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Vor meinem Nachbarhaus hat jemand heute Nacht drei Worte geschrieben, in goldener Schrift: „Mi manchi Niko“, steht dort, „Du fehlst mir, Niko“. Die Buchstaben sind jeweils eineinhalb Fußlängen groß, jemand muss sie heute Nacht in aller Eile aufgesprüht haben. Nun versuche ich herauszufinden, wer „Niko“ ist und wer ihn oder sie vermisst, und vor allem, warum.
Meine Straße in Rom ist ohnehin schon voller Liebesschwüre. Wenn ich mein Haus verlasse und den kleinen Fußgängerweg entlanglaufe, der die von der Straße abseits liegenden Häuser verbindet, dann liegt mir als erstes „TI AMO“ zu Füßen, „ICH LIEBE DICH“. Das steht dort ungefähr in der Größe eines Bettlakens, in einem Gelb, das Straßenbauarbeiter auf den Asphalt kleben, wenn sich kurzzeitig die Straßenführung ändert. Ein paar Häuser weiter hat ein Verliebter rechts an einem Haus „Ti amo principessa“ in schwarzer Schrift aufgesprüht, fährt man weiter, überrollt man ein „6 la mia vita“, wobei „6“ für „sei“ steht und das bedeutet „du bist“. „Du bist mein Leben“, also.
Dass ganz Rom voll ist von Liebesschwüren junger Römer liegt an Autor Federico Moccia. Der Römer und Bestseller-Autor beschreibt in seinen Büchern Romanzen zwischen Teenagern, die von der großen Liebe träumen und dafür alles tun: Sie sprühen Liebesschwüre an Hauswände und sie kaufen Vorhängeschlösser, schreiben mit Edding ihre Namen drauf und klicken sie an das Geländer der alten römischen Tiberbrücke „Ponte Milvio“. Nachdem das Buch „ Ho voglia di te“ erschienen war – auf deutsch heißt es „Ich steh auf dich“, kamen innerhalb von Wochen tausende Jugendliche an die Brücke und befestigten Vorhängeschlösser am Geländer und an den Laternen der Brücke. Doch weil einige der Laternen unter der Last wegknickten und der römische Stadtrat den Wert der Liebesschwüre gegen den Wert der Laternen aufrechnete, montierte die Stadt auf der Brücke eigens Metallstangen, an die man nun legal seine Vorhängeschlösser befestigen kann – den Schlüssel wirft man danach übrigens in den Tiber.
Ob „Niko“ auch ein Vorhängeschloss an die Ponte Milvio befestigte, als die Liebe noch groß war und es noch kein mahnendes „Mi manchi Niko“ brauchte? Ich weiß es noch nicht, doch ich werde mich auf die Lauer legen, um „Niko“ zu finden. Hat „Niko“ Hausarrest und kann nicht zu den Freuden? Oder hat „Niko“ Schluss gemacht und die goldene Schrift soll ihn zurückholen?
Eine ältere Dame, die heute morgen mit Blick auf „Mi manchi Niko“ ihre Wäsche aufhing, fragte ich, wie sie das denn fände, dass da jemand auf die Straße sprühe – ich rechnete mit „diese jugendlichen Schmierer“ und mit „man sollte die Polizei holen.“ Doch die Frau sagte zu meiner Überraschung: „Ich finde es wunderschön.“ Und es sei doch wunderbar, dass so eine Schrift einen wieder daran erinnere, wie großartig „l´amore“, „die Liebe“ sei. Fragt sich nur, ob die goldene Schrift „Nikos“ Herz erweichen wird. Ich werde weiter ermitteln.