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Gottverlassen

Es gibt Dinge, die man als kultur-sensitiver Korrespondent mit Sympathie für sein Gastland nie schreiben würde. Deshalb ist es gut, wenn die Gastgeber manchmal selber Misstände so deutlich formulieren, wie man es sich nie trauen würde.

Das Oberste Gericht von Indien hat diese Woche die Regierung in Delhi und die Vertreter mehrerer Bundesstaaten scharf angegriffen, weil diese meinen, ein Gesetz, das es erlaubt, Regierungsbungalows straffrei zu besetzen, sei nicht änderungswürdig.

Dazu muss erklärt werden, dass Staatsdiener in Indien Regierungswohnungen erhalten. Je höher der Rang umso schöner die Bude, versteht sich. Und am schönsten sind die Bungalows der Parlamentarier in Delhi, die Anfang des 20. Jahrhunderts von dem britischen Stararchitekten Lutyens erbaut wurden. Da zieht man nicht gern aus, wenn man sein Mandat verliert. Und in der Tat weigern sich viele Abgeordnete, die das Volk längst per Stimmzettel in die Wüste geschickt hat, ihren offiziellen Bungalow zu verlassen. Was bei den Nachrückenden für verständlichen Unmut sorgt, müssen sie doch in weitaus weniger charmanten Neubauten Residenz beziehen.

 Das sehen auch die Obersten Richter so. Doch sie meinen offenbar, dass eine wohl abgewogene Erklärung in diesem Falle nicht weit bringt. Ich zitiere Richter B.N. Agarwal: „Die gesamte Regierungsmaschinerie ist korrupt. Sowohl die Zentralregierung als auch die Landesregierungen. Die hochrangigen Beamten gebrauchen ihr Gehirn nicht, wenn sie denn überhaupt eines haben. Wir haben die Nase voll von dieser Regierung. Es gibt keinerlei Verantwortungsgefühl und niemand schert sich um Gesetze und Richtlinien. Niemand in der Regierung arbeitet; die gesamte Regierung ist dysfunktional. Wenn wir Urteile verhängen, beschweren sie sich über Justiz-Aktivismus, aber wenn sie nicht mehr an der Macht sind, kommen sie an und verlangen Abhilfe.“

 An dieser Stelle vermerkt das Protokoll, das Richter G.S. Singhvi ihn mit folgenden Worten unterbricht: „Gott allein kann diesem Land helfen!“ Woraufhin Richter Agarwal antwortet: „Noch nicht einmal Gott kann diesem Land helfen. Gott ist ein stummer Zuschauer und fühlt sich hilflos. Der Charakter unseres Landes ist verloren. Wir sind hilflos.“

 Wenn Gott schweigt, sollte der Korrespondent nichts hinzufügen.

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