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Warum die Römer ständig auf meine Urgroßeltern schimpfen

 

Ich habe meine Urgroßeltern nie kennengelernt, aber seitdem ich in Rom lebe, leidet unser Verhältnis sehr. Wie soll es auch anders sein, wo sie, also die seligen Karl-Theodor, Hugo, Franziska, Matilde und die anderen vier, ständig für meine Fehltritte verantwortlich gemacht werden? Ständig höre ich es, wenn ich auf dem Roller angehupt werde oder wenn ich selbst jemanden zur Rechenschaft hupe. „Mortacci tua!“ 

„Mortacci tua“, das heißt so etwas wie „Deine unwürdigen verstorbenen Verwandten!“ Es ist die fieseste Beleidigung in Rom und gleichzeitig die am meisten verbreitete; das will etwas heißen, denn die Römer fluchen und schimpfen die ganze Zeit. Wer also auf ein gutes Verhältnis zu den eigenen Ahnen wert legt, sollte sich in Rom unauffällig verhalten. Denn sind sie aufmüpfig – etwa indem sie an der roten Ampel halten – werden nicht nur Sie selbst, sondern ihre ganze Sippschaft der vergangenen Jahrhunderte verflucht. 

Erst gestern hörte ich wieder den auf ein prägnantes „’Cci tua!“ reduzierten Fluch, als ich zugegebenermaßen fälschlicherweise rechts blinkte und links abbog. Weil ich aber partout nicht den Zusammenhang zu meinem Urgroßvater Karl-Theodor erkennen wollte, schimpfte ich auf deutsch zurück, etwas in die Richtung: „Du mich auch!“. 

Aber „Cci tua!“ kann ich und noch viel mehr römisches, seitdem ich einmal die finstere Trattoria „La Parolaccia“ in Trastevere besuchte. Dass das Lokal „Schimpfwort“ heißt, sagt eigentlich schon alles: Die Kellner beschimpfen die Gäste und die zahlen dafür (und für überteuertes Essen). Die Kellner rufen „Hier, Deine Spaghetti, Du Idiot“, wenn sie das Essen bringen, oder „Kannst mich mal!“ wenn man sie um einen weiteren Krug Wein bittet. Besonders herzlich werden neue Gäste begrüßt, so auch ich, als ich zum ersten Mal das Lokal betrat. Ein Kellner griff zum Mikrofon und rief – hörbar für alle Gäste: „Schaut Leute, da kommen zwei Oberidioten, ihr seid die hässlichsten Typen, die ich je gesehen habe, es ist zum Kotzen, dass ihr hier seid.“ Schallendes Gelächter des ganzen Lokals. Und natürlich mischte der Kellner unter seine Flüche auch ein „Mortacci tua!“ und ließ selbst also selbst an diesem Abend meine Urgroßeltern, Karl-Theodor, Hugo, Franziska, Matilde und die anderen vier nicht in Frieden.  

Bevor ich ging, traute ich mich, einen Kellner anzusprechen. Erst fragte er, was ich denn wolle, ich hässlicher Idiot, dann aber erklärte er mir allen ernstes: Wer sich in Rom besonders gern mag, der beschimpft sich. Seither gehe ich recht unbeschwert mit Schimpfwörtern um und mit dem Kassierer in meiner Kaffeebar hat sich ein seltsames Morgenritual ergeben. Er fragt mich, „Was nimmst Du, pezzo di merda?“, worauf ich ganz entspannt sage: „Mortacci tua, einen Cappuccino, stronzo!“ 

Ich kann meine Urgroßeltern, Karl-Theodor, Hugo, Franziska, Matilde und die weiteren vier, also beruhigen: Ich verfluche mindestens so oft die Verwandten der andern, wie ihr verflucht werdet! 

 

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