektuellen darin, dass im Iran sowohl Michel Foucault als auch Jacques Derrida falsch übersetzt worden sind. Leider reichte mein Persisch nicht aus, um die Argumente im Einzelnen nachzuvollziehen. Aber ich bin fasziniert von dem Gedanken, dass das ganze Schlamassel im Iran daran liegen könnte, dass Präsident Ahmadineschad die französischen Poststrukturalisten falsch verstanden hat.

Dabei hatte ich eher den Eindruck, dass er zumindest den mittleren Foucault sehr gut verstanden hat. Weshalb der ganze Iran einem Gefängnis gleicht. Hierin sehe ich mich übrigens durchaus einig mit einem anderen bedeutenden Foucault-Interpreten unserer Tage: George W. Bush, obwohl dieser sich in der Praxis eher auf den frühen Foucault konzentriert hat, weshalb die Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren einem Irrenhaus glichen. (Ich weiß, dies wird wieder meine Freude von David’s Medienkritik auf den Plan rufen. Siehe meinen Blog vom 23.Mai 2007. Go ahead, guys!)

Wirklich interessant wird es, wenn man Ahmadineschads Reden als Interpretationen Derridas liest. Der ganze Nonsens macht auf einmal Sinn! Offenbar scheint der iranische Präsident den Holocaust als einen Text zu betrachten, den es zu dekonstruieren gilt. Ob er dazu Atomwaffen braucht, ist unklar, aber es ist verständlich, dass Israel nicht begeistert ist. Hätte man doch bloß die Übersetzug Derridas ins Persische einem Afghanen überlassen!

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