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Was New Yorker Leergut und Hollywoods Oscar-Verleihung verbindet

Diesen verwunderten Blick der Kassiererin, ich werde ihn nie vergessen. Wir lebten gerade eine Woche in Brooklyn, und es hatte sich die Frage gestellt, wo wir unsere Pfandflaschen abgeben. Wie viele andere amerikanische Bundesstaaten, so erhebt auch New York ein „Deposit“ von fünf Cent auf Coladosen, Limonaden- und Bierflaschen. Einen Rückgabeautomat wie in Deutschland hatte ich in unserem Lebensmittelladen allerdings nie gesehen. Eine Verkäuferin hatte mich an die Kasse verwiesen. Dort stand ich nun, mit meinem prall gefüllten Flaschenbeutel. Und hatte das klare Gefühl, etwas falsch zu machen.

„Stimmt irgendwas nicht?“ fragte ich die Kassiererin. „Nein, nein, alles in Ordnung“, beeilte sie sich mit typisch amerikanischer Höflichkeit zu versichern. Und rief nach dem Manager. Der nahm meinen Beutel in Augenschein, addierte leise vor sich hinmurmelnd das Pfand und sagte dann der Kassiererin, was sie vom Bon abziehen sollte. Was für ein antiquiertes, zeitraubendes Verfahren, dachte ich. Es sollte sich im Laufe der nächsten Wochen wiederholen. Mehr und mehr wurde mir allerdings bewusst, dass ich aus der Reihe tanzte, denn niemals sah ich andere Kunden Pfandflaschen abgeben.

Und dann wusste ich warum. Denn dann sah ich ihn. Den Mann im Parka, der die Recyclingtonne durchforstete, in der wir Altglas und Plastikflaschen sammeln – die ohne Pfand, hatte ich bisher gedacht. Aber nun sah ich die riesigen Plastikbeutel, die der Mann hinter sich her zog, voll mit Pfandflaschen. Und in einer blitzartigen Erleuchtung wurde mir klar, dass das Leergut der gesamten Nachbarschaft – vermutlich der ganzen Stadt – auf diese Weise abtransportiert wird. Die Rückgabe erfolgt, wie ich heute weiß, an Sammelstellen in Industrievierteln oder an der Rückfront großer Supermärkte.

„Canner“ oder „Gleaner“ werden diese Sammler genannt, und wenn heute abend in Hollywood die Oscars verliehen werden, dann ist in der Kategorie Dokumentar-Kurzfilm eine Reportage über sie nominiert. „Redemption“ (Rückzahlung) heißt der Film von Jon Alpert und Matthew O’Neill, den sie über zweieinhalb Jahre hinweg in New York gedreht haben. Während es früher hauptsächlich Obdachlose waren, die mit Pfandflaschen ein minimales Einkommen verdienten, sind es heute auch Mütter mit Kindern, Großväter deren Rente nicht reicht und junge Leute die keinen Job finden. Sie transportieren ihre Beute in Kinderkarren, in Einkaufswagen, in Beuteln über der Schulter oder an Schulterstangen. „Wir werden immer mehr“, beklagt im Film ein muskulöser Typ mit grüner Baseballmütze. Ein anderer sagt lakonisch: „Man tut, was man kann, um zu überleben.“

Es ist ein bedrückendes und eindrucksvolles 35-Minuten-Porträt einer Szene, die in New York und anderen Großstädten ebenso alltäglich wie abgeschirmt ist – die meisten Passanten schauen weg, wenn ihnen ein „Canner“ begegnet. Ob der Film einen Oscar verdient hat? Hier finden Sie Ausschnitte und die Regisseure erzählen, wie sie von der Nominierung erfuhren:

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