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Taiwan: Zeitung liefert Weltbild nach Wunsch

 

Normalerweise geht es in Taiwan recht harmonisch zu, doch wenn Wahlkampf herrscht, liegen die Nerven bei vielen Bürgern blank. Als Folge einer jahrzehntelangen Diktatur ist die Gesellschaft noch immer in zwei Lager gespalten, die sich spinnefeind sind. Kein Wunder, dass Politik im Alltag normalerweise nicht diskutiert wird. Selbst Kollegen, die jahrelang zusammenarbeiten, kennen oft nicht die Einstellung ihres Gegenübers.
 
Einen sicheren Anhaltspunkt für die Gesinnung liefert die Zeitungslektüre. Fast alle Blätter stehen fest entweder im „blauen“ oder im „grünen“ Lager, und so vorhersehbar fallen Themensetzung und Leitartikel dann auch aus. Nie würde ein Anhänger der „blauen“ Regierungspartei Kuomintang sich öffentlich etwa mit einer Liberty Times erwischen lassen, und seine „grünen“ Gegenspieler legen mit der China Times höchstens den Fußboden aus.
 
In so einer Medienlandschaft standen Gratiszeitungen in den vergangenen Wochen vor einem besonderen Problem: Politik zu ignorieren, ist im Wahlkampf keine Option. Damit möglichst viele Pendlern in der U-Bahn-Station ein Exemplar mitnehmen, müssen die Blätter möglichst so berichten, dass niemand sich vor den Kopf gestoßen fühlt. Bei Sharp Daily, bislang nicht durch journalistische Brillanz aufgefallen, haben die Herausgeber eine verblüffende Lösung gefunden: Sie druckten einfach für jedes politische Lager eine eigene Auflage, zu unterscheiden an der Farbe des Logos.
 

 
„Wenn Sie grüne Meinungen lesen wollen, nehmen Sie eine grüne Ausgabe“, steht als Warnhinweis neben dem blauen Zeitungstitel. Seite 26 macht den Unterschied: Sie besteht nur aus Wortmeldungen von Lesern, die über die Oppositionspartei und ihre Kandidatin schimpfen. „Die kann nur träumen und kriegt nichts auf die Reihe“ heißt es da, oder „Wegen jeder Kleinigkeit will sie eine Volksabstimmung, wozu soll das gut sein?“
 
Täglich stellte die Redaktion zudem eine Frage, zu der die Leser per Mail oder Website Dampf ablassen konnten. Genau spiegelbildlich ging es in der „grünen“ Ausgabe zu.
 

 
Vergangenen Samstag wurde dann endlich gewählt, und der amtierende Präsident darf weitere vier Jahre ran. Die Redakteure von Sharp Daily haben wohl aufgeatmet, dass die Zeit des schizophrenen Journalismus wieder vorbei ist.
 
Jedem Leser sein Weltbild nach Wunsch servieren, um keinen zu vergraulen – ob das Zukunft hat? Vielleicht gibt es schon bald die ersten Websites, auf denen der User mit einem Mausklick seine politische Einstellung und damit die Nachrichtenauswahl wechseln kann.
 
Was macht Taiwan so besonders, und wie lebt es sich in der einzigen Demokratie, in  Chinesisch Landessprache ist? Über den ungewöhnlichen Alltag in Taiwan habe ich ein kleines Buch geschrieben und mit vielen Fotos garniert.
 

 
Sie können einen Blick ins Taiwan-Buch werfen und es bestellen – gedruckt oder als eBook im EPUB-Format für weniger als vier Euro.
 
berichtet seit 2009 aus Taiwan. Erfahren Sie mehr unter taiwanreporter.de oder folgen Sie ihm per Facebook und Twitter.

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