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Tag der Pressefreiheit – nicht überall

Der 3. Mai ist der Internationale Tag der Pressefreiheit. Um die allerdings ist es nicht sonderlich gut bestellt. Der Verband Reporter ohne Grenzen (ROG) hat zu diesem Termin eine überraschende und teils erschreckende Rangliste mit vielen Hintergründen zur Pressefreiheit in der Welt zusammengestellt.

Es ist ein hochspannendes und informatives Dokument, viel mehr als eine Liste.
Ein Blick auf die interaktive Weltkarte der ROG-Kollegen ist extrem aufschlussreich. Denn in der Übersicht geht es nicht nur darum, wo Journalisten, die ihre Arbeit erledigen wollen, dabei behindert oder sogar festgenommen werden.
Es werden auch Manipulationen und Monopole angesprochen – und keineswegs nur Einschränkungen in Diktaturen.

„Besonders erschreckend ist, dass auch Demokratien immer stärker unabhängige Medien und Journalisten einschränken, anstatt die Pressefreiheit als Grundwert hochzuhalten“, sagt ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske zu dem Ranking, für das vor allem Ereignisse und Daten aus 2016 zusammengetragen wurden.

Zur Verschlechterung der Lage für Journalisten tragen weltweit auch medienfeindliche Rhetorik, beschränkende Gesetze und politische Einflussnahme bei. Deutschland hält sich auf der Liste unverändert auf Platz 16. Australien steckt zwischen Surinam und Portugal auf Platz 19. Nicht zuletzt weil in meinem Berichtsgebiet Journalisten beispielsweise nicht unbehindert über die Flüchtlingspolitik berichten dürfen.

 

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Standortvorteil “Verbuschung”

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle schon längst über die zum Quasi-Referendum erklärten, katalanischen Wahlen geschrieben haben, aber ich kam bisher nicht dazu, weil ich mit den Nachwehen eines zum Politikum gewordenen Interviews beschäftigt war. Ein ARD-Kollege und ich haben uns am Freitag vor der Wahl mit Oriol Amat, Wirtschaftsprofessor und Nummer 7 der separatistischen Junts pel Si-Liste getroffen. Ursprünglich sollte es um mögliche wirtschaftliche Konsequenzen einer Sezession gehen, das Interview mit dem Experten der Gegenseite war bereits geführt. Aber schon bald sprachen wir von möglichen Szenarien nach einem Regierungswechsel in Spanien. Als ein sehr wahrscheinliches Szenario schien Amat ein Madrider Angebot zu Verhandlungen um ein neues Autonomiestatut. Dass eine solche Offerte von den Katalanen angenommen würde, schien ihm nicht ausgeschlossen. Ich war überrascht: Seit Jahren demonstrieren regelmäßig Hunderttausende für einen „eigenen Staat“, die „In-, Inde-, Independencia“-Rufe sind fester Bestandteil der politischen Folklore und in jedem zweiten Interview beschwören Politiker, „es gebe keinen Weg zurück“. Zwei Tage vor der „plebiszitären“ Wahl ein Autonomiestatut als mögliche Lösung zu präsentieren, ist etwa so, als lasse man Sprinter monatelang im Hochland für Olympia trainieren, nur um sie dann zur Bushaltestelle joggen zu lassen. Ich fragte nach. Amat blieb dabei.

Was der Wirtschaftsprofessor da sagte, bestätigte, was viele langjährige Korrespondenten vermuten: dass es innerhalb der heterogenen Junts pel Si-Liste Differenzen über Weg und Ziel gibt, dass der Minimalkonsens nicht Unabhängigkeit um jeden Preis, sondern Verhandlungen mit Madrid und Brüssel sind. Vom Gezerre um Freigabe des Gesamtinterviews (einen Tweet hatte ich unmittelbar nach Interview abgesetzt), vom Druck und den widersprüchlichen Gedanken, die mir dabei durch den Kopf gingen, von der Unterstützung durch die Kollegen vor Ort und vom Círculo de Corresponsales, erzähle ich gern mal an anderer Stelle. Samstag Nachmittag packte ich jedenfalls einen Ausschnitt aus dem Interview auf Soundcloud, die Online-Zeitung Eldiario.es brachte die Geschichte, El País, La Vanguardia, Antena 3 und ein halbes Dutzend anderer Medien nahmen das Thema auf, die beiden Unabhängigkeitslisten veröffentlichten Kommuniqués. Natürlich schmeicheln solche 15 Minuten Ruhm dem journalistischen Ego, wesentlicher ist für mich eine andere Erkenntnis: Freie Korrespondenten haben einen Standortvorteil. Wir sind meist lange genug in einem Land, um auch die Zwischentöne einer Debatte zu verstehen.  Botschaften und Sender wechseln ihre Mitarbeiter gerne aus, um einen “frischen Blick von außen” zu garantieren oder – weniger nett gesagt – “Verbuschung” zu vermeiden. Aber genau diese Expertise ist unser großes Kapital. Und unverzichtbar, wenn es um Analyse, Interpretation, um Hintergrund geht. Das hoffe ich zumindest.

 

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Zehn Jahre nach dem Tsunami: Traumabewältigung in Aceh

Am 26. Dezember 2004 war ich über Weihnachten in Berlin und hörte morgens im Radio die Nachricht, dass es vor Nordsumatra ein Seebeben gegeben hatte. Ich machte mir erst einmal nicht allzu viele Gedanken. Solche Nachrichten gibt es in Indonesien regelmäßig. Neun Tote im Osten der Insel wurden gemeldet, einige Brücken seien zerstört. Aus deutscher – und anfangs selbst aus indonesischer – Mediensicht also kein großes Ereignis, noch dazu am zweiten Weihnachtsfeiertag. Ich trank in Ruhe Kaffee.

Generatorschiff PTLP Apung 1, Banda Aceh

Tsunami-Gedenkstätte in Banda Aceh, Indonesien: ein 2.600 Tonnen schweres Generatorschiff, das vier Kilometer weit ins Landesinnere gespült wurde, Foto: Florian Kopp/Misereor

Doch die Nachrichten über das Seebeben verschlimmerten sich laufend: Erst kamen Berichte von tausenden Toten, die bei einem Tsunami im Süden Thailands gestorben waren, wenig später folgten ähnliche Meldungen aus Sri Lanka, Indien und von den Malediven. Der gesamte Indische Ozean schien rundherum über seinen Rand geschwappt zu sein, die Todeszahlen stiegen stündlich. Nur aus Aceh, der nördlichsten Provinz Sumatras hörte man gar nichts. Und das obwohl das Epizentrum des drittgrößten Bebens, das je gemessen wurde, nur 85 Kilometer vor der acehnesischen Küste lag. Mich beschlich ein dumpfes Gefühl. Ein Anruf bei Kollegen in Jakarta bestätigte die Vorahnung, dass die schlimmsten Nachrichten noch ausstanden. Gegen Abend fragte ein großes Nachrichtenmagazin an, ob ich für die Tsunami-Berichterstattung auf die Malediven fliegen wolle. Ich lehnte ab und schlug vor, stattdessen früher nach Indonesien zurückzufliegen. Die Redaktion hielt das nicht für nötig – dort sei ja nicht so viel passiert. Laut Nachrichten.

Es dauerte tatsächlich mehrere Tage, bis die Welt anfing zu verstehen, warum es kaum Nachrichten aus Aceh gab. Aufgrund eines fast dreißigjährigen Unabhängigkeitskriegs stand die indonesische Provinz zu jenem Zeitpunkt unter Kriegsrecht und war von der Außenwelt weitestgehend isoliert. Nichtregierungsorganisationen und Ausländer durften nur mit Sondergenehmigung einreisen. Knapp zwei Tage dauerte es, bis die ersten indonesischen Hilfs- und Reporterteams sich über die vom Erdbeben zerstörten Straßen und Militärblockaden bis zur Westküste der Provinz durchgekämpft hatten und berichten konnten. Das Schreckensszenario dort überstieg jede Vorstellung: Über Hunderte von Kilometern waren ganze Küstenstreifen einfach ausradiert. Häuser, Bäume, Straßen – alles weg. Nur die platten Fundamente erinnerten noch daran, dass hier einmal Menschen gelebt hatten. In manchen Orten hatten gerade einmal zehn Prozent der Bevölkerung überlebt, mit wenigen Ausnahmen diejenigen, die zum Zeitpunkt der Katastrophe nicht zu Hause waren. Die Überlebenden zogen sich unter Schock und zum Teil schwer verletzt in die Berge zurück. Strom- und Telefonnetz waren komplett zusammen gebrochen, es war unmöglich, Hilfe herbeizurufen. Viele mussten tagelange Fußmärsche auf sich nehmen, um Lebensmittel oder ärztliche Versorgung für zurückgebliebene Angehörige zu besorgen.

Heute wissen wir, dass der Tsunami allein in Aceh 170.000 Menschen in den Tod riss. Als ich genau eine Woche nach der Katastrophe am Flughafen von Jakarta landete, hatte ich ein Dutzend SMS auf dem Handy: alle von Redaktionen, die mich plötzlich schnellstmöglich auf dem Weg nach Aceh sehen wollten. Es war abzusehen, dass der größte Tsunami unserer Geschichte noch Wochen und Monate die globalen Nachrichten beherrschen würde. Denn was jetzt folgte, war die größte Spendenaktion aller Zeiten.

Seit meiner Ankunft in Banda Aceh weiß ich, wie Leichen riechen. Zehn Tage nach der Katastrophe lag über der ganzen Stadt der süßliche Gestank der Verwesung. Rund 2000 aufgedunsene Körper zogen die Bergungstrupps jeden Tag aus Flussmündungen, unter Trümmern und Schutt hervor und fuhren sie auf großen Lastwagen in Massengräber. Jeder Gesprächspartner hatte Verwandte und Freunde verloren. In den am schlimmsten betroffenen Orten waren manche Familien komplett ausgelöscht worden. Die Überlebenden quetschten sich in Schulen oder Zeltlager. Die meisten hatten noch gar nicht realisiert, was eigentlich passiert war. Wo sich die 12 bis 30 Meter hohen Wellen mit voller Wucht hinübergewalzt hatten, war nicht mehr viel zu sehen außer ein paar Kokospalmen und vereinzelten Hausskeletten. Der Grenzstreifen der Todeszone lag etwa fünf Kilometer stadteinwärts: Hier stapelten sich Hausrat, zerquetschte Autos und die Überreste derer, die sich nirgends mehr hatten festhalten können. Mittendrin, fast unversehrt, lagen riesige Schiffe, als hätte sie ein Riese beim Spielen aus Versehen dort fallen lassen.

„Ist das Deine erste Katastrophe?“ fragte mich ein krisenerfahrener Kollege, mit dem ich zusammenarbeitete, und fügte – nicht sehr aufmunternd – hinzu: „Na, dann hast Du es ja gleich richtig erwischt.“ Dank seiner Unterstützung habe ich meine Arbeit trotzdem irgendwie geschafft. Nach einer Woche konnte ich wieder nach Hause fliegen. Es fühlte sich an wie der erste tiefe Atemzug an der frischen Luft nach einem längeren Tauchgang. Zwar spukten manche Bilder und Gespräche noch eine Weile im Kopf herum, doch die Katastrophe rückte wieder weit genug weg, um ein Nachrichtenbild im Fernseher zu werden. In den kommenden anderthalb Jahren flog ich noch mehrmals nach Aceh. Die Bedingungen wurden besser und ich härtete ab. Ich absolvierte das ABC der Katastrophenberichterstattung und zugleich noch einen Schnellkurs in internationaler Nothilfe und Entwicklungsarbeit. Doch die Betroffenen selbst konnten nicht einfach wegfliegen und die Tür hinter sich zu machen. Wie haben sie ihre schrecklichen Erinnerungen verarbeitet?

Namen von Opfern des Tsunami 2004 im Museum Tsunami Aceh, Indonesien; Foto: Florian Kopp/Misereor

Namen von Opfern des Tsunami 2004 im Museum Tsunami Aceh, Indonesien; Foto: Florian Kopp/Misereor

Zehn Jahre nach dem großen Tsunami von 2004 fuhr ich noch einmal nach Aceh. Diesmal um über das heutige Leben dort zu berichten, über den längst abgeschlossenen Wiederaufbau und den Frieden, den die Katastrophe der umkämpften Provinz brachte. Aber auch über die Scharia, die in der autonomen Provinz immer schärfer eingeführt wurde. Natürlich kamen Erinnerungen hoch. Ein Dokumentarfilm im Tsunami-Museum von Banda Aceh versetzte eine ganze Besuchergruppe in hemmungsloses Schluchzen und eine Mutter erzählte mir mit Tränen in den Augen, dass sie bis heute das Gefühl hat, einer ihrer beim Tsunami verschwundenen Söhne würde noch irgendwo leben.

Ich fühlte mich nicht wohl, die Frau durch meine Fragen nach den schrecklichen Erinnerungen so aufzuwühlen. Der Helfer jedoch, der mir den Kontakt vermittelt hatte, sagte: „Mach Dir keine Sorgen, das macht sie oft – und danach geht’s ihr wieder besser. Dieses Mitteilen ist ihre Form von Selbsttherapie.“ Schon zehn Jahre zuvor war ich tief beeindruckt, wie offen und freundlich die Opfer auf die Fragen fremder Besucher antworteten. Selbst im Zeltlager bekam ich manchmal noch etwas zu Trinken angeboten.

Internationale Hilfsorganisationen gehen automatisch davon aus, dass Opfer einer großen Naturkatastrophe posttraumatische Stresssymptome zeigen müssen, und richten ihre Einsätze demzufolge aus. Bei der psychologischen Betreuung in Aceh sind sie mit diesem Denkansatz kläglich gescheitert. Der Umgang mit den traumatischen Erfahrungen in Indonesien ist anders als bei uns. Alles mit der Gemeinschaft teilen ist dabei ein wichtiger Punkt, Religion ein andere. Die meisten Acehnesen glauben, dass der Tsunami eine Strafe Gottes für das Blutvergießen im Bürgerkrieg war. Durch diesen Glauben an eine göttliche Vorbestimmung und durch ihren kollektiven Lebensstil haben sich viele auf ihre eigene Art von den traumatischen Erinnerungen befreit. Fast alle Interviewpartner sagten, dass die psychischen Nachwirkungen des Bürgerkriegs bis heute viel schlimmer seien als die des Tsunamis: Gegen die Naturkatastrophe seien sie völlig machtlos und alle gleichermaßen betroffen gewesen. Während des Konflikts jedoch haben sich Menschen gegenseitig gequält und umgebracht, ohne dass irgendein höherer Sinn dahinter erkenntlich gewesen sei. Der Friede sei somit auch ein Geschenk Gottes.

 

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Psssssst! Der König ist…

Spaniens König dankt ab – und kurz darauf kündigen acht spanische Karrikaturisten ihren Job. Nicht, weil ihnen ihr Lieblingssujet und somit die Inspiration abhanden gekommen ist, sondern aus Protest: Ihr Arbeitgeber, der Verlag RBA, hatte 60.000 frisch gedruckte Exemplare der Satire-Zeitschrift El Jueves einstampfen lassen, weil auf dem Cover der royale Rentner zu sehen war, wie er seinem Sohn eine ramponierte Krone überreicht.

 

El Jueves Rey

Gemessen am Skandalpotenzial des Königshauses (Elefantenjagd, Corinna-Affäre, Steuerhinterziehung, Korruptionsverdacht und derzeitige Sympathie-Werte von 3,72 auf eine Skala von 1 bis 10)  eigentlich ziemlich harmlos. Dem Verlag aber stank die Karrikatur gewaltig. “Setzt auf keinen Fall den König auf den Titel”, soll die Verlagsleitung die Redaktion angewiesen haben. Die leistete Folge – und fast alle Stammautoren des Blattes gingen.

Schon erstaunlich: Jeder journalistische Instinkt gebietet, das Top-Ereignis der Woche an herausragender Stelle zu würdigen. Dem Verlag RBA aber galt es als Faux-Pas. Und nicht nur dem. In Spaniens Medienlandschaft greift dieser Tage ein Reflex, der schon überwunden schien: Bloss nix Schlechtes über JuanCa, bloss nix gegens Könighaus…

Dass bereits am Abend der Abdankung  in allen grösseren spanischen Städten Zehntausende Spanier die Abschaffung der Monarchie forderten, war den grossen (Print-)Tageszeitungen und staatlichen Rundfunkanstalten nur eine Randnotiz wert. Ein Königshaus-Experte hatte in einer der vielen Talkrunden schon einmal vorausschauend geurteilt, es gäbe jetzt bestimmt viele Bürger, die im Überschwang der Gefühle Dinge sagten (z. B. “España mañana será republicana”  “Morgen ist Spanien republikanisch”) und täten (z. B. demonstrieren und oben genannten Sprechchor anstimmen), die sie eigentlich gar nicht dächten oder wollten. Wer so allwissende Analysten hat, braucht auch keinen Beichtvater mehr.

Ach ja, schon einmal war ein königliches El-Jueves-Cover zensiert worden. 2007 waren auf dem Titel Kronprinz Felipe und Letizia beim Zeugungsakt zu sehen, es ging um das frisch eingeführte (und längst wieder abgeschaffte) Kindergeld. Damals hatte ein Richter darin eine “Ehrverletzung” gesehen und die Auflage beschlagnahmen lassen. So viel Brimborium war diesmal gar nicht nötig. Selbstzensur ist ja so effektiv. Und dazu noch Kosten sparend.

 

 

 

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Boom oder Crash: Wirtschaftsanalyse light

„Was läuft da falsch, wenn zwei große deutsche Zeitungen, die beide dem konservativ-wirtschaftsfreundlichen Spektrum zuzuordnen sind, an ein und demselben Tag ein völlig unterschiedliches Bild der indonesischen Wirtschaft zeichnen?“ fragt Alex Flor in einem Bericht der Berliner NGO Watch Indonesia! vom 24. August 2013. Anlass für seine Frage sind zwei Artikel zum Wirtschaftsstandort Indonesien, die in den Tageszeitungen „Die Welt“ beziehungsweise „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ erschienen sind.
Flor fährt fort: „”Die Welt” hält daran fest, Indonesien aufgrund seines Wirtschaftswachstums in höchsten Tönen zu loben. Es gebe einen “starken Trend nach oben”, getragen von einer wachsenden kauffreudigen Mittelschicht. Die FAZ zeichnet während dessen unter dem Eindruck der jüngsten Börsenkurse ein völlig anderes Bild: Asiatische Werte – damit gemeint sind hier Währungen, Aktien, Anleihen usw. – befinden sich wegen hausgemachter Probleme auf Abwertungstrend. Der Wert der indonesischen Rupiah fiel auf einen seit vier Jahren nicht mehr erreichten Tiefpunkt. An der Börse werden hohe Verluste geschrieben. Die Inflation steigt. Verschiedene andere Medien warnten bereits vor einer Neuauflage der Asienkrise Ende der 90er Jahre.“
Der Indonesienkenner kommt am Ende seiner Analyse zu dem Schluss, dass das Eine so falsch sei wie das andere. Denn ohne spezifische Länderanalyse blieben viele Indikatoren wertlos oder sogar irre führend.
Die eigentliche Frage dahinter ist: Warum werden eigentlich sowohl in den deutschen Medien als auch in der deutschen Politik die gesellschaftspolitischen Aspekte des plötzlichen Wirtschaftsbooms in Indonesien so wenig beachtet? Warum analysieren so wenige so genannte Experten die Hintergründe des kurzlebigen Konsumrauschs, des unglaublichen Reichtums der Eliten, des hart erkämpften Lohnanstiegs der Arbeiter, des Preisanstiegs im ganzen Land?
„Es gibt weder ein ideologisches Ziel noch eine ausreichende Vorsorge gegen die immer größer werdende Kreditblase“, erklärt Wirtschafsberater Eric Santosa in Jakarta und mahnt: „Wir können nicht von einer gesunden Wirtschaft reden, solange die folgenden drei Probleme nicht gelöst sind: mangelnde Infrastruktur, ineffektive Bürokratie und Personalentwicklung.“
Und warum hinterfragt kaum ein Analyst hierzulande die Zusammenhänge von indonesischer Politik und islamistischen Strömungen, von Wirtschaftsboom, Korruption und Menschenrechtsvergehen – wie das bei anderen Ländern oft so demonstrativ geschieht? Hier hat Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland, eine Erklärung: „Indonesien ist für westliche Länder das neue China. Sie erhoffen sich dort eine gewinnbringende wirtschaftliche Zusammenarbeit. Daher wir mit strategischem Schweigen über Menschenrechtsverletzungen und andere Unannehmlichkeiten hinweg gesehen.“

 

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Rauch vorm Rundfunk

Für einen Augenblick wird mir flau, als ich mich dem Gebäude des griechischen Staatsrundfunks, ERT, nähere. Vor dem Haupteingang steigt eine dicke Rauchsäule auf. Von Krawallen hatte ich nichts gehört, ich hatte auch keine erwartet. Es dauert etwas, bis ich mehr sehen kann – der Verkehr auf der Mesogeion-Straße geht schon seit Stunden nur noch stockend voran. Dann Erleichterung: Die griechische Welt ist noch in Ordnung. In Windeseile sind nicht nur Tausende Bürger zum Funkhaus geströmt, sondern auch die obligatorischen Souvlaki-Bratbudenbesitzer. Keine Demonstration in Griechenland ohne Souvlaki. Trotz des Schreckens, der in die Menschen gefahren ist, als ihre Bildschirme plötzlich schwarz wurden, geht es auf dem Gelände der ERT zu wie bei einem Festival. Nicht einmal die Junta habe die ERT abgeschaltet, das sei in ihrer 75-jährigen Geschichte nur einmal vorgekommen, nämlich als die Nazis in Athen einmarschiert sind, schimpft ein Demonstrant. Und die Misswirtschaft bei der ERT, die es doch zweifelsohne gegeben hat? Das bringt die Demonstranten erst recht zum Rasen. Die gleichen Politiker, die nun das Fanal der Transparenz hochhalten, seien doch die, die jahrzehntelang ihnen gewogene „Berater“ bei der ERT eingestellt haben. Berater, die am Ende des Monats, dicke Gehaltsschecks bezogen. Politische Günstlinge gebe es hier außerdem in allen Betrieben der öffentlichen Hand, sagt ein anderer. Wolle man nun auch die Strombehörde, die Krankenhäuser etc. schließen? Und so reihen die Menschen, die sich hier eingefunden haben, die Schließung des Staatsrundfunks ein in eine Serie von Angriffen auf alles, was staatlich oder öffentlich ist. Auf dem Podium wechseln sich Sprecher und Musiker ab, ein großer Bildschirm überträgt das Fernsehprogramm, das drinnen produziertg und nunmehr über Internet verbreitet wird. Es ist absurd: das griechische Staatsfernsehen ist als Piratensender on air. Noch absurder ist das, was manche Demonstranten sagen: „Endlich hat auch Griechenland einen öffentlichen Rundfunk“, denn allen ist klar, dass die ERT, deren Direktoren von der jeweiligen Regierung eingesetzt wurden, nur bedingt unabhängig sein konnte. Dennoch wurde hier auch ausgezeichnetes Programm gemacht, informative Hintergrundsendungen mit herausragenden Gesprächspartnern, gesellschaftspolitische Analysen und engagierte Dokumentationen. In den vergangenen Jahren konnte man außerdem beobachten, wie sich die Journalisten zunehmend von der politischen Führung emanzipierten. Trotz aller Mängel war die ERT ein Lichtblick in der griechischen Medienlandschaft. Das wird diese Tage von der Bevölkerung honoriert. Auf der Rückfahrt zappen wir uns durch die Radioprogramme, eine Sendung ist nervtötender als die andere. Schalt die ERT ein, sage ich zu meinem Beifahrer in einem alten Reflex.

 

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Zeitungskrise? Es kriselt eher die Qualität

Morgen, am Freitag, 7. Dezember, erscheint die Financial Times Deutschland zum letzten Mal. Wir haben dazu Folgendes gedacht (und als Pressemitteilung in die Welt geschickt):
Die nach der Insolvenz von Financial Times Deutschland, Frankfurter Rundschau und dapd heraufbeschworene Zeitungskrise ist in Wirklichkeit eine Krise des Qualitätsjournalismus.
„Verleger klagen, dass immer weniger Leser bereit sind, Geld für ihre Zeitung auszugeben – dabei sind sie häufig selber nicht willens, in Qualitätsjournalismus zu investieren, um damit ihre Leser zu überzeugen“, kritisiert der Weltreporter-Vorsitzende Marc Engelhardt. Durchschnittliches fänden die Leser inzwischen kostenlos im Internet. „Wer eine Zeitung kauft, erwartet mehr: qualitativ hochwertige Berichte, exklusive Reportagen und tiefgehende Analysen. Für solche Texte müssen die Autoren dann aber auch angemessen bezahlt werden.”
Das gilt auch und gerade für die Berichterstattung aus dem Ausland. „Wenn derzeit auf dem Tahrir-Platz wieder gekämpft wird, dann möchten Leser wissen, was genau dahintersteckt – genauso wie bei den Unruhen in Syrien oder dem Aufflammen des Bürgerkriegs im Kongo. Dafür müssen Zeitungen es ihren Korrespondenten, die zunehmend freiberuflich arbeiten, ermöglichen, vor Ort zu berichten – mit vernünftigen Honoraren, mit kaum noch üblichen Reisekostenerstattungen oder mit Pauschalen.”
Wenn jetzt als Konsequenz aus der angeblichen Zeitungskrise weiter bei denen gespart werde, die den Inhalt und damit den wirklichen Wert der Zeitungen bestreiten, sei das genau der falsche Weg. „Dann werden unweigerlich noch mehr Leser ihre Abos kündigen und weitere Zeitungen dichtmachen. Der einzige Weg aus der Krise ist eine Qualitätsoffensive.”
 

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Die EM in Australien

Ob wir “hier unten” (gemeint ist Australien) denn auch im EM-Fieber sind? werde ich dieser Tage häufig gefragt. Manche sind vorsichtiger und fragen: “Bekommt ihr von diesem Weltereignis viel mit?”
Auf beide Fragen antworte ich hier stellvertretend mit zwei Bildern, die ja bekanntlich mehr sagen als viele Worte. Oben Seite 10 aus der Sportbeilage vom Sydney Morning Herald von heute, 18. Juni 2012. Oben Damenhandball, dazwischen ein bisschen Cricket und, ja genau ganz unten rechts die Ergebnisse der European Championship im Football. (Genauer: es sind die Ergebnisse vom letzten Freitag und  Vortagen…). Naja, sagen Sie jetzt, wer braucht Ergebnisse, wenn er die Spiele ansieht? (Und jetzt jammert bloß nicht wieder über Zeitverschiebung und unchristliche Sendeplätze, denn die habt ihr euch selbst zuzuschreiben).
Auch dazu ein kurze Klarstellung: Niemand hier unten sieht die Spiele. Auf jeden Fall nicht in mir bekannten Fernsehsendern. Nicht zu komischen Uhrzeiten oder am nächsten Tag als Aufzeichnung, nein, das australische Fernsehen zeigte die Vorrunden-Spiele in diesem Jahr überhaupt mal gar nicht. Mag sein, dass sie auf irgendeiner teuren Bezahl-Station von Rupert Murdoch laufen. Aber Menschen mit normalem Fernsehkabel sehen den Fussball nicht. Nicht die Deutschen oder die Dänen oder die Griechen. Ja wir können Highlights auf Youtube angucken. Und sehen wie Jogi Löw einem Balljungen das Runde aus dem winkligen Arm stösst. Macht das Spass? Hm, Nein. Ach ja, Sie hatten gefragt, ob hier unten irgend jemanden die Europameisterschaft interessiert. Die Antwort ist: Njet, No, Nicht Die Bohne.

 

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