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Ausgezeichnet!

Von Südamerika bis Australien, von Europa über Nordamerika, Asien und natürlich Afrika eint uns Weltreporter derzeit eines: Stolz: Ende Juli erhält unsere Vorsitzende Bettina Rühl das Bundesverdienstkreuz.
Bettina Rühl

Bettina Rühl bekommt das Bundesverdienstkreuz

Die Korrespondentin wird damit für ihre „unabhängige, überdurchschnittlich engagierte und bemerkenswerte Recherche-Arbeit” in Afrika und ihre Berichterstattung über Afrika ausgezeichnet. Vorgeschlagen hatte sie Bundesaußenminister Heiko Maas, mutmaßlich höchstpersönlich Fan von Bettinas Reportagen, Hintergründen und Analysen.

Im WDR-5 Programm Scala sprach Bettina über die Auszeichnung. Vor allem aber erzählt sie über die Weltreporter und darüber, wie ihre Arbeit in Kenia derzeit aussieht, was sie eigentlich für 2020 geplant hatte – und wie die Corona-Pandemie für sie neue Schwerpunkte gesetzt hat. Und Isabelle Klein sprach mit ihr für die Deuutschlandfunk-Sendung @mediasres über die Auszeichnung, Afrika und die Anfänge ihrer Arbeit Ende der 1980er-Jahre.
Weltreporter Marc Engelhardt (Genf), der selbst viele Jahre aus Afrika berichtet hat, sagt: “Es ist eine hoch verdiente Ehre für Bettina Rühl. Ich kenne keine andere Journalistin, die ein so intimes Wissen über Afrika hat und es auf so brillante Art und Weise weitergibt.”
Bettina Rühl berichtet seit über zwanzig Jahren über Afrika. Ihre Features, Reportagen und Berichte werden in verschiedenen Programmen des ARD-Hörfunks gesendet, in Magazinen und Zeitungen gedruckt. Außerdem vertritt sie regelmäßig die ARD-Hörfunkkorrespondentin für Ostafrika und arbeitet bisweilen fürs Fernsehen.
Gemeinsam mit den Kolleginnen Sarah Mersch (Tunis) und Leonie March Durban veröffentlicht Bettina Rühl seit einem Jahr außerdem auf der Online-Plattform Riffreporter das Magazin Afrika-Reporter. Es gibt extrem lesenswerte Einblicke, Hintergründe und Analysen über den Kontinent.

Der zweite am Bande

ArndtPeltnerBettina Rühl ist nicht die einzige Weltreporterin, der diese Ehre zuteil wird. Arndt Peltner, seit einem Jahr Weltreporter in Oakland, USA, wurde 2004 für seine Arbeit mit Radio Goethe mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Peltner habe es geschafft, mit dem Musikprogramm junge Menschen in den USA für Deutschland zu interessieren und fördere die Freundschaft zwischen jungen Menschen in den beiden Ländern, hieß es in der Begründung. Peltner war vor 16 Jahren einer der jüngsten Träger des vom Bundespräsidenten vergebenen Verdienstordens.
 

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Covid-19 – Wie geht’s dem Rest der Welt?

Maßnahmen lockern? Anders forschen? Alte Menschen isolieren? – Debatten, die in Deutschland geführt werden, beschäftigen auch andere Länder. Aber es gibt dort auch völlig andere Lösungen, Ansätze und Konflikte. Die Weltreporter berichten in diesen Wochen von allen Kontinenten fast ausschließlich über Situationen, Menschen und Ereignisse, die irgendwie mit Covid-19 zu tun haben.

Falls Sie eine C-Verschnaufpause brauchen: Manche Themen – wie Cornelia Funkes neuer Roman, über den Kerstin Zilm im Deutschlandfunk Kultur spricht  – haben weniger inhaltlich als vielmehr anlässlich mit Corona zu tun: Die Bestsellerautorin Funke lässt in den kommenden Wochen live auf Instagram und YouTube aus dem vierten Buch ihrer Tintenwelt-Serie lesen. Das Buch ist noch gar nicht veröffentlicht. Funke erzählte Kerstin Zilm, warum sie die ersten 14 Kapitel von ‘Die Farbe der Rache’ trotzdem schon aus ihrer Schublade geholt hat.

Ein Geschenk für die Fans – Kerstin Zilm spricht mit Cornelia Funke

In Taiwan wurden die ersten Coronavirus-Infektionen noch vor jenen in Deutschland gemeldet, doch bis heute gibt es in dem asiatischen Land weniger als 450 Infektionen und sechs Tote – Wie gelingt eine so beeindruckende Bilanz? Nicht ohne Einschränkungen, aber mit raschen, wirksamen Maßnahmen hat der Inselstaat vor der Küste Chinas geschafft, die Ausbreitung des Virus unter den 23 Millionen Einwohnern stark einzudämmen. Einen spannenden Bericht dazu hat Klaus Bardenhagen für die Umschau des MDR gefilmt.

Klaus Bardenhagen berichtet aus Taipei Foto: Screenshot mdr

Klaus Bardenhagen berichtet aus Taipei    Foto: Screenshot mdr

Dort erklärt er – diesmal auch vor der Kamera – warum Taiwan in diesen Tagen so eine Art Insel der Seligen ist. Über die strenge Heimquarantäne und die besondere Rolle der Taxifahrer in Taiwan hatte Klaus Bardenhagen zuvor bereits mit dem ARD Studio Tokio für das Mittagsmagazin einen Beitrag gedreht.

Knapp 10.000 Kilometer weiter südwestlich arbeitet Anke Richter, die sich in den vergangenen drei Wochen kaum wie Kollege Bardenhagen auf einem vor Menschen wimmelnden Markt getummelt haben dürfte. In Christchurch  wurde der Lockdown mit deutlich härteren Sanktionen durchgesetzt als in vielen deutschen Städten. Und Neuseeland  liegt jetzt im weltweiten Kampf gegen das Coronavirus mit einem Reproduktionsfaktor von 0,5 vorne. Als sonderlich harsch wurden die Maßnahmen dort jedoch von vielen nicht empfunden. “Nett und schlau” nennt Anke in ihrer Story für Zeit Online die Strategie, mit der der Pazifikstaat bisher offenbar gut fährt. Regierungschefin Jacinda Ardern sitzt dort im Sweatshirt zu Hause und beantwortet im Livechat auf Facebook Fragen ihrer Landsleute – unprätentiös, herzlich, sachkundig.

Jacinda Ardern plaudert mit ihren Landsleuten ©Screenshot Facebook

Neuseelands PM Jacinda Ardern plaudert mit ihren Landsleuten © Screenshot Facebook

Während anderswo Mediziner fehlen, schickt Kuba Doktoren in die Welt: 596 Ärztinnen und Ärzte habe man in insgesamt 14 Länder entsandt, um sie zu unterstützen, hieß es aus dem kubanischen Gesundheitsministerium. Wie es dazu kam, dass sich der sozialistische Inselstaat in der medizinischen Kooperation derzeit so profiliert, hat Wolf-Dieter Vogel analysiert.

Singapur hatte die Krise fast im Griff. Doch jetzt schockiert ein massiver Ausbruch in den Wohnheimen für ausländische Arbeiter den reichen Stadtstaat, schreibt Mathias Peer im Handelsblatt. Zwar gehört Singapur zu den reichsten Ländern der Welt, doch bei ihren Gastarbeitern sparen viele Unternehmen wo es geht – das rächt sich nun offenbar.

Ein Straßenhändler verkauft Desinfektionsmittel @ Bettina Rühl

Ein Straßenhändler in Kenia verkauft Desinfektionsmittel © Bettina Rühl

Den afrikanischen Kontinent hat das Coronavirus mit Verzögerung erreicht. Inzwischen steigen die Infektionszahlen  deutlich an. In Kenia, Uganda, Simbabwe und Südafrika greifen Polizei und Militär hart durch, um Ausgangsbeschränkungen durchzusetzen. Im Deutschlandfunk berichten Bettina Rühl und Leonie March über die Situation in Slums der kenianischen Hauptstadt und über das zum Teil drastische Krisenmanagement  Südafrikas.

Julia Macher erzählt in ihrer Hörfunk-Reportage auf Deutschlandfunk Kultur wie Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in Barcelona mit der Corona-Krise umgehen. Das war für die Weltreporterin in Spanien auch eine erzählerische Herausforderung: Wie bleibt man trotz Ausgangssperre und „social distancing“ nah dran an den Protagonisten?

 

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Schweizer Journalistenpreis für Marc Engelhardt

Weltreporter und UN-Korrespondent Marc Engelhardt hat für sein Buch „Weltgemeinschaft am Abgrund“ den Schweizer Medienpreis Prix Nicolas Bouvier erhalten. Die Jury lobte die tiefgehenden Recherchen des Autors über die Vereinten Nationen, denen gerade in der gegenwärtigen Krise des Multilateralismus eine große Bedeutung zukomme.

http://www.christoph-links-verlag.de/index.cfm?view=3&titel_nr=984

 

 

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WR Podcast #4: Alles eine Frage der Zeit

Weltreporter sind in fast allen Zeitzonen zu Hause. Das hilft uns bei der Arbeit, sorgt für Aufträge, kann aber auch für Verwirrung sorgen. Welche das sind, erzählen unsere Reporter auf einer 20-minütigen Reise um die Welt, aus Regionen, in denen die Uhren oft gründlich anders ticken als in Berlin oder in Bremen. Im vierten Podcast der Weltreporter geht es um Zeit – um Rhythmus, Ungeduld und Warten, um Verschiebung der Zeit und ihren Wert. Ein Dutzend Reporter nehmen Sie mit auf einen sehr persönlichen Ausflug in ihren Alltag und an Orte, von denen wir sonst für Sie – Leser und Hörer – in deutschen Medien berichten. 

Weltreporter schreiben und recherchieren nicht nur auf sechs Kontinenten, einige von uns nutzen die Zeitverschiebung, die diese Arbeit mit sich bringt auch für Jobs, die es vor fünf Jahren noch gar nicht gab. Christina Schott hätte, als sie als Journalistin nach Indonesien zog, nie gedacht, dass ausgerechnet die Zeitverschiebung ihr mal eine familienfreundliche Arbeitszeit verschaffen würde. Wie viele Kollegen in der Region sorgt sie mehrere Tage im Monat an einem online Newsdesk dafür, dass die Webseiten großer deutscher Tageszeitungen 24 Stunden aktuell bleiben. Und wenn dann kurz vor ihrem Feierabend ein Vulkan spuckt, bricht bei ihr kein Stress aus – dann übergibt sie an die Frühschicht in Berlin oder Frankfurt. 

Zug verpasst? Das kann in den Niederlanden Folgen haben…

“Meine Arbeitstage in Seoul sind oft endlos lang”, sagt hingegen Fabian Kretschmer, und er sagt auch, warum das so ist und er eigentlich nichts dagegen hat. Der Südkoreakorrespondent erinnert außerdem an einen historischen Moment, in dem in seiner Region die Uhr zum politischen Theater wurde, und eine halbe Stunde kurzfristig die Weltpolitik durcheinander brachte.

Möge dir Zeit übrig bleiben

Kerstin Zilms Großmutter wünschte der Enkelin in Kalifornien einst, ihr möge Zeit übrig bleiben. Auf Kerstins  “Auf Wiedersehen” reagierte die alte Dame gerne mit einem “so Gott will und die Heiligen einstimmen.” Ein Spruch, den Jürgen Stryjak in Kairo in ähnlicher Variante fast häufiger hört als ein “Guten Morgen”; denn zur präzisen Zeiteinschätzung gehört in Ägypten das Inschallah إن شاء الله  – so Gott will. Ob beim Schraubeneinkauf oder im Kebab-Restaurant – der Herrgott hat bei der Verwirklichung von Wünschen offenbar seine Hände im Spiel. In Stryjaks Wahlheimatstadt, die den Korrespondenten zuweilen an eine Science-Fiction-Vision aus dem Filmklassiker “Blade Runner” erinnert, kann die Formel “In schā’a llāh” sogar Einfluss auf das Tragen eines Sicherheitsgurtes haben… 

Benjamin Wamocho studiert Tiermedizin und unterrichtet Musik in Nairobi

Gott hat den Europäern die Uhren gegeben und den Afrikanern die Zeit – diesen Spruch zitieren Afrikaner gerne, wenn mal wieder ein Europäer ausflippt, weil jemand Stunden nach dem vereinbarten Termin kommt. Bettina Rühl, die auch nach 30 Jahren Arbeit in Afrika noch zuweilen mit dem dortigen Zeitverständnis hadert, hat in Kenia einen Experten für Zeit und Rhythmus befragt: einen Musiker. Benjamin Wamocho erklärt ihr wunderbar, warum nicht immer schlecht sein muss, wenn man eher spürt, wann es Zeit für etwas ist, als ständig die Zeiger eines Geräts bestimmen zu lassen.

Ungeduld ist die Tugend des Korrespondenten

Marc Engelhardt, der von der Schweiz aus die Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates verfolgt, muss bei der Arbeit mit einem anderen Aspekt der Zeit zurechtkommen: “In der in Diplomatie ist Zeit auch Macht”, weiß er. Je länger etwa in New York über Syrien-Sanktionen verhandelt wird, um so mehr Menschen sterben im Bombenahgel in Ostgutha. “Warten können mag eine Tugend der Diplomaten sein – Ungeduld ist die Tugend des Korrespondenten”, sagt Marc Engelhard.

Bei Kerstin Zilm in Los Angeles ticken die Uhren anders, erst recht zur Oscar-Zeit

Folgen Sie uns auf dieser akustischen Reise, und freuen Sie sich auf einige überraschende Erkenntnisse:
Wie tickt Los Angeles und wann ist der richtige Moment für eine Hochzeitsparty in Tunesien? Wie unterscheiden sich die südafrikanischen Gummizeiten right now von just now und now now? Weshalb schüttelt Christine Wollowski in Brasilien immer noch den Kopf und verabredet sich Tina Schott längst nicht mehr an Straßenecken? Welche Folgen kann ein verspäteter Zug im superpünktlichen Holland haben, und wie genau klingt die Schafszeit in einem südfranzösischen Dorf? – Antworten auf all diese Fragen und einiges mehr hören Sie im Weltreporter Podcast #4, zusammengestellt von unserem Podcast-Team in fünf Zeitzonen: Kerstin Zilm, Birgit Kaspar, Jürgen Stryjak, Sascha Zastiral und Leonie March. 

PS: Sie haben unsere ersten Podcast-Ausgaben über Licht und Identität verpasst? Sie finden Sie nach wie vor in der Soundcloud und natürlich auf unsere Homepage.

 

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WR Podcast #3 Lichte Momente

Fehlt Ihnen im Nordhalbkugel-Winter zuweilen eine Dosis Licht? Australien wird mit Sonne und Hitze derzeit reichlich versorgt, vorgestern war es in Sydneys Westen gut beleuchtete 47 Grad. Die kann ich Ihnen nicht um die Welt schicken, aber etwas deutlich Besseres: Nehmen Sie sich etwas Zeit und reisen Sie mit uns in zwanzig Minuten um die Welt: Mit dem Weltreporter-Podast #3. In der dritten Audio-Reise des Journalisten-Netzwerks geht es um Licht. Begleiten Sie Weltreporter an Orte, an denen Licht verzaubert, wo Lichter aufgehen und dorthin, wo ein ganzes Land das Licht am Ende eines Tunnels feiert.

Aber Vorsicht, die erleuchtete Welt der Reporter hat ein paar Überraschungen für Sie parat: Unsere Kollegin in Südosteuropa hat ein besonderes Lichtspektakel sogar richtig sauer gemacht. Denn dort gehen die Uhren anders – sagt eine, die es wissen muss: Weltreporterin Danja Antonovic aus Belgrad. Sie erklärt Ihnen, warum dort die Weihnachtsbeleuchtung im September an- und erst im Februar wieder ausgeschaltet wird. Sie weiß auch, was über diese Lichterflut jene Belgrader denken, die selbst kaum genug Geld für die eigene Stromrechnung haben.

Belgrads winterliches Lichtermeer

Die meisten Momente, die das Podcast-Team der Weltreporter – Kerstin Zilm, Sascha Zastiral, Jürgen Stryjak, Birgit Kaspar und Leonie March  – zusammengetragen hat, sind aber auf eher positive Art erhellend.

Auf der Audio-Reise zu den Einsatz- und Arbeitsorten von Weltreporter-Kollegen in aller Welt erfahren Sie von ungewöhnlichen Augenblicken in Tschechien, Australien und Kairo. Außerdem erleben Sie einen eiskalten Sonnenaufgang im Zelt über den Wolken in den Pyrenäen.

In Kenia, drei Autostunden von Nairobi entfernt, rennt Bettina Rühl vor Sonnenaufgang durch die Savanne. Warum sie dabei von Massai bewacht wird, erfahren Sie ebenfalls im Weltreporter Podcast #3.

Über den Wolken in den Pyrenäen

Von ganz persönlichen und manchmal sogar magischen Momente, die mit Licht und Schatten zusammenhängen, berichten Weltreporter aus dem nächtlichen Paris und einem Delfter Museum, aus Kairos Straßen und vom Strand in Lombok.

Wir haben Licht am Ende des sprichwörtlichen Tunnels in Tschechien gefunden und schauen in Chile vorbei, wo endlich neue, günstige Solaranlagen gebaut werden. Im Podcast erzählt unser neuer WR-Kollege in Südkorea, welche Hoffnungsschimmer die Einwohner von Seoul haben, angesichts der eher düstern Angst vor einem drohendem Atomkrieg. Sie erfahren, weshalb nicht mehr viele serbische Mädchen Svetlana (“Tochter des Lichts”) genannt werden und folgen Marc Engelhardt 175 Meter unter die Schweizer Erde, in die Tunnel des Europäischen Kernforschungszentrums. Auch dort funkelt ein besonderes Licht.

Gamelan-Musiker in Indonesien

Zu einem Klang- und Licht Erlebnis der historischen Art nimmt Christina Schott Sie in die Sultansstadt Jogjakarta mit. Dort wird seit Jahrhunderten die Kunst des Schattentheaters zelebriert, ein Meisterwerk des Kulturerbes, an dem heute auch Touristen teilnehmen können. Lauschen Sie dem Klingklong der indonesischen Gamelan, deren fünf- oder siebentönige Tonskalen vielleicht Geister vertreiben, mit Sicherheit aber die Zuhörer in eine ganz andere Welt versetzen.

An einem wiederum anderen Ende des Globus trifft sich die größte indische Bevölkerungsgruppe außerhalb Indiens zu einer Prozession, in der mit Lampen, Gesang und Farben der Sieg des Lichts über die Dunkelheit gefeiert wird. Auf welchem Kontinent diese Zeremonie die Straßen in ein spirituelles Volksfest verwandelt, erfahren Sie ebenfalls im Weltreporter-Podcast #3.

Sonnenaufgang in Kenia

PS: Alle drei Monate erzählen Weltreporter von Jobs und Recherchen zwischen Durban und Dänemark und laden ein zum Blick hinter die Kulissen, nehmen Sie mit in den Korrespondentenalltag oder teilen persönliche Eindrücke.

Sie haben die ersten WR-Podcast verpasst? Hören Sie sie in der Soundcloud an. Sie treffen einen Weltreporter-Gründer, hören, welches Geräusch unsere Kollegin in Los Angeles zuweilen von der Arbeit abhält, welche Eigenschaften zum Job gehören und was Kollegen in Krisenregionen auch in schwierigen Zeiten zum Durchhalten motiviert. Im zweiten Podcast geht es um Identität.

 

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Podcast #1: Die Weltreporter persönlich

Die Weltreporter im Gespräch – Ab sofort lassen wir Sie noch näher ran, an unsere Arbeit in aller Welt: Im WR-Podcast erzählen künftig alle drei Monate Korrespondenten von Jobs und Recherchen zwischen Durban und Dänemark, geben einen Einblick  in den Korrespondentenalltag, live & lebendig. Wir schalten unsere Mikrophone für Sie auf Empfang und laden ein in unsere Schreib- und Tonbüros auf fünf Kontinenten. Der erste WR-Podcast führt hinter die Kulissen des größten Korrespondenten-Netzwerks freier Auslandsjournalisten, das über 47 deutschsprachige Reporter in fast ebenso vielen Ländern vereint.

Kerstin Zilm im per Wolldecke isolierten Studio.

Wer sind die Weltreporter-Journalisten und was bewegt sie? Erfahren Sie, unter welchen Bedingungen Geschichten entstehen, die Sie später gut gemischt online oder im deutschen Radio hören. Verbringen Sie 20 Minuten mit uns – jenseits der Schlagzeilen. In diesem ersten Podcast treffen Sie einen Weltreporter-Gründer, hören, welches amerikanische Geräusch unsere Kollegin in Los Angeles zuweilen von der Arbeit abhält und was Kollegen in Krisenregionen auch in schwierigen Zeiten zum Durchhalten motiviert.
Ganz nebenbei bekommen Sie Antworten auf eine Reihe von Fragen, die Sie sich vielleicht noch nie so gestellt haben 😉 Zum Beispiel:

  • Wie lange dauert es, einen Dänen kennenzulernen?
  • Wer ist die erfolgreichste Immigrantin der Niederlande?
  • Wo treffen sich Karel Gott und Prager Hochkultur?
  • In welcher Region ist ein Plan B überlebenswichtig?
  • Was bedeutet Reporterglück in Tunis?
  • Und wie genau klingt es, wenn ein südafrikanisches Nashorn ins Mikrophon atmet?

Ägypten-Korrespondent Jürgen Stryjak während des Volksaufstandes 2011 auf dem  Tahrir-Platz.

Der erste Weltreporter Podcast widmet sich aber auch ernsteren Themen: Im Interview berichtet Jürgen Stryjak, der seit 17 Jahren in Kairo arbeitet, vom Arbeit und Leben in einem Land, in dem Anschläge und Unterdrückung zum Alltag gehören. Er schildert, welche Spuren es hinterlässt, wenn man tagein tagaus über Menschen berichtet, die Gewalt oder Terror erleben, die desillusioniert oder hoffnungslos sind. Jürgen Stryjak erzählt auch, was ihn motiviert, sich von schwierigen Situationen nicht unterkriegen zu lassen. Er erzählt von einer Begegnung mit Amir Eid und seiner Indie-Band Cairokee, die er bei Proben in Kairo traf. Auch sie lassen sich nicht einschüchtern. Eines ihrer jüngeren Lieder heisst Akhr Oghniyya – zu deutsch: »Das letzte Lied«. Selbst wenn dies mein letztes Lied wäre, singt Amir Eid im Refrain, selbst dann würde ich noch von der Freiheit singen.

Janis Vougioukas nach der WR-Gründung im Jahr 2007 während einer Recherche über Folgen der Umweltverschmutzung in China.

Außerdem lernen Sie Janis Vougioukas kennen. Janis ist heute Stern-Reporter in Shanghai. Er war es, der im Jahr 2000 mit einer Handvoll anderer Journalistenschüler die Idee hatte, das Weltreporter-Netzwerk zu gründen. Im Gespräch erinnert sich Janis daran, wie damals auch die Einsamkeit als Freischaffender mit ein Motiv dafür war, das Abenteuer Weltreporter zu wagen. “Wir waren überrascht, wie viel man über Internet-Abstimmungen und Skype effizient, global und günstig organisieren konnte”, erzählt Janis Vouigoukas als ihn Kerstin Zilm über diverse Zeitzonen hinweg während einer Recherche in Hongkong erreicht. Damals begann die Medienkrise, und er und die 20 ersten Weltreporter waren begeistert, wie rasch sich die Existenz des weltweiten Reporternetzwerks in den Redaktionen herumsprach: “Es war toll zu sehen, wie dankbar die Redaktionen, die nicht mehr selbst schnell jemanden losschicken konnten oder wollten, unser Angebot angenommen haben.” Heute gehören zum Netzwerk 47 freie Korrespondenten in aller Welt und 27 Kollegen, die inzwischen nicht mehr als freie Journalisten arbeiten oder wieder von Deutschland aus berichten.

Leonie March interviewt einen Fährtenleser.

Zusammengestellt haben diese “20 Minuten Weltreporter persönlich” unser Podcast-Team in drei Kontinenten und diversen Zeitzonen. An Mikro und Mischpult agierten Kerstin Zilm in Los Angeles, Leonie March in Durban und Sascha Zastiral in London.

Viel Spaß beim Zuhören, und bis zum nächsten Podcast – in spätestens drei Monaten.

Im Helikopter über Durban

 

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Audio #2: Weltfremd oder inspirierend?

Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare, Lob und Kritik gab es seither reichlich, Reaktionen, die so spannend wie vielseitig waren. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.

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Manche Zeitungen wie die FAZ haben unser Buch gleich zweimal rezensiert. Wir freuen uns auch darüber…

Viele Medien berichteten von den Lesungen, zu denen wir von Buchläden, Bibliotheken aber auch von vielen Schulen eingeladen wurden. Radiostationen rezensierten das Buch, zum Beispiel ‘B5 aktuell’, Deutschlandradio und  Bayern 2. Autorinnen und Autoren haben auf Lesungen in ganz Deutschland diskutiert, (hier ein Bericht von einer Lesung mit Philip Hedemann aus dem oberpfälzischen Pressath) und Fragen beantwortet.

Bei der offiziellen Buch-Vorstellung im taz-Café saß auch Ameena auf dem Podium, die junge Syrerin die Philip Hedemann auf ihrem Weg begleitete und die einen Prolog zu unserem Buch geschrieben hat. Im neuen Audio-Spezial 2 hören Sie Sie mehr darüber, wie das Leben der jungen Frau seither weiterging und lernen zwei ihrer Kinder kennen. Philip erzählt, warum Ameena unbedingt das Kanzleramt kennenlernen wollte. Und warum sie – trotz ihres Glücks darüber in Deutschland zu leben – während einer Lesung in Tränen ausbrach.

Angst auch nach 25 Jahren

Im Audio erfahren Sie, was Kerstin Zilms Interviewpartnerin Lidia Nunez empfand, als sie ihren Sohn nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder umarmen konnte. Von einem anderen Weltende schaltet sich Bettina Rühl zu, sie läßt die Somalierin Haibo Abdirahman Muse zu Wort kommen, die schon 25 Jahre in einem kenianischen Flüchtlingslager lebt und trotzdem noch Angst hat.

Birgit Kaspar in Toulouse spricht  mit ihrer Interviewpartnerin Chantal Pulé, die ihr erzählt, ob sie nach all den Jahren in Paris, heute bereut aus dem Libaon geflohen zu sein.

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Birgit Kaspar und Marc Engelhardt lesen in Herne Foto: Claudia Korbik

Zu weit weg?

Herausgeber Marc Engelhardt erzählt im Audio #2 welche Inhalte auf Lesungen am häufigsten diskutiert werden und wie sehr viele deutsche Leser überrascht, das Fluchten auf der ganzen Welt passieren. Viele Gespräche nach den Lesungen drehen sich darum, was der Begriff ‘Revolution’ bedeuten soll. Marc Engelhard hat außer positivem Feedback natürlich auch kritische Meinungen gehört. Ein Leser wirft uns vor, als Auslandskorrespondenten zu weit entfernt von der deutschen Problematik zu sein. Marc Engelhardt: “Den Blick aus dem Ausland sehen wir eher als Qualität des Buches. Sicher kann man das kritisieren, ich glaube aber nicht, dass man das sollte. Wir sagen ja nicht, dass sich eine Lösung aus Südafrika oder anderen Ländern 1 zu 1 auf Deutschland übertragen lässt. Aber es hilft vielleicht, den Horizont zu erweitern und mit anderen Augen auf Situation in Deutschland zu blicken.”

Denn eines ist gewiss: Flucht wird als Phänomen zunehmen, Die Frage ist: wie gehen wir damit um.

In Lesbos bleiben die Tische leer

Lesbos: Die besten Tische bleiben leer.

Lesbos: Die Urlauber bleiben aus.

Im Audio #2 hören Sie auch von Alkyone Karamanolis, Weltreporterin in Athen, die sich gefragt hat: Wie geht es den Rettern heute? Fischer Konstantinos Pinderis, erzählt wie sich sein Leben auf der Insel Lesbos komplett verändert hat. Am idyllischen Hafen von Skala Sikamineas bleiben die Tische leer. Zwar landen dort keine Flüchtlingsscharen mehr wie 2015, doch die Touristen kommen ebenfalls nicht mehr. Sie scheinen ihre früheren Lieblingsinseln vergessen zu haben – zum Leid der Einheimischen, denen die Arbeit ausgeht.

Vergessen würden in meinem eigenen Berichtsgebiet Australien viele Politiker am liebsten die Situation der Flüchtlinge, die nach wie vor auf den Inseln Manus und in Nauru die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage erdulden. Menschen müssen dort seit Jahren als Abschreckung für künftige Boots-Migranten herhalten. Ich erzähle im Audio #2 darüber, wie schwer geschädigt die dort gestrandeten Männer, Frauen und Kinder durch die Inhaftierung sind, und dass ihre Zukunft trotz heftiger Proteste von Menschenrechtsorganisationen und anderen noch immer unklar ist.

img_9019Hören Sie rein, ich bin sicher, unser Audio Spezial # 2 macht Sie neugierig auf unser Buch Die Flüchtlingsrevolution, erschienen im August im Pantheon Verlag.

Auch wenn sie es bereits gelesen haben, erfahren Sie im Podcast einiges Neues. Zusammengestellt haben es die Weltreporter Kerstin Zilm, Leonie March, Randi Hauser und Sascha Zastiral.

 

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Von Kairo nach Schwäbisch Gmünd

Stadtbibliothek Schwäbisch Gmünd: Suleman Taufiq, Jürgen Stryjak, Jörg Armbruster

Mittendrin dann plötzlich die heikelste Frage von allen. Zuvor hatten wir den Umbruch in Ägypten diskutiert, die zunehmend repressiven Verhältnisse, die zerstörten Hoffnungen und den Wunsch vieler Ägypter nach Stabilität. Wir hatten versucht, etwas Klarheit in den Schlamassel zu bringen, so gut es eben ging. Wir beschäftigten uns mit Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt.

Aber länger überlegen musste ich erst, als der langjährige ARD-Korrespondent Jörg Armbruster von mir wissen wollte, ob ich mir vorstellen könnte, in Schwäbisch Gmünd zu leben. Was antwortet man auf solch eine Frage, wenn vor einem knapp hundert stolze Schwäbisch Gmünder sitzen, deren Stuhlreihen so angeordnet sind, dass sie den Fluchtweg versperren?

Natürlich kann ich mir vorstellen, dort zu leben. Schwäbisch Gmünd ist eine feine, mittelkleine Stadt mit herausgeputztem historischen Stadtkern, eine Idylle, die für jeden, der gerade aus Kairo kommt, einen Anblick bietet wie mit Photoshop bildbearbeitet. Außerdem hängt es ja von Tausendundeinem Grund ab, ob man an einem Ort zurechtkommt, allen voran von der Arbeit. (Und da ist Schwäbisch Gmünd für einen Nahostkorrespondenten leider eher weniger geeignet, auch wenn es in Nah-Ostwürttemberg liegt.)

Zusammen mit Jörg Armbruster und Suleman Taufiq, den Herausgebern des Stadtlesebuches »Mein Kairo – My Cairo«, war ich an einem Abend in der Stadtbibliothek des Ortes zu Gast und am darauffolgenden Abend dann im Buchhaus Wittwer in Stuttgart. Der großformatige, edel gestaltete Band mit Texten von rund 50 Autoren ist eine Liebeserklärung an die Millionenmetropole am Nil – der vermutlich einzige Kairo-Bildband, in dem die Pyramiden kein einziges Mal auftauchen, jedenfalls nicht in den 140 spannenden Photographien von Barbara Armbruster und Hala Elkoussy.

In meinem Text erzähle ich von meiner Zeit im ärmlichen, traditionellen Altstadtviertel Bab al-Shaariyya. Unter anderem berichte ich vom benachbarten Tischler, der mal ein geborstenes Wasserrohr in meiner Wohnung mit den Worten reparierte: »Wenn Gott will, dass dein Wasserrohr am Ende wieder ganz ist, dann kriege sogar ich das hin. Wenn Gott dies nicht will, dann schafft das auch kein richtiger Klempner.«

Besser kann man die Entspanntheit gar nicht beschreiben, mit der die Kairoer ihren Alltag am Ende doch immer irgendwie bewältigen. Gleichzeitig ist dieser Ansatz beunruhigend. Man stelle sich vor, der Tischler hätte mich mit denselben Worten am Blinddarm operiert: »Wenn Gott will, dass du den Eingriff überlebst, dann kriege sogar ich das hin. Wenn Gott dies nicht will, dann schafft das auch kein echter Chirurg.«

 

Infos zu dem dreisprachigen Stadtlesebuch/Bildband (deutsch, englisch, arabisch) auf der Webseite der edition esefeld & traub.  Und so fand die Lokalpresse unseren Abend in Schwäbisch Gmünd.

Stadtbibliothek Schwäbisch Gmünd

Stadtbibliothek Schwäbisch Gmünd

 

Lesung und Diskussion im Buchhaus Wittwer in Stuttgart: Jörg Armbruster, Jürgen Stryjak, Suleman Taufiq

Lesung und Diskussion im Buchhaus Wittwer in Stuttgart: Jörg Armbruster, Jürgen Stryjak, Suleman Taufiq

 

Buchhaus Wittwer Stuttgart

Buchhaus Wittwer Stuttgart

 

Einband des Stadtlesebuches "Mein Kairo - My Cairo - مدينتى القاهرة"

Einband des Stadtlesebuches “Mein Kairo – My Cairo – مدينتى القاهرة”

 

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Bin ich jetzt ein Schleuser?

Nennen wir ihn "Franz"

Nennen wir ihn “Franz”

Das letzte, was ich von ihm sah, war, wie er am Samstagnachmittag aus unserem Zug ausstieg: ein junger Mann Mitte 30, Mütze, Rucksack, eine Tüte mit zwei Orangen und meiner Mineralwasserflasche. Zum ersten Mal betrat der Mann Münchner, bayerischen, deutschen Boden. Stündlich schaue ich, ob er mir wie versprochen eine Email geschrieben hat – bisher nicht.

Unsere Schicksale kreuzten sich im Zug. Ich fuhr mit meiner zweijährigen Tochter aus dem Urlaub in Südtirol nach München, sie war müde und wollte getragen werden. So wurde ich Zeuge eines Gesprächs zwischen dem Schaffner und einem Schwarzafrikaner. Der Mann sagte, er wolle nach “Munich”, der Schaffner stellte ihm ein Ticket bis Innsbruck aus. Für mehr reichte das Geld nicht. Als der Schaffner weg war, meine Tochter hing schlafend über meinen Schultern, sprach ich den Mann an. Er flüsterte fast: Dass er sich vor zwei Jahren von Gambia aufgemacht habe und schließlich von Libyen mit dem Schiff nach Europa aufgebrochen sei. Sein Ziel: Munich.

Ich ging zurück zu meinem Platz, legte meine Tochter auf den Sitz und überlegte. Ich kannte den Mann seit fünf Minuten. Ich kannte Gambia überhaupt nicht. Aber ich wusste jetzt schon zuviel. Er war nicht mehr irgendein Flüchtling in einer Statistik. Es lag jetzt an mir, ob ein sympathisch wirkender junger Mann, der seit zwei Jahren durch die Welt irrt, an ein paar Euro scheitert. Ich ging wieder zu ihm und gab ihm etwas Geld. Als vor Kufstein der Schaffner kam, konnte er sein Ticket bis München zahlen. Drei unschwer als Polizisten erkennbare Männer stiegen zu. Wenn sie ihn jetzt befragen und zurückschicken, kann ich auch nichts machen. Aber immerhin hat er eine Fahrkarte. Die Männer gingen an ihm vorbei.

Kurz vor München ging ich nochmal zu dem jungen Mann aus Afrika. Ich schrieb ihm die Adresse des Münchner Flüchtlingsrats auf, der Bahnhofsmission, der Caritas. Ich sagte, dass es sein könnte, dass er bald nach Italien zurückgeschickt werde. Er meinte, er käme jetzt zurecht.

Am Hauptbahnhof stiegen wir aus, Opa holte uns ab. Zuhause recherchierten wir über Gambia. Ein kleiner Staat zu beiden Seiten des Flusses „Gambia“. Eine Hauptstadt namens „Banjul“. Nie gehört. Auch den Namen des Mannes weiß ich nicht. Nennen wir ihn “Franz”. Vielleicht hilft das, sich vorzustellen, dass auch ein Flüchtling aus Afrika zum Münchner werden kann.

 

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14.1.: Weltreporter Philipp Hedemann liest in Leipzig

Dreieinhalb Jahre lebte Weltreporter Philipp Hedemann in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Über seine Begegnungen und Reisen im Land am Horn von Afrika schrieb er das Buch “Der Mann, der den Tod auslacht”, das im DuMont-Verlag erschienen ist. Am Mittwoch, 14.1., 19 Uhr, liest er daraus in der Buchhandlung Ludwig im Leipziger Hauptbahnhof.

 

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Adventston 19. 12. – Afrikanischer Busch

_MG_9570ADer afrikanische Busch. Aufgenommen in Zentralkenia, in einer von Masai geführten Lodge, der Il Ngwesi-Lodge. Bettina Rühl hat dort über Elfenbeinwilderei recherchiert: “Zur Lodge fuhr ich, die Wilderei in dieser Region stark abgenommen hat, seit die Masai ganz direkt vom Tourismus profitieren. Jetzt erst erscheinen ihnen die Tiere, auch die Elefanten, wirklich schützenswert. Ein wirklich schöner Fleck Erde, und die Geräusche aus dem Busch sind immer nah.”

Anhören: zum tönenden Adventskalender

Von der kenianischen Hauptstadt Nairobi aus schildert Bettina, was die großen politischen Prozesse und Umbrüche in Afrika für den Alltag der Menschen bedeuten. Mit mehreren Medienpreisen wurde Bettinas ARD Radio-Feature “Die Macht der Warlords von Mogadischu“ (2012) ausgezeichnet, darunter der Leipziger Medienpreis. Im Frühjahr 2013 erhielt sie für ihre einstündige Hörfunk-Dokumentation “Der Anführer” in Berlin den “Reemtsma Liberty Award”.

 

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Adventston 11. 12. – Auftakt Lubanga-Prozess …

… vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (Foto: ©ICC-CPI–Wim Cappelen).

_MG_9506AC_Building©ICC-CPI--Wim_CappelenKerstin Schweighöfer ist vor allem als Hörfunkjournalistin bekannt, sie ist häufig auf DRadio zu hören, wenn es um niederländische Themen geht wie Tulpen, Fußball und Königshaus, aber auch gesellschaftliche Dauerbrenner wie Sterbehilfe und Drogen, Einwanderungspolitik und Rechtspopulismus. Und seit einiger Zeit auch Kriegsverbrecherprozesse wie die gegen Karadzic und Mladic.

In den letzten zehn Jahren haben sich immer mehr internationale Institutionen und Tribunale in Den Haag niedergelassen: Angefangen bei Eurojust und Europol über das UN-Büro zum Verbot chemischer Waffen und den Internationalen Gerichtshof bis hin zum Jugoslawientribunal und dem neuen Internationalen Strafgerichtshof ICC – jenem Weltgericht, das Kriegsverbrechen in aller Welt ahnden soll und als Meilenstein in der Entwicklung des internationalen Rechts gilt.

Den O-Ton vom Auftakt des Prozesses gegen den kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga Dyilo nahm sie auf für ein Deutschlandfunk-Hintergrundstück über die Bedeutung der internationalen Strafgerichtshöfe in Den Haag.

Wir finden: Auch so ein O-Ton gehört in einen Welt-Ton-Adventskalender.

 

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Adventston 10. 12. – Nilpferde im Garamba Nationalpark

_MG_9570AVon der keniBettina Rühl, Nairobi 2013-05-08 00.02.04anischen Hauptstadt Nairobi aus schildert Bettina Rühl, was die großen politischen Prozesse und Umbrüche in Afrika für den Alltag der Menschen bedeuten. Mit mehreren Medienpreisen wurde Bettinas ARD Radio-Feature “Die Macht der Warlords von Mogadischu“ (2012) ausgezeichnet, darunter der Leipziger Medienpreis. Im Frühjahr 2013 erhielt sie für ihre einstündige Hörfunk-Dokumentation “Der Anführer” in Berlin den “Reemtsma Liberty Award”. In dem ARD-radiofeature geht es um den ruandischen Milizführer Ignace Murwanashyaka. Er muss sich seit Mai 2011 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verantworten. Die Anklage wirft ihm vor, von Deutschland aus Kriegsverbrechen im Kongo befohlen und gesteuert zu haben.

Zu ihrem O-Ton “Nilpferde” im Weltreporter-Adventskalender schreibt Bettina: “Aufgenommen im kongolesischen Garamba-Nationalpark, dort war ich unterwegs für ein Feature über den Zusammenhang zwischen der Finanzierung von Milizen und Elfenbeinwilderei. Die Töne stammen von einer großen Nilpferde-Badestelle, dutzende Tiere zusammen, auch Jungtiere. Vorsicht ist geraten, weil Nilpferde schnell und gefährlich sind. Sie haben mich zwar beobachtet, sich aber sonst nicht weiter stören lassen.”

 

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Adventston 4. 12. –  ein schnurrender Gepard in … ?

March_Interview mit Gepard KopieHier schnurrt keine Hauskatze, sondern die Gepardin Thandi. Gemütlich auf der Seite liegend ließ sie sich von Leonie March streicheln. Leonie: “Ich hatte dabei eher ein flaues Gefühl im Magen. Die zahme Raubkatze ist die Attraktion des „Tenikwa Wildlife Awareness Centre“ an Südafrikas Garden Route. Durch die Tuchfühlung mit den Geparden sollen Touristen für den Schutz der bedrohten Raubtiere sensibilisiert werden.” Über das Centre hat Leonie u. a. in einer Reportage für Deutschlandradio Kultur berichtet.

Leonie lebt und arbeitet seit 2009 in Durban, Südafrika. Reportagen, Features und Analysen aus den Ländern des Südlichen Afrika sind ihre Spezialität. Dabei stellt sie bewusst die Klischees und Vorurteile gegenüber dem „schwarzen Kontinent“ auf die Probe. Als Radio-Korrespondentin berichtet sie aus Kultur, Politik und Gesellschaft, unter anderem für Deutschlandradio Kultur, Deutschlandfunk, SRF und Monocle24. Den Gepard können Sie hier hören.

 

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Couragiert und kritisch – Erinnerung an Nadine Gordimer

Der Besuch bei Nadine Gordimer in Johannesburg gehört zu den eindrucksvollsten meines Reporter-Lebens. Es war im November letzten Jahres, kurz vor ihrem 90. Geburtstag. Die Literaturnobelpreisträgerin empfing mich im Salon – eine zierliche alte Dame mit lebhaften Augen. Äußerlich wirkte sie fragil, beim Gehen stützte sie sich auf einen Stock, trotzdem ging eine enorme Kraft von ihr aus. Sie sprach konzentriert, auf den Punkt, fast druckreif. Eine wachsame Beobachterin, immer bereit für ein Streitgespräch. Kritisch, couragiert, prinzipientreu.

Vor der demokratischen Wende bot sie dem Apartheid-Regime die Stirn, sowohl in ihren Büchern, als auch als politische Aktivistin. Der Tag der ersten freien Wahlen sei wundervoll gewesen, erinnerte sie sich mit funkelnden Augen. Leider hätten viele, auch sie selbst, damals nicht daran gedacht, wie lange die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme in ihrer Heimat nachwirken würden. Trotz ihrer jahrzehntelangen Verbundenheit übte sie zuletzt scharfe Kritik an der Führung der Regierungspartei ANC, prangerte Korruption, Misswirtschaft und Zensur an. Und blieb sich damit treu.

Sie habe ein erfülltes Leben gehabt, sagte mir Nadine Gordimer. Das Beste in ihr, alles Erwähnenswerte stecke in ihren Büchern. Mit dem Leben selbst sei es, wie mit einer Blume: “Die Knospe öffnet sich, sie blüht und vergeht dann langsam. Andere werden nachwachsen.”  Nadine Gordimer jedoch war eine außergewöhnliche Blume. Ihr Tod hinterlässt in Südafrika eine Lücke, die nur schwer zu füllen sein wird.

 

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Mandelas Erbe

Es ist beeindruckend, wie die Südafrikaner in ihrer Trauer um Nelson Mandela zusammenstehen. Hautfarbe oder Herkunft spielen in diesen Tagen keine Rolle. Das Land ist sich selten einig in seiner Dankbarkeit und Würdigung des Lebenswerks ihres „Vaters der Nation“.

Menschen, die sich sonst keines Blickes würdigen, umarmen sich spontan. Sie kommen in den langen Schlangen vor den vielen improvisierten Gedenkstätten und vor öffentlichen Gebäuden, in denen Kondolenzbücher ausliegen, ins Gespräch. Sie bekennen sich zu ihrer Verantwortung, indem sie auf Plakate schreiben „Jetzt liegt es an uns, den langen Weg zur Freiheit weiterzugehen.“.

Es sind diese vielen kleinen, berührenden Szenen und Gesten, die Nelson Mandela wahrscheinlich mehr freuen würden, als all die salbungsvollen Worte von Politikern und Würdenträgern. Südafrika demonstriert wieder einmal, dass es das Potenzial zur Regenbogennation hat. Auch wenn es im Alltag noch längst nicht ausgeschöpft wird.

Die gemeinsame Trauer, so scheint es momentan, könnte den Südafrikanern Kraft geben, sich wieder darauf zu besinnen, was sie eint, statt darauf, was sie trennt. Viele sind sich dessen bewusst, dass nun eine neue Ära beginnt. Sie haben die Symbolfigur des Freiheitskampfes verloren und damit in gewisser Weise auch den moralischen Kompass.

Das kann verunsichern und verängstigen. Aber es kann auch motivieren, engagiert für eine bessere Zukunft einzutreten, untereinander mehr Menschlichkeit zu zeigen und die mühsam errungenen demokratischen Werte zu verteidigen; auch gegen die ehemalige Befreiungsbewegung und heutige Regierungspartei ANC.

Zwar scheinen die Probleme des Landes manchmal unüberwindbar – die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich, die weiterhin bestehenden rassistischen Stereotype, die Verrohung der Gesellschaft, Gewaltkriminalität, Arbeitslosigkeit, Aids und die ausufernde Korruption – doch Südafrika ist das scheinbar Unmögliche schon einmal gelungen; der friedliche Übergang von der Apartheid zur Demokratie.

Wenn nur ein wenig von Mandelas Geist, der momentan überall im Land spürbar ist, auch nach der Trauerzeit erhalten bleibt, dann gibt es am Kap weiterhin Grund zur Hoffnung.

 

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Etappensieg für die Pressefreiheit

Er hat nicht unterschrieben. Bravo! Südafrikas Präsident Jacob Zuma hat ein Gesetz zurück ans Parlament geschickt, gegen das Journalisten und Bürgerrechtler hier am Kap jetzt schon seit Jahren kämpfen. Das „Gesetz zum Schutz staatlicher Information“, in Südafrika besser bekannt als „Secrecy Bill“, frei übersetzt Geheimhaltungsgesetz. Denn mit diesem Gesetz hätten investigativen Journalisten und Whistleblowern drakonische Strafen gedroht, das Recht der Bürger auf Information hätte drastisch und willkürlich beschnitten werden können, Behörden hätten korrupte Machenschaften spielend vertuschen können – um nur einige der Einwände zu umreißen. Die Liste ist noch viel, viel länger. All das ist so gar nicht im Sinne der südafrikanischen Verfassung, die als eine der liberalsten der Welt gilt und Presse- und Meinungsfreiheit groß schreibt. Doch was gelten heute die Ideale des Freiheitskampfes, das Vermächtnis Nelson Mandelas. Der ANC blieb stur.

Trotz aller Kritik hatte die Regierungspartei den Gesetzentwurf mit überwältigender Mehrheit vom Parlament verabschieden lassen. Daher ist es jetzt umso köstlicher, dass ausgerechnet Jacob Zuma die Reißleine zieht. Teile des Gesetzentwurfs entbehrten jeden Inhalts, seien unstimmig, ja irrational und seien daher verfassungswidrig, sagte er gestern vor Journalisten. Da zergeht jedes einzelne Wort auf der Zunge. Zwar konnte Zuma nicht begründen, was genau er ändern lassen möchte. Schwamm drüber. Die Entscheidung hat er wohl nicht selbst gefällt, sondern seine juristischen Berater. Denn das Gesetz hätte in dieser Form niemals einer Verfassungsklage standgehalten und genau damit hatten die Gegner gedroht. Damit ist der Kampf für alle, die in Südafrika noch an Pressefreiheit und Bürgerrechte glauben noch nicht vorbei. Es ist unklar, ob die Abgeordneten jetzt zum x-ten Mal einzelne Passagen ändern, oder das Gesetz ganz in die Tonne treten. Aber erstmal ist es ein wichtiger Etappensieg. Glückwunsch!

 

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Die gelbe Gefahr!

 

Aus aktuellem Anlass ein paar Worte zur »gelben Gefahr«, weil mir vorhin auf Facebook jemand Folgendes schrieb:

 

»Ich frage mich, warum der gelbe Hintergrund in Ihrem Facebook-Profilfoto, der aktuell als Kennzeichen der Muslimbrüder-Sympathisanten angesehen wird? Ich erwarte Neutralität von Journalistinnen und Journalisten!«

Nun, ähemm, das Foto steht so, wie es aussieht, seit April 2011 auf meiner Facebook-Seite, weil ich damals dachte, dass rot und gelb zusammen so’ne schöne Signalwirkung entfalten. Hat mir einfach gut gefallen. Dass es die Farbe der Muslimbrüder sein soll, ist mir unbekannt (seit GESTERN verwenden sie allerdings einen gelben Hintergrund in einem ihrer Protestlogos). Man könnte über den Vorwurf an mich lachen, wenn er nicht ein Beispiel dafür wäre, wie so manchem Ägypter (und Deutschen in Ägypten und Deutschen in Deutschland, der sich für Ägypten interessiert) in dieser Atmosphäre der Hysterie die Nerven durchgehen.

 

 

Ich richte ja nie meine Berichterstattung an den Stimmungswogen der Leute aus. Eine der Hauptfragen, die ich mir beim Recherchieren und Schreiben selber stelle, lautet: »Ist das, was ich sehe, jetzt wirklich das, was ich denke, was es ist…?« Will sagen: Es gibt ziemlich viele Gründe dafür, immer und überall kritisch unter die Oberfläche zu gucken. Was Ägypten betrifft, gilt das nicht nur für die Islamisten, auch für Militär, Sicherheitskräfte, Opposition usw. usf. Alles andere wäre journalistisch falsch (und außerdem sterbenslangweilig).

 

 

Ich weiß, dass das schwierig für jene ist, die nach einfachen ›Wahrheiten‹ dürsten, nach solchen, die am besten auch noch ihren Stimmungen und Erwartungen entsprechen. Ich verstehe das ja, aber es ist journalistisch nicht machbar. Ich erhalte auch Post, in denen Unterstellungen stehen wie: »Sie haben doch die Muslimbruderschaft immer geschont und die Gefahr verharmlost!« — Wahlweise steht statt Sie auch gern Ihr für »Ihr Journalisten«…

 

 

Wen es interessiert, ich verlinke hier mal ein paar meiner Beiträge, die ich eben auf die Schnelle rausgesucht habe. Das soll keine Rechtfertigungsein (dazu gibt es keinen Grund), sondern eine Ermunterung dazu, mal ein bisschen genauer in die deutschen Medien hineinzugucken oder hineinzuhören. Da gibt es bei meinen Kollegen (auch von WELTREPORTER.NET) ne ganze Menge zu entdecken, zum Beispiel in den Tageszeitungen und auf den öffentlich-rechtlichen Radiosendern (sehr empfehlenswert!) und zum Beispiel besonders auch bei Karim El-Gawhary.

 

 

Hier Links zu ARD-Hörfunkbeiträgen von mir aus dem Frühjahr und Winter:

 

 

Das folgende Stück hier wurde knapp drei Monate vor der Entmachtung Mursis gesendet, ich lasse einen ägyptischen Gesprächspartner erklären, warum er die Ideologie der Muslimbruderschaft für gefährlich & faschistisch hält :

 

 

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2013/04/12/drk_20130412_2248_aeceaafc.mp3

 

 

Hier zu Menschenrechtsverletzungen unter Mursi (April 2013):

 

 

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2013/02/11/drk_20130211_1214_7d7da371.mp3

 

 

Hier genau zur Hälfte der Amtszeit Mursis (Januar 2013), ebenfalls über Menschenrechtsverletzungen und repressive Politik:

 

 

http://www.tagesschau.de/ausland/aegypten1410.html

 

 

Hier die ersten Massenproteste gegen Mursi & Muslimbruderschaft im Dezember 2012:

 

 

http://www.tagesschau.de/ausland/aegypten-proteste110.html

 

 

Das sind einige von vielen Beispielen. Auf den Text-Webseiten gibt es jeweils immer auch ein Audio-Logo, auf das man klicken kann, um sich das jeweilige Stück anzuhören.

 

 

Mal auch ganz spannend für mich, in der Rückschau zu gucken, wie die eigene Berichterstattung damals aussah. ■

 

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Ägypten – das Reich der Phantasie

Dass die Wahrheit in Konflikten auf der Strecke bleibt, ist eine Binsenweisheit, ebenso wie die Tatsache, dass mit Informationen Politik gemacht wird. Geschenkt. Es gibt nichts, das ein Journalist nicht kritisch abklopfen muss.

 

Am 26. Januar 2011, dem zweiten Tag des ägyptischen Volksaufstandes gegen Mubarak, bin ich tagsüber zu drei Orten in der Nähe des ARD-Studios gegangen, für die Regimegegner Demos mit mehreren Tausend Menschen über Twitter und auf Facebook vermeldet hatten. An nicht einem der drei Orte traf ich auch nur einen einzigen Demonstranten an.

 

Bei Opferzahlen sieht’s nicht anders aus. Wem hohe Zahlen nutzen, der vermeldet hohe Zahlen, wem nicht, der nicht. Fotos von Kindern, die das ägyptische Militär angeblich bei ihren brutalen Angriffen gegen Mursi-Anhänger in Kairo tötete, erwiesen sich später als Bilder von Kinderleichen aus Syrien.

 

Diese Bilder waren auf Webseiten aufgetaucht, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Andere Webseiten fanden die Quelle und stellten die Screenshots der ägyptischen sowie der syrischen Webseite nebeneinander –beide zeigen dasselbe Massakerfoto, nur mit einer anderen Bildunterschrift.

 

Ich habe aber auch schon Webseiten mit solchen Gegenüberstellungen gesehen, bei denen der »Beweis«, also der Screenshot von der Webseite mit dem angeblichen Originalfoto, eine Fälschung war – und das angeblich »entlarvte« Foto aber echt. Alles ziemlich verworren.

 

Gestern tauchten in Ägypten Fotos von Männern in Zivil auf, die mit Maschinengewehren bewaffnet am Rande von Demonstrationen durch Kairos Straßen liefen. Angeblich soll es sich um bewaffnete Mursi-Anhänger gehandelt haben. Das kann stimmen, ich habe selber in den letzten Wochen Mursi-Anhänger mit Waffen gesehen. Die Behauptung kann aber auch falsch sein. Andere Fotos von gestern zeigen Männer in Zivil und mit Maschinengewehren, die mit Polizisten in der Sonne stehen, plaudern und ganz offensichtlich zu ihnen gehören.

 

Zu welcher ‘Seite’ gehören Männer in Zivil, die in der Nähe von Protesten mit Waffen rumlaufen? Das Publikum entscheidet sich für die Antwort, die es hören will. Das ist der Hauptpunkt. Nur wenige der vielen Falschinformationen und Behauptungen dienen noch dazu, einen Beweis zu suggerieren. Sie sollen einfach nur Stimmungen beeinflussen, bei Leuten, die ohnehin schon in einer bestimmten Weise gestimmt sind.

 

Es ist inzwischen völlig egal, wie plausibel diese Behauptungen sind. Sie tauchen auf, sie putschen auf. Sie sind ein paar Stunden später schon wieder aus der Wahrnehmung verschwunden und haben ihren Zweck erfüllt. Im Zeitalter von Social Media und von Fernsehbildschirmen, die rund um die Uhr flimmern, erwartet niemand mehr, das irgendwas von dieser Informationsflut später dementiert oder entlarvt wird. Es guckt sich alles einfach so weg.

 

Seit Mittwoch wurden in Ägypten landesweit mehrere Dutzend Kirchen gestürmt, verwüstet und/oder in Brand gesteckt. Ich habe in Videoaufnahmen Täter gesehen, bei denen es sich mit ziemlicher Sicherheit um Sympathisanten von Mursi und der Muslimbruderschaft handelte – zur ‘Rache’ womöglich angefeuert durch die Reden, die wochenlang von der Protestcamp-Bühne an der Rabaa-al-Adawiyya-Moschee hallten und in denen aufs Übelste immer wieder auch gegen Christen gehetzt wurde.

 

Auf Aufnahmen von anderen der attackierten Kirchen sah ich Angreifer, die mit Pick-up-Trucks kamen und bei denen es sich unverkennbar um Baltagiyya-Schlägertrupps handelte, um jene meist jungen, verrohten Männer aus Armenvierteln, die seit Jahrzehnten für Funktionäre der Mubarak-Nomenklatura die Drecksarbeit machen, nicht selten vollgepumpt mit Bango (Marihuana), und die ein paar ägyptische Pfund für ihren Einsatz erhalten.

 

Eine ägyptische Koptin aus Beni Suef (die ich nicht kenne und für deren Äußerungen ich nicht bürgen kann) schrieb auf ihrer Facebook-Seite (mehrere Tausend Abonnenten): »Glaubt mir! Die, die bei uns im Ort die Kirchen anzündeten, waren Geheimdienstleute in Zivil und Männer von der NDP (Mubaraks 2011 aufgelöster Regierungspartei).« In einem Fernsehinterview an jenem Mittwoch erzählt ein koptischer Kirchenfunktionär aus Al-Minya, dass die Angriffe auf alle Kirchen im Ort exakt zur selben Zeit nach demselben Muster abliefen und vor allem in jenem Moment im Morgengrauen stattfanden, als in Kairo die brutale Räumung der Protestcamps der Mursi-Anhänger gerade begonnen hatte. Die Kopten riefen die Polizei an und baten um Schutz und Hilfe, aber bei keiner der überfallenen Kirchen habe sich die Polizei blicken lassen, bis zum Schluss nicht.

 

Es bleibt einem nichts weiter übrig, als sich auf all das irgendwie selber einen Reim zu machen – indem man so aufwändig und so kritisch wie möglich recherchiert und indem man die eigenen, Jahre langen Erfahrungen bei der Beurteilung hinzuzieht. Nach dem, was ich von den Überfällen auf die Kirchen gesehen habe, würde ich sagen: sowohl radikale, aufgehetzte Mursi-Sympathisanten als auch koordiniert agierende Angreifer, die Überfälle orchestrierten, die den Islamisten in die Schuhe geschoben werden können.

 

Vorfälle dieser und ähnlicher Art müssten von offizieller Seite untersucht werden. Nach jedem Blutbad der letzten zweieinhalb Jahre wurde schonungslose Aufklärung versprochen, aber ich kann mich an keinen einzigen Untersuchungsbericht erinnern. Und wenn es Pressekonferenzen gab, auf denen »Untersuchungsergebnisse« präsentiert wurden, waren sie keine einzige der Minuten wert, die man für sie opferte.

 

Im Oktober 2011 habe ich sechs Stunden lang aus nächster Nähe mit ansehen müssen (ich konnte den Ort nicht verlassen), wie das ägyptische Militär vor dem TV-Gebäude Maspero ein Massaker unter Teilnehmern einer Christendemonstration verübte. Ich sah Soldaten, die auf Menschen schossen (die dann getroffen zusammensackten), ich sah, wie gepanzerte Militärfahrzeuge über Demonstranten fuhren. Am Ende waren mindestens 27 Menschen tot.

 

Ein paar Tage später gaben Armeeoffiziere auf einer Pressekonferenz die offizielle Version der Militärs bekannt. Fast alles, was sie sagten, war praktisch das Gegenteil von dem, was ich selber gesehen hatte. Ähnliche Erfahrungen macht man immer wieder auch mit Erklärungen anderer Behörden. Es ist leider so, dass die Informationen offizieller Stellen in Ägypten keinen Wert haben. Sie können stimmen (und tun das womöglich hin und wieder auch), aber sie können ebenso gut auch komplett dem Reich der Phantasie entstammen. Man könnte sie eigentlich ignorieren. Sie helfen einem bei der Suche nach dem Hergang der Ereignisse keinen einzigen Millimeter weiter. ■

 

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Vier First Ladies

„Verwitwet, geschieden, verheiratet und verlobt – unser Präsident ist all das gleichzeitig!“ twittert ein Südafrikaner. Selbst Hugh Hefner würde da vor Neid erblassen, schreibt ein Kolumnist. Jacob Zuma sei die Elisabeth Taylor unter den Staatspräsidenten. Doch angesichts der präsidialen Hochzeit Nr.6 an diesem Wochenende sind nicht alle am Kap der guten Hoffnung zum Scherzen aufgelegt. Polygamie ist in Südafrika zwar legal, doch langsam stößt die Nation an ihre Toleranzgrenze. Präsident Zuma heiratet zum dritten Mal in vier Jahren. Das Land hat nun also vier First Ladies. Getreu nach seinem Motto: „Viele Politiker haben Geliebte und tun nur so als seien sie monogam. Ich bin lieber offen. Ich liebe alle meine Frauen und Kinder.“

Es ist ein protokollarischer Alptraum: Zuma nimmt mal die eine, mal die andere mit zu Staatsbesuchen ins Ausland, zu offiziellen Veranstaltungen in seiner Heimat gern auch alle seine Ehefrauen. Viele Südafrikaner finden das einfach nur peinlich oder unmoralisch. Andere fragen sich, wer die ständig wachsende Präsidentenfamilie, denn zu den vier Frauen kommen noch mindestens 20 Kinder, finanzieren soll. Da hilft auch die Beschwichtigung des Präsidialamtes nicht, Zuma würde seine Hochzeit natürlich aus eigener Tasche bezahlen und seine Frauen wohnten allesamt in Privathäusern. Denn alle wissen: Der Steuerzahler muss trotzdem für Sekretariate, Sicherheitsleute und Reisen der First Ladies aufkommen.

Jacob Zuma selbst kratzt das alles nicht. Auf die Frage, ob dies denn nun seine letzte Hochzeit sei, antwortete er schmunzelnd: „Ja, wahrscheinlich.“ Skepsis ist angebracht, schließlich bleibt der polygame Präsident noch bis 2014 im Amt, Zeit für mindestens zwei weitere Hochzeiten wäre also noch. Verlobt ist er bereits, First Lady Nr.5 steht schon in den Startlöchern.

 

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Flensburger Verkehrssünder-Datei auf äthiopisch

Als ich noch in Deutschland wohnte, hatte die Flensburger Verkehrssünder-Datei für mich keinen guten Klang. Mittlerweile lebe ich in Äthiopien und die Verkehrssünder-Datei in Flensburg ist für mich der Inbegriff von Rechtsstaatlichkeit, Effizienz und Bürgerservice. Denn man kann Verkehrsdelikte – oder vermeintliche – auch anders ahnden. Nämlich so.

 

Vor ein paar Tagen fiel mir auf, dass an meinem Auto das hintere Kennzeichen abgeschraubt wurde. Zuerst dachte ich, jemand, der nichts Gutes im Schilde führe (was für ein billiges und dennoch hinweisbedürftiges Wortspiel) wolle meine autofahrerische Identität annehmen, aber das vordere Kennzeichen war dort, wo es hingehörte, und mit nur einem gestohlenen Kennzeichen wird wohl kaum jemand sein Fluchtfahrzeug bestücken.

 

Ein äthiopischer Freund sagte mir, dass das entwendete Kennzeichen wohl eher der Ahndung, denn der Vertuschung eines Vergehens dienen solle. Vermutlich hätte ich mir etwas zu Schulden kommen lassen, und die Polizei, mein Freund und Helfer, habe das Kennzeichen abgeschraubt, um mich zu maßregeln. Plötzlich machten all die Polizisten, die auf den Kreuzungen Addis Abebas lässig mit Nummernschildern unterm Arm herumstehen, Sinn. Der Polizist mit den meisten Blechen schien immer der wichtigste zu sein. Allerdings nicht der beliebteste.

 

 

Schon oft habe ich gesehen, wie Wachmänner sich – bewaffnet mit Schraubenzieher und Schraubenschlüssel – einem Wagen näherten. Meist versuchten die Autofahrer das irgendwie zu verhindern, meist zogen sie den Kürzeren. Aber immerhin konnten sie die schraubenden Polizisten fragen, wie sie wieder an ihr Schild kommen könnten.

 

Ich wusste es nicht. Also rief ich die Polizei an und schilderte mein Problem. Da ich nicht angehalten worden war, musste das Kennzeichen abmontiert worden sein, während das Auto stand. „Wo haben Sie in letzter Zeit geparkt“, fragte der Beamte. Da ich möglicherweise schon ein paar Tage ohne Nummerschild rumgefahren war ohne es zu bemerken, kamen viele Orte in der Millionen-Metropole Addis Abeba in Frage. Und somit sehr viele Wachen, bei denen die Polizisten abends ihre Tagesbeute abliefern.

 

Ich sagte für den nächsten Tag alle Termine ab, und wurde um 8 Uhr bei einer Polizeiwache in meiner Nachbarschaft vorstellig. Auf der Suche nach meinem Nummerschild schaute der Beamte einen dicken Folianten durch, in dem handschriftlich  die sicherstellte Nummernschilder vermerkt worden waren. Der Wälzer erinnerte mich an das Haushaltsbuch eines Klosters aus dem Museum. Doch weder in dem dicken Buch noch in einem mit Nummerschildern gefüllten Schrank tauchte mein Kennzeichen auf. „Wir haben es nicht. Eine zentrale Registrierung abgeschraubter Nummerschilder haben wir auch nicht. Versuchen Sie es mal in einem anderen Revier“, sagte der Beamte und wünschte mir viel Glück.

 

Ich hatte viel Glück. Ich weiß nicht, wie viele Polizeiwachen es in der äthiopischen Hauptstadt gibt. Dutzende? Mehr als Hundert? Eine Polizistin fand mein Schild in der zweiten Wache, die ich aufsuchte. Angeblich hatte ich im Halteverbot geparkt. 80 Birr, umrechnet 3,47 Euro, sollte mich das kosten. Allerdings konnte ich meine Schuld nicht an Ort und Stelle begleichen, um das Nummerschild auszulösen. Die Polizistin schickte mich zu einem Postamt, in der ich eine Bareinzahlung leisten und mit der Quittung zu ihr zurückkehren sollte. „Wir machen das nicht mehr“, sagte der Postbeamte als ich die 80 Birr entrichten wollte – und schickte mich zu einer anderen Filiale. Dort reichte die Schlange bis auf den Bürgersteig – und bewegte sich nicht. Das erste Mal in meinem Leben heuerte ich einen professionellen Schlangesteher an. Ich zahlte ihm mehr als ich dem äthiopischen Staat schuldig war. Für den Schlangesteher ein super Lohn und für mich bestens investiertes Geld, denn der gute Mann stand im kafaesken Postamt mehrere Stunden an, bevor er die 3,47 Euro zahlen durfte.

 

Mit der Quittung löste ich am nächsten Tag problemlos Kennzeichen und Führerschein aus. De facto erhöhte mein Bußgeld sich dabei noch auf 3,56 Cent, da der Polizist, der mein Nummerschild abgeschraubt hatte, leider auch die Muttern einkassiert hatte, ich deshalb zwei neue kaufen musste.

 

Auf dem Rückweg bin ich noch mal an der Stelle vorbeigefahren, an der mir das Nummernschild laut Polizei abgeschraubt wurde. Ein Parkverbotsschild ist dort weit und breit nicht zu sehen.

 

 

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Training mit dem Lachweltmeister. Ein Selbstversuch

Vor mir kugelt sich ein Mann in weißem Kittel auf dem Boden und lacht hysterisch. Seine Augen treten hervor, Schweiß und Tränen rinnen über sein erhitztes Gesicht, aus den Mundwinkeln quillt Spucke. Er zuckt mit den Beinen, rudert mit den Armen, dann zerrt er an seiner eng gebundenen Krawatte, um Luft zu bekommen. Ist der Mann verrückt geworden? Hat er Drogen genommen? Muss ich einen Arzt rufen? Nein, muss ich nicht, denn ich bin gekommen, um von diesem Mann etwas zu lernen. Lachen. Belachew Girma ist Lachweltmeister. In Dachau lachte er 2008 drei Stunden und sechs Minuten. Am Stück. So viel Zeit habe ich nicht. Und so wie der Typ auf dem Fußboden möchte ich eigentlich auch nicht werden. Aber ein bisschen mehr zu lachen zu haben – warum nicht?

Als Belachew sich Schweiß, Speichel und Tränen aus dem Gesicht gewischt hat, stellt er sich vor mich, zeigt mit dem Finger auf mich, und sagt etwas, das ich nicht verstehe. Er und die 22 Äthiopier, die sich zum Lachseminar angemeldet haben, finden es sehr lustig und fangen an zu lachen. Ich habe eher das Gefühl, sie lachen über mich. Nach ein paar endlosen Sekunden, fange ich auch an, zu lachen. Nicht, weil ich die Situation so komisch finde, sondern weil es mir lieber ist, wenn die Leute mit mir anstatt über mich lachen. Es wirkt. Ich werde erlöst. Belachew zieht weiter, lacht zunächst scheinbar wieder über, dann mit dem nächsten Kursteilnehmer.

Wie kommt jemand darauf, ausgerechnet in Äthiopien, einem Land, in dem es oft nicht viel zu lachen gibt, die erste Lachschule Afrikas zu gründen? Und warum gehe ich zum Training?

„Wir geben Training, wie man über Hunger und Zerstörung lacht“, heißt es auf der Homepage des Lachinstituts. Ich würde eigentlich lieber über heiterere Dinge lachen, aber zumindest hat dieses seltsame Lernziel meine Neugier auf den komischen Vogel, der über Hunger und Zerstörung lachen kann, geweckt.

Die Teilnahme an vier Sitzungen der Lachschule kostet 450 Birr. Etwa so viel wie ein ungelernter Arbeiter im Monat verdient. Neben den lautstarken praktischen Übungen kriege ich dafür per Powerpoint auch Kalenderspruch-Weisheiten wie „Wenn das Leben Dir eine Zitrone gibt, quetsche sie aus, und mache eine Limonade daraus“ oder „Niemand ist arm, solange er noch lachen kann“ verabreicht. Ich finde die Sprüche nicht soooo witzig, aber
die Streber im Kurs quittieren alles mit schallendem Gelächter, versuchen gar, das Gegluckse des großen Meister zu übertönen.

„Ich war mal HIV-positiv. Jetzt bin ich gesund. Gott halt mich geheilt, und Lachen ist die beste Medizin“, sagt Belachew mir nach dem Training mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet.

Während ich dies schreibe, habe ich tierische Kopfschmerzen. Ich habe gerade versucht, sie wegzulachen. Sie sind noch immer da. Allerdings habe ich bislang auch nur eine Trainingssession besucht.

 

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Kai Schächtele mit “WM – ein Wintermärchen” für Grimme Online Award nominiert

Sie wollten mal zeigen, wie Journalismus auch gehen kann – auf eigene Faust losfahren, alles mit eigenen Augen sehen und hören und dann täglich und stündlich und multimedial für einen Leser-Kreis berichten. Unser Weltreporter-Kollege Kai Schächtele und der Fotograf und Designer Christian Frey waren im vergangenen Jahr zwischen Kapstadt und Johannesburg unterwegs, um von hinter den Kulissen der Fußball-Weltmeisterschaft zu berichten – für eine ständig wachsende Zahl von Fans.

Jetzt ist ihr “Die WM – ein Wintermärchen” unter fast 2.100 Einsendungen für einen Grimme-Online-Award nominiert worden, zusammen mit 5 anderen in der Kategorie “Wissen und Bildung”. Wir sind ganz schön stolz auf Kai!

So, und wer ihm und Christian beim Grimme Online Award noch Rückenwind geben will – Stimme abgeben für “Die WM – ein Wintermärchen” beim Grimme Online Publikumspreis!

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Wer hat Angst vorm schwarzen Facebook-Mann?

Am 7. Juni wurde in Alexandria der 28jährige Khaled Said von Polizisten aus einem Internetcafé gezerrt und zu Tode misshandelt. Brutale Polizeiwillkür ist in Ägypten keine Seltenheit. Wie bei anderen Anlässen zuvor, zeigt auch diese Tragödie, dass das Land zu jenen auf der Welt gehört, in denen Facebook als zentrales Protestmedium kaum noch wegzudenken ist. Die Gruppe »Wir alle sind Khaled Said« hat jetzt – nicht mal zwei Wochen nach dem tragischen Tod – 112.000 Mitglieder. Die Gruppe »Ich heiße Khaled Muhammad Said« bringt es auf fast 200.000.

Das Web 2.0 als Plattform des Widerstandes ist kein Novum in Ägypten. Über die Facebook-Gruppe »Mohamed ElBaradei« werden 252.000 Mitglieder in Echtzeit über die Aktionen der Reformkampagne des früheren Chefs der Atomenergiebehörde informiert. Im Fall Khaled Saids konnte der öffentliche Druck übers Web 2.0 bereits einen ersten Erfolg erzielen. Schwierig bleibt es trotzdem, in einem Polizeistaat wie Ägypten den Protest aus dem Internet ins wirkliche Leben zu tragen.

Die Sicherheitsdienste lesen ebenfalls Facebook. Wann immer ein Straßenprotest angekündigt wird, sind sie zur Stelle und ersticken die Aktion im Keim. Wie auch am Freitag um 17 Uhr. Die Facebook-Gruppe »Wir alle sind Khaled Said« hatte zu einem Schweigespaziergang an die Uferpromenaden gerufen – in Kairo an die Corniche am Nil, in Alexandria an jene am Mittelmeer. Aus Protest und Trauer sollten die Leute in in schwarzer Kleidung kommen.

Pünktlich um fünf stand in Kairo auch die Bereitschaftspolizei am Nilufer. Beamte in Uniform oder in Zivil und mit Sprechfunkgeräten schlenderten die Promenade hoch und runter. Viel Resonanz erzeugte der Aufruf nicht, schätzungsweise einhundert junge Leute liefen, schwarz gekleidet, das Ufer entlang oder standen an Brückengeländern und lasen im Koran.

Für die Polizisten eine absurde Situation. Wer protestierte, wer spazierte hier ganz normal an seinem arbeitsfreien Freitag? Immerhin sind schwarze T-Shirts, Jacken oder Abayas in Kairo nicht unüblich. Das Spektakel war an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Wie auf einem Kegelklubausflug zogen Gruppen ziviler Beamte in Bundfaltenhosen und vollgeschwitzten Herrenoberhemden die Promenade entlang und versuchten nervös, alle schwarzgekleideten Menschen wegzuschicken. Wie viel Zeit bleibt einem Regime noch, das solche lächerlichen Szenen produziert? Vieles in Ägypten erinnert mich derzeit an die späte DDR.

 

 

 

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Die Fußball-WM – Business as usual?

Vor genau einem Jahr saß ich mit Kai Schächtele im La Siesta Resort am Roten Meer im Cafe »Cute«. Zusammen mit Dutzenden Ägyptern guckten wir das Confed-Cup-Fußballspiel Ägypten–Italien auf einem Großbildschirm. Ein denkwürdiger Abend. Es war das erste Mal seit Jahrzehnten, dass ich mir ein Fußballspiel anschaute, Kai zuliebe, ich wollte ein guter Gastgeber sein. Die Stimmung war hervorragend, Ägypten gewann 1:0.

Jetzt beschäftigt mich Fußball wieder, und wieder ist Kai schuld. Gemeinsam mit Christian Frey präsentiert er täglich Reportagen in Text, Ton & Bild aus Südafrika, die ich einzigartig nennen möchte. Das müssen sie sein, wenn sogar einer wie ich jeden Tag guckt, was es Neues gibt. Unbedingt selbst anschauen: Die WM – ein Wintermärchen.

Während für den Fußball eigentlich verlorene Seelen wie meine vielleicht doch gerettet werden können, haben viele wirkliche Fans in Ägypten das Nachsehen. Der World-Cup-Song, von Nancy Ajram auf Arabisch produziert (bei Youtube hier), stimmt sie auf die WM ein, aber sie können sich die Fußballübertragungen nicht leisten. Bis heute ist mir ein Rätsel, wie ein globales Gesellschaftsereignis, das von der Leidenschaft von Millionen von Menschen lebt, in die Hände solch einer raffgierigen, mitleidslosen Clique wie der FIFA fallen konnte. Auch diese WM ist in Ägypten weitestgehend nur im Pay-TV zu sehen. Detailliert beschreibt das Karim El-Gawhary in seinem Blog.

Vor vier Jahren war es ähnlich. In den Wochen vor der WM 2006 in Deutschland stieg das Fußballfieber in Kairo mit jedem Tag. Dann plötzlich stand fest: Dem staatlichen ägyptischen Fernsehen waren die Übertragungsrechte zu teuer. Während die Welt Fußball guckte, hingen in Kairo die Deutschlandfahnen stumm an den Fenstern. Die WM fand – gewissermaßen unter Ausschluss der Öffentlichkeit – auf dem arabischen Bezahlsender A.R.T. statt. Ein entsprechendes Abo hatten damals nur eine Million Leute in dem 80-Millionen-Land. Wie weh das tun musste, kann nur ermessen, wer einmal Ägypter beim Fußballgucken beobachtet hat. »Jetzt hat uns der Kapitalismus«, sagte damals ein Taxifahrer in Kairo zu mir, »auch noch den Fußball weggenommen.«

Manch ein Ägypter schaffte es, den Code zu knacken, andere konnten sich den überteuerten Tee in jenen Kaffeehäusern leisten, die die Spiele übertrugen. Dass das allerdings eine Minderheit war, konnte ich HÖREN. Als die WM 1994 in den USA stattfand, wurde noch frei übertragen. Ich wohnte damals in der Kairoer Altstadt, in einem Viertel von Ahmed Normalverbraucher. Wegen der Zeitverschiebung erklang der Jubel bis nachts um vier bei jedem Tor aus den Wohnungen der Nachbarschaft. Eine Stadt voller Fußballnarren vier Wochen lang im Ausnahmezustand. Während der WM 2006 in Deutschland war es anders. Kairo blieb still, kein Jubel, kaum irgendwo. Die deutschen Zeitungen verkündeten stolz, wie sehr die deutschen Gastgeber das Ausland begeisterten. In Ägypten durften viele das nicht erleben, weil sie nicht genug Geld haben.

Es wurde sogar extra die Ausstrahlung von ARD und ZDF über den Hotbird-Satelliten eingestellt. Einen ganzen Monat lang zeigte die ARD das Programm ARD Extra mit aufgewärmten Wiederholungen von irgendwas, und auf ZDF lief der Kanal ZDF Doku mit spannenden Themensendungen über Makramee u. ä. Wenn ich in Kairo auf einem dritten Programm um 20 Uhr die Tagesschau guckte, passierte folgendes. Sobald ein aktueller Kurzbericht von den Spielen vom Tage begann, wurde der Bildschirm schwarz und es erschien der Satz: »Aus lizenzrechtlichen Gründen etc.« Und das alles nur, damit die Schmuddelkinder an den Katzentischen der Welt nicht doch noch kostenlos was von der WM sehen, und sei es nur ein Fünf-Minuten-Beitrag in einer Sprache, die sie nicht verstehen.

In diesem Jahr hat sich der verschlüsselte Sportkanal von Al-Dschasira die Übertragungsrechte für die arabische Welt gesichert. Man will, heißt es, einige Spiele unverschlüsselt bringen. Das Trauerspiel hat damit kein Ende. Am ersten Tag kam das Signal über NILESAT nur verkrüppelt in die Haushalte. Al-Dschasira vermutet Sabotage, wie hauseigene Kanäle berichten. Der Satellit wird von der ägyptischen Regierung betrieben, und der ist Al-Dschasira ein Dorn im Auge.

 

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Papa, was ist eigentlich Globalisation?

Nun, mein Junge, es heisst Globalisierung, und Globalisierung ist, wenn in Island ein Vulkan ausbricht, und ich hier in Afrika kein Hotelzimmer finde, weil massenweise Urlauber nicht in ihre Heimatlaender reisen koennen. Deren Rueckfluege wurden naemlich gestrichen.

Die Hotelbetreiber in Hurghada, wo ich heute zwangsweise eintraf, weil ich was recherchieren muss, also diese Hotelbetreiber in dieser Pauschaltouristenhoelle sagen ihren Gaesten, sie sollten nun selber sehen, wo sie bleiben, weil man den Touristen, die aus Russland jetzt ankommen, ihre gebuchten Zimmer nicht verweigern koenne. Deren Fluege wurden ja nicht gestrichen.

So fuehrt der Vulkanausbruch auf Island zu einem Touristenstau in Afrika. Und zu einer Preisexplosion bei den Zimmerpreisen, denn dieselben Hotelbetreiber haben angesichts der zwangsgestiegenen Nachfrage flugs die Raten um schaetzungsweise 30 Prozent erhoeht, gepriesen seien die Naturgewalten. Man kann also sagen, dass mein Geldbeutel in Afrika duenner wird, wenn auf Island ein Vulkan ausbricht. Das ist Globalisierung – oder besser die noch etwas unausgereifte Beta-Version davon.

Ganz zu schweigen davon, dass ich diesen Blogeintrag hier im Internetcafe nahezu blind auf einem kyrillischen Keyboard schreibe.

 

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Lowtech aus dem Osternest

Während der Rest der Welt über den Launch des neuen iPad gestaunt hat, habe ich mir in Nairobi ein Stück vermeintliches Low Tech ins Osternest gelegt: einen Blackberry. Old school, höre ich die Leute schon sagen, zumindest ein iPhone hätte es an diesem denkwürdigen Wochenende doch sein müssen. Aber: in Afrika gehen die Uhren anders – und der Blackberry ist immer noch State of the Art. Zeit, ihn einzurichten, hatte ich freilich noch nicht, weil ein anderes Stück Low Tech meinen Ostersonntag ins Wanken brachte: Kenias antiquiertes Stromnetz. Das brach – wieder einmal ohne ersichtlichen Grund – zusammen, als ich gerade mit Stolz den Osterbraten in die Röhre geschoben hatte. Wer schon einmal versucht hat, einen Zwei-Kilo-Rinderbraten auf einer kleinen Gasflamme zu garen, weiß, was ich danach durchgemacht habe – und die Gäste, die am Abend bei Kerzenschein gute Miene zum gekochten Braten machten. Vorteil: ich musste nicht neidisch im Internet verfolgen, wie die Welt über den iPad schwärmte, der Kenia vermutlich erst in wenigen Jahren erreichen wird. Nachteil: mein Blackberry wartet noch auf seine Einrichtung. Sobald er läuft, werde ich versuchen, Abenteuerliches zu unternehmen: twitter-Feeds vom Handy (check it out: http://twitter.com/marcengelhardt). Höre ich jemanden ‘Low Tech’ stöhnen? See you in Africa.

 

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Badische Backstub im Bom Bom Gym

Der lieben Bewegung wegen gehe ich seit kurzem manchmal in ein Sportstudio mit dem schrägen Namen Bom Bom Gym. Ich verlasse mein Bürogebäude durch den Hinterausgang und laufe zehn Minuten durch ein Armenviertel. An der Stelle, wo das Viertel langsam ins alte Kairoer Arbeiterviertel Boulaq Abul-Eila übergeht, befindet sich das Bom Bom Gym, nicht größer als zwei Wohnzimmer, mit ein paar einfachen Sportgeräten, die vielleicht in den dunklen Werkstätten des Armenviertels hergestellt wurden.

Natürlich gibt es keine Klimaanlage. Die Dusche ist auch nicht gerade ein Spa, und in der Toilette brennt kein Licht. Durch die Fenster zieht von der Straße der Dunst einer nahen Falafelbraterei. Alles sieht ein bisschen so aus, als würden im Bom Bom Gym die Kleinkriminellen der Nachbarschaft trainieren, für einen unschlagbaren Monatsbeitrag von umgerechnet acht Euro. Neulich hatte einer von ihnen ein gelbes T-Shirt mit dem deutschsprachigen Aufdruck »Badische Backstub – einfach besser…« an.

Er hatte es auf der Straße um die Ecke gekauft. In Boulaq gibt es Hunderte Straßenstände mit Billigklamotten á la Adidos und Wrengler und offensichtlich auch mit günstigen Werbe-T-Shirts. Vielleicht werden sie ja hier hergestellt. In dem Armenviertel gibt es Werkstätten aller Art, Druckereien, Bäckereien, Manufakturen für Plastikramsch etc. Neulich sah ich in solch einem Viertel, wie Halbwüchsige im Hinterhof eine selbstgebrühte braune Flüssigkeit in kleine Coca-Cola-Flaschen aus Glas abfüllten, die sie dann fachmännisch mit einem Kronkorken verschlossen. Seitdem bin ich vorsichtig, wenn ich beim Straßenhändler rasch eine Markenerfrischung kaufen möchte.

Diese Viertel sind ein Kosmos der Imitate und Täuschungen, in dem die Leute erfinderisch versuchen, ihre Welt mit jener in Übereinstimmung zu bringen, die ihnen das Satellitenfernsehen zeigt. Sie kriegen das ganz gut hin, wer will es ihnen verübeln.  Auf meinem Weg zurück vom Bom Bom Gym sehe ich, wie scharfkantig die Welten aufeinandertreffen. In der letzten langen Gasse des Armenviertels laufe ich auf mein Bürogebäude zu. Es ist Teil einer Hochhauszeile, hinter bzw. vor der das funkelnde Kairo beginnt. Auf der Vorderseite an der Nil-Promenade gibt es einen Radio-Shack-Laden mit modernster Heimelektronik, gleich südlich daneben das Hilton Ramses Cairo, 36 Stockwerke Luxus. In einem Kino kann man »Avatar« in 3D gucken. Das Ticket kostet so viel, wie ein Arbeiter in drei Tagen nicht verdient.

Ich laufe also – meistens nach Einbruch der Dunkelheit – direkt auf diese Hochhauszeile zu, zwischen den geduckten Katen des Armenviertels hindurch. Die Bürofenster in den Hochhäusern sind um diese Zeit alle dunkel. Die Gebäudezeile sieht aus wie eine riesige, trennende Kulissenwand. Nur am Lichtschein rund um die Rückseite der Neonreklametafeln auf den Dächern kann man erkennen, dass da vorn eine andere Welt existiert. Von hier hinten aus betrachtet erscheint einem die funkelnde Welt vorn wie eine künstliche Theaterdekoration, wie eine Täuschung, auch wenn es dort echte Produktoriginale gibt und keine Markenimitate, auch wenn die Welt dort einem vertraut vorkommt und nicht fremd, wie das Armenviertel hinter der Hochhauskulisse.

Denn drei von vier der 18 Millionen Kairoer, also die meisten, leben in einem jener ärmlichen Viertel – und nicht in dieser funkelnden Täuschung, die Kairo ja auch ist. Es kommt – wie immer – nur drauf an, von wo man guckt.

  VORN

 

HINTEN

 

 

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Malaria

Das schönste an unserem Beruf ist es ja, immer wieder Neues kennen zu lernen. Nicht ganz so schön sind die Dinge, die man kennen lernt. Seit anderthalb Wochen lerne ich beispielsweise eine Krankheit kennen, die ich in den sechs Jahren seit meiner Ankunft in Afrika erfolgreich vermieden habe: Malaria. Allen Besuchern habe ich immer im Brustton der Überzeugung versichert, dass eine Prophylaxe Quatsch ist, weil sie im Fall der Erkrankung die Entdeckungs- und Behandlungschancen herabsetzt. Stattdessen reise ich stets mit einer Packung Doxycyclin im Gepäck, dem von der WHO empfohlenen Stand-by-Medikament. Vorvergangene Woche habe ich sie erstmals geöffnet.

Um kaum eine andere Krankheit ranken sich bei Expats in Afrika so viele Mythen wie um Malaria: wer sie einmal hat, bekommt immer sie immer wieder (stimmt nicht, jedenfalls nicht in unseren kenianischen Breiten), die Leber wird im Nullkommanichts zerstört (stimmt auch nicht, wenn man rechtzeitig behandelt) und man ist wochenlang geschwächt und kommt zu nix mehr (das stimmt, auch wenn dieser Blog eine rühmliche Ausnahme darstellt). Fast schon zynisch die Tatsache, dass ich mir den entscheidenden Mückenstich vermutlich bei der Recherche zu einer Geschichte über eine anstehende Malaria-Impfung geholt habe – die Mücken am Viktoriasee sind für ihre Aggressivität besonders berüchtigt.

Können Sie sich vorstellen, nach so wenig Zeilen schon wieder müde zu sein? Ich auch nicht. Ist aber so. Noch ein paar Tage, sagt der Doktor, dann ist auch das vorbei. Dann lesen wir wieder mehr voneinander. Bis dahin: lassen Sie sich nicht stechen!

 

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Rummelplatz mit Verkehrsinfarkt

Für ein Buchprojekt über die informellen Wohnviertel von Kairo ließ ich mir vor einer Weile im ägyptischen Ministerium für Stadtentwicklung Kairos Zukunft erklären. Man rechnet dort damit, dass in zehn Jahren rund 24 Millionen Menschen in der Megacity wohnen, im Jahr 2050 dann zwischen 32 und 34 Millionen. Das wird ein ziemliches Chaos werden, zumal der interne Kairo-Masterplan, den man mir netterweise kopierte, deutlich mehr Mubarak-Fotos enthielt als konzeptionelle Ansätze gegen die Apokalypse.

Zum Schlamassel, der den schleichenden Tod der Stadt herbeiführt, zählt die Tageszeitung Al-Masry al-Youm den allgegenwärtigen Verkehrskollaps sowie die einzigartige Untätigkeit der Behörden. Ach, wenn sie doch nur untätig wären. Als wir vor ein paar Jahren in unser Viertel zogen, war an der großen Kreuzung unweit unseres Hauses die ägyptische Welt noch in Ordnung. Die Ampeln leuchteten. Niemand schenkte ihnen Beachtung.

Der Verkehr floss zäh, aber stetig. Die Autofahrer einer Richtung fuhren dann los, wenn sie fanden, dass sie lang genug auf den Verkehrstrom aus den anderen Richtungen gewartet hatten. Dieser Pragmatismus ist auf Kairos Straßen üblich, aber den Behörden offensichtlich peinlich. Das ‘unzivilisierte Bild’, wie es gern genannt wird, sollte ein Ende haben. Verkehrspolizisten begannen, den Verkehr manuell zu regeln, während die Ampeln gleichzeitig fröhlich weiter leuchteten, beide meistens asynchron zueinander.

Die Ampeln als Errungenschaft der Moderne wollte man so schnell allerdings nicht aufgeben. Die Behörden installierten große Leuchtanzeigen, auf denen zu sehen ist, wie viele Sekunden es noch dauert, bis die Ampel auf grün bzw. rot schaltet. Die Autofahrer beeindruckte das wenig. Welchen Sinn sollte es auch machen, gebannt den Ampelcountdown zu verfolgen, wenn der Verkehrspolizist dann doch die Fahrbahn sperrt, obwohl endlich Grün kommt.

Was dann geschah, erinnerte mich an die Rechtschreibreform. Jahrelang wurden Regeln aufgestellt und wieder zurückgenommen, bis sich die Leute dachten: Dann schreib ich halt einfach, wie ich es für richtig halte. An meiner Kreuzung bedeutet das: Lethargisch wird losgefahren, wenn sich die Stoßstange des Vordermannes bewegt, den Prinzipien einer unbekannten Macht folgend, deren Ratsschlüsse dem gemeinen Autofahrer verborgen bleiben.

Bald war die Kreuzung nur noch dauerverstopft, und die unbekannte Macht hängte einen riesigen Screen über die Straße, auf dem sie den Autofahrern heilige Verse offenbart. Sie lauten: ‘Geschätzter Verkehrsteilnehmer, der Gurt dient Deiner Sicherheit und der Deiner Mitfahrer.’ Oder: ‘Überfahre nicht die Fahrbahnmarkierung!’ Oder: ‘Die Signalanlage wird mit Kameras elektronisch überwacht.’ Die unbekannte Macht guckt also zu, wenigstens das.

Was die Autofahrer mit diesen Versen anfangen, ist mir ein Rätsel, vielleicht sprechen sie sie laut nach. Zeit genug haben sie im Dauerstau ja. Zwischendurch werden auf dem Screen Werbeclips gezeigt, für Coca-Cola oder für einen der neuen Luxuscompounds am Stadtrand, wo es keinen Verkehrskollaps gibt. Die Kreuzung ähnelt einem Rummelplatz mit Verkehrsinfarkt. Alles blinkt und flimmert: Ampeln, Leuchtanzeigen mit Sekundencountdown, ein Riesenbildschirm.

 

Literaturtipp: Carsten Otte. Goodbye Auto. Ein Leben ohne Führerschein. München, 2009.

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