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Echte Nationalisten und Slum-Tourismus

Willst Du das richtige Jakarta sehen? So lautete die Standardfrage von Ronny Poluan schon vor 14 Jahren. Er stellte sie immer, wenn er Ausländer traf, die es nach Jakarta verschlagen hatte – sei es um Geschäfte zu machen, als Künstler aufzutreten oder einfach, weil es keinen direkten Flug nach Bali mehr gab. Ich war damals Praktikantin beim Goethe-Institut Jakarta und platzte vor Entdeckungslust. Das einzige, was ich nicht wollte: eine typische Ausländerin sein. Also sagte ich natürlich sofort ja und der Theater- und Filmregisseur nahm mich auf unzählige Touren durch Jakarta mit, die in der Tat nichts mit den glitzernden Shopping Malls und riesigen Bürotürmen im Zentrum der Metropole zu tun hatten. Er führte mich zum ersten Mal in meinem Leben durch einen Slum, begleitete mich in ein Armenviertel am stinkenden Ciliwung- Fluss und brachte mich in Schulen für Straßenkinder. Er zeigte mir den Transvestitenstrich und stellte mich Müllsammlern vor, die in Löchern unter Autobahnbrücken hausten. Das Faszinierende war, dass all diese Leute in ihrer Armut immer offen und freundlich waren – niemals fühlte ich mich gefährdet oder unwillkommen. Diese Eindrücke waren Teil der Faszination, die dafür sorgten, dass ich vier Jahre später als freie Journalistin nach Indonesien zurückkam. Heute hat Ronny Poluan sein Hobby zum Beruf gemacht: Mit Jakarta Hidden Tours bietet er über das Internet Touren durch das „real Jakarta“ an, das nicht nur ausländische Geschäftsleute und Besucher selten zu Gesicht bekommen, sondern auch nur wenige besser gestellte Bewohner der indonesischen Hauptstadt. Den Erlös nutzt er, um die Schulausbildung der Kinder sowie die ärztliche Versorgung in einigen Armenvierteln zu unterstützen. Natürlich ist Slum-Tourismus immer ein kontroverses Unternehmen und seien die Ziele noch so wohltätig. Die Gegenargumente der Stadtregierung von Jakarta sorgen sich allerdings wenig um Voyeurismus oder das Zurschaustellen armer Leute – was sie stört: Ronny Poluan würde sein Land schlecht machen, indem er Ausländern immer nur die hässlichsten Orte Jakartas zeige. Ein guter Nationalist müsse Besuchern schöne Plätze präsentieren.

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