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22. 12. Baltischer Hering

Dass es in Nordeuropa exquisite Sterne-Köche gibt, ist seit Jahren bekannt. Doch der alltägliche Standard in den durchschnittlichen Restaurants wie zu Hause ist leider immer noch recht dürftig.

Jedes Jahr verbringe ich insgesamt mehrere Monate auf Reisen. Was das Essen angeht, freue ich mich da in Nordeuropa eigentlich stets nur auf ein Ziel: Helsinki! Traditionelle Hausmannskost schmeckt in einigen der dortigen Restaurants fast so gut wie in Italien, wenngleich natürlich völlig anders, viel deftiger nämlich.

Gemein mit den italienischen haben die traditionellen finnischen Gerichte auch, dass sie alles andere als aufwändig sind. Gute Rohwaren, die sorgsam behandelt werden, lautet das „Geheimrezept“. Damit sind die dortigen Spezialitäten ziemlich einfach nachzukochen. Zum Beispiel Gebratener Baltischer Hering, auch Ostseehering oder Strömling genannt (Clupea harengus membras) auf (nicht an, wie es wohl die Sterneköche sagen würden) Kartoffelpüree – ist so simpel wie es klingt, schmeckt aber vorzüglich. Das Rezept dazu steht unten und kann auch mit Fischfilets nachgekocht werden.

Wer keine Zeit hat, die Heringe selbst zu braten, kann natürlich auch essen gehen. Meine Restaurantempfehlung: das Salve oder das Sea Horse.

Vor ziemlich genau 11 Jahren übrigens habe ich das Sea Horse bereits in der Financial Times Deutschland zu einer der besten Bars der Welt gekürt. Meinen damaligen Text gibt es in leicht gekürzter Ursprungsversion gleich noch dazu:

“In Helsinki eine originelle Bar zu finden, in der man auch was essen kann, ist alles andere als einfach. Mittlerweile sind auch hier, wo eine wirkliche Ausgehkultur sich erst vor wenigen Jahren entwickelt hat, viele Läden so global und austauschbar wie McDonalds. Das Ganze nennt sich dann euro-asiatisch inspiriert oder ganz einfach Irish Pub. Schön und gut, aber heutzutage, wo fast jeder nach Ibiza, Bali oder Thailand in den Urlaub fliegt, sollte es – einmal in jenem Lande am nordwestlichen Rande Europas gelandet – schon spezieller sein.

Das Sea Horse, etwas versteckt, aber zentral am Rande des Stadtzentrums gelegen, entspricht etlichen Finnlandklischees und ist dennoch wahrhaftig. Es ist eine Bar, die aussieht als sei vergessen worden, nach dem letzten Aki Kaurismäki-Film die Kulisse abzubauen: das Interieur wirkt etwas ärmlich und veraltet. Gleichzeitig fehlt jene oft bis zum Kitsch übertriebene Gemütlichkeit, die alt eingesessene Kneipen in Deutschland auszeichnet. Stattdessen herrscht spröder Charme.

Ebenso bei den Besuchern: Es sind Menschen, die man wahlweise als verschroben oder originell bezeichnen könnte. An einem Tisch sitzen zwei junge Männer mit einem großen Glas Bier und einem Laptop vor sich, sie haben Kopfhörer auf und werfen sich nur ab und an ein paar Worte zu. Dahinter Menschen um die 50, die laut und polternd finnisch reden – eine Sprache, die, wenn sie in den Zeitungen gedruckt steht, aussieht als sei der Redakteur beim Schreiben auf der Tastatur eingeschlafen. Ständig bestellen sie eine neue Flache Wein und jagen den Kellner vom Ausschank zu ihrem Tisch und wieder zum Ausschank und wieder zu ihrem Tisch. Sie trinken als sei es ihr letzter Abend.”

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