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In der Vergangenheit hat die Welt meine Heimat Borneo in seiner Exotik gesehen und nannte sie die „Lunge der Erde“ – darin klingen all die Hoffnungen auf die Schönheit und Gnade Gottes mit. Doch dieses Borneo ist nicht mehr da, verändert, jetzt sprechen alle nun noch über das unglückliche Schicksal der Insel, die zerstört und ausgeplündert wird. Ich bin hier geboren und fühle mich verpflichtet, die Umwelt meiner Heimat zu erhalten und zu schützen. Daher engagiere ich mich beim Borneo Institut in der indonesischen Stadt Palangkaraya. Hier haben wir ein Forum eingerichtet, wo alle Ebenen der Gesellschaft in einen Dialog miteinander treten können. Wir versuchen, die Sensibilität der Menschen zu schärfen für (wirtschaftliche) Richtlinien, die Umweltschäden mitverursachen.
Die Hauptursache für die Umweltzerstörung auf Borneo sind der Ausbau von Ölpalmenplantagen und der Bergbau, die sich auch auf den Klimawandel auswirken. Wälder, in denen Flora und Fauna beheimatet sind, werden gerodet und durch Plantagen oder Minen ersetzt. Diese Situation ist kritisch und besorgniserregend. Fast alle Gebiete in Zentral-Borneo sind mittlerweile von Überschwemmungen, Erdrutschen und Flächenbränden bedroht. Diese gefährlichen Folgen der Umweltzerstörung sind weder ein Fluch Gottes noch eine Glaubensprüfung. Sie sind die Schuld von Menschen, die sich nicht um die Natur scheren. Dies ist eine logische Folge der Gier einer Handvoll Menschen, die Macht über andere Menschen ausüben und ihre eigenen Interessen über die der Gemeinschaft stellen.
Diese Situation verschärft sich, wenn der Staat sich nicht auf die Seite des Volkes. Statt ökologische Nachhaltigkeit zu verteidigen, schlagen und verfolgen Militär und Polizei Menschen, die sich für die Umwelt einsetzen. Selbst gewöhnliche Umweltaktivisten werden kriminalisiert und beschuldigt, Fortschritt und Entwicklung zu behindern. 2018 war ich selbst mit Provokationen von staatlichen Institutionen konfrontiert, die Gewohnheitsrechte der Einwohner kriminalisieren wollten. Solche Erfahrungen verleiten manchmal, gleichgültig zu werden. Doch meine Liebe und mein Respekt für dieses Land haben mich für einen harten Kampf geschmiedet.
Wir hoffen, dass Länder in Europa und insbesondere Deutschland – als Land, das sich um ökologische Nachhaltigkeit und Menschenrechte bemüht – weiterhin ein Klima der Demokratie schaffen. Ein Klima, das eine ökologische Perspektive vermittelt und die Umwelt und die gesamte Schöpfung schützt. Darüberhinaus hoffen wir auch auf eine Anerkennung und Unterstützung für die indigenen Völker, weil diese ausgezeichnete Umweltschützer sind: Sie sehen die Wälder als ihre „Mütter“ und den Schutz der Natur setzen sie gleich mit dem Schutz der Gebärmutter der Menschheit. Wir müssen von unseren Vorfahren lernen, wie wichtig der Schutz der Umwelt für die Erde ist, auf der wir leben. Ich hoffe, dass sie zum Vorbild für die jüngere Generation werden können, um die Umwelt weiter zu bewahren und ökologische Gerechtigkeit zu vermitteln.
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Vor zwei Jahren bekam ich die erste Mail von Benni Over. Der 27-jährige Pfälzer fragte, ob ich seine Reise zu den Orang-Utans in den Regenwald von Borneo begleiten wolle – im Rollstuhl: Benni leidet an schleichendem Muskelschwund und ist völlig gelähmt. Verrückt, dachte ich zuerst. Ein Dutzend Mails später wusste ich, dass er es ernst meint. Mit Willensstärke und Lebensmut hat Benni zusammen mit seiner Familie seinen Traum realisiert. Im Buch „Im Rollstuhl zu den Orang-Utans“, das zum Welt-Orang-Utan-Tag am 19. August 2018 erscheinen wird, beschreibe ich die abenteuerliche Reise der Overs zu den bedrohten Menschenaffen: zu Tierrettungscamps, Dayak-Dörfern und durch endlose Palmölplantagen, die ein Hauptgrund für die Zerstörung des Regenwalds und den weltweiten Klimawandel sind.
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Minister aus Indonesien, Singapur und Australien, Regierungsvertreter aus Dänemark und Norwegen, von den Philippinen und den Fiji-Inseln, insgesamt 1200 Gäste aus rund 40 Ländern, dazu riesige Mengen an Catering in Fünf-Sterne-Sälen, die so eisgekühlt sind, dass man einem Schal braucht.
Selbstverständlich erhalten sämtliche Gäste alle möglichen nötigen und unnötigen Information auf Papier ausgedruckt, anstatt sie auf den USB-Stick zu kopieren, der sowieso Teil der Geschenktasche aus Kunststoff ist, die jeder Gast erhält. So beginnt der dritte Asia Pacific Rainforest Summit in Yogyakarta. Master of Ceremony Anthony Benny vom australischen Umweltministerium lädt die Gäste gleich zu Anfang ein, sich nach dem Gipfel die „tropischen Regenwälder in der Region anzusehen“ – was zumindest bei einigen einheimischen Teilnehmern die Mundwinkel zucken lässt, gibt es doch in Zentraljava schon seit Jahrhunderten keine nennenswerte Regenwälder mehr.
Die indonesische Umweltministerin Siti Nurbaya Bakar klärt das Missverständnis in ihrer Rede dann zumindest indirekt auf: Es werden Touren zu Wiederaufforstungsprojekten angeboten. Diese Baumplantagen sorgten unter anderem dafür, dass Java mittlerweile nicht mehr Holz aus Kalimantan, dem indonesischen Teil von Borneo, einführen muss, sondern im Gegensatz dazu die eigene Produktion nach Kalimantan verschifft. Was sie nicht sagt: dass in Kalimantan nicht mehr viele Bäume übrig sind, die man irgendwohin verschiffen könnte. Dort sind neben den sich krebsartig ausbreitenden Palmölplantagen fast nur noch geschützte oder schwer zugängliche Gebiete bewaldet, also in Nationalparks und im Gebirge: Spätestens seit 2014 gilt Indonesien als der unbestrittene Weltmeister im Abholzen von Regenwäldern.
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Ich weiß nicht, ob ich mich jemals daran gewöhnen werde diese Worte zu schreiben: US-Präsident Donald Trump. Egal, in wenigen Tagen ist es soweit. Und es gibt viele Gründe, sich große Sorgen nicht nur um die USA zu machen.
Ich erlebe die direkten Konsequenzen unter anderem, wenn ich in einer Schule jungen Autoren als Tutorin helfe und wir einen Großteil unserer Zeit damit verbringen, auf Ängste von Jugendlichen einzugehen. Sie befürchten, dass sie selbst oder ihre Eltern bald abgeschoben werden, weil sie keine Papiere haben. Diese Ängste sind hervorragendes Material für Geschichten, die Mitgefühl, Wut und Verständnis auslösen. Sie sind keine gute Grundlage für konzentriertes Lernen und produktive Pläne.
Was mir Mut macht: Kalifornien wird ein Bollwerk gegen eine Regierung sein, die Umweltschutz-Regulierungen und universelle Krankenversicherung abschaffen will, die ankündigt, Millionen von Menschen abzuschieben, auszugrenzen und eine Mauer zu bauen.
Zwei Geschichten, die ich in den vergangenen Wochen innerhalb und außerhalb des Westküstenstaates recherchierte, haben außerdem meinen Optimismus geschürt.
Da war zuerst mein Besuch im Standing Rock Camp von North Dakota. Aus einer kleinen Ansammlung von Zelten und Tipis wurde ein Lager, in dem zeitweise mehr als 7000 Menschen friedlich gegen die Dakota Access Pipeline demonstrierten. Bis heute kommen an der Flussmündung von Missouri und Cannonball River Jung und Alt zu Gebeten, Zeremonien und Gesängen zusammen. Hier haben erstmals US-Kriegsveteranen die ersten Völker der USA um Vergebung für Zerstörung ihrer heiligen Stätte und ihrer Kultur.
Der Chef der Pipeline Firma Energy Transfer Partners hat angekündigt, weiter zu bauen. Er rechnet damit, dass er die Genehmigung zur Vollendung seines Projekts bekommt, sobald Trump das Amt übernimmt. Gegendemonstranten bezeichnet Kelcy Warren lachend als naiv. Der Milliardär aus Texas hat mehr als 100 tausend Dollar in Trumps Wahlkampf investiert, der will die Förderung von fossilen Brennstoffen verstärken, der ehemalige Exxon-Chef wird vermutlich Außenminister und Rick Perry, ehemaliger Gouverneur von Texas, wird Energieminister. Perry ist im Vorstand von Energy Transfer Partners.
Und warum genau macht mich das optimistisch?
Weil trotz alledem – oder genauer gesagt: gerade deshalb – die Bewegung zusammenhält, weiter Zulauf bekommt, die Unterstützung für das Standing Rock Camp nicht nachlässt und weil Menschen aus aller Welt in das eiskalte North Dakota kommen, auch um von dem Vorbild für gewaltlosen Widerstand zu lernen. Mir sagte einer der Älteren, Lakota Johnnie Aseron, dass wir alle Gesprächskreise gründen sollten, um gemeinsam zu überlegen, wie wir am besten mit verschwindenden Rohstoffen und wachsender Bevölkerung umgehen. Ich habe viele junge Leute getroffen, die genau das tun wollen, die füreinander einstehen, über gemeinsame Werte diskutieren und nach ihnen handeln. Sie sind entschlossen, die Veränderungen herbeizuführen, die ihnen keine Wahl und keine der bestehenden Parteien gebracht hat. Das macht mich optimistisch.
Dann kam vergangenes Wochenende: nicht nur protestierten im ganzen Land Tausende gegen die Abschaffung der Krankenversicherung und gegen Diskriminierung, für soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und Pressefreiheit. Ich interviewte eine Woche vor der Amtseinführung von Donald Trump Drehbuchautor, Regisseur, Schauspieler und Theaterdirektor Tim Robbins über die Aufgabe von Kunst in Zeiten von tiefer gesellschaftlicher Spaltung und einem Präsident Trump. Der Bernie-Sanders-Anhänger startete an seinem Theater eine Serie von Foren zur Stärkung zivilen Diskurses. Robbins plädiert für Bescheidenheit und dafür, nicht anderen die Schuld am Ausgang der Wahl zu geben. „Etwas hat nicht gestimmt, etwas war krank in unserer Gesellschaft und die Antwort auf die Frage, was das war, liegt bei uns.“ Für den Umgang mit dem neuen Präsidenten warnt er vor Provokationen. Er vergleicht die Situation mit der Konfrontation einer Klapperschlange: wenn man sie provoziert, beißt sie zurück, wird noch größer und strahlt mehr Macht aus. „Wir brauchen einen Dialog, eine Bewegung, die diese Klapperschlange umgeht und nicht die provoziert, mit denen wir nicht einer Meinung sind.“
Dieser Dialog ist noch sehr chaotisch. Aber er findet statt auf vielen Ebenen und die Wahl von Donald Trump hat ihn paradoxerweise gestärkt. Und das macht mich sehr optimistisch.
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Es muss einer der imposantesten Flugrouten der Erde sein. Wenn freie Sicht herrscht, sind aus dem Kabinenfenster des Jets riesige Schneelandschaften oder der dunkelblaue Nordatlantik zu sehen. Manchmal gar beides.
Doch die gute Aussicht hat ihren Preis: Um mit dem Flieger nach Spitzbergen – immerhin 2000 Kilometer nördlich von Oslo und nur noch rund 1300 Kilometer vom Nordpol entfernt – und zurück zu reisen und dort internationale Klimaforscher zu treffen, wird pro Person laut Emissionsrechner MyClimate ab Berlin über eine Tonne CO2 ausgestoßen. Das ist mehr als die Hälfte des akzeptablen Jahresverbrauchs. Ziel der Reise: UNIS, das Universitätszentrum Spitzbergen, in Longyearbyen sowie Kingsbay, die internationale Forschungsstation eine halbe Flugstunde weiter nördlich. „Hier oben ist ein guter Ort, um Auswirkungen des Klimawandels zu studieren“, so Kim Holmén, internationaler Direktor des Norwegischen Polarinstituts.
Dass Forscher, Politiker und Journalisten, die sich mit dem Klimawandel beschäftigen, wohl oder übel fliegen müssen, um ans Ende der Welt zu kommen und die Konsequenzen menschlichen Konsums zu untersuchen, zu diskutieren und zu beschreiben, mag noch einleuchten. Schließlich ist das Aufklärung in unser aller Interesse. Oder ist das nur eine schlechte Entschuldigung? Wo hört die Notwendigkeit auf? Kognitive Dissonanz nennen Psychologen es, wenn man wider besseren Wissens und gegen seine Überzeugungen handelt.
Dass jegliche Form von CO2-Ausstoß schlecht fürs Klima ist, ist seit langem bekannt. Ebenso, dass Fliegen besonders schädlich ist. Genauso wie die Stromerzeugung mittels Kohle, die deswegen häufig als „Klimakiller Nummer 1“ bezeichnet wird.
Dennoch lässt der norwegische Staat sich nicht nehmen, auf Spitzbergen die Klimaforschung und die Erderwärmung gleichermaßen zu unterstützen. Die Regierung fördert nämlich nicht nur die internationale Forscherbasis in Ny Ålesund, sondern subventioniert auch den Kohlebergbau auf der Inselgruppe. „Das ist ein Paradox, das wir wirklich nicht brauchen“, urteilt Lars Haltbrekken, Chef von Naturvernforbundet, dem norwegischen Pendant zum Bund für Umwelt- und Naturschutz, der sie Jahrzehnten gegen Kolhleabbau auf Spitzbergen kämpft. „Und eine ziemliche Doppelmoral ist, dass Norwegen international gegen die Kohle kämpft, aber auf Spitzbergen selber welche gewinnt“, sagt Haltbrekken. So hat der norwegische Staatsfonds erst in diesem Jahr beschlossen, nicht mehr in Unternehmen, die sich zu stark in Kohle engagieren, zu investieren. „Das war ein großer Sieg. Dass wir den Rohstoff aber selber weiter nutzen, zeigt, dass es viel einfacher ist, anderen zu sagen, was sie ändern sollen, als selber etwas zu tun“, sagt Haltbrekken.
Mehr steht in meinem aktuellen Artikel für Zeit online.
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Und es gibt ihn doch: Den Himmel über Peking. Seit einigen Tagen gelten dieselben Regeln wie während der Olympischen Spiele 2008: Nur jedes zweite Auto darf fahren – je nachdem ob die letzte Ziffer des Nummernschildes gerade oder ungerade ist – die meisten Fabriken sind abgestellt. Derzeit läuft im Olympiastadion die Leichtathletik-WM, und am 3. September paradiert Chinas Militär über den Tiananmen-Platz um des Sieges über Japan am Ende des Zweiten Weltkriegs zu gedenken. Für beides muss die Luft rein sein. Am Wochenende übten Düsenjägerbattalions unter weißen Wattewölkchen ihre Formationsflüge.
Wölkchen sehen wir selten; sie verstecken sich meist über der Dunstglocke. Doch genau WIE schädlich die Luft denn nun eigentlich ist, das ist für uns Pekinger eher wenig fassbar. Gerade erst erregten Berichte über eine neue Studie aus den USA Besorgnis (Details hier): Demnach sind wir alle hier Zwei-Schachteln-am-Tag-Raucher: Ein Tag Pekinger Luft entspricht demnach 40 Zigaretten. Illustriert wurde diese Geschichte etwa im Economist mit einer China-Karte, auf der die Gegend um Peking tiefrot gefärbt ist, für die schlechteste Luft im Land. Alles „Pferdesch….“, antwortete nun ein lokales Stadtmagazin: Der Feinstaubgehalt der Pekinger Luft entspreche durchschnittlich nur etwa einer fünftel Zigarette am Tag. Die Autoren haben das einigermaßen plausibel nachgerechnet – auf Basis der Pekinger Feinstaubstatistik von Greenpeace sowie dem, was über den Feinstaubgehalt von Zigaretten bekannt ist. Nun denn. Man möchte ja gerne die zweite Story glauben (Details hier).
Dass ihre Stadt die lebenswerteste Chinas ist, glauben aber nicht einmal die Locals: Peking rangiert an der Spitze des „Liveability Index“ des Economist Intelligence Unit für China. Lachhaft, bloggen die Pekinger: Soll das ein Aprilscherz sein? Über den Spott der Hauptstädter berichtet sogar die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua (Story hier). Auch wenn die Luft natürlich nur eines von vielen Kriterien ist. Die Unis sind ja gut in Peking, oder das kulinarische und kulturelle Angebot. Auf Nummer zwei des Rankings ist übrigens Tianjin platziert, die Hafenstadt neben Peking – die ebenfalls auf der China-Luftdreck-Karte tiefrot gefärbt ist. Und die dank des Infernos vor knapp zwei Wochen derzeit eher für negative Schlagzeilen sorgt. Die Zahl der Toten durch die Explosionen eines Lagerhauses für gefährliche Chemikalien ist auf 121 gestiegen, und noch immer werden mehr als 50 Menschen vermisst. Es qualmt immer noch am Unglücksort, mehrere Verantwortliche des Lagerhauses sind in Haft. Die Sache stinkt, physisch und im übertragenen Sinn.
Ich gehe dann mal raus und genieße den Himmel. Solange er noch da ist. Der Countdown läuft. Schon am 4. September wird alles wieder hochgefahren. Und wir werden wieder zu Zwangsrauchern.
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Die Dame versucht, am Metro-Eingang ihr Ticket zu entwerten – doch es funktioniert nicht. „Madame, heute ist die Metro gratis, Sie können einfach durch die Schleuse gehen“, sagt ein junger Franzose. Noch hat es sich nicht überall herumgesprochen: Seit drei Tagen ist der Nahverkehr in und um Paris umsonst. Das freut viele, auch die Touristen. Doch der Grund dafür ist weniger schön: Frankreichs Hauptstadt leidet unter Smog.
Die Pariser husten sich mal wieder durch ihre Stadt. Wie bereits genau vor einem Jahr hängt eine Smog-Wolke über der Metropole. Mehrere Tage hintereinander wurden die Feinstaub-Grenzwerte überschritten. Die Luftqualität ist an solchen Smog-Tagen in Paris zeitweise genauso schlecht wie in einem nicht gelüfteten Zimmer von 20 Quadratmetern, in dem acht Raucher gleichzeitig rauchen, stellten im vergangenen Jahr Forscher fest. Die ganze Region leidet immer wieder unter der miesen Luftqualität: 2013 sind in der Region Île-de-France die Feinstaub-Grenzwerte an 135 Tagen überschritten worden, die EU erlaubt nur 35.
Wie genau vor einem Jahr greift die Regierung zu drastischen Mitteln: Heute gilt ein Teil-Fahrverbot. Das heißt: In Paris und in 22 angrenzenden Vorstädten dürfen nur die Autos und Motorräder fahren, deren Kennzeichen mit einer ungeraden Zahl enden, alle anderen müssen stehen bleiben. In der ganzen Stadt kontrollieren 750 Polizisten, ob die Fahrer sich daran halten. 22 Euro kostet die Strafe für denjenigen, der trotzdem mit seinem Auto losdüst. Gleichzeitig wurde auf den meisten Straßen die Höchstgeschwindigkeit um 20 Stundenkilometer reduziert.
Vor einem Jahr zeigte das Fahrverbot Wirkung: Die Feinstaubbelastung nahm um sechs Prozent ab. Warum wartete die Regierung also jetzt tagelang? Wohl weil man vor den Départementswahlen am Sonntag die Wähler nicht verärgern wollte. Die Zeitung “Le Monde” fragte deswegen kritisch: „Wie viele Leben ist eine Wählerstimme wert?“
Die Behörden geben dem Wetter Mitschuld am Smog: ein Hochdruckgebiet über Frankreich, kein Wind und Regen, der den Dreck in der Luft wegpustet und fortspült. Doch die eigentlichen Verursacher sind andere: Die Schwerindustrie mit ihren Abgasen, das Düngen in der Landwirtschaft und vor allem die endlosen, stinkenden Blechlawinen in der Stadt. Täglich rollen auf dem 35 Kilometer langen „Périphérique“, der Pariser Stadtautobahn, 1,3 Millionen Fahrzeuge. Zwar haben die Pariser selbst oft gar kein Auto – nicht mal jeder zweite besitzt eines. Aber es sind vor allem die vielen Pendler aus dem Umland mit ihren Dieselfahrzeugen, die den Smog verursachen: Dieselmotoren erzeugen besonders viele gefährliche Feinstaubpartikel.
Zwei von drei Autos in Frankreich fahren mit Dieselkraftstoff. Denn die französischen Regierungen förderten den Kraftstoff seit Jahrzehnten, indem sie ihn weniger besteuerten als normales Benzin. Viele französische Großstädte leiden nun dauerhaft wegen dieser Diesel-freundlichen Politik. Aber auch die vielen privaten Kamine der Region verpesten im Winter die Luft. So wird immer wieder heftig darüber gestritten, ob es im Großraum Paris verboten werden soll, in Wohnungskaminen ein gemütliches Feuerchen zu schüren.
Die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo macht den Kampf gegen Luftverschmutzung zur Chefsache. Das Rathaus kündigt einen radikalen Umweltplan für die kommenden Jahre an. Denn die Feinstaubbelastung verkürze die durchschnittliche Lebenserwartung der Pariser um sechs bis neun Monate, heißt es. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sterben 42000 Menschen in Frankreich an den Folgen der Luftverschmutzung. Die Partikel verursachen Lungenkrebs und Atemwegskrankheiten.
Pariser, die ihr (vor 2001 angeschafftes) Dieselauto abschaffen wollen, werden unterstützt: mit Vergünstigungen für Abonnements für das Autoverleihsystem Autolib oder Fahrradverleihsystem Velib. Aber auch mit bis zu 400 Euro für den (Elektro-)Fahrradkauf oder einer Jahreskarte für die Metro. Auch Firmen bekommen Zuschüsse, wenn sie ihre Lieferwagen ausmustern und auf ein Elektrofahrzeug umsteigen. Schrittweise soll es für ältere Diesel-Laster und -Busse sowie auch für Pkw Fahrverbote geben – bereits ab Juli 2015, aber vor allem ab Juli 2016.
Anne Hidalgo will zudem mehr Fußgängerzonen. In den vier zentralen Arrondissements sollen neben Fahrrädern, Bussen, Radlern und Taxis nur die Anwohner, Lieferanten und Notärzte fahren dürfen: Das beträfe die Gegend von der Place de la Concorde über den Louvre vorbei an Notre-Dame und dem Rathaus bis zur Place de la Bastille und der Place de la République. Es soll Versuche geben, große Boulevards wie die Champs-Elysées oder die Rue Rivoli nur noch für besonders abgasarme Autos zu öffnen. Bis 2020 sollten die gesundheitsschädlichen Dieselautos sogar ganz aus der Stadt verbannt werden – und die Länge der Fahrradspuren verdoppelt werden.
Doch das ist Zukunftsmusik. Schon morgen dürfen erst einmal wieder alle Autofahrer fahren und die Metro kostet wieder Geld – denn es sind Wind und Regen angekündigt.
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Der Esel, den wir am 23. Dezember im WELTREPORTER-Adventskalender hören, brüllt in einem kurdischen Dorf namens Kesmeköprü am Tigris, gegenüber der historischen Stadt Hasankeyf.
Susanne Güsten hat ihn aufgenommen: „Das Dorf soll zusammen mit der Stadt geflutet werden, wenn der Ilisu-Staudamm fertig ist. Für die Bewohner von Hasankeyf hat der Staat eine neue Stadt auf den höher gelegenen Hügeln hinter Kesmeköprü gebaut, auf den dazu enteigneten Feldern der Dorfbewohner. Die Dörfler sollen aber nicht mit in die Neustadt ziehen dürfen, klagten sie mir, weil die Städter sie dort nicht haben wollen. Hintergrund ist, dass die Bewohner von Hasankeyf überwiegend arabischer Herkunft sind, die Dorfbewohner aber Kurden. Da kann man wirklich nur noch brüllen.“
Susanne Güsten, geboren 1963 in München, aufgewachsen in Westafrika, Schulabschluss in den USA, Studium der Politikwissenschaften in Deutschland, Absolventin der Deutschen Journalistenschule; Redakteurin, Reporterin und zuletzt stellvertretende Chefredakteurin der Nachrichtenagentur AFP in Deutschland; seit 1997 als freie Korrespondentin in Istanbul. Susanne Güsten berichtet aus der Türkei und Nordzypern unter anderem für den Tagesspiegel und den Deutschlandfunk.
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Hier schnurrt keine Hauskatze, sondern die Gepardin Thandi. Gemütlich auf der Seite liegend ließ sie sich von Leonie March streicheln. Leonie: „Ich hatte dabei eher ein flaues Gefühl im Magen. Die zahme Raubkatze ist die Attraktion des „Tenikwa Wildlife Awareness Centre“ an Südafrikas Garden Route. Durch die Tuchfühlung mit den Geparden sollen Touristen für den Schutz der bedrohten Raubtiere sensibilisiert werden.“ Über das Centre hat Leonie u. a. in einer Reportage für Deutschlandradio Kultur berichtet.
Leonie lebt und arbeitet seit 2009 in Durban, Südafrika. Reportagen, Features und Analysen aus den Ländern des Südlichen Afrika sind ihre Spezialität. Dabei stellt sie bewusst die Klischees und Vorurteile gegenüber dem „schwarzen Kontinent“ auf die Probe. Als Radio-Korrespondentin berichtet sie aus Kultur, Politik und Gesellschaft, unter anderem für Deutschlandradio Kultur, Deutschlandfunk, SRF und Monocle24. Den Gepard können Sie hier hören.
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Mit großer Aufmerksamkeit beobachten die Franzosen, wie der Nachbar Deutschland seine Energiewende meistern will. Vielleicht schafft es das deutsche Wort ja noch in den französischen Wortschatz: „L’Energiewende“ taucht oft in französischen Zeitungsartikeln auf. Die Medien berichten vor allem über steigende Energiepreise und Entlassungen bei Stromkonzernen. Die Bürger in Deutschland zahlten einen hohen Preis für den Atomausstieg, heißt es immer wieder. Die sozialistische Regierung weiß: Viel höhere Strompreise sind in dem krisengeschüttelten Frankreich zurzeit kaum durchzusetzen. Entlassungen im Nuklearsektor auch nicht. Das Thema Energiewende ist also ein höchst sensibles in dem Land, das derzeit 75 Prozent seines Stroms aus seinen 58 Atomkraftwerken bezieht.
Kein Wunder also, dass die Präsentation des Gesetzentwurfs zur Energiewende ein Jahr länger dauerte als geplant. Nach langen Beratungen hat nun Umweltministerin Ségolène Royal die großen Linien dem Kabinett vorgestellt. Die „Transition énergétique“ (Energieübergang) werde Frankreich helfen, aus der Krise zu kommen, sagte sie.
Präsident François Hollande hatte mehrmals betont, dass dieser Gesetzestext einer der wichtigsten seiner fünfjährigen Amtszeit sein werde. Schon während seines Wahlkampfs hatte er eine für Frankreich kleine Revolution angekündigt: Denn der Anteil der Kernenergie an der Stromversorgung soll bis 2025 um 25 Prozent reduziert werden.
Der Entwurf umfasst nun 80 Artikel. Fünf große Punkte prägen ihn: Neben der oben genannten Reduktion des Anteils der Atomenergie im Strommix soll der Ausstoß der Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent gesenkt werden (im Vergleich zu 1990). Im selben Jahr sollen 40 Prozent der Energieproduktion in Frankreich aus erneuerbaren Quellen stammen. 2012 lag der Anteil bei knapp 14 Prozent. Der Verbrauch fossiler Energien wie Erdöl und Kohle soll bis 2030 um 30 Prozent gesenkt werden. Geplant ist auch das Ziel, den Energieverbrauch in Frankreich bis 2050 zu halbieren (Vergleich zu 2012).
Kritiker werfen Royal bereits vor, eingeknickt zu sein – vor allem gegenüber der Atomlobby. Denn die Grünen hatten gefordert, dass in dem Gesetz das Recht des Staates festgeschrieben wird, aus energiepolitischen Gründen Atomreaktoren stilllegen zu können. Das ist nun nicht der Fall. Auch eine maximale Laufzeit von 40 Jahren für Frankreichs Reaktoren ist nicht im Text verankert. Welche Reaktoren und wie viele abgeschaltet werden – keine Angabe. Gerade im Elsass hatten viele Atomkraftgegner gefordert, dass die Abschaltung von Fessenheim Schwarz auf Weiß festgehalten wird. Präsident Hollande hatte die Stilllegung bis Ende 2016 angekündigt. Doch der Name Fessenheim taucht nicht auf. „Das ist ein Versprechen des Präsidenten“, sagte Ségolène Royal nun der Zeitung Le Monde. Vermutlich befürchtet die Regierung enorme Entschädigungsforderungen von Seiten des börsennotierten Konzerns EDF, würde man die Stilllegung ins Gesetz schreiben.
Die Regierung verfolgt eine andere Strategie. Festgeschrieben in dem Entwurf wird nun eine Kapazitätsobergrenze bei der Atomenergie von 63,2 Gigawatt – das entspricht dem Stand von heute. EDF als Betreiber der Atomkraftwerke und Vermarkter des Stroms soll in Zukunft einen mehrjährigen, nach Energiequellen gegliederten Stromplan vorlegen, der mit dem Gesetz in Einklang stehen muss. Diesen werde dann der Staat (größter Aktionär von EDF mit einem Anteil von 85 Prozent) prüfen. Der erste Plan betrifft den Zeitraum von 2015 bis 2018. In dieser Periode soll der neue Europäische Druckwasserreaktor in Flamanville am Ärmelkanal in Betrieb gehen. Will die EDF dafür vom Staat die Starterlaubnis, wird sie wohl mit Blick auf die Obergrenze ein anderes Kraftwerk stilllegen müssen – etwa Fessenheim.
Royal bezeichnet die Energiewende als wichtigen Hebel Frankreichs zum Ausstieg aus der Krise. Ziel sei es, in den kommenden drei Jahren 100.000 Arbeitsplätze mit Hilfe der Ökologie- und Energiewende zu schaffen. So soll es zum Beispiel für energetische Sanierungen Steuererleichterungen bis zu 30 Prozent geben. Haus- und Wohnungsbesitzer sollen künftig verpflichtet werden, bei Dach- oder Fassadearbeiten solche Sanierungen vorzunehmen. Haushalte mit geringem Einkommen sollen Energieschecks erhalten, die Regionen Eigentümern Kredite geben können, Biogasanlagen gefördert werden. Bis 2030 werden zudem sieben Millionen Aufladestationen für Elektroautos errichtet.
Die Transition énergétique kostet vermutlich 20 bis 30 Milliarden Euro jährlich: Wie das genau in Zeiten leerer Kassen finanziert werden soll, ist noch unklar. Im Herbst 2014 soll das Parlament über den Entwurf debattieren. Im Jahr 2015, wenn in Paris die UN-Klimakonferenz stattfindet, soll das Gesetz spätestens Wirklichkeit werden.
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In der New York Times stand, die Teilnahme sei freiwillig. Ich glaube, das war ein Missverständnis. Uns hat jedenfalls keiner gefragt. Eines schönen Frühlingsmorgens stand der kleine Henkelmann vor der Tür. Hellbrauner Plastikkörper mit schneeweißem Griff, überraschenderweise nicht in China gefertigt, sondern in Kanada.
Ein paar Tage später kam der große Bruder, braun mit orangefarbenem Schnappverschluss, und der Aufschrift „NYC Organic Collection“.
Sie ahnen es: New York probt den Einsatz der Biotonne.
Dass in den Pilotversuch mit 70 000 Haushalten unser Viertel Park Slope einbezogen wurde, könnte mit dem von mir bereits in einem früheren Blog erwähnten Umstand zu tun haben, dass Bill de Blasio in der Nachbarschaft wohnt, seit Januar Bürgermeister von New York City. Nach monatelangen Zögern ringt sich die Familie de Blasio jetzt allerdings doch zum Umzug nach Gracie Mansion durch, der traditionellen Bürgermeistervilla an der Upper East Side. Dass es dort besser sein soll als hier, können wir stolzen Brooklynites uns nun gar nicht vorstellen.
De Blasio zieht also weg und wir behalten die Biotonne. Ich finde, das ist kein schlechter Tausch. Es war zwar nicht ganz einfach, die empfohlenen kompostierbaren Beutel aufzutreiben, obwohl die Stadt dem Henkelmann vier Coupons unterschiedlicher Hersteller beigelegt hatte. Und es ist wohl auch noch wenig Preisdruck auf dem neuen Markt, denn 25 Beutelchen kosteten 5.49 Dollar. Trotzdem freue ich mich, dass meine Küchenabfälle nun eine sinnvolle Nutzung erfahren.
Mit meiner Zufriedenheit bin ich allerdings ziemlich allein. Die Nachbarn stört ein ganz banaler Umstand: Der Küchen-Kompost stinkt. Für etliche Großstädter ist dies offenbar eine neue Erkenntnis. Und so werden Tipps ausgetauscht, wie sich die Geruchsbelästigung verhindern lässt. Bei einer Umfrage der New York Times empfahlen die einen ein Duftspray der Marke Febreze, aber nur mit Zimtaroma – Vanille verschärfe das Problem. Ob die mit Chemieduft besprühten Abfälle wohl genauso gut rotten wie unbehandelte? Andere Mitbürger verstauen den Henkelmann in der Eistruhe – Kompost eisgekühlt. Bei allem Umweltbewusstsein, wir sind immer noch in Amerika.
Fotos: Christine Mattauch
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Gestern war der sechste Tag, an dem Peking unter einer fetten Smogglocke lag. Sechs Tage, an denen die Sonne wie in einem apokalyptischen Film nur als fahle Scheibe am braun-grauen Himmel klebte. Das sieht nicht nur schlimm aus, sondern fühlt sich auch so an. Wenn reine Luft zum Atmen fehlt, werden Menschen nervös, reizbar, depressiv oder krank.
Inzwischen auch wütend und aufmüpfig. Die chinesische Regierung hatte zwar viel versprochen, als sie im Oktober 2013 ein Aktionspaket gegen die Luftverschmutzung vorlegte. Doch passiert ist dieses Mal so gut wie nichts. Einige wenige Fabriken wurden geschlossen, das war’s. Regierungsautos blieben nicht in der Garage, Schulen wurden nicht geschlossen. Der Trick war einfach – die offiziell verkündeten Luftwerte lagen unter dem notwendigen Grenzwert. Die tatsächlichen freilich weit darüber.
Gestern Nachmittag erreichte mich eine SMS aus Deutschland. „Wie lange haltet ihr es da noch aus?“, lautete sie. Gute Frage. In Phasen, wo der AQI (Air Quality Index) permanent im tiefroten Bereich verharrt, will man natürlich nur eines: weg. Doch noch (!) gibt es sie, die Tage mit knallblauem Himmel, an denen die AQI-App auf meinem Handy dieses hübsche Froschgrün für gute Luft anzeigt. Und es sind gar nicht mal so wenige. Mit der aufgehenden Sonne steigt die Stimmung, alles geht einem leichter von der Hand. Heute ist so ein Tag. Über Nacht hat ein kräftiger Nordwind eingesetzt, der Peking von dem gesundheitsgefährdeten Feinstaub befreit hat.
Dann guckt man aus dem Fenster, und denkt, es war alles nur ein schlechter Traum. Leider kehren Albträume öfter wieder als einem lieb ist.
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Gerade letzte Woche habe ich sie wieder bekommen, die SMS: Lieber Kunde, leider haben Sie auch dieses Mal wieder nicht in der Lotterie gewonnen. Schade. Zwar gehts nicht um entgagene Millionen – sondern nur um ein entgagenes Nummernschild. Doch ohne Nummernschild gibts kein Auto in Peking. Seit einem Jahr landet mein Name jeden Monat mit Hunderttausenden anderer Führerscheinbesitzer der Hauptstadt in einem Topf, und nur 20.000 werden gezogen. Unbestreitbar eine nötige Maßnahme, auch wenn ich dadurch statistisch gesehen wohl noch ein paar Jahre warten muss. Mehr als fünf Milliionen Autos schieben sich durch Peking, es herrscht seit Jahren Dauerstau. Von der Luft ganz zu schweigen. Und das Los ist zumindest von der Idee her demokratisch. In Shanghai dagegen werden Nummernschilder versteigert und kosten mittlerweile umgerechnet 100.000 Euro. Mehr als viele Automobilmodelle.
Dass man aber auch in Peking Geld mit Nummernschildern verdienen konnte, zeigte „Tante Wang“, deren illegales Geschäft vor ein paar Tagen aufflog: Wang Xiuxia vermietete mehr als 1000 Nummernschilder, die sie allesamt vor Einführung der Nummernschild-Lotterie Ende 2010 erworben hatte. Offenbar hatte sie sie jahrelang gehortet. Die Dame aus Pekings Nachbarstadt Tianjin hatte schon 2005 zugeschlagen, nachdem ein Verbot für Nicht-Pekinger aufgehoben wurde, Autos in Peking zu registrieren. Die Schilder kosteten nichts, sondern waren wie in Deutschland mit der Anmeldung verbunden, und man zahlte dann eben Kfz-Steuer. Wie Frau Wang N 1000 Schilder kam, ist noch unbekannt. Aber als die Lotterie startete, witterte sie das große Geld. Und alles ging gut. Bis einer ihrer „Mieter“ mit dem auf ihren Namen laufenden Fahrzeug einen Unfall verursachte und Fahrerflucht beging. Offenbar hatte aber der Geschädigte das Nummernschild aufgeschrieben. Clever – und Pech für Frau Wang, die angeblich bis dahin eine MIllion Euro mit dem Schilderbusiness verdient hatte. „Ich habe für 10.000 Yuan auf Lebenszeit ein Nummernschild gemietet“, erklärte ein namenloser Fahrer lokalen Medien (wo auch immer diese den Mann aufgetrieben haben).
Nun also ist Schluss mit lustig. Die Verkehrsbehörde erklärte alle 1000 Nummernschilder für ungültig. Parallel dazu gab die Stadtregierung diese Woche bekannt, weitere Restriktionen zu erlassen: Ein neuer Plan zur Luftreinhaltung für 2013-2017 sieht vor, ab 2017 eine Art „Verstopfungs-Abgabe“ einzuführen. Außerdem will sie bis dahin die Parkgebühren deutlich anheben und mehr Gebiete für Fahrzeuge außerhalb Pekings sperren.
Erstmals ging Peking im Kampf gegen den Dreck diese Woche sogar gegen große Staatsfirmen vor: Das Umweltministerium stoppte je ein Projekt der Ölriesen SInopec und CNPC, da diese ihre Auflagen zur Emissionsreduktion nicht erfüllt hatten. Das ist mal eine gute Nachricht. Unter Druck stehen dieselben Firmen, da sie minderwertiges Benzin produzieren – auch die schlechte Qualität des Treibstoffs ist ein Grund für die urbane Luftverschmutzung. Es gibt viel zu tun.
Und 1000 Ex-Schilder-Mieter von Frau Wang müssen jetzt mit mir in den Lotterietopf. Viel Glück!
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Ginger Harold hat in den 70 er Jahren mit Freundinnen vor dem Rathaus Büstenhalter geschwenkt und für Gleichberechtigung demonstriert. Sie hat eine Tochter verloren, Erdbeben und eine schwere Krebserkrankung überlebt. Wenig kann sie noch beeindrucken – und bestimmt nicht die dicken weißen Ascheflocken, die vom Buschfeuer am Berg hinter ihrem Haus auf sie niederregnen oder das gespenstisch gelb-rote Leuchten der Flammen, das durch eine dicke graue Rauchwolke scheint. Die 74 Jahre alte Naturliebhaberin wird diesen Berg hinaufsteigen sobald Asche und Rauch, die ihn jetzt komplett verdecken verschwunden sind. Bestehende Evakuierungspläne hält sie für einen Witz, für völlig veraltet. Sollten die Flammen doch den Mini-Bunglow erreichen, in dem sie alleine wohnt oder Funken die ausgetrocknete Eiche erfassen, deren Äste über sein Dach hängen, wirft sie sich eine Plane über und springt in den Pool. Das ist ihr Plan. Gepackt hat Ginger nichts für den Ernstfall. „Ich wüsste nicht was ich packen sollte. Nichts ist wichtig und alles ist wichtig,“ sagt sie, zuckt mit den Achseln, lacht und rückt die Atemmaske über Mund und Nase zurecht.
Ginger ist der Typ, den Feuerwehr und Polizei in Kalifornien fürchten und dem sie allzu oft begegnen: sture Senioren, die ihre Häuser trotz Evkuierungsaufforderungen nicht verlassen. Müssen sie gerettet werden, bringen sie andere in Gefahr und stehen möglicherweise vor der gewaltigen Aufgabe, ohne Hab und Gut ganz von vorne anfangen zu müssen. Eine Prognose, die Ginger nicht erschreckt. Sie ist sicher: die Flammen werden ihr Häuschen nicht erreichen. Warum? Oben auf den Hügeln wohnen die Superreichen auf riesigen Anwesen mit Pferdekoppeln und privaten Wanderwegen. „Sie rufen den Gouverneur an und schon bald werden hier so viele Wasserflugzeuge am Himmel sein, dass sie den Flugverkehr regeln müssen.“ Sie lacht wieder. „Das ist wahr. Ich hab es schon oft erlebt. Und Gott sei Dank dafür!“
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Es gibt einen neuen Geschenkehit zum chinesischen Neujahrsfest: Atemmasken. Wo sonst vor allem rote Umschläge mit Geld oder edle Früchte und andere Speisen verschenkt werden, gehts jetzt auch um Dinge zur Förderung der Gesundheit. Seit Wochen hängt eine dicke Smogwolke über dem Land, und darüber freuen sich ein paar gewitzte Unternehmer, die ihre Masken gezielt zum Neujahrsfest in zwei Wochen anpreisen. So stellen zum Beispiel Apotheken die Masken, sonst irgendwo hinten im Lager platziert, nun vorn ins Schaufenster – gleich mit Werbung: Speziell gegen PM2,5, also Feinstaub, seien die Masken. PM2,5 – was in Deutschland Feinstaub heißt – ist auch in China heute das Hauptreizwort im Zusammenhang mit dem Smog. Auch teure Lufreiniger werden angepriesen, die sich früher kaum ein Mensch gekauft hätte.
Schon immer seien chinesische Geschäftsleute gut darin gewesen, aus Krisen prima Geschäftsideen zu generieren, schreibt die staatliche Zeitung China Daily (link). Für die derzeit zig Millionen Wanderarbeitern bevorstehende beschwerliche Eisenbahnreise in ihre Heimatdörfer zum Neujahrsfest dachte sich ein Unternehmer eine Art Schlafhaube aus. Sie sieht aus wie ein Kesselwärmer mit einem Loch zum Atmen um die Nase und Löchern über dem Kopf, in die man die Arme stecken und verschränken kann. Keine Ahnung, wer so schlafen kann. Aber besser als nichts, so ist es wohl. Im Laufe eines Skandals um Babymilchpulver Ende 2008 stiegen viele Firmen ganz schnell in den Milchpulver-Import ein. Und als ein Skandal um recyceltes Speiseöl für Aufregung sorgte, erfanden Unternehmer ein angebliches „Schmutzöl-Testpapier“ und verdienten einen Haufen Geld damit.
Leider hat noch keiner eine Windmaschine erfunden. Vor drei Tagen blies ein steifer Nordwind aus Sibirien, und die Feinstaub-Werte lagen zack auf unter 50, dem Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation. Doch seither herrscht wieder Windstille, und alles wieder auf Anfang; die Werte schrauben sich ohne Wind sofort unerbittlich hoch. Ab 250 werden Aktivitäten im Freien eingeschränkt – zB alle Sportveranstaltungen unserer Kinder abgesagt. Heute morgen haben wir 425. Fast schon Routine in diesen Tagen.
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Kalifornien hat Barack Obama eine deutliche Mehrheit beschert – alles andere wäre eine Riesenüberraschung gewesen. Die Bewohner des Westküstenstaats gelten als zuverlässige Stimmen-Geber für Demokraten. Deshalb bleiben wir hier auch weitgehend verschont von bösartigen Werbekampagnen der Kandidaten. Die kommen eigentlich nur vorbei, um Spenden einzusammeln. Kalifornien hat sich zur Geldmaschine für Demokraten und Republikaner entwickelt. Nicht nur Barack Obama füllte seine Wahlkampfkasse bei Abendessen mit illustren Gästen in Hollywood und Silicon Valley. Auch Mitt Romney besuchte finanzkräftige Unterstützer am Pazifik. Kalifornien ist nämlich gar nicht so links wie viele glauben. Im Westküstenstaat gibt es reichlich konservative Bezirke außerhalb der Großstädte. Wähler haben vor vier Jahren die Legalisierung von Marijuana und die Homo-Ehe abgelehnt. Auch dieses Jahr zeigten sie bei Volksabstimmungen wieder eine konservative Seite: die Todesstrafe bleibt dem Westküstenstaat erhalten und das obwohl sich auch der neue Gouverneur für die Initiative eingesetzt hat, die sie gegen lebenslänglich ohne Bewährung getauscht hätte. Vorgänger Schwarzenegger hatte noch seine Muskeln für die Todesstrafe spielen lassen.
Außerdem verpasste Kalifornien die Chance, landesweit die Vorreiter-Rolle bei der Kennzeichnung von genmanipulierten Lebensmitteln zu übernehmen. Alle möglichen anderen Angaben müssen auf Lebensmittel gedruckt werden – Kalorien, Zucker und andere Zutaten zum Beispiel – aber niemand erfährt, ob irgendwas am Essen genetisch bearbeitet wurde. Im September sah es noch so aus, als ob die kalifornische Initiative für Kennzeichnung problemlos gewinnen würde. Dann startete die 45-Millionen-Gegenkampagne. Pharma- , Chemie- und Lebensmittelunternehmen, die fürchteten das Beispiel Kalifornien könnte überall in den USA Schule machen, überfluteten die Fernsehprogramme mit Anzeigen. Die meisten kalifornischen Tageszeitungen schlossen sich der Kritik an rechtlichen Mängeln des Entwurfs an. Das war’s.
Kandidat Barack Obama hat 2004 versprochen, eine landesweite Regelung zur Kennzeichnung von Gen-Food einzuführen. Eines der Versprechen, das er nicht eingehalten hat. Seine Position zur Todesstrafe ist nicht eindeutig. Mit all den Problemen, die auf ihn warten dürften beide Themen auf der Prioritätenliste des US-Präsidenten sehr weit unten stehen.
Die Kalifornier haben ihm einen unumstrittenen Sieg garantiert und gleichzeitig mal wieder bewiesen, dass sie weitaus konservativer sind, als die Welt im allgemeinen glauben möchte.
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Für Hobby-Linguisten auf Reisen immer unterhaltsam: wenn sich der ländliche Australier international gibt. Meist sind es Warnschilder rund ums Thema Krokodil, die die Fantasie in Schwung bringen. In diesem Fall (im Ort Agnes Water in Queensland) ging’s um bissige Quallentiere. Ich stell mir dann gern vor, wie eifrige Gemeindemitarbeiter über babelfish brüten und derlei herrliche Wortsalate zusammen rühren. Es ist rührend, zugleich irgendwie schade, dass ihnen die humorige Seite der interessanten Sprachschöpfungen komplett verborgen bleibt.
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Ich bin noch nichtmal ganz im Restaurant, da begrüßt mich ein grauhaariger Lockenkopf in ausgewaschenem Sweatshirt und zerrissenen Jeans mit freundlichstem Lächeln und einer weit ausholenden Geste, die mir bedeutet, ich solle mich neben ihn an die Bar setzen. Aus den Lautsprechern klingt Carly Simons‘ „You’re so vain“. Über den Tischen neben der Bar hängen bunte Kunstwerke, ein Surfbrett und eine US-Flagge mit Friedenszeichen über den blau-weißen Streifen. Zwischen den Tischen laufen wedelnd Hunde herum. Die Gäste begrüßen sich mit heftigen Umarmungen und großem Hallo als hätten sie sich Ewigkeiten nicht gesehen. Es stellt sich heraus, dass sie sich andauernd über den Weg laufen, sie sind alle Nachbarn in Topanga, einer Gemeinde nur wenige Kilometer entfernt von Los Angeles mitten in den Bergen. Hier ist die Zeit in den späten 60 ern stehen geblieben. Topanga Canyon war damals DER Ort für Musiker. Im Topanga Corral spielten Joni Mitchell, Bob Dylan, Jim Morrison und George Harrison. Canned Heat war die Houseband und Neil Young besass ein Haus am Fluß. Während ich meinen Cafe au Lait trinke höre ich Geschichten von Nächten, in denen sich die Bewohner zugekifft in die Wiesen legten und UFOs beobachteten nur um später festzustellen, dass die Raumschiffe mit Außerirdischen über LAX kreisende Flugzeuge waren. Pat, der Besitzer des Restaurants empfiehlt, den Dichter zu besuchen, der mit Hilfe eines Joints noch immer sein 60 Strophen langes Topanga-Gedicht von 1970 aufsagen kann. Oder die Chakra-Expertin, die alles über magnetische Felder unter der Region weiß. Ich könnte mich auch auf die Suche nach Uschi Obermaier machen. Die Kommune-1-Ikone entwirft hier oben ihre Schmuckkollektion.
Alle Gespräche über Topanga führen irgendwann zu wortreichen Versuchen, den ‚Vibe‘, die ‚Energie‘, die ‚Community‘ hier zu beschreiben. Karen ist vor einem Monat aus Los Angeles in die Berge gezogen. Hier kann die Hauverwalterin besser meditieren, findet optimalen Zugang zu ihrer spirituellen Seite und atmet endlich wieder richtig durch. Der Sweatshirt-Träger, der mich so überschwänglich an die Bar gebeten hat, ist Filmproduzent. Philip kam zum ersten Mal 1969 nach Topanga und hat sich vor fünf Jahren endlich ein Haus hier gekauft mit traumhafter Ausicht auf Berge und Pazifik. „Ich bin mein Leben lang durch die Welt gereist und habe nach dem perfekten Ort zum Leben gesucht,“ erzählt er. „Dabei war er direkt vor meiner Nase, nur zehn Kilometer entfernt von Downtown Los Angeles!“
Pat ist bis heute für die Warnung seiner Mutter dankbar. Kaum war die Familie 1964 in Los Angeles angekommen sagte die: „Geh blos nicht nach Topanga! Da sind lauter zugedröhnte Nichtsnutze mit langem Haar!“ Pat war damals 16 Jahre alt und nahm diese Warnung zum Anlass so schnell wie möglich nach Topanga zu trampen. „Sie hatte Recht! Und ich passte perfekt dazu!“ Pats langes Haar ist inzwischen dünn und grau geworden. Er bindet es mit einem bunten Gummi im Nacken zusammen. Natürlich ist alles auf seiner Speisekarte Öko – von den Kaffeebohnen über das Obst bis zu den Eiern von freilaufenden Hühnern. Nach einem langen Frühstück und kräftigen Abschiedsumarmungen spaziere ich durchs kleine Dorfzentrum. In den Schaufenstern liegen Kristalle, Räucherstäbchen und Batikhemden. Yogalehrer, Heiler und Trommlerinnen werben für ihre Künste. Bilder von kleinen Hütten am Fluss und Anwesen auf Hügelgipfeln hängen im Fenster des Immobilienladens. Unter 750 tausend Dollar ist kein Stück vom Hippie-Paradies zu bekommen. Die Anwesen oben auf den Bergkuppeln kosten mehrere Millionen. Ich fahre die Serpentinenstraße durch die Hügel zurück in die Stadt, schon jetzt wehmütig in Erinnerung an die hinter mir liegende gute alte Hippiewelt.
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Es begann mit der Hochzeit unseres Freundes Steve. Der war Bioladenbesitzer und einst Veganer, aber erlegte aus Familientradition für sein Festmahl einen Hirsch. Ein Vollblut-Öko, der der Natur und seinem Körper bis auf selbstangebautes Gras keinen Schaden zufügt, aber nicht vom Wild lassen kann. Wo sonst auf der Welt trifft man jagende Hippies?Als die Freundschaft wuchs, lieh sich mein Mann bei ihm Jagdbücher aus. Die Gespräche wurden intensiver. Steve predigte gegen Massentierhaltung, pro Selbstversorgung. Nicht um Trophäen ginge es, sondern um archaische Nahrungsbeschaffung: ein Mann, ein Schuss, eine volle Kühltruhe. Kommerzfrei. Das traf den Nerv, der seit bundesdeutschen Zeiten brach gelegen hatte. Und mich ins Mark.
„Ich mache den Waffenschein“, sagte mein Mann, der angebliche Antimilitarist. Es war fast so schlimm, als ob er eine Affäre gebeichtet hätte: Ich war fassungslos, er testosterongesteuert. Schuldbewusst zog er nach dem Coming-out einen Prospekt von „Gun City“ aus der Tasche. Dass er sich heimlich im Kleinkaliber-Discount herumtrieb, war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste waren unsere Kinder. Sie fanden das alles großartig: Schießen, yeah! All die Jahre ohne Gewaltvideos und Kriegsspielzeug, und nun das! Wozu schickten wir die Jungen eigentlich auf die verdammte Waldorfschule?
Ich kapitulierte, aber summte subversiv „Cowboy Rocker“ von Udo Lindenberg vor mich hin. Mein Protestsong. Statt Charles Bronson kam aber nur eine nette Polizistin vorbei, um mich im Sozialarbeiterton zu befragen, ob mein Mann verhaltensauffällig oder gewalttätig sei. Alles Vorschrift für den Wisch. „Er ist friedlich wie ein Lamm“, bestätigte ich und übertrieb kein bisschen. Dabei hätte ich alles sabotieren können. Aber Steve hatte uns gerade einen Hirschschenkel geschenkt. Der schmeckte köstlich.
Mit Steve ging es zum Schießstand: „üben“. Beim Waffentest dann ein blitzartiger Reality-Check: Mein Mann stellte erschrocken fest, in welcher Gesellschaft er sich befand. Doch nur kurz kamen Zweifel an seiner neuen Gesinnung auf. Denn es ging wieder zu „Gun City“. Erst wurde, ganz nach Vorschrift, eine verschließbare Stahlkiste gekauft. Dann nach etlicher Recherche die Tika 7-08: viel Stahl, lackiertes Holz und sauschwer. Sie verschwand zum Glück sofort in der Kiste. Dann musste es noch ein kleines Luftgewehr sein, „nur für die Possums“. Es war ähnlich wie beim Surfen: Immer geht es ums Material.
Ich besuchte Lydia, die nichts Tierisches isst und für mehr Unkraut im öffentlichen Raum kämpft. Sie zeigte mir das Foto eines toten Possums in einer Falle. Auf dem Rücken klammerte sich dessen Junges fest, frisch verwaist. Mein Mutterherz blutete. Als ich zu Hause ankam, wurde ich fast umgelegt: In der Einfahrt übten meine Söhne mit dem Luftgewehr. An der Garage hing eine Zielscheibe, in der Mitte prangte ein Possum-Foto. „Schädlingsbekämpfung“, verteidigte sich mein Mann. Ich sah rot. Die Fronten sind klar. Fortsetzung folgt
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Das digitale Zeitalter ist da, und es ist wunderbar! Vor allem in Australien, wo ab 2012 oder 2013 (je nachdem wo man wohnt) nur noch digital TV gesendet wird.
Denn das sorgt für einen Freiluft-Supermarkt, der nicht nur duty free und tax free ist, sondern auch gratis. Wie das funktionieren soll? Wo doch alles teurer wird? Es geht so: Letzte Woche ließ unser Fernseher nach (vor allem rechts glimmert er nur noch rot und das ist nicht politisch gemeint), also muss ein neuer her, doch wieso im Geschäft Gelder zahlen? Wer in Sydney lebt, geht einfach kurz runter auf die Straße und wählt aus: Der kleine Sony vom Grünstreifen gegenüber? Nicht schlecht…. Der LG an der Straßenecke zwei Blocks weiter? Viel zu groß, aber unten an der Ecke Lamrock Street stehen gleich drei TV – zwei davon sogar mit Fernbedienung! Einer ist ein Panadingens, maximal zwei Jahre alt und wird unser neuer Freund für bewegte Bilder und Ton. Sogar die Fernbedienung hat noch Batterien. Wer sagt’s denn.
Grund für derart großzügige Nachbarn sind erwähntes Digitalzeitalter kombiniert mit Australiens nicht existenter Recycling-Politik. Denn, sieh oben, ab nächstem oder übernächstem Jahr bleiben herkömmliche Geräte stumm und schwarz. Also kauft ganz OZ digitale TV wie blöd – Und wirft die alten (bzw auch nicht so alten) Schätze vor die Tür. 7 Millionen Fernseher landen in den nächsten fünf Jahren auf australischen Müllhalden, nur 1 Prozent davon werden recycled. 870 000 davon wandern auf Grünstreifen, weil der Mensch generell faul und recycling ja irgendwie auch lästig ist.
Ein Programm das – schließlich ist das Nahen des Digital-Sehens kein Geheimnis – TV-Recycling gar VOR der Umstellung in Gang bringen sollte, wurde verzögert und soll nun erst in drei Jahren so richtig klappen. Lange nach der Umstellung. Für Leute mit Umweltbewusstsein ein Graus – für Sparfüchse wie mich ideal.
Ich bin sicher, wenn ich mich nächstes Jahre aus digitalen Gründen von meinem neuen Grünstreifen-Freund trennen muss … warten an der Straßenecke gegenüber schon die ersten ausgemusterten Breitwand-Digital-Maschinen der lieben Nachbarn, die auf Superplasma / LED / Apfel-TV oder sonstwas upgraden.
I can’t wait!
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Nicht Umweltbewusstsein oder Sparsamkeit – nein: ein Reihe von Modetrends hat die Indonesier zurück zum Fahrrad gebracht. Mir fiel dies zum ersten Mal auf, als eine verwegene Zirkustruppe auf selbstgebauten Hochrädern durch Java tourte und bei jedem Halt alte Schrotträder umbaute. So hinterließen sie auf ihrer Reise an allen möglichen Orten neue Brutstätten für ihre Zweistockfahrräder und diverse abgewandelte Modelle. Da das Auf- und Absteigen dieser Vehikel eher umständlich ist, konnte ich immer öfter unerfahrene Hochradfahrer beim Umklammern von Laternenpfählen oder an roten Ampeln hinter Lastwagen gehängt beobachten. Die Profis kümmern sich schlichtweg nicht um rote Ampeln und verlassen sich darauf, dass man sie schon sehen wird (was auch meistens der Fall ist). Bei den damals noch eher seltenen Fahrrad-Demos versammelten sich die Hochradfreaks mit Pseudo-Harley-Bikern, deren Räder etwa so lang wie die anderen hoch waren.
Etwa gleichzeitig kehrte BMX zurück. Ein australischer Freund reist seither nur noch mit seinem BMX-Rad nach Indonesien und verbringt seine Ferien in diversen Heimwerkstätten, die für wenig Geld und umso mehr Erfindungsreichtum seine Spezialwünsche besser und vor allem viel billiger erfüllen als alle australischen Bikeshops.
Doch all das ist Schnee von gestern, wenn man nun auf die Straßen schaut: Dort wimmelt es auf einmal vor Eingangrädern – Stichwort „fixed gear“: In knallbunt leuchtenden Farben, die Pedale immer in Bewegung und möglichst ohne Bremsen. Selbst meine bewegungsfaulen Mitbewohner, die sich bisher immer von Taxis möglichst noch bis in die Eingangshalle ihres Ziels fahren lassen haben, sind mittlerweile aufs Fahrrad umgestiegen. Sie haben festgestellt, dass sie damit nicht nur in sind, sondern auch noch Geld für Transport und den Fitnessclub sparen. In Jakarta – gefühlt die Stadt mit dem schlimmsten Verkehrschaos der Welt – ist diese Mode allerdings nach wie vor eher ein Überlebenskampf außer an autofreien Sonntagen (einen Vormittag im Monat auf der Hauptachse der Stadt). Die gerade neu eingeführten Radwege wurden sofort mit Begeisterung von Straßenverkäufern und falsch überholenden Mopeds in Beschlag genommen.
In der Kulturmetropole Yogyakarta jedoch haben die Radfans mittlerweile den letzten Freitag jedes Monats zum Radeltag ausgerufen. Mit einem Massenaufgebot, das alle Umweltaktivisten vor Neid erblassen lässt, demonstriert die Jugend der Stadt nun monatlich und mit großer Fröhlichkeit, wie die City der Sultansstadt am schönsten wäre: auto- und motorradfrei.
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Die gepunkteten Satteltaschen aus Berlin sind der Hit in Los Angeles – ob ich sie vor dem Supermarkt mit Lebensmitteln und Klopapier fülle, am Strand Handtuch und Proviant raushole oder einfach nur durch mein Viertel fahre – Kommentare sind mir sicher. Meistens gehen sie in die Richtung:’These are soooooo coool‘. ‚Wow, where did you get THOSE?‘ und wenn ich dann sage, dass sie aus Berlin sind kommt oft der Hinweis, ich solle sie importieren und ein BIG BUSINESS draus machen!
Ein Problem bei der Idee ist, dass die wenigsten Fahrräder hier Gepäckträger haben. Das größere Hindernis dürfte sein, dass Los Angeles milde formuliert nicht wirklich Fahrradfahrer-freundlich ist mit seinen ineinanderverschobenen Freewaylabyrinthen und der am Auto orientierten Architektur und Infrastruktur.
Ich hab allerdings inzwischen festgestellt, dass ich erstaunlich viel mit dem Rad erledigen kann. Einkäufe mache ich weder in Beverly Hills noch in Compton, die Hitze hält mich meist davon ab, mich in Richtung Wolkenkratzer nach Downtown zu bewegen und Hollywood überlasse ich gerne Touristen, Paparazzi und Star-Imitatoren. Also nutze ich inzwischen aus, was ich anfangs etwas öde fand: wo ich wohne besteht Los Angeles im Grunde aus einer Aneinanderreihung von Vororten – Culver City, Santa Monica, Marina del Rey und da kann man auf Seitenstraßen hervorragend dem Verkehr ausweichen. Es gibt sogar Fahrradwege! Zum Beispiel den Ballona Creek Bike Path am Kanal entlang zum Meer, kein Auto nirgendwo! Und im Frühling jede Menge wunderbare Wildblumen am Wegesrand!
Und dann natürlich den kurvigen Fahrradweg am Meer entlang, Mehr als 35 Kilometer, vorbei am Santa Monica Pier, an Muscle Beach, wo Arnie sich die Muskeln zum Mister Universe Titel antrainiert hat, vorbei an Schlagzeug-Zirkeln, an einem Skateboardpark …
Die Devise ist: Cruisen, nicht rasen. Weil es viel zu sehen gibt, aber auch weil immer wieder Touristen plötzlich auf den Weg latschen, die irgendwie vergessen haben, dass man auch im Urlaub erst nach rechts und links schauen sollte bevor man einen Fahrradweg betritt. Und dann sind da auch noch sehr entspannte Patienten frisch vom Besuch beim Marihuana-Doktor für die natürlich Vorfahrtschilder für Fahrradfahrer Ausdruck einer sehr beschränkten Weltsicht sind, an die sich Wesen mit ausgedehntem Bewusstsein nicht halten können.
Wem nach all der entspannten Idylle am Strand das urbane Gefühl fehlt, sollte weiter Richtung Süden radeln: dort sorgen eine Kläranlage am Wegesrand und die Fahrt unter der Einflugschneise des Internationalen Flughafens dafür, dass man nicht vergisst, wo man ist. Wer das nicht unbedingt sehen will, kann direkt an der Marina umdrehen und im Biergarten einkehren. Im Waterfront Cafe gibt es sogar ein Radler.
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Seit kurzem habe ich eine neue Routine. Einmal die Woche geht’s zu einem Supermarkt, um den ich früher aus Prinzip einen großen Bogen gemacht habe. Ich fand es ätzend, wie Ausländer scheinbar jeden Preis zahlen, um ihren Kühlschrank mit vertrauten Produkten aus den USA, Europa oder Australien bestücken zu können. Kam für mich nicht in Frage. War ja auch nicht nötig, beim japanischen Tante-Emma-Laden um die Ecke gab’s alles, was ich brauchte, und halb so teuer wie im Internationalen Supermarkt.
Doch das strahlende Atomskelett in Fukushima hat meine Einkaufsgewohnheiten verändert. Etwas verschämt parke ich nun mein altes Rad im Diplomatenviertel zwischen all den Staatskarossen und Protzautos „made in Germany“. Ich ärgere mich zwar weiter über die Preise, die einem abgeknöpft werden. ABER ich kann lesen, wo das Gemüse, das Obst und die Milch herkommen, denn die Geschäftssprache dort ist Englisch. Zwar verraten auch viele japanische Läden ihren Kunden, aus welcher Präfektur der Salat oder der Kohl kommen, doch die drei in Japan gebräuchlichen Alphabete stellen mich noch immer vor zu viele Rätsel. Die Furcht vor kontaminierten Lebensmitteln aus dem Gebiet um das kollabierte AKW ist ein bindendes Glied zwischen den Ausländern und Einheimischen. Auch viele Japaner greifen derzeit lieber zu, wenn die Waren aus einer Gegend fernab von Fukushima kommen.
Aber wie gesagt, ich kann die japanischen Etiketten nicht lesen und misch mich daher unter die illustre Kundschaft im Internationalen Supermarkt in Hiro-o. Ist schlecht für den Geldbeutel, aber gut fürs störanfällige seelische Gleichgewicht. Und ich muss zugeben –das Management hat sich etwas einfallen lassen. Nicht nur ist die kleinste Knoblauchknolle mit Herkunftsort ausgezeichnet. Nein, es gibt nun auch Handzettel, die der werten Kundschaft in Geographie helfen. Die praktischen Flyer verraten, wo in Japan denn Fukuoka, Aomori oder Saitama liegen.
Als Grundregel gilt: Alles südwestlich von Tokio kommt ins Körbchen, alles aus den Präfekturen rund um das nördlich der Hauptstadt gelegene Fukushima tendiert zum Ladenhüter. Ganz und gar unverkäuflich waren jüngst wohl die köstlichen Shiitake-Pilze. Sie stammten aus der an Fukushima angrenzenden Präfektur Gunma und da kann ein plakativ aufgestelltes Strahlenfreiheits-Zertifikat noch so versprechen, dass die Pilze astrein sind. Auch ich kaufe sie nicht, obgleich es ein Dilemma ist.
Das veränderte Konsumverhalten in Japan trifft ausgerechnet jene, die ohnehin am stärksten von den Katastrophen des 11. März betroffen sind. Bauern aus der Region um das AKW haben ihre Lebensgrundlage verloren, da helfen alle Zertifikate nichts. Es wird eine ganze Weile dauern, bis in den Supermärkten wieder Normalität eingekehrt ist, und sich die Verbraucher wieder am Preis oder der Qualität der Lebensmittel orientieren und nicht an der Herkunft.
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Recycling ist keine Stärke der Australier. Das ist schade, u.a. wg Umwelt. Zugleich birgt die Wegschmeisswonne eine echte Gefahr für Exil-Deutsche: Wir verfallen bei dem Thema rasch in die allseits gefürchtete, allemanische Besserwisserei (“nun schaut mal Leute, WIR zeigen euch jetzt rasch wie das geht, okay…?”). Ich mühe mich derlei strikt zu vermeiden. In Sachen Wiederverwertung beiss ich mir allerdings dabei oft auf die Zunge bis die Zähne rot sind. Hilft nix, beim R-Thema komm ich mir oft vor, wie in Westfalen vor 25 Jahren (“Hömma gezz ellich, Glasscontäner…? Die sind doch viel zu laut, oder? und ürgendwie hässlich….”) Aber weil der WR Blog ja nicht Australisch geschrieben, die Gefahr als bettergerman enttarnt zu werden also gering ist, erlaub ich mir jetzt unter uns, mal eben so richtig drauf zu hauen. Anlass: ein Kriegsschiff.
Mit dem hat heute Australiens Navy nämlich wahrhaft Schiffe versenken gespielt: HMAS Adelaide, ein stattlicher Kriegskreuzer, wenngleich altersschwach, wurde mit Schlitzen versehen. Dann wurde er aus dem Hafen geschleppt, und vor Avoca nördlich von Sydney implodiert und auf dem Meerseboden abgelegt. Warum? Because they can! Wozu mühsam Stahl, Öle, Schrauben und was alles sonst noch so ein Schiff ausmacht recyclen, wenn man’s auch einfach auf dem Pazifikboden vermüllen kann? Genau, ist schließlich auch ein Super Tauchrevier der Zukunft oder? Wer weiss, wie lange es das Great Barrier Reef noch so macht, da hat man eben schon mal ein paar alternative Scuba-Paradiese….
Und jetzt zum Positiven (etwas Ausgewogenheit muss sein): Nicht alle Australier mögen den “hau wech die Sch…e”-Stil. Eine Anwohnergruppe versuchte sogar ein Jahr lang verzweifelt das Schiffeversenken vor ihrem Lieblingsstrand zu verhindern. Sie fanden das künstliche Riff zweifelhaft. Die Idee, 23 000 m2 bleihaltige Farbe via Schiffsrumpf ins Meer zu schieben kam ihnen ebenfalls etwas gestrig vor. Erfolg hatten sie und andere Umweltinitiativen nicht.
Kurz vor der Explosion des Kriegskreuzers protestierte dann sogar noch die Tierwelt. Das war dann schon wirklich eine Spur esoterisch: Exakt um die Uhrzeit, zu der die legale Meeresbodenverschrottung geplant war, tauchte eine Delfinschar (klick für Beweise!) rund um den grauen Schiffsrumpf und verzögerte die Aktion. Leider nur ein paar Stunden.
Weitere Positive Tendenzen: Es gibt hier und dort zarte Zeichen, dass Down Under recyclingtechnisch eines Tages im 21. Jahrhundert landen könnte: Es gibt zb schon ein paar Gegenden mit mehr als einer Mülltonnenfarbe. (Zb Bondi Beach, wie mein Hinterhoffoto, rechts, beweist). Es gibt gar Orte wie Bundanoon, das 2009 beschloss, kein Wasser in Plastik mehr zu verkaufen. Fast rührend angesichts der 600 Millionen Liter Plastikwasserflaschen das Australier – gesegnet mit erstklassigem Leitungswasser – pro Jahr kaufen… aber immerhin ein Anfang. Ein Ort in Tasmanien verpackt nicht mehr jede Banane in Plastiktüten, wie sonst allseits normal. Coles Bay ist seit Jahren tütenfreie Zone, und seltsamerweise sind nicht alle Einwohner sofort geflohen noch auf die Barrikaden gegangen, wie es Politiker für den Rest des Landes befürchten, sollte jemand eines Tages Geld für Tüterei verlangen…
Ach ja, thanks for sharing! das tat jetzt mal gut.
Zum Dank fürs Zuhören noch was Überraschendes: Die Vorgängerin der HMAS Adelaide von 1918 wurde übrigens artig zerlegt, verschrottet und anschließend Teile des Schiffsmaterials gar wiederverwertet.
Schon seltsam, wie kluge Ideen aus der Mode kommen.
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Hart ist für Auslandsdeutsche in Australien in den letzten zehn Jahren vor allem eines gewesen: Sie durften nicht über Wetter meckern. Vor allem nicht über Regen, denn das gehört sich einfach nicht, wenn ein Kontinent die “schlimmste Dürre aller Zeiten” durchlebt.
Australier, die nebenbei gesagt auch ganz gern mal die Witterung besprechen (vor allem wenn Regen länger dauert als einen Nachmittag) mussten sich ebenfalls beherrschen. Schauer oder Güsse durften zehn Jahre lang bestenfalls mit “oh, how lovely!” oder “let’s hope it falls where the dams are /on farmland” (hoffe es regnet die Dämme voll / auf Farmland) kommentiert werden.
Nörgeln und Jammern indes: komplett Tabu!
Inzwischen ist alles anders. Die Dürre ist vorbei. Während ich bei sehr blauem Himmel (es regnet schließlich nicht überall und immer) in Sydney dem Laptop per Ventilator eine Extraration Luft zublase, schüttet es jenseits der blauen Berge. Seen, die jahrelang riesige Sandkästen waren sind wieder beschiffbar, unsere Trinkwasser-Dämme schwappen über, Pläne für neue, milliardenteure Entsalzungsanlagen sind den Politikern plötzlich insgeheim ein bisschen peinlich.
Denn es nässte stellenweise heftig. Farmer, die sich nach staubtrockenen Leidenszeiten auf die erste feiste Ernte freuten, strahlten uns knöcheltief im Wasser watend via TV an: Glückliche Gesichter unter tropfnassen Akubrahüten aus einstigen Krisenzonen in Neusüdwales, Erleichterung sogar bei Gemüsebauern in Victoria und im besonders gebeutelten Südaustralien.
Dann allerdings war Schluss mit lustig. Denn es hörte einfach nicht wieder auf, das heiß ersehnte Geregne. Die Farmer zogen Stiefel höher und Hüte tiefer ins Gesicht, das Wasser stieg zur Hüfte, die Ernte ersoff. Letzte Woche wurde in einem meiner Lieblingsorte, Wagga Wagga, der Parkplatz zum Schwimmbad, Gunnedah drohte Evakuierung.
„Drei Wochen Sonne und Wärme“, so Archie Kennedy, ein Landwirt in der Überschwemmungszone, bräuchte er nun, um seine Ernte retten zu können. Und dann sagte er das Unsagbare: Die Dürre sei ihm lieber.
Zum ersten Mal erlebe ich also den eigentümlichen Zustand, dass deutsche Weihnachtsferien-in-Australien-Touristen vom Niederrhein exakt das gleiche wollen wie australische Landwirte: Sonne satt. Über Regen nörgeln ist plötzlich nicht nur okay, sondern ein Akt der Solidarität und endlich erlaubt!
Ob Archies Wünsche erhört werden? Not sure. Das australische Bureau of Meteorology verspricht: Mit 75 % Wahrscheinichkeit wird Sydney dieses Jahr deutlich höhere Regenfälle als in anderen Sommern erleben.
Daher für alle Reisenden noch rasch der Expertentipp aus dem Strandbüro: Mückenspray nicht vergessen! 300 der weltweit 2700 Moskito-Arten sind in Australien heimisch, und die brüten derzeit um die Wette.
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Vielleicht nennt man sie demnächst die Achse der grünen Männchen. Nicht, dass sie vom Mars kämen. Obwohl man schon mitunter das Gefühl hat, sie leben auf einem anderen Planeten. Dabei sind sie mitten unter uns. Die Baumpflanzer. Die Rede ist von Hisbollah-Chef Nasrallah und Irans Präsident Ahmedinejad. Ja, sie sind unter die Ökos gegangen. Ganz öffentlich. Der nebenberufliche Chef der Schiitenmiliz hat den biblischen Aufruf „Schwerter zu Pflugscharen“ selbst in die Tat umgesetzt. Er kam tatsächlich aus seinem Versteck, wo er sich vor israelischen Attentatsdrohungen schützt, ins pralle Sonnenlicht und pflanzte den Millionsten Baum der Aufforstungskampagne der Hisbollah-Wiederaufbauorganisation Jihad al Bina. Direkt vor seinem Haus steht das Bäumchen jetzt. Wer es gießt, ist unbekannt.
In einer langen Rede, der erstaunlicher Weise selbst die libanesischen Medien keinerlei Beachtung schenkten, erklärte der Chef der „Partei Gottes“, die Aufforstung des Libanon sei Teil der nationalen Sicherheitsstrategie. Nicht nur, weil Guerrillakämpfer sich unter diesen Bäumen prima verstecken können (nicht umsonst haben die israelischen Besatzer im Südlibanon tatsächlich zahlreiche Bäume gefällt und erst im August kam es zu einem Zwischenfall an der Grenze, weil israelische Militärs neuerlich einen Baum entfernen wollten). Sondern auch weil Nasrallah als einziger libanesischer Politiker erkannt hat, dass der Klimawandel eine der größten Bedrohungen nicht nur für die Libanesen sondern für die ganze Welt ist.
Weil der gute Nasrallah sich nun mit seinem grünen Finger hervorgetan hatte, dachte der iranische Präsident vermutlich: „Was der kann, kann ich schon lang“. Kaum hatte Ahmedinejad sein ausgedehntes Mittagessen mit dem libanesischen Präsidenten Suleiman beendet, stürzte er in Suleimans Garten und bestand darauf, auch einen Baum zu pflanzen. Zuerst dachte ich, es wird wohl ein Kaktus gewesen sein. Aber nein, Ahmedinejad wählte eine Zeder. Wie originell! Eine Freundschaftszeder, wie er es nannte. Nur zu dumm, dass Zedern in Beirut gar nicht überleben können – hier ist es zu warm. Sie gedeihen nur in den Bergen, wo im Winter auch Schnee fällt.
Kann man nur hoffen, dass dies kein schlechtes Omen für den Bestand der Freundschaft ist. Aber derzeit muss man da wohl keine Angst haben. Denn dass ein großer Teil der Libanesen feurige Anhänger Ahmedinejads sind, stellten sie während seines Besuches mehrfach unter Beweis. Aber so richtig überwältigt war der Mann aus Teheran während einer Willkommensfeier am Abend in der Dahiyeh, den südlichen Vororten Beiruts. Dort flogen ihm die Herzen zehntausender jubelnder Menschen nur so zu, eine Hisbollah-Band spielte ein eigens für diesen Besuch komponiertes Willkommenslied – und der Präsident aus dem gefährlichen I-Land wischte sich verstohlen die Tränchen aus den Augen. Es war geradezu rührend. Zu Hause dürfte ihm das in diesen Tag nicht so häufig passieren. Aber im Libanon ist er unter Freunden. Jedenfalls in den südlichen Gefilden des Landes.
Wir dürfen nun gespannt sein, ob Ahmedinejad nach seiner Heimkehr auch eine Aufforstungskampage ausruft. Weil er auch gerne öfters dem Vorbild Nasrallahs folgend wie ein Rockstar gefeiert werden möchte. Bäume statt Nuklearanlagen. Meinetwegen auch für die nationale Sicherheit. Das wär doch mal was.
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Das Erdbeben in Neuseeland und der Blog der heftig beben-geschüttelten Kollegin Anke Richter aus Christchurch haben mich daran erinnert, dass unsere Decken und das Notproviant für alle kalifornischen Bebenfälle mal wieder bei irgendeinem Campingtrip oder Ausflug zum Strand verschwunden sind, dass ich immernoch nicht das handbetriebene Radio gekauft habe, das es seit Wochen zum Sonderpreis im Supermarkt gibt und dass in dem Schrank, in dem eigentlich Wasser und Erste-Hilfe-Kiste sein sollten aus irgendeinem Grund seit Monaten leere Bierflaschen vor der Abgabe beim Recycling zwischengelagert sind.
Immerhin ist die Sicherheits-Lasche noch an der Schranktür. Die verhindert im Fall eines Bebens dass die Flaschen auf den Boden fallen. Das erinnert mich daran, wieder feste Schuhe neben das Bett zu stellen. Denn scheinbar gibt es vor allem nachts Erdbeben in Kalifornien, Fenster gehen kaputt, Bilderrahmen kommen von den Wänden und wenn man im verschreckten Halbschlaf barfuß aus dem Bett klettert hat man als erstes einen Glassplitter im Fuß und damit unnötig zusätzlich Probleme! Das habe ich jedenfalls bei der Recherche für zahlreiche Beiträge rund ums Phänomen Erdbeben gelernt. Kurz nach diesen Recherchen lege ich dann immer Vorräte an, stelle eine Erste-Hilfe-Kiste zusammen, deponiere Bargeld und Dokumente in einem Safe, schreibe wichtige Kontaktnummern auf, entwickle einen Fluchtplan, zwinge meinen Mann dazu, einen Treffpunkt zu vereinbaren, wo wir uns finden, falls uns das Beben getrennt voneinander erwischt und eine Telefonnummer zu vereinbaren, die wir beide erreichen, wenn unsere Handys ausfallen. Theoretisch bin ich inzwischen sehr gut in der Erdbebenvorbereitung – ein paar Wochen nach der Recherche sieht es in der Praxis aber nicht mehr so gut aus – siehe leere Bierflaschen im Erste-Hilfe-Schrank!
Es gab ein paar mittel-heftige Beben in Los Angeles über die vergangenen Monate und Wissenschaftler grübeln nun ob das ein gutes Zeichen ist – heißt, dass sich Spannungen abbauen und deshalb größere Beben unwahrscheinlicher geworden sind – oder ob das kleine Ouvertüren sind für THE BIG ONE, das seit Jahren vorhergesagt wird mit mehreren tausend Toten und Milliarden an Sachschaden. Ich habe von den Beben nicht viel mitbekommen. Allerdings muss sich unser Haus innerhalb der letzten zwei Jahre bewegt haben. Und nicht wenig! Das hab ich entdeckt, als ich ein Bücherregal von einer Bürowand wegschob, die wir vor zwei Jahren frisch gestrichen hatten. Zwischen Staubwolken und Spinnweben klafft ein ziemlich heftiger Riss!
Kein Grund zur Beunruhigung! Häuser sind hier ja bevorzugt aus Holz gebaut, das hält sie flexibel und bebentauglich. Wir werden wohl nochmal streichen müssen. Oder das Regal wieder davor stellen.
Für die Kollegin Richter und ihre Familie, denen glücklicherweise allen nichts wirklich schlimmes passiert ist noch ein Tipp: hier raten alle Experten, sich möglichst NICHT in einen Türrahmen zu stellen wenn die Erde anfängt unruhig zu werden, eben weil Türen und andere Sachen da gut hinscheppern können. Sie empfehlen, sich unter eine solide Tischplatte zu begeben. Die einzige, die wir haben ist mein Schreibtisch und darunter ist wegen Kabelgewirr und Computer höchsten Platz für eine Person. Das bedeutet, mein lieber Mann muss im Fall des Falles vermutlich unter den Teak-Couchtisch kriechen. Hauptsache, er hat feste Schuhe an!
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Svolvaer, die winzige Inselhauptstadt der Lofoten: Im Konferenzsaal des neuen Thon-Hotels preist Umweltminister Erik Solheim die Schönheit der Landschaft. Die archaische Inselwelt mit ihren gewaltig aufragenden Granitfelsen sei das Schönste, was das Land zu bieten habe. „Ein modernes Land“ im Übrigen, mit zivilisierten Umgangsformen, strengen Gesetzen und dem „weltbesten Verwaltungsplan“ für seine Naturschätze, so der Minister. Die Deepwater Horizon-Havarie gibt dem fortschrittlichen Norweger dennoch zu denken: „Das ist nicht in irgendeinem korrupten Entwicklungsland passiert und betroffen war einer der weltgrößten Energiekonzerne.“ Die Katastrophe hat die Norweger aufgeschreckt, die auf öffentlichen Hearings wie gestern in Svolvaer über die jüngste Konzessionsrunde für die Petrokonzerne beraten. Die Hälfte der zur Erkundung beantragten Fördergebiete liegt in sensiblen Küstengewässern sowie in den arktischen Gewässern der Barentssee.
Aus dem fernen Oslo ist reichlich Politprominenz angereist: „Eine gedeihliche Koexistenz von Fischereiwesen und Petroindustrie ist möglich“, sagt Fischereiministerin Lisbeth Berg-Hansen. Sie vertritt die Interessen der zweitwichtigsten Branche des Landes. Um das weltbekannte Gütesiegel „Fisch aus Norwegen“ sorgt sie sich nicht.
Dabei warnt das Meeresforschungsinstitut in Bergen in alarmierendem Tonfall vor dem Vorstoß der Petrokonzerne in die sensiblen Gewässer der Lofoten und Västerålen. Der Kontinentalsockel ist schmal, das Gebiet über viele Monate in Dunkelheit gehüllt und von Stürmen geplagt, mächtige Meeresströmungen würden eine Ölpest weit verbreiten, die Strände wären kaum zu reinigen: Auch aus fast jeder der über 300 Seiten des wissenschaftlichen Berichts von 26 Forschungsinstitutionen zum Verwaltungsplan ließe sich die Botschaft herauslesen: Lasst es bleiben!
Dann geht es hoch her, im Saal wie auf dem Podium: Studien zu den Auswirkungen der seismischen Erkundungen seien manipuliert worden, ruft ein Fischer. Dass die Industrie viel zu großen Einfluss auf die Studien nimmt, kritisieren auch Umweltschützer – und fordern dringend mehr unabhängige Forschung. Einigen der rund 200 Teilnehmer des Hearings drängt sich der Eindruck auf, über die neuen Konzessionen für die Inselgewässer sei bereits entschieden.
„Wir nehmen die Katastrophe im Golf von Mexiko sehr ernst“, entgegnet Ölminister Terje Riis-Johansen. Konzessionen in der Tiefsee und in sensiblen Küstengewässern würden erst vergeben, wenn die Ursachen für das Desaster restlos aufgeklärt sind.
Frederic Hauge meint, diese schon zu kennen: „Alle großen Spieler der Branche versuchen, die Kosten zu senken, Arbeiter werden unter Druck gesetzt, Risiken ignoriert, Leckagen in Kauf genommen“, sagt der streitbare Gründer der Umweltorganisation Bellona. Auch der Staatskonzern Statoil sei da keine Ausnahme. Mit einer Dokumentation der jüngsten Unfälle und Beinahe-Katastrophen will Bellona verdeutlichen: Eine verheerende Ölpest wäre auch in Nordsee, Norwegischer See und Barentssee jederzeit möglich. Und ihre Folgen würden alles bislang Gesehene in den Schatten stellen.
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Die Logik der Belgrader Stadtväter bleibt weiter unverständlich: Sie holzen zuerst fast 500 alte Bäume ab. Trotz Proteste wüten die Kettensägen, der Polizeischutz schützt nicht die Bäume, sondern die Arbeiter. Das ganze Vorhaben wird mit einem Gutachten begründet: Die Wurzeln der Bäume seien zu breit, die Kronen zu dicht. Kurz um, die Platane sind für Mensch und Tier gefährlich. Also, ab mit denen.
Nur zwei Monate später, vermeldet die Stadtverwaltung stolz: Belgrader, ihr bekommt eure Platanen wieder! Das Gutachten lautet diesmal: Die Platane sind gut geeignet für Mensch und Tier, ihre Wurzelballen werden gebändigt, der Wuchs der Kronen kontrolliert.
Glücklicher Belgrader! In etwa 60 – 70 Jahren werden sie wieder im Schatten der großen Bäume sitzen können.
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Der Andrang war spektakulär: Hunderte drängten sich vergangenen Freitag in der 66. Straße von Manhattan. Und warum? Ein Rasen wurde eingeweiht! In Nullkommanichts nahm die Meute das Fleckchen Grün in Besitz. Exzentrisch gekleidete ältere Damen breiteten Strandmatten aus, Jugendliche übten das Radschlagen, Schulklassen fielen über ihre Sandwichs her. Es war so voll wie im Hochsommer eine Badeanstalt, mit dem Unterschied, dass nicht Bademeister, sondern Polizisten das Treiben überwachte.
Okay, es war auch nicht irgendein Rasen, sondern eine skulptural gestaltete Grünfläche im Lincoln Center, dem großen Opern- und Konzertkomplex an der Upper West Side. Außerdem gab es kostenlose Zitronenlimonade. Trotzdem wäre soviel Bohei um ein bisschen Grün in Stuttgart oder Hamburg undenkbar. In Deutschland ist ein Rasen, nun ja, eben ein Rasen. Doch im hochhausdominierten New York gelten andere Maßstäbe, dort wird jedes Stückchen Natur in Ehren gehalten. Ein Rasen ist hier ein Heiligtum.
Nicht nur Rasen – alles, was grün ist, gilt als unantastbar. In meinem ersten New Yorker Sommer ärgerte ich mich über ein paar Zweige, die den Treppenaufgang versperrten. Ich schickte den Vermietern eine Mail und bot an, sie mit der Heckenschere abzuknipsen. Die Antwort kam innerhalb von Minuten, und der Ton war so entsetzt, als hätte ich vorgeschlagen, den gesamten Garten mit Unkraut-Ex zu übergießen. „Christine, PLEASE DO NOT CUT THE TREE!“ Sie würden sich selbst um das Problem kümmern. Das Ergebnis war einige Tage später eine kunstvolle Seilkonstruktion, mit deren Hilfe die Äste hochgebunden wurden.
Dabei hat New York viel mehr Grün als gemeinhin bekannt. Über 1700 städtische Grünanlagen gibt es in der Stadt, vom Central Park, den jeder kennt, bis zu winzigen Straßengärten, oft nach einer lokalen Berühmtheit benannt. Für die Pflege ist das „New York City Department of Parks & Recreation“ zuständig, eine riesige Behörde mit rund 10 000 hauptamtlichen Mitarbeitern, die außer den Grünanlagen noch 1000 Spielplätze, 600 Sportplätze und 14 Meilen Strand betreut. Hinzu kommen unzählige private Parks, oft von Millionären oder Grundstücksbesitzern gestiftet und von Freiwilligen bewirtschaftet. Einige sind perfekte Großstadtoasen, wie der Greenacre Park in der 51. Straße, gespendet von Abby Rockefeller Mauzé. Andere sind von einem hohen Zaun umsäumt und, wohl aus Angst vor Randalierern, meistens abgesperrt, wie der LaGuardia Corner Garden im Greenwich Village.
Last not least gibt es 600 000 Straßenbäume, die von Anwohnern liebevoll umsorgt und gegossen werden. Häufig bepflanzen sie die Erde um den Stamm herum mit Stiefmütterchen oder Tulpen. Und wenn der Baum wächst und die Wurzeln die Steinplatten des Bürgersteigs zu heben drohen? Dann kommen Bauarbeiter und schneiden ein größeres Loch in den Beton. In unserer Straße ist der Gehsteig an manchen Stellen so schmal, dass Mütter mit Kinderwagen auf die Straße ausweichen müssen. Aber einen kleinen Umweg nimmt man zugunsten der Natur doch gerne in Kauf.
Und wehe, ein Radfahrer wagt es, sein Gefährt an einen Baum anzuschließen. Das kostet bis zu 1000 Dollar Strafe. „Ketten und Schlösser können die Rinde und die innere Haut des Baums beschädigen“, belehrt die Parkverwaltung. Als eine Kollegin kürzlich abends aus der Kneipe kam, konnte sie gerade noch zwei Männer mit einem riesigen Bolzenschneider davon abhalten, ihr Fahrradschloss zu knacken. Es handelte sich keineswegs um Diebe, sondern um Mitarbeiter des Ordnungsdienstes, die das Fahrrad abschleppen wollten – wegen Parkens an einem Baum.