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Wir leben im Paralleluniversum: Sommerpartys, Segelregatten und nur 25 Coronatote seit der Pandemie. Das Virus haben wir im Griff, die Verseuchung der Hirne jedoch nicht. Rechter Verschwörungsglaube treibt auch in Neuseeland seltsame Blüten, besonders modische. Der Stürmer-Look von Capitol Hill hat den America’s Cup in Auckland erreicht. Und der QAnon-Irrsinn, kurz Quirrsinn, eine berühmte Dessous-Firma.
Unter Neuseelands Superreichen, die Champagner am Hafen trinken, tauchte zum Regattastart am Wochenende auch Ollie Wall auf. Er ist Makler und Sohn des Immobilienmoguls Graham Wall. Der ist eng mit dem deutschen Milliardär Peter Thiel verbandelt, der auf dubiosem Wege neuseeländischer Staatsbürger und zur umstrittenen Figur Down Under wurde. Jetzt hat Wall Junior seinen eigenen Skandal – nachdem er ein Foto von sich postete, auf dem er dem Segelteam American Magic zujubelt.
„We stormin’ the water“, steht darauf. Auf dem Kopf trug Wall eine Fellkappe mit Hörnern – Abziehbild des „Q-Schamanen“ und Schauspielers Jack Angeli beim Sturm aufs Kapitol in Washington. Walls rechte Hand hielt ein Megafon, die linke Pranke ruhte auf der Brust einer jungen Frau, und der nackte Torso war mit den Symbolen verziert, die sein amerikanischer Doppelgänger bereits als Tattoo ausgeführt hatte: Thors Hammer und andere Neonazi-Embleme. Auf dem Arm prangte Trumps Mexiko-Mauer.
So reich, so dumm. In einer öffentlichen PR-Entschuldigung behauptete der Segelfan am nächsten Tag, keine Ahnung von der politischen Bedeutung seines Kostüms gehabt zu haben – obwohl eine seiner Insta-Stories den Titel „Storm the capitol!“ trug. Ähnlich unglaubwürdig ahnungslos und noch schlimmer agierten zuletzt andere betuchte Influencer aus Auckland: die Besitzer der Dessous-Firma Lonely, Neuseelands erfolgreichster Mode-Export und Liebling in Hollywood.
Die Kardashians sind erklärte Lonely-Fans, „Girls“-Stars Lena Dunham und Jemima Kirke modelten BHs für sie – umsonst, da die Wäschemarke mit positivem Körpergefühl in allen Größen warb. Die progressive Unterwäsche bekam im letzten Jahr jedoch braune Spuren. Firmenchef Steve Ferguson haute monatelang verstrahlte Social-Media-Post raus: von Pizzagate bis „Covid is fake“, „climate change is fake news“ und „Jacinda Ardern is a transsexual Elite Cabalist“. Q-Schlüpfer statt G-Strings.
Als Zwangsideologie von oben kursierte in der Firma außerdem „Starseeds“, eine Art UFO-Religion aus Kalifornien. Als der Rechtsruck der New-Ager aufflog, redeten sie sich damit heraus, ihre Profile seien gehackt worden. Ob ihr neuer Flagship-Laden in Los Angeles jemals eröffnet wird, ist noch unklar. Und auch für Ollie Walls Favorit American Magic sieht es schlecht aus: Anfang der Woche kenterte deren Jacht im Hafen von Auckland. „Patriot“ heißt sie.
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In diesen apokalyptischen Zeiten, wo die Gesetze des Dschungels herrschen und es für uns freie Journalisten ums nackte Überleben geht, will ich endlich einmal vorne sein. Sollte ich eines Tages einem Preis gewinnen oder jemand meinen Nachruf schreiben, dann prahlt ruhig damit, liebe Weltreporter: Ich habe Jacinda Ardern erstmalig heiliggesprochen. Move over, Vatikan!
Vor über einem Jahr habe ich es prophezeit, als die coole Ex-DJ als Premierministerin stillend zu UN-Kongressen jettete, dann über Nacht Waffengesetze änderte und Terror-Opfer umarmte. Arderns Antlitz im Kopftuch wurde nach dem Moschee-Attentat in Christchurch überdimensional auf einen Turm in Dubai gebeamt. Ihr Bild radierte als Symbol nicht nur Mutter Teresa im Nonnen-Sari aus. Nein, es übertraf die Gottesmutter Maria.
Ein neues Zeitalter brach an. Jacindamania erfasste die Welt. Die Vogue fotografierte sie an einem einsamen Strand. Das internationale Love-Bombing begann, nur die alten weißen Männer rasteten aus. Seit unsere Landesmutter mit drastischen Maßnahmen und mitfühlenden Worten in den letzten Wochen auch die Corona-Fälle in den grünen Bereich drückte und ihr Land damit zu den sicheren Inseln der Glückseligen machte, ist es um alle geschehen.
Die Financial Times titelte: „Erhebe dich, Sankt Jacinda“, das Magazin The Atlantic legte nach: „Die effektivste Führerin auf der Welt“. Virologe Christian Drosten in Berlin schlug Ardern eine polyamore Fernbeziehung vor. Ikonen-Malerinnen gingen sofort ans Werk. In ihre Werke platzierten sie im Hintergrund dezent Mutti Merkel und Greta Thunberg, die unsere Gröfaz (größte Führerin aller Zeiten) verstärken. Arderns Gebiss wurde etwas überarbeitet. Auch Kiwis sind eitel.
Neuseelands Nationalmuseum Te Papa in Wellington wollte die gesamte Walfisch- und Vogel-Abteilung für die Heiligenbilder frei machen. Doch dann bekam Donald Trump davon Wind, fragte seinen Kumpel Kim Jong-un um Rat und ließ alle Jacinda-Bilder vom Kunstmarkt verschwinden. Verschwörungstheoretiker behaupten, sie wurden zusätzlich mit Chlorbleiche verätzt. Wer mir nicht glaubt: Ich habe YouTube-Videos gesehen, wo Experten das belegen.
Unser Aotearoa lässt sich von den USA mit solchen Machenschaften nicht in die Knie zwingen. Wir setzen daher unserem Anti-Trump bald ein Denkmal, das auch einem dritten Weltkrieg standhält. Sobald wir aus dem Lockdown kommen, wird neben der Riesen-Karotten in Ohakune und dem gigantischen Doughnut auf einem Acker in Springfield endlich im Hagley Park in Christchurch eine Statue von nordkoreanischem Ausmaß errichtet.
Da thront dann die Heilige Jacinda wie die Freiheitsstatue über New York. An einer Brust ihr stillendes Kind, in der erhobenen Faust eine Impfspritze. 5G-Gegner haben bereits Denkmalschändung angedroht. Was immer mir nach diesen Enthüllungen passiert: Die Mainstream-Medien werden es unterdrücken.
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Maßnahmen lockern? Anders forschen? Alte Menschen isolieren? – Debatten, die in Deutschland geführt werden, beschäftigen auch andere Länder. Aber es gibt dort auch völlig andere Lösungen, Ansätze und Konflikte. Die Weltreporter berichten in diesen Wochen von allen Kontinenten fast ausschließlich über Situationen, Menschen und Ereignisse, die irgendwie mit Covid-19 zu tun haben.
Falls Sie eine C-Verschnaufpause brauchen: Manche Themen – wie Cornelia Funkes neuer Roman, über den Kerstin Zilm im Deutschlandfunk Kultur spricht – haben weniger inhaltlich als vielmehr anlässlich mit Corona zu tun: Die Bestsellerautorin Funke lässt in den kommenden Wochen live auf Instagram und YouTube aus dem vierten Buch ihrer Tintenwelt-Serie lesen. Das Buch ist noch gar nicht veröffentlicht. Funke erzählte Kerstin Zilm, warum sie die ersten 14 Kapitel von ‘Die Farbe der Rache’ trotzdem schon aus ihrer Schublade geholt hat.
In Taiwan wurden die ersten Coronavirus-Infektionen noch vor jenen in Deutschland gemeldet, doch bis heute gibt es in dem asiatischen Land weniger als 450 Infektionen und sechs Tote – Wie gelingt eine so beeindruckende Bilanz? Nicht ohne Einschränkungen, aber mit raschen, wirksamen Maßnahmen hat der Inselstaat vor der Küste Chinas geschafft, die Ausbreitung des Virus unter den 23 Millionen Einwohnern stark einzudämmen. Einen spannenden Bericht dazu hat Klaus Bardenhagen für die Umschau des MDR gefilmt.
Klaus Bardenhagen berichtet aus Taipei Foto: Screenshot mdr
Dort erklärt er – diesmal auch vor der Kamera – warum Taiwan in diesen Tagen so eine Art Insel der Seligen ist. Über die strenge Heimquarantäne und die besondere Rolle der Taxifahrer in Taiwan hatte Klaus Bardenhagen zuvor bereits mit dem ARD Studio Tokio für das Mittagsmagazin einen Beitrag gedreht.
Knapp 10.000 Kilometer weiter südwestlich arbeitet Anke Richter, die sich in den vergangenen drei Wochen kaum wie Kollege Bardenhagen auf einem vor Menschen wimmelnden Markt getummelt haben dürfte. In Christchurch wurde der Lockdown mit deutlich härteren Sanktionen durchgesetzt als in vielen deutschen Städten. Und Neuseeland liegt jetzt im weltweiten Kampf gegen das Coronavirus mit einem Reproduktionsfaktor von 0,5 vorne. Als sonderlich harsch wurden die Maßnahmen dort jedoch von vielen nicht empfunden. “Nett und schlau” nennt Anke in ihrer Story für Zeit Online die Strategie, mit der der Pazifikstaat bisher offenbar gut fährt. Regierungschefin Jacinda Ardern sitzt dort im Sweatshirt zu Hause und beantwortet im Livechat auf Facebook Fragen ihrer Landsleute – unprätentiös, herzlich, sachkundig.
Während anderswo Mediziner fehlen, schickt Kuba Doktoren in die Welt: 596 Ärztinnen und Ärzte habe man in insgesamt 14 Länder entsandt, um sie zu unterstützen, hieß es aus dem kubanischen Gesundheitsministerium. Wie es dazu kam, dass sich der sozialistische Inselstaat in der medizinischen Kooperation derzeit so profiliert, hat Wolf-Dieter Vogel analysiert.
Singapur hatte die Krise fast im Griff. Doch jetzt schockiert ein massiver Ausbruch in den Wohnheimen für ausländische Arbeiter den reichen Stadtstaat, schreibt Mathias Peer im Handelsblatt. Zwar gehört Singapur zu den reichsten Ländern der Welt, doch bei ihren Gastarbeitern sparen viele Unternehmen wo es geht – das rächt sich nun offenbar.
Ein Straßenhändler in Kenia verkauft Desinfektionsmittel © Bettina Rühl
Den afrikanischen Kontinent hat das Coronavirus mit Verzögerung erreicht. Inzwischen steigen die Infektionszahlen deutlich an. In Kenia, Uganda, Simbabwe und Südafrika greifen Polizei und Militär hart durch, um Ausgangsbeschränkungen durchzusetzen. Im Deutschlandfunk berichten Bettina Rühl und Leonie March über die Situation in Slums der kenianischen Hauptstadt und über das zum Teil drastische Krisenmanagement Südafrikas.
Julia Macher erzählt in ihrer Hörfunk-Reportage auf Deutschlandfunk Kultur wie Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in Barcelona mit der Corona-Krise umgehen. Das war für die Weltreporterin in Spanien auch eine erzählerische Herausforderung: Wie bleibt man trotz Ausgangssperre und „social distancing“ nah dran an den Protagonisten?
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Die Corona-Krise hat noch wichtiger gemacht, was uns Weltreporter auszeichnet: Wir sind schon da, wohin andere erst reisen müssen – und genau das jetzt nicht mehr können. Quarantäne, geschlossene Grenzen, Reisebeschränkungen, Ausgangssperren – Reisen sind schwierig geworden, nicht nur ins Ausland, und auch für Journalisten. Wer zum Coronavirus jenseits der Landesgrenzen recherchieren will, schaut ins Internet, telefoniert – oder beauftragt einen Weltreporter. Wir wissen, wie die Situation in vielen Regionen der Welt ist, denn wir arbeiten und leben dort.
Fabian Kretschmer berichtet aus China zur Öffnung der Stadt Wuhan und beschreibt, welche Auswirkungen die Krise auf die Blase des chinesischen Profifussballs hat. Anke Richter hat mit Deutschen gesprochen, die in Neuseeland festsitzen.
Sarah Mersch beobachtet, wie die Tunesier daraf reagieren, wenn Ausgangssperren plötzlich mit Drohnen überwacht werden. Wolf-Dieter Vogel schreibt aus Mexiko, weshalb ein Essayband mit philosophischen Texten in der Coronakrise offenbar einen wichtigen Nerv trifft.
Vermutlich schon, schreibt Julia Macher, aus dem Brennpunkt-Land Spanien. Sie arbeitet in Barcelona und berichtet von dort unter anderem darüber, was sich Hotels einfallen lassen, wenn Touristen fehlen.
Bettina Rühl und Marc Engelhardt recherchieren im dem Kongo und in Genf, wie die Ebolakrise zu Ende geht – und was sich für die Corona-Pandemie daraus lernen lässt.
Bettina Ruehl weiß außerdem, wie ein gespensticher Flughafen aussieht, sie war im Terminal von Nairobis Airport, als dort die letzten internationalen Flüge landeten. Im Deutschlandfunk berichtet sie an diesem Wochenende gemeinsam mit Südafrika-Weltreporterin Leonie March und anderen Korrespondenten über die Situation in Afrika.
Wie sich das Virus in Townships und Slums in Südafrika ausbreitet, schildert Leonie March außerdem in einem Korrespondentengespräch mit dem SWR.
Warum die Australier derzeit nicht sonderlich gut auf Kreuzfahrer zu sprechen sind – und wie es aussieht wenn Strände geschlossen werden – habe ich in einem kurzen Länder-Update zusammengestellt. In Brüssel fragt sich Eric Bonse, wann die EU-Staaten den “Exit” aus der Coronakrise vorbereiten?
So aktuell wie es uns möglich ist, halten wir Weltreporter Sie aus mehr als 100 Ländern auch über unsere Weltreporter.net-Facebookseite und unseren Twitter-Kanal auf dem Laufenden.
Bleiben Sie gesund, bleiben Sie demokratisch, bleiben Sie informiert.
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Kunst und Kiwis, die zweite: ein Dauerkonflikt rund um Missinterpretationen, Obszönitäten, Aufruhr und Angst. Der aktuelle Fall spielt in Wellington, Neuseelands Hauptstadt und Kulturhochburg. Es ist mit Abstand das intellektuellste City-Pflaster im Südpazifik, progressiv und funky. Und seit Ende August ein Gruselkabinett. Denn von einem der Dächer schaut eine Hand.
Bildhauer Ronnie van Hout ist für neuseeländische Verhältnisse ein Entfant Terrible. Dass er in Melbourne lebt, macht die Sache nicht besser. Vor drei Jahren bestellte das vom Erdbeben lädierte Christchurch bei ihm ein öffentliches Kunstwerk namens Quasi: eine fünf Meter große Hand, auf der das Gesicht des Künstlers sitzt. Sie steht auf zwei Fingern – ein grimmiges, monströses Handmännchen.
Es wanderte aufs Dach der städtischen Kunstgalerie. Über 90.000 Dollar zahlte Christchurch damals für die Anfertigung. Schulkinder waren begeistert, Touristenbusse stoppten davor. Doch es gab auch Gegenstimmen, wie bei jeder Art von Kunst, die nicht nur brav Nikau-Palmen und Tui-Vögel abbildet. Aber zum Skandal wurde van Houts Hand erst jetzt, als sie nach Wellington wanderte.
Als Attraktion der verbauten Innenstadt thront sie dort ebenfalls auf der Kunstgalerie. Aber nicht nur die 74.000 Dollar, die der Hubschauber-Transport der 400-Kilo-schweren Skulptur und die windsichere Installation kosteten, stoßen den Hauptstädtern auf. Es ist das verkörperte Böse, was von oben auf sie herabschaut. „Creepy“ sei das, „furchterregend“, „ekelhaft“ – ein Medien-Shitstorm, der sogar New York und London erreichte. Alptraumerregend.
Vielleicht liegt es an der Ähnlichkeit zu Donald Trump – eine der häufigsten Assoziationen. Ronnie van Hout vergleicht es mit dem Aufschrei über „entartete Kunst“ im letzten Jahrhundert. „Ich zeige meinen Studenten die Zeitungsartikel von damals, die besagten, dass Kubismus von Verrückten gemacht wird und nur Mist sei,“ erklärte er Radio New Zealand. „Dann zeige ich ihnen die Reaktion auf Quasi, um zu zeigen, dass sich nichts verändert hat.“
Auf der Hitliste der hässlichsten Skulpturen im Lande liegt er jedoch noch nicht vorne. In einem Bahnhof in Auckland hängt ein phallisches Drahtgebilde, das „Wolke“ heißt und als höchst anstößig gilt. Ebenso penetrant penisförmig kommt die „Big Sausage“ daher, eine Riesenwurst auf einer Gabel in Tuatapere. Sie steht in der stolzen Tradition ebenso peinlicher Statuen wie die Riesen-Kiwi, das Riesen-Schaf, die Riesen-Karotte.
Und vor der Umweltbehörde in Christchurch steht ein überdimensionales Abbild eines konservativen Abgeordneten, mit runtergelassener Hose über einem Trinkglas hockend – Künstler Sam Mahons Antwort auf die Wasserverschmutzung. Einen halbnackten Politiker als Muse hätte er sich nie träumen lassen. „Als Kunststudent dachte ich, ich würde mal Madonnen malen. Aber jetzt bearbeite ich Genitalien.“
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Dieser Juli war einer unser schwärzesten Monate im Jahr. Nicht, weil es hier auf der Südhalbkugel noch tiefster Winter ist. Sondern weil den Kiwis, die eh nicht viel Spektakuläres aufzubieten haben, ein wertvoller Titel gestohlen wurde. Schmach genug, dass wir zuerst den Cricket World Cup verloren haben. Entthront wurden wir anschließend auch von einem Kaff namens Harlech. Das liegt in Wales. Die steilste Straße der Welt befindet sich offiziell nun dort und nicht mehr in Dunedin. Es geht bergab.
Ende Juni wurde von den Walisern beim Guinness Buch der Rekorde ein für uns höchst alarmierender Antrag eingereicht: „Pen Ffordd Llech – wahrscheinlich die steilste Straße der Welt“. Zwei Wochen später stand das Ergebnis fest und löste in Aotearoa große Bestürzung aus: Harlech lag vorn. Was wie eine Fußnote der skurrilen Ehrenplätze erscheint, ist für die schottisch angehauchte Universitätsstadt auf der Südinsel von Neuseeland jedoch tragisch.
Es sind gerade mal 161 Meter, die den oberen Abschnitt der Baldwin Street in Dunedin zur Touristenattraktion machen. Aber die haben es in sich. Betrunkene wie Teenager tragen dort Mutproben aus. Busladungen an Besuchern kraxeln die Straße hoch und runter. Stets dabei, bis zu dreißig Mal täglich: der 68-jährige Anwohner Dave Kernahan, inoffizieller „König der Baldwin Street“. Vor drei Jahren wurde eine öffentliche Toilette errichtet, um dem Ansturm gerecht zu werden.
Kein Asphaltabschnitt im Lande taucht weltweit auf so vielen Selfies auf. Beliebteste Pose: Backpacker krallt sich am Beton fest – oder rollt irgendwie hinab. Die oft genervten Anwohner haben von Pogo-Sticks über elektrische Dreiräder bis Einkaufswagen alles gesehen. Im Januar wagte sich der Erste auf einem Elektroroller hinunter. 2001 starb eine Studentin, die mit einer Freundin in einer Mülltonne hinunterrollte und in einen geparkten Anhänger krachte.
Satte 35 Grad beträgt die steilste Steigung der berühmt-berüchtigten Straße, 37 Grad nun die der Konkurrenz in Wales, wie ein Landvermesser dort bestätigte. Damit ist der Spitzenplatz für die Kiwis futsch. Die „steilste Straße der Welt“ wird ab sofort als „steilste Straße der südlichen Hemisphäre“ vermarktet. Klingt auch nicht schlecht. Und wie Dunedins Bürgermeister Dave Cull lakonisch feststellte: „Die Straße ist dadurch nicht weniger steil geworden.“
Ebenfalls tröstlich ist, dass Neuseeland mit stolzen 320 Einträgen bei den Guinness-Weltrekorden auftrumpfen kann. Darunter: das längste Fernsehinterview – 26 Stunden am Stück – und die meisten Gegenstände mit Zebrastreifen – 508 Teile, zusammengetragen von der Sammlerin seit dem vierten Lebensjahr. Nicht zu überbieten sind die 10.163,66 Meter im Vorwärtsrollen und die größte aller Seifenblasen: stolze 32 Meter aus Spülmittel und Glycerin. Vor zwei Jahren schaffte es ein Marathonläufer in Christchurch, beim Rennen 254 Rubik-Würfel zu lösen. Daran halten wir uns jetzt tapfer fest.
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Seit der Nominierung von Jacinda Ardern für den Friedensnobelpreis hat keine Nachricht aus Aotearoa internationale Wellen geschlagen wie diese. Besser setzen, jetzt kommt’s: Der neuseeländische Akzent ist sexier als jeder andere der Welt! Das löst auch bei Inländern unfassbaren Stolz aus – und Unglauben. Denn bisher hat uns das noch nie jemand gesagt.
Rund 7.000 Sprachen gibt es. Was akustisch schön anmutet oder heiß macht, ist Geschmackssache, so wie beim Essen: der Samoaner schätzt Hund, die Schottin Haggis. In Brasilien sind dicke Popos attraktiv, bei den Karen in Thailand lange Hälse. In westlichen Ländern ist man sich einig, dass Italiener und Franzosen verführerisch klingen; einige Dialekte, zum Beispiel in den neuen Bundesländern, eher nicht so. Das ist natürlich auch Snobismus. Upper-Class-Briten klangen sexy, bis Jamie Oliver kam.
Bevor Mutter Jacinda das Image-Ruder für uns rumriss und die Weltbühne eroberte, klangen Kiwis für nichteinheimische Ohren immer komisch. Irgendwie gequetscht, und am Ende des Satzes zieht die Tonlage hoch, gerne mit einem „aye“ oder „bro“ als Abschluss. „Fish and Chips“ mutieren zu „Fush’n Chups“ und Eier zu „iggs“. Wenn Papa sich ins Bett legt, dann geht „Did to bid“ statt „Dad to bed“.
Diese Verquetschung der Sprache wird extremer, hat Professor Allan Bell von der Auckland University of Technology festgestellt. Er hat 300 Tonaufnahmen der letzten 30 Jahre ausgewertet. In den 70ern klangen neuseeländische Radiosprecher noch wie vom BBC – das Englisch der Queen war Norm. „Seit den 80ern klingen sie jedoch mehr wie Kiwis“, so Bell. Auch ein bisschen Cockney hat sich eingeschlichen: Bei „what“ oder „but“ wird das „t“ am Ende verschluckt.
Außerdem rollen uns zunehmend Maori-Wörter von der Zunge, von denen die Nachbarn drüben auf der barbarischen Seite der tasmanischen See nur träumen können: iwi, mana, whanau. Bis auf Southland, den Südzipfel der Südinsel, gibt es im Land der langen weißen Wolke keine regionalen Unterschiede beim Reden, nur ethnische. Und niemals, niemals, niemals ist der Kiwi-Akzent mit dem Australischen zu verwechseln. Darauf steht Todesstrafe.
Auf unserem urtypischen Slang darf in Zukunft niemand mehr rumhacken. Die Reise-Webseite „Big 7 Travel“ hat eine unwissenschaftliche Umfrage der 50 „sexiest accents“ veröffentlicht. Sie krönte den Sound von „Newzild“ als den verführerischsten: „Es ist offiziell!“ An zweiter Stelle: Südafrika. Die Iren an dritter, die Australier erst an fünfter. Bätsch. Mit Ach und Krach schafften es die Deutschen auf den 46. Platz. „Zuweilen hart, aber superklar“, so die Bewertung der Teutonensprache.
Die TV-Sendung “Seven Sharp“ hat zur Feier unseres Weltrekords die romantischsten Szenen aus Filmklassikern wie „The Notebook“ oder „Titanic“ nachvertont – auf kiwianisch. Noch nicht Oscar-verdächtig, aber turnt total an.
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Meistens kommt alles, was als flott gilt, in Neuseeland erst an, wenn es in Europa längst ein alter Hut ist. Auf Ikea warten wir noch immer, wahrscheinlich zusammen mit Bhutan. H&M gibt es erst seit anderthalb Jahren. Als es eröffnete, campten Teenies die Nacht davor auf dem Bürgersteig, wie beim Konzert einer Boyband. Doch seit es Lime-Scooter gibt, liegen wir endlich mal vorne. Im Oktober ging’s mit 600 Stück in Auckland und 400 in Christchurch los. Dunedin und Wellington zogen nach.
Damit all die, die noch nicht limescootern durften, sich besser fühlen, hier die Ernüchterung: Lime-Scooter sind das Nervigste und Kontroverseste, was uns seit Wochen und Monaten am 42. Breitengrad bewegt. Die Spaltung geht so tief wie beim Brexit; die Diskussionen und Kolumnen nehmen kein Ende. Seit Jacinda Arderns Baby hat kein Thema Aotearoa mehr bewegt als das limettengrüne Fahrdings.
Denn kaum waren die Roller im Verkehr, verlangte Aucklands Bürgermeister Sicherheitsmaßnahmen, weil eine Stadträtin fast umgefahren wurde. Man darf damit nämlich nur auf dem Bürgersteig, aber nicht auf der Straße fahren. Love them or hate them: Seit die Rollerwelle begann, gibt es nur Fan oder Feind, also Bürgersteig-Fahrer und Bürgersteig-Opfer. Eine Rollerfahrerin krachte in einen Laster und wurde schwer verletzt. Sofort wurde Tempo 10 gefordert.
Kiwis sind ja große Erfinder. So dauerte es nicht lange, bis ein Spaßvogel in Dunedin auf die Idee kam, einen Sessel auf einen Scooter zu setzen und damit eine Spritztour zu machen. Ebenfalls in Dunedin – irgendwas tun sie dort ins Wasser, schätze ich – trat ein Mann Mitte Januar die Scooter-Fahrt auf der kurzen und noch dazu nassen Baldwin Street an. Das ist die steilste Straße der Welt. Es gab schon mal einen Toten dort, allerdings im Einkaufswagen.
Der britische Fernsehkoch Gordon Ramsay war gerade im Lande und entzückte Millionen Fans mit einem Video, in dem er begeistert am Wasser entlang rollert. Doch wie die Flitterwochen ausgehen, die der Rest des Landes mit den Lime-Scootern genießt, ist noch ungewiss. In Auckland wurde der Vertrag bis März verlängert. Christchurch entscheidet nächste Woche. In unserer Stadt sind noch zu viele Bürgersteige vom schweren Erdbeben vor acht Jahren kaputt. Jemand schlug prompt vor, von der Roller-Miete einfach etwas für die Reparaturen abzuzwacken kann.
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„Wir dachten eigentlich, die Zeit der Mauern wäre vorbei. Stattdessen haben wir bei unserer Recherche festgestellt, dass sie heute wieder das politische Mittel der Wahl sind: 60 neue Grenzzäune und Mauern sind seit 1990 errichtet worden. Zur Zeit des kalten Krieges waren es nur 19″, sagt Marc Engelhardt, Herausgeber des neuen Weltreporter-Buches „Ausgeschlossen – eine Weltreise entlang Mauern, Zäunen, Abgründen“. Gemeinsam mit Bettina Rühl (Kenia), Anke Richter (Neuseeland) und Wolf-Dieter Vogel (Mexiko) diskutierte er gestern in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin mit dem Publikum darüber, warum nicht nur Trump und Orban den Mauern-Trend bestimmen, dass viele Zäune Grenzverkehr und Schmuggel erst noch verstärken und warum manche Abgrenzungen auch Positives bewirken.
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Seit unsere hochschwangere, supercoole, blitzgescheite und wunderschöne Premierministerin Jacinda Ardern Europa beehrt hat, ist jeder und vor allem jede ihr Fan. Angela Merkel lächelte beim Besuch in Berlin ein gütigeres Mutti-Lächeln als sonst – fast schon ein inniges Omi-Strahlen. Angie und Cindy posierten zusammen mit einem Kiwi-Stofftier. So viel Kuscheligkeit! So viel Wärme! So viel Weiblichkeit! Der Oxytocin-Ausstoß war spürbar.
Was nicht nur hormonell anschlug, sondern stilistisch imponierte, war Arderns Dinner-Auftritt im Buckingham-Palast nach dem Empfang bei der Queen. Da erschien sie mit prallem Babybauch wie ein Hollywoodstar im bodenlangen rostfarbenen Kleid, über dessen schmeichelhaften Ton und Fall sich in ganz Ozeanien keiner mehr einkriegte. Um ihre Schultern trug sie einen traditionellen Maori-Umhang aus Federn, über dessen korrekten Namen die neuseeländische Presse stolz tagelang fachsimpelte.
Und am Arm hatte die PM Clarke Gayford, schnieker Ehemann im Smoking – über den gerade ein Mediengewitter niederging, das sowohl Shitstorm wie Reinwäsche war. Denn leider darf niemand sagen, ob es dabei Blitz, Donner oder Hagel gab. Alles geheim. Hat der werdende Kindsvater der neuen Staatschefin Schande gebracht? Hat er Dreck am Stecken? Ist er ein promigeiler Blender, der sich an den Rockzipfel einer mächtigen Powerfrau gehängt hat – oder gar schlimmer?
Die neuseeländische Polizei gab diesen Mittwoch ein ungewöhnliches Statement heraus: Sie bestätigte, dass keinerlei Ermittlungen gegen den 41-jährigen Moderator der Anglershow „Fish of the Day“ vorliegen oder er jemals im Visier der Behörden war. Seit Monaten brodelten schmutzige Gerüchte in der Medienküche, die dem „First Husband“ anrüchige bis illegale Handlungen unterstellte – vertuscht von einer angeblich korrupten Justiz.
Jetzt ist der Strom an den überbrodelnden Dampfkochtöpfen endlich aus. Jacinda Arderns Kommentar dazu war lediglich, dass sie kein Interesse an „dirty politics“ habe – und einen Job zu erledigen. That’s our girl! Doch auch wenn alles nur ein widerliches Komplott ihrer konservativen Gegner war: Die Flecken auf dem Herd, die bleiben. Denn jetzt fragen sich alle, die die Gerüchte noch nicht kannten: Was bitte soll der schnuckelige Gayford verbrochen haben, außer dass er aussieht, wie frisch aus der Fernseh-Datingshow „The Bachelor“ entlaufen?
Langsam sickern in Aotearoa die ersten Insider-Kenntnisse durch. Drucken darf man sie dort nicht, aber hier. Es ist nicht der Verdacht, dass der TV-Star sich das leicht prätentiöse „e“ am Vornamen – Clarke – selbst zugelegt hat. Viel schlimmer. Aucklands Fischläden sind angeblich in den Schmierenskandal verwickelt. Der „Fisch des Tages“, den Jacindas Gatte jede Woche vor der Kamera aus dem Wasser zieht, sei gar nicht frisch, sondern stinkt: Er habe ihn heimlich vorher gekauft.
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„Gone bush“ heißt es in meiner Abwesenheitsnotiz, denn ich verbringe den Sommerurlaub wie jedes Jahr in unserem Hauslaster-Domizil an der wilden Westküste. Der steht hoch oben auf einem dicht bewachsenen Hang über tosendem Meer. Solarstrom, Plumpsklo, kein Internet, kein Handyempfang. Das ist Segen und Fluch, mal wieder.
Es war vor exakt sechs Jahren, als ich mich auf dem Fahrrad die steile Küstenstraße entlang bis zum nächsten Café in Punakaiki quälte, um dort einen Blick auf die Zeitung vom Vortag zu erhaschen. So aktuell sind dort die Auslieferungszeiten. Dafür kann man immer mit Sandfliegen rechnen. Solch kleine Mankos machen sie dort mit einmaliger Whitebait-Pizza und singenden Einheimischen wett, die jeden Freitag bis in die Puppen musizieren.
So kam es, dass ich als Letzte im Lande erfuhr, was dem bekanntesten wie dicksten Deutschen in Aotearoa widerfahren war: Kim Dotcoms Villa außerhalb Aucklands war in einer Großrazzia, wie sie das Land noch nie gesehen hatte, gestürmt worden. Der Hausherr saß im Knast – und die Auslandskorrespondentin am schönsten Arsch der Welt, weit von jedem Flughafen oder WLAN-Anschluss entfernt. Tage verbrachte ich telefonierend in dem Café, sah viele Touristen kommen und gehen und bekam am Ende eine halbwegs seriöse Geschichte zustande.
Jedes Mal, wenn ich das Pancake Rocks Café betrete, fällt mir kurz der von Dotcom versaute Urlaub ein. Und jedes Mal schwöre ich, dass sich solche Tiefpunkte statistisch nicht wiederholen können. Denn Januar ist Sommerpause, da ruht das kiwianische Leben komplett. Nicht ganz. Ein Leben begann längst woanders – im Bauch unserer neuen Premierministerin. Jacinda Ardern, keine drei Monate im Amt, und zack-bumm, schwanger. Ja, Wahnsinn! Eine Weltnachricht. Und ich mal wieder in seliger Unerreichbarkeit im Busch.
Darüber lachten wir dann alle beim letzten Grillen vor dem Hauslaster. Stießen auf unsere coole PM an, die das babytechnisch sicher alles gewuppt kriegt. Sonnten uns als eingewanderte Spät-Kiwis in dem Glanz, mit Jacinda ein bisschen internationalen Eindruck gemacht zu haben, auch wenn mein medialer Beitrag dazu bis dato noch fehlte. Bis unser frisch angereister Gast, der früher an dem Tag Empfang hatte, einen Schluck vom Bier nahm und beiläufig sagte: „Aber dass Kim Dotcom gerade wieder geheiratet hat und den neuseeländischen Staat in Milliardenhöhe verklagen will, das weißt du?“
Der MegaUpload-Krösus, dessen schillernde Laufbahn gerade in einem dollen Dokumentarfilm beleuchtet wurde, hatte ausgerechnet den Jahrestag seiner Verhaftung für die zweite Hochzeit gewählt – um, wie er twitterte, etwas Schlechtes in Gutes verwandeln. Nach wie vor schlecht für mich. Welch ein Sommer. Schlagzeilen sprudeln in die Welt, die zusammen eine halbe „Bunte“ füllen könnten, und ich habe nichts als eine Buschtrommel. Ich bin dann mal Wellenreiten.
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Am Südzipfel Ozeaniens ist es Hochsommer und alles andere als weihnachtlich beschaulich. Statt Adventsfeiern mit Plätzchen gibt es wochenlang überall „Christmas Drinks“, also geselliger Umtrunk mit Partylaune. (mehr …)
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„Broke but sexy“ – arm aber sexy – heißt der Dokumentarfilm der Schriftstellerin Julie Hill über Kiwi-Künstler und -Musiker in Berlin, getreu nach Klaus Wowereit. Fünf Jahre vor den Dreharbeiten war die germanophile Neuseeländerin mit einem Stipendium des Goethe-Instituts in der Hauptstadt. Und mit wem drückte sie dort im Jahre 2006 die Schulbank? Mit dem damals noch gänzlich unbekannten, aber bereits gänzlich unausstehlichen Richard Spencer.
Wir kennen ihn als rechsradikalen Führer der amerikanischen Alt-Right-Bewegung, der bei Trumps Amtseinführung eins in die Fresse bekam. Julie Hill kennt ihn als Mitstudenten, den Lehrer wie Schüler hassten. Auf „The SpinOff“, Neuseelands meinungsfreudiger Webseite für Politik und Pop-Kultur, plauderte sie jetzt aus dem Nähkästchen. Über ein Jahrzehnt lang hatte sie den gefährlichen Sprücheklopfer vergessen.
Der Groschen fiel, als sie den Film „Angry, White and American“ eines Kollegen vom Guardian sah, in dem Spencer seine rassistischen Thesen über eine „ethnische Säuberung der USA“ in die Kamera sprach.
„Einen Tag lang waren wir Freunde“, erinnert sich Hill. Denn Spencer war der einzige andere Angelsachse im Goethe-Kurs – charmant, eloquent, geschniegelt und gegelt. Der Doktorand der Duke Universität in North Carlonia sprach gutes Deutsch und half ihr mit der schweren Grammatik. Beim Abendessen – vietnamesisch – erzählte er ihr von den „Farmen“ seiner Familie in Lousiana – ehemalige Sklaven-Plantagen. Den minimalen Rest seines Essens ließ er sich zum Mitnehmen einpacken: „Er konnte sich nicht mal einen Toast machen, weil er zu vornehm zum Kochen war.“
Als bei Spencer ein Zimmer frei wurde, zog Julie Hill ein. Am Küchentisch zog er gegen Mexikaner in den USA und behaarte Berlinerinnen („Lesben oder nur Deutsche?“) vom Leder. Hill ging angewidert ins Bett. In der Nacht stand Spencer in Boxershorts in der Tür. „Hi“, sagte er erwartungsvoll. Sie: “Fuck off”. Ab dann wurde “Richie” ihr Feind: ein “Backpfeifengesicht”, das sie im Deutschkurs sogar einmal anschrie. „Spencer hatte etwas Tragisches“, so Hill. „Er wusste, dass er von uns allen abgelehnt wurde, aber schien das gewohnt zu sein.“ Eine Freundin fand er jahrelang nicht. Doch an Hills Geburtstag tauchte er zu einer Party in der „Wohnzimmer“-Bar mit einer großen, blonden Lettin auf. „Sie saßen da wie Ken und Barbie.“
Letztes Jahre wurde der Rechtsradikale in Washington auf einer Nationalisten-Konferenz begeistert mit dem Hitler-Gruß empfangen. Im Mai führte er die zündelnden Neonazis in Charlottesville an. Sein letzter Akt im Berliner Deutschunterricht war eine Rede, die er über Nietzsche halten wollte – aber alle gingen lieber raus, ein Bier trinken. Julie Hills pikante Enthüllungen wurden auch von der britischen Daily Mail und der Huffington Post aufgegriffen. Hat sie Angst vor Richies Reaktion? „Er ist solch ein Narziss – ihm gefällt das wahrscheinlich.“
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Wer an diesem Sonntag nach Neuseeland kommt, glaubt, es sei Silvester: Überall wird geböllert, dass es nur so kracht, denn es ist Guy-Fawkes-Nacht. Das alljährliche Feuerwerk am 5. November findet zu Ehren eines Terroristen statt, der im Jahre 1605 das britische House of Lords abfackeln wollte. Seitdem hat er einen Platz im Kalender, auch in den Kolonien. Warum, hat jahrhundertelang niemand in Frage gestellt. Denn mit Neuseelands ureigener Geschichte hat das herzlich wenig zu tun. Deshalb fordern immer mehr Kiwis: Wandelt das Raketenfest lieber in einen Feiertag um – und zwar für Parihaka.
Parihaka ist ein kleiner Ort im Westen der Nordinsel, im Schatten des schneebedeckten Mount Taranaki. Eigentlich sollte die ganze Welt diesen Namen kennen. So wie Stalingrad für Krieg steht, steht Parihaka für Frieden. Oder Frieden als Antwort auf Krieg. Denn am 5. November 1881 marschierten rund 1.600 bewaffnete Polizisten und ihre Helfer in das Dorf ein, in dem 2.000 Maori lebten. Sie vergewaltigten Frauen, verwüsteten Behausungen. Zuvor hatte man den Stammeshäuptling Te Whiti O Rongomai unter Druck gesetzt, sich mit der Konfiszierung von 150.000 Hektar Land abzufinden.
Doch Te Whiti wollte nicht weichen. Aber statt zu kämpfen, stellte er sich mit seinen Mannen der Staatsmacht friedlich entgegen. Das war revolutionär – der erste gewaltfreie Protest weltweit. Die Maori-Kinder boten den Kolonialisten sogar Brot an und sangen tapfer Lieder, während die Täter in Parihaka wüteten. Te Whiti und sein Kompagnon wurden verhaftet und ohne einen Prozess auf die Südinsel verbannt. Andere Männer wurden eingekerkert und leisteten schwerste Sträflingsarbeit. Die Mauern, die sie bauten, stehen noch immer.
Mahatma Gandhi hat der passive Widerstand in Parihaka nachweislich inspiriert. Strenggenommen stand damit nicht er, sondern das rebellische Maori-Dorf Pate für alle Sit-ins mit Gesang in Wackersdorf und die Montagsdemos vor dem Fall der Mauer. Aber weiß man das in Aotearoa, das bisher immer für seine kämpferischen Maori-Krieger bekannt war? Bis auf vereinzelte Gedenkfeiern, ein paar Bücher und Dokumentarfilme gibt es nichts, was offiziell an die antimilitaristischen Helden erinnert. Der alte Inder Gandhi steht sogar als Statue im Bahnhof der Hauptstadt Wellington. Häuptling Te Whiti O Rongomai aber nirgendwo.
Das wird sich ändern. Die Bewegung, den Guy-Fawkes-Tag zum Parihaka-Tag zu machen, nimmt jedes Jahr zu. Und vor ein paar Monaten gab es eine offizielle Entschuldigung des Staates im Namen der Queen für das Unrecht, das den Menschen in Parihaka damals angetan wurde.
Es flossen viele Tränen, denn für Maori sind die Urahnen immer präsent – ob 50 oder 500 Jahre später. Neun Millionen Dollar an Entschädigung werden an Te Whitis Nachfahren ausgezahlt. Davon kann man eine ganze Menge Böller kaufen.
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Zeitgleich mit Deutschland haben wir im Land der grünen Hoffnung gewählt, und genauso perplex sind wir jetzt. Die AfD hat es auch bei uns aufs Podium geschafft, nur heißt sie hier NZ First. Ist gleich: Winston Peters. Der Anführer der Rechten, die sich als Zentristen sehen, ist eine One-Man-Show mit Dauerpublikum – und Neuseelands Königsmacher. Ende dieser Woche, wenn die letzten Stimmen aus dem Ausland gezählt sind, will er sich endlich entscheiden, mit wem er ins Parlamentsbett steigt. Solange spielt er Diva.
Da Winston Peters das Zünglein an der Waage der neuen Regierungsbildung ist, becircen ihn zur Zeit gerade Labour- und National-Partei. Das grelle Rampenlicht nutzt der Populist jetzt, um die ach so bösen Medien zu verteufeln, die sich so gar nicht damit abfinden wollen, dass er ein xenophober Rassist ist. Da hilft auch nicht, dass er Maori ist und sogar mal neuseeländischer Außenminister war. Indigene Abstammung und internationales Parkett schützen eben nicht vor Ausländerhass. Oder genauer gesagt: Asiaten-Bashing.
Der Frauenheld und Sprücheklopfer, trinkfreudig und stets gut frisiert, legte schon einst bei der Wahl 1996 seine wahre Gesinnung bloß. Chinesische und koreanische Einwanderer bezeichnete er als „Asian Invasion“, die gelbe Flut. Neuseeland sei die „letzte asiatische Kolonie“ und bald „nicht mehr wiederzuerkennen“. Laufe man die Dominion Road in Auckland entlang, müsse man sich fragen, ob man nicht im Ausland gelandet sei – nur chinesische Lokale. Hallo, Pegida!
Peters ist zwar kein Freund anderer Kulturen, hat aber ein Herz für den „besten Freund des Menschen“. Hundezüchter, die Tiere nach Asien importieren, wo sie als Aphrodisiakum verspeist würden, nannte er „Monster“. Und gegen die „importierte kriminelle Aktivität“ von Einwanderern, die „Chaos“ im heilen Aotearoa erzeuge, forderte er eine Polizei-Spezialeinheit.
Als Winston Peters Neuseeland als Außenminister vertrat – nicht der ideale Job für Fremdenfeinde – da schwieg er, als sein damaliger Stellvertreter einer Parlamentarierin zurief: „Geh zurück nach Korea!“ Er schwieg auch, als ein anderer NZ-First-Abgeordneter gegen „frauenfeindliche Höhlenmenschen aus Wongistan“ wetterte. Er meinte Moslems.
Die Liste geht weiter, getopt durch Peters’ legendären Scherz „Two Wongs don’t make a white“ („zwei Schlitzaugen machen keinen Weißen“) – eine total lustige Verdrehung von „two wrongs don’t make a right“. Es ging dabei um den zunehmenden Landbesitz von Chinesen in Neuseeland. Die Journalisten, die nicht mitlachen konnten, waren in den Augen des Spitzenpolitikers „die politisch-korrekte Nazi-Polizei“. Quasi Lügenpresse.
Vorerst letzter Akt von Winston Peters, bevor er die neue Regierung mitbestimmen darf: Er will verhindern, dass Sikhs in seiner Heimat mit einem traditionellen Dolch herumlaufen können. Da hört für ihn Religionsfreiheit auf. Jetzt warten wir darauf, dass er eine Jagdhund-Krawatte trägt.
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Wahrscheinlich hat’s im deutschen Wahlkampf niemand mitbekommen, aber wir fuehren gerade auch einen. Ja, Zufaelle gibt’s: Wir waehlen sogar fast am selben Tag. Im Gegensatz zum Bratwurstland ist in Kiwi Country eigentlich schon klar, wer diesen Samstag gewinnen wird – wenn uns kein Schwein beisst, das Lippenstift traegt.
Aber keine voreiligen Prognosen. Denn was im August passierte, konnte auch niemand vorhersehen: Drei SpitzenpolitikerInnen verschwanden ploetzlich von der Buehne. Ein Erdrutsch mit Shitstorm, wie ihn das politisch eher schlaefrige Neuseeland noch nicht erlebt hat. Angefangen hatte es mit Meteria Turei an der Spitze der Gruenen.
Turei ist Maori-Vorzeigefrau mit untypischer Geschichte: ohne Schulabschluss, junge Alleinerziehende, Kuechenhilfe – aber brachte es zum vollendeten Jura-Studium. Ein „working class hero“. Im Juli beichtete sie dann ploetzlich eine Jugendsuende. Als sie in den 90ern Sozialhilfe kassierte, machte sie falsche Angaben ueber ihre Wohnsituation, um finanziell ueber die Runden zu kommen. Fuer viele wurde sie damit zur Maertyrerin.
Doch es kam noch was nach. Meteria Turei hatte sich damals auch unter einer falschen Adresse angemeldet, um den Wahlkreis zu wechseln. Das war dann selbst ihrer Partei zuviel. Tureis Schummel-Vita zwang sie zum Abtritt, die Gruenen sackten auf ein historisches Tief. Nebenbei schmiss Peter Dunne das Handtuch – mit 33 Dienstjahren Neuseelands zaehester Politiker und Kopf der Mini-Partei United Future.
Als das Wahl-Chaos fast perfekt war, ging die groesste Bombe hoch: Andrew Little, farbloser Spitzenkandidat der Labour-Partei, warf einen Blick auf die desastroesen Umfragen und haute anderthalb Monate vor der Wahl in den Sack. Und damit brach in Aotearoa „Jacindamania“ aus: Auftritt von Jacinda Ardern, gerade mal 37 und nebenbei DJ. Quasi ueber Nacht wurde sie das neue Fraeuleinwunder der Linken, wenn man sowas ueberhaupt noch sagen darf.
Was man ganz sicher nicht sagen oder stellen sollte, ist die Baby-Frage. Als Ardern in ihrem ersten TV-Interview von einem altbackenen Moderator gefragt wurde, ob sie vielleicht im Amt schwanger werden koennte, kanzelte sie den Mann so souveraen ab, dass ihre alle Frauenherzen zuflogen. Ploetzlich wurde der tranige Wahlkampf wieder sexy. Arderns Freund gab ein spassiges Radio-Interview mit Rollenverteilung, in dem er sich den typischen Fragen an Politikergattinnen zu Hobbys und Frisoer stellte.
Jeder Hype hat seinen Spielverderber: Gareth Morgan, philantropischer Millionaer, der mit seiner pragmatischen Opportunities Party den Gruenen ernsthaft Konkurrenz macht, erlaubte sich einen Faux-Pas. Jacinda Ardern sei nichts anderes als „lipstick on a pig“: das rostige Schiff Labour mit hellem Anstrich, aber dennoch morsch. Auf deutsch haette man es „Zuckerguss auf der Scheisse“ genannt, was fuer Gareth Morgan besser gewesen waere. Jetzt steht er wegen des Lippenstift-Bonmots als Sexist da.
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Seit letzter Woche hängen die Fahnen auf Halbmast. Wir trauern um John Clarke, den es mit 68 Jahren dahingerafft hat. Den Namen hatte ich bis dahin auch noch nicht gehört, aber den seines berühmten Alter Egos Fred Dagg schon kurz nach der Einwanderung. Eine bessere Einbürgerungshilfe kann man sich als kiwikulturferner Mensch gar nicht wünschen. Fred Dagg war für Neuseeland, was Monty Python für England und Loriot für Deutschland waren: feinste Satire, frisch von der Schafweide.
Farmer Fred stapfte meistens in Gummistiefeln durchs Gras. Es waren die 70er, er trug lange Haare unterm Anglerhütchen, eine Kippe in der Hand und stets ein ärmelloses schwarzes T-Shirt. Sein Dorf hieß Taihape und all seine sieben Söhne, die er mit einer „good old Sheila“ gezeugt hatte, hießen Trevor. Gefühle für seine Frau raunte er lieber Richtung Abendhimmel: „Is’n verdammt schöner Sonnenuntergang!“; und wenn das Telefon klingelte, folgerte er blitzgescheit: „Muss das Telefon sein!“ Ein Held vom Lande.
Fred Dagg verkörperte die kiwianische Volksseele in all ihrer hinterwäldlerischen und rebellischen Verschrobenheit – lakonisch, selbstironisch und liebevoll. Er schrieb Humor-Geschichte, als es außer Billy T kaum ernstzunehmende Komiker „down under“ gab und im In- wie Ausland der oft zitierte Spruch kursierte: „Neuseeländische Comedy ist ein Oxymoron.“
Dabei hatte es Schauspielerin und Psychologin Pamela Stephenson in den 80ern nach Hollywood geschafft und glänzte dort bei „Saturday Night Live“ als erste Frau, die nicht in Amerika geboren war. Auch John Clarke, der schlaue Kopf unter Fred Daggs Bauernmähne, verließ das Land der Schafe und setzte sich nach Melbourne ab. Beim Radiosender ABC wurde er bald gefeuert, weil er „zu satirisch“ war. Aber auch im Land der Kängurus hinterließ er grandiose Schlammspuren als politischer Verarscher in Film und Fernsehen.
Jetzt, wo John Clarke tot ist, stellen alle noch mal fest, wie sehr sie ihren Fred Dagg geliebt haben. Hätte man es ihm zu Lebzeiten öfter sagen sollen? Das antipodische „tall poppy“-Syndrom verbietet überschwängliches Lob – wer zu hoch hinauswächst, wird schnell abgesägt. Immer schön auf dem Boden bleiben. Hauptsache egalitär, nicht elitär. Das bekamen auch „Flight of the Conchords“ zu spüren, die Kiwi-Comedy auf Weltniveau produzieren. In der Heimat konnten die beiden Musiker nicht so recht landen, also setzten sie sich erst nach Edinburgh und dann New York ab.
Der Rest ist Geschichte: Eine eigene HBO-Serie, ein Grammy, ein Oscar – FOTC sind der beste Export aus Aotearoa seit Jahrzehnten. Daheim verschmäht zu werden hat der Karriere des Duos enorm geholfen. Das sollte aber bitte kein Ansporn sein, weiterhin Talente klein zu halten. Nächste Woche startet das New Zealand International Comedy Festival. Im Programm auch die „Beste Comedy-Show auf Erden“ – endlich mal unbescheiden. Fred Dagg bekommt echte Nachfolger. Sicher alles Trevors.
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Die Welt hat den Kiwis viel zu verdanken: das erste Wahlrecht für Frauen, Bungy-Springer und die Pavlova-Baiser-Torte. Aber als Trendsetter galt mein kleines Völkchen am untersten Rand des Globus‘ bisher eher nicht. Meistens hinken wir Jahre hinterher. Alter Scherz: „What’s the time in New Zealand?“ – „Still 1995“. Doch jetzt setzen wir Weltrekorde: Erstmals wurde hier ein Fluss zur juristischen Person benannt.
Der Whanganui auf der Nordinsel ist der drittlängste Fluss Neuseelands. Von den Maori wird er Te Awa Tupua genannt und tief verehrt. Was war passiert? War jemand in ihm ertrunken und wird er dafür nun verklagt? Kann alles noch passieren, inklusive Schmerzensgeld, denn der Fluss ist jetzt reich. Letzte Woche stufte ihn das Parlament in Wellington als lebende Einheit ein, „mit allen dazugehörigen Rechten und Pflichten“. Das gab’s noch nirgendwo. Indien zog darauf gleich nach und gab – angelehnt an unser Vorbild – den Flüssen Ganges und Yamuna menschlichen Status.
Zum Whanganui gibt es eine tiefe spirituelle Verbindung. Jeder Baum, jeder Berg, jeder See ist für einen Maori genauso wichtig und lebendig wie ein Mensch. Ein bekanntes Sprichwort der Maori, und davon gibt es viele, heißt: „Ich bin der Fluss und der Fluss bin ich.“ Im Wasser tummelt sich außerdem gerne der taniwha – ein Geist, mit dem nicht zu spaßen ist. Aber nicht übernatürliche Kräfte waren bei dem historischen Sieg im Spiel, sondern vor allem teuer bezahlte Anwälte.
Seit 170 Jahren kämpft ein Stamm der Ureinwohner bereits um seine Rechte an dem heiligen Fluss. Es ist der längste Rechtstreit in der Geschichte des Landes – alles im Rahmen der Wiedergutmachungen unter dem „Treaty“, dem Vertrag von Waitangi, der indigene Kultur, Rechte und Landbesitz schützen soll. 80 Millionen Neuseeland-Dollar (über 52 Millionen Euro) bekam der Stamm als Entschädigung, dazu 30 Millionen, um den Fluss wieder flott zu machen. Und noch eine Million für die juristische Abwicklung des Ganzen.
Für Kiwi-Rednecks ist das „politisch-korrekter Wahnsinn“ und rausgeworfenes Steuergeld. Viele der Meckerer sind jedoch genau die Milchbauern, deren Abertausende von Kühen die einst so klaren Flüsse entlang ihrer Weiden mit Gülle verseuchen. Dem Whanganui, der jetzt zumindest auf dem Papier und vor Gericht ein eigenes Leben hat, stehen etliche andere gegenüber, die bald tot sind: voller Algenschleim und Koli-Bakterien. „Clean and green“ – dieses Image hat die Agrarnation sich Kuhfladen um Kuhfladen ruiniert.
Wasser hatte die konservative Regierung bislang „nicht auf dem Radar“ – so drückte es die stellvertretende Premierministerin Paula Bennett letzte Woche aus. Sie meinte jedoch nicht die sterbenden Flüsse, sondern eine Firma aus China: Die will in Zukunft pro Tag fünf Millionen Liter Wasser bei uns abzapfen – umsonst. Denn Wasser ist hier so frei zu haben wie Luft zum Atmen. Das könnte sich bald ändern. Vielleicht redet der Whanganui da ein Wörtchen mit.
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Diese paranoiden Superreichen! Erst bauen sie sich Bunker in ihren Luxusvillen in Florida oder Palm Springs, im Falle eines Armageddon. Dort sitzen sie im klimatisierten Privatkino mit Alufolie um den Kopf und Panik-Knopf in der Hand, fürchten den totalen Zusammenbruch und gucken zur Ablenkung „Herr der Ringe“. Dabei fällt der Cent: In Mittelerde, da ist die Welt noch in Ordnung.
Noch nie vorher von gehört, von dieser grünen Insel hinter Australien, außer bei John Oliver. Aber Forellen angeln kann man da, und der Chardonnay ist ganz passabel. Immobilien mit eigenem Wasser und lebendem Frischfleisch in Form von Schafen – das klingt nach guter „doomsday prep“, der Vorbereitung des Ernstfalles. Dazu freundliche Eingeborene. Heile, heile Hobbit! So kommt es, dass der schönste Arsch der Welt von Wall Street bis Silicon Valley plötzlich ein hochkarätiges Fluchtziel geworden ist.
Multimilliardär Peter Thiel, der aus Deutschland stammende IT-Unternehmer und Business-Freund von Donald Trump, wirbelt seit zwei Wochen die Politik mit seinem Neuseeland-Exil auf. Ob Bloomberg oder Financial Times: Alle berichteten, dass der 49jährige sich für fast 10 Millionen Euro als kleines Rettungsboot ein 193 Hektar großes Anwesen am Wanaka-See auf der Südinsel gegönnt hat. Um Aotearoa vor dem internationalen Ausverkauf zu bewahren, darf man das als Ausländer eigentlich nur mit besonderer Genehmigung.
Was jedoch viel spektakulärer ist und erst jetzt ans Licht kam: Das sagenumwobenen Tech-Wunderkind Thiel – Mitgründer von PayPal und früher Facebook-Finanzier – konnte alle bürokratischen Hürden down under überspringen, da er überraschenderweise als einer von 92 gutbetuchten Investoren 2011 die neuseeländische Staatsbürgerschaft bekam. Überreicht im Konsulat in Santa Monica. Das geht aus einem 149-Seiten-Dokument aus Wellington hervor.
Die egalitären Kiwis erbost daran, dass sich Thiel in den fünf Jahren zuvor nur ein paar Mal in seiner neuen Wahlheimat aufgehalten hat. Eigentlich muss man 70 Prozent seiner Zeit dort verbringen, um „citizen“ zu werden. Dafür investierte er in einen Venture Capital Fonds, mit dem er dick abkassierte, und spendete eine Million nach dem Erdbeben in Christchurch. Riecht nach gekauftem Pass. „Ich betone gerne, dass ich kein anderes Land gefunden habe, das mehr im Einklang mit meinen Zukunftsvorstellungen ist als Neuseeland“, erklärte er gestelzt. Seltsam, dass er das bei all der Liebe sechs Jahre lang still für sich behielt. Weil es im Weißen Haus nicht gut ankommt?
Ein xenophobischer Kolumnist rief letzte Woche zum Mob-Angriff auf die betuchten Eskapisten aus Übersee auf: „Explosionen auf euren Super-Yachten“, drohte er, „ein Brandanschlag in eurem kleinen 16-Zimmer-Versteck“, vielleicht gar ein Kidnapping – niemand Neues könne sich hier im Lande unter nur vier Millionen Einwohnern verstecken. Hoffentlich kennt Peter Thiel die Zeile aus dem alten Eagles-Song: Call some place paradise – kiss it goodbye.
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Neuseeland ist berühmt für seine Maori, und die sind wiederum berühmt für ihren Haka: das laute Kriegsgebrüll mit Augenrollen und Schenkelklopfen, das vor jedem Rugby-Spiel und auch bei staatstragenden Festivitäten aufgeführt wird. Auch die taz-Redaktion in Berlin versteigt sich auf ihren Jubiläumspartys gerne mal dazu.
Wie kann man diese originellen Töne überall auf der Welt hören, am besten im Büro? Indem man einen Haka-Stift verschenkt, der auf Knopfdruck “kau mate, kau mate” schmettert. Nach Possumfell-Nippelwärmern mit Abstand das originellste Souvenir aus Aotearoa.
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Advent geht bei uns anders. Kein Nikolaus, keine Plätzchen oder Oratorien – dafür pausenlos Sekt und Partylaune. Es ist Hochsommer. Man verkleidet sich gerne mit Rentiergeweih und Tannenbaum-Ohrschmuck, dazu „Jingle Bells“ in der Endlosschleife. „Kiwi Christmas“ wird nicht mit Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt eingeläutet, sondern mit einer Art Karnevalsumzug: Anfang Dezember findet die jährliche „Santa Parade“ statt. In Christchurch wurde sie in diesmal zum Show-down.
Seit 22 Jahren fährt dort in der Flottille aus Pappmaché-Kitsch stets ein Wagen voller Cowboys und Indianer mit. Fast so schön wie beim Rosenmontagszug; aber anders als in Köln und Mainz gibt es im bikulturellen Aotearoa deutlich mehr Befindlichkeiten, was die spaßige Ausschlachtung indigener Völker angeht. Wegen Federschmuck und Gesichtsbemalung geriet die Santa-Parade schon im Vorfeld unter Beschuss: Das sei „red facing“ und ebenso schlimm wie „black facing“.
Kulturelle Aneignung ist ein heißes Eisen im Land der Maori und Polynesier. Vor zwei Jahren büßte Neuseelands Modedesignerin Trelise Cooper fast ihren Skalp ein, als sie in einer Modenschau einen Indianer-Kopfschmuck als Accessoire verwendete. Richard Two Bears, ein Ureinwohner Amerikas, der vor 30 Jahren ins Land der langen weißen Wolke umzog, fand die Dekoration beleidigend. Im September musste Disney ein Kostüm aus dem Verkauf ziehen, das die polynesische Tätowierung der Figur „Maui“ aus dem frisch angelaufenen Zeichentrickfilm „Moana“ darstellt.
„Wenn sich weiße Amerikaner als Maori verkleiden würden, mit brauner Schminke im Gesicht und in traditionellem Kostüm, und irgendwo in den USA den Haka aufführten – das wäre absolut unangemessen, oder?“ So argumentiert Michelle Flores aus Christchurch gegen die Wigwam-Show auf Rädern. Die Veranstalter hielten dagegen, dass es sich bei der Kostümierung um den Ojibwe-Stamm in Buffalo drehe, dessen Segen man schon vor Jahren persönlich eingeholt habe. Es gab sogar einen Federschmuck als Geschenk.
Flores‘ Anhänger bombardierten daraufhin die Paraden-Veranstalter mit Emails: Im Zeichen der Solidarität mit den Demonstranten in Standing Rock in Dakota sei diese Zurschaustellung besonders schmerzhaft. Es ging auch um die Detailfrage, ob Stirnbänder politisch korrekt seien. Die hätte man nur in Western benutzt, damit den Stuntmännern nicht die Langhaarperücken vom Haupt rutschen. Warum nicht gleich die Kuhhirten der Prärie mit britischen Kolonialisten ersetzen, und die amerikanischen Ureinwohner mit Maori?
„Der Wagen fährt raus!“, hieß die Gegen-Kampfansage. „Wer das nicht mag, soll nicht hingehen.“ 20 Kinder seien untröstlich, wenn ihr Vehikel dieses Jahr nicht im Umzug dabei sein könne. Der Wagen fuhr zwar raus, aber anders als gedacht: Vorne ein Tipi, dahinter Cowboys, aber kein einziger Indianer. Ein Verteidiger der Rothaut-Fraktion hatte nämlich angedroht, den Wagen in Brand zu setzen. Das nahm man schließlich ernst. Mit Pfeil und Bogen ist nicht zu spaßen.
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Neuseeland hat wieder ein Erdbeben hinter sich. Ich bin diesmal nur gerührt und nicht geschüttelt. Denn es hat nicht Christchurch erwischt, sondern nur einen kleinen Küstenort, der von Walen und Touristen lebt. Gerührt bin ich auch, weil trotz der Katastrophe die Trump-Flüchtlinge aus Amerika unsere „shaky isles“ als Zufluchtsort wählen. Es ist leider Zeit, sie zu warnen. Aber nicht vor Seismischem, sondern vor Sexisten.
Kaum war Donald Trump im Cowboy-Sattel, da hatte die „Immigration New Zealand”-Webseite innerhalb von 24 Stunden 56.300 Besucher aus Amerika – normal sind 2300 pro Tag. Einer davon muss Richard Dawkins gewesen sein. Der Evolutionsbiologe klagte kurz darauf im „Scientific American“, dass es mit der Wissenschaft der beiden größten englischsprachigen Nationen dank Brexit und US-Wahl bergab ginge. Eine neue geistige Heimat für die intellektuellen Opfer müsse her. „Dear New Zealand,“ schrieb der Autor von ‚Der Gotteswahn‘, „du bist ein zutiefst zivilisiertes kleines Land, mit wenig Einwohnern auf zwei schönen, weiträumigen Inseln. Du sorgst dich um den Klimawandel, die Zukunft der Erde und andere wichtige wissenschaftlichen Themen.“
Es ist selten, dass „zutiefst zivilisiert“ und „Neuseeland“ im gleichen Satz vorkommen. Aber wer will schon den Liebesbriefschreiber bremsen, der sich unsere bescheidene Agrarnation als „Athen der modernen Welt“ wünscht? Die Vorstellung, dass wir die Hoffnung für hochkarätige Trump-Hasser sind, schmeichelt. Die Frage stellt sich nur, ob es etablierte Forscher und Denker sind, denen das flüchtlingsresistente Neuseeland Asyl bieten sollte. Kommen vor all den alten weißen Männern, die sich mit ihren Preisen und Uni-Gehältern überall auf der Welt niederlassen können, nicht erst mal Syrer dran?
„Die einzige Verfolgung, der Dawkins ausgesetzt ist, ist das Augenrollen von Frauen über seine sexistischen Witze – und Moslems, die er angegriffen hat“, lautet die Antwort von Andrew Paul Wood, einem der raren Intellektuellen im Land der Schafe. „Außerdem sind unsere unterfinanzierten Institute nicht besonders attraktiv.“ Was Richard Dawkins auch kaum ahnt: Neuseeland hat auf seinen schönen Inseln prominente Arschgesichter von trumpschem Format. Die warfen in den letzten Wochen so ungeniert mit „locker room“-Sprüchen um sich, dass frau sich auch gerne sicheres Neuland gesucht hätte.
Zuerst TV-Ikone Paul Henry, der Ulrich Wickert der Nation. Der ließ sich im Zuge eines Interviews mehrfach über die „titties“ einer Frau aus, die voll bekleidet am Nebentisch saß. Dann Max Key, der Sohn des Premierministers. In einem Video, das er ins Netz stellte, ruft er einem Radfahrer hinterher: „Echte Männer reiten Frauen!“ Und zu guter Letzt Bischof Brian Tamaki von der „Destiny Church“. Der schiebt das jüngste Erdbeben als Rache Gottes auf „Schwule, Mörder und andere Sünder“. Da fehlt Leonard Cohen umso mehr. Der hatte schon längst Asyl bei uns – und gab in Auckland sein letztes Konzert.
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Wie weiß man, dass man im ruhigsten Land der Welt lebt, das weder von Krisen noch Anschlägen gebeutelt wird? Wo die Welt noch so heile ist, dass sich Abscheu und Empörung in Dimensionen entfalten, von denen Europa nur träumen kann? Wenn der Premierminister persönlich Stellung zum Liebesleben eines der größten Sportler nimmt.
Aaron Smith ist Rugby-Star der All Blacks und wahrscheinlich der beste „Halfback“ der Welt. Und damit Halbgott in Neuseeland. Er ist Maori und sieht ziemlich gut aus, wenn er nicht gerade seinen Mundschutz unter der Oberlippe trägt. Sein Tinder-Profil besagt: „Komme weit her aus dem alten kleinen Neuseeland! 27 Jahre jung. Bodenständiger Typ. Mag’s locker, mit Spaß. Liebe Sport und alles im Freien.“
Mit dieser Selbstbeschreibung versuchte er vor zwei Jahren unter anderem eine Studentin in Schottland zu becircen, die dann aber das Tinder-Treffen im Hotel absagte, als sie erfuhr, dass der Ball-Profi nur 1,71 Meter groß ist. Solche Details wissen wir seitdem. Auch, dass er mal was mit einer Stripperin hatte. Wir wissen also weit mehr von Aaron Smith, als wir wissen sollten. Seit zwei Wochen wissen wir nun auch, dass er Behindertentoiletten nicht nur zum Pinkeln aufsucht. Diese Nachricht hat das alte kleine Neuseeland noch immer nicht ganz verdaut.
Es geschah an einem Sonntag um zwei Uhr mittags am Flughafen in Christchurch. Aaron Smith, in der Ausgehtracht der Nationalmannschaft – kariertes weißes Hemd, schwarze Hose – verschwindet auf der Behindertentoilette. Nicht alleine, sondern mit einer attraktiven fremden Frau. Die nächsten fünf bis zehn Minuten lang hört man von drinnen Geräusche, die nicht nach Wasserlassen oder Händewaschen klingen. Vor der Tür steht ein Ehepaar mit Kind, das diesen Vorfall mit dem Handy festhält – im Sinne der Aufklärung der Öffentlichkeit. Und um Kinder in Zukunft vor sowas zu schützen.
Laut der Augenzeugen kam der Sportler aus dem Klo und stopfte sich dabei das gesponserte Hemd in die Hose. Kurz danach kam seine Begleiterin heraus. Sie wird als „female friend“ bezeichnet. Seine feste Freundin war zuhause. Aaron Smith setzte sich in der Abflughalle zu seiner Mannschaft, als sei nichts gewesen. Als er bald darauf mit dem Team in Südafrika landete, wusste bereits das ganze Land von seinem Fehltritt. Er musste öffentlich Abbitte leisten und wurde für ein Spiel gesperrt.
So weit, so skandalös. Nicht nur jeder Kolumnist und Sportkommentator, der Flughafen Christchurch und Sponsor Adidas hatten ihren Senf dazugegeben. Selbst Premierminister John Key hielt es für nötig, den Klo-Kopulierer väterlich zu schelten: Von der Rugby-Mannschaft sei man anderes gewohnt und Smith als „role model“ daher eine Enttäuschung. Erst nach einer Woche kam eine Anwältin zu Wort. Smith habe demnach jedes Recht, sowohl die Medien wie das Pseudo-Paparazzi-Pärchen zu verklagen, die seine Intimsphäre verletzt haben. Wir warten noch auf eine Rüge der Behindertenverbände.
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Endlich in Northland! Meine Recherchereise zu den Maori im hohen Norden beginnt in den Ngawha Pools. Das ist ein Heilbad unter freiem Himmel, rudimentär aus dem nackten Boden gestampft, so gar nicht Baden-Baden. Keine Duschen, nur vier Dollar Eintritt, ein Gefängnis liegt um die Ecke. In dieser urigen Einrichtung treffen sich die schweren Jungs aus dem benachbarten Kaikohe, wo Autowracks in den Vorgärten rosten. Der jährliche Höhepunkt in dieser Gegend ist ein Rennen mit Schrottwagen.
„Lass uns dort um halb zehn Uhr abends treffen“, schlägt mir Hone Mihaka vor. Zum Interview? Die Pools schließen um neun. „Ich habe einen Schlüssel“, simst mir Hone zurück. Er ist Häuptling vom Stamme Ngapuhi. Ein moderner Führer, mit Facebook-Seite und Videokonferenzen. Früher war er mal Gangster. Jetzt ist er ein Star. Der 52-Jährige ist das Aushängeschild des neuseeländischen Ethno-Tourismus, tritt auf Messen in Europa auf und nimmt Kreuzfahrtpassagiere auf seine Paddeltouren im waka, dem originalgeschnitzten Maori-Kanu, mit – in voller Kriegerkluft.
Es ist 21.30 Uhr. Die alten Damen, die die Pools betreiben, haben bereits gewischt und abgeschlossen. Hone Mihaka – klein, stämmig und tätowiert, die grauen Haare fest zum Pferdeschwanz gebunden – steigt vor den Pools aus einem Geländewagen. Von wegen „Schlüssel“.
Der Häuptling winkt mir, linst nach links und nach rechts, dann schlüpfen wir durch den Zaun. Der ist aus ausgedienten Toastbrot-Backformen gezimmert, die rosten nicht. Andere Gestalten folgen im Dunkeln. Hone ist in Sekundenschnelle im Wasser. Wir tunken ein in die pechschwarze, warme Schwefelbrühe. Über uns scheint der Vollmond.
Das Gesicht meines Gegenübers kann ich im Dampf kaum erkennen. Hone redet. Und redet. Es geht auf Mitternacht zu, aber sein Monolog rattert weiter. Das große Maori-Abc. Seine mit Albatrosknochen gestanzten Tattoos, moko genannt, sind keine Dekoration. „Das ist eine eigene Sprache“, sagt er. Jedes Wort spuckt er wie einen Pfeil aus. „Sie lebt durch mich. Wir Maori hatten schon immer eine Schrift, bevor ihr Europäer mit euren Buchstaben ankamt!
Ich will Häuptling Hone hier nicht entzaubern, aber die Streifen und Kringel auf Stirn, Kinn und Nase hat er sich voriges Jahr vor zahlenden Gästen stechen lassen, als Show in einem Hotel in Amsterdam. Auch Richard Branson war angeblich dabei.
„Mein Produkt“, sagt er mehrmals stolz. Er lehnt sich zufrieden zurück an den Beckenrand. Ich glaube, er hält Hof. Hone redet laut, die Gestalten im Nachbarpool schauen rüber. Er hat eindeutig mana– Aura und Ansehen. Lässt er mich vielleicht das moko auf seinem Rücken sehen? Es stellt den nördlichen Zipfel von Aotearoa da. Dort befinden wir uns gerade.
Doch der Häuptling ist zu träge. Oder man bittet ihn nicht einfach. Anstatt sich umzudrehen, winkt er ab: „Kann man sich alles im Internet angucken!“ Zum Abschied gibt’s immerhin einen Nasenkuss. Der Schwefelgeruch hängt noch lange nach.
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Mitten in den beschaulichen deutschen Sommerferien möchte ich einmal kurz daran erinnern, wie übel es zur Zeit anderswo auf der Welt zugeht. Bei uns ist nämlich tiefster Winter. Das heißt: Heizdecken, aber keine Zentralheizung, tippen in fingerlosen Handschuhen und überall Ugg-Boots, hoch bis zu den Hüften. Sexy geht anders. Doch viel schlimmer wiegt: Wir warten immer noch auf Schnee.
Nach einem zu trockenen Herbst, der die Farmer zur Verzweiflung brachte, kam jetzt endlich die Wetterwarnung des Jahres: Schnee in Christchurch bis runter auf wenige Meter – und das, obwohl schon die ersten Narzissen sprießen! Ja Wahnsinn. Ab Freitag letzter Woche sollte endlich alles weiß und glatt werden. In anderen Ländern ist Schnee einfach nur Wetter. Hier jedoch heißt eine solche Hiobsbotschaft: Oh Grusel! Der Verkehr bricht unter den ersten zarten Flocken zusammen, denn Winterreifen sind unbekannt. Alles Leben kommt sofort zum Erliegen. Holzvorräte werden daher aufgestockt, Supermärkte hamstermäßig lehrgekauft und noch schnell eine Notration an Wollmützen gestrickt.
Die Kälte-Katastrophe lag also letzte Woche in der Luft, aber auch heimliche Vorfreude: Schneemänner, Skifahren, schulfrei! Am Freitag dann: Heftige Graupelschauer. Kein Schnee. Am Samstag: Strahlender Sonnenschein. Kein Schnee. Auf unserem Wochenmarkt fehlten die Hälfte der Stände, weil alle Angst vor dem Wettereinbruch hatten. Damit war das angedrohte Schneeschauer-Szenario auch schon wieder vorbei, die Kinder enttäuscht, aber das Drama noch lange nicht vom Tisch. Denn keine Nation der Welt, das schwöre ich, beschäftigt sich so intensiv mit den Naturgewalten wie die Kiwis. Ist ja auch sonst nicht viel los hier. Und Flüchtlinge haben wir kaum.
Aber dafür 200 Messstationen für gerade mal vier Millionen Leutchen. Vor den Abendnachrichten läuft auf dem Schirm bereits eine Wetternachricht durch. Nach einer halben Stunde ein kurzer Abriss über die Tagestemperaturen, dann die volle Meterologen-Message am Ende. Jeder Kiwi kann dir auch ohne Finger im Wind sagen, ob gerade ein „Southerly“ oder ein „Nor’wester“ bläst. Segler kennen die „Roaring Forties“. Und dann gibt es all die verschiedenen Spezialisten im Netz, die ganz gezielte Vorhersagen machen – für die Yachten, für die Bauern, für die Bergsteiger. Das ist wichtig in einer Agrarnation voller Outdoor-Fanatiker, die mal eben auf dem Sonntagsausflug einen Tausender erklimmen.
Aber daran allein liegt es nicht, dass das Wetter eine abendfüllende kiwianische Wissenschaft für sich ist. Egal, wie langweilig wir als Volk sind – unsere Geographie ist spannend. Denn Neuseeland streckt sich in der Mitte eines riesigen Ozeans lang, mit Alpen als Wetterscheide in der Mitte. Um uns herum toben Wind und Meer. Vom Norden kommt die feuchte Wärme des Äquators, vom Süden der eisige Polarhauch. Turbulenzen überall! Genug geprahlt für heute – Ugg-Boots aus und ab ins Bett, die Heizdecke glüht schon vor.
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Während Neuseeland tief im Südhalbkugel-Winterschlaf dämmert, schwappt eine Verbrechenswelle übers Land. Nein, nicht die 35 Pakete an Kokain, die in einer mit Diamanten besetzten Pferdekopf-Skulptur versteckt ins Land geschmuggelt wurden. Der größte Drogenfund in der Geschichte Neuseelands, erst vorletzte Woche passiert. Wir sind wie immer zwanzig Jahre hinterher. Oder schlimmer. Beginnen etwa jetzt erst die verkoksten Achziger down under? Mit Disco und Dauerwelle?
Was viel schwerer in der Kriminalitätsstatistik wiegt, und damit setzen wir weltweit endlich mal einen Trend, sind Avocados. Nicht zum Berauschen – da haben Kiwis ganz andere Gewächse – sondern als Diebesgut. Da die einheimische Ernte dieses Jahr so schlecht ausfiel, kosten manche Avocados umgerechnet vier Euro pro Stück. Davon kann man ganze Familien mit Fish’n Chips satt kriegen. Seit dem Preis-Wucher wird bestialisch geklaut. Nicht im Supermarkt, sondern direkt in den Plantagen, säckeweise. Am Straßenrand wird das grüne Gold dann verhökert.
Ein Foto ging daraufhin durch den Cyper-Space: Eine vermummte Frau aus Auckland vor einem kleinen Avocado-Baum. Sie hat ihn nicht geplündert, sondern gepflanzt. Das Bild ist das neueste Indiz in der Legende, an der seit zwei Jahren im Internet von einer gut gedüngten Spaßfraktion gebastelt wird: dass Gärtnern in Neuseeland streng verboten sei. Nicht Verschwörungstheoretiker sind daran schuld, sondern Reddit. „Mein Freund erzählte mir, dass es illegal sei, in Neuseeland einen Garten zu haben“, lautete dort eine ahnungslose Frage aus Übersee. „Kann es mir jemand erklären? Und bitte keine Hass-Mail, falls das jemanden beleidigt.“
Niemand war beleidigt. Im Gegenteil. Die Gelegenheit, etwas Besonderes zu sein, wollten sich Kiwis nicht entgehen lassen. Glaubt man da draußen in der weiten Welt auch, dass in Aotearoa Hobbits hausen? Und es zu Australien gehört? Den Schmerz über so viel Unkenntnis kann man nur in Stärke verwandeln. Die erste Antwort lautete daher: „Was ist ein Garten? Sorry, bin ein junger Kiwi und hab davon noch nie gehört.“ Dann: „Heilige Scheiße, hab’s gerade gegoogelt. So hübsch. Warum lernen wir darüber nichts in der Schule?”
Der oder die Nächste legte eine Lage Kompost drauf: „Darf man in anderen Ländern Gärten haben? Sind die nicht überall illegal?“ Die Saat ging auf. Seitdem liefern Reddit-Leser eine Story nach der anderen. Über heimlich im Wald angelegte Beete. Über Verhaftungen. Über Großvater, den alten Anarcho, der damals einfach Süßkartoffeln setzte. So lange und so unangefochten zog sich diese Diskussion dahin, dass erst kürzlich jemand in dem Forum entnervt fragte: „Ist das neuseeländische Anti-Garten-Gesetz wahr oder nicht? Ehrlich, ich hab’s satt. Kann mir jemand einfach mal die Wahrheit sagen.“ Die Wahrheit ist wie ein Avocado-Kern. Wenn die Frucht noch nicht reif ist, dann sitzt er fest.
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Alle reden von Donald Trump, aber niemand von John Key. Das ist Neuseelands konservativer Premierminister, manchmal auch „Donkey“ (Esel) genannt. Er beginnt seine Sätze gerne mit Plattitüden wie „At the end of the day“, die der Beschwichtigung und Verneblung dienen. Was Trump von sich gibt, ist krasser – jeder kennt die einschlägigen „Trumpisms“ über Frauen, Mexikaner, Moslems. In Neuseeland ist alles eine Nummer kleiner. Hier haben wir die Sprachkategorie „Keyisms“. Die klingen sanfter, haben aber auch brutale Konsequenzen.
Ein Key-ismus bedeutet, aalglatt genau das Gegenteil einer Tatsache zu behaupten, ohne dass die Verdrehung auffällt. „Wir haben die Sache eigentlich gut gemacht“, lobte sich John Key diese Woche. Was er am Montag vollbrachte, und was in all der Orlando-Trauer unterging: Key erhöhte die Flüchtlingsquote. Für eine Verdopplung trommeln hier seit letztem Jahr emsig Organisationen wie „Doing our bit“. Neuseeland, eines der sichersten und friedlichsten Länder der Welt, wo gerade mal ein Mensch auf 17 Quadratkilometer kommt, nimmt in Zukunft mehr Flüchtlinge auf. Es sind aber nur 250 mehr, von schlappen 750 pro Jahr auf 1000. Von wegen doppelt. Und das auch erst ab 2018.
Grant Bayldon, Vorsitzender von Amnesty International in Neuseeland, nannte Keys Entscheidung „absolut beschämend angesichts der größten humanitären Krise der Welt.“ Neuseeland sitzt im UN-Sicherheitsrat, aber seit dreißig Jahren wurde die Flüchtlingsquote in Neuseeland nicht erhöht. Wir stehen an schlapper 87. Stelle der Länder, die gemessen an ihrer Einwohnerzahl die meisten Flüchtlinge aufnehmen. Daran haben auch die früheren linken Staatsoberhäupter nichts geändert – wie Helen Clark, die sich gerade als Generalsekretärin für die UN zu profilieren versucht. John Key ist Sohn einer jüdischen Immigrantin aus Österreich, die vor Hitler ins gelobte Aotearoa flohen. Aber statt für Flüchtlingshilfe pumpt er lieber 20 Millionen Dollar seines Jahresbudgets ins Militär.
Immigrationsminister Michael Woodhouse begründete die Entscheidung damit, dass die syrischen Flüchtlinge weder Englisch sprechen noch Arbeit finden würden. Man müsse nur auf Australien schauen, die hätten „einiges zu erklären“, da sie dreimal so viele „refugees“ aufnehmen. Erklären müssen die Australier sich in der Tat. Dafür, dass sie „boat people“ in menschenunwürdigen Lagern auf Pazifik-Inseln wie Nauru unterbringen. Und sechs Millionen Dollar Steuergelder dafür ausgeben, einen Propaganda-Film voller Ertrinkender und Hoffnungsloser namens „The Journey“ (Die Reise) zu drehen. Der wurde bereits in Afghanistan gezeigt und dient allein dem Zweck, potentielle Asylbewerber abzuschrecken.
Nicht nur seine erbärmliche Flüchtlingsquote hat Neuseeland dem großen Nachbarn voraus: Aotearoa ist das einzige westliche Land, in das man weder auf dem Land- noch dem Seeweg illegal hineinkommt. Das freut viele Kiwis. Volkes Stimme ist in allen Umfragen eindeutig: Refugees? Bitte draußen bleiben und lieber ertrinken.
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Es wird dunkler bei uns im Land der langen weißen Wolke – nicht nur, weil es in Neuseeland langsam Winter wird. Der Trend zum Verbieten, Kontrollieren und Abschaffen geht unaufhaltsam weiter. Mit Inspektor Hundekacke allein, von dem ich bereits berichtete, ist es nicht getan. Jetzt sind auch die letzten Freiheiten down under in Gefahr. Droht uns der Polizeistaat mit Männern in Pluderhosen?
Meine Lieblingshauptstadt Wellington hat sich gerade von seiner schlechtesten Seite gezeigt. Die Stadtverwaltung hat vor, dort in Zukunft das Betteln zu verbieten. In Wellington ist das ein reger Geschäftszweig, weil dort landesweit am großzügigsten in die Hüte geworfen wird. Wie gesagt, ein sympathisches Pflaster. Eine Studie hatte jedoch im letzten Jahr ergeben, dass drei Viertel der Städter dagegen sind. Die Erkenntnis hat 50.000 Dollar gekostet. Zwei Jahre zuvor hatte sich ein Think-Tank ein karitatives Projekt ausgedacht, um die Bettel-Spenden lieber in Sinnvolleres umzumünzen. Diese Aktion hat 30.000 Dollar verschlungen.
Da fragen sich einige Bürger zu Recht, warum Bettler vertrieben werden, aber Pitbulls nicht. Diese lebenden Nahkampfwaffen werden nach diversen Attacken gerade zum Reizthema. Genauso wie die bunt besprühten „Wicked“-Campervans, in denen Backpacker durch die Lande fahren. Wegen ihrer sexistischen Sprüche („ein Blow-Job am Tag ist besser als ein Apfel“) ist die Mietwagenfirma seit Jahren unter Beschuss. In Australien mussten bereits die übelsten Slogans entfernt werden. In Neuseeland taucht „Wicked“ zum Glück nicht mehr auf den Webseiten vom „Lonely Planet“ und der Naturschutzbehörde DOC auf. Und die Regierung heckt gerade einen Bann der „Wicked“-Busse aus.
Das Beste, was in Aotearoa je verbannt wurde, war die Atomkraft. Doch was sind Reaktoren, Bettler, und Pitbulls gegen das Anstößigste an sich, das es aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu entfernen gilt? Es beißt nicht, manchmal bettelt es jedoch. Es wölbt und beult sich, es zeichnet sich ab. Es sitzt bei Männern zwischen den Beinen, bedeckt und gezäumt von engem, schwarzen Lycra. Sowas kann man seinen Gästen beim Frühstück nicht zumuten, entschied ein Hotelbesitzer im ländlichen Kaff Rangiora. Er verbietet in seinem historischen Plough Hotel Radlershorts.
Fussballschuhe, Flipflops, schlammige Stiefel – „alles ok“, schreibt der Hotelier in Kreide auf einer Tafel am Eingang. Yogahosen und Leggins – „schau besser in den Spiegel“. Enge Sport-Shorts dagegen? Nicht okay. Das „Castle Rock“ Café in Christchurch hatte schon 2013 mit dem Krieg gegen Männer in Lycra begonnen. Vor allem Kindern könne so viel anatomische Information schaden, hieß es damals. Wer glaubt, das alles sei ein Minderheitenproblem, irrt. Denn kein anderes Land der Welt ist so freizeitsportbesessen wie Neuseeland. In jeder Garage steht ein Mountainbike, ein Kajak, ein Surfbrett. Man verbietet einem Schotten doch auch nicht seinen Rock – mit allem, was frei darunter baumelt!
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Draußen in der Welt toben Kriege. Doch bei uns gibt es zurzeit nur eine Schlacht. Die geht um die Milch. Nein, nicht die berechtigte Frage, ob die übermächtige neuseeländische Milchwirtschaft weiter Flüsse und Seen verpesten darf. Es geht um Explosiveres. Und noch nie war ich dem Schützengraben als Möchtegern-Kriegsreporterin so nah. Denn das Laktose-Dramolett spielt sich quasi vor meiner Tür ab, in der „Lyttelton Coffee Company“.
„LCC“ ist das coole Szene-Café in meinem Wohnort, in dem die Musik für meine alten Ohren definitiv zu laut ist. Aber der größte Affront für manche Besucher ist der hingekritzelte Zettel am Tresen: „Don’t do trim eh“. „Trim“ ist die Abkürzung für fettarme Milch und „eh“ ist ein unübersetzbarer Kiwi-Laut. Der soll der Belehrung, nicht kalorienarm zu trinken, Lässigkeit verleihen. Darunter noch eine Zeile: „Your fooling ya self anyway“. Man betrüge sich eh nur selbst. Eh.
So begann „Trimgate“. Der eigentliche Skandal ist zwar die katastrophale Rechtschreibung, aber nicht für meine Mit-Kiwis. Kunde König stieß auf, dass das Café aus Prinzip nur Vollfett- statt Magermilch zum Kaffee anbietet. Nachdem die Lokalpresse das Thema aufgriff, wurde der Sturm in der Latte-Tasse viral. Ein Glaubenskrieg begann, der das ganze Land mitriss: Nur Banausen und Idioten würden fettfrei ordern, denn kein Kaffee schmecke damit, behaupteten die Kenner. Auch Baristas schlugen zurück: Wer einen guten Kaffee zapfen kann, schaffe das selbst mit Sojaplörre. Das Wort „coffee Nazi“ fiel. Als die Milch überschäumte, griff die Online-Postille Vice den Kaffee-Krieg aus Aotearoa auf. Und das Fernsehen war live vor Ort.
LCC-Betreiber Stephen Mateer, der seine Bohnen selber röstet und die Bio-Milch direkt vom Bauern bezieht, will mit seiner Haltung vor allem Plastikflaschenmüll vermeiden. Magermilch sei außerdem ein minderwertiges Lebensmittel. In Lyttelton spalten sich jetzt die Fronten. LCC-Fans bekennen ihre Solidarität. Eine stillende Mutter ließ sich im Café ablichten, stellte das Bild auf Facebook und verkündete: „Don’t do trim either“: Bei ihr gibt’s auch nur Vollfett. Babys auf den Barrikaden – es wird ernst!
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Wir haben Down Under einiges durchgemacht im letzten Jahr. Höhen wie die Rugby-Weltmeisterschaft (die All Blacks gewannen) und Tiefen wie die Vorauswahl einer neuen Flagge (das langweiligste Motiv gewann), vom pferdeschwanzgrabschenden Premierminister ganz zu schweigen. Aber was die Kiwis bis ins Mark erschütterte, kam weder aus Sport noch Politik, sondern aus der Küche. Die Kulturgeschichte Neuseelands muss umgeschrieben werden. Ein kulinarisches Nationalheiligtum ist gestürzt. Die Pavlova ist in Wahrheit Ausländerin!
Pavlova ist eine Baiser-Torte, die mit Schlagsahne zugekleistert und mit allerlei Obst garniert wird und keinesfalls beim Christmas Lunchfehlen darf. Schmeckt absolut köstlich, was man nicht von allen neuseeländischen Spezialitäten behaupten kann, soweit diese je den Weg über die Fish-and-Chips-Bude hinaus gefunden haben (ich warne hiermit erneut vor frittierten Hotdogs). Pavlova bedeutet Down Under so etwas wie die Schwarzwälder Kirschtorte für Deutschland, wobei ich damit bewusst Australien mit einschließe. Denn beide Länder streiten seit Anbeginn darum, wer nun diesen sensationellen Nachtisch erfunden hat.
Bisher galt als gesichert, dass der erste „Pavlova Cake“ 1929 in Neuseeland erfunden wurde – benannt nach der russischen Ballerina Anna Pavlova. Doch „Doc and The Frock“, wie sich das Investigativ-Team nennt, haben nach der Auswertung von 1.024 Pavlova-Rezepten ans Licht gebracht, dass schon in den Jahren vor 1929 weltweit 150 ähnliche Schaumtorten mit Obst und Sahne serviert wurden. Vor allem in Deutschland. Die Habsburger hatten bereits lange vor Anna Pavlovas Ruhm die Spanische Windtorte kreiert, die der heutigen Pavlova ähnelt. Durch deutsche Immigranten kam das Wunderwerk nach Amerika. Die ersten Überseefrachter brachten es später in die Küstenorte Aotearoas, wo der Mythos seinen Lauf nahm.
Weitere erstaunliche Fakten, die der Öffentlichkeit erst jetzt aufgetischt wurden: Nach 1900 wurde die Baisertorte plötzlich zum Phänomen auf allen Bridge-Partys. Warum nur? Dr. Wood hat es herausgefunden. „Weil dann der Dover-Handmixer erfunden wurde.“ Bis dahin hatten Hausfrauen und Köche sich stundenlang abgemüht, den Eischnee zu sanfter Steife zu schlagen. Annabelle Utrecht, die andere Forscherin, kochte ein Rezept des 19. Jahrhunderts nach, bei dem zwei zusammengebundene Gabeln als Rührer dienten. „Ich weinte fast nach 45 Minuten.“ Wood und Utrecht gebührt eine Medaille im Namen der Aufklärung.
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Bei uns ist es im Juli Winter und im Dezember Sommer. Verdrehte Welt auf der Südhalbkugel. Wenn es auf Weihnachten zugeht, ist auch die Stimmung das komplette Gegenteil von germanischem Brauchtum: Partys und Prosecco statt Blockflöten und Besinnung. Woran ich mich auch nach einem Jahrzehnt nicht gewöhnt habe: Ab jetzt laufen sogar die Uhren rückwärts.
Aus Deutschland kannte ich den alljährlichen Ablauf so: Zum ersten Advent backt man Plätzchen und bastelt einen Kranz. Mitte Dezember stürzt man sich frühestens in die Weihnachtseinkäufe. Der Tannenbaum wird erst am Nachmittag des Heiligabends dekoriert. Und am 25.12. ist alles vorbei. Aber hier, im tiefen Süden? Entgegengesetzter Fahrplan, verschärft durchs Immigrantendasein.
Vor zwei Wochen wurde es endlich warm und sonnig. Das erste Bad im Meer, das erste Grillen im Garten, ein Mückenstich gar. Und die ersten glitzernden Rentier-Dekos in den Billigshops. Au weia. Nicht nur droht jetzt die „silly season“ mit Promille – nein, viel schlimmer, ich habe den Paketstopp verpasst. Das ist der Termin gegen Ende November, den die neuseeländische Post als letzte Chance verkündet, um rechtzeitig Weihnachtspäckchen nach Europa abzuschicken.
Geschenke für die Lieben in 18.000 Kilometer Entfernung sind das erste, woran man hier noch lange vor dem ersten „Jingle Bells“ denken muss. Adventskalender, Kranz und Plätzchen sind Kiwis herzlich egal, aber als Familie mit Migrationshintergrund sitzen wir zwischen allen Stühlen. Der Tannenbaum gehört nach angelsächsischer Tradition schon jetzt dekoriert ins Wohnzimmer, aber bei uns taucht er halbherzig um den 20. herum auf. Heiligabend gibt’s eh nicht, Bescherung erst am 25. morgens. Keine gefüllten stockings am Kamin, dafür Erzgebirgsengel. Statt Lunch und Strand abends Braten mit deutschen Freunden. Als Kompromiss dazu knallende Christmas Crackers. Ein mutierter Multikulti-Hybrid ist dieser ganze heilige Bimbam! Da kommt man zwischen Sommerhitze und Kerzenschein ganz schön ins Schwitzen.
Susan Devoy hat daher mein ganzes Mitgefühl. Sie ist die Vorsitzende der „Race Relations“-Kommission und hat sich jetzt pünktlich zum ersten Advent voll in die Mistelzweige gesetzt. Denn ARMS, die Flüchtlingshilfe Aucklands, hat zu seiner jährlichen Migrantenverköstigung mit den neutralen Floskeln „happy holidays“ und „season’s greetings“ eingeladen, um damit keine Religion auszuklammern. Susan Devoy fand es auf Nachfrage völlig korrekt, dass das C-Wort nicht vorkam.
Ein Shitstorm ging daraufhin über der guten Frau nieder: Sie wolle Weihnachten abschaffen! Politisch korrekter Wahnsinn! Kultureller Ethno-Terror! Ein rechter Blogger fragte sich, was Susan Devoy und ISIS-Führer Baghdadi gemeinsam hätten: „Sie beide wollen alle Spuren des Christentums beseitigen.“ Leider griff niemand der Erbosten die hervorragenden Alternativvorschläge der Fernsehserien Seinfeld und The OC auf: „Festivus“ oder „Christmukkah“. Devoys letzte Worte klangen wie ein Stoßseufzer: „Merry Christmas, und möge Friede auf Erden herrschen.“
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Zwei Jahre lang hat Anke Richter an einem Buch über die Centrepoint Community recherchiert, die das Pendant zur Otto-Mühl-Kommune in Neuseeland war.
Sie scheiterte schließlich an juristischen wie psychischen Hürden und wurde immer tiefer in den Sumpf aus Opfern und Tätern hineingezogen. Aus ihrer Qual mit diesem schweren Thema rund um sexuellen Missbrauch von Kindern hat sie einen sehr persönlichen wie verstörenden Beitrag für das Reportage-Magazin North & South verfasst. Dafür kam sie letzte Woche in die Endrunde für den Wintec Media Award , Neuseelands prestigeträchtigster Medienpreis. Ein Dokumentarfilm zum Thema Centrepoint ist nun geplant.
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Vor Jahren lästerte der frühere neuseeländische Premierminister Robert Muldoon über die vielen Kiwis, die sein Land für ein besseres Leben in Australien verließen: Durch diesen Exodus würde sich der Intelligenzquotient in beiden Ländern heben. Jetzt kommt die Retourkutsche von „drüben“, und sie ist kein Scherz. Australien will all die Neuseeländer abschieben, die im Zuge dieser IQ-Anhebung kriminell geworden sind.
Bis zu tausend Straffällige schickt Australiens neuer Premier Malcolm Turnbull demnächst auf den Weg in die alte Heimat, damit sie ihm nicht mehr auf der Tasche liegen. Ein Riesenschreck für unser kleines braves Land: Darunter sind nicht nur Mitglieder der berüchtigten Biker-Gang Bandidos, sondern Drogendealer, Mörder und Vergewaltiger. Volkes Stimme jault auf: Die dürft Ihr gerne behalten! Schließlich sind sie ja bei euch erst zu Gangstern geworden, in dem großen bösen Land. Ein Land, das – wir wollen wirklich nicht darauf rumreiten, aber es muss doch mal wieder betont werden dürfen – einst von Strafgefangenen besiedelt wurde.
So gesehen gäbe es die Supermacht Australien gar nicht – ohne Abschiebung von Kriminellen. So wie die elfjährige Mary Wade, die aus dem viktorianischen England auf den roten Kontinent verschifft wurde, weil sie einem anderen Kind ein Kleid stahl. Diese Schwerverbrecherin ist die Vorfahrin von Kevin Rudd – dem ehemaligen Australien-Premier, der sich bei den Aborigines offiziell entschuldigte. Da kann man mal sehen, dass das ganze unerfreuliche Prozedere ein paar Generationen später doch noch zur Resozialisierung führen kann.
Nur mit dem Verfahren selber hakt es noch etwas. Viele kriminelle Ex-Kiwis leben seit ihrer Kindheit auf der andern Seite der tasmanischen See und können sich an ihr Geburtsland kaum noch erinnern. So wie der 56jährige Querschnittsgelähmte, lediglich als „Paul“ identifiziert, der vor ein paar Wochen zwangsdeportiert wurde. Mit nur 200 Dollar in der Tasche und einem Übernachtungsgutschein für eine Woche, aber keinerlei Freunden oder Familienkontakten fand er sich komplett verstört und gottverlassen am Flughafen Auckland wieder.
Besonders übel trifft es die, die in Nacht und Nebel-Aktionen von Rollkommandos in Abschiebelager für Asylsuchende gebracht werden. Manche müssen wochenlang auf der berüchtigten Christmas-Insel im Südpazifik ausharren, wo die Bedingungen menschenverachtend sind. Diese schäbige Behandlung vom großen Bruder nebenan war zuviel des Schlechten. Man ist tief verletzt. Plötzlich spritzt das Gift aus allen Kommentaren und Kolumnen. Kiwis berichten, wie übel sie „drüben“ behandelt werden – als Menschen zweiter Klasse. Wenn Australien billige Bauarbeiter braucht, dann seien die armen Nachbarn kurzfristig willkommen, aber dableiben dürften sie nicht. Darauf verzichten wir!
Malcom Turnbull hat uns gerade einen Kurzbesuch abgestattet. Da wurde auch die Knacki-Frage erörtert. Ein fairer Vorschlag: Ab sofort deportieren wir all die Possums nach Australien, die sich in Aotearoa als Schädlinge breit gemacht haben.
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In Europa bersten die Grenzen und verrecken Flüchtlinge, aber Sie wissen ja, was uns Kiwis im Land von Milch und Hobbits seit Wochen bewegt: wie unsere neue Flagge aussehen soll. Jetzt sind wir bereits in der vorletzten Runde. Das Zwischenergebnis kann ich Ihnen unmöglich vorenthalten, denn es spitzt sich zu. Buchstäblich!
Sie erinnern sich: Über 10.000 krause Entwürfe aus Volkes Bastelstube eingereicht, 40 Designs dank einer komplett Grafikdesigner-freien Kommission in der engeren Auswahl, kein Kiwi-Vogel dabei. Daraus haben sich die vom Premierminister persönlich berufenen Spezialisten vier Entwürfe herausgepickt, von denen einer trostloser ist als der andere. Drei der vier Motive zeigen einen Farnzweig – gemeinhin als Emblem der Rugby-Nationalmannschaft bekannt. Das vierte ist ein noch nicht entrollter Farnzweig als schwarzweiße Spirale. Im Flaggen-Komitee sitzt Fernsehproduzentin Julie Christie – ganz zufällig auch im Aufsichtsrat einer Lobbygruppe, die mit dem Farnzweig als verkaufsförderndes Markenzeichen wirbt. Kleiner Schönheitsfehler am Rande.
26 Millionen Dollar verschlingt dieser pseudo-demokratische Vorgang. Es schmerzt, dass es weder der legendäre grüne Koru-Kringel von Friedensreich Hundertwasser geschafft hat noch die schwarz-weiß-rote Flagge der Maori, die bereits Eingeborenengeschichte geschrieben hat. Im Volk regte sich Widerstand. Denn es gibt ein Alternativ-Symbol, das von jenen gefordert wird, die weder den alten Union Jack schätzen noch die braven Farn-Favoriten. Es ist die „Red Peak Flag“. Fast schon ein Protest-Logo.
Ein rotes Dreieck mit weißem Rand symbolisiert die Berge der Südalpen mit Lava im Innern. Eine schwarze Ecke für die Nacht, eine blaue für den Morgen – denn Neuseeland steht dank der Zeitverschiebung früher auf als andere Länder. Die Maori-Farben sind dabei. Alles sehr hübsch und plakativ, auch auf weite Entfernung erkennbar, außerdem für jedes Kind leicht nachzumalen – so die Argumentation ihres Erfinders Aaron Dustin. Der startete eine Petition für „Red Peak“ und drückte sie mit großem Tamtam durch die sozialen Medien. Facebook-Profilfotos wurden geändert, T-Shirts gedruckt, alles Spitze.
Doch dann passierte ein weiter Schönheitsfehler. Nicht nur ist die Flagge mit dem gleichfarbigen Firmenlogo eines amerikanischen Ingenierbüros namens „Peak“ identisch. Nein, sie weckt noch ganz andere Assoziationen. Ein Abgeordneter der Partei „NZ First“ hielt im Parlament vier aneinandergefügte „Red Peak“-Flaggen hoch, und siehe da: Die weißen Spitzen ergaben zusammengefügt ein Hakenkreuz. Schock! Alleine ähneln sie dem Dekor auf den Wachhäuschen der Nazis. Horror!
Nichtsdestotrotz kamen 25.000 Stimmen für die Spitzen-Flagge zusammen – und damit genügend Druck auf John Key, dass dieser sich dazu durchrang, „Red Peak“ als fünfte Option mit auf die Flaggen-Liste zu nehmen. Im November wird nun erstmals abgestimmt. Doch mittlerweile haben 70 Prozent aller Kiwis das ganze Bohai so satt, dass sie lieber bei der alten Fahne bleiben wollen.
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Auch wir hier am untersten Ende der Welt schauen gerade gebannt auf Europa. Sind hautnah dran. Stehen sogar im Morgengrauen auf, um alles live auf dem Bildschirm zu verfolgen. Jeder neueste Stand geht uns an die Nieren – all das Drama, die vielen Nationen, das Gedrängel und Gerangel und Gebrülle. Herzzerreißend. Aufwühlend. Große Schlagzeilen, wir fühlen mit. Ja, Neuseeland lässt sich keine Sekunde der Rugby-Weltmeisterschaft entgehen, die in England gestartet ist.
Gut, dass so viele Kiwis auf Facebook sind. Denn ohne Aylan Kurdis Strandfoto hätten die meisten kaum mitbekommen, dass in der Ägäis nicht nur Tintenfische schwimmen, sondern auch Kinderleichen. Plötzlich war das Weltthema Nummer Eins endlich auch im Land der langen weißen Wolke angekommen. Zumindest für eine Woche. So lange dauerte es, bis Premierminister John Key – Zitat: „Wir wollen Touristen, nicht Migranten“ – sich zu einer halbherzigen humanitären Geste durchrang und 600 Syrern Zuflucht versprach. Gestaffelt über die nächsten drei Jahre und als Teil der Flüchtlingsquote von gerade mal 750 Menschen, die Neuseeland pro Jahr aufnimmt. Damit bekleiden wir den schlappen 90. Platz der Aufnahmeländer, auf die Einwohnerzahl umgerechnet. Ein Scherz. Wir liegen sogar noch hinter Australien, das sich bisher in Sachen Menschenrechte nicht mit Ruhm bekleckert hat. Neuseeland, ein Hort der Sicherheit, der im Weltkrieg vielen Holocaust-Flüchtlingen Zuflucht bot? Tja. Das war damals.
„Verdoppelt die Quote!” heißt seitdem der Protestruf aus linker Ecke. Der verhallt fast ungehört. Oder löst Reaktionen aus wie: Wer braucht die hier/wir müssen uns erst mal um unsere eigenen Leute kümmern/wer soll das alles bezahlen/werden wir dann alle moslemisch. Xenophobie und Ängste rundum, ähnlich wie zur großen Asyl-Welle Anfang der 90er Jahre in Deutschland. Obendrein noch unser früherer Außenminister Winston Peters, immer für einen fremdenfeindlichen Spruch gut, der den syrischen Flüchtlingen riet, sie sollen doch lieber zurückkehren in ihr Land, um dort gegen das Übel zu kämpfen. Klar. Alles ganz easy. Und jetzt wieder umschalten zum Rugby.
Für die Flüchtlinge, die es schließlich doch nach Aotearoa schaffen, steht Integrationshilfe bereit. Unter anderem ein 38-minütiges Video, das bei der Assimilation in den antipodischen Kulturkreis helfen soll. Darin sieht man viele nette Bürger, die Grillwürste beim Picknick wenden. Es gibt praktische Tipps: Wie man Arbeit findet, Steuern zahlt, einkauft. „Neuseeland bietet Ihnen die Chance, ein neues Leben in einem neuen Land zu beginnen“, verkündet ein Sprecher zur Säuselmusik. „Dieses Ziel ist erreichbar.“
Aber vorher werden ein paar Verhaltensregeln klargemacht. Die Liste dessen, was man als Neuankömmling in Neuseeland lieber vermeiden sollte, ist länger als manche weiße Wolke: Fahrradfahren ohne Helm, Autofahren ohne Führerschein, Frauen schlagen, in Räumen rauchen, Genitalien verstümmeln, Beamte bestechen, zwanghaft verheiraten oder polygamieren, in der Ehe vergewaltigen. Herzlich willkommen.
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Ich habe mir im Internet ein Jugendbuch gekauft und habe schon jetzt ganz rote Ohren – nicht nur wegen der vielen heißen Szenen, die darin auf mich warten, sondern weil ich jetzt praktisch mit einem Bein im Knast stehe. Der Roman ist nämlich seit Neuestem in Neuseeland verboten.
„Into the River“ des 64-jährigen Autor Ted Dawe handelt von dem hochbegabten Maori-Jungen Te Arepa, der sein Dorf verlässt, als er ein Stipendium für ein Elite-Internat in Auckland gewinnt. Dort ändert sich sein Leben dramatisch. Er benennt sich in Devon Santos um, rast in frisierten Autos durch die nächtliche Großstadt und dealt mit Drogen. Und jetzt kommt’s: Der Teenager benutzt schweinische Ausdrücke und macht erste sexuelle Erfahrungen.
Das ist kein Schund, sondern einfach nur realistisch – so sehr, dass es gar dazu führen könnte, dass Jugendliche diese Seiten verschlingen, die sonst nie Bücher anfassen. Es ist ein gutes Werk, das von allen Literaten im Lande hoch gelobt wird und sogar 2013 einen Preis als bestes Buch des Jahres gewann. Aber seitdem wird auch um „Into the River“ gezankt.
Über 400 Beschwerden gingen bei der Zensurbehörde ein, in erster Linie von der ultrarechten Christenlobby „Family First“. Deren Moralvorsteher Bob McCoskrie ist meinen treuen Lesern bekannt, seit er sich vor Jahren für die Prügelstrafe und das Ohrfeigen von Kindern starkmachte. Jetzt hat er „Into the River“ gleich an den richtigen Stellen aufgeschlagen und mitgezählt: Neunmal komme „das C-Wort“ („cunt“ – zu Deutsch Fotze), 17 Mal „das F-Wort“ („fuck“) und 16 Mal der Kraftausdruck „s-h-i-t“ von. Den hat McCroskie im Radiointerview genau so ausbuchstabiert. Danach musste er sich den Mund mit Seife waschen.
„Into the River“ bekam schon vor zwei Jahren eine „R14“-Auflage: Keine Abgabe in Büchereien und Buchläden an Leser unter 14 Jahren. Letzten Monat beschloss der stellvertretende Chef-Zensor Neuseelands, dass das Buch keine Altersbeschränkung haben solle. Dem machte jetzt der Vorsitzende der Prüfstelle, ein Anwalt und bekennender Christ, einen Strich durch die Rechnung und verhängte einen vorübergehenden Bann. Das hat es seit 22 Jahren nicht mehr geben, als „How to make your own Bazooka“ vom Markt genommen wurde. Das war eine Anleitung zum Waffenbasteln.
Der Schuss geht nach hinten los: Eine bessere Werbung kann sich der Autor kaum wünschen. Allerdings lässt sich das Buch ab sofort nicht mehr ausleihen oder im Laden kaufen. Damit würde man eine Strafe von 3.000 Dollar riskieren und der Buchhändler gar 10.000 Dollar. Man kann das Taschenbuch zwar online bestellen – für stolze 50 Dollar wird es aus England verschickt, aber es über die Grenze zu schmuggeln ist eine Straftat. Wer es, wie ich, als E-Buch auf seinen Kindle lädt, macht sich dann strafbar, wenn er andere mitlesen lässt oder es weiterreicht. Das macht die Rechtslage so ähnlich wie beim Kiffen: Eigenkonsum wird toleriert, Weitergabe ist verboten.
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Um Kim Dotcom ist es verdächtig ruhig geworden. Sollte er nicht bereits sein Auslieferungsverfahren in die USA hinter sich haben? Ist er vor seinen Feinden aus Hollywood im U-Boot abgetaucht? Egal. Mein kleines Aotearoa hat längst ein neues Reizthema, das mindestens so bunt und kontrovers wie der dicke Internet-Krösus ist: die neuseeländische Flagge.
Die Emotionen kochen hoch, denn die Flagge soll per Volksabstimmung geändert werden. Bisher ist sie kaum von der australischen zu unterscheiden, außer dass ihr neben und unter dem Union Jack zwei Sterne fehlen. Was ja schon wieder traurig symbolisch ist: wie der große Bruder, aber mit weniger, ansonsten englisch. Kein Wunder, dass man uns noch immer für eine Insel Australiens hält oder eine Kolonie Großbritanniens. Jetzt werden wir endlich unsere eigene Identität im wehenden Rechteck erschaffen. Nur – wie soll die aussehen?
Schon 1983 entwarf Künstler und Visionär Friedensreich Hundertwasser ein alternatives Nationalsymbol für seine Wahlheimat: eine grüne Farnwedelspirale – von den Maori „koru“ genannt – auf weißem Grund. Sie flattert seitdem auf Protestmärschen und vor Öko-Kommunen. Vor acht Jahren machte unsere frühere Premierministerin Helen Clark einen simplen Vorschlag: einfach den britischen Union Jack entfernen und nur noch die vier rotweißen Sterne des Kreuz des Südens auf blauem Grund zeigen.
Das hätte uns viel Geld gespart – 26 Millionen Neuseeland-Dollar kostet das Prozedere, das sich noch bis 2016 hinzieht – und uns vor einigen Peinlichkeiten bewahrt. Denn 10.000 Bürger reichten jetzt ihre selbstentworfenen Vorschläge ein. Darunter ein Vogel, aus dessen Augen ein grüner Laserstrahl Richtung Erde zoomt, ein Schaf mit einer Eis-Waffel (garantiert die Sorte „Hokey Pokey“) und ein wackelig gezeichnetes Fahrrad. Was dazu führte, dass sich der englische Komiker John Oliver mal wieder im Fernsehen über uns scheckig lachte. Mit Neuseeland – laut Oliver „Australiens Australien“ – ist immer gut zu spaßen.
40 Vorschläge kamen in die engere Wahl. Im 12-köpfigen Auswahl-Komitee sitzen keine Designer, aber eine Produzentin von Reality-Shows, eine frühere Diskus-Werferin und der Ex-Bürgermeister von Dunedin. Deren Auswahl stieß öffentlich auf wenig Begeisterung. Weiß auf schwarz wecke zwar Assoziationen mit der Rugby-Mannschaft All Blacks, aber auch mit der IS-Flagge. Auf 11 Motiven dominiert ein stilisierter Farnzweig. In Kanada hat das Ahornblatt als branding bestens funktioniert, aber in unserem Fall könnte die Pflanze für eine Feder gehalten werden. Und ist leicht zu verwechseln mit dem Logo der weiblichen Netzball-Mannschaft Silver Ferns. Daumen runter.
Die größte Empörung entzündete sich landesweit um das, was fehlt: der Kiwi-Vogel. Kein einziges Mal taucht das flugunfähige, nachtaktive Viech in der engeren Wahl auf. Dabei ist es das Nationalsymbol schlechthin, unser Wappen- und Münzentier, nachdem sich sogar die Menschen im Lande benennen. Eine Schande. Kim Dotcom, mach was!
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Sommerferien vorbei? Wer gerade sein Urlaubsvideo ins Internet hochlädt, befindet sich in bester Gesellschaft: in der von Max Key, dem smarten, geschniegelten Sohn von Neuseelands Premierminister. Mit den Instagram-Fotos des 20jährigen beschäftigt man sich sogar im neuseeländischen Parlament. Ist er Möchtegern-Promi oder neureicher Polit-Prinz?
Max Key schaut ausdruckslos in die Kamera. Er ist durchtrainiert, seine Basecap trägt er rückwärts, trotzdem sieht er aus wie ein Bubi. Hinter ihm ist die Skyline von Honolulu. Max reckt beide Mittelfinger hoch. So cool. Schwenk zum Strand. Max fährt Wasserski, auch gerne schnelle Autos, und er hat eine schicke Freundin: das Model Amelia Finlayson. Die beiden sind die Stars eines selbstgedrehten GoPro-Werks namens „Summer Paradise“, das im letzten Monat eine Viertelmillion mal auf YouTube gesehen wurde. Tolle Leute, toller Urlaub, voll geil. Allerdings hielten mehr als doppelt so viele Zuschauer den Daumen runter statt hoch. Im Land der Bescheidenheit kommt die Protzerei aus dem Paradies nicht so gut an.
Kaum jemand würde sich für das Filmchen interessieren, wenn nicht Premierminister John Key – weißes Polohemd, weiße Tennisshorts – ab und zu im Bild auftauchen würde. Der hat den Trip nach Hawaii für die Familie spendiert. Auch seine Tochter Stephie, die als Performance-Künstlerin „Cherry Lazar“ in Paris auftritt und dort ihren Körper gerne mit Sushi und Fast-Food bedeckt, war auf der Reise dabei, inklusive pinker Haarpracht. Die Kinder können nichts für ihren konservativen Vater und seine Reichen-Politik. Doch Klein-Max kann was dafür, dass plötzlich alle auf ihn gucken.
Mit Reportern spricht er nicht, aber er beantwortet Fragen auf der Social-Media-Seite eines Radiosenders – über 1000 bisher. Da entschlüpfen ihm tiefschürfende Einblicke in sein Inneres: „Ich wollte schon immer Milliardär sein, und glücklich…“. Jetzt studiert er Finanzwesen und Immobilien an der Uni – ganz wie Papi, der war mal Banker. Und Max schmeißt Partys mit der „Fulltimers Society“, einem Club von gutbetuchten jungen Aucklandern. Max hat die richtige Nobelviertel-Adresse und trägt daher den Schlagzeilen-Titel „Prince of Parnell“. Solch eine „First Family“ hatte Neuseeland noch nie. Skan-da-lös!
Einige Politiker haben sich nach dem hämischen Medienecho auf Maxens Video dagegen verwehrt, Rückschlüsse vom Sohn auf den Vater und umgekehrt zu ziehen: „Lasst den Jungen in Ruhe!“ Eine Maori-Abgeordnete drückte gar „aroha“ (mitfühlende Liebe) für Key Junior aus. Bei all dem unerhörten Luxusgebaren sind Sorgen um die Lage der egalitären Nation vielleicht berechtigt. Denn in Melbourne flog gerade ein Schwindel fürs Guinness Buch der Rekorde auf. Dort wurde angeblich der teuerste Cocktail der Welt für 14.000 Dollar in einem Casino getrunken. Ausgeschenkt wurde er an James Manning, Millionär aus Neuseeland. War zwar alles nur ein PR-Coup – die Rechnung wurde von Manning nie bezahlt – aber wie stehen wir Kiwis jetzt da? Lieber arm und unsexy als so.
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Huch – es wird August und die Neuseeland-Korrespondentin pennt, erschöpft von Abscheu und Empörung. Ich muss dringend all die obszönen Skandale der letzten Wochen und Monate auflisten. Bei so vielen Entgleisungen in Aotearoa kommt man kaum noch hinterher.
Der Jahresanfang war von einem deftigen Backwerk geprägt. Karen Hammond, eine Angestellte der „NZ Credit Union“, hatte für die Abschiedsfeier einer Kollegin einen Schoko-Kuchen gebacken, auf dem in Zuckerguss „NZCU fuck you“ stand. Denn beide Frauen waren gegangen worden. Das Foto des Kuchens stellte Hammond auf ihre Facebook-Seite. Die Finanzfirma leitete es an ihren neuen Arbeitgeber weiter. Die Hobby-Bäckerin wurde arbeitslos und bekam am Ende als Entschädigung die Rekordsumme von knapp 100.000 Euro zugesprochen.
Zuvor hatte eine Prostituierte aus Wellington weltweit Wirbel ausgelöst, die ihren Puff-Betreiber wegen sexueller Belästigung verklagt hatte. Denn seit Neuseeland die Prostitution legalisiert hat, stehen Sexarbeiterinnen die gleichen Rechte zu wie allen. Die Frau war keinen körperlichen, aber verbalen Übergriffen ausgesetzt. Unter anderem wollte der Zuhälter immer wieder ihre erotischen Vorlieben wissen – was sich auch bei einem Finanzleister, siehe oben, nicht gehört hätte. 25.000 Dollar Entschädigung.
Im Mai dann ein Schocker aus dem Kindergarten-Milieu: Eine Mutter, die ihre Dreijährige in einer Vorschule im ländlichen Kaiapoi anmelden wollte, griff dort ins Buchregal und zog „Gus and Waldo’s Book of Love“ heraus. Das ist ein Bilderbuch für Erwachsene. Auf einer Seite sieht man die Pinguine Gus und Waldo beim „Spielen“ – der eine S/M-mäßig gefesselt, der andere in ein rotes Korsett geschnürt. Auch die Mutter sah rot, fotografierte die Seiten ab und leitete eine Beschwerde beim Erziehungsministerium ein.
Nur einen Monat später sackte die Moral noch tiefer in den Folterkeller. Denn die Molkerei „Lewis Road Creamery“ brachte eine Milch auf den Markt, die mit dem Etikett „Breast Milk“, also Brustmilch, im Kühlregal stand. Eklig oder mutig? Auf jeden Fall clever, denn 20 Cents pro überteuerter Flasche gehen an die Brustkrebsvorsorge. Der PR-Coup gelang. Eine Lobby namens „New Zealand Breastfeeding Authority“ ging auf die Barrikaden und warnte, Mütter könnten die Kuhmilch für Muttermilch halten und unwissend ihren Säuglingen einflößen. So viel Schwachsinn wollten viele Frauen, egal wie hormonell aufgeweicht ihr Hirn vom Stillen, nicht auf sich sitzen lassen.
Und jetzt „Crotch-Gate“, was sich kaum anständig übersetzen lässt. Das Bohei hat mit einem Blick in den Schritt der Bachelor-Kandidatin Chrystal Chenery zu tun. Die Blondine trat in der TV-Tanzshow Dancing with the Stars auf, wo man, wie bei Tänzerinnen üblich, den Rock hochwirbeln sah. Ein Radiomoderator fotografierte ihren Slip, der wenig verbarg, und stellte den Screen-Shot mit dem Spruch ins Netz: „Chrystal zeigt Art, was er verpasst hat“. Mit „Art“ ist der Junggeselle der „Bachelor“-Serie gemeint. Da ist auch die Auslandspresse sprachlos und legt sich wieder hin.
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Am Samstag flog er ab, im strömenden Regen. So charming: „Thanks for having me! Sorry about the weather“, schrieb der Märchenprinz zum Abschied an eine Pinnwand in Christchurch. Ausnahmezustand in Aotearoa: Harry was here und die Untertanen standen Spalier. Winkten eine Woche lang mit Union-Jack-Fähnchen, trugen lustige Hüte, hielten ihm Hände zum Schütteln und Babys für Fotos hin. Ein Teenager in der Menge lud ihn sogar beherzt zu ihrem Highschool-Abschiedsball ein; fragen kostet ja nix. Die einzig echte Umarmung in all dem royalen PR-Taumel bekam jedoch Prinz Harrys ehemalige Schulaufseherin, die zur Begrüßung in der ersten Reihe stand. Seit 18 Jahren endlich ein Wiedersehen: „Er war mein Lieblingsschüler!“
Neuseeland ist für Rock-Reptile und andere Promis auf Tour sonst letzte Bushaltestelle auf diesem Planeten. Jetzt fühlte es sich wie in den Flitterwochen. Der Windsor-Spross wirbelte durchs Land, als sei er frisch der Serie „The Bachelor“ entsprungen. Im Gegensatz zu seinem sittsamen Bruder – zweifacher Vater und bereits halb kahl – versprüht der Rotschopf für Buckingham’sche Verhältnisse echten Sex-Appeal. Das heißt, wenn man Yorkshire-Pudding mit Erbsen liebt, „Downtown Abbey“ guckt, auf Eton-Akzent und Hakenkreuzbinden als Party-Gag steht.
Harry ließ sich nicht lumpen und machte alles, was gute Kiwis vom Thronfolger ihrer Queen (an fünfter Stelle) erwarten: Er machte vor Soldaten den Haka mit, kickte mit Schülern Fußball, ging zum Rugby-Turnier und paddelte im Maori-Kanu. Natürlich besuchte er das zerstörte Christchurch und fuhr dort sogar mit der Straßenbahn. Er zeigte deutlich bessere Manieren als unser Premierminister, der ihn begleitete, und zog keinem der aufgeregten Mädchen um ihn herum am Pferdeschwanz. Ein Herzensbrecher!
Leider gingen so viele von seinen Bewunderinnen leer aus: Kein Selfie mit Harry – kein Augenblick am Straßenrand, der das Leben verändern könnte. Da bleibt all den Groupies nur der Refrain aus Lordes größtem Hit: „We’ll never be royals…“. Dabei stehen die Chancen gar nicht so schlecht, einen britischen Blaublütigen aus der ersten Liga zu ergattern: Rein statistisch haben mehr Bürgerliche als Königliche eine angelsächsische Hoheit geehelicht. Und Harry steht total auf „normal“, wie man der einschlägigen Fachpresse entnehmen kann. Daher ein paar Tipps für den nächsten Besuch.
Ganz wichtig, um nicht wieder ignoriert zu werden, ist das richtige Banner. „Marry me, Harry“ halten nur verzweifelte Anfängerinnen hoch. Besser ist ein Plakat mit simpler, aber pfiffiger Botschaft. Zum Beispiel, wenn man zufällig Sally heißt: „When Harry met Sally“. Das wirkt wie ein Magnet im Schilderwald. Wenn man nicht Sally heißt, funktioniert es auch. Genauso gut: Harrys Hobbys recherchieren und ihn damit locken. Militär, Kostüme, Hubschrauber, Rugby – zieht alles. Nur seine Vorliebe für wilde Partys nicht. Die Flasche Jägermeister zum Winken beim nächsten Mal zuhause lassen. Daran lag’s wohl.
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Seit zwei Wochen kennen nicht nur meine Leser Neuseelands Premierminister, sondern auch der Rest der Welt. Endlich hat John Key internationale Berühmtheit erlangt – leider als tumber Grapscher. Damit steht er unter den Großen und Kleineren der Welt sicher nicht alleine da. Ungewöhnlich ist nur das Objekt seiner Begierde: ein wippender Pferdeschwanz.
Der Übergriff war kein Einzelfall. Wenn der Regierungschef im „Rosie Cafe“ in Auckland auftauchte, schäkerte er stets jovial mit dem Personal. Ganz volksnah zog er dabei Kellnerin Amanda Bailey wiederholt an ihrem brünetten Pferdeschwanz. Sie verbat sich das; John Key machte weiter. Sie beschwerte sich bei seinen Bodyguards – ohne Erfolg. Sie drohte halb scherzhaft, ihn zu schlagen. Half nicht. Sechs Monate ging das so. Keys Ehefrau Bronagh – langes Haar, kein Zopf, gebranntes Kind? – mahnte den Gatten schließlich, doch das „arme Mädchen“ in Ruhe zu lassen. Da hatte die 28jährige bereits heimlich vor Wut geheult.
John Key tat, was man als Mächtiger bei Kavaliersdelikten so tut: Er schickte Amanda Bailey als Entschuldigung zwei Flaschen Wein. So einfach war der haarige Vorfall jedoch nicht vom Tisch. Die Kellnerin wandte sich anonym an einen linken Blog, wurde aber von einer regierungsfreundlichen Klatschreporterin geoutet. „Ponytailgate“ nahm seinen Lauf. Innerhalb von Tagen tauchten etliche alte Fernsehbilder auf, die den Premier bei öffentlichen Anlässen zeigen, wo er neckisch bis zwanghaft Mädchen an den Haaren zog. Das ließ sich nur noch als „creepy“ bezeichnen – oder als Fetisch. Trichophilie heißt der Fachbegriff für diese Form der sexuellen Erregung.
Der prominente Haargrapscher tat das alles als „Herumalbern“ ab und nannte Amanda Baileys Frisur „aufreizend“, was die Sache nur noch schlimmer machte. Während Key dafür in einer amerikanischen Comedy-Show und süffisanten Schlagzeilen der britischen Presse büßte, reiste er mit Gattin Bronagh nach Saudi-Arabien. Schlechtes Timing, um dort diplomatisch die Rechte von Frauen anzusprechen, wenn man sich gerade dermaßen blamiert hat. Frau Key trug zur eisernen Miene ein bodenlanges schwarzes Müllsack-Gewand, um neben all den Scheichen nicht „aufreizend“ zu wirken.
Amanda Bailey erwägt jetzt ernsthaft, den Premierminister wegen sexueller Belästigung anzuzeigen. Der erwiderte diese Woche, nichts an seinem Verhalten sei sexistisch – seine taktilen Späße hätten schließlich auch einem Mann gelten können. Doch Neuseelands berühmtester Pferdeschwanzträger, der Maori-Politiker Pita Sharples, ist noch nie vom Premierminister persönlich bezupft worden.
Es bleibt spannend, auch in Paris. Da tritt heute Abend John Keys Tochter als Performance-Künstlerin „Cherry Lazar“ in einer erotischen Vernissage auf. Viel Strapse, Stilettos und nackter Po – eine Art Cicciolina für Arme. Besonders bemerkenswert sind ihre pinken Haare, über den Ohren zu abstehenden Zöpfen gebunden. Wenn das der Daddy sieht!
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Dass dieser Blog mir diesmal schwer fällt, liegt wohl daran, dass ich deutsch bin. Da hat man ein etwas gestörtes bis zynisches Verhältnis zu Schützengräben und Marschbefehlen. Dabei juckt es mich jedes Jahr in den Fingern, etwas Unpassendes zum Anzac Day loszulassen – jenem Nationalfeiertag, an dem sich die Schlacht von Gallipoli jährt.
Gallipoli ist jedem Kiwi heilig und so geläufig wie unseren Großvätern Stalingrad. Bei dem Gemetzel im ersten Weltkrieg kamen auf einen Schlag 2721 Neuseeländer im Dienste ihres Königs um – prozentual der größte Aderlass weltweit. Gallipoli ist bis heute nicht nur ein nationales Trauma, sondern auch ein Riesen-Tamtam und daher für Nachkriegsgermanen der zweiten Generation etwas gewöhnungsbedürftig: Alle Jahre wieder Paraden, Medaillenschwingen, Helden-Reden – das große „Wir“-Gefühl. Dazu Anzac-Kekse, die sind lecker. Spätestens an diesem Samstag droht allen Anti-Militaristen der Overkill: Der hundertjährige Anzac Day steht an.
Das Nationalmuseum Te Papa eröffnet eine vierjährige Anzac-Ausstellung. Filmregisseur Peter Jackson ließ die Hobbits links liegen und widmete sich einer gigantischen Armee-Installation. Es gibt öffentliche Lichtshows und frisch enthüllte Denkmäler. Mindestens fünf neue Sachbücher erscheinen zum Thema. Die „New Zealand Dance Company“ tanzt noch bis Mai eine Runde Gallipoli. Garantiert hat jemand einen Song komponiert.
Am Flughafen Christchurchs wurden 5000 Mohnblumen zur Erinnerung gepflanzt. Das Fernsehen hat Dokumentationen und Serien. Maori TV sendet am Anzac Day flächendeckend zum Thema, unter anderem live von der türkischen Halbinsel, wo Tausende von Kiwis ein Ticket zur Teilnahme an der Gedächtnisfeier gewonnen haben. 20 Millionen Dollar verschießt die Regierung allein an Kultur, um den Tag entsprechend zu würdigen. Doch was den ganzen Weltkriegsglamour beinahe trübte, kostet nur ein paar Cents: Es fehlten rote „poppies“ – aus Papier gebastelte Mohnblüten zum Anstecken, die man als Zeichen der Solidarität für ein paar Münzen auf der Straße kauft.
„Weißt du, wo die Blumen sind?“ wäre dafür die passende Untermalung, nicht nur aus pazifistischer Sicht. Denn, Schreck oh Schande, in der letzten Woche gingen dem Veteranenverband die Mohnblüten aus. Das wäre ein Desaster geworden, fast so peinlich wie die alten WW1-Medaillen, die von der neuseeländischen Armee nicht rechtzeitig zum Trauerjubeltag an die Hinterbliebenen rausgerückt wurden – ein Skandal. Aber zum Glück sprangen die Australier als alte Kameraden ein und schickten Tausende von Ansteckblumen über die tasmanische See. Obendrein wurde auch noch ein Poppy-Verkäufer im Rollator um ein Haar von Kindern beraubt, aber sein Sammeleimer war klausicher am Tisch befestigt.
Und was haben die Deutschen im Lande ausgeheckt? Das Goethe-Institut und die deutsche Botschaft lassen am heutigen Freitag in einem Park in Wellington 99 Luftballons mit Friedensbotschaften von Schülern in die Luft steigen und singen dazu. Nena statt Marlene.
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Kultur findet sich in meinen Breitengraden eher im Bio-Joghurt als in den Medien – zumal, wenn auf neuseeländischem Boden die Cricket-Weltmeisterschaft startet. Hirn-Pause rundum. „Intellektuell“ ist eher Schimpfwort als Prädikat. Daher muss man Eleanor Catton dankbar sein, dass sie für Ärger gesorgt hat. Nein, sie ist weder Nonne noch hat sie öffentlich masturbiert….dazu erst später -reingefallen!
Die Autorin ist dank ihres Romans „The Luminaries“ frischgebackene Man-Booker-Preis Gewinnerin und hat es gewagt, bei einem Literaturfestival in Jaipur vor Publikum über unser Land zu lästern. Über Neuseelands Politiker, die „neo-liberal, Profit-besessen, geldgierig“ seien. „Ich bin sehr wütend auf meine Regierung.“ Das muss man sich mal vorstellen. Da kassiert so eine Schreiberin jahrelang Stipendien, kann bis nach Indien reisen, bringt statt harter Arbeit wie Schafe scheren oder Bodenschätze an China verkaufen nur bedrucktes Papier zustande (ehrlich, wer kann denn 832 Seiten lesen?), und meckert dann noch. Wo bleibt da der Dank, die Demut?
Gut, dass wir einen Premierminister haben, der dem Fräulein gleich mal den Kopf zurechtrückte und sie dafür abstrafte, sich als Grüne zu seiner Politik zu äußern. Ein prominenter Radiomoderator sprang John Key zur Seite und nannte die Schriftstellerin eine „Verräterin“, denn frau kann’s mit der Redefreiheit wirklich zu weit treiben. Auch das Wort „hua“ fiel: ein abfälliger Maori-Ausdruck, der sich über den Äther wie „whore“ (Hure) anhörte.
Damit war der Skandal rund und die ersten „Je suis Eleanor“-Bilder tauchten auf Facebook auf. Supermodel Heidi Klum, die gerade im Lande war und sich mit ein paar tätowierten Rugby-Stars ablichten ließ, soll den Premier gefragt haben, ob er nicht lieber ihr kommendes Buch sponsern will, „The Kluminaries“. Sie habe auch nur Gutes über dieses Australiroa, äh, Aoteadingsda, zu sagen. Vor allem in Indien, wo doch alle Cricket spielen. Also, John…?
Als ob das nicht genug der Aufregung wäre – den letzten Booker-Preis gewann Keri Hulme im Jahre 1985, davon hat man sich kaum erholt – verschreckte obendrein ein textiles Druckwerk zarte Gemüter. Das Canterbury Museum in Christchurch eröffnete letzte Woche eine T-Shirt-Ausstellung. Eines davon ist in einer Box abgeschirmt. Es darf nur von Volljährigen und nur mit Warnung angeschaut werden. Zu dem Slogan „Jesus is a cunt“ (Jesus ist eine Fotze) sieht darauf man eine onanierende Ordensschwester. Das kantige Shirt stammt von der englischen Metal-Band Cradle of Filth, ist in der Öffentlichkeit verboten, aber im Internet gibt‘s das Motiv als Kapuzenpulli.
Den Rest kann man sich denken. Kirchen entsetzt, Bürger empört, Leserbriefspalten voll, die Ausstellung auch. Über 5000 Unterschriften in einer Petition. Und eine Sprühdosen-Attacke, fast so spektakulär wie 1998, als ein Museumbesucher in Wellington ein kontroverses Kunstwerk demolieren wollte. Damals war es die Jungfrau Maria in einem Kondom. Je suis T-Shirt!
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In all meinen Korrespondentenjahren hat es nur drei große Weltnachrichten aus meiner Region gegeben. Also solche, wo Redaktionen einen nachts anrufen, damit man schnell was ins Telefon raunt, was als „Live-Bericht“ in den deutschen Abendnachrichten läuft. Internationale Schlagzeilen produziert der terrorfreie Südpazifik selten. Ich muss nur alle Jubeljahre auf Zack sein. Dann aber richtig.
Zum Glück – oder leider – habe ich die größte Katastrophe, die das kleine, feine, aber wackelige Aotearoa 2011 ereilte, immerhin live miterlebt. Als Erdbebenopfer mit demoliertem Haus funktionierte ich in all dem Chaos journalistisch nur rudimentär, aber ich war vor Ort. Nach drei Wochen war unser Drama in Deutschland schon keine Nachricht mehr, denn dann passierte Fukushima.
Ein Jahr später und erdbebentechnisch noch längst nicht aus dem Gröbsten raus dann der zweite Schocker: Kim Dotcom, unsereins noch als Kim Schmitz bekannt, wird in seiner Villa in Neuseeland verhaftet. Große Razzia mit Helikoptern, das FBI mischt mit. Und wer erfährt als Letze im ganzen Land davon? Genau. Denn ich hatte mich den Sommer über mit Kind, Kegel, Knarre und Kanus in die Wildnis der Westküste abgesetzt. Kein Handy-Empfang, kein Internet: perfekt. Der nächste Außenposten der Zivilisation 12 Kilometer entfernt: Punakaiki. Dort bekommt man mit etwas Glück die Zeitung vom Vortag zu lesen.
So stand ich an jenem Sommertag im Café, nassgeschwitzt vom Fahrradfahren und stinkend vom Feuer, über dem meine Jungs Marshmallows geröstet hatten, und ahnte nach dem Blick in „The Press“, dass gerade eine bescheidene Korrespondentenlaufbahn ihr jähes Ende nahm. Denn die Nachricht der hollywoodreifen Verhaftung des dicken Deutschen war bereits zwei Tage alt. Und ich nicht in der Lage, mich aus dem Busch mal eben ins zwei Flüge entfernte Auckland abzuseilen. Seitdem kennt man mich in Punakaiki gut und gibt mir stets mitleidig Rabatt auf meinen Kaffee. Denn ich schlug dort für zwei Tage mein Hauptquartier auf, hängte mich ans Telefon und bekam irgendwie doch noch etwas Druckbares zustande, wenn auch nicht direkt aus Kims Epizentrum.
Und jetzt die dritte Katastrophe. Fast zwei Wochen ist es her, dass an einem Freitagabend zwei Angestellte der Versicherungsfirma Marsh in Christchurch eine wilde Nummer im hell erleuchteten Büro schoben, genau gegenüber einer großen Kneipe.
Dort wurde gejohlt und gefilmt, das Ganze landete auf Facebook und ging als „office sex romp“ um die Welt. Ich war zu dem Zeitpunkt ohne Internet-Empfang auf einem Musik-Festival und bekam das voyeuristische Nachbeben erst einen Tag später mit. Typisch.
„Braucht Marsh Ltd. einen neuen Pressesprecher?“, schrieb mir ein Kollege aus 18.000 Kilometer Entfernung. Schließlich meldete sich auch RTL, die sich diesen Happen nicht entgehen lassen wollten. Nach all der Medienfurore waren aber weder Pub-Betreiber noch Paarungspaar zu Interviews bereit. Ich war zu spät dran. Vielleicht brauche ich ein Satellitentelefon, wenn’s wieder irgendwo knallt.
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Hobbit-Fans strömten ins Kino, Hobbit-Hasser atmeten auf: „Die Schlacht der fünf Heere“ ist gestartet und damit die Attacke der sechs Tolkien-Filme für immer vorbei. Bei aller Liebe für Elfen und Zwerge, für Zauberer und Orcs – aber 15 Jahre Mittelerde sind genug, trotz all der Oscars. Erbarmen, liebe Fabelwesen! Sonst wachsen uns noch Haare an den Füßen und unsere Häuser werden zu Höhlen. Jetzt herrscht langsam wieder Hobbit-Freiheit für Aotearoa. Darauf schmauchen wir uns ein schönes Gandalf-Pfeifchen.
Anderthalb Millionen Zuschauer strömten in Deutschland seit voriger Woche trotz gemischter Kritiken in die Kinos. Hier, in der Geburtsstätte der beiden Trilogien, hielt sich der Ansturm zurück. Und das, obwohl „The Lord of the Rings“, kurz LOTR, zur neuen Staatsreligion im säkularsten Land der Welt wurde und der größte Hype, bevor Sängerin Lorde uns erlöste.
Man kann endlich wieder in Wellington landen, ohne dort von gigantischen Adlern und Schwertern begrüßt zu werden, die von der Decke hängen. Unsere Hauptstadt nennt sich nicht mehr „Middle of Middle Earth“. Jetzt darf man ungestraft zugeben, dass man sich nicht alle 17 Stunden an Schlachten und Dramen reingezogen hat. Dass man Bifur nicht von Bofur, Nori nicht von Ori und Narzug nicht von Yazneg unterscheiden kann. Vielleicht kann man sogar fragen, ob es wirklich nötig war, Warner Brothers 67 Millionen Dollar Steuerfreiheit einzuräumen, damit sie Neuseeland so schön als Kulisse vermarkten.
Aber egal – es ist vorbei. Allerdings nicht für alle. William Kircher, der den Zwerg Bifur in „Der Hobbit“ spielt, kann den Rest seines Lebens damit verbringen, für gutes Geld auf Film- und Fantasy-Messen aufzutreten. Allein im letzten Jahr tauchte er von Kanada bis Kopenhagen bei „Hobbitcon“ oder „Ringcon“ auf, manchmal vor über 5.000 Fans. Air New Zealand lud 150 der knallhärtesten Tolkien-Verehrer zu den Originalschauplätzen ein. Treffen mit den Darstellern, Kreischen, Tränen vor Aufregung, gar spontanes Nasenbluten. Filmreif!
Der Inder Naresh Kumar lief gerade 87 Tage lang 3.000 Kilometer von Nord nach Süd nur in Sandalen durchs Land, trotzte Schnee und Sturmfluten: ein Jugendtraum, seit er „Herr der Ringe“ erstmals sah. Wer sich nicht für Gollum & Co begeistern kann, wird nie verstehen, was in Abermillionen Köpfen von Peter Jackson losgetreten wurde. Jeder fünfte Neuseeland-Tourist kommt mittlerweile wegen seiner Filme. Es gibt sogar eine Eis-Sorte mit Hobbit-Geschmack.
Im neuen Jahr rollt dann die nächste Invasion aus Hollywood an. Regisseur James Cameron lebt mittlerweile in Neuseeland. Hier entstehen die drei Fortsetzungen von „Avatar“. Blaue Haut statt Zottelbärte? Wir sind bereit.
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Es war die Woche des rotierenden Gerichtsdramoletts – der reinste Showdown down under. Große Namen, schnelle Auftritte, kuriose Szenen, heiße Luft. Viel Action mit wenig Inhalt gab’s zuerst mit AC/DC-Schlagzeuger Phil Rudd. Das 60jährige Schwermetall-Reptil mit dem bürgerlichen Nachnamen „Witschke Rudzevecuis“ bewegte sich aus seinem mit Tournee-Postern zugekleisterten Haus ins Rampenlicht des Bezirksgerichts von Tauranga. Das war schon alles. Aber das dafür bühnenreif.
Der gebürtige Australier, der sich 1983 in die verschlafene Küstenstadt in Neuseelands Osten absetzte, dort ein Hafenrestaurant eröffnete und in der neuen Heimat vor allem durch seine Vorliebe für Prostituierte, Drogen und schnelle Autos auffiel, musste dort erneut vor dem Richter antanzen. Anfang des Monats war er festgenommen worden, weil er angeblich Killer angeheuert hatte. Jetzt hängen ihm nur noch eine Morddrohung und der Besitz von Cannabis und Metamphetaminen an.
Rudd, ganz der Rockstar, erschien eine halbe Stunde zu spät im Gericht – zwei Minuten, bevor man ihn deshalb erneut verhaften lassen wollte. Sein rechtes Augenlid zuckte nervös; sein einziger Kommentar für die Reportermeute war „Bullshit“. Als der Termin vorbei war, sprang der Drummer hinten auf einen seiner Bodyguards und ließ sich huckepack zu seinem Sportwagen tragen. Mit dem Auto setzte er so ruckartig auf die Straße raus, dass er um ein Haar in einen Laster krachte. Trommelwirbelsolo!
In Auckland ging’s weiter, aber im Vergleich dazu geradezu distinguiert. Diesmal mit Kim Dotcom, der sich seit seiner Schlappe bei den Nationalwahlen im September bedeckt hält. Nichts als Pech für den angeblichen Internetpiraten: Auch sein Anwaltsteam hat ihn fallen gelassen. Jetzt wurde im Vorfeld des drohenden Auslieferungsverfahrens seine Kaution neu verhandelt. Hollywood hatte angeblich Druck gemacht, ihn bis zum Prozess im Juni wieder hinter Gitter zu stecken oder ihm zumindest elektronische Fußfesseln anzupassen. Was Dotcom in souveräner Manier vor dem Gerichtsgebäude als Armutszeugnis für die neuseeländische Regierung kommentierte – in einem druckreifen Statement, ganz „Global Player“ mit Nerd-Brille und Dreitagebart statt schriller Bösewicht. Wo er recht hat, hat er recht – ob man ihn mag oder nicht.
In der dreitägigen Anhörung kamen so spannende Details ans Licht wie die Tatsache, dass Dotcom mit einem auf „Kim Schmitz“ ausgestellten Führerschein zu halsbrecherisch gefahren sei. 40 Millionen Neuseeland-Dollar hat der Krösus vor allem durch Anlagen seit seiner hollywoodreifen Festnahme verdient, aber dennoch sei er damit nicht auf der Flucht – was für ihn spreche, so der Richter. Big Kim bekam als verschärfte Kautionsauflage aufgebrummt, sich ab sofort zweimal pro Woche bei der Polizei zu melden. Er muss seinen Pass abgeben und darf weder ein Schiff noch ein Privatflugzeug betreten. Sein Abgang nach dem Gerichtstermin hatte so gar nichts von AC/DC. Letzte Worte: „Jetzt gehe ich nach Hause und spiele mit meinen Kindern.“
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Letzten Freitag, als Angela Merkel erstmals auf Staatsbesuch in Auckland einfiel, verschlug es mich in die entgegengesetzte Richtung – in ein Schweigeseminar. Das musste leider dringend sein und war zeitlich geschickt eingefädelt. Denn solch ein Puffer hilft, um anschließend besser zu begreifen, was Aotearoa in jenen Tagen eigentlich wiederfuhr.
Nichts schärft die Sinne so wie tagelange Meditation in der Stille, nur durch Magengrummeln und dem halbstündlichen Gong einer tibetischen Klangschale unterbrochen. Kein Handyempfang, keine Emails, keine Weltnachrichten. Dafür steife Knie vom Lotussitz. Während ich sechs Stunden am Tag ommmte und atmete und mein Hirn zu bändigen versuchte, verpasste ich die beiden entscheidenden Momente, die einmal um den Globus gingen. Zum Glück waren die weit angereisten Kollegen von Stern bis Spiegel dabei und hielten fest: Merkel bekam einen Maori-Nasenkuss. Und Merkel streichelte einen Kiwi-Vogel. Der hieß „Whau Whau“.
Es war das erste Mal seit 17 Jahren, dass ein deutscher Regierungschef die lange Reise antrat. Helmut Kohl war der letzte Germane, der die 24 Stunden Flug wagte, und wurde prompt auf der Südhalbkugel in Badehose abgelichtet. Es war seitdem auch garantiert das erste Mal, dass Neuseeland es politisch bis in die BILD-Zeitung schaffte. Der politische Teil des Textes beschränkt sich jedoch darauf, dass die Hauptdarstellerin auf dem Weg zum G20-Gipfel in Brisbane war. Die restliche Berichterstattung ist eine Art Gebrauchsanweisung für alle BILD-Leser, die noch nie von diesem komischen Flecken Erde da unten am Globusrand gehört haben.
Mein tägliches Umfeld im scharfen Blick der deutschen Presse zu sehen – das ist wie einen Spiegel vorgehalten zu bekommen. Was bei alteingesessenen Korrespondenten, die betriebsblind zu werden drohen, ab und zu so brutal nötig ist wie Stille für einen überarbeiteten Kopf. Das erfrischt. Kein Geschwafel von Natur, Bungee-Sprüngen und Hobbits. Keine einschläfernden Analysen wie in der Welt („Die Beziehungen zu Neuseeland sind unspektakulär gut“).
Nein, gleich aufs Wesentliche konzentrieren und die Rosinen aus dem Kiwi-Kuchen picken: „Schrilles Neuseeland – Kriegstänze und Sex mit Schafen“.
Besser hätte ich es auch nicht formulieren können. Wenn auch nicht so mutig. Jahrelang versuche ich an dieser Stelle tapfer, mich zu den großen Tabuthemen meines Exillandes vorzuarbeiten, ohne die Ausbürgerung zu riskieren – und dann macht ein treffsicherer, eingeflogener Kollege diese Arbeit auf einen Schlag. Das ist Fallschirmjournalismus vom Feinsten. Ich hätte glatt noch eine Woche weiter meditieren sollen.
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Drei Tage lang war ich auf einem Literaturfestival. Es ging kaum um Prosa und Poesie, sondern um echte Leute und Ideen. Großartig, inspirierend, und die Diskussionen in jeder Runde hitzig und wichtig. Begeistert zog ich von Zelt zu Zelt, von Autor zu Autorin. An jedem Nachmittag wurde eine Neuerscheinung gelauncht. So auch „My Year Without Matches“.
Wow. Der Titel ließ mich nach dem Blick ins Programm nicht mehr los. Ein Jahr ohne Streichhölzer? Wo gibt’s denn sowas? Wer tut sich das an, zwölf Monate lang? Wie, zum Teufel, bekommt man ohne Zündholz im Dezember die Kerzen am Tannenbaum an? Oder bastelt im Herbst Kastanienmännchen? Wie baut man nur all diese Miniatur-Kathedralen – etwa mit Zahnstochern? Oder zieht beim Auslosen den Kürzeren? Unendliche Fragen tun sich bei der Vorstellung auf, und nicht nur die naheliegenden („Warum nicht einfach mit Feuerzeug?“). Das will man doch alles wissen. Gut, dass diesem Ausnahmezustand 288 Seiten lang nachgespürt wird.
Langsam wird die Liste der Dinge auch dünne, ohne die man ein Jahr lang als Buchautorin gezwungenermaßen oder freiwillig auskommen muss. Kein Kaffee, kein Kühlschrank, kein Auto, kein Geld – gab‘s sicher alles schon im Selbstversuch. Ein Jahr ohne Internet oder Telefon: das hatten wir bereits vor Jahren, sowohl auf Deutsch wie international. Ein Jahr ohne Kleiderkauf oder stets im gleichen blauen Fummel: mitgefiebert, oft kopiert, abgehakt. Ein Jahr ohne Zucker? Hat uns nicht nur die amerikanische TV-Dame Katie Courie nahegebracht. Von einem Jahr ohne Saufen kann einem jedes Mitglied der Anonymen Alkoholiker anschaulich berichten, und auch ein Jahr ohne Sex ist nichts Spektakuläres mehr. „My Year Without Sex“ lief sogar als Film in Australien.
Jetzt also Streichhölzer. Logisch. Längst fällig, nicht erst seit dem Song von Oomph („Das letzte Streichholz“). Auf dem Weg zur Buchvorstellung überlege ich, auf was man noch alles verzichten könnte, um daraus ein Druckwerk zu machen. Mein Jahr ohne Zähneputzen? Mundgeruch im Endstadium als existentielle Naturerfahrung. Die daraus resultierende Entfremdung von den Mitmenschen, der Verlust der Sozialkontakte, das Einswerden mit der Oralflora und –fauna, und das Ganze einfühlsam beschrieben – das will doch jeder lesen. Hohe Auflage garantiert. Dazu die Vorher-Nachher-Bilder für die Presse-Kampagne zum Buch, beim Zahnarzt geschossen. Ich sollte mal mit einer der vielen Agentinnen oder Verlagsvertreter reden, die auf dem Festival herumgeistern. Solche Ideen muss man schnell umsetzen.
Die Veranstaltung beginnt. Autorin Claire Dunn hält ihr Erstlingswerk in den Händen. Sie hat sich ein Jahr lang ohne technische Hilfsmittel und jeglichen Komfort in die australische Wildnis begeben. Um ein wenig Wärme oder ein Essen zu zaubern, zündelte sie jedesmal mühsam mit Feuerstein und Hölzchen herum. Sie musste in der Survival-Zeit auch ohne Klopapier auskommen. Irgendwie hätte mich das als Titel mehr überzeugt. Ich denke viel zu kommerziell.
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Nächste Woche Samstag müssen die Kiwis ihr Kreuzchen machen. Die Beklopptenrate steigt täglich, nicht nicht nur dank Krawallklops Kim Dotcom, der zuletzt von seinem früheren Bodyguard als egomanischer Manipulator geoutet wurde. Nein, es wagen sich auch Gestalten auf die Abgeordnetenlisten, denen man wünscht, dass sie nie die Berufsbezeichnung „Politiker“ erhalten.
Besonders hervor tut sich die kleine Conservative Party, die für Law and Order steht und hofft, erstmals über die Fünfprozenthürde zu kommen. Einer ihrer Leute droht, beim Einzug ins Parlament von seinem Recht Gebrauch zu machen, anonym verurteilte Straftäter öffentlich beim Namen zu nennen. „Ich werde mein parlamentarisches Privileg voll nutzen“, tönt der Mann. „Sonnenlicht ist das beste Reinigungsmittel, und ich werde eine Menge davon verstrahlen.“
Edward Saafi, der immerhin die Doktorwürde als Biochemiker besitzt, scheint auf anderen Gebieten nicht immer die größten Gehirnleistungen zu erbringen. „Wir sehen, dass die Selbstmordrate in den pazifischen Gemeinden steigt“, kombiniert Saafi, der aus dem Südseestaat Tonga stammt. Grund dafür sei der Verlust der elterlichen Autorität, die seit Inkrafttreten des Anti-Ohrfeigen-Gesetzes dramatisch schwände. „Statt das zu tun, was Mutter und Vater sagen, bringen Kinder sich um. Wenn das Gesetz ihnen sagt, dass die Eltern sie nicht mehr züchtigen können, machen sie einfach, was sie wollen. Es eröffnet ihnen andere Alternativen – wie Selbstmord.“ Seine steile These hält Saafi für „gesunden Menschenverstand“.
Damit nicht genug. Die Legalisierung der Prostitution in Neuseeland sei mindestens genauso gefährlich wie das Verbot der Prügelstrafe. Beides habe dazu geführt, dass Teenager „sich nachts aus dem Hause schleichen, um sich etwas Taschengeld dazu zu verdienen“.
Saafis Vorstellung von Sodom und Gomorrha heißt Sodom und Gonorrhö. Auf seiner Facebookseite warnt er vor gefährlichen Geschlechtskrankheiten, deren Anstieg „eine klare Botschaft an die menschliche Gesellschaft“ sei. „Kondom statt Sodom!“, will man ihm in all dem wirren Wahnsinn zurufen – und hofft, dass der erzkonservative Faktenverdreher es nie, nie, nie ins Parlament schafft.
Es lohnt in jedem Fall, sich vor dem Wahltag die Kandidatenliste genauer anzugucken. So taucht bei der Internet-Mana-Partei ein gewisser James Papali’i auf, ein verurteilter Betrüger. Und schon vor vier Jahren trat der ACT-Abgeordnete David Garrett zurück. 25 Jahre zuvor hatte er die Identität eines verstorbenen Kindes benutzt, um an einen Pass zu kommen.
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Party party! So schallt der Schlachtruf unten aus Ozeanien. Tief, tief unten. Unser Wahlkampf sinkt dank des Dicken aus Kiel-Mettenhof gerade auf Südpol-Niveau. Während der Kampagne des Internet-Piraten gegen Neuseelands Premierminister wird gezündelt, gepöbelt, geschunkelt und beleidigt. Hauptsache Krawall. Aotearoa ist entsetzt und entflammt. So derbe kann Stimmenfang sein, wenn ein Teutone mitmischt.
„Party“ heißt nicht nur Feier, sondern auch Partei. „Party party“ ist die PR-Sause, die Kim Dotcom mit seiner frisch gegründeten Internet-Partei schon Anfang des Jahres starten wollte, aber wegen angeblich gekaufter Wählerstimmen vertagen musste. Als letztens die All Blacks ein Rugby-Spiel gewannen, lud er spontan 20 Twitter-Follower zur Pool-Party auf seinem Anwesen ein. In diesem Stil ging’s weiter. Jetzt war er unterwegs von Nord nach Süd, im Bündnis mit der linken Mana-Partei. Die Vorsitzende seiner Partei, Alt-Linke Laila Harré, musste sich von Premierminister John Key derweil sagen lassen, dass Multimillionär Dotcom ihr „sugar daddy“ sei. Unter der Gürtellinie!
Dann der Aufschrei von konservativer Seite. Kim rockte in den letzten Wochen in allen größeren Städten vor jungem Publikum an, schmiss seine lange ersehnte Party und führte sich zu Stampfmusik als Retter der wahlmüden Jugend auf. „Are you ready for a revolution?”, brüllte er vor Studenten in Christchurch. “Kim-Dot-Com!”, brüllten die Masse unisono im Wummertakt zurück. Ein Grinsen erleuchtete das Gesicht des neuen Polit-Stars. Er drohte an, in die Menge zu steigen und jeden persönlich zu umarmen. Die Stimmung wurde aufgeheizter. Schließlich frenetische Sprechchöre: “Fuck John Key! Fuck John Key!” Das gab’s noch nie. Nur Fackeln und Feuerwerk fehlten. Dagegen sehen die hiesigen Grünen wie Mumien aus.
Opposition wie Medien schwingen jetzt die Nazi-Keule: Das Brüllen in Horden würde eher zum deutschen Faschismus als ins Neuseeland des 21. Jahrhunderts gehören. Ein Kommentator fühlte sich an Hitlers Aufmärsche in Nürnberg erinnert – nicht zuletzt, weil Dotcom Nazi-Memorabilia sammelt und „Nigger“-Witze für lustig hält. Seit Tagen zirkuliert ein Video, das eine Verbrennung im Stile von ‚Burning Man‘ zeigt. Man sieht eine aus Holzscheiten errichtete Puppe, deren Kopf das Konterfei von John Key trägt. Staatsoberhaupt auf dem Scheiterhaufen – angeblich angezettelt von Big Kim.
Der Humor des Mega-Upload-Multis ist halt etwas anders. Auf seiner Wahlkampftour stoppte er mit Laila Harré auch in Waihopai nahe Nelson, wo Neuseelands Spion-Basis steht. Lustig war in der Tat, dass sein spaßiger Trupp dort auf den roten Klingelknopf drückte, um mit jemandem zu sprechen. ‚50 mm Abstand halten‘, hieß es an der Gegensprechanlage. Es kam aber niemand – nur ein Polizeiwagen, als Dotcom wieder aufbrach. Vorher schoss er noch ein hübsches Selfie vor den gigantischen weißen Radarkugeln auf freiem Feld, mit Daumen runter. Bitte mehr Party-Fotos!
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Rucksacktouristen! Weltenbummler! Plant ihr, den Winter “down under” zu verbringen? Neuseeland im Campingbus zu umrunden? Prima. Es soll aber sicher kein spießiges Wohnmobil sein – man ist ja kein typischer Tourist -, sondern lieber so ein cooles Surfer-Ding mit Graffiti drauf und Matratze hinten drin, richtig? Dann unbedingt Dreadlocks zurechtfilzen, aber illegale Rauchwaren zu Hause lassen – man bringt ja auch nicht Eis nach Grönland. Und bitte zweimal überlegen, ob es wirklich ein Wagen von “Wicked Campers” sein muss.
Die Mietwagenfirma ist berühmt für ihre billigen, bunt besprühten Campingbusse. Voll crazy. Darin fühlen sich auch 35-Jährige wieder wie 20. Berüchtigt ist “Wicked Campers” für die Slogans, die hinten auf den Autos stehen. Die helfen beim Aufreißen von Urlaubsbekanntschaften. Zum Beispiel der hier: “A blow-job is a great last minute gift.” Das versteht jede, genauso wie “Fat girls are harder to kidnap”. Voll lustig. So ein freches Blas-mich-Mobil ist der reinste Mädchen-Magnet. Nur die Hässlichen flüchten sofort.
Bei Älteren zieht der hier: “Eine Ehefrau: Ein Apparat, den man aufs Bett schraubt, damit die Hausarbeit gemacht wird.” Menstruation, Muschis und alles, was Männer sonst noch fürchten, findet sich flott formuliert auf dem Autolack wieder. Der Schock-Effekt ist Kalkül, das Geschäft läuft bestens. “Wicked Campers” haben bisher alle Proteste kaltgelassen. Bis Paula Orbea mit ihrer Tochter in den Blue Mountains unterwegs war. Dort sah die 11-Jährige vor sich einen Campervan und las: “In jeder Prinzessin steckt eine kleine Schlampe, die es gerne mal ausprobieren will.”
Das Mädchen war verstört, ihre Mutter wütend. “Dieser Spruch unterstützt Pädophilie”, findet die Lehrerin aus Sydney. Er würde die Sicht von Männern wie dem Sexualstraftäter und Entertainer Rolf Harris wiedergeben, dessen jüngstes Opfer acht Jahre alt war. Paula Orbea startete eine Onlinepetition auf Change.org. Innerhalb von vier Tagen hatte sie über 125.000 Unterschriften aus Australien und Neuseeland zusammen. Der Stadtrat von Christchurch überlegte sogar, die “Wicked”-Vans komplett aus dem Stadtgebiet zu verbannen.
Die Firma knickte unter der Flut von Protest-E-Mails ein, entschuldigte sich öffentlich und versprach, innerhalb von sechs Monaten alle sexistischen Slogans zu entfernen. Auf Facebook sah man eine Frau, die angeblich selber zur Sprühdose griff. Auf dem Bus stand vorher: “Eine Vagina ist wie das Wetter … wenn’s nass ist, geht man rein.” Jetzt prangt dort: “If ya wouldn’t say it to ya nan … don’t put it on ya van.” Frei übersetzt: Was Oma schockt, gehört geblockt. Womit sich die “bad boys” von “Wicked” weiterhin cool gebärden: Ihre Sprüche sind nur zu krass für alte Langweiler, ansonsten in Ordnung. Schon im Vorfeld der Change.org-Aktion hatten die Van-Vermieter getönt: “Was verboten ist, macht uns interessanter.” Voll klar.
Da kann man deutschen Neuseeland-Besuchern getrost den Slogan an die Hand geben: “Wicked – Fick it!”
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Jahrelang konnte ich um Fachmagazine wie „Woman’s Day“, dessen Lektüre einer Lobotomie gleichkommt, einen Bogen machen. Vorbei. Die explosivste Story des Jahres aus dem krösus- und modelmäßig unterversorgten Neuseeland sprang mir im Supermarkt entgegen: „Warum ich Dotcom verlassen musste“. Mona packt aus! Sechs Seiten mit Fotos. Weltexklusiv. Intim. Erschütternd.
„Es war zwei Uhr früh in einer eisigen Nacht im Mai, als Mona endlich der Villa ihres Mannes entfloh. Sie fuhr einen elektrischen Golf-Kart, trug ein Nachthemd und hatte nicht mal eine Zahnbürste in ihrer liebsten Hermès Birkin Handtasche dabei.“ So beginnt die schonunglose Beichte der 25jährigen, die ihren Traummann damals in Manila kennenlernte. Er gab kürzlich die Trennung nach fünf Jahren Ehe per Twitter bekannt. Sie schwieg. Aber jetzt erfahren wir alles. Der reiche Deutsche hatte sie gerettet und wollte sie zur Sängerin einer Girl-Band machen. Also Liebe auf den ersten Blick.
14 Jahre und 130 Kilo trennen Zweimetermann Kim Schmitz und das zarte Model. Sie schenkte ihm vier Kinder, alle per IVF gebrütet. Mona erspart uns keine Details. „Es war eine echte Ehe – auch der Sex, worüber sich Leute wundern. Sie glauben, weil ich mein eigenes Schlafzimmer hatte, waren wir nie zusammen. Aber ich bin immer mit Kim eingeschlafen, bis er sich so viel hin- und her bewegte, dass es unmöglich wurde und ich in mein Schlafzimmer ging.“ Gnade und Licht aus!
In den Anfangszeiten speckte Kim 45 Kilo ab, was seiner Frau gar nicht gefiel: „Er bekam mehr und mehr Aufmerksamkeit von anderen Frauen.“ Sie päppelte ihn wieder auf – mit Schnitzel, Wurst und Gummibärchen, die er überall im Haus gelagert hatte. Über Hongkong kam das 200 Millionen Dollar schwere Paar nach Neuseeland. Ein simpleres Leben wollte man den Kindern bieten. Daher die monströse Villa mit 50 Angestellten – Butler, Köche, Bodyguards und sieben Kindermädchen. Das wahre Leben hinter Kimbles Eheknastmauern war aber nicht so megageil, auch wenn der Hausherr gerne Partys schmiss. Mona durfte nichts trinken, weil Kim das hasste, und Autofahren hat sie bis heute nicht gelernt.
Urlaube verbrachte Familie Dotcom bevorzugt im Mittelmeer auf zwei Riesenjachten. Dafür flog man auch gerne mal zwölf Autos und Lieblingsmöbelstücke von Neuseeland nach Europa. Die Prasserei war jäh zu Ende, als Dotcoms Anwesen im Januar 2012 hollywoodreif von der Polizei erstürmt wurde. Das Vermögen ist seitdem eingefroren. Mona schlug Kim vor, ein paar Stücke aus ihrer 500,000-Dollar-Kollektion an Handtaschen und Christian-Louboutin-Schuhen zu verhökern, um dafür Lebensmittel zu kaufen. „Kim sagte: ‚Auf keinen Fall.‘“ So romantisch!
Warum seine Prinzessin sich dennoch nachts im Golf-Kart davon machte, bleibt nebulös. Aber dramatisch war’s: „Ich stand auf der Straße in Takapuna, übergab mich, fluchte…“ Oh dear. Man kann nur das Beste für Mona hoffen. Sie will jetzt Wirtschaft studieren. An eine neue Liebe ist noch nicht zu denken. Aber einen neuen Hund hat sie bereits.
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Rebellierende Rockstars, Rassisten und ein phillipinisches Pin-up: Es ist High Noon in Kimdotcomland. Das bedeutet verschärftes Fremdschämrisiko. Bisher fühlten wir Deutschen uns am schönsten Arsch der Welt vor peinlicher Polit-Prominenz sicher. Doch wenn Kim Schmitzens Supersize-Skandale weiter eskalieren, muss ich mir ein sicheres Drittland suchen. Oder meine Herkunft verleugnen.
Ausgerechnet mein lokaler Lieblingsmusiker Aaron Tokona steigt als Kämpfer gegen den Gründer der neuen Internet-Partei in den Ring. Der Jimi Hendrix Neuseelands ließ sich wie andere Kollegen von Mr. Mega-Upload für gutes Geld anheuern, um dessen schlechte Musik aufzumöbeln. Die Wochen im Tonstudio waren nicht nur künstlerisch eine Qual, sondern eine bizarre Reise ins Reich Kim des Bösen. Tokona, der den vom FBI gejagten Internet-Krösus vorher als eine Art Robin Hood geschätzt hatte, verlor in kürzester Zeit jeden Respekt vor dem „narzisstischen Megalomaniac“. Der habe angeblich keinen Gang zum Klo ohne Bodyguards bewältigen können, werfe obszön mit Geld um sich und behandele Menschen wie Dreck. So weit, so schlecht, so normal im Showbusiness. Wenn da nicht das unheimliche Deutsche wäre: Narziss oder Nazi?
Das Image klebt an Dotkom, seit er prahlte, Hitlers „Mein Kampf“ zu besitzen und sich als „War of the Worlds“-Fan in SS-Helm ablichten ließ. Letzte Woche dann Tokonas Enthüllung: Im Tonstudio habe Kim fröhlich bei einem von den afro-amerikanischen Produzenten ausgerufenen „Rassistentag“ mitgemacht. Ein Insider-Scherz, der vielleicht ohne Folgen geblieben wäre, wenn der Boss die Musiker – darunter Printz Board von den Black Eyed Peas – nicht mit politisch unkorrekten „Golliwogs“ überrascht hätte. Das sind zu Recht geächtete „Negerpuppen“ aus Kolonialzeiten.
In den USA sind darüber noch keine Proteste entbrannt. Aber der linken Mana-Partei hier im Lande, die hauptsächlich aus Maori besteht, dürfte der Golliwog-Gag aufstoßen. Ausgerechnet mit der bodenständigen Proletarier-Truppe will Dotcoms Partei koalieren, um über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen – ein Duett, in etwa so stimmig wie Conchita Wurst singend mit dem Papst.
Kaum wurde die braune Wäsche im Wahlkampf gewaschen, da erreichte uns diese Nachricht aus „Coatesville Reichstag“, wie Kims Feinde seine protzige Villa außerhalb Aucklands nennen. „Mona und ich haben uns getrennt“, twitterte Dotcom an seine Fans. Eine „Familienangelegenheit“, er bitte um „Privatsphäre“. Die Mutter seiner fünf Kinder hatte er in einer Bar in Manila kennengelernt. Im Internet kursierten zuletzt Monas voreheliche Nacktfotos aus einem Herrenmagazin. Jetzt wird über die Finanzlage der Internet-Partei spekuliert. Denn Mona, die Handtaschen in der Preisklasse von Kleinwagen liebt, hat Anteile am Dotcom-Vermögen.
Zwei Tage später dann die Schock-Schlagzeile: „Kims exekutierte Freundin tritt im Fernsehen auf“. Was hat unser Big Bad Boy noch alles in petto? Welche Frauenleichen lagern im Party-Keller? War aber diesmal nur Nordkorea. Der kleine Kim.
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Ich lebe im Land der langen, weißen Rauchwolke. Das ist keine Übertreibung: Die Hälfte aller erwachsenen Neuseeländer hat schon mal einen Joint gepafft. Ist sogar statistisch belegt. Für das Rollen einer stinknormalen Zigarette wird man hier eher sozial geächtet als für das Stopfen seines Pfeifchens. Ja, das sind fast jamaikanische Zustände „down under“ – vor allem an der wilden Westküste, wo die eigene Hanfplantage so systemimmanent ist ist wie der Schrebergarten im Ruhrpott. Nur nicht ganz so legal.
Letzten Samstag, am „J Day“, rauchten daher Tausende von Kiwis in öffentlichen Parks Cannabis, verkauften Gras in Tütchen und demonstrierten für die Legalisierung von Marihuana. Es ist Wahlkampf, und das „Smoke-In“ war der Kampagnenauftakt der Aotearoa Cannabis Partei. Falls sie nicht zu bedröhnt ist, kann sie sich gleich ihres ersten Falles annehmen, der womöglich gar die bilateralen Verhältnisse zwischen Neuseeland und Deutschland belastet: Ein deutscher Austauschschüler versuchte sich in seiner Freizeit unter größter Anstrengung den nationalen Rauchgepflogenheiten anzupassen und soll dafür aus dem Lande fliegen.
Von der Schule flog der arme Kerl bereits. Der 17jährige, der lieber anonym bleiben möchte, war bis vor kurzem internationaler Schüler am Tauranga Boys College. Am 7. März schnappte er sich sein Motorrad und kaufte für 80 Dollar Dope, das er sich mit vier anderen deutschen Jugendlichen in einem Park teilte. Angeblich nahm er nur einen Zug und spürte nichts davon, als er nach Hause fuhr: „Ich konnte nicht richtig inhalieren und musste husten, weil es weh tat. Es war nichts für mich.“
Doch der Schulleiter bekam Wind von den Möchtegern-Kiffern und knöpfte sie sich vor. Dem 17jährigen wurde gesagt, ihm drohten keinerlei Konsequenzen, solange er die Wahrheit sage. Kaum hatte er gebeichtet, flog er jedoch 24 Stunden später von der Schule. Damit droht ihm auch die Abschiebung aus dem Lande, falls er nicht eine neue Schule findet.
Seine Familie argumentiert, dass der Junge bereits in seiner Gastfamilie in Tauranga mit Marihuana in Kontakt gekommen sei. Seine Unterstützer sind empört, dass an ihm ein Exempel statuiert und mit zweierlei Maß gemessen würde: Kein Kiwi-Kid fliege wegen eines Joints von der Schule, falls er außerhalb der Schule geraucht würde und niemand Schuluniform trüge. Das sei allein Sache der Polizei.
Am Wochenende reiste übrigens Fernsehköchin Nigella Lawson unbehellingt in Neuseeland ein. In die USA lässt man die Britin dagegen nicht mehr, seit sie gestand, die ein oder andere Nase Koks und ein paar Lungenzüge Gras genommen zu haben, als es ihr schlecht ging. Wer woanders nicht einreisen darf, bekommt auch kein Visum für Neuseeland. In ihrem Fall machten die Behörden jedoch eine Ausnahme – Nigella muss in Aotearoa einen Werbespot für eine Schokoladenfirma drehen. Solange sie keine Haschkekse backt, ist alles im grünen Bereich. Neue Hoffnung für den Abschiebe-Schüler?
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Seit die Malaysia-Maschine vom Radar verschwand, macht man sich vor dem Fliegen so seine Gedanken. Ich bin in den in den nächsten Wochen viel im Lande unterwegs. Meine Vorkehrung heißt: Spruchbänder und Megafon ins Handgepäck. Vielleicht noch Proviant, falls wir gar nicht abheben. Denn in den ersten Minuten an Bord könnte es zu Tumulten kommen. Von Menschen, die aus Protest aufstehen und demonstrativ den Rücken zu den Bildschirmen drehen. Dann ist Solidarität gefragt. Denn dann zeigt Air New Zealand sein neuestes Sicherheitsvideo.
Normalerweise sind diese Bordfilmchen kulturelle Großereignisse. Kiwis sind immer sehr happy, ihr schönes Land beworben zu sehen. Unsere nationale Fluglinie lässt sich stets was Feines einfallen: Stewards in Bodypaint oder Rugby-Stars. Doch diesmal bin ich aufs Schärfste vorgewarnt. Das neue Air-New-Zealand Video ist ein Eklat. Es ist sexistisch. Es ist der diesjährige Aufreger der antipodischen Luftfahrt. Ein Schocker, der die Titelseiten dominierte, während Kim Dotcom kurze Verschnaufpause machte. Dazu Schlagzeilen von Sydney bis CNN: „Turbulenzen für Air New Zealand“!
Ich bin aufs Schlimmste gefasst, als ich endlich in die nächste Maschine steige. Mit internationaler Frauenpower gewappnet schnalle ich mich an. Vielleicht sollte ich aus weiter Ferne live an #aufschrei tweeten? Davon muss die Welt erfahren. Das Video springt an: „Safety in Paradise“. Polynesische Musik erklingt. Ich traue mich kaum, hinzugucken. Vier Schönheiten aus dem „Sports Illustrated“-Sortiment flanieren auf dem Sand der Südseeinsel Rarotonga. Eine Unverschämtheit: Auf den Cook-Inseln sieht es nicht überall so paradiesisch aus! Aber um Postkartenklischee contra polynesische Realität geht es jetzt nicht. Also doch hingeschaut. Tut auch kaum weh. Die Models werfen verführerisch die Haare zurück, schlürfen aus Strohhalmen Kokossaft und demonstrieren nebenbei, wie der Anschnallgurt zwischen Tanga und Blumenkette straff sitzt. Vier Minuten lang weichgespülte Bikini-Posen. Ich hab’s überlebt. Die Langnese-Spots früher waren auch nicht schlimmer.
Ginge es nach Deborah Russell, Dozentin an der Massey Universität, wäre mir dieser Affront besser erspart geblieben. „Safety in Paradise“ schade der Sicherheit der Frau, so die feministische Streiterin. Leider hat sie wohl übersehen, dass in dem hirn- und harmlosen Filmchen auch ein paar Island Boys vorkommen – knackig, dumpfbackig und natürlich nackt bis zur Hüfte. Sie bestechen auch nicht gerade nur durch ihr Hirn. Aber egal. Wollen wir nicht kleinlich sein, wenn’s ums Große geht.
Der Sturm über den Wolken schlug Wellen: 1,2 Millionen Klicks des Videos auf YouToube in nur fünf Tagen. Vielleicht bleibt neben der knappen Bademode auch die wichtigere Botschaft hängen: Notausgänge, Atemmaske, Schwimmweste! Noch ist die Nacktfleisch-Kalkulation nicht ganz aufgegangen. Ein früherer Air-New-Zealand-Spot mit „Golden Girl“-Star Betty White erzielte weit mehr Zuschauer. Die alte Dame ist 92 und komplett bekleidet.
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Morgen steht uns der Tag des heiligen Patrizius ins Haus. Oh dear – oh Danny boy! Mangels Töchtern schließe ich wohl besser die Hündin weg. St. Patrick’s Day, der Nationalfeiertag der Iren, ist weltweit eine karnevaleske Ausgeburt an froschgrünen Hüten, Gnomen-Bärten, Kleeblättern und Fideln. Diese feucht-folkloristischen Umtriebe kleiner Immigranten-Gemeinden konnte man bisher getrost ignorieren. Aber seit dem Erdbeben, das letzten Monat seinen Dreijährigen feierte, ist das Volk komplett iritisiert – also von Iren irritiert. Statt mit all den Paddys fröhlich ein Ale zu trinken, schieben wir lieber Panik. „Hibernophobie“ heißt das korrekt – Angst vor den Auswanderern von der grünen Insel.
Anti-irische Stimmung weltweit gibt es schon seit dem Mittelalter, denn die Iren waren stets ein Immigrantenvolk. Hunderte von keltischen Bauarbeitern lockte auch der Wiederaufbau Christchurchs. Oft teilen sie sich zu mehreren eine Bude. Das stößt Vermietern auf, die Spuren exzessiven Alkoholkonsums auf ihrer Auslegeware befürchten. Auf der größten Baustelle der südlichen Hemisphäre sind die zugereisten Handwerker als harte Arbeiter beliebt, aber nach Feierabend vor allem für eines berüchtigt: Spaß, Suff und Sex.
Letztes Jahr kam es nach einem Rugbyspiel zum Eklat. Die irischen Zuschauer im AMI-Stadion seien die größten „trouble maker“ gewesen: fünf Verhaftungen, 16 Rausschmisse und 30 Fans, die wegen ihres Alk-Pegels erst gar nicht reingelassen wurden. Der Polizeikommissar tönte danach öffentlich, Christchurchs Iren hätten „große Probleme“ mit Alkohol. Welch ein Schock, welch ein Affront in Aotearoa, dem Land der konsequenten Abstinenz, wo besonders in jungen Jahren das als „binge drinking“ bekannte Kampftrinken schärfstens verpönt ist! Kiwis sind auch im Ausland für ihre vorbildliche Nüchternheit bekannt. Davon kann man sich besonders beim Münchner Oktoberfest, bei den Anzac-Feiern in der Türkei und beim Londoner „pub crawl“ am Waitangi Day überzeugen. Oder hat man sie dort immer mit den Australiern verwechselt?
Seit dem Rugby-Krawall wehren die Iren sich gegen ihr schlechtes Image. Anfangs wurden sie nur mit Klischee-Sprüchen genervt – „sag doch mal ‚fiddle-dee-dee potatoes‘ mit deinem lustigen Akzent, haha!“ -, und Christchurchs Single-Frauen sind den gut verdienenden und gut gelaunten Kerle trotz oder wegen ihrer Aussprache durchaus zugeneigt. Aber seit Monaten hat sich das Stereotyp gewandelt. Das ging so weit, dass ein irischer Zimmermann sich an die Behörden wandte, weil er auf seiner Arbeitsstelle ständig angepöbelt wurde. Man sprach ihm schließlich 13.000 Dollar Schmerzensgeld zu.
Geld allein wird jedoch nicht reichen, um die größte Gefahr zu bannen, die angeblich von den Söhnen Irlands ausgeht: Geschlechtskrankheiten. Laut Gesundheitsamt explodiert gerade die Zahl der irischen Patienten, die wegen Chlamydien und Gonorrhoea in Behandlung sind. Hilfe! Nächste Woche besser nichts Grünes tragen und Beine fest zusammen.
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Ich lebe nicht mehr in Neuseeland, sondern in Kimdotcomland. Es vergeht keine Woche, in der der berühmteste Deutsche im Lande mich nicht auf Trab hält. Seit dem algerischen Flüchtling und vermeintlichen Terroristen Ahmed Zaoui hat kein Fremder mehr diese Nation so aufgemischt, und das ist zehn Jahre her. Keiner außer Kim Dotcom, geboren Kim Schmitz. Kein Grund mehr zum Schämen, sondern Trittbrettfahren. Vielleicht sollte ich „embedded journalist“ in der Schlacht um das Reich Kim des Großen werden?
Es gehört zu meiner Korrespondentenpflicht, Schmitzens alte Heimat – voran die demnächst als Pilgerstätte geplante Wiege Kiel-Mettenhof – an dieser Stelle regelmäßig über den Wirbel zu unterrichten, den Mr. Mega-Upload inszeniert. In den Buchläden steht seine Biographie, „The Secret Life of Kim Dotcom“, mit einem Cover, das einen von Supermächten gejagten Weltall-Messias suggeriert. Auch von Aucklands Bussen grinst er breit, neben dem Titel „Good Times“: Kims neuer Song, dem Musikkritiker halbe Seiten gewidment haben, wenn auch nicht nur anbetend. „Ansteckend wie ein Tripper“ seien die Beats, der Text so „dumpf wie ein Eimer Sand“.
Bei so viel dubioser Promi-Präsenz bitte nicht angewidert wegklicken, sondern mit mir den Platz in der ersten Reihe einnehmen. Die Show geht jetzt erst richtig los. Wann jemals wieder wird es diese transkontinentale Achse der Internet-Befreiungsfront geben? Welcher Landsmann wurde je im Exil mit solchem Tamtam gefeiert und gleichzeitig vom FBI gejagt? Also: hinsetzen und megamäßig staunen, was man mit Chuzpe, Bullshit, dickem Polster und schlauen PR-Beratern alles aus sich machen kann. Oder zu deichseln versucht, um seine Auslieferung in die USA zu verhindern.
Sollte ich plötzlich nicht mehr auftauchen, dann gibt es dafür nur einen Grund: Auch ich bin plötzlich in „Dotcoms Netz“ gefangen. So nennen es hier die Zeitungen. Gerade kam heraus, dass Grünen-Chef Russel Norman Meetings mit dem digitalen Sonnenkönig hatte, um ihm die Gründung seiner Internet-Partei auszureden. Für die würde laut Umfrage jeder Fünfte im Lande stimmen. Dafür versichert die Opposition dem jetsettenden Anti-Öko, der dicke Wagen im PS-Rausch liebt, Unterstützung im Kampf gegen Hollywood. Auch der ehemalige Außenminister Winston Peters war mehrfach in Kims Villa. Über die Treffen schwieg er sich aus, es sei „Vertraulichkeit“ vereinbart worden. Er wiederum behauptet, von offizieller Seite beschattet worden zu sein. Der reinste Politthriller. Ende offen, in jeder Hinsicht.
Sollte dieser Blog plötzlich Aussetzer haben, was so tief embedded im Jahr des Großen Kim wahrscheinlich ist, dann steckt der neuseeländische Geheimdienst SIS hinter der Störung. Die Spionage-Firma ist zwar ab sofort in den Händen einer kompetenten und menschlich astreinen Frau. Aber trotz neuer Chefin traue ich den Agenten, die Dotcom illegal abhörten, alles zu. Wenn Menschen oder Texte verschwinden, liebe Whistleblower: Ich habe an dieser Stelle gewarnt. Bis dahin „Good Times“!
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Alice Schwarzer ist zwar weit weg, aber Nuttenalarm haben Neuseeländer auch – wenn frau das so salopp sagen darf. Unsere Probleme mit der Prostitution sind jedoch anderer Natur. Genauer, seismischen Ursprungs. Seit wir keine richtige Stadt mehr haben, weil vor drei Jahren ein Erdbeben Christchurch platt machte, haben auch die Sexarbeiterinnen ihren sicheren Arbeitsplatz verloren.
Kurze historische Nachhilfe: Neuseeland hat vor elf Jahren die Prostitution entkriminalisiert und ist seit der Reform schwer fortschrittlich, was das älteste Gewerbe der Welt betrifft. Fürsorglich geradezu. Aber wo seit dem Beben keine richtige Straße, da auch kein Strich: In der dunklen, halbabgerissenen Geisterstadt, der unbewohnten „Roten Zone“ von Christchurchs Zentrum, will sich nachts keine Straßenschwalbe mehr einnisten. Zu unheimlich. Der Stadtrat will jetzt darüber entscheiden, wo die Frauen flanieren dürfen – und muss für ausreichende Beleuchtung und Sanitäranlagen sorgen.
In der Zwischenzeit jedoch hat sich der Strich von der Innenstadt in ein Wohnviertel an der nördlichen Manchester Street verlagert. Und da flogen die Fetzen, als das horizontale Treiben unter freiem Himmel letztens einer Anwohnerin zu bunt wurde: Die Frau, in ihren 50ern, schlug eine Prostituierte in ihrem Vorgarten nieder. Dort fand sie immer öfter Kondome und Fäkalien, von der Geräuschkulisse ganz abgesehen. Sie hatte ihr Opfer und deren Kollegin zuvor konfrontiert, worauf die beiden auf die Hausbesitzerin losgingen. Die Prostituierte zog den Kürzeren und musste ins Krankenhaus.
Seitdem wird an allen Fronten vermittelt. Aber das Problem besteht, solange der Wiederaufbau läuft. Berühmt ist mittlerweile der Fall der Straßenarbeiterin, die sich mit ihrem Hund, ihrer Matratze und einem Stapel Liebesroman-Heftchen auf den interkonfessionellen Friedhof an der Barbadoes Street verzog. Das Stöhnen ihrer Kunden störte jedoch die Bewohner des Nachbargrundstücks, die die Polizei riefen. Sie konnte jedoch nichts ausrichten, da der Friedhof öffentlich ist – siehe progressives Prostitutionsgesetz. Erst als Tierschützer alarmiert wurden, um sich um den angeblich verwahrlosten Hund zu kümmern, räumte die Dame das Feld. Oder das Grab.
Anna Reed, Sprecherin des Prostituierten-Kollektivs, hat inzwischen neue Sorgen: Durch die vielen ausländischen Bauarbeiter in der Stadt aus „anderen Kulturen“ würden ihre Kolleginnen schlechter behandelt, öfter bedroht oder betuppt – „weil sie glauben, dass wir als ‚gemeine Nutten‘ nicht zur Polizei gehen würden, wie in so vielen anderen Ländern.“ Da haben die fiesen Freier aber nicht mit Christchurchs Beamten gerechnet. Das Gesundheitsamt gab prompt eine Broschüre heraus, die erklärt, wie das in Neuseeland korrekt läuft mit dem bezahlten Sex und wo es entsprechend Rat und Hilfe gibt. Sie wird in Backpacker-Hostels, Herbergen und auf Baustellen verteilt. Damit auch niemand zu kurz kommt, liegt jedem Heftchen ein Kondom bei. Nur bloß nicht in den Vorgärten entsorgen!
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„How bizarre“, dachte sich Kristine Fuemana, als sie nichtsahnend den Fernseher einschaltete. Aber sie meinte nicht den gleichnamigen Hit ihres verstorbenen Gatten. Zu sehen war der neueste Werbespot von Audi: „Land of Plenty. Land of Quattro“. Ein schnittiger Wagen, der durch die schönsten Landschaften Aotearoas saust, dazu eine poppige Melodie, die irgendwie vertraut klingt – ein Akt geschäftstüchtiger Leichenfledderei des deutschen Auto-Konzerns?
Auch Fuemanas Kinder vor der Glotze waren baff. „Hey, Mum, sie spielen Papas Lied!“, riefen sie aus, sechs Stück an der Zahl. Die füttert die Witwe alleine durch, seit OMC-Sänger Pauly Fuemana vor drei Jahren plötzlich starb. Der polynesische Rapper war schwer krank, hatte Schulden und Drogenprobleme. Vom plötzlichen Ruhm hatte er sich nie erholt. „How Bizarre“ war 1995 ein Riesenhit und ist bis heute der meistverkaufte neuseeländische Tonträger aller Zeiten. Ein Jahr später folgte die Single „Land of Plenty“. Und die soll Audi angeblich im neuen TV-Spot verwurstet haben, behaupten Kristine Fuemanas Anwälte und die Plattenfirma Universal Music.
Auch dem Co-Autoren des OMC-Songs wurde „übel“, sagt er, als er das hörte, was er für ein klares Plagiat hielt. Denn Audi hatte weder die Rechte für „Land of Plenty“ gekauft noch das Original verwendet, sondern einen ausgewanderten neuseeländischen Musiker in Kalifornien beauftragt, den Soundtrack beizusteuern. Dass der erstaunlich ähnlich klänge, streiten Komponist und Audi New Zealand kategorisch ab. Man darf auf den Prozess gespannt sein. 2006 gewann Sänger Tom Waits eine Klage gegen Audi in Spanien, weil man seinen Sound treffend imitiert hatte.
In Fuemanas Fall ist es jedoch nicht so, dass die Hinterbliebenen was gegen Werbung hätten – nur gegen’s Bescheißen. Denn zum TV-Spot des Müsli-Riegel „Tasti“ läuft munter „How Bizarre“. Aber dafür floß eine sechsstellige Summe. Einen kleinen Obolus würden sich auch die Südseeinsulaner wünschen, deren traditionellen Designs auf den Kleidern der New Yorker Designerin Nanette Lepore auftauchen. Die Promi-Schneiderin, die Michelle Obama und Scarlett Johansson zu ihren Kundinnen zählt, hatte die Motive als „aztekisch“ verkauft, was geschickt ist, denn die Azteken können nicht mehr klagen. Samoaner, Tonganer und Fidschianer sehr wohl.
„Passport to Style“ hatte die Modeschöpferin als Slogan über ihre Kleider geschrieben. „Passport to stealing“ nannte dagegen Künstlerin Vaimoana Niumeitolu aus den USA die Werke. Immerhin erklärte Nanette Lepore: „Es tut mir sehr leid, das Azteken-Kleid falsch benannt zu haben. Ich respektiere örtliche Künstler.“ Damit ist sie in guter bis schlechter Gesellschaft. Ein neues Sport-Trikot von Nike für Frauen sieht genauso aus wie ein Pe’a – die traditionelle Halbkörper-Tätowierung samoanischer Männer. Der kulturelle Fauxpas sorgte für Ärger von Auckland bis Apia, Nike hat sich entschuldigt. Damit dürfte die Botschaft auch für Audi klar sein: Nicht mit Polynesiern anlegen!
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Vor einem Monat hatten wir Aucklands Bürgermeister mit heruntergelassenenHosen – gesegnete Zeiten! Die haben sich rasant geändert. Keiner spricht mehr von Len Browns Affäre. Alle reden von den „Roast Busters“. Ja, die klingen lustig, wie ein Filmtitel. Zeigen sich auch in spaßigen Posen, samt Basecaps und Pickeln. Sie sind aber Vergewaltiger.
Immer öfter tauchen in Neuseeland Facebook-Seiten auf, die „root and rate“ oder „Goon Rigs and Scrags“ heißen: Junge Männer bewerten aufs Übelste Frauen, mit denen sie Sex hatten – mit Namen und Fotos. Dafür gibt es dann schon mal tausend „Likes“– und etliche zutiefst gedemütigte Internet-Opfer. Doch das ist alles Kinderkram im Vergleich zu den „Roast Busters“. Ein „roast“ ist laut „Urban Dictionary“ eine Frau, die von zwei Männern penetriert wird und damit einem Braten am Spieß ähnelt. Weiß ich auch erst seit kurzem und würde es gerne wieder vergessen. Soviel zur Linguistik.
Die „Roast Buster“ sind eine Gruppe 17- bis 18jähriger aus Auckland, zwei davon mittlerweile namentlich bekannt. Sie prahlten auf Facebook mit ihren „Eroberungen“. In Wirklichkeit waren das Gruppenvergewaltigungen von jungen Mädchen, die auf Parties schwerst betrunken waren. Sie wurden gefilmt, die Videos ins Netz gestellt. Eines ihrer Opfer, eine 13jährige, ging danach zur Polizei. Ihre Anzeige vor zwei Jahren, sagte sie jetzt, sei jedoch schlimmer gewesen, als von den „Roast Busters“ entjungfert worden zu sein. Seitdem dümpelte der Fall vor sich hin. Was vielleicht daran liegt, dass einer der Täter der Sohn eines Polizisten ist.
Nur zögerlich melden sich jetzt weitere Opfer. Eine Freundin von ihnen wurde von zwei Radiomoderatoren so sexistisch befragt, dass die anschließenden Proteste die Herren bis auf Weiteres vom Sender vertrieben. Gut so. Aotearoa – Speerspitze der Frauenrechte und angeblich heile Welt – hat damit nicht nur einen Skandal, sondern ein Problem. Gewalt gegen Frauen ist das eine, das Internet das andere, Porno sowieso. Das ganze Land sorgt sich um die Moral seiner Teenager. Vielleicht sollte es sich parallel auch über seine Polizei Gedanken machen.
1954 gab es einen ähnlichen Aufschrei. Damals waren es die „Milk Bar Cowboys“, die sich in einer Milchbar in Lower Hutt mit Gleichaltrigen trafen, um sich in die Büsche zu schlagen. Es folte eine offizielle Untersuchung. Sie enthüllte „einen schockierender Grad unmoralischen Betragens, das sich zu sexuellen Orgien ausweitet“. Verrottete Jugend, schon damals – oh heilige Unschuld.
Dass die Welt hier unten doch noch in Ordnung ist, haben uns dann am Samstag Jill Jeffries und James Dobinson gezeigt. Das junge Paar aus Lyttelton, beide mit Down-Syndrom und seit fünf Jahren liiert, haben als erste in der neuen Papp-Kathedrale von Christchurch geheiratet. Der ganze Hafenort half bei der Hochzeit, brachte Essen und Blumen, lieh einen Bentley, vergoss Freudentränen. Monatelang hatten Jill und James auf dem Wochenmarkt getanzt, um Geld für ihr Fest zu sammeln. Es lebe die Liebe.
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Als ich gestern begann, diese trauerumflorten Zeilen zu schreiben, gewann doch glatt Eleonar Catton den Man-Booker-Preis. Ja, eine Neuseeländerin sackte den begehrtesten Literaturpokal ein. Als Jüngste überhaupt, und für den dicksten Booker-Schmöker aller Zeiten: „The Luminaries“ hat 832 Seiten. So viele Superlative, so toll! Das erinnert mich ans letzte Jahr, als ich von der Buchmesse wiederkam und jeder fragte, wie wir waren. Denn Neuseeland, das ja alle so schätzen, sich nach ihm sehnen, aber selten was von ihm lesen, war damals Ehrengast gewesen. Ein Riesen-Tamtam.
Die gefühlte Häfte aller einheimischen Autoren wurde nach Frankfurt verschifft, wo sie etwas ratlos rumstand. Es war wie auf Klassenfahrt. Radio New Zealand machte eine Live-Schaltung, man feierte sich ab, dazu Pinot Noir aus Central Otago – wer kann da meckern? Ich hielt mich eher an die Freigetränke meines Verlages als bei Maori-Tänzen auf und konnte die ganze Pazifik-Pracht kaum aufnehmen. Aber eines war klar: So viel Beachtung wie in jener Woche hat die kleine, feine Verlagszene Aotearoas noch nie bekommen. Und ein Jahr später ist klar: So beschissen wie jetzt ist es ihr auch noch nie ergangen. Während die Frankfurter letzte Woche mit Brasilien anstießen und unsere neue Star-Autorin in London geehrt wurde, herrscht daheim beim ehemaligen Ehrengast Krise.
Kevin Chapman lief damals als kiwianischer Wichtigmann von Halle zu Halle. Das deutsche Messe-Essen war ihm suspekt, er hielt sich an Hot Dogs. Im Mai diesen Jahres tönte er als Präsident der Verlegervereinigung Neuseelands noch: „Dies ist eine Branche, die über ein Jahrhundert lang bemerkenswerte Widerstandskraft bewiesen hat.“ Zwei Monate später war er seinen Posten los. Der Verlag Hachette, dessen neuseeländischer Direktor er war, machte sein Auckland-Büro dicht und strich 15 Stellen, auch seine.
Zuvor hatte sich bereits HarperCollins aus Neuseeland zurückgezogen – die Geschäfte werden jetzt von Sydney aus geregelt. Random House und Penguin haben sich im Juli global vereinigt, was ein paar Druckmöglichkeiten weniger für Kiwi-Autoren bedeutet. Und dann schloss noch Pearson seine Tore, der größte Schulbuchverleger. Von den 2000 Büchern, die pro Jahr in Neuseeland erschienen, waren allein 1200 Lese-Heftchen für Grundschüler.
Was in den letzten fünf Jahren weltweit den Buchmarkt umkrempelte, erlebten die Kiwis in nur 12 Monaten: Mehr selbstverlegte E-Books im Netz, weniger echte Verlage. Es ist in Aotearoa billiger, sich was von Amazon schicken zu lassen, als es im Buchladen zu kaufen. „Book shop“ bedeutet in vielen Fällen Schreibwarenladen mit Sportzeitschriften, in dem als literarisches Beiwerk Dan Browns Schinken und ‚Fifty Shades of Grey‘ stehen, aber selten ein im Lande produziertes Buch. Zum Beispiel von Awa Press. Mary Varnham ist dort Verlegerin und sagt: „Wer weiß, ob es uns in fünf Jahren noch geben wird.“ Mit einem Caipirinha allein lässt sich das nicht runterspülen. Prost, Eleanor!
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Manchmal ist doch wunderbar, wenn die Welt klar, kompakt und Entscheidungen einfach sind. Ich zb wüßte genau, was ich machen würde, wenn ich am 1. August um 20 Uhr nicht in silly Sydney, sondern ausnahmsweise circa 16500 Kilometer weiter nördlich wäre: Ich würde in die Rudi-Dutschke-Straße 23 in BerlinKreuzberg radeln, mich im taz-Café an einen schattigen Tisch setzen, zuhören, am Kaltgetränk nippen und viel und laut lachen.
Dann und dort nämlich lesen drei Weltreporter aus ihren extrem kurzweiligen Büchern: Anke Richter (Christchurch), Kerstin Schweighöfer (Den Haag) und Martin Zöller (Rom/München) lassen bei ihrer Culture-Clash Lesung übrigens auch mit sich reden und diskutieren. Das Motto des Abends ist sommerlich freudvoll alliteriert und geht so: “Mafia, Maori und Maasdamer”. Aber lassen Sie sich davon nicht abschrecken 😉 es wird garantiert ein urkomisch vergnüglicher Abend! Viel Spass und gute Unterhaltung!
Ps: der Eintritt ist übrigens frei.
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Tourist sein kann jeder. Aber um sich Backpacker zu nennen, muss man Initiationsriten durchstehen. Nein, nicht Bungeespringen und Kampftrinken. Sondern kostenlose Härtetests, die Insiderkenntnisse und Weltläufigkeit beweisen. Früher waren das: Vollmondparty auf Ko Pha Ngan, überfallen werden in New York, Amöbenruhr in Indien. Heute ist es eine Nacht am Flughafen von Christchurch. Die schlägt alles an Tortur und globalem Wir-Gefühl. Damit kommt man sogar in die Schlagzeilen.
Christchurch ist die größte Stadt der Südinsel Neuseelands und hat einen schick umgebauten Terminal, wo man gutes Sushi bekommt. Ein internationaler Umsteigeplatz ist der Flughafen jedoch nicht. Dagegen aber ein internationaler Einschlafplatz. Unter den Travellern hat sich herumgesprochen, wie gut man dort auf dem Boden und den Bänken ruht – und sich damit das Geld für ein teures Hotel in der Nähe spart.
Reihenweise rollten sich junge Reisende im Ankunftsbereich in ihre Schlafsäcke, in den Toilettenräumen wurde sogar auf Campingkochern gekocht. Bis zu 200 betuchte Obdachlose pro Nacht: wunderbare Globetrotterwelt, warm und mit WiFi! Doch damit hatte es vorletzte Woche ein jähes Ende. In einer unbarmherzigen Nacht- und Nebelaktion beschloss die Flughafenverwaltung, die Campierer vor die Tür zu setzen, da zwischen Mitternacht und Morgengrauen keine Flüge mehr starten.
Übernächtigte Rucksackreisende, die für die Stunden bis zum nächsten Flug nicht eigens in ein Hostel in der Stadt fahren wollten, lernten gleich zur Ankunft den schönsten Arsch der Welt von seiner unschönen Seite kennen. Das Flughafenpersonal warf sie bei Minustemperaturen hinaus in die kalte Nacht. Auch aus der Raucherecke im Freien wurden sie vertrieben. Die Flughafen-Penner saßen ihre Nacht frierend in Bushaltestellen und auf Grünstreifen ab.
Eine mitleiderregende Odyssee hatten vier Deutsche hinter sich, die mit dem letzten Flug am Abend gelandet waren und früh morgens um acht als erstes ihr Wohnmobil abholen wollten. Erst verkrochen sie sich unter die Treppe des Parkhauses, wurden aber auch dort aufgestöbert. Dann wanderten sie schlaftrunken zum nächsten McDonalds . Da wollte man sie am Drive-Through-Schalter nicht bedienen, weil sie kein Auto hatten.
Als das gesittete Christchurch die Bilder der herumirrenden Karawane in der Tageszeitung sah, war es geschockt. Nichts trifft einen Kiwi schlimmer, als wenn man ihn für nicht gastfreundlich hält. Der erste Eindruck von Aotearoa – ein Fußtritt in die Kälte? Die Empörung war groß. Die Stadt fürchtet, noch mehr Touristen zu verlieren, wenn sich diese Art der Begrüßung herumspricht.
„Wir sind keine Herberge“, verteidigte sich Flughafen-Chef Jim Boult und behauptet, manche Rucksackreisende würden ihren Zwischenstopp dreist auf mehrere Tage ausdehnen. Damit hat es jetzt ein Ende. Wer landet, darf zwar auch nachts im Terminal bleiben – aber nur mit einem Abflugticket für den nächsten Morgen. Insider-Tipp: McDonalds gilt es weiterhin zu meiden.
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„Pussy Riot“ haben wir auch. Ganz ohne Putin und bunte Hauben, dafür mit Hinrichtungen und echten Katzen. Gegen die laufen seit Wochen Pogrome der übelsten Art. Eine Mordwelle hat im Norden des Landes begonnen und breitet sich aus, es kommt zu Ausschreitungen und Übergriffen. Wir stehen knapp vor der Zwangseuthanasie der kleinen Lieblinge. Wo bleibt der internationale Aufschrei? Miau!
Der Mann hinter dem Felinozid ist Gareth Morgan – Haustier-Hitler für die einen, mutiger Naturschützer für die anderen. Er ist einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner, Finanzmanager und Philantrophen Neuseelands, baute Schulen auf den Solomon-Inseln, unterstützt Umweltprojekte in der Antarktis und half dem Pinguin ‚Happy Feet‘ wieder auf die Flossen. Anfang des Jahres startete er seine neueste Kampagne „Cats to go“, und seitdem wird er mindestens so gehasst wie verehrt. Denn Morgan fordert: Neuseeland muss katzenfrei werden. Ein ethisches Dilemma.
Jeder zweite Haushalt in Aotearoa hat eine Katze. Insgesamt sind es 1,4 Millionen, was uns im Pro-Kopf-Durchschnitt angeblich zum Land mit den meisten Miezen macht. Ganz schön schnurrig, wenn da nicht all die einheimischen Vögel wären. Oder waren. 40 Prozent von ihnen sind bereits ausgestorben, neun Sorten insgesamt. Der Rest ist bedroht, und wer ist schuld daran? Vor allem streunende Katzen, so Gareth Morgan. Eine allein könne pro Woche an die hundert Vögel erlegen. „Das kleine flauschige Bündel, das Ihnen gehört, ist ein ‚natural born killer‘“, so Morgans Appell. Er plädiert dafür, sich keine Katze mehr anzuschaffen, wenn die alte ins Gras beißt. Auch Einschläferung im Dienste der guten Sache sei „eine Option“.
Da sträubt sich bei Frauchen oder Herrchen das Fell. Die Fronten zwischen Vogel- und Katzenfeinden haben sich in den letzten Monaten verhärtet. In Pahia, einer Kleinstadt in der Bay of Islands, kam es in den letzten Wochen zu hässlichen Szenen. Es geht vor allem um eine Kolonie heimatloser Katzen, die vom Tierschutzverein auf einem Grundstück der Stadt durchgefüttert werden. Die Miezenfreunde bezeichnen sich als „Soldaten“ im „Kampf um Pahia“. Ihr Feind: Die Naturschützer von „Bay Bush“. Letztes Jahr drückte eine 70jährige Katzenoma Carol Davis aus Kerikeri gegen die Wand drohte ihr: „Du bist in dieser Stadt unerwünscht!“ Davis ging zur Polizei.
Die Stadtverwaltung hat jetzt die Fütterung der wilden Katzen verboten. Doch auch die Vogelfreunde sind nicht zimperlich. Gruselfotos auf Facebook zeugen von ihren Massakern: Katzen, die in eigens dafür umgerüsteten Possum-Fallen zu Tode gekommen sind; eine baumelt am eigenen Kiefer. „Gut gemacht“, freut sich ein Betrachter in einem Kommentar darunter. „Ich frage mich, wie viele Baby-Kiwis diese bösartige Katze getötet hat.“ An welche Romanfigur fühlt man sich bei solchen Worten erinnert? Richtig, an den fanatischen Walter aus Jonathan Franzens Buch „Freiheit“. Der kämpft gegen Hauskatzen, um die aussterbende Grasmücke zu retten. Wir können auch Bestseller in echt.
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Was war das schön, als Neuseeland die Homo-Ehe absegnete. Das gesamte Parlament erhob sich spontan und sang „Pokarekare Ana“, ein Liebeslied der Maori. Ob braun, weiß oder regenbogenfarben: Noch nie saßen so viele Kiwis gerührt vor dem Fernseher, ohne dass es um Rugby ging. Das Ständchen ging um die Welt und dürfte einer Dame im Norden so richtig den Pölser versalzen haben.
Marie Krarup ist Abgeordnete der Dänischen Volkspartei, Prädikat Ausländerfeindlichkeit. Die stramm nationalistisch gesinnte Politikerin war Teil einer Delegation des dänischen Verteidigungsausschusses. Auf der Marine-Basis in Auckland wurde die Truppe offiziell von staatlicher Seite begrüßt. Wie es sich für hohen Besuch gehört, fand der traditionelle Festakt namens ‚powhiri‘ im zur Marine gehörenden Versammlungshaus der Maori statt, dem Te Taua Moana Marae. (Für alle, die bisher nichts über Neuseeland wussten, so wie es vielleicht bei Marie Krarup der Fall war: Aotearoa, wie der Name schon sagt, ist ein zweisprachiges, bikulturelles Land. Es liegt nicht in Europa, sondern südöstlich von Australien. 15 Prozent der Bewohner sind indigener Abstammung und das Grundgesetz sieht vor, dass deren Kultur lebendig bleibt. Okay, weiter!)
Die Redner, Tänzer und Offiziere warfen sich ins Zeug, um den Nachfahren der Wikinger zu zeigen, was „Haere Mai“ heißt: Herzlich willkommen! Es wurde gesungen, gestampft und getanzt, dass es eine martialische Pracht war. Marie Krarup jedoch war anderes gewohnt, zum Beispiel zackige Paraden und Stechschritt. Ziemlich maorisch kam ihr die Begrüßung des Kriegervolkes vor. Anstatt daheim in Kopenhagen endlich einen Reiseführer zur Hand zu nehmen, um sich in Sitten und Gebräuche des Gastlandes einzulesen, schrieb sie sich lieber in der Zeitung „Berlingske Tidende“ ihre Eindrücke von der Seele. Getreu nach Karl Valentin („Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“) war sie geschockt. Wie viel Exotik kann einer xenophoben Militaristin mit eurozentristischem Weltbild zugemutet werden?
„Grotesk“ fand sie den Erstkontakt mit den Fremdlingen. „Wir wurden nicht per Handschlag oder einem Salut von Uniformierten empfangen“, entrüstete sie sich. „Nein, wir wurden mit einem Tanz begrüßt, von einem halbnackten Mann im Grasrock, der auf Maori brüllte.“ Weitere „seltsame Rituale“ musste sie über sich ergehen lassen: Der Mann streckte die Zunge heraus. Wie „ein Idiot“ habe sie sich gefühlt, als einer dieser Barbaren ihr auch noch einen Nasenkuss aufdrücken wollte. Die Maori-Lieder, die die Marinetruppen zu Gitarrenklängen vortrugen, klangen für sie wie „Darbietungen im Kindergarten“.
Damit war der Kulturschock noch lange nicht vorüber. Krarup schaute sich kritisch prüfend im „Maori-Tempel“ um, wie sie den Marae bezeichnete, und erblickte Furchtbares: Holzschnitzereien von „Gottheiten mit wütenden Gesichtern und großen erigierten Penissen.“ Da hilft nur eins: Starkes Nisseöl (Elfenbier – für die, die Dänemark noch nicht so gut kennen).
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Hergehört, männermüde Wesen, die ihr weiblich und unwiderstehlich seid! Ihr wollt beim Ausgehen nicht mehr angebaggert werden? Ihr habt genug davon, als Sexobjekte gesehen zu werden? Dann sage ich euch, welcher Trick zumindest in einer neuseeländischen Kneipe funktioniert: Bestellt euch ein Bier.
Es geht so einfach, wirkt aber genauso effektiv wie Mundgeruch im Endstadium: Jeder Kerl – es sei denn, er nippt auch gerne mal am Piccolöchen – lässt dich mit deinem Frischgezapften in der Hand sofort in Ruhe. Oder gibt einen Spruch von sich, der keiner Anmache mehr würdig ist. Warum? Weil Biertrinken laut kiwianischer Testosteron-Logik zutiefst unsexy ist. Genauso könnte man sich den imaginären Sack kratzen und dazu rülpsen. Wer einer Frau nicht die Weinkarte, sondern ein Dosenbier reicht, kann sie auch gleich fragen, wie oft sie sich rasiert. Für den Mann dagegen wurden unzweideutig klingende Sorten wie „Massive Knockers“, „Double D Blonde Ale“, „Panty Peeler“ und „Golden Shower Pilsener“ erfunden.
Frauen, die Bier trinken, haben im weiß Gott nicht abstinenten Aotearoa etwa den gleichen Sozialstatus wie Frauen, die unter Tage arbeiten. Und viel mehr sind es auch nicht: Gerade mal 13 Prozent der weiblichen Bevölkerung bekennen sich zu ihrem unattraktiven Laster, während im trinkfesten Irland 36 Prozent der Einwohnerinnen das Nationalgebräu schätzen und im schwer flirtösen Brasilien gar 38 Prozent. Waren es nicht Frauen, die im Jahre 1700 vor Christi den Gerstensaft miterfanden? Unterlag der Gärungsprozess nicht der Biergöttin Ninkasi? Irgendwas läuft bei uns eindeutig schief.
Schuld ist die sexistische Bierwerbung. Besonders hervorgetan hat sich ‚Lion Red‘, eine Marke, die „man points“ an echte Männer vergibt. Punkte gibt es für den Besitz eines Geländewagens, für den eigenhändigen Bau einer Holzveranda und für Pies zum Frühstück. Punktabzug gibt es fürs Eincremen des Gesichts, den Besitz eines Pudels und das Wachsen von allem, was nicht Ski oder Surfboard ist. Ach ja, und der Liebsten Blumen zu schenken – es sei denn, man hat wirklich was verbrochen. So ein blaues Auge geht ja nicht von heut auf morgen weg. Nette Marke, Lion Red.
Tapfer kämpfen Neuseelands Edelbierfans gegen das Macho-Image an. Wendy Roigard, die in Auckland die Bierverkostungsfirma ‚Lady Glass‘ führt und am liebsten aus Tulpengläsern trinkt, arbeitet emsig an der Feminisierung des Biertrinkens. Auch sie greift dabei auf alte Tricks zurück: „Es hat mehr Vitamine und Mineralien und weniger Kalorien als Wein!“ Damit kriegt sie mich noch nicht rum. Mir schmeckt Chardonnay nun mal besser als Lager.
Letztens jedoch sah ich im ‚Twisted Hop‘, einem neuen Pub in Christchurch, überm Zapfhahn ‚Pazifikölsch‘ angeschrieben. Meine bikulturelle Identität, elegant vereinigt – genial! Darunter stand ‚Sauvinpilsner‘, was sicher bei frankophilen Tschechinnen zieht. Ich bestellte sofort einen Probierschluck, ganz Dame.
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Ich hab’s wahrscheinlich schon oft genug erwähnt, aber muss es gebetsmühlenhaft wiederholen: Ich lebe im nettesten Land der Welt. Niemand ist niemandem in Neuseeland jemals richtig böse. All dieser heilige Zorn, von dem die Weltpolitik und das europäische Intellektuellentum zehren, all die Rechtschaffenheit, die Empörung, das Anklagen und Ankreiden: Das kennen Kiwis nicht.
Wer aus Versehen angerempelt wird, entschuldigt sich. Wer aus dem Bus aussteigt, bedankt sich beim Fahrer, auch wenn der fuhr wie die Sau. Höflichkeit geht über Rechthaberei und Vergeltung, solange es nicht um Rugby geht. Es ist ein äußerst angenehmes Völkchen, das sich da am Rande des Pazifiks entwickelt hat und auch mit Minderheiten immer sehr pfleglich umgeht. Daher gibt es keinen besseren Platz auf der Welt, außer vielleicht ein paar brandenburgischen oder arabischen Dörfern, um Nazi-Parolen zu sprühen. In Aotearoa gibt’s für diese Heldentat, wenn man Glück hat, ein Studium spendiert.
Im Oktober letzten Jahres wurde der jüdische Teil eines Friedhofs in Auckland geschändet. Hakenkreuze, das Hitler-Symbol ‚88‘ und „Fuck Israel“ tauchten über Nacht auf 20 porösen Grabsteinen auf. 125 Jahre sind sie alt. Die Farbe ist davon nur schwer zu entfernen, 50.000 Dollar soll die Spezialreinigung kosten. Es gab Proteste vor dem Friedhof, die ‚National Front‘ wurde verdächtigt, die israelische Botschaft zeigte sich bestürzt. Einen Sicherheitszaun im Wert von einer halben Million Dollar wollte man errichten.
Kurz darauf standen zwei junge Männer wegen der Nazi-Graffiti vor Gericht, Robert Moulden und Christian Landmark. Der 19jährige Moulden bekannte sich schuldig: Zum Zeitpunkt der Tat sei er betrunken gewesen. Er lebt von Sozialhilfe, wohnt in einem Hostel und hat keine Familie, die ihn unterstützt. Wer schritt dem mittellosen jungen Mann da prompt zu Hilfe? Die Jüdische Gemeinde Aucklands, die stets betont besonnen reagiert, wenn es um antisemitische oder antiisraelische Ausschläge im Lande geht.
Moulden unterzog sich einem Programm für „wiederherstellende Gerechtigkeit“. Das bedeutete, dass er über den Holocaust informiert und zu einem Sabbat-Essen dazugeladen wurde. Ein erquicklicher Abend für beide Seiten. „Ich war sehr zufrieden damit, wie die Leute am Tisch auf diesen Mann reagierten und wie er sich mit jedem unterhielt, das war gut“, stellte Geoff Levy, der Vorsitzende der Jüdschen Rates von Neuseeland, fest.
Man erkundigte sich auch nach den Zukunftsplänen des Gestrauchelten. Ingenieur wolle er gerne werden, sagte Moulden. Aber Studieren kostet in Neuseeland. „Wenn wir ihm helfen können, machen wir das gerne“, so Levy. „Hoffentlich können wir ihm Unterstützung, Mentoring und Beihilfe geben, um eine Ausbildung zu machen.“ Eine eigens dafür berufene Person soll sich um die Studienhilfe kümmern, falls Moulden sie denn annehmen will. Dazu hat er sich noch nicht geäußert. Aber bei der Grabsteinreinigung will er helfen. Verdammt nett von ihm, oder?
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Wenn Deutsche in Neuseeland Schlagzeilen machen, dann steht da meistens nichts Gutes drunter. Entweder verlaufen sie sich beim Wandern und kommen in der Wildnis um, oder sie haben irgendwas Komisches ausgefressen. So wie Kim Schmitz aus Kiel-Mettenhof, in meinen Breitengraden als ‚Mr. Dotcom‘ bekannt – und neuerdings sogar beliebt.
Der Megaupload-Gründer, der zum Jahresanfang mit riesigem Helikopter-Einsatz in seiner Villa bei Auckland filmreif festgenommen wurde, hat sich über die Monate zum schwergewichtigen Volksheld gemausert. Was man als Deutscher und als unbescheidener Multimillionär erst mal schaffen muss. Denn uns eilt nicht gerade der beste Ruf vorraus. Und Großkotze haben es in Aotearoa schwer.
Doch Kim Dotcom, immer in schwarz, mit getönter Brille, Käppi und Megadoppelkinn, hat es in der neuen Heimat geschafft: Man lacht nicht mehr über ihn, sogar mit ihm. Eine kleine Spende hier, ein Auftritt dort, ein flotter Song, und plötzlich fliegen dem angeblichen Internet-Rebell die Herzen zu. Man darf ihn nicht mal mehr in der Werbung verarschen.
Die Biermarke ‚Tui‘ wirbt seit eh und je mit dem Slogan ‚Yeah right‘. Der ist ironisch gemeint, denn davor steht immer ein Satz, der so gar nicht ehrlich gemeint ist. Ende November dann das: „She clearly married Dotcom for his body.“ Yeah right. Es hagelte Beschwerden: Was für eine bodenlose Unterstellung, dass Kim Dotcom einen unansehlichen Körper habe und seine hübsche phillipinische Frau ihn nur des Geldes wegen geheiratet habe. Pfui, Tui! Die Plakate wurden schnell überklebt.
Das waren die letzten Schlagzeilen über seltsame Deutsche in diesem Jahr, aber es waren nicht die einzigen. Ebenfalls im November kam es zum Eklat um die Gruppe ‚Wise Guys‘. Neuseelands Schüler mussten in ihren Abschlußprüfungen im Fach Deutsch dem Song ‚Relativ‘ lauschen – und sie verzweifelten. Einige brachen gar in Tränen aus und verließen das Zimmer. Es muss wohl an der Textzeile „Ich nehme an, im Bett wäre mit dir relativ viel machbar“ gelegen haben.
Besonders schockierend, so wurde kolportiert, sei die Anzüglichkeit des harmlosen Liedchens gewesen. Wer’s glaubt… Was man sich in einem Land, das statistisch die promiskuitivsten Jugendlichen hat, nicht alles so einfallen lässt, um um eine schlechte Note herumzukommen. Das Goethe-Institut in Wellington ließ sich ebenfalls was einfallen und konterte mit einem T-Shirt, auf dem stand: „Deutsch ist sexy“. Auch nicht so glaubhaft – aber ein Geschenk für alle, die die Prüfung mit Auszeichnung bestehen.
Völlig unter ging in all dem Tohuwabohu eine andere Nachricht: Der Künstler Ralf Witthaus bohrte sich von seiner Heimatstadt Löhne in Ostwestfalen symbolisch in den Botanischen Garten von Auckland. Das Bohr- bzw. Mähloch, das aus einer Rasenrasur bestand, war Teil seines Projekts „Die Internationale Rasenschau 2012“. Daraus lässt sich leider keine Bierwerbung machen und auch kein flottes T-Shirt, aber wenn das das nicht eine Meldung wert ist! Was für ein Jahr.
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Seit Wochen tobt „Der Hobbit“ übers Land, zwei Fortsetzungen drohen uns. Elfenseidank bin ich nicht die einzige, die das Getöse um die wanderlustigen Plattfüßler langsam peinlich findet. Auch die ‚New York Times‘ hat sich beschwert: Neuseeland betreibe Etikettenschwindel. Es sei nämlich gar nicht Mittelerde, sondern eher Mitteldreck.
Vor zehn Jahren hatten wir den Rummel schon mal. Damals startete „Der Herr der Ringe“. Peter Jacksons Trilogie war die beste Tourismuskampagne, die das Land sich wünschen konnte: Wow, diese geilen Landschaften! Diese Hügel, diese Fjorde! Wir waren plötzlich Mittelerde und stolz darauf, so gut auszusehen. „100 % Pure“ hieß das Motto, mit dem Tourism New Zealand sich seitdem erfolgreich in seiner Reinheit vermarktete, und niemand widersprach. Es wurde gefeiert, dass Lothlorien bebte, und wehe, man war kein Frodo-Fan: Das glich Landesverrat. Immerhin kannte uns jetzt Hollywood!
Nun bekommen wir den zweiten Tolkien-Aufguss serviert. Wieder gibt es Sonderbriefmarken, Gedenkmünzen und bunt beklebte Air-New-Zealand-Flugzeuge. Aber erstmals regt sich Unmut. „Wird es nicht Zeit, sich vom Hobbit zu verabschieden?“, fragte eine Sonntagszeitung provokativ. Die zehn Millionen Dollar, die in die Kampagne „100 % Middle-earth, 100 % Pure NZ“ gepumpt werden und all die steuerlichen Erleichterungen für die Produktionsfirma Warner Brothers rentierten sich nicht. Denn wer glaubt schon wirklich, dass er Urlaub bei Zauberern und Zwergen macht? Lediglich ein Prozent der Neuseeland-Besucher kommen einzig wegen der Filme ins Land. Dem Rest dämmert wohl irgendwann, dass es sich bei all den Gletschern und dem Grün auch um Kulisse handelt.
Der Unmut sprach sich bis nach Amerika rum. Die ‚New York Times‘ setzte noch einen drauf und enhüllte pünktlich zur Filmpremiere, dass das „clean & green“-Image Aotearoas mit der Realität nicht so viel zu tun habe, wie uns die Filmpromoter weismachen wollen. Ein Sakrileg! Zitiert wurde der neuseeländische Wissenschaftler Mike Joy, der von zwei verschiedenen Welten in seiner Heimat sprach: „Es gibt die Postkartenversion und die Wirklichkeit.“ In einer internationalen Studie rangiert Neuseeland unter 189 Ländern nur an 171. Stelle im Bemühen darum, seine Natur intakt zu erhalten.
Seit langem verweisen Aotearoas Grüne auf unsere erschreckende Umweltbilanz: Gülle fließt munter in die Flüsse, Naturschutzgebiete müssen dem Bergbau weichen und es wird gespritzt, was das Obst hält. Jetzt steht uns dank der konservativen Regierung auch noch „fracking“ ins Haus – unterirdische chemische Gasgewinnung, die jeden Gollum aus seiner Höhle vertreibt.
Mike Joy wurde im Radio als Nestbeschmutzer angegangen. Premierminister John Key, so gar kein Öko, fühlte sich auf den Plan gerufen. Die „100 % Pure“-Aussage sei halt Werbung, so ehrlich wie jedes McDonalds-Plakat – keiner würde das für die reine Wahrheit halten. Und selbst bei den Höhlenmenschen sei nicht alles hunderprozentig pur zugegangen. Peter Jackson schweigt noch.
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Es gibt kaum etwas Netteres, als morgens die Lokalzeitung aufzuschlagen und jeden Tag das bleckende Doppelgebiss von Charles und Camilla zu sehen. Nicht irgendwo bei der Fuchsjagd, sondern mitten unter uns. Dagegen verblasst ‚Twinkle Toes‘, der berühmteste Abrissbagger Christchurchs, den wir meistens zum Frühstück serviert bekommen und dessen Stahlklauen fast so funkeln wie die zweiten Zähne der rüstigen Royals. Aber wer will schon dauernd Ruinen sehen. Dann doch lieber die Monarchie.
Sie war bei uns auf Staatsbesuch, und was soll ich sagen, my dears: Just splendid! Truly delightful! Anstatt mit seiner Holden den 64. Geburtstag teetrinkend in Highgrove abzusitzen, beschloss Prinz Charles, lieber seinen weitest entfernten Untertanen einen Besuch abzustatten. Wahrscheinlich tat der alte Bäumeflüsterer es nur seiner Mutter zuliebe. Die hält mit ihrem diamantenen Kronjubiläum die ganze Familie auf Trab.
Die Tour begann in Papua-Neuguinea. Da spricht man Pidgin. „Mi nambawan pikinini bilong misis kwin“, stellte Charles die Verwandschaftsverhältnisse bei der Ankunft in Port Moresby klar: Er sei der Erstgeborene Ihrer Majestät. Vor 5000 gebannt lauschenden Melanesiern stellte er auch die Duchess of Cornwall vor, „misis bilong mi“. Die Misses, die ihm gehört, brauchte bei der Begrüßungszeremonie der Huli-Krieger wiederum die Hilfe eines Scotland-Yard-Beamten, als ihr ein überschwänglicher Junge aus Versehen fast seinen Speer ins weiße Sommerkleid bohrte.
Und so ging es weiter, Speer auf Speer und Schlag auf Schlag. Nach der Südseevisite kamen wir Insulaner dran – sechs Tage und viele, viele Hakas lang. Im Government House feierte Charles mit Camilla und 64 Neuseeländern, die das gleiche Geburtsdatum teilen, seinen Jubeltag. Die sangen für ihn „Happy Birthday“ auf Maori und er summte im Gegenzug den Beatles-Song „When I’m Sixty-Four“. Beschwingt schnitt er den Geburtstagskuchen an, ein Arrangement aus 64 gebackenen Quadern, die allesamt mit einem Kiwiana-Motiv verziert waren: Vögel, Farne, Flip-Flops.
So gar nicht ‚posh‘ war auch eine andere Aufmerksamkeit des Küchenchefs: Er hatte seine Privatbestände des nationalen Brotaufstrichs geplündert und zauberte für den hohen Besuch ein Glas Marmite für die Käse-Sandwiches hervor. Seit der Zerstörung der Marmite-Manufaktur in Christchurch ist das„braune Gold“, das wie Schmieröl aussieht und nach Hefe schmeckt, rar und kostbar geworden. Die Macht der Monarchie!
Die war auch in Christchurch zu spüren, wo das Paar zwischen den Abrissflächen ein Tänzchen auf dem Dance-O-Mat wagten – ein münzbetriebener Tanzboden im Freien. Dann wieder Kinderköpfe täscheln und Hände schütteln. Zu guter Letzt ein Stelldichein beim großen Pferderennen. Die Erdbebenopfer waren dankbar.
Ach ja, und im Weta-Workshop waren Charles und Camilla auch noch, um die Pappnasen aus ‚Der Hobbit‘ zu begrüßen. Gestern war Premiere. Die Zeitungen sind vollgekleistert. Mittelerde-Invasion, nur leider nicht in Pidgin-Englisch und ohne Ständchen.
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Mit den Einwohnern von Hyderabad und Londonderry habe ich neuerdings etwas gemeinsam: Wir leben dort, wo andere Urlaub machen sollten. Neben den ebenfalls nicht allzu nahe liegenden Orten hat es ausgerechnet Christchurch in die Liste der ‚Top-Ten‘-Städte der Welt verschlagen, die es laut Lonely Planet 2013 anzusteuern gilt, weil sie so spannend sind. Die kaputte und halb abgerissene ‚Garden City‘, der Horror aller Reiseveranstalter und Tourismus-Strategen, steht auf dem sechsten Platz. Das glaubt mir doch niemand!
Da staunen nicht nur die, die von Christchurch zum letzten Mal in den Nachrichten hörten und die Stadt seitdem für ein Katastrophengebiet halten, um das man lieber einen weiträumigen Bogen macht. Ja, da staunen auch die, die noch immer darauf warten, dass die seit anderthalb Jahren anstehende Renovierung ihrer rissigen Bude endlich von der Versicherung bezahlt wird und sie woanders hinziehen können, wo das tägliche Leben nicht durch Erdbebenschäden, Dauerbaustellen und Bürokratenschwachsinn gelähmt wird.
Aber mit Letzteren, es sind ja auch nur ein paar Tausend, haben die Lonely-Planet-Tester sicher nicht gesprochen. Wer will sich das Gejammer schon anhören? Also, ich nicht. Ich glaube lieber dem welterprobten Reiseführer und schaue, was sich die emsigen Bienen bei ‚Gap Filler‘ wieder Originelles einfallen lassen, um uns das Leben zwischen Ruinen zu verschönern. Alles super hier, voll die Zukunft, und so funky!
Dringend nötig, dass das mal aufgezählt wird: Eine Ausstellung der liebevollst dekorierten Dixie-Klos, ein Freiluftkino mit Pedalbetrieb, ein Kühlschrank an der Straßenecke als Buchtauschbörse, eine Kathedrale aus Pappe und noch andere Aktionen, die viel Pioniergeist, Design, Schweißarbeit und Sperrmüll voraussetzen. Klasse Sache, ich bin dabei, auch jetzt am Wochenende, wenn der rekordverdächtige ‚Drillathon‘ stattfindet und jeder, der mag, mindestens zwei Stunden lang Löcher in Paletten bohren darf. Aus denen entsteht ein improvisierter Musikpalast.
Wer dann noch Energie hat, kann zum “Dance-O-Mat” gehen. Das ist ein münzbetriebener Tanzboden im Freien, gleich hinter der Shopping-Mall aus Schiffscontainern, und unsere Antwort auf eine Disco. Sowas denken sich keine Stadtoberen und Erdbebenminister aus, sondern Architekturstudenten, Künstler, Freiwillige aller Art. Und die, da gebe ich dem Lonely Planet völlig recht, hauchen dieser Trümmerstadt wieder Leben ein, das einen Anstrich von urbanem Utopia hat: Alles darf ersponnen werden, jeder macht mit.
Jetzt müssen sich nur noch die Besucher trauen. Bloss keine Hemmungen, Erdbebentouristen, Ihr seid willkommen! Ihr dürft euch auch gerne gruseln: Für 15 Dollar kann man die abgeriegelte ‚Rote Zone‘ besichtigen. Das ist jetzt die größte Baustelle der Südhalbkugel, was nicht so spannend klingt wie ‚Todeszone‘. Aber daran kann man arbeiten. Hauptsache, die halb durchgebrochenen Häuser auf den Klippen oberhalb des Strandes bleiben noch lange dort hängen. Super-Attraktion, klasse Fotos.
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Als mein Buch über eine Korrespondentin erschien, die am schönsten Arsch der Welt an Immigrantenparanoia leidet, da wollte ich ganz schlau sei. Ich bezeichnete mein Werk als Realsatire oder Doku-Roman. Es war ein verzweifelter Versuch, mich abzuheben. Reine Selbsttäuschung. Denn der Buchhandel hatte längst beschlossen, wohin die Saga über die Verwandlung vom Kraut zur Kiwi gehört: In die Regalecke mit den Culture-Clash-Büchern. Okay, ich hatte jetzt nicht erwartet, dass man für „Was scheren mich die Schafe“ einen Stapel Houellebecq zur Seite schiebt, und ich war schon dankbar, wenn man’s nicht für „noch so einen Schafe-Krimi“ hielt – aber ein kleines Imageproblem hatte ich doch zu überwinden.
Culture Clash steht auf dem Buchmarkt für „Leben in einem lustigen Land“. Dieses Genre beobachte ich genau. Es existiert seit „Noch ein verdammter Tag im Paradies“, einer Auswanderersatire aus La Palma, und schwang sich mit „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ zu neuen Höhen auf. Lustig kann demnach jedes Land sein, solange dem dort lebenden Deutschen genug Stereotypisches vor die Füße fällt, er darüber stolpert, im Fettnapf landet und das alles flott erzählen kann. Daraus wird dann „Mein Leben in Bullerbü“ aus Schweden oder „Fisch und Fritz“ über England.
Zwingend notwendig für den Erfolg ist ein möglichst beknackter Titel, der Klischees, Kulinarisches und Kulturschock im Turbohumormixer verquirlt, bis dass die Auflage schäumt. Mein Favorit, ungelesen: „Ich trink Ouzo, was trinkst Du so“ (diese Gyrosfresser!), jetzt noch getoppt durch den Käskopp-Knaller „Auf Heineken könn wir uns eineken“. Prost, armes Holland – dabei ist das Buch richtig gut.
Falls China irgendwann in dem Programm auftaucht, wie wär‘s dann mit „Ich ess Eisbein, du tlinkst Leiswein“? Mein Vorschlag für Tibet: „Alles in Yak-Butter“. Die Palette ist weltweit noch nicht ausgeschöpft. Zum Beispiel über Abenteuer im Vatikan, frei von Talar und Tabus: „Junge, komm bald wieder“. Hergehört, Verlage! Es gibt so viele Länder, da geht doch noch was. Die Mongolei, wo es zur guten Sitte gehört, dem Gast nachts eine Frau ins Zelt zu legen? „Als ich in der Jurte schnurrte“. Tantiemen bitte an mich.
Jetzt, wo die Aotearoa-Welle auf die Buchmesse zurollt, fällt mir mein taktischer Fehler auf. Wäre meine Anti-Schafsaga romantischer, könnte sie als „Neuseeland-Roman“ durchgehen und sich wie geschnitten Vampir-Bestseller verkaufen. Der Neuseeland-Roman ist dem heutigen Goretex-Germanen im Wohnmobil, was unseren Großmüttern der Lore-Roman in der Gartenlaube war. Darin geht es meist um Pionierschicksale im Land der langen weißen Wolke. Ein mystischer Maori darf niemals fehlen. Die deutschen Autorinnen haben weltläufige Pseudonyme wie Sarah Lark, Emma Temple oder Julie Peters. Wenn ich endlich richtig schlau bin und der ganze Rummel vorbei, taufe ich mich in Emily Belle um. Mein nächstes Buch nenne ich dann „Heiße Wolle unterm Kreuz des Südens“. Es wird ein genreübergreifender historischer Schaf-Krimi-Porno.
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An Zufälle glaube ich nicht mehr, denn ich lebe in einem spirituell unterwanderten Land. In Aotearoa steht alles in einem kosmischen Zusammenhang. Matariki heißt unser Neujahr in der Jahresmitte – statt durch Böller eingeleitet durch die Plejaden am Firmament. Nicht nur das schnöde Weltliche zählt. Das liegt an der Maori-Mythologie und an der sauberen Luft, denn unser Sternenhimmel wird nicht durch Raffinerieschwaden vernebelt wie in der Kulturbegegnungsstätte Baku. Tief einatmen und Blick nach oben!
Kein Wunder – oder Zufall – also, dass das Goethe-Institut drei deutsche Lyriker nach Neuseeland verschiffte, die sich dort den ‚Transit der Venus‘ anschauen sollten. Nur auf der Südhalbkugel war zu sehen, wie der Planet im Halbkreis vor der Sonne wanderte. Das kommt nur rund alle hundert Jahre vor. Eigentlich konnten Uwe Kolbe, Brigitte Oleschinski und Ulrike Almut Sandig durch ihre dunklen Solarbrillen am 6. Juni nicht viel erkennen. Und dann war es auch noch meist bewölkt in Tolaga Bay, wo sich das Sternenguckerspektakel abspielte.
Umso beeindruckender aber, erfuhr man unisono von den Berliner Abgesandten, sei der Erstkontakt mit den Eingeborenen gewesen. Die Venus-Festivitäten in Tolaga Bay, wo einst Südseeentdecker Captain James Cook anlegte, wurden vom dortigen Maori-Stamm ausgerichtet. Sie stellten jede indische Großhochzeit an Herz, Tanz und Trubel in den Schatten.
Die drei Deutschen müssen nun zusammen mit ihren neuseeländischen Pendants eine transpazifische Himmelsbrücke bauen. Nächsten Monat werden die Verse in der Literaturwerktstatt Berlin geschmiedet und auf Überseequalität getestet. Das Finale wird in Frankfurt auf der Buchmesse präsentiert. Kein leichter Auftrag: kosmische Inspiriation auf Kommando. Das wurde in Wellington deutlich, wo das multikulturelle Sextett das Ergebnis seines ersten Workshops in einer Galerie vorstellte. An den Wänden hingen Planeten-Fotos, die Ausstellung hieß ‚Dark Sky‘. Es gab rundum kein Entkommen vor Ranginui, dem Himmelsvater.
Ein Kniff der Dichtkunst wurde mir an dem Abend klar: Man muss nur irgendwie einen Bezug herstellen, dann klappt es mit der Bedeutungsschwangerschaft. Die Einheimischen lagen dabei deutlich vorne. Chris Price erzählte von der Theateraufführung in Tolaga Bay, wo das überdimensionale Bild einer der blauen Glasperlen gezeigt wurde, die einst Captain Cook verteilt hatte. „Wie das Bild der Erde aus dem All“ habe das ausgesehen. Ha! Neuseeland – douze points.
Brigitte Oleschinski hat immerhin einen „Alien“ im Repertoire : So nennt sie den Schutzengel, der über ihrem Kinderbett hing und nun literarisch verarbeitet wird. Wenn den deutschen Dichtern so gar nichts Symbolträchtiges einfällt, hätte ich auch noch was anzubieten. Am gleichen Abend trat in Wellington die martialische Metal-Band ‚Hanzel und Gretyl‘ auf. Deren anglogermanischer Schlachtruf ist „Total shiza!“ (liebe Literaturwerkstatt: keine Übersetzung nötig), und ihr Sound nennt sich „intergalaktisch“. Alles kein Zufall.
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Es gibt Momente, da bin ich stolz, Neuseeländerin zu sein. Doch, das kann ich tief aus patriotisch geschwellter Kiwi-Brust sagen. Klingt auch gar nicht rechts, ganz im Gegenteil. Denn meine kleine, feine Zweitnation beweist mir immer wieder, wie ernst sie es mit dem Schutz ihrer indigenen Minderheit nimmt. Dafür liebe ich sie. Dafür bringe ich auch Opfer. Ich spiele fortan nicht mehr mit Knete.
Eine kurze Einführung für die ethnisch unterentwickelten Europäer: Bikultur ist in Aotearoa kein leeres Wort, sondern täglich gelebte Praxis. Öffentliche Gebäude sind zweisprachig beschildert und selbst hohe Politiker beherrschen komplizierte Begrüßungszeremonien aus Kriegerzeiten. Dank des historischen Vertrags von Waitangi, der die Rechte der Ureinwohner gegenüber der britischen Kolonialmacht sicherte, wird das Kulturgut der Maori bis heute bewahrt und geschützt.
Das heißt, dass keine Schnellstraße gebaut werden darf, wo vielleicht ein Naturgeist namens Taniwha sein Zuhause hat. Und wer gerade menstruiert, besichtigt lieber nicht die heiligen Schnitzereien im hochmodernen Museum ‚Te Papa‘ in Wellington. Blutende Frauen verletzen dort ein altes polynesisches Tabu. Da müssen Feministinnen halt mal zugunsten heherer Werte zurückstecken, so wie ihre beschnittenen Schwestern in Somalia. Frau kann ja draußen bleiben und auf die Wechseljahre warten.
Konsequent pflanzt sich dieser Respekt vor den Sitten und Bräuchen einer Stammeskultur bis ins kleinste Glied fort. Nämlich bis in die Kindergärten. Dort hängt nicht nur der Vertrag von Waitangi als Kopie an der Wand. In den meisten öffentlichen Krabbelstuben wird verstärkt darauf geachtet, keine Nahrungsmittel zweckzuentfremden. Halsketten aus aufgefädelten trockenen Makkaroni oder bunte Bilder aus Kartoffeldruck sind Relikte der dunklen, kolonialistischen Vergangenheit – Ausdruck von bikultureller Unsensibilität und so verpönt wie in Ankara ein Schweineschnitzel zu Ramadan.
Die Mahnung „Mit Essen spielt man nicht“ hat auch so mancher noch lebende Germane in die Wiege gelegt bekommen und sie sich dorthin gesteckt, wo Elternsprüche hingehören. In Aotearoa jedoch wird sie zum politischen korrekten Dogma. Denn der Respekt vor allem Verzehbaren hat Maori-Tradition. Was bedeutet, dass auch selbstgemachtes Knetgummi auf dem Index steht: Es wird aus Mehl, Lebensmittelfarbe, Weinstein und Wasser gemixt. Jedes Kind kennt das Rezept für „playdough“ – nicht wissend, dass „Spielteig“ an sich schon ein Unwort ist. Ein kultureller Affront.
Das bekam Amy Clark von „My Child New Zealand“ zu spüren. Auf ihrer Webseite über Frühkinderziehung demonstrierte sie anschaulich, wie sich mit einem fransigen Selleriestengel eine Rose malen lässt. Sehr hübsch, aber leider voll daneben. Womöglich rassistisch. Damit begann die Debatte, die sich gerade durch alle Kindergärten zieht. Meine Kinder gehen längst zur Schule, daher streite ich nicht mit. Aber zum Abendessen setze ich ihnen eine schön geformte Mahlzeit aus bunter Knete vor. Respekt muss sein.
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Als Deutsche tue ich mich in meiner neuen Heimat oft schwer. Was vielleicht auch daran liegt, dass ich mich so oft an schlechter Rechtschreibung störe. Die gehört in diesen Breitengraden zum öffentlichen Erscheinungsbild wie Flip-Flops mit Socken im Winter. Was in meinen Augen ein krasses orthographisches Vergehen ist, sehen die meisten Kiwis jedoch als Kavaliersdelikt: Who (oder hoo) cares? Dank dieser laxen Haltung wimmelt es mich herum nur so von falschen Apostrophen, von „your“ statt „you’re“. Damit muss ich leben. Assimiliation nennt man das.
In der Schul-Cafeteria habe ich mich bereits unbeliebt gemacht. Wochenlang las ich auf dem Lunch-Bestellzettel meines Sohnes, dass es „Squizzeed Orange Juice“ zu kaufen gäbe, obwohl der gepresste Saft doch laut Wörterbuch „squeezed“ heißen sollte. Irgenwann zuckte es mir in den Fingern. Ich strich das falsche Wort durch und schrieb das neue darüber. Prompt kam eine Antwort der Küchenkraft, was meinem Sohn besonders peinlich war: „Squizzeed“ sei der Markenname. Der Saft ist nämlich gar nicht gepresst. Reingefallen, Besserwisserin!
Immerhin habe ich mich letztens zurückgehalten, als ich ein Auto den beeindruckensten Aufkleber spazierenfahren sah, der mir je in Aotearoa unterkam. I love Mell’s titty’s. Das Herz-Symbol, das für das Wort „love“ stand, sah korrekt aus, auch am„I“ gab’s nichts zu meckern, aber ab dann muss der Verehrer der offensichtlich mit Doppel-L gesegneten Mellanie ins Schleudern gekommen sein. Den sicher bewundernswerten „titties“ tut das keinen Abbruch. Der Außenwirkung des Autofahrers jedoch schon.
Ich bin dankbar, dass ich mit meiner Fixierung auf das falsch geschriebene Wort nicht alleine dastehe. Autor Jon Bridges hat sich unter dem Pseudonym ‚spellnazi‘ bei TradeMe angemeldet, was unser Ebay ist, und jede Online-Versteigerung nach Rechtschreibfehlern durchkämmt. Wann immer etwas nicht stimmte, schickte er dem Anbieter eine nette Nachricht und lieferte die Korrektur gleich mit: „Hi. Nur ein paar Fehler in Ihrer Beschreibung, aber sonst alles gut. Sie haben ‚riffle‘ statt ‚rifle‘ geschrieben und ‚orsome‘ statt ‚awesome‘. Viel Glück mit der Auktion. Sieht nach einem schönen Gewehr aus.“
Das Feedback war gemischt. Die Beschimpfungen, die Bridges sich einhandelte, waren nicht ohne, und auch nicht ohne Fehler. Seine private Erhebung ergab ein erschreckendes Bild: Die Worte, an denen fast die Hälfte der Kiwis bei TradeMe orthographisch scheiterten – wie „definately“ statt „definitely“ oder „recieve“ statt „receive“ – bekommen in den USA, England und selbst im angeblich so barbarisch unkultivierten Australien über 80 Prozent der Online-Anbieter problemlos hin.
Am Ende startete der Rechtschreibnazi seine eigene Auktion. Er bot ein fast unbenutztes Apostroph an (schwarz, 12 Punkt, Times New Roman). Es ging für hundert Dollar an einen Joe aus Whakatane. Vielleicht liebt auch der ein paar Brüste, die mit einem falschen Apostroph mehr erst richtig zu Ehren kommen.
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Wenn der Reifen nach der Picknickpause in den Bergen plötzlich einen Platten hat oder die Zeltplane zerfetzt ist, dann war wahrscheinlich kein ländlicher Hooligan zugange, sondern die gefürchtetste Kreatur der Südalpen: der Kea. Dieser hübsch anzusehende Bergpapagei ist Touristenattraktion und Landplage zugleich. Auch in friedliebenden Menschen kitzelt er Tötungsgelüste hervor. Zum Beispiel dann, wenn man aus seinem Wanderstiefeln schlüpft und die Schuhe wenig später hunderte Meter weiter einen steilen Abhang herunter fallen sieht. Dort hat sie ein Kea fallen lassen, nachdem er zuvor auch noch sämtliche Gummiteile vom Auto gerissen und den Picknickkorb in Einzelteile zerlegt hat. Ja, ein putziges Tierchen.
Wer angesichts dieser Gefahr aus Flora und Fauna müde die Schultern zuckt und auf die Haie, Krokodile und anderen Fleischfresser Australiens verweist, der weiß nicht, was der Kea für ein Killer ist. Den armen Schafen auf den hochgelegenen Farmen der Südinsel hackt er gezielt in die Nierengegend, um dahinter ans Fett zu kommen. Die verwundeten Tiere sterben oft an Infektionen oder Blutvergiftung, bis zu 4000 im Jahr pro Hof. Im 19. Jahrhundert töteten wütende Bauern daher rund 150.000 Kea, um ihre Herden zu schützen. Jetzt leben gerade mal nur noch knapp 5000, und sie stehen unter Artenschutz, denn die Zeiten haben sich politisch korrekt geändert. Wer heute einen Kea erschießt, erwürgt, ertränkt oder vergiftet, kann sich 100.000 Dollar Geldstrafe oder sechs Monate Gefängnis einhandeln. Mit Naturschützern in Aotearoa ist nicht zu spaßen.
Mit den Kea-Jägern aber auch nicht. Zwei erschossene Papageien hingen vor ein paar Jahren festgetackert an einem Schild in Arthurs Pass, als Warnung an ihre dreisten Artgenossen. Man kann nur ahnen , welches Drama diesem Meuchelmord vorausging. An der wilden Westküste wurde ein Kea einem Beamten der verhassten Naturschutzbehörde DOC tot in die Einfahrt geschmissen. Jetzt kam es unfreiwillig zum Attentat am Skigebiet Porters nahe Christchurch. Ein Teenager, der mit seiner Schulklasse dort war, schmiss einem Kea einen Stein an den Kopf. Das Tier starb, die Polizei wurde alarmiert und das Opfer mitsamt den Schülern zurück zur Chisnallwood Schule gebracht, um den Leichnam DOC zu übergeben. Mit kleinem Zwischenstopp: „Im Moment bewahren wir ihn im Kühlschrank des Lehrerzimmers auf, neben unseren geschmierten Broten“, wusste Schulleiter Richard Paton zu berichten.
Der junge Attentäter muss zur Strafe Freiwilligenarbeit im Naturschutz verrichten. Und für die malträtierten Schafe findet sich auch bald eine Lösung: Neuseeländische Forscher entwickeln ein Spray, das die Keas vom Schafspelz fernhalten soll. Das würde langfristig auch das Überleben der Vögel sichern. Der ‚Kea Conservation Trust‘ hofft, dass sich Bekleidungsfirmen wie Icebreaker an dem Projekt beteiligen: „Wir haben Delfin-freundlichen Thunfisch. Wie wäre es mit Kea-freundlicher Merinowolle?“ Fehlen nur noch DOC-freundliche Menschen.
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Die Kathedrale ist eine Ruine, die Straßen haben Risse, die Fassaden sind schief – viel steht im demolierten Christchurch nicht mehr gerade. Bald werden auch Straßenschilder und Laternenmasten einen Knick haben. Nicht, weil uns ein weiteres Erdbeben droht. Sondern weil der Straßenstrich hier demnächst floriert wie auf der Reeperbahn. Und der, so wird aus dem Sündenpfuhl Auckland berichtet, führt in diesen Breitengradenzum Verschleiß der öffentlichen Beschilderung: zerstört durch aggressives Pole-Dancing.
Hunters Corner im Stadtteil Papatoetoe ist ein berüchtigtes Pflaster in Aucklands Süden. Dort bieten sich die Damen der Nacht an, die eigentlich Männer sind – meist ‚fafafine‘, polynesische Transsexuelle. Der Sex-Betrieb stößt den Ladenbesitzern im Viertel seit langem auf. In einer Broschüre der Stadtverwaltung ziehen die Anwohner über die Prostituierten her: Sie würden Kunden anbetteln, in den Geschäften klauen und die Straße als Toilette benutzen. Jeden Morgen sei die Gegend mit Kondomen und Fäkalien versaut. Zustände sind das!
Aber es kommt noch schlimmer. Im Februar rammte eine Transe angeblich um acht Uhr morgens mit einem leeren Einkaufswagen das Auto einer Frau und legte sich dann auf deren Kühlerhaube. Einen Monat später mussten unschuldige Kinder aus einem vorbeifahrenden Schulbus mit ansehen – falls sie denn gerade hinguckten und nicht auf ihren Handys in YouPorn vertieft waren – , wie sich eine der Ladies im Freien umzog. Was bei der knappen Gaderobe wirklich nicht lange gedauert haben dürfte. „Wir werden zu Unrecht als Störenfriede dargestellt“, beklagt sich eine Sexarbeiterin namens Jay Jay.
Dass es sich bei den Bordsteinschwalben genetisch bedingt eher um kräftige Truthähne handelt, belegt ein weiterer schockierender Fakt: Rund 40 Parkverbotschilder rund um Hunters Corner sind in den letzten 18 Monaten dem anstößigen Treiben zum Opfer gefallen. An den Stangen wird geschaukelt, geräkelt und gerutscht, dass es nur so eine Sünde ist. Das gehört zur Werbung. Was mittlerweile jede bessere Fitnessmutti kann, die nach Aerobic, Zumba und Yoga beim wöchentlichen Stripper-Sport angelangt ist, können die Prostituierten in Papatoetoe erst recht. Nur sind sie um einiges schwerer. Und die Mäste auf der Straße machen nicht ganz so mit wie die Stangen im Pole-Dancing-Studio.
Was das alles mit Christchurch zu tun hat? Da der Wiederaufbau der Innenstadt demnächst auf Hochtouren laufen soll, werden Bauarbeiter aus der ganzen Welt eingeflogen. Für Tausende von Männern, ein Großteil davon Iren, wird gerade ein provisorisches ‚Workers‘ Village‘ errichtet. Eine Art Lagerstadt, vielleicht sogar aus Zelten – so wie damals während der Goldgräberzeit, als Neuseelands wilder Westen vor Bars und Bordellen strotzte. Damit die Lagerhuren nicht ähnlichen Schaden anrichten wie ihre tanzwütigen Schwestern in der Metropole, sollte man gleich von Anfang an dafür sorgen, dass die Zeltstangen besonders stabil sind. Christchurchs Stadtverwaltung ist gewarnt.
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Fußball hin, Halbfinale her – gestern fand ein großes Jubiläum statt. Ein Gedenktag, damit die wahren Heldentaten der Menschheit nicht in Vergessenheit geraten. Denn vor einem Vierteljahrhundert erschütterte ein Schrei Europa, der noch immer nachhallt. Erstmals stürzte sich ein Bungy-Springer vom Eiffelturm.
Der da am Seil baumelte, war AJ (kurz für „Alan John“) Hackett. Der gut abgehangene Tausendsassa ist für Neuseeland und den Extremsport das, was Reinhold Messner für Tirol und die Yeti-Jagd ist: eine Ikone , von übermäßiger Adrenalinausschüttung gezeichnet. Testosteronbrüder im Geiste: Den einen zog’s in die Höhe, den anderen in die Tiefe.
Hackett, der antipodische Pionier des kommerzialisierten Wahnsinns, hatte sich von Südseeinsulanern in Vanuatu inspirieren lassen, die an Lianen gebunden von wackeligen Türmen springen. Zum Glück hielt er sich von einer anderen vanuatischen Tradition, dem berauschenden Kava-Trinken, fern. Sonst hätte Hackett seitdem den Extremsport Kaving exzessiv betrieben und nur breit in der pazifischen Sonne gelegen. Was er mittlerweile hoffentlich tut, denn der Bungy-Mann hat längst ausgesorgt.
Was AJ Hacket und seine Mannen für den großen Eiffelsprung am 26. Juni 1987 ausheckten, stellt „Ocean’s 11“ an Konspiration in den Schatten. Wochenlang hatte die Bungy-Crew den Turm ausspioniert, Kameras platziert und die Ausrüstung nach oben geschmuggelt. Im Morgengrauen ließ sich Hackett dann verknoten. Die exakte Länge des Seils war mit Angelschnur gemessen worden. Als die Sonne über Paris aufging und die Polizei am Boden mitbekam, was vor sich ging, spazierte AJ in die Luft. „Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein verdammt großer Sprung für den Abenteuertourismus“, beschreibt er es flott in seinen eigenen Worten. „Jeden Tag soll man sich daran erinnern, das man noch lebt.“
Wir wissen alle, was dann passierte. Auf jeder Kirmes im Rheinland, auf jedem besseren Parkplatz zwischen Polarkreis und Dubai stand fortan ein Kran mit Gummiseil. Es wurde gesprungen und geschrien und gebaumelt, selbst aus Hubschraubern, dass es eine Zumutung war, von all den Zerrungen ganz zu schweigen. Total überteuerter Schwachsinn, natürlich – aber ach so geil, wenn man es denn doch tat. Ich bekam einen Freisprung vom Fernsehturm in Hamburg geschenkt und überwand mich in einem Anflug von Todesmut und Angeberei. Von sowas zehrt man im Alter, wenn man es nicht mal vom Fünfmeterbrett geschafft hat.
Das ist alles lange vorbei, aber nicht in Queenstown auf der Südinsel Neuseelands: Von dort aus hat das AJ Hackett Imperium die Welt erobert. Einen Bungy-Tempel haben sie dort errichtet, mit wummernden Beats und athletischem Personal. Noch immer wird dort von der Brücke über der Kawarau-Schlucht im Minutentakt gesprungen, als gäbe es keine Schwerkraft. Unten im Fluß liegen viele Schlüsselbunde, aus all den Hosentaschen. Wenn vorbeifahrende Touristen glotzen, karambolieren sie oft in ihren Wohnmobilen und erinnern sich daran, dass man noch lebt.
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Es begann mit der Hochzeit unseres Freundes Steve. Der war Bioladenbesitzer und einst Veganer, aber erlegte aus Familientradition für sein Festmahl einen Hirsch. Ein Vollblut-Öko, der der Natur und seinem Körper bis auf selbstangebautes Gras keinen Schaden zufügt, aber nicht vom Wild lassen kann. Wo sonst auf der Welt trifft man jagende Hippies?Als die Freundschaft wuchs, lieh sich mein Mann bei ihm Jagdbücher aus. Die Gespräche wurden intensiver. Steve predigte gegen Massentierhaltung, pro Selbstversorgung. Nicht um Trophäen ginge es, sondern um archaische Nahrungsbeschaffung: ein Mann, ein Schuss, eine volle Kühltruhe. Kommerzfrei. Das traf den Nerv, der seit bundesdeutschen Zeiten brach gelegen hatte. Und mich ins Mark.
“Ich mache den Waffenschein”, sagte mein Mann, der angebliche Antimilitarist. Es war fast so schlimm, als ob er eine Affäre gebeichtet hätte: Ich war fassungslos, er testosterongesteuert. Schuldbewusst zog er nach dem Coming-out einen Prospekt von “Gun City” aus der Tasche. Dass er sich heimlich im Kleinkaliber-Discount herumtrieb, war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste waren unsere Kinder. Sie fanden das alles großartig: Schießen, yeah! All die Jahre ohne Gewaltvideos und Kriegsspielzeug, und nun das! Wozu schickten wir die Jungen eigentlich auf die verdammte Waldorfschule?
Ich kapitulierte, aber summte subversiv “Cowboy Rocker” von Udo Lindenberg vor mich hin. Mein Protestsong. Statt Charles Bronson kam aber nur eine nette Polizistin vorbei, um mich im Sozialarbeiterton zu befragen, ob mein Mann verhaltensauffällig oder gewalttätig sei. Alles Vorschrift für den Wisch. “Er ist friedlich wie ein Lamm”, bestätigte ich und übertrieb kein bisschen. Dabei hätte ich alles sabotieren können. Aber Steve hatte uns gerade einen Hirschschenkel geschenkt. Der schmeckte köstlich.
Mit Steve ging es zum Schießstand: “üben”. Beim Waffentest dann ein blitzartiger Reality-Check: Mein Mann stellte erschrocken fest, in welcher Gesellschaft er sich befand. Doch nur kurz kamen Zweifel an seiner neuen Gesinnung auf. Denn es ging wieder zu “Gun City”. Erst wurde, ganz nach Vorschrift, eine verschließbare Stahlkiste gekauft. Dann nach etlicher Recherche die Tika 7-08: viel Stahl, lackiertes Holz und sauschwer. Sie verschwand zum Glück sofort in der Kiste. Dann musste es noch ein kleines Luftgewehr sein, “nur für die Possums”. Es war ähnlich wie beim Surfen: Immer geht es ums Material.
Ich besuchte Lydia, die nichts Tierisches isst und für mehr Unkraut im öffentlichen Raum kämpft. Sie zeigte mir das Foto eines toten Possums in einer Falle. Auf dem Rücken klammerte sich dessen Junges fest, frisch verwaist. Mein Mutterherz blutete. Als ich zu Hause ankam, wurde ich fast umgelegt: In der Einfahrt übten meine Söhne mit dem Luftgewehr. An der Garage hing eine Zielscheibe, in der Mitte prangte ein Possum-Foto. “Schädlingsbekämpfung”, verteidigte sich mein Mann. Ich sah rot. Die Fronten sind klar. Fortsetzung folgt
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Jahresendzeitstimmung. Zeit für die große Bilanz. Was hat die Menschen in meinem Land bewegt? Wo offenbarten sich ihre wahren Interessen, ihre Leidenschaften, ihre Themen? Zum Glück gibt es den Informationskanal YouTube, der uns das Psychogramm der Nation präzise aufzeigt. Vielleicht sollte ich, um es spannender zu machen, an dieser Stelle die Quizfrage stellen: Wer oder was befand sich auf dem im Jahre 2011 in Neuseeland am häufigsten gesehenen Video?
Richtig: Rebecca Black. Das ist die kleine schwarzhaarige Dame im Cabrio und mit dürftig überschminktem Pickel, deren selbstproduzierter Song ‚Friday‘ als so grottenschlecht empfunden wurde, dass er weltweit über eine Billion mal anklickt wurde. Eine Art Hass-Reflex – 167 Millionen mal davon allein in Neuseeland. Eine ordentliche Trefferquote für ein Vier-Millionen-Volk. Immerhin sind wir weltweit nicht allein mit unserem schlechten Geschmack.
Schaut man sich an, was es in Aotearoa auf den zweiten Platz der YouTube-Hitliste geschafft hat, blickt man in einen noch tieferen kulturellen Abgrund. Hier tut sich eindeutig ein Nordhalbkugel-Südhalbkugel-Gefälle mit antipodischer Note auf. Denn weit vor den erschreckenden Erdbebenszenen aus Christchurch oder den Heldenmomenten der Rugby-Weltmeisterschaft wollten die Kiwis ein Machwerk namens ‚Nek Minute‘ sehen.
In wenigen verwackelten Sekunden erblickt man da einen jungen Mann mit weißer Stirnbinde, nacktem Oberkörper und unleserlichen Tätowierungen, der nicht nur das obere Drittel seiner Unterhose hervorblitzen lässt, sondern auch ein Gebiss frankensteinschen Ausmaßes. Der Zuschauer fragt sich, ob das vielleicht aus einem Scherzartikelladen stammt. Ebenso erheiternd ist, dass der Scooter des Protagonisten offensichtlich gerade zu Klump gefahren wurde. Der absolute Schenkelklopfer ist jedoch, dass der Roller-Besitzer sich nur sehr rudimentär zu artikulieren weiß. Was man mit „und dann passierte im nächsten Augenblick Folgendes“ übersetzen müsste, reduziert sich bei ihm auf das verzerrte Raunzen zweier Worte: ‚Nek minute‘. Ein Brüller!
Der YouTube-Clip entstammt einem Skater-Film, hieß erst ‚Negg Minute‘, dann ‚Nek Minute‘ und schließlich ‚Nek Minnit‘, um der Stammel-Orthographie konsequent treu zu bleiben. Bei dem gefährlich bis grenzdebil wirkenden Mann handelt es sich um den wahrscheinlich blitzgescheiten Levi Hawken aus Dunedin. Der hat sich als furchloser Skateboarder einen Namen gemacht, weil er die steilsten Straßen herunternagelt, ‚hill bombing‘ genannt. Jetzt hat er auch noch ein Stück kiwianischer Kulturgeschichte geschrieben.
Nek Minnit ist seit Monaten ein geflügelter Begriff. Moderatoren und Teenager streuen ihn gerne ein und warten auf Lacher. Neben etlichen Parodien gibt es auch den gleichnamigen Song von ‚Youth Empire‘, in dem diese Textzeile hervorsticht: “Sitze auf dem Klo, lass gleich die Bombe fallen, Nek Minnit, kein Klopapier da”. Besser kann man das Vorher und Nachher, das uns an Silvester bevorsteht, nicht zusammenfassen.