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Smog in Paris

Die Dame versucht, am Metro-Eingang ihr Ticket zu entwerten – doch es funktioniert nicht. „Madame, heute ist die Metro gratis, Sie können einfach durch die Schleuse gehen“, sagt ein junger Franzose. Noch hat es sich nicht überall herumgesprochen: Seit drei Tagen ist der Nahverkehr in und um Paris umsonst. Das freut viele, auch die Touristen. Doch der Grund dafür ist weniger schön: Frankreichs Hauptstadt leidet unter Smog.

Die Pariser husten sich mal wieder durch ihre Stadt. Wie bereits genau vor einem Jahr hängt eine Smog-Wolke über der Metropole. Mehrere Tage hintereinander wurden die Feinstaub-Grenzwerte überschritten. Die Luftqualität ist an solchen Smog-Tagen in Paris zeitweise genauso schlecht wie in einem nicht gelüfteten Zimmer von 20 Quadratmetern, in dem acht Raucher gleichzeitig rauchen, stellten im vergangenen Jahr Forscher fest. Die ganze Region leidet immer wieder unter der miesen Luftqualität: 2013 sind in der Region Île-de-France die Feinstaub-Grenzwerte an 135 Tagen überschritten worden, die EU erlaubt nur 35.

Über den Dächern von Paris herrscht dicke Luft

Über den Dächern von Paris herrscht dicke Luft

Wie genau vor einem Jahr greift die Regierung zu drastischen Mitteln: Heute gilt ein Teil-Fahrverbot. Das heißt: In Paris und in 22 angrenzenden Vorstädten dürfen nur die Autos und Motorräder fahren, deren Kennzeichen mit einer ungeraden Zahl enden, alle anderen müssen stehen bleiben. In der ganzen Stadt kontrollieren 750 Polizisten, ob die Fahrer sich daran halten. 22 Euro kostet die Strafe für denjenigen, der trotzdem mit seinem Auto losdüst. Gleichzeitig wurde auf den meisten Straßen die Höchstgeschwindigkeit um 20 Stundenkilometer reduziert.

Vor einem Jahr zeigte das Fahrverbot Wirkung: Die Feinstaubbelastung nahm um sechs Prozent ab. Warum wartete die Regierung also jetzt tagelang? Wohl weil man vor den Départementswahlen am Sonntag die Wähler nicht verärgern wollte. Die Zeitung “Le Monde” fragte deswegen kritisch: „Wie viele Leben ist eine Wählerstimme wert?“

Die Behörden geben dem Wetter Mitschuld am Smog: ein Hochdruckgebiet über Frankreich, kein Wind und Regen, der den Dreck in der Luft wegpustet und fortspült. Doch die eigentlichen Verursacher sind andere: Die Schwerindustrie mit ihren Abgasen, das Düngen in der Landwirtschaft und vor allem die endlosen, stinkenden Blechlawinen in der Stadt. Täglich rollen auf dem 35 Kilometer langen „Périphérique“, der Pariser Stadtautobahn, 1,3 Millionen Fahrzeuge. Zwar haben die Pariser selbst oft gar kein Auto – nicht mal jeder zweite besitzt eines. Aber es  sind vor allem die vielen Pendler aus dem Umland mit ihren Dieselfahrzeugen, die den Smog verursachen: Dieselmotoren erzeugen besonders viele gefährliche Feinstaubpartikel.

Zwei von drei Autos in Frankreich fahren mit Dieselkraftstoff. Denn die französischen Regierungen förderten den Kraftstoff seit Jahrzehnten, indem sie ihn weniger besteuerten als normales Benzin. Viele französische Großstädte leiden nun dauerhaft wegen dieser Diesel-freundlichen Politik. Aber auch die vielen privaten Kamine der Region verpesten im Winter die Luft. So wird immer wieder heftig darüber gestritten, ob es im Großraum Paris verboten werden soll, in Wohnungskaminen ein gemütliches Feuerchen zu schüren.

Die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo macht den Kampf gegen Luftverschmutzung zur Chefsache. Das Rathaus kündigt einen radikalen Umweltplan für die kommenden Jahre an. Denn die Feinstaubbelastung verkürze die durchschnittliche Lebenserwartung der Pariser um sechs bis neun Monate, heißt es. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sterben 42000 Menschen in Frankreich an den Folgen der Luftverschmutzung. Die Partikel verursachen Lungenkrebs und Atemwegskrankheiten.

Pariser, die ihr (vor 2001 angeschafftes) Dieselauto abschaffen wollen, werden unterstützt: mit Vergünstigungen für Abonnements für das Autoverleihsystem Autolib oder Fahrradverleihsystem Velib. Aber auch mit bis zu 400 Euro für den (Elektro-)Fahrradkauf oder einer Jahreskarte für die Metro. Auch Firmen bekommen Zuschüsse, wenn sie ihre Lieferwagen ausmustern und auf ein Elektrofahrzeug umsteigen. Schrittweise soll es für ältere Diesel-Laster und -Busse sowie auch für Pkw Fahrverbote geben – bereits ab Juli 2015, aber vor allem ab Juli 2016.

Anne Hidalgo will zudem mehr Fußgängerzonen. In den vier zentralen Arrondissements sollen neben Fahrrädern, Bussen, Radlern und Taxis nur die Anwohner, Lieferanten und Notärzte fahren dürfen: Das beträfe die Gegend von der Place de la Concorde über den Louvre vorbei an Notre-Dame und dem Rathaus bis zur Place de la Bastille und der Place de la République. Es soll Versuche geben, große Boulevards wie die Champs-Elysées oder die Rue Rivoli nur noch für besonders abgasarme Autos zu öffnen. Bis 2020 sollten die gesundheitsschädlichen Dieselautos sogar ganz aus der Stadt verbannt werden – und die Länge der Fahrradspuren verdoppelt werden.

Doch das ist Zukunftsmusik. Schon morgen dürfen erst einmal wieder alle Autofahrer fahren und die Metro kostet wieder Geld – denn es sind Wind und Regen angekündigt.

 

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