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Wurde der Kapitalismus in Davos neu erfunden? Eine Presseschau

Das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos war mit mehr als 2.600 Teilnehmern ein WEF der Superlative. Angesichts der Krise kündigte WEF-Gründer Klaus Schwab sogar an, den Kapitalismus neu zu erfinden. Hat das geklappt? Die Schweizer Presse ist am Tag danach skeptisch.

Immerhin wohlwollend der Tagesanzeiger. “Ein Geheimclub öffnet sich”, heißt es hier – früher habe beim WEF die globale Elite hinter verschlossenen Türen in einem Exklusivclub der Mächtigen diskutiert – das sei heute anders und auch gut so. “Fast schon symbolisch haben sich die Proteste der Occupy WEF Bewegung eingefügt”, so der Tagi. Die Teilnehmer seien jünger und weiblicher geworden, lobt der Bund. Aber: nach wie vor sei das WEF im Kern eine PR-Veranstaltung der Großkonzerne, bei der viel geredet und kaum etwas beschlossen werde.

Die NZZ will in Davos neue Hoffnung für die Doha-Runde der WTO ausgemacht haben – eine Politik der kleinen Schritte habe WTO-Chef Lamy auf dem WEF angekündigt. Das dürfte zu einem Großteil Wunschdenken sein: denn erst beim letzten WTO-Gipfel vor einem Monat hat sich gezeigt, dass derzeit niemand das von Lamy geplante Freihandelsregime will. Die letzten starken Volkswirtschaften schließen lieber bilaterale Verträge zu ihrem eigenen Vorteil. Die konservative Basler Zeitung will auf dem WEF konkrete Erfolge im Kampf gegen den Hunger ausgemacht haben: UNO und Weltkonzerne arbeiteten jetzt zusammen. Besonders gelobt wird da das Welternährungsprogramm, dessen konzernfreundliche Vorsitzende Josette Sheeran derzeit als Nachfolgerin von WEF-Gründer Klaus Schwab gehandelt wird.

Kritische Stimmen es aber auch, und nicht wenige. Die UNO verkaufe ihre Seele, wettert etwa die Tribune de Genève: ihre Repräsentanten präsentierten sich da mit genau den Konzernführern, die den Multilateralismus à la UN am liebsten abschaffen würden. Von einem “Treffen der Satten” spricht das Boulevardblatt Blick: Mitreißende Botschaften oder Visionen seien ausgeblieben, und am schlimmsten sei die mangelnde Verve. Der Blick zitiert den US-Ökonomen Joseph Stiglitz, es sei überraschend, dass die Top-Manager nicht bereit seien, über die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft und die Arbeitslosigkeit zu diskutieren. Die Handelszeitung hatte schon zum WEF-Auftakt vor einem ‘Gipfel der Eitelkeiten’ gewarnt. “Wenn Du den Sumpf trockenlegen willst, frag nicht die Frösche”, heißt es da. Die meisten WEF-Teilnehmer seien diese sprichwörtlichen Frösche, also: genau die Vertreter des Kapitalismus, der laut Klaus Schwab untergeht. Lösungen hätten diese natürlich nicht parat.

Eine Verliererin haben alle Kommentatoren beim WEF ausgemacht: Angela Merkel. Die Basler Tageswoche spricht von einem WEF im Zeichen allgemeiner Ratlosigkeit. Da hätten sich Politik und Wirtschaft gemeinsam auf Berlin und Merkel eingeschossen. Selbst Frankreich sei auf dem WEF von Merkel abgerückt und habe sich für mehr Geld für den Euro-Rettungsschirm ausgesprochen. Immerhin: als ‘destruktiv’ verurteilt der Blick den britischen Premier Cameron, der Merkels Vorstoß für mehr Bankenkontrolle beim WEF als ‘Wahnsinn’ bezeichnet hatte. In der Schweiz ist man inzwischen bankenkritischer: gerade erst ist die älteste Privatbank Wegelin unter Druck der US-Bankenaufsicht verkauft worden – den einst festen Glauben an ihre Banken haben die Schweizer verloren.

Apropos kritisch: eine kritische Stimme hat beim WEF gefehlt. Die links-alternative Wochenzeitung, praktisch das Pendant zur deutschen taz, bekam keinen Zutritt zum WEF. Angeblich, weil es nicht genug Zutrittsausweise gab – das hat dem WEF nun wirklich niemand geglaubt.

Die wenigen konkreten Ergebnisse, die es gibt, sorgen in der Schweiz für Angst. Allem voran: die Forderung von IWF-Chefin Christine Lagarde, auch die Schweiz müsse sich an der Rettung des Euro beteiligen. Damit macht die Berner Zeitung heute auf. Bald könnte die Schweiz nicht-rückzahlbare Milliarden-Kredite gewähren, warnt sie. Damit drohe der Schweiz, in den Dauerstreit über die Euro-Rettung hinein gezogen zu werden. Bundespräsidentin Widmer-Schlumpf hat auf dem WEF Verständnis für Lagardes Anfrage signalisiert – auch die Schweiz wolle Stabilität im Euroraum – das Thema bleibt der Schweiz also sicher noch lange erhalten.

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