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Keine Arme, kein Bootcamp

Kiwis pflücken Äpfel und scheren Schafe? Von wegen. Kiwis segeln, surfen, fahren Ski, wandern, rennradeln, mountainbiken, klettern Felsen hoch, paddeln Flüsse hinab, joggen, kajaken, springen Bungy und Fallschirm. Täglich.

Wenn dann noch Zeit bleibt, gehen sie arbeiten. Da ich von diesen Sportarten nur fünf leidlich beherrsche – wandern mit eingerechnet –, befinde ich mich im Landesdurchschnitt in der untersten Abteilung: Stubenhocker/Invalide.

Werfe auf einer Stehparty das Wort „Fahrradrennen“, „vereiste Piste“ oder „Monster-Welle“ in die Runde, und du kannst die nächsten zwei Stunden ungehindert die Weinvorräte plündern, denn der Rest der Gästeschar ist beschäftigt. Ab und zu mal reinlauschen – „bei 97 Kilometer ging mir dann die Puste aus, aber ich hab Adrenalin-Ampullen dabei“, „den Platten habe ich geflickt, während ich freihändig auf der Felge weiterfuhr“ – nicken und davon träumen, auf Menschen zu treffen, die auch mal ein Buch lesen.

Da ich leider nicht im Alter von fünf Jahren in Rugby-Montur gesteckt wurde oder mit sechs auf meinem ersten Surfbrett stand, habe ich ein echtes Bewegungsdefizit. Nachzüglern wie mir bleibt nur eine Chance, um doch noch an die stolzeste Sportnation des Pazifiks anzudocken: Das Bootcamp.

Nicht nur der Name ist den Ausbildungslagern der amerikanischen Marines entliehen. Bootcamp bedeutet: Mit Marschgepäck rennen, durch den Schlamm robben und stramm gestanden. Kein Rumgesteppe in rosa Aerobic-Stretch, sondern knallharter Drill, der dich ins Schwitzen bringt. Morgens früh um 6 im Stadtpark, dreimal die Woche, egal ob’s regnet oder dämmert, und am Wochenende geht es raus ins Gelände. Fünf Wochen lang.

Versprochen werden T-Shirt, Rucksack und „Steigerung des Fitness-Levels ums Doppelte“. Bootcamp könne „mein Leben verändern“ und mich „der Gruppe näher bringen“. Im Matsch kriechen verbindet. Was will ich mehr – ich mache eine Probestunde. Drei paramilitaristische Trainer, vier Damen mittleren Alters. „Rekruten“ heißen wir, müssen gerade stehen, dann marschieren. Kniebeugen, rennen, hinwerfen, aufspringen, wieder Kniebeugen.

30 Sekunden bleiben uns, um Wasser zu fassen. „Los, schneller!“ bellt der Trainer, Daumen in den Bund der Army-Hose gehakt. Dann 30 Liegestütze, fünf Mal hintereinander. Ich presse und beiße mir auf die Zähne. Jetzt bloß nicht die Pazifistin raushängen lassen. „Ellenbogen nach hinten!“ schreit der Trainer, dessen Bizepsumfang den seines kahlrasierten Kopfes schlägt. Ich warte darauf, dass er mir gleich eine Kapuze überstülpt, meine Hände fesselt und Guantanamo Bay mit uns spielt, aber nein: Wir haben’s überlebt.

Am nächsten Tag will ich mir die Haare kämmen, komme mit den Händen aber nur bis knapp vors Gesicht. Der Trizeps ist eine einzige verhärtete Krampfzone. Ich bin horizontal dank Extrem-Muskelkater gelähmt. Zähneputzen, Gabel halten: Äußerst mühsam bis schmerzhaft. Nach oben greifen, zum Beispiel ins Lebensmittelregal: Ausgeschlossen. Meine nächsten Angehörigen, die mich Krüppel pflegen und füttern sollten, haben kein Mitleid: „Keine Arme, keine Kekse“. Vielleicht sollte ich schießen lernen. Ist auch ein Sport.

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