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Über fietsen und Teilzeit

Die Leichtigkeit, mit der sie sich auf den Rücksitz eines Rades schwingen – seitlich, wohlgemerkt, mit elegant wippenden Beinen – das fasziniert mich noch immer. Und keine Frage: Sobald sie ein Kind bekommen haben, landet auch das auf dem fiets. Holländische Frauen sind wahre Akrobaten auf dem Sattel. Noch ein Kind? Einkaufstaschen? Alles kein Problem: Der Nachwuchs sitzt ganz hinten und ganz vorne, die Einkaufstaschen baumeln rechts und links – und schon stürzt sich die holländische Mutter kühn und unerschrocken in den Verkehr, vorzugsweise zu den Stosszeiten, denn die kleintjes müssen ja zur Schule gebracht und abgeholt werden. 

Inzwischen macht zwar das bakfiets Furore, das so genannte Wannenrad, in dem neben Sprösslingen und Einkaufstaschen auch noch problemlos der Weihnachtsbaum Platz findet. Aber dennoch stehen insbesondere deutschen Müttern allein bei der Vorstellung vor Grauen alle Haare zu Berge: Erstens ist der Nachwuchs Auspuffgasen ausgesetzt, zweitens setzt man sich grundsätzlich nur mit Helm auf ein Rad. Und drittens, so finden auch andere Nicht-Holländerinnen, mutet die Rollenverteilung aus emanzipatorischer Sicht etwas seltsam an: manlief, wie der Ehemann liebevoll genannt wird, begibt sich majestätisch im dicken leeren Auto zur Arbeit, vrouwlief, wie die Gattin heisst, lässt sich samt kids und Einkäufen mit dem fiets abspeisen. „Wäre es“, gab meine kolumbianische Freundin Evelyn einst zu bedenken, „umgekehrt nicht logischer?“

 Neulich musste ich an ihre Worte zurückdenken. Da sah ich einen Mann auf dem fiets, der sämtliche akrobatischen Sattel-Künste der holländischen Frauen in den Schatten stellte: Auch er hatte ein Kleinkind vorne, eines hinten, Einkaufstaschen rechts und links, aber er setzte noch eins drauf, denn er hatte auch noch einen Hund an der Leine, der fröhlich neben dem fiets trabte.

 Sollte man diesen Mann nun als Symbol eines fortgeschrittenen Emanzipationsprozesses sehen? Guten Willen kann man Hollands Männern schliesslich nicht absprechen, sie arbeiten sogar Teilzeit, sonst könnten sie sich mit dem Nachwuchs ja nicht mitten in der Woche aufs Rad schwingen. Zwar könnten es ruhig mehr sein, aber ein Anfang ist gemacht, in den Nachbarländern sind es weit weniger. Wahrscheinlich, weil ein Arbeitnehmer in den Niederlanden ein Recht auf Teilzeit hat, im Ausland hingegen oft gar nicht erst vor diese Wahl gestellt wird.

 Womit wir bei einem Thema wären, über das ich mich mit meinen niederländischen Freundinnen jedes Mal in die Haare kriege. Nämlich die Tatache, dass die Niederländerinnen Weltmeister im Teilzeitarbeiten sind, obwohl das bekanntlich eine Karrierebremse ist. Mit der Folge, dass sie ihrem Image als moderne, emanzipierte Frauen bei weitem nicht gerecht werden und – was Führungspositionen anbelangt – sich auf dem selben Niveau befinden wie die Frauen in Pakistan oder Botswana.

 Bloss: Sie finden das gar nicht weiter schlimm, selbst meine beste Freundin Ina nicht: „Wir können unseren Einfluss auch indirekt geltend machen, wir brauchen nicht direkt an den Knöpfen der Macht zu drehen“, pflegt sie zu. Sie droht mir bei solchen Gesprächen regelmässig die Freundschaft zu kündigen, weil ich gerne nachfrage, inwieweit das vielleicht etwas mit Bequemlichkeit oder mangelndem Ehrgeiz zu tun haben könnte.

 Denn Teilzeit ist ja schön und gut und die beste Erfindung auf der Welt, solange es darum geht, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen. Aber in den Niederlanden arbeiten auch Frauen, deren Kinder längst aus dem Haus sind oder die überhaupt keine Kinder haben, vorzugsweise Teilzeit. Finanzielle Abhängigkeit vom Ehemann – nur eine kleine Minderheit von Hollands Frauen ist wirtschaftlich  selbständig – scheinen sie freiwillig in Kauf zu nehmen. Weil das Leben viel angenehmer und stressfreier ist, wenn man zwei oder sogar Tage für seine Hobbies hat und für seine Freundinnen. „Viel leuker“, sagt Ina. Trotz abgeschlossenen Hochschulstudiums, aus dem man eigentlich viel mehr hätte machen können.

 Ist das schlimm? Und stimmt es, was meine holländischen Freundinnen behaupten:  dass auch deutsche Frauen ohne Kinder, die erzogen werden müssen, sofort auf ihre Karriere und Unabhängigkeit pfeifen und reihenweise Teilzeit arbeiten würden, wenn sie es denn nur könnten?? Würde mich echt interessieren….

 

 

 

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