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Nordisches Atomidyll

Die Finnen sind anders. Sauna, Trockner und Heizung bullern im Winter auf Hochtouren. Unmengen Energie verschlingen auch Zellstoffabriken, Stahlhütten und Chemiewerke. Der benötigte Strom soll – allen technologischen und finanziellen Risiken zum Trotz – zukünftig verstärkt durch Kernspaltung entstehen. Nicht einmal die finnischen Grünen wagen es, deswegen auf die Barrikade zu gehen. Sie bringen das Kunststück fertig, an der Regierung beteiligt zu sein und zugleich den Atomkurs des Ministerpräsidenten Matti Vanhanen heftig zu kritisieren.

Menschenketten gegen den drohenden Atomtod wird es auch im Nachbarland Schweden sobald nicht wieder geben. Obwohl sich Solveig Ternström (72) und Eva Selin Lindgren (73) nichts sehnlicher wünschen. Vor drei Jahrzehnten malten die Schauspielerin und die Kernphysikerin Protestplakate und sammelten Unterschriften für den Atomausstieg. Heute sitzen die beiden für die Zentrumspartei im schwedischen Reichstag. Ausgerechnet das bäuerliche Zentrum, lange Jahre eine feste Bastion der Kernkraftgegner,  ebnete im Vorjahr den Weg für den „Energiekompromiss“ der bürgerlichen Vier-Parteien-Koalition. Im Gegenzug für neue Atommeiler ließ sich die Zentrums-Chefin und Wirtschaftsministerin  Maud Olofsson das Versprechen geben, künftig mehr Geld für erneuerbare Energien wie die Windkraft locker zu machen.

Ihre eigene Fraktion hatte die forsche Vorsitzende während einer Dienstreise in Straßburg regelrecht überrumpelt. In einer Telefonkonferenz wurde den Abgeordneten beschieden, sie müssten der Einigung im Interesse des Koalitionsfriedens ihren Segen geben. Dabei gärt es an der Basis gewaltig: Austritte häufen sich. Auch in der Wählergunst erlitt die Partei in Umfragen massive Einbußen, sie liegt nur knapp oberhalb der Vier-Prozent-Hürde. In hunderten Briefen, E-Mails und Telefonanrufen sprachen enttäuschte Zentrums-Anhänger den Revoluzzern Mut zu.

Die sollen noch vor der Sommerpause im Parlament fürt den Neubau von Atommeilern stimmen. Doch sie weigern sich. Nicht ausgeschlossen, dass sich weitere Abgeordnete ihrem Protest gegen den Atomkonsens anschließen. Vier Gegenstimmen aus dem bürgerlichen Lager würden theoretisch reichen, um das Gesetz zu kippen. Als Schauspielerin ist Solveig Ternström für jede dramaturgische Zuspitzung empfänglich: Sie werde mit Nein stimmen, versichert die Schwedin trotzig – selbst wenn sie dabei in den Lauf einer Pistole blicken müsste.

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