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Shanghai will Schlafanzüge von den Straßen verbannen

 

Im Mai kommenden Jahres beginnt die Expo 2010 in Chinas Boomstadt Shanghai. Seit Monaten wird die ganze Stadt geschminkt und verschönert. Selbst die hässlichen alten Bürobauten in der Straße neben meinem Haus sind renoviert worden. Die alte Fassade aus grauen Kacheln ist durch Spiegelglas ausgetauscht worden, allerdings nur auf der Gebäudeseite zur Straße.

Jetzt sollen sich auch die Einwohner schön machen: Die Shanghaier Regierung will ihren Einwohnern endlich das Tragen von Schlafanzügen in der Öffentlichkeit austreiben.

Seit 30 Jahren boomt die chinesische Wirtschaft. Viele Chinesen haben seitdem viel Geld verdient. Und gerade die luxusverliebten Shanghaier geben es auch mit großer Freude wieder aus. Längst haben sämtliche westliche Luxus-Modehersteller ihre flagship stores in Shanghai eröffnet. Und in kaum einem anderen Land begegnet man auf der Straße so vielen Handtaschen von Louis Vuitton wie in Shanghai. Trotzdem ziehen Zehntausende Shanghaier jeden Tag nach der Arbeit die Anzüge und Business-Kostüme aus, schlüpfen in ihre Schlafanzüge und gehen Einkaufen oder Spazieren, gerne auch in Stöckelschuhen. Bei ausländischen Touristen sind die Shanghaier Schlafanzüge das beliebteste Fotomotiv.

Die Shanghaier selbst erklären ihre Liebe zum Pyjama übrigens mit ihrem ausgeprägten Modebewusstsein. Als die Kulturrevolution 1976 endlich vorbei war und ein frischer Wind durchs Land wehte, sehnten sich die Menschen zuerst nach bunten Farben und individueller Kleidung. Doch in ihren Kleiderschränken hingen nur die blauen Mao-Uniformen. Es heißt, dass die ersten Shanghaier damals ihre Schlafanzüge auf den Straßen anzogen, es waren die einzigen bunten Kleidungsstücke, die den Kommunismus überstanden hatten. Und sie lieben ihre Pyjamas bis heute.

Seit Jahren versucht die Regierung, die Shanghaier die Schlafanzüge von den Straßen zu verbannen. Pyjamas in der Öffentlichkeit zu tragen „verstößt gegen internationale Praktiken und soziale Rituale“, zitierte die amtliche Tageszeitung Global Times einen Pressesprecher der Stadtverwaltung. Leuchtreklamen in der Innenstadt ermahnen die Menschen, ihr Nachtgewand nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Es gibt sogar Beamten, die extra dafür abgestellt wurden, die Shanghaier Abendmode zu modernisieren. Alles Teil der Kampagne mit dem schlimmen Namen „Die Schlafanzüge zu Hause lassen und ein zivilisierter Gastgeber der Weltausstellung werden“.

Ich habe die Schlafanzüge eigentlich immer sehr sympathisch gefunden. Wenn man weiß, was seine Nachbarn abends im Bett tragen, fühlt man sich ihnen automatisch näher. Die Kampagne finde ich albern. Bisher habe ich immer in Unterwäsche geschlafen. Vielleicht ist jetzt die richtig Zeit, um wieder auf Schlafanzüge umzusteigen.

 

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