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Äh was bitte? – Über merkwürdige Abkürzungen in der italienischen Sprache

Kürzlich traf ich in Rom eine Bekannte wieder, die ich seit über fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte. Elisa. Wir unterhielten uns lange, es war sehr nett. Am Abend schrieb sie mir eine nette SMS, an deren Ende folgende Buchstabenkette stand: “tv1mdb”. Äh was bitte? Ich verstand nur Bahnhof. Schließlich half mir Giorgia, die Kassiererin in meiner Kaffeebar, dem “Papagallo”, weiter. “Von einer Frau?”Ich nickte, sie lächelte. Und Giorgia erklärte mir, dass “tv1mdb” ausgeschrieben heißt “ti voglio un mondo di bene”: “Ich mag Dich wahnsinnig gerne”. “tv1mdb”: Alles klar?!

“tv1mdb” kannte ich zwar noch nicht, die beiden zugrundeliegenden Prinzipien aber schon: Das erste: Römer versichern einander in jeder SMS, sich zu mögen. Ohne einen “Bacio”, einen “Kuss”, einen “Bacione” einen “Riesenkuss” oder einen “Bacione enorme”, einen “gewaltigen Superkuss” endet keine SMS – selbst zwischen Jungs kann man sich “baci” schicken, mindestens aber einen “abbraccio” – eine “Umarmung”. Selbst wenn der Inhalt der SMS völlig banal ist, vor dem Abschicken wird sie mit einem nachgestellten “Bacio” oder “tvb” (“Ti voglio bene” – “Ich mag Dich gern”) noch in rosarote Farbe getaucht. Und dann erst abgeschickt.

Das zweite Prinzip: In “tv1mdb” ist die römische Lust am Wort-Carpaccio auf die Spitze getrieben: Man spart sich glatte 17 Buchstaben und sagt doch dasselbe. Jedes bestehende Wort wird in feine Scheiben geschnitten bis man kaum mehr erkennt, was es einmal war: Analog zu “tv1mdb” machen die Römer in SMS “domani” (deutsch: “morgen”) zu “dmn” (“mrgn”) und “perché” (deutsch: “warum”) zu “xké” (“wrm”). Manche ägyptische Hieroglyphe auf einem römischen Obelisken sagt mir mehr als eine SMS von römischen Freunden im Jahr 2011.

Noch weniger versteht man nur, wenn man Römern beim Reden zuhört: In der gesprochenen Sprache kürzen die Römer schon lange ohne Rücksicht auf Verständnis ab. Aus “Ragazzi”, “Jungs” wird “Raga’”, aus “Cappuccino” wird “Cappucc’”.  Ins Deutsche übersetzt wird aus dem Satz “Jetzt gehen wir in die Bar Capuccino trinken” die Lautfolge “Je’ ge’ Ba’, Cappu’ trink’” und statt “”Mädels, was wollen wir heute abend unternehmen” würde man sagen “Mä’ wa’ heu’ ab’ unterneh’”. Die Römer reden wie der Numide im Ausguck des Piratenschiffs bei “Asterix”, der kein “r” aussprechen kann und immer warnt. “Schiff steu’bo’d vo’aus!”

Statt “Ragazzi”, “raga”, statt “Cappuccino” “Cappucc’”: Wer italienisch lernen möchte, sollte es in Rom lernen. Man braucht hier nur die Hälfte aller Vokabeln lernen – buchstäblich die Hälfte.

P.S. Natürlich habe ich auf Elisas SMS geantwortet. Mit “tvb” für “ich mag Dich gern” und mit “bacio, Martin”. Das ist das mindeste in Rom, will man den anderen nicht beleidigen.

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