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Deutschstunde mit Richard Spencer

„Broke but sexy“ – arm aber sexy – heißt der Dokumentarfilm der Schriftstellerin Julie Hill über Kiwi-Künstler und -Musiker in Berlin, getreu nach Klaus Wowereit. Fünf Jahre vor den Dreharbeiten war die germanophile Neuseeländerin mit einem Stipendium des Goethe-Instituts in der Hauptstadt. Und mit wem drückte sie dort im Jahre 2006 die Schulbank? Mit dem damals noch gänzlich unbekannten, aber bereits gänzlich unausstehlichen Richard Spencer.

Wir kennen ihn als rechsradikalen Führer der amerikanischen Alt-Right-Bewegung, der bei Trumps Amtseinführung eins in die Fresse bekam. Julie Hill kennt ihn als Mitstudenten, den Lehrer wie Schüler hassten. Auf „The SpinOff“, Neuseelands meinungsfreudiger Webseite für Politik und Pop-Kultur, plauderte sie jetzt aus dem Nähkästchen. Über ein Jahrzehnt lang hatte sie den gefährlichen Sprücheklopfer vergessen.

Der Groschen fiel, als sie den Film „Angry, White and American“ eines Kollegen vom Guardian sah, in dem Spencer seine rassistischen Thesen über eine „ethnische Säuberung der USA“ in die Kamera sprach.

„Einen Tag lang waren wir Freunde“, erinnert sich Hill. Denn Spencer war der einzige andere Angelsachse im Goethe-Kurs – charmant, eloquent, geschniegelt und gegelt. Der Doktorand der Duke Universität in North Carlonia sprach gutes Deutsch und half ihr mit der schweren Grammatik. Beim Abendessen – vietnamesisch – erzählte er ihr von den „Farmen“ seiner Familie in Lousiana – ehemalige Sklaven-Plantagen. Den minimalen Rest seines Essens ließ er sich zum Mitnehmen einpacken: „Er konnte sich nicht mal einen Toast machen, weil er zu vornehm zum Kochen war.“

Als bei Spencer ein Zimmer frei wurde, zog Julie Hill ein. Am Küchentisch zog er gegen Mexikaner in den USA und behaarte Berlinerinnen („Lesben oder nur Deutsche?“) vom Leder. Hill ging angewidert ins Bett. In der Nacht stand Spencer in Boxershorts in der Tür. „Hi“, sagte er erwartungsvoll. Sie: “Fuck off”. Ab dann wurde “Richie” ihr Feind: ein “Backpfeifengesicht”, das sie im Deutschkurs sogar einmal anschrie. „Spencer hatte etwas Tragisches“, so Hill. „Er wusste, dass er von uns allen abgelehnt wurde, aber schien das gewohnt zu sein.“ Eine Freundin fand er jahrelang nicht. Doch an Hills Geburtstag tauchte er zu einer Party in der „Wohnzimmer“-Bar mit einer großen, blonden Lettin auf. „Sie saßen da wie Ken und Barbie.“

Letztes Jahre wurde der Rechtsradikale in Washington auf einer Nationalisten-Konferenz begeistert mit dem Hitler-Gruß empfangen. Im Mai führte er die zündelnden Neonazis in Charlottesville an. Sein letzter Akt im Berliner Deutschunterricht war eine Rede, die er über Nietzsche halten wollte – aber alle gingen lieber raus, ein Bier trinken. Julie Hills pikante Enthüllungen wurden auch von der britischen Daily Mail und der Huffington Post aufgegriffen. Hat sie Angst vor Richies Reaktion? „Er ist solch ein Narziss – ihm gefällt das wahrscheinlich.“

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