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Die untergehende Stadt

 

Es ist wieder Februar – Hauptsaison für Hochwasser und Dengue-Fieber in Jakarta. Während Gouverneur Anies Baswedan abgedankt hat, um als Präsidentschaftskandidat für den Wahlkampf durchs Land zu tingeln, versinken ganze Viertel der indonesischen Hauptstadt unter braunen Wassermassen. In den küsten­nahen Gebieten im Norden der Zehn-Millionen-Einwohner-Metropole ist das allerdings schon lange kein Aufreger mehr: Dort gehören Überschwemmungen zum Alltag.

Schon vor 25 Jahren, als ich zum ersten Mal nach Jakarta kam, musste ich schnell lernen, dass man in der Regenzeit stundenlang im Taxi oder bei einem längst beendeten Termin festsitzt, wenn man nicht rechtzeitig vor einem gewaltigen Sturzregen nach Hause kommt. In kürzester Zeit verwandeln sich Straßen in reißende Ströme – die zubetonierte Innenstadt bietet schlicht keine Abflussmöglichkeiten.

Einst von den niederländischen Kolonialherren auf entwässertem Sumpfland gebaut, ist Jakarta heute die am schnellsten sinkende Metropole der Welt. Rund 25 Zentimeter sackt die Megacity jedes Jahr ab, etwa 40 Prozent des Stadtgebiets liegen bereits unterhalb des Meeresspiegels. Und das nicht nur aufgrund des Klimawandels: Weil ein Großteil der Bevölkerung nicht an die staatliche Wasserversorgung angeschlossen ist, pumpt sie sich mit selbstgebauten Grundwasserbrunnen den Untergrund immer weiter ab. Seit zehn Jahren wird an einer riesigen Betonmauer und künstlich aufgeschütteten Inseln entlang der Küste gebaut.

„Das ist utopisch: Während die Mauer noch lange nicht fertig ist, geht sie an anderen Stellen schon wieder kaputt“, sagt der Künstler Irwan Ahmett, der seit Jahren den langsamen Untergang seiner Heimatstadt dokumentiert. „Wenn das Wasser wieder kommt, räumen die Leute einfach alles etwas höher und die Kinder planschen darin herum. Überschwemmungen gehören zu ihrem Alltag.“ Bis 2030 könnten ganze Teile der Metropole dauerhaft unter Wasser stehen.

Als Indonesiens scheidender Präsident Joko Widodo noch Gouverneur von Jakarta war, verantwortete er einige Infrastrukturprojekte, die kurzfristige Erfolge brachten, darunter den überfälligen Bau einer Monorail-Bahn und die Bereinigung von Flüssen und deren Ufern. Doch er verließ den Posten noch während seiner ersten Amtszeit, um Staatsoberhaupt zu werden. Langfristig haben sich die Probleme Jakartas eher noch verschärft – auch, weil immer mehr Menschen in die Hauptstadt ziehen.

Kurz nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten 2019 verkündete Widodo seinen Plan, eine neue Hauptstadt auf der Urwald­insel Borneo zu bauen. Die Idee war nicht neu: Schon der Republikgründer und erste Präsident Sukarno träumte davon. In der geografischen Mitte des weltgrößten Archipels gibt es weder aktive Vulkane noch Erdbebengefahr wie rund um Jakarta. Dafür viele Wälder, Plantagen und Rohstoffe – und viel Platz für neue Infrastruktur.

Nun entsteht in der dünn besiedelten Provinz Ostkalimantan die „Smart City“ Nusantara („Archipel“). Auf einer Fläche von 256 000 Hektar soll eine hochmoderne, energiesparende und umweltfreundliche Stadt gebaut werden, mit einer Einwohnerzahl von 1,9 Millionen im Jahr 2045. Allerdings fehlen bis jetzt ausreichend Investoren, um die Kosten des Megaprojekts von mindestens 35 Milliarden Dollar zu stemmen. Dennoch sollen die ersten Regierungsgebäude im August dieses Jahres eingeweiht werden – noch schnell vor der Amtsübergabe an den Nachfolger Widodos, der laut Verfassung kein drittes Mal kandidieren durfte.

Um sein künftiges Vermächtnis zu sichern, unterstützt Joko Widodo sogar die Präsidentschaftskandidatur seines früheren Erzfeinds Prabowo Subianto, denn dieser verspricht, den Bau der neuen Hauptstadt in jedem Fall fortzuführen – mit Widodos Sohn als Vize an seiner Seite. Damit stellt sich Widodo gegen den Kandidaten seiner eigenen Partei, Ganjar Pranowo, obwohl sich dieser ebenfalls zu den Nusantara-Plänen bekennt.

Der eigentliche Gegner des Hauptstadtumzugs ist Anies Baswedan, der Jakarta bis 2022 regierte: Sollte er die Präsidentschaftswahl gewinnen, würde er den Bau von Nusantara stoppen, kündigte der promovierte Politikwissenschaftler an. Die Entscheidung sei ohne Dialog mit der Bevölkerung gefallen und würde für ein neues Ungleichgewicht sorgen. Bereits vorhandene Gelder könne man besser nutzen, etwa zur Reparatur maroder Straßen und den Bau neuer Schulen.

Auch Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen schlagen Alarm. Durch neue Geschäftsinteressen und eine wahrscheinliche Ausdehnung der Siedlungsflächen sind nicht nur die angrenzenden Regenwälder gefährdet, sondern auch die traditionelle Lebensweise der Ureinwohner Ostkalimantans. Zudem fürchten Kritiker, dass der Strombedarf der „grünen Stadt“ vor allem durch Kohlekraftwerke gedeckt werden muss, bis in unbestimmter Zeit genügend erneuerbare Energiequellen zur Verfügung stehen.

Und was wird aus Jakarta? Die sinkende Megacity soll Finanz- und Wirtschaftszentrum Indonesiens bleiben. Wenn man die Bewohner fragt, will eigentlich niemand umziehen. Selbst Regierungsbeamte sagen, dass sie ihre Familien nicht mitnehmen wollten, sondern planten, zu pendeln. „Es ist deprimierend – Jakarta fühlt sich an wie ein Kind, das allein seinem Schicksal überlassen werden soll“, sagt Irwan Ahmett. „Ich hoffe auf einen neuen Gouverneur mit gutem Willen, der sich wirklich für das Wohl der Bevölkerung und ihre Umwelt einsetzt.“

 

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Global Climate Action: Statement von Novia Adventy Juran, 23, Umweltaktivistin aus Borneo

 

In der Vergangenheit hat die Welt meine Heimat Borneo in seiner Exotik gesehen und nannte sie die „Lunge der Erde“ – darin klingen all die Hoffnungen auf die Schönheit und Gnade Gottes mit. Doch dieses Borneo ist nicht mehr da, verändert, jetzt sprechen alle nun noch über das unglückliche Schicksal der Insel, die zerstört und ausgeplündert wird. Ich bin hier geboren und fühle mich verpflichtet, die Umwelt meiner Heimat zu erhalten und zu schützen. Daher engagiere ich mich beim Borneo Institut in der indonesischen Stadt Palangkaraya. Hier haben wir ein Forum eingerichtet, wo alle Ebenen der Gesellschaft in einen Dialog miteinander treten können. Wir versuchen, die Sensibilität der Menschen zu schärfen für (wirtschaftliche) Richtlinien, die Umweltschäden mitverursachen.

Die Hauptursache für die Umweltzerstörung auf Borneo sind der Ausbau von Ölpalmenplantagen und der Bergbau, die sich auch auf den Klimawandel auswirken. Wälder, in denen Flora und Fauna beheimatet sind, werden gerodet und durch Plantagen oder Minen ersetzt. Diese Situation ist kritisch und besorgniserregend. Fast alle Gebiete in Zentral-Borneo sind mittlerweile von Überschwemmungen, Erdrutschen und Flächenbränden bedroht. Diese gefährlichen Folgen der Umweltzerstörung sind weder ein Fluch Gottes noch eine Glaubensprüfung. Sie sind die Schuld von Menschen, die sich nicht um die Natur scheren. Dies ist eine logische Folge der Gier einer Handvoll Menschen, die Macht über andere Menschen ausüben und ihre eigenen Interessen über die der Gemeinschaft stellen.

Diese Situation verschärft sich, wenn der Staat sich nicht auf die Seite des Volkes. Statt ökologische Nachhaltigkeit zu verteidigen, schlagen und verfolgen Militär und Polizei Menschen, die sich für die Umwelt einsetzen. Selbst gewöhnliche Umweltaktivisten werden kriminalisiert und beschuldigt, Fortschritt und Entwicklung zu behindern. 2018 war ich selbst mit Provokationen von staatlichen Institutionen konfrontiert, die Gewohnheitsrechte der Einwohner kriminalisieren wollten. Solche Erfahrungen verleiten manchmal, gleichgültig zu werden. Doch meine Liebe und mein Respekt für dieses Land haben mich für einen harten Kampf geschmiedet.

Wir hoffen, dass Länder in Europa und insbesondere Deutschland – als Land, das sich um ökologische Nachhaltigkeit und Menschenrechte bemüht – weiterhin ein Klima der Demokratie schaffen. Ein Klima, das eine ökologische Perspektive vermittelt und die Umwelt und die gesamte Schöpfung schützt. Darüberhinaus hoffen wir auch auf eine Anerkennung und Unterstützung für die indigenen Völker, weil diese ausgezeichnete Umweltschützer sind: Sie sehen die Wälder als ihre „Mütter“ und den Schutz der Natur setzen sie gleich mit dem Schutz der Gebärmutter der Menschheit. Wir müssen von unseren Vorfahren lernen, wie wichtig der Schutz der Umwelt für die Erde ist, auf der wir leben. Ich hoffe, dass sie zum Vorbild für die jüngere Generation werden können, um die Umwelt weiter zu bewahren und ökologische Gerechtigkeit zu vermitteln.

 

 

 

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Im Rollstuhl zu den Orang-Utans

 

Vor zwei Jahren bekam ich die erste Mail von Benni Over. Der 27-jährige Pfälzer fragte, ob ich seine Reise zu den Orang-Utans in den Regenwald von Borneo begleiten wolle – im Rollstuhl: Benni leidet an schleichendem Muskelschwund und ist völlig gelähmt. Verrückt, dachte ich zuerst. Ein Dutzend Mails später wusste ich, dass er es ernst meint. Mit Willensstärke und Lebensmut hat Benni zusammen mit seiner Familie seinen Traum realisiert. Im Buch „Im Rollstuhl zu den Orang-Utans“, das zum Welt-Orang-Utan-Tag am 19. August 2018 erscheinen wird, beschreibe ich die abenteuerliche Reise der Overs zu den bedrohten Menschenaffen: zu Tierrettungscamps, Dayak-Dörfern und durch endlose Palmölplantagen, die ein Hauptgrund für die Zerstörung des Regenwalds und den weltweiten Klimawandel sind.

 

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Regenwald-Gipfel ohne Bäume

 

Minister aus Indonesien, Singapur und Australien, Regierungsvertreter aus Dänemark und Norwegen, von den Philippinen und den Fiji-Inseln, insgesamt 1200 Gäste aus rund 40 Ländern, dazu riesige Mengen an Catering in Fünf-Sterne-Sälen, die so eisgekühlt sind, dass man einem Schal braucht.

Selbstverständlich erhalten sämtliche Gäste alle möglichen nötigen und unnötigen Information auf Papier ausgedruckt, anstatt sie auf den USB-Stick zu kopieren, der sowieso Teil der Geschenktasche aus Kunststoff ist, die jeder Gast erhält. So beginnt der dritte Asia Pacific Rainforest Summit in Yogyakarta. Master of Ceremony Anthony Benny vom australischen Umweltministerium lädt die Gäste gleich zu Anfang ein, sich nach dem Gipfel die „tropischen Regenwälder in der Region anzusehen“ – was zumindest bei einigen einheimischen Teilnehmern die Mundwinkel zucken lässt, gibt es doch in Zentraljava schon seit Jahrhunderten keine nennenswerte Regenwälder mehr.

Die indonesische Umweltministerin Siti Nurbaya Bakar klärt das Missverständnis in ihrer Rede dann zumindest indirekt auf: Es werden Touren zu Wiederaufforstungsprojekten angeboten. Diese Baumplantagen sorgten unter anderem dafür, dass Java mittlerweile nicht mehr Holz aus Kalimantan, dem indonesischen Teil von Borneo, einführen muss, sondern im Gegensatz dazu die eigene Produktion nach Kalimantan verschifft. Was sie nicht sagt: dass in Kalimantan nicht mehr viele Bäume übrig sind, die man irgendwohin verschiffen könnte. Dort sind neben den sich krebsartig ausbreitenden Palmölplantagen fast nur noch geschützte oder schwer zugängliche Gebiete bewaldet, also in Nationalparks und im Gebirge: Spätestens seit 2014 gilt Indonesien als der unbestrittene Weltmeister im Abholzen von Regenwäldern.