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Wehe dem, der Taiwans Essen kritisiert

Presse- und Meinungsfreiheit sind in Taiwan ja eigentlich garantiert, ganz anders als in China. Aufpassen muss man als Reporter trotzdem – und zwar, wenn es ums Essen geht. Da versteht Taiwans Regierung nämlich offenbar wenig Spaß.

Als Asiens Paradies der Völlerei bezeichnete der CNN-Ableger CNNGo.com die Hauptstadt Taipeh kürzlich in einem Online-Artikel. Fazit: “Es war nie so leicht, sich vollzufressen, wie hier.”

Das hätten sie nicht tun sollen. Essen ist für viele Taiwaner der eigentliche Lebensinhalt, man ist stolz auf die einmalige Mischung aus sämtlichen chinesischen Regionalküchen, japanischem Erbe und südostasiatischen Einflüssen. Kein Abend, an dem nicht auf mehreren TV-Kanälen gleichzeitig Restaurants vorgestellt werden, kaum eine Straße, in der man nicht gut und günstig speisen könnte, kein Taiwaner, der nicht aus dem Stehgreif minutenlang über neun verschiedene Dumpling-Varianten referieren könnte. “Hauptsache satt” ist hier völlig unbekannt. Kein Restaurant würde sich halten, in dem die Qualität nicht stimmt. Und dann das!

Im Netz und auf Taiwans permanent hyperventilierenden Nachrichtensendern schlug der Bericht schnell Wellen, empörte Taiwaner hinterließen mehr als 500 Kommentare zur kulinarischen Ehrenrettung ihrer Nation. Auch die Politik wurde aufmerksam. Abgeordnete der Regierungspartei grillten den neuen Regierungssprecher bei seinem ersten Auftritt vor dem Kulturausschuss: Was würde er tun, um Taiwans Ruf in der Welt wieder zu richten?

Prompt setzte das Informationsamt der Regierung alle Hebel in Bewegung. Die Beamten luden den zuständigen CNN-Redakteur in Hongkong zum Tee ein – eine traditionelle Methode, subtilen Druck auszuüben.

Nun gibt es im Chinesischen kein positiv besetztes Wort für “Ironie”. Denn eigentlich war alles gar nicht böse gemeint. “Völlerei” ist nun mal eine der sieben biblischen Todsünden, die der Artikel auf “Asiens sündigste Städte” herunterbrach. Es trifft auch steht Seoul als Stadt der Trägheit, Manila für Hochmut, Shenzen für Gier, Tokio für Wolllust, Neu Delhi für Neid und Pjöngjang für Zorn. Genau der wurde aus keinem anderen der betroffenen Länder vermeldet. Macht man aber Taiwanern ihren Stinketofu madig, mutiert so mancher Netizen zur beleidigten Leberwurst.

Am Ende glättete CNNGo.com die Wogen auf diplomatische Weise. Eine offizielle Entschuldigung gab es zwar nicht, aber einen wohlmeinenden Artikel über Taiwans Lieblingsgetränk Bubble Tea (das neuerdings auch in Europa Freunde findet). Und das Versprechen an den Regierungsprecher, künftig noch mehr Journalisten auf Taiwans Nachtmärkte zu schicken.

Ob das US-Außenministerium als Vermittler eingegriffen hat, ist nicht bekannt.

Über Taiwan schreibt auch unter intaiwan.de, facebook.com/taiwanreporter und twitter.com/taiwanreporter.

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