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Audio #2: Weltfremd oder inspirierend?

Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare und Kritik gab es seither reichlich und diese Reaktionen waren so spannend wie vielseitig. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.

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Manche Zeitungen wie die FAZ haben unser Buch gleich zweimal rezensiert


Viele Zeitungen berichten von den Lesungen, zu denen auch Philip Hedemann von Buchläden, Bücherein auber auch von vielen Schulen eingeladen wird. Auch viele Radiostationen rezensierten das Buch bereits, zum Beispiel Bayern 2

Autorinnen und Autoren haben auf Dutzenden von Lesungen in ganz Deutschland (hier ein Bericht aus dem oberpfälzischen Pressath) diskutiert, sich Kritik gestellt und Fragen beantwortet.

Bei der offiziellen Buch-Vorstellung im taz-Café saß auch Ameena auf dem Podium, die junge Syrerin die Philip Hedemann auf ihrem Weg begleitete und die einen Prolog zu unserem Buch geschrieben hat. Im Audio-Spezial 2 hören Sie Sie mehr darüber, wie das Leben der jungen Frau seither weitergegangen ist und lernen zwei ihrer Kinder kennen. Philipp erzählt, warum Ameena unbedingt das Kanzleramt kennenlernen wollte. Und warum sie – trotz ihres Glücks darüber in Deutschland zu leben – während einer Lesung in Tränen ausbrach.

Im Audio hören Sie, was Kerstin Zilms Interviewpartnerin Lidia Nunez empfand, als sie ihren Sohn nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder umarmen konnte. Von einem anderen Weltende schaltet sich Bettina Rühl  ins Audio, sie läßt die Somalierin Haibo Abdirahman Muse zu Wort kommen, die 25 Jahre in einem kenianischen Flüchtlingslager lebt und trotzdem noch Angst hat.

Birgit Kaspar in Toulouse spricht  mit ihrer Interviewpartnerin Chantal Pulé, die ihr erzählt, ob sie nach Jahren in Paris, bereut aus dem Libaon geflohen zu sein.

Zu weit weg?

Herausgeber Marc Engelhardt erzählt im Audio #2 welche Inhalte auf Lesungen am häufigsten diskutiert werden und wie sehr viele deutsche Leser überrascht, das Fluchten auf der ganzen Welt passieren. Viele Gespräche nach den Lesungen drehen sich darum, was der Begriff ‘Revolution’ bedeuten soll. Engelhard hat außer vielen positiven Rückmeldungen natürlich auch kritische bekommen. Ein Leser wirft uns vor, als Auslandskorrespondenten zu weit entfernt von der deutschen Problematik zu sein. Marc Engelhardt: “Den Blick aus dem Ausland sehen wir eher als Qualität des Buches. Sicher kann man das kritisieren, ich glaube aber nicht, dass man das sollte. Wir sagen ja nicht, dass sich eine Lösung aus Südafrika oder anderem Land 1 zu 1 auf Deutschland übertragen lässt. Aber es hilft vielleicht, den Horizont zu erweitern und mit anderen Augen auf Situation in Deutschland zu blicken.”

Denn eines ist gewiss: Flucht wird als Phänomen zunehmen, Die Frage ist: wie gehen wir damit um.

In Lesbos bleiben die Tische leer

Im Audio #2 hören Sie von Alkyone Karamanolis, Weltreporterin in Athen, die sich gefragt hat: Wie geht es den Rettern heute? Fischer Konstantinos Pinderis, erzählt wie sein Leben auf der Insel Lesbos sich komplett verändert hat. In Skala Sikamineas gleich am idyllischen Hafen bleiben die Tische leer. Zwar kommen dort keine Flüchtlinge mehr an wie 2015, doch die Touristen kommen ebenfalls nicht mehr, sie scheinen ihre früheren Lieblingsinseln vergessen zu haben – zum Leid der Einheimischen, denen die Arbeit ausgeht.

Vergessen würden in meinem eigenen Berichtsgebiet Australien viele Politiker am liebsten die Situation der Flüchtlinge, die nach wie vor auf den Inseln Manus und in Nauru die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage aussitzen. Menschen müssen dort seit Jahren als Abschreckung für künftige Boots-Migranten herhalten. Ich erzähle im Audio #2 darüber, wie schwer geschädigt die dort gestrandeten Männer, Frauen und Kinder durch die Inhaftierung sind, und dass ihre Zukunft trotz heftiger Proteste nicht nur von Menschenrechtsorganisationen noch immer unklar ist.

Hören Sie rein, ich bin sicher, unser Audio Spezial # 2 macht Sie neugierig auf unser Buch Die Flüchtlingsrevolution, erschienen im August im Pantheon Verlag.

Auch wenn sie es bereits gelesen haben, erfahren Sie im Podcast noch einiges Neues.Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare und Kritik gab es seither reichlich und diese Reaktionen waren so spannend wie vielseitig. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.

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Manche Zeitungen wie die FAZ haben unser Buch gleich zweimal rezensiert

Viele Zeitungen berichten von den Lesungen, zu denen auch Philip Hedemann von Buchläden, Bücherein auber auch von vielen Schulen eingeladen wird. Auch viele Radiostationen rezensierten das Buch bereits, zum Beispiel Bayern 2

Autorinnen und Autoren haben auf Dutzenden von Lesungen in ganz Deutschland (hier ein Bericht aus dem oberpfälzischen Pressath) diskutiert, sich Kritik gestellt und Fragen beantwortet.

Bei der offiziellen Buch-Vorstellung im taz-Café saß auch Ameena auf dem Podium, die junge Syrerin die Philip Hedemann auf ihrem Weg begleitete und die einen Prolog zu unserem Buch geschrieben hat. Im Audio-Spezial 2 hören Sie Sie mehr darüber, wie das Leben der jungen Frau seither weitergegangen ist und lernen zwei ihrer Kinder kennen. Philipp erzählt, warum Ameena unbedingt das Kanzleramt kennenlernen wollte. Und warum sie – trotz ihres Glücks darüber in Deutschland zu leben – während einer Lesung in Tränen ausbrach.

Im Audio hören Sie, was Kerstin Zilms Interviewpartnerin Lidia Nunez empfand, als sie ihren Sohn nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder umarmen konnte. Von einem anderen Weltende schaltet sich Bettina Rühl  ins Audio, sie läßt die Somalierin Haibo Abdirahman Muse zu Wort kommen, die 25 Jahre in einem kenianischen Flüchtlingslager lebt und trotzdem noch Angst hat.

Birgit Kaspar in Toulouse spricht  mit ihrer Interviewpartnerin Chantal Pulé, die ihr erzählt, ob sie nach Jahren in Paris, bereut aus dem Libaon geflohen zu sein.

Zu weit weg?

Herausgeber Marc Engelhardt erzählt im Audio #2 welche Inhalte auf Lesungen am häufigsten diskutiert werden und wie sehr viele deutsche Leser überrascht, das Fluchten auf der ganzen Welt passieren. Viele Gespräche nach den Lesungen drehen sich darum, was der Begriff ‘Revolution’ bedeuten soll. Engelhard hat außer vielen positiven Rückmeldungen natürlich auch kritische bekommen. Ein Leser wirft uns vor, als Auslandskorrespondenten zu weit entfernt von der deutschen Problematik zu sein. Marc Engelhardt: “Den Blick aus dem Ausland sehen wir eher als Qualität des Buches. Sicher kann man das kritisieren, ich glaube aber nicht, dass man das sollte. Wir sagen ja nicht, dass sich eine Lösung aus Südafrika oder anderem Land 1 zu 1 auf Deutschland übertragen lässt. Aber es hilft vielleicht, den Horizont zu erweitern und mit anderen Augen auf Situation in Deutschland zu blicken.”

Denn eines ist gewiss: Flucht wird als Phänomen zunehmen, Die Frage ist: wie gehen wir damit um.

In Lesbos bleiben die Tische leer

Im Audio #2 hören Sie von Alkyone Karamanolis, Weltreporterin in Athen, die sich gefragt hat: Wie geht es den Rettern heute? Fischer Konstantinos Pinderis, erzählt wie sein Leben auf der Insel Lesbos sich komplett verändert hat. In Skala Sikamineas gleich am idyllischen Hafen bleiben die Tische leer. Zwar kommen dort keine Flüchtlinge mehr an wie 2015, doch die Touristen kommen ebenfalls nicht mehr, sie scheinen ihre früheren Lieblingsinseln vergessen zu haben – zum Leid der Einheimischen, denen die Arbeit ausgeht.

Vergessen würden in meinem eigenen Berichtsgebiet Australien viele Politiker am liebsten die Situation der Flüchtlinge, die nach wie vor auf den Inseln Manus und in Nauru die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage aussitzen. Menschen müssen dort seit Jahren als Abschreckung für künftige Boots-Migranten herhalten. Ich erzähle im Audio #2 darüber, wie schwer geschädigt die dort gestrandeten Männer, Frauen und Kinder durch die Inhaftierung sind, und dass ihre Zukunft trotz heftiger Proteste nicht nur von Menschenrechtsorganisationen noch immer unklar ist.

Hören Sie rein, ich bin sicher, unser Audio Spezial # 2 macht Sie neugierig auf unser Buch Die Flüchtlingsrevolution, erschienen im August im Pantheon Verlag.

Auch wenn sie es bereits gelesen haben, erfahren Sie im Podcast noch einiges Neues.Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare und Kritik gab es seither reichlich und diese Reaktionen waren so spannend wie vielseitig. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.

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Manche Zeitungen wie die FAZ haben unser Buch gleich zweimal rezensiert

 

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L´Energiewende in Frankreich

Mit großer Aufmerksamkeit beobachten die Franzosen, wie der Nachbar Deutschland seine Energiewende meistern will. Vielleicht schafft es das deutsche Wort ja noch in den französischen Wortschatz: „L’Energiewende“ taucht oft in französischen Zeitungsartikeln auf. Die Medien berichten vor allem über steigende Energiepreise und Entlassungen bei Stromkonzernen. Die Bürger in Deutschland zahlten einen hohen Preis für den Atomausstieg, heißt es immer wieder. Die sozialistische Regierung weiß: Viel höhere Strompreise sind in dem krisengeschüttelten Frankreich zurzeit kaum durchzusetzen. Entlassungen im Nuklearsektor auch nicht. Das Thema Energiewende ist also ein höchst sensibles in dem Land, das derzeit 75 Prozent seines Stroms aus seinen 58 Atomkraftwerken bezieht.

Kein Wunder also, dass die Präsentation des Gesetzentwurfs zur Energiewende ein Jahr länger dauerte als geplant. Nach langen Beratungen hat nun Umweltministerin Ségolène Royal die großen Linien dem Kabinett vorgestellt. Die „Transition énergétique“ (Energieübergang) werde Frankreich helfen, aus der Krise zu kommen, sagte sie.

Präsident François Hollande hatte mehrmals betont, dass dieser Gesetzestext einer der wichtigsten seiner fünfjährigen Amtszeit sein werde. Schon während seines Wahlkampfs hatte er eine für Frankreich kleine Revolution angekündigt: Denn der Anteil der Kernenergie an der Stromversorgung soll bis 2025 um 25 Prozent reduziert werden.

Der Entwurf umfasst nun 80 Artikel. Fünf große Punkte prägen ihn: Neben der oben genannten Reduktion des Anteils der Atomenergie im Strommix soll der Ausstoß der Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent gesenkt werden (im Vergleich zu 1990). Im selben Jahr sollen 40 Prozent der Energieproduktion in Frankreich aus erneuerbaren Quellen stammen. 2012 lag der Anteil bei knapp 14 Prozent. Der Verbrauch fossiler Energien wie Erdöl und Kohle soll bis 2030 um 30 Prozent gesenkt werden.

 Geplant ist auch das Ziel, den Energieverbrauch in Frankreich bis 2050 zu halbieren (Vergleich zu 2012).

Kritiker werfen Royal bereits vor, eingeknickt zu sein – vor allem gegenüber der Atomlobby. Denn die Grünen hatten gefordert, dass in dem Gesetz das Recht des Staates festgeschrieben wird, aus energiepolitischen Gründen Atomreaktoren stilllegen zu können. Das ist nun nicht der Fall. Auch eine maximale Laufzeit von 40 Jahren  für Frankreichs Reaktoren ist nicht im Text verankert. Welche Reaktoren und wie viele abgeschaltet werden – keine Angabe. Gerade im Elsass hatten viele Atomkraftgegner gefordert, dass die Abschaltung von Fessenheim Schwarz auf Weiß festgehalten wird. Präsident Hollande hatte die Stilllegung bis Ende 2016  angekündigt. Doch der Name Fessenheim taucht nicht auf.  „Das ist ein Versprechen des Präsidenten“, sagte Ségolène Royal nun der Zeitung Le Monde. Vermutlich befürchtet die Regierung enorme  Entschädigungsforderungen von Seiten des börsennotierten Konzerns EDF, würde man die Stilllegung ins Gesetz schreiben.

Die Regierung verfolgt eine andere Strategie. Festgeschrieben in dem Entwurf wird nun eine Kapazitätsobergrenze bei der Atomenergie von 63,2 Gigawatt – das entspricht dem Stand von heute. EDF als Betreiber der Atomkraftwerke und Vermarkter des Stroms soll in Zukunft einen mehrjährigen, nach Energiequellen gegliederten Stromplan vorlegen, der mit dem Gesetz in Einklang stehen muss. Diesen werde dann der Staat (größter Aktionär von EDF mit einem Anteil von 85 Prozent) prüfen. Der erste Plan betrifft den Zeitraum von 2015 bis 2018. In dieser Periode soll der neue Europäische Druckwasserreaktor in Flamanville am Ärmelkanal in Betrieb gehen.  Will die EDF dafür vom Staat die Starterlaubnis, wird sie wohl mit Blick auf die Obergrenze ein anderes Kraftwerk stilllegen müssen – etwa Fessenheim.

Royal bezeichnet die Energiewende als wichtigen Hebel Frankreichs zum Ausstieg aus der Krise. Ziel sei es, in den kommenden drei Jahren 100.000 Arbeitsplätze mit Hilfe der Ökologie- und Energiewende zu schaffen. So soll es zum Beispiel für energetische Sanierungen Steuererleichterungen bis zu 30 Prozent geben. Haus- und Wohnungsbesitzer sollen künftig verpflichtet werden, bei Dach- oder Fassadearbeiten solche Sanierungen vorzunehmen. Haushalte mit geringem Einkommen sollen Energieschecks erhalten, die Regionen Eigentümern Kredite geben können, Biogasanlagen gefördert werden. Bis 2030 werden zudem sieben Millionen Aufladestationen für Elektroautos errichtet.

Die Transition énergétique kostet vermutlich 20 bis 30 Milliarden Euro jährlich: Wie das genau in Zeiten leerer Kassen finanziert werden soll, ist noch unklar. Im Herbst 2014 soll das Parlament über den Entwurf debattieren. Im Jahr 2015, wenn in Paris die UN-Klimakonferenz stattfindet, soll das Gesetz spätestens Wirklichkeit werden.

 

 

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Basteln an Frankreichs Karte

 

Frankreichs Landkarte war in den vergangenen Wochen oft in den Zeitungen und im Fernsehen zu sehen. Sie war unterlegt mit Farben für die Regionen, versehen mit Pfeilen, die in verschiedene Richtungen zeigten. Der Grund: Staatspräsident François Hollande hätte die Karte gerne ein wenig anders.

Der Präsident kritisiert die Verwaltungsstruktur im Land mit ihren drei Gebietskörperschaften: Im Mutterland existieren 22 Regionen, 96 Departements und über 36700 Gemeinden. „Die Organisation der Verwaltung ist zu kompliziert, zu schwer, zu teuer“, sagte der Präsident. Seine Kritik ist nicht neu. Immer wieder verweisen Experten auf den aufgeblähten Verwaltungsapparat. Die Bürger wüssten längst nicht mehr, wer für was zuständig sei. Nicht selten kommt es vor, dass sich Kommune, Departement und Region um dasselbe kümmern – etwa beim Tourismus oder bei der Wirtschafts- und Kulturförderung.

Ziel der französischen Regierung ist es nicht nur, das Wirrwarr an Kompetenzen zu beenden. Die Krise, in der das Land steckt, verlangt auch, bei den öffentlichen Ausgaben zu sparen. Fusionieren die Regionen, gibt es weniger Abgeordnete und weniger Beamte. Gleichzeitig geht es aber auch darum, die Regionen fit zu machen. Sie bräuchten mehr Gewicht in Europa, heißt es immer wieder. Sie litten an Kompetenzschwäche und an zu wenig Mitteln, um ihre wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben zu können. Frankreich brauche eine Art „Deutsche Bundesländer à la française“.

Tatsächlich haben die französischen Regionen viel weniger Kompetenzen als die deutschen Länder. Sie sind zum Beispiel verantwortlich für Raumplanung, Berufsausbildung, den regionalen öffentlichen Schienenverkehr oder für die Finanzierung, den Bau und den Unterhalt der Gymnasien. Für die Collèges (Sekundarstufe I) allerdings sind die Departements zuständig, für die Grundschulen die Kommunen. Ein verwirrender Unsinn, sagen Kritiker.

Noch ist kein konkretes Datum für Fusionen gefallen, und vor den Regionalratswahlen im kommenden Jahr wird man sowieso noch abwarten mit genauen Plänen. Allerdings ist eine Zahl im Gespräch: Aus den 22 Mutterland-Regionen könnten 15 werden.  Auch diese Zahl ist nicht neu. Immer wieder gab es Berichte und Arbeitsgruppen. Bereits Präsident Nicolas Sarkozy wollte Änderungen bei den Gebietskörperschaften und beauftragte Edouard Balladur im Jahr 2009, Vorschläge zu unterbreiten. Die Planer skizzierten eine Landkarte, die unter anderem so aussah: Eins wurden die beiden Regionen der Normandie (Haute-Normandie  und Basse-Normandie), die Bourgogne und Franche-Comté sowie die Departement Loire-Atlantique und die Bretagne. Auch das Elsass und Lothringen sollten zusammengehen wie Aquitaine mit Poitou-Charentes. Zudem war eine Aufspaltung der Picardie in der Diskussion. 600 Millionen Euro sollten dadurch jährlich gespart werden.

Viele Franzosen haben Vorbehalte gegenüber diesen Gebietsehen – nicht nur wegen der Mentalitätsunterschiede. Eine Fusion der Bretagne und des Departements Loire-Atlantique dürfte einen Hauptstadtstreit zwischen Rennes und Nantes auslösen, eine Fusion der beiden Normandien eine Debatte, ob die Präfektur in Rouen oder Caen sitzen soll. Und natürlich werden Abgeordnete um ihre Posten kämpfen: „Die Barone halten an ihren Hochburgen fest“, kommentierte die Zeitung Le Parisien. Deswegen soll das Prinzip der Freiwilligenheirat gelten. Allerdings wird überlegt, fusionswillige Regionen mit Boni zu belohnen.

Eine Fusion kann nicht einfach von oben entschieden werden: Ein Gesetz zur Dezentralisierung von 2010 verlangt, dass die Bürger befragt werden. Mindestens 25 Prozent der im Wahlverzeichnis eingetragenen Wahlberechtigten in beiden Gebietskörperschaften müssen an dem Referendum teilnehmen. Damit es zur Fusion kommt, braucht es mehr als 50 Prozent der Stimmen.

Manche fordern inzwischen, die Departements ganz abzuschaffen und mit den Regionen zusammenzulegen – so der Vorsitzende der konservativen Partei UMP, Jean-Francois Copé. Statt 6000 Abgeordnete für die General- und Regionalräte zu bestimmen, könnten es in Zukunft dann nur noch 4000 Regionalräte sein. Mit diesem Schritt könne man Milliarden sparen, behauptet Copé.

Präsident Hollande sprach sich bereits gegen die Abschaffung der Departements aus: Die Departements, vergleichbar mit den Kreisen in Deutschland, dienten dem sozialen Zusammenhalt, sagte er. Tatsächlich haben sie die Gesamtverantwortung für die Gewährleistung staatlicher sozialer Hilfen. Gerade für die ländlichen Gebiete sind sie wichtig, denn sie unterstützen die Gegenden, die weit entfernt sind von den Wirtschaftszentren.

„Eine Abschaffung der Departements wäre ein großer historischer Fehler“, sagt der Demograph Hervé Le Bras. Sie seien sehr sorgfältig und wohl überlegt bereits in den Jahren der Französischen Revolution zugeschnitten worden. „Fährt man raus aus der Region Ile-de-France, sind die Departements Teil dessen, wie die Franzosen ihr Land verstehen“, sagt Le Bras. Dass die Franzosen an ihnen mehr hängen als an den Regionen, hätte die Einführung der neuen Autokennzeichen gezeigt. Als bekannt wurde, dass die Departement-Nummer in Zukunft fehlen würde, gab es fast einen Aufstand. Daraufhin wurde beschlossen, dass auf dem Schild ein Eck für das Departement bleiben durfte.

 

 

 

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Gayet-Gate: Alle reden drüber aber kaum jemand ist beeindruckt

Seit Tagen berichten alle Medien drüber: Präsident Hollandes angebliche Affaire mit der Schauspielerin Julie Gayet. Derzeit ist sie eines der beliebtesten Klatsch-Themen in Frankreich. Nicht, dass sich jemand wirklich darüber aufregte. Denn eine gelegentliche Affaire gehört für den französischen Mann eigentlich zum guten Ton. Zumindest ist sie nichts moralisch Verwerfliches. Aber es ist eben eine „histoire de cul“. Darüber tratscht man gerne. Drum konnte das People-Magazin „Closer“ mit der Geschichte seine verkaufte Auflage seit vergangenen Freitag glatt verdoppeln.

Hollande hat sich entrüstet über die Einmischung der Medien in sein Privatleben, dementiert hat er die Affaire nicht. Einer Umfrage des „Journal du Dimanche“ zufolge hat die mutmaßliche Affaire für 84% der Befragten ihre Meinung über den Präsidenten nicht verändert. 77% der Franzosen halten es für seine Privatangelegenheit. Damit würde die Story vermutlich schnell im Sande verlaufen. Hätten wir nicht bald Kommunalwahlen in Frankreich. Und natürlich versuchen die Opposition und die ihr nahestehenden Medien die Nummer auszuschlachten. Hat der Präsident für seine sexuellen Begierden seine Sicherheit aufs Spiel gesetzt? Oder hat er sich mit einer Bande von Mafiosi eingelassen, weil er deren Wohnung als Liebesnest benutzt hat?

Während sich die regimetreuen Medien Gedanken machen, ob es sich hier nicht um ein politisches Komplott gegen François Hollande handeln könnte. Hat vielleicht ein immer noch Sarkozy-treuer Sicherheitsmann des Elysée die Geschichte durchsickern lassen?

Eigentlich leid tun kann einem nur Valérie Trierweiler, Hollandes offizielle Partnerin. Sie wird in einem Pariser Krankenhaus wegen eines nervösen Schocks behandelt. Ihr Pech ist es, dass sie nie eine große Sympathie-Trägerin war. Sonst würden sich jetzt zumindest ihre Fans aufregen. So erhält sie von nur wenigen sehr verhaltenes Mitleid. Dass ihr diese ganze Medienkampagne sehr viel mehr zusetzt als Mr. Le Président, darüber scheint sich niemand Gedanken zu machen. Ob man sie nun mag oder nicht, ich stelle es mir schrecklich vor, wenn man erst als gestandene Journalistin plötzlich „première dame“ wird und sich deshalb vom Protokoll und den Pressekollegen gründlich zurecht stutzen lassen muss. Und nachdem sie das mit mehr oder weniger Haltung überlebt hat, erfährt sie nun eine öffentliche Degradierung und Schmach, weil „le président normal“ eben ganz normal war und sie betrogen hat.

Schon zerreißen sich die Klatschspalten die Mäuler darüber, ob sie jetzt auch ganz normal sein darf und ihn in den Hintern treten darf. Oder ob sie staatsfraulich mit Hollande nach Washington reisen muss, um sich beim Damenprogramm von Michelle Obama bemitleiden zu lassen.

Während die französischen Medien weiter schmutzige Wäsche waschen, hat die Mehrzahl der Franzosen ganz andere Sorgen. Um die sollte sich der Präsident kümmern. Nicht um Croissants für seine Geliebte, wenn es sie denn wirklich gibt (und vieles deutet darauf hin). Oder um die Verteidigung seiner Privatsphäre. Da darf man sich nicht wundern, dass das jüngste Stimmungsbarometer des Forschungszentrums Cevipof herausfand: 87 % der Franzosen sind der Ansicht, die politischen Verantwortlichen kümmerten sich nicht um sie und ihre Belange. Und 69 % der Franzosen meinen, die Demokratie funktioniere nicht mehr richtig.

Das sollte den Politikern und den Medien in Frankreich zu denken geben. Wenn sie es ernst nähmen, hätten sie vermutlich gar keine Zeit mehr für Affairen dieser Art.

 

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Hollande / Gayet: Eine Maitresse ist total normal

In Frankreich beherrscht gerade ein Thema die Medien: Francois Hollande angebliches Liebesverhältnis zur Schauspielerin Julie Gayet. Das Gerücht, Ende letzter Woche vom People-Magazin Closer aufgeworfen, aber bereits seit Monaten ein Thema auf Blogs in Frankreich, hat zum Rauschen im Blätterwald geführt.

Was immer auch dran sein mag am Gerücht, interessant ist, wie die Diskussion in den Medien geführt wird. Denn das ist schon sehr französisch. Das recht angesehene Magazin Le Nouvel Obs hat die People-Expertin Viginie Spies zu Wort kommen lassen, die in einem nicht ausdrücklich gekennzeichneten Kommentar ihre ganz persönliche Meinung zum Besten gibt unter der Überschrift: “Francois Hollande, Julie Gayet und Closer: jetzt prominent, der Präsident endlich normal”. Weiter unten heißt es dann: “Francois Hollande ist ein normaler Mann, der Präsident der Küsschen.” He? Soll das heißen, dass es völlig normal für französische Männer ist, eine Maitresse zu haben. Oder heißt das, dass es völlig normal ist für den französischen Staatspräsidenten, eine Maitresse zu haben?

Bildschirmfoto 2014-01-13 um 12.14.58

Blicken wir kurz zurück: Über Nicolas Sarkozy und Carla Bruni braucht man kein Wort mehr zu verlieren. Jacques Chirac hat ein uneheliches Kind in Japan. Am Grab von Mitterand poppte auch plötzlich eine neue Tochter auf. Selbst dem immer sehr distinguierte Giscard d’Estaing wird eine recht eigenartige Beziehung zu Lady Di nachgesagt und bei den Pompidous ging nbicht er, sondern sie fremd – im Porsche des Mannes, der nur mit seinen Autos fremd ging und sich weigerte, ein französisches Automobil zu fahren.

Also alles ganz normal im Hexagon. Business as usal. Warum regt sich eigentlich noch irgendjemand darüber auf? Das ist halt so in Frankreich.

Besonders gerne nimmt man sich in der Präsidentenetage Damen aus dem Showbiz: Gayet, Bruni, Sagan, etc. Wie kommt’s? Valérie Trierweiler, inzwischen aufgrund einer Depression rund um das Skandalgerücht  im Krankenhaus, konnte nie wirklich die Herzen der Franzosen gewinnen. Zu streng, zu intelligent. Auch Madame Chirac trat eher auf wie eine eiserne und meist eher schlecht gelaunte Lady an der Seite eines geborenen Charmeurs. Im Vergleich dazu dann Carla Bruni: Das Ex-Top in ihren schicken Dior-Kostümchen und den Louboutin-Kitten-Heels-Sonderanfertigungen für große Frauen an der Seite kleiner Männer: Sie plapperte in fünf Sprachen und gab auf Fragen wie “Was steht denn bei dem Weltwirtschaftgipfel gleich auf dem Programm? so hinreizend banale Antworten wie “Oh, ein Cocktail!”. Sprachs, lachte ihr 10 Mio.-Euro-Top-Model-Lächeln und winkte, bevor sie zum Cocktail entschwand. Frage ist: Wollen das die Franzosen? Vielleicht.

Julie Gayet ist keine Carla Bruni. Die Schauspielerin, die eigentlich nur im französischen Kino eine Rolle spielt, aber gerne ab und an bei dem Chanels Show in der ersten Reihe glänzt, hat inzwischen Klage eingereicht. Closer musste das Gerücht von der Website nehmen, was das Ganze aber nicht mehr ungeschehen macht. Der PR-Effekt ist längst erledigt: Der Präsident gilt nun als “normal” gilt, was er vorher scheinbar nicht war, und reiht sich ein die Reihe seiner Vorgänger. Kein Grund zur Sorge. Sie alle blieben im Amt. Die medialen Wellen werden sich legen und irgendwann beim nächsten Staatsempfang ist dann eben eine Neue am Arm des Präsidenten.

Foto; Screenshot Le Nouvel Obs

 

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Der Früh-Weihnachtsbaum

Der Weihnachtsbaum beim Nachbarn steht schon und leuchtet. Seit Anfang Dezember. Das Paar auf der anderen Straßenseite schaltet die Elektro-Baumkerzen immer abends zum Fernsehen ein. Ich muss zugeben, dass dieser Früh-Weihnachtsbaum auf mich seit Wochen einen subtilen Druck ausübt. Immer abends, beim Blick in die Gasse vor dem Haus, strahlt mich der hübsche Baum von gegenüber an mit der Botschaft: Du Deutscher, wenn Du nicht bald auch Deinen Baum kaufst, kriegst Du keinen mehr.

Viele Franzosen stellen den Baum schon Wochen vor Weihnachten auf. Ich dagegen habe mal wieder mit dem Kauf bis heute gewartet und ahne nun, dass ich bestraft werde mit einer Baumqualität minus fünf. Mein Wecker klingelt früh. Ich will bald dran sein und fahre zum großen Supermarkt vor den Toren der Stadt, weil es dort sicher noch Bäume gibt. Auf dem Parkplatz kommen mir Franzosen mit prall gefüllten Einkaufswägen entgegen: Wein- und Champagnerflaschen, Gänseleberpastete, Geflügel, Lachs und Packungen voller Muscheln und Austern. Trotz der Krise wird beim Weihnachtsschmaus nicht gespart: Durchschnittlich gibt eine französische Familie dafür zwei Prozent mehr aus als im vergangenen Jahr, nämlich 175 Euro.

Es gibt noch Bäume. Aber sie schauen mich traurig an und ich weiß sofort: Ihr Armen seid übrig geblieben. Habt Lücken, die keine Christbaumkugel füllen kann. Seid verwachsen, als ob Euch jemand die Äste verknotet hätte. Dabei sind meine Baumansprüche enorm hoch, auch weil ich Wachskerzen statt elektrische habe. “Ah, Sie sind bestimmt Deutscher, wenn Sie echte Kerzen haben”, sagt der Verkäufer. “Echte Kerzen und spät den Baum kaufen – das sind die Deutschen.”

Während ich kritisch auf die Nordmann-Tannen schaue, frage ich ihn, warum viele Franzosen eigentlich solche Früh-Baumaufsteller sind. “Isch weiß, isch weiß”, sagt er auf Deutsch. Seine Schwester lebt bei Köln und er weiß, dass dort der Weihnachtsbaum erst an Heiligabend seinen großen Auftritt hat. “Bei uns ist das Weihnachtsfest einfach kommerzieller, nicht so besinnlich”, meint er. Seit Wochen sei Weihnachten in der Werbung, da wolle man halt auch seinen Baum schon genießen. Andere fahren an Weihnachten in die Skigebiete, dann kann man zu Hause den Baum ja gar nicht mehr anschauen – also tut man das vorher. Die Kassiererin schaltet sich ins Gespräch ein und meint, bei ihr zu Hause achte man sehr wohl auf den Unterschied zwischen Vorweihnachtszeit und Heiligabend. “Wir stellen unseren Baum zwar auch schon Mitte Dezember im Wohnzimmer auf und schmücken ihn, aber meine Mutter hängt erst am Heiligabend den großen Strohstern an die Baumspitze.”

Apropos Heiligabend (Réveillon de Noël). In Frankreich ist der noch ein normaler Arbeitstag, die Geschäfte haben vielerorts bis 19 Uhr auf, man kriegt für 18 Uhr sogar noch einen Arzttermin. Nach Geschäftsschluss aber rasen alle in ihre Familien, dann kann das mehrgängige, stundenlange Festessen (Réveillon) beginnen, manche gehen noch in die Christmette. Geschenke gibt es meistens erst am 25. Dezember. Einen zweiten Weihnachtsfeiertag gibt es hierzulande leider nicht. Der Umtauschtrubel geht hier also früher los als in deutschen Landen…

So, jetzt wird der Baum geschmückt. Schon am 22. Dezember? Naja, mal sehen. Joyeuses fêtes!

 

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Das Parfüm von Grasse im Winter

IMG_5545Der Duft von Jasmin, Orangenblüten und Rosen ist längst verflogen. Die Nächte sind kalt, die sonnigen Tage hingegen noch wohltuend warm im winterlichen Grasse. Ein Hauch von Normalität weht durch die engen Gassen, durch die sich im Sommer schwitzende Touristen schieben. Sie alle wollen die Geheimnisse der Parfümherstellung entschlüsseln. Oder auch einfach nur ein paar kleine Duft-Flacons als Mitbringsel für die Lieben daheim erstehen. Davon lebt Grasse von April bis November. Auch wenn die Blumenfelder deutlich geschrumpft sind und die Blüten nicht mehr von den Grassois selbst gepflückt werden sondern vor allem von Gastarbeitern aus Osteuropa. Das Zentrum der französischen Parfümindustrie sowie das Herz der traditionellen Kunst, ein Parfum zu kreieren, ist die Kleinstadt in den Seealpen oberhalb von Cannes mit Blick auf das Mittelmeer geblieben.

IMG_5547Hinter der silbern und azurblau glitzernden Weihnachtsschmuck-Fassade kauern vier bis fünfstöckige Altbauten eng zusammen in den typischen Farben der Provence: Orange oder gelblich-ockerfarben. Mit zum Teil schwer verwittertem Putz. Auf schmalen Balkonen sonnen sich kleine Stechpalmen, Kletterpflanzen recken ihre Blüten gen Himmel. Frisch gewaschene Hemden, Socken und Unterhosen baumeln vor den Fenstern im Wind. Die Bescheidenheit einer südfranzösischen Kleinstadt. Wo Metzger und Bäcker die Vorlieben ihrer Klientel kennen. Wo man sich mittags zum Zweigänge Menu für 12 Euro mit einer Freundin trifft, weil dies die kleinen Freuden sind, die man sich ab und zu gönnt.

Vom Flair einer lukrativen Luxusindustrie ist in diesen Dezember-Tagen wenig zu spüren. Mal abgesehen von einer relativ hohen Konzentration an Parfümläden und den Parfümmuseen. Der elegante Jet-Set ist in Cannes abgestiegen und kommt höchsten zur Besichtigung einer der traditionellen Parfümfabriken hinauf in die 51.000-Einwohner-Stadt. Die Reichen und Schönen von Grasse leben in ihren Traumvillen, die auf den benachbarten Hügeln das Mittelmeer überblicken.

In der Rue Fragonard – ein Maler übrigens, die bekannte Parfümerie hat seinen Namen nur zu seinen Ehren angenommen – schieben zwei junge Marokkanerinnen ihre Dreijährigen im Kinderwagen vor sich her. Sie tragen Kopftücher, wie viele Nordafrikanerinnen in Grasse. Eine ältere Araberin huscht gar im Tschador über den Place des Aires. Der Anblick überrascht. Weil ich mir dieses Bild in der französischen Parfümhauptstadt nicht vorgestellt hatte. Ebenso wenig, wie die maghrebinischen Männer, die zwei Straßen weiter in einer windgeschützten, sonnigen Ecke an kleinen Tischen sitzen, rauchen, Karten spielen und Tee aus den für den Orient typischen kleinen Gläsern trinken. Fehlen eigentlich nur die Wasserpfeifen. „Ahlan wa sahlan!“ (Willkommen auf Arabisch) möchte ich Ihnen zurufen. Doch dann fällt mir ein, dass sie hier Zuhause sind, nicht ich. Gemeinsam mit den anderen Grassois, die seit Generationen hier auf irgendeine Weise von der Parfümherstellung existierten.

Grasse im Winter: Ein Bild wohltuend normalen Lebens. Dessen Schönheit in seiner Authentizität liegt. Die trotz des Touristentrubels im Sommer überlebt zu haben scheint.

 

 

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Vom Parken und von vollen Gläsern

Täglich verschwinden viele Dinge auf mysteriöse Weise. Ist es ein Socken, kann man sich damit abfinden. Ist es das Auto, dann nicht.

Es ist ein seltsamer Moment, wenn man an die Stelle kommt, wo man das Auto geparkt hat. Ist der Platz leer, erfasst einen selbst eine unheimliche Leere. Irre ich mich? Stand das Auto vielleicht doch in der Parallelstraße? Weiter unten? Weiter oben? Filmt hier gerade eine versteckte Kamera mein Erschrecken für eine Ulksendung? Nein, der Wagen ist weg.

Gestern noch kam im Fernsehen, dass die Zahl der Autodiebstähle um zwei Prozent zugenommen hat. Favoriten der in Frankreich geklauten Wagen: Renault Twingo, Smart Fortwo, BMW X6. Meine Marke ist eine andere.

Ich muss die Police municipale anrufen, laufe weiter und stehe plötzlich vor einem Schild. Es ist das Schild, das einem in Frankreich immer wieder begegnet. Es ist ein Schild, das man beachten sollte. Aufschrift: Stationnement unilatéral alterné.

Langer Begriff, der der Welt sagen will: Hier in der Straße darf nur auf einer Straßenseite geparkt werden – und das im halbmonatlichen Wechsel. Etwas versetzt steht ein weiteres Schild, ein eingeschränktes Halteverbotsschild mit kleinen weißen Zahlen darauf: 16-31.

Na klar, Paragraph 37-3 der Straßenverkehrsordnung. Vom 1. bis zum 15. des Monats wird auf der Seite mit den ungeraden Hausnummern geparkt. Ab dem 16. des Monats bis zum 31. auf der Seite mit den geraden Nummern. Am letzten Tag der jeweiligen Zeitspanne muss zwischen 20.30 und 21 Uhr umgeparkt werden. Heute ist schon der 18. November. Mein Auto hat also den Seitenwechsel verpennt und den Verkehr behindert.

Der Polizist von der Police municipale ist freundlich. Er habe mein Kennzeichen im Rechner, sagt er am Telefon. „Ihr Auto wurde heute Morgen abgeschleppt.” Ich solle mit Fahrzeugschein und Personalausweis vorbeikommen, einen Bon de sortie abholen und dann könne ich in der Fourrière intercommunale den Wagen abholen, das ist der Abstellplatz für die abgeschleppten Autos. „Viel Glück“, wünscht er noch.

Bei der Polizei sitzen Leute und warten. Eine Oma ist eingenickt, Kopf zur Seite. Was ihr wohl passiert ist? Die Handtasche geraubt? Auf dem Zebrastreifen eingeschlafen und den Verkehr behindert? Sie schläft weiter, während der Beamte mir den Abholschein ausstellt.

Der Abschleppplatz für die Fahrzeuge befindet sich am Ende der Welt. Ich klage dem Taxifahrer mein Leid. „Seien Sie doch froh, dass der Wagen nicht gestohlen wurde“, sagt er. Oder angezündet, was einem in Frankreich ja auch passieren kann. Der Taxifahrer ist ein Mensch, bei dem das Glas immer halb voll, nie halb leer ist. Und dann erklärt er mir, warum es dieses Stationnement unilateral alterné gibt: Man wolle damit gegen die Dauerparker vorgehen.

Bei der Fourrière sieht es trostlos aus. Ein Platz voller kaputter Autos. Mit kaputten Reifen, zerbeulten Türen, zersplitterten Fensterscheiben. Viele Campingautos. Ein Ort trauriger Fahrzeuge. Und ganz vorne steht mein Auto.

Ich werde begrüßt von Hundegebell. Denn fourrière ist im Französischen nicht nur das Wort für den Platz, auf dem die amtlich abgeschleppten Autos auf ihre Besitzer warten. Fourrière heißt auch Tierheim. In vergitterten Boxen stehen Hunde und schauen mich an. Sie hoffen, dass ich ihr neues Herrchen werde.

Es gibt ein Büro. Ich fürchte, dass man mir nur das Auto zurückgibt, wenn ich einen Hund mitnehme oder zwei Katzen. Der Mann hinter der Scheibe spricht nicht viel. Gibt mir eine Abschlepprechnung von 115 Euro. Ich muss Gott sei Dank keine Tiere mitnehmen. Ich wünsche aber insgeheim den französischen Bellos alles Gute. Am Wochenende ist in Paris zum 50. Mal eine Veranstaltung, bei der man Tiere adoptieren kann: „Weihnachten für ausgesetze Tiere“ heißt es in den Anzeigen. Hoffentlich habt ihr Glück und seid dabei und findet ein Frauchen oder Herrchen.

„Sie dürfen Ihr Fahrzeug jetzt mitnehmen“, sagt der Mann. Hallo Auto. An der Scheibe hängen noch mal zwei Strafzettel, Kategorie 2 zu je 35 Euro. Wenn doch heute Morgen nur einfach ein Socken verschwunden gewesen wäre. Andererseits: Frankreich ist in der Krise. Ich habe dem Land Geld gespendet. Und das Glas ist halb voll.

 

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Die Informationsverhinderer

Es soll in dem Artikel nur um Spirituosen gehen, nicht um nukleares Material. Ich will kein Interview mit dem französischen Präsidenten, sondern nur ein paar Informationen über Schnäpse und Märkte. Zehn Minuten Telefongespräch würden reichen, um meine Fragen klären zu können.

Tag eins, vormittags am Telefon. „Allô?“, sagt die Mitarbeiterin in der Pressestelle des internationalen Spirituosenkonzerns mit Hauptsitz in Paris. Ich stelle mich vor und erkläre, worum es geht. Es folgt die übliche erste Hürde: Ich solle mein Anliegen per Mail an die Pressechefin senden. Die würde sich dann melden. Ich ahne, dass die Presseabteilung und ich in den kommenden Tagen eine spannende Zeit miteinander haben werden.

Die Zeit vergeht. Journalisten sind leider anstrengende Leute. Denn sie wollen Informationen meistens recht schnell. Aber es gibt nun mal Redaktionsschlüsse, Abgabefristen und Arbeitsdruck. Journalisten müssen recht schnell wissen, welche Quellen ihnen zur Verfügung stehen – denn davon hängt es ab, ob der Artikel geschrieben werden kann.

Am Nachmittag rufe ich noch mal an. „Allô?“ Eine andere Dame, die weder den Namen des Unternehmens sagt, noch ihren. Ich erkläre, dass ich schon einmal angerufen habe und dass es um Informationen für einen Artikel geht. Sie fragt, ob ich den Artikel schicken wolle, damit die Pressestelle ihn gegenliest. Ich bin sprachlos – sage, dass das nicht üblich ist. „Ihre Pressesprecherin wollte mich zurückrufen“, sage ich. „Sagen Sie mir Ihren Namen, ich werde ihr Bescheid geben“, sagt sie.

Tag zwei. Ich warte bis zum späten Vormittag. Kein Rückruf, nirgends. Also rufe ich an. Jetzt ist die Sprecherin selbst am Telefon. Oui, pardon, sagt sie, sie sei im Stress, sie habe noch mit der Jahresbilanz zu tun. (Die ist bereits vor einer Woche bei einer Pressekonferenz veröffentlicht worden.) Sie sucht meine Mail. Es dauert. Sie liest mir meine Mail vor. Ob ich für meine Fragen einen Ansprechpartner oder von ihr die Informationen bekommen könnte. „Ich werde Sie per Mail auf dem Laufenden halten“, sagt sie. Sie sagt nicht: Wir melden uns so schnell wie möglich. Das ist immerhin ehrlich. Denn diese Phrase würde übersetzt bedeuten: Wir melden uns, wann wir wollen. Und wenn wir wissen, was wir sagen wollen und was nicht.

Tatsächlich kommt eine Stunde später eine Mail. Inhalt: Nichts anderes als ein Link zum Jahresbilanz-Vortrag vor einer Woche. Den kenne ich schon von der Homepage des Unternehmens. Ein Gespräch? Fehlanzeige. So schön Mails in dieser Welt oft sind – hier sind sie ein perfides Werkzeug, um Journalisten auf der Jagd nach Informationen auf Abstand zu halten. In einem Gespräch könnte man ja Fragen gestellt bekommen, die man nicht gleich beantworten kann oder gar welche, die kritisch sind. Dann doch lieber einfach einen Link schicken. Will heißen: Such, Journalist, such selber! Such in den 88 Seiten, ob da drin ist, was Du brauchst! Wenn es nicht drin ist, hast Du Pech gehabt. Am Ende der Mail schließlich noch der Hinweis, dass ich mich für Fragen zum deutschen Markt an die Kollegin in Deutschland wenden solle.

Ich gebe nicht auf und antworte der Dame. Bedanke mich, aber bitte noch um Auskunft zu ein paar Fragen, deren Antwort nicht in dem Online-Pressematerial steht. Zwei Stunden später der karge Hinweis per Mail: Wie sie doch bereits geschrieben habe, solle ich mich an die deutschen Kollegen wenden. Am Ende ein höfliches „bien cordialement“. Man wahrt die Form statt ehrlich zu schreiben: Journalist, lass mich in Ruhe.

Tage später erreiche ich die deutsche Kollegin des Konzerns, die wegen einer Jahrestagung mehrere Tage nicht erreichbar war. „Ja, ich wollte sie auch gerade anrufen“, sagt sie. Wir reden zehn Minuten, in denen sich schon einige meiner Fragen klären lassen. Und einen Tag später habe ich dann schriftliche Antworten auf meine gestellten Fragen. Es geht eben auch anders. Bei einer letzten Nachfrage zum französischen Markt werde ich höflich an die Kollegin in Paris verwiesen. Das stimmt mich heiter.

„Service de presse“ heißen in Frankreich die Presseabteilungen. Bei Service darf man nicht an Service, Bedienung oder Auskunftshilfe denken, oft ist das Gegenteil der Fall. Die Franzosen, sonst Meister der Unterhaltung und Rhetorik, sind in Pressestellen sehr oft nicht mehr wiederzuerkennen: abweisend, hierarchieängstlich, arrogant. Wenn man Pressesprecher nicht schon mal vorher auf einem Pressetermin getroffen hat, mit ihnen vielleicht ein Glas getrunken hat, dann prallt man oft an ihnen ab wie ein Tropfen an einer Scheibe. Dabei könnte man vermuten, dass Pressestellen von Unternehmen Medienanfragen aufmerksam bearbeiten oder gar schätzen: Zum einen müssten sie interessiert sein, dass keine falschen Daten veröffentlicht werden. Zum anderen könnte es ja sein, dass der Artikel über ihre Produkte indirekt auch einen positiven Werbeeffekt für sie hat.

Das ist Alltag für viele Journalisten in Frankreich. Französische Pressestellen sind leider oft professionelle Informationsverhinderungsstellen.

 

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Attacke auf die Sommerferien

Ihr Ende naht, Anfang September ist Schluss. Aber noch dauern die Sommerferien in Frankreich an. Noch sind die Strände voll, die Campingplätze auch. Noch steht an den Türen vieler Geschäfte “Fermeture annuelle” wegen ihres wochenlangen Jahresurlaubs – und ein Hinweis an den Briefträger, was er mit der Post tun soll. Die „grandes vacances“ dauern in Frankreich so lange, dass Schüler anderer EU-Staaten neidisch werden können: zwei Monate. Doch viele Franzosen fragten sich in den vergangenen Wochen: Wie oft werden wir diesen großen Ferienblock noch erleben?

Für Aufregung sorgte ein Interview des sozialistischen Erziehungsministers Vincent Peillon. Sechs statt acht Wochen Sommerferien seien genug, sagte der Minister, der selbst eine Lehrerausbildung hat. Peillon hat gerade eine Schulreform durchgesetzt. Sie sieht unter anderem vor, dass ab dem kommenden Schuljahr viele Grundschulen von der Viertage- zur Viereinhalbtage-Woche wechseln – der schulfreie Mittwoch gehört dann der Vergangenheit an. Als der Minister auch noch verkürzte Sommerferien ins Spiel brachte, ging das Gezeter los: Schüler, Lehrer, Tourismusbranche und Politiker, sie alle meldeten sich sorgenvoll zu Wort.

Les grandes vacances – die großen Ferien, sie sind aus dem Jahreszyklus kaum wegzudenken. Sie gelten als Teil des schönen Lebens in Frankreich. Das Land schaltet einen Gang herunter. Für Schüler sind diese Ferien eine richtige Auszeit. Ihr Ende ist eine Zäsur wie ein Sommersilvester: Kein Wunder, dass danach im September die „Rentrée“ ansteht, die Rückkehr in den Schul- und Arbeitsalltag. Schon gibt es in den Nachrichten die ersten Beiträge über die neuesten Trends der Schulranzen.

Diese lange Ferienzeit hat historische und wirtschaftliche Gründe im 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts, mit ihr wurde den Wünschen der Bevölkerung entsprochen. Denn die Landwirte brauchten für die Ernte auf den Feldern und in den Weinbergen jede helfende Hand, auch die ihrer Kinder. 1950 arbeiteten noch 49 Prozent der Franzosen in der Landwirtschaft. In den 1960er Jahren dauerten die Ferien noch zehn Wochen. Doch die Gesellschaft wandelte sich, die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe wurden weniger. Anfang der 1980er Jahre verkürzte die Regierung die Sommerferien auf derzeit acht bis achteinhalb Wochen.

Warum jetzt noch mehr Tage streichen? Die Schüler müssten mehr Zeit fürs Lernen haben, sagt Peillon. Zurzeit stünden sie zu sehr unter Druck. Französische Schüler haben ein sehr kurzes Schuljahr, aber zu lange Schultage, kritisieren Experten schon lange. Nirgendwo in Europa sind die Schultage derart vollgepackt. In den meisten EU-Staaten gehen die Kinder durchschnittlich 180 Tage im Jahr zur Schule. In Frankreich sind es nur 144 Tage. Peillon ist übrigens nicht der erste Minister, der dieses heiße Eisen anpackt. Bereits der konservative Minister Luc Chatel setzte 2010 eine Kommission ein, die Vorschläge ausarbeiten sollte, wie der Schulrhythmus verbessert werden könne. Tausende Schüler gingen damals zum Demonstrieren auf die Straße. Es blieb letztlich bei den acht Wochen.

Auch Erziehungsminister Peillon musste nach seinem Interview erst einmal zurückrudern. Im Erziehungsministerium betont man auf Anfrage vehement, dass das Thema grandes vacances nicht Teil der aktuellen Schulreform sei. Aber Peillon hat bereits ein Datum fallen lassen: 2015 soll die Ferienreform debattiert werden. Während die Sechs-Wochen-Befürworter ein besseres Gleichgewicht im Jahresschulzyklus erhoffen, betonen Psychologen, wie sinnvoll diese lange Auszeit ist: Die Kinder könnten sich wirklich erholen von dem Schuljahr, neue Freunde finden und in der Freizeit andere wichtige Dinge lernen.

Immer mehr Franzosen können sich aber mit Peillons Vorstoß anfreunden. Nach Umfragen sind 43 Prozent den Verkürzungsplänen zugeneigt – vor allem die Eltern. Sie haben natürlich nicht so viel Urlaub. Viele können meist nur zwei Wochen mit den Kindern wegfahren – manche wegen der Wirtschaftskrise gar nicht. Sie haben damit zu kämpfen, ihre Kinder acht Wochen unterzubringen oder zu beschäftigen. Glück haben die Mütter und Väter, die ihre Kinder bei Oma und Opa abgeben können. Oder die genug Geld haben, um die Kleinen in ein Feriencamp zu schicken.

Von der langen Auszeit profitieren übrigens in Frankreich einige Verlage: Viele Eltern kaufen ihren Kindern Aufgabenhefte, die „Cahiers de vacances“. Darin können die Kinder Übungen machen, um den Lernstoff des vergangenen Jahres zu wiederholen. Die Hefte sind ein Renner: Sechs Millionen solcher Hefte werden jährlich verkauft.

 

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Le hopisme

Der Weinhändler läuft zum Regal und zieht eine Flasche Côtes du Rhône heraus. „Hop“, sagt er und fragt, ob es noch etwas sein dürfte. Selbst der Kaminkehrer sagt hop, als er die Quittung aus dem Block reißt. Und dem Schüler in der Klasse entfährt ein hop, wenn er für die Lehrerin den DVD-Player anwirft. Im französischen Alltag hopt es ständig. Frankreich erlebt in der mündlichen Sprache eine Art Hopismus.

Warum hop? Das h bleibt bei der Aussprache natürlich mal wieder stumm, so dass sich das wie „op“ anhört. Gerne haucht man auch nach hinten raus: “opahh”.

Das hop gibt es auch ganz offiziell. Air France gab seiner neuen Tochtergesellschaft den Namen „Hop!“. Der Slogan der regionalen Billigflug-Linie: “Von einer Region zur anderen hüpfen.” In Straßburg werden die Leihräder der Stadt „Vélhop“ genannt („Et hop – un vélhop!“) Ließen sich die Franzosen vielleicht beeinflussen von dem Film „Hop – Osterhase oder Superstar?“, ein US-Zeichentrickfilm über einen hoppelnden Hasen? Hop kommt in der Netzwerktechnologie vor – so nennt man in Rechnernetzen den Weg von einem Netzknoten zum nächsten. All das bringt uns aber nicht wirklich weiter.

Hop, her mit dem Hörer und ein Anruf beim Linguisten Alain Lemarechal von der Universität Paris IV. Bonjour Monsieur Lemarechal, comment-hopez, äh allez vous? Herr Lemarechal sagt, dass das Hopen die Franzosen erst in den vergangenen drei bis vier Jahren so richtig erfasst habe. Natürlich gibt es hop schon länger, wenn Eltern etwa den Kindern einen Befehl geben, schneller zu machen (“Hop, au lit!”). Aber dieses hop zu sich selbst während einer Aktion, das vermehre sich. Er fragt sich, ob dieses Wörtchen vielleicht bei der Berufsausbildung einfach oft benutzt wird? Jedenfalls betone man damit gerne Schnelligkeit beim Bedienen. Eine kleine, lautmalerische Interjektion, in der steckt: Nichts einfacher als das, das machen wir – da haben wir es schon. Ein Gefühl von Leichtigkeit. Hepp würde es rechtsrheinisch heißen.

Wenn es also im Geschäft hopt, ist Kundenfreundlichkeit und Zackigkeit mitten unter uns. Denn dann hoppelt der Franzose gerne für jemanden. Vive le hopisme.

 

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Eine quicklebendige Maus – zum 50. Geburtstag des Elyséevertrages

„Der Berg gebar eine Maus, aber wir wissen noch nicht, ob sie auch lebt…vielleicht dauert auch die Schwangerschaft noch an…jedenfalls haben wir beschlossen, den Topf auf dem Feuer zu lassen,“

schrieb André Fontaine in Le Monde am 7.07.1964 nach einem deutsch-französischen Gipfeltreffen zwischen Ludwig Erhard und Charles de Gaulle. Wie wenig sich doch geändert hat. So oder so ähnlich könnte man auch heute noch zahlreiche Gipfel zwischen den mehr oder weniger befreundeten Staatschefs charakterisieren.

Aus Anlass der großen Geburtstagsfeiern, die die deutschen wie französischen Medien seit Tagen zelebrieren, habe ich meine Magisterarbeit zum nämlichen Thema nochmal hervorgekramt. Dort findet man natürlich solch herrliche Zitate. Konkret beschäftigte ich mich mit … nein, ich will Sie nicht langweilen. Diese akademischen Titel kommen immer auf besonders hölzernen Stelzen daher. Also, es ging um die Bewertung einer gemeinsamen deutsch-französischen Außenpolitik, dem Herzstück des Elyséevertrages von 1963 in den 60er Jahren. Das Urteil war vernichtend: Sie fand nicht statt. Eigentlich genau wie heute. Nur aus anderen Gründen.

1989 drückte ich das so aus: „Die jeweilige Staatsräson widersprach einer gemeinsamen außenpolitischen Haltung.“ Nun ist der Begriff „Staatsräson“ heute nicht mehr besonders populär. Sagen wir also, die Geschichte, die Geographie sowie die politische Kultur machen es Berlin und Paris ungeheuer schwer, außenpolitisch die gleiche Sprache zu sprechen. Berlin blickt heute eher nach Osten (undenkbar in den 60 Jahren, schon wegen der Hallstein-Doktrin!), Frankreich nach Süden. Die außenpolitische Hörigkeit der Deutschen gegenüber der amerikanischen Politik hat sich hingegen etwas relativiert, aber Frankreich gesteht sich nach wie vor mehr Freiheit zu, sich auch mal über Bündnisse hinwegzusetzen, wenn es um nationale Interessen geht. In Paris versucht man außenpolitisch zu agieren, während Berlin lieber reagiert. Jüngste Beispiele sind Libyen oder nun Mali. Die Bundeskanzlerin hat trotz außenpolitischer Richtlinienkompetenz wesentlich weniger Entscheidungsfreiraum als der französische Präsident. In Kanzleramt salutiert man vor dem politischen Konsensmodell während Mr Le Président auch schon mal gerne mit der Trikolore in der Hand voraus reitet und seine Regierung schaut ihm staunend hinterher.

Nur wenn es um Europa geht, raufen die Staatschefs sich meistens letztlich zusammen. Wissen sie doch, dass ohne den berühmten deutsch-französischen Motor nicht allzu viel läuft.

Was gibt es also so groß zu feiern? Dass die beiden Staaten überhaupt nach all den Opfern, die sie sich gegenseitig in diversen Kriegen abgefordert haben, vor 50 Jahren einen solch ambitionierten Freundschaftsvertrag unterzeichnet haben! Dass die institutionelle Zusammenarbeit und Koordination sehr gewissenhaft umgesetzt wird und heute das Herzstück des Vertrages in seiner Umsetzung bilden. Und dass sich über die Jahre das Verhältnis zwischen den ganz normalen Menschen in den Nachbarstaaten sehr entspannt hat.

So sehr, dass ich heute im Herzland des Maquis, der französischen Résistance, in ehrlicher Freundschaft mit meinen Nachbarn beim Dorffest Cassoulet essen und Rotwein trinken kann, wir gemeinsam lachen und tanzen – obwohl SS-Soldaten am 10. Juni 1944 im Nachbarort Marsoulas bei einem grausamen Massaker ein Drittel der Bevölkerung ausradierten. Deshalb würde ich heute sagen: Der Berg gebar vielleicht nur eine Maus – aber wissen mit Sicherheit, dass sie lebt!

 

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Scheidung noch mal verschoben?

Viele Journalisten lieben markige Statements oder eine holzschnittartige Darstellung der Welt. Schwarz und Weiß. Als wären Grautöne unverdaulich. Da Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Hollande nicht als politisches Liebespaar bekannt sind, ist dann schon mal schnell von einer bevorstehenden Scheidung die Rede. So auch gestern wieder in den Hauptnachrichten des französischen Fernsehsenders France 2. Da wurden ernste Gesichter aus Brüssel gezeigt, Merkel und Hollande hätten nicht einmal ein höfliches Lächeln füreinander übrig gehabt. „Steht nun die Scheidung bevor“, fragte daraufhin der Moderator den Brüssel-Korrespondenten.

Die Überzeichnung der inhaltlichen sowie der persönlichen Differenzen zwischen Hollande und Merkel sind in Deutschland wie in Frankreich bei einigen Medien besonders beliebt. Von einem tiefen Einblick in die deutsch-französischen Beziehungen zeugt das nicht. Denn die vor knapp 50 Jahren von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle formal besiegelte deutsch-französische Freundschaft hat inzwischen eine Tiefe und institutionelle Verwebung auf ganz unterschiedlichen Ebenen erreicht, sie würde überleben auch wenn Merkel und Hollande sich abgrundtief hassten und sich politisch überwärfen. Für letzteres sind beide viel zu klug und viel zu diplomatisch.

Dass Berlin und Paris immer mal wieder in politischen Fragen ganz unterschiedlicher Meinung sein werden, tut beiden Seiten und Europa gut. Denn es trägt zu einer fruchtbaren Kompromisskultur bei. Auch zum Innehalten und Überdenken der eigenen Position – falls man dazu Zeit findet. Dass die politischen Überzeugungen selbst bei einer diplomatischen Annäherung der Positionen in Brüssel im Grunde mitunter sehr weit von einander entfernt bleiben, ist schon aus historischen Gründen nicht überraschend. Das staatliche Selbstverständnis und damit auch die Staatsräson Deutschlands und Frankreichs sind keineswegs identisch. Das gilt sowohl für innen- wie außenpolitische Aspekte. Aber es gibt genügend gemeinsam Interessen, die eine Annäherung in der Politik immer wieder lohnend machen.

Bei jedem politischen Schlagabtausch oder jeder Missstimmung zwischen Kanzler(in) und Präsidenten (auf eine französische Präsidentin brauchen wir leider in absehbarer Zeit noch nicht zu hoffen) die „Scheidung“ heraufzubeschwören, ist deshalb reine Effekthascherei, dumm und ermüdend.

 

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“Canicule” auf dem Dorf

Der Aufmacher der Abendnachrichten im französischen Fernsehen ist seit Tagen „la canicule“ – die Hitzewelle. Sie ist selbst in den „Kleinen Pyrenäen“ – einem Vorgebirge der richtigen Pyrenäen – kaum zu ertragen. Nicht einmal die Vögel singen mehr tagsüber. Nur die Eidechsen sonnen sich noch auf heißen Steinen. Die Menschen hingegen haben sich in ihre Häuser zurückgezogen, Türen und Fenster fest verschlossen, auf der Südseite sogar die hölzernen Fensterläden. Die etwa 60 Zentimeter dicken Wände der alten Steinhäuser sorgen dafür, dass es drinnen mit 23 Grad noch angenehm kühl bleibt. Um die 38 Grad selbst auf 4 – 500 Metern Höhe sind draußen keine Seltenheit. Da kommt dann wirklich jegliche Aktivität zum Erliegen. Das will was heißen, wo doch im Hochsommer ohnehin das sprichwörtliche Schneckentempo, in dem die Dinge hier normalerweise vor sich gehen, bis zu einem Punkt reduziert wird, an dem für Außenstehende Bewegung eigentlich gar nicht mehr erkennbar ist.

So wurde beispielsweise das Tempo des Verlegens neuer Wasserrohre im Unterdorf von Belloc Anfang August einen Gang runter geschaltet. Das bedeutet, die Baugruben am Rande der Straße sind weiterhin offen und mit Warnschildern markiert, die neuen Wasserrohre liegen Krokodilen auf der Lauer gleich, erwartungsvoll in den benachbarten Feldern, aber die Bauarbeiter des „Syndicat des Eaux“ wurden seither nicht mehr gesehen. Ich bin sicher, hinter den Kulissen gibt es noch großartige Pläne und sehr viel guten Willen. Auch wenn sich die Mitarbeiter der lokalen Wasserbehörde in ihrem wohlverdienten Urlaub befinden sollten, denken sie sicher manches Mal wehmütig an die offenen Erdgruben in Belloc. Insofern ist das Projekt nicht tot. Aber erkennbar passiert gerade sehr wenig. Bis gar nichts. Doch regt sich auch kein Protest in Belloc angesichts des unvollendeten Werks. Die Zuversicht ist groß, dass die Arbeit irgendwann wieder aufgenommen wird und wir dann endlich neue Wasserrohre bekommen, so dass die leidigen und häufigen Rohrbrüche eines schönen Tages ein Ende haben werden.

Diese Hoffnung jedenfalls teilen die Belloquois miteinander, wenn die Zeit des intensiven Austausches kommt. Das ist in diesen Tagen in der Regel zwischen 21 und 23 Uhr. Wenn die Sonne rot hinter den Pyrenäen versinkt und den Himmel in die kitschigsten Farben kleidet, vor dem sich dann nur noch die Berggipfel dunkel abheben. Wenn die Bäume und Felder tief durchatmen, die Kühe und Schafe die Energie zum Grasfressen wiederentdecken. Wenn die Vögel beginnen zu zwitschern und die Fledermäuse ihren hektischen Abendtanz aufnehmen. Dann kommen die Bürger von Belloc aus ihren Häusern und flanieren auf der einzigen einspurigen Straße, die durch das Dorf führt vom Unterdorf ins Oberdorf und umgekehrt. Denn die lockere Ansammlung von Häusern dieses „Lieu dit Belloc“ (wörtlich übersetzt heißt das so viel wie „der Ort, den man Belloc nennt” und bezeichnet in Frankreich einen Weiler) zieht sich über gut 2 Kilometer Länge, auch wenn hier statistisch gesehen nur 36 Leute permanent leben.

Wir reihen uns ein in diese lockere Abfolge langsam vorwärts strebender Gestalten, die immer wieder zu einem Schwätzchen im Halbdunkel stehen bleiben. Marion kommt uns mit ihrem Enkel aus Toulouse auf dem Fahrrad entgegen. „Den Jungen muss man ein wenig trainieren“, sagt sie lachend. „In Toulouse gibt es ja keine Berge.“ Im Trainingscamp bei der Oma. Als Belohnung wird der kleine Marc ausgezeichnet bekocht. Denn die Oma pflegt nicht nur einen beeindruckenden Gemüsegarten, sie stellt auch ihre Rezepte ins Internet. Traditionelle regionale Küche, häufig mit raffiniertem armenischen Akzent, denn Marion hat armenische Wurzeln. Ein Familienprojekt, erläutert sie, „Ich serviere das Gericht schön dekoriert auf dem Tisch. Aber mein Mann darf erst essen, nachdem er es fotografiert hat und verspricht, das Bild hinterher ins Netz zu stellen.“ Emanzipation auf Belloquois. Marion grinst. „Ich sollte wohl lernen, das selber zu tun, um unabhängiger zu sein. Kann eigentlich so schwer nicht sein, oder?“

Inzwischen sind Marianne und Jean zu uns gestoßen. Jean trägt einen abgegriffenen, hölzernen Wanderstock in der Hand, auf den er sich stützt. Nicht weil er besonders gebrechlich wäre, mehr aus Gewohnheit. Die beiden ausgesprochen fitten Rentner machen sich fast jeden Abend auf den Weg zu einer verwitterten Holzbank unter einem alten Baum im Oberdorf, dem Treffpunkt einer Gruppe Alteingesessener. Doch heute sind sie ziellos. Denn den Kontakt mit den Freunden aus Haut-Belloc scheuen sie in diesen Tagen. „Einige haben Flöhe als Andenken von einer Reise zu Verwandten am Mittelmeer mitgebracht. Die sollen sie mal schön für sich behalten“, sagt Jean. Die Flohbank wird seither gemieden.

Früher gehörten Flöhe zum Alltag in Belloc. Die Tierzucht habe das mit sich gebracht und überhaupt seien die hygienischen Verhältnisse nicht vergleichbar gewesen. Wir lernen, dass es Flöhe gibt, die auf Tiere und Menschen spezialisiert sind, aber auch solche, die sich im Parkett und in den Dachstühlen einnisten. Letztere sind angeblich die harmlosesten. Wie beruhigend.

Nach einigen netten Flohgeschichten aus der guten alten Zeit wechselt das Gespräch nahtlos zu einem bedeutenderen, aktuellen Problem: den Aoȗtats. Zu deutsch: Herbstgrasmilben. Dazu kann jeder eine Geschichte beitragen, denn mit denen haben hier im Spätsommer alle zu kämpfen. Die gemeinen, winzigen Aoȗtats sitzen im feuchten Gras und warten nur darauf, dass ein Tier oder ein Mensch mit nackten Beinen vorbeikommt, um sich auf deren Haut vorübergehend einzunisten. Es sind die  Larven, die sich in die Haut reinbeissen und von ihr ernähren, bis sie nach einigen Tagen wieder abfallen. Und das juckt wie verrückt. Was tun? Marianne, eine ehemalige Apothekerin, winkt ab: „All die tollen Salben, die man in der Pharmacie bekommt, nutzen nicht viel. Das ist Unsinn.“ Man müsse sich einfach beherrschen und sich die Haut nicht auch noch aufkratzen. Voilà. Erstaunliche Worte. Wo die Franzosen doch bekanntlich für alles und jedes in die Pharmacie pilgern, um ein kleines Mittelchen zu erstehen, das ihre Beschwerden lindern könnte. Ich kenne kaum ein Land, das eine ähnliche Apothekendichte aufweist wie Frankreich. Aber das ist ein anderes Thema.

Denn nun kommt mein großer Auftritt an diesem Abend: „Geschwefelte Seife hilf”, werfe ich ein. “Schreckt die Milben ab, lindert aber auch den Juckreiz.“ Von diesem Hausmittel haben die Belloquois noch nicht gehört. Sie sind beeindruckt. Dass ausgerechnet eine Deutsche mit diesem Tipp aufwarten kann! Ich verschweige nicht, dass dieser Hinweis von einer französischen Freundin aus dem Béarn, weiter westlich in den Pyrenäen, stammt. Ein Hauch von Erleichterung huscht über die Gesichter: Na dann wird es wahrscheinlich stimmen! Da ich nun schon mal das Wort ergriffen habe, nutze ich die Gelegenheit, mich nach dem Schicksal der neuen Wasserrohre für Belloc zu erkundigen. Denn diese abendlichen Spaziergänge sind eine wichtige Informationsbörse. „Keine Sorge“, beruhigt mich Jean. „Zu gegebener Zeit kommen die Wasserarbeiter sicher wieder und setzen ihre Arbeit fort. Im Augenblick ist es doch ohnehin für alles zu heiß!“ Das leuchtet natürlich ein.

 

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Piano-Konzert im Wald. Nur in der Ariège.

Die Vögel singen sich ein. Die letzten Sonnenstrahlen scheinen durch das satte Grün der Bäume auf die kleine Lichtung zwischen den beiden alten Steinhäusern. Noelle kommt uns lächelnd entgegen – sie hat Bordeneuve zum Leben erweckt und sich ihren Traum erfüllt: Ein Rückzugsort für Künstler aus aller Welt am Fuße des Schlosses Castelbon. Heute Abend eröffnet die amerikanische Pianisten Lisa Lanza, die zehn Tage in Bordeneuve zu Gast war, die Konzertsaisont. Der Beginn eines künstlerischen Sommers voller Überraschungen.

Es ist Noelle Thompsons Sieg, die Stunde ihres Triumphs, den sie sehr nachdenklich lebt. Mitunter mit Tränen in den Augen. Die Mittdreißigerin hat diesen wunderbaren Ort buchstäblich mit ihren eigenen Händen geschaffen. Jedenfalls in den letzten zwei Jahren, nach dem plötzlichen Krebstod ihres Mannes David 2009. Denn begonnen hatte David Thompson die Verwandlung einer Scheunenruine in ein aus Holz und Natursteinen gebautes Haus mit zwei großen, offenen Räumen. Nachdem Noelle den Schock seines Todes halbwegs überwunden hatte, widmete die mutige Flötistin sich wieder dem gemeinsamen Traum. Sie betonierte Böden, verlegte Fliesen, bepflanzte den Garten, kümmerte sich um jedes Detail. Kein Stein, kein Stück Holz, das nicht in ihren Händen gelegen hätte. Hände, mit denen sie sich oft den Schweiß von der Stirn wischte oder sich die blonden, wuschelig-krausen Haare raufte, wenn wieder einmal nichts wie geplant klappen wollte. Aber auch Hände, die elegant über Klaviertasten gleiten können und einer Flöte die süßesten Töne entlocken.

Lisa Lanza, eine kleine, etwas rundliche Frau mit dunklem lockigen Haar und lachenden Augen, spielt die Rolle des ersten Gastes in der Künstlerpension. Wenn auch nur kurz, denn schon nach ein paar Tagen gehört sie quasi hier her. Welch eine wunderbare Kombination! Zwei besondere Frauen, ein bemerkenswerter Ort und die Musik.

Im ersten Stock der ehemaligen Scheune sitzen rund 20 Gäste auf einfachen Holzstühlen. Durch die großen, offenen Fenster hören wir die Vögel zwitschern. Lisa trägt ein schwarzes Kleid, eine dünne schwarze Wolljacke, die von einem goldenen Schmetterling gehalten wird. Die Brosche ist ein Erbstück ihrer kürzlich verstorbenen Mutter. Einer der Gründe, warum Lisa sich 10 Tage in Bordeneuve gegönnt hat: Um sich von der Mutter zu verabschieden und sich auf eine Konzertserie in den USA vorzubereiten.

Lisas Mutter gehört zu denen, deren Anwesenheit deutlich zu spüren ist, obwohl sie für das Auge nicht sichtbar sind. „Ich freue mich sehr, heute Abend hier spielen zu dürfen“, sagt Lisa und geht mit entschlossenen Schritten auf den Steinway-Flügel zu. Liszt, Debussy und Brahms stehen auf dem Programm. „Und ich freue mich jetzt schon noch mehr auf den Rotwein und die selbstgemachten Tapas von Noelle“, flüsterte Lisa mir kurz vor Beginn des Konzerts Augen zwinkernd zu.

Die ersten Töne verzaubern die ehemalige Scheune. Noelle sitzt neben mir auf dem Holzboden in ihren hellen Shorts und weißer Bluse. Barfuß, wie meistens. Sie blickt versonnen aus dem Fenster, hält sich tapfer. Denn dass David bei uns ist, darauf weist nicht nur sein in weißer Farbe auf einen Notenständer gepinselter Name hin. Die Verstorbenen sind nicht tot, sie bleiben bei uns, solange wir es erlauben und ihnen Raum geben. Auf ganz subtile Weise ist dieser Piano-Abend, später noch von dem begabten katalanischen Cellisten Nabi Cabestany bereichert, eine Überwindung des Verlustes durch den Tod. Für Noelle und David wie für Lisa und ihre Mutter. Aber auch für die wenigen Eingeweihten, die gelegentlich feuchte Augen bekommen. Die übrigen Gäste spüren nur eine große Intensität, der weite, luftige Raum, der von dem schweren, hölzernen Dachgebälk überspannt wird, knistert vor Emotionalität.

Als Lisa und Nabi sich zum dritten Mal verneigen, verlangen die Zuhörer weitere Zugaben. Ich glaube, wir wollen alle nicht, dass der Zauber, den die beiden verbreiten – unterstützt von den Vögeln  – ein Ende findet. Lisa löst die Spannung mit einem witzigen Tango über verrückten französischen Käse. Danach will sie aber wirklich ihren Rotwein. Sie hat sich ihn mehr als verdient.

Bei Wein und exquisiten Häppchen perlen die Gespräche zwischen all diesen unterschiedlichen, sehr ungewöhnlichen Menschen, die es auf die ein oder andere Weise in die Ariège verschlagen hat, mit großer Leichtigkeit. Unterbrochen von dem ein oder anderen schallenden Lachen. Franzosen, Amerikaner, Briten, ein Israeli, eine Deutsche, eine spanische Familie – Lisa, Nabi und Noelle haben sie miteinander verbunden.

Wir tauschen Bruchstücke unserer persönlichen Geschichten aus. Und lachen über die banale Erkenntnis, wie klein die Welt ist. Es ist stockdunkel, als alle die gegangen sind, die noch eine lange Fahrt vor sich haben, um an ihre eigenen, weit entlegenen Heimatorte irgendwo in den Pyrenäen oder am anderen Ende der Ariège zu gelangen. Auch die Vögel schlafen schon. Aber der Rotwein ist noch nicht leer und ein paar Oliven glänzen verlockend in einer Tonschale. Ein paar Träume und Erfahrungen gilt es noch zu teilen.

Lisa will sich irgendwann endlich einen eigenes Grand Piano kaufen, auch wenn sie nicht weiß, wo sie es Zuhause hinstellen soll. Oder woher das Geld dafür kommen soll. Noelle weiß nicht, ob sie einer Klasse junger amerikanischer Flötisten – die nächsten Gäste – Wein zum Abendessen anbieten darf oder nicht. Legal sei das nämlich nicht, jedenfalls nicht in den USA. Und die Lehrer tränken auch nicht, wendet sie ein. Aber Südfrankreich und Noelles exzellente Küche ohne Rotwein – das geht gar nicht, entscheiden wir. Außerdem debattieren wir, ob die große, dunkle Schlange, die ich kürzlich im Gemüsegarten fand, eine giftige Viper war oder eine harmlose Blindschleiche.Und wir machen Pläne für weitere Konzerte.

Kaum zu identifizierende Tierschreie zerreissen die Stille der Nacht. Füchse. Noelle sagt, das sei normal, das seien Fuchskämpfe im Wald. Wie beruhigend. Mit einer Taschenlampe ausgestattet stapfen wir über einen dicht belaubten, kaum erkennbaren Pfad steil nach oben zum Schloss Castelbon. Dort steigen wir ins Auto und fahren in die Nacht. Immer noch verzaubert. Nur in der Ariège.

 

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Am liebsten wieder de Gaulle

Les bons citoyens von Betchat haben gewählt. Mit überwältigender Mehrheit links. Das hatte ich auch nicht anders erwartet. Und doch hat auch hier Marine le Pen die Zahl der Stimmen des rechtsradikalen Front National FN im Vergleich zu 2007 fast verdoppeln können – auf 31. Das entspricht 12,55% der abgegebenen Stimmen. Direkt hinter Nicolas Sarkozy, der 37 Wähler überzeugte.

Wer also sind diese 31, die auf dieser gefährlich erscheinenden Marine-Welle schwimmen? Nur wenige geben in einer so übersichtlichen Gemeinde mit rund 290 Wahlberechtigten, wo jeder jeden kennt, gerne offen zu, FN zu wählen. Von einigen weiß ich es: Zum Beispiel ein älteres Ehepaar, ganz durchschnittliche, freundliche Leute, die einen zweiten Wohnsitz in Toulouse haben. Dort in einem Viertel, in das über die Jahre immer mehr Nordafrikaner oder Franzosen mit maghrebinischer Herkunft gezogen sind. Sie sagen, das Leben dort habe sich total verändert. Die Kriminalitätsrate sei drastisch gestiegen, wenn es dunkel werde, trauten sie sich nicht mehr auf die Straße. Dieses Rentnerpaar sehnt sich nach den guten alten Zeiten, als man überall in Toulouse noch zu jeder Tages- und Nachtzeit sorgenfrei herumspazieren und in den Straßencafés sitzen konnte. Deshalb gehören sie zur Fraktion „Ausländer raus – Frankreich den Franzosen“.

Diese Fraktion verkörpern inzwischen sowohl Marine Le Pen als auch Nicolas Sarkozy. Doch Le Pen spricht die Sprache des einfachen Volkes, Sarkozy nicht. Wenn ich mit meinen Nachbarn über Alltägliches rede, Probleme die sie haben, ihre Wünsche, Sehnsüchte, dann denke ich oft in diesen Tagen: Könnte gut sein, dass sie Le Pen wählen. Dabei sind sie weder besonders radikal, noch wollen sie einen Polizeistaat. Auch gegen Juden haben sie in der Regel nichts. Wenn es um Araber und Muslime geht, haben sie allerdings größere Vorbehalte. Die Medien machen ihnen Angst vor diesen Leuten. Sie verstehen sie nicht. Irgendwie wäre es schon gut, wenn die alle wieder nach Hause gehen könnten.

Einige der Pensionäre hier auf dem Land haben auch persönlich schreckliche Erfahrungen im Algerien-Krieg machen müssen. Das haben sie nicht vergessen, selbst wenn sie auf Nachfrage zähneknirschend zugeben, dass auch die Franzosen dort entsetzliche Gewalttaten verübt haben. Es war halt Krieg, heißt es dann unter einem tiefen Seufzer. Und Kriege sind immer schmutzige Angelegenheiten. Oder? Das Misstrauen ist geblieben. Auf diesem fruchtbaren Boden werden von der politischen Rechten sowie von zahlreichen französischen Medien Ängste gesät. Mit Erfolg.

So ist die Ausländer- oder vor allem die Araber-feindlichkeit – wie in Deutschland auf dem Lande auch – weit verbreitet in der Ariège. Die Mordserie von Mohamed Merah in Toulouse und Montauban hat dieses Gefühl noch verstärkt. Doch dies ist noch nicht die ganze Erklärung für die Sympathien für Le Pen in einem Teil Frankreichs, der traditionell rot ist. Viele Leute hier müssen hart für wenig Geld arbeiten. Sei es in der Landwirtschaft oder in der spärlich vorhandenen Industrie. Die meisten sind bescheiden, haben Angst vor einer unsicheren Zukunft, sie sehen, wie die staatlichen Sicherheiten, auf die sie sich mal verlassen konnten, zusammengestrichen werden.

Das prägt, bei aller Gelassenheit, die in dieser Gegend tonangebend ist, ein Lebensgefühl. Rückwärtsgewandt muss man es wohl nennen. Warum kann das Leben nicht mehr so sein wie es früher mal war? Als die Welt der Ariègois noch in Ordnung war. Als Betchat noch mehrere Handwerksbetriebe hatte, Geschäfte und ein Café. Heute gibt es nur noch eine Post, ein Bürgermeisteramt und eine Schule. Naja, und die Kirche mit Friedhof. Manchmal, aber nicht regelmäßig, wird hier noch eine Messe gelesen.

Es muss anders werden, wenn es besser werden soll. Am liebsten so wie früher. Aber wie? Wehmütig erzählt mir mein Nachbar Dede, der in der Wachmannschaft von Charles de Gaulle in den 60er Jahren gedient hat, dass man damals Politikern noch glauben konnte. Insbesondere de Gaulle natürlich. So ein Übervater, strammer Franzose mit Rückgrat, hervorgegangen aus dem Widerstand gegen Hitler und das Vichy-Regime, das wäre was. Auf den konnte man stolz sein. Aber Sarkozy, Hollande oder Mélenchon dagegen…

Und die Übermutter, Marine le Pen? Sie macht vielen noch Angst. Jedoch weniger als ihr Vater. Die Tochter hat den Front salonfähiger gemacht. Ein weiterer Grund für den Stimmenzuwachs. Und sie spricht eben tatsächlich die Sprache der einfachen Leute, die sich irgendwie von der aktuellen politischen Elite in Paris nicht wirklich vertreten fühlt. In ihren eigenen Werten und Traditionen tief verwurzelt und doch im heutigen politischen Zirkus orientierungslos – diese Beschreibung trifft wohl auf viele zu, die in Betchat am Sonntag Marine Le Pen gewählt haben. Ob sie am 6. Mai Hollande oder Sarkozy oder gar nicht wählen werden? Es werden noch Wetten angenommen.

 

 

 

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Der Schlüssel zur verlorenen Zeit

Immer wieder frage ich mich, welche Geschichte wohl hinter der angebrochenen Räute, dem Griff unseres alten, eisernen Hausschlüssels steckt. Wer ihn wohl schon alles in der Hand hatte? Vielleicht sogar die letzte pensionierte Nonne, die hier alleine lebte. Sie war behindert, wurde von den Großeltern unserer Nachbarn gepflegt. Als Dank erhielten die nach ihrem Tod dieses Haus und so kam „l’ancien couvent“, das „ehemalige Kloster“ in Belloc, in weltlichen Besitz.

 

Der Schlüssel hat ebenso wie die Holztüre mit ihrem Türklopfer in Form eines metallenen Löwenkopfes

schon vieles überstanden. Drum sollte man sich nicht allzu große Sorgen machen. Aber nicht nur sein Zerbrechen könnte drohen, wahrscheinlicher ist vermutlich sogar sein Verlust. Und dann stehen wir da, ohne Ersatz. Also muss ein Doppel her.

 

Als ich mich endlich aufraffe, den Hausschlüssel sowie seinen etwa gleichaltrigen Bruder, den Garagenschlüssel (ebenfalls ein Unikat mit etwas Grünspan verziert) zu kopieren, ahne ich nicht, dass ich mich auf eine Zeitreise begebe. Beim Schlüsseldienst in Toulouse, einer dieser modernen Kopierklitschen mit ihren ohrenzersägenden Fräsemaschinen, habe ich keine Chance. Vielleicht in einer altmodischen Eisenwarenhandlung, einer Quincaillerie, sagt der Schlüsselmacher vom Dienst. In der Kleinstadt Saint Girons werde ich fündig.

Die schwere Glastüre löst ein kurzes Bimmeln aus, als ich sie öffne. Die Quincaillerie Lapeyre ist ein unübersichtlicher, düsterer Laden, der eher an eine Rumpelkammer erinnert. Vermutlich gibt es hier eine Ordnung, sie erschließt sich dem ahnungslosen Besucher nur nicht. In der linken hinteren Ecke höre ich es rumoren. Es riecht nach Zigarettenqualm. Ich gehe vorbei an Eisenstangen, Schweißerutensilien, Stellwänden mit aufmontierten Türgriffen und Schlössern, bis ich plötzlich vor einem Mann im blauen Arbeitsanzug stehe. Der Mittvierziger hockt auf dem Boden, im Halbdunkel, umgeben von hunderten Schlüsselrohlingen, die teils auf kleinen Metallständern hängen, teils auf dem Boden zerstreut liegen. In seinem Mundwinkel hängt eine Zigarette, die langsam verglimmt, während der Mann Unverständliches vor sich hin murmelt.

Durch ein kurzes Räuspern mache ich auf mich aufmerksam. Der Verkäufer mustert mich von unten nach oben mit fragendem Blick. „Ich würde gerne zwei sehr alte Schlüssel nachmachen lassen“, sage ich zögernd. „Bin mir aber nicht sicher, ob Sie das tun können.“ „Wir machen keine Schlüssel“, lautet die trockene Antwort. Aha. „Aber wir haben welche.“ Ich krame meine beiden alten Schätzchen aus der Jackentasche und zeige sie ihm. „Hmm, dann wollen wir mal sehen.“ Die Zigarette zittert bei jedem Wort zwischen seinen Lippen, bleibt aber gerade noch hängen. Von nun an heißt es: Geduld!

Seelenruhig kramt mein neuer Freund – nennen wir ihn mal Jacques, er sieht aus als könnte er Jacques heißen – in seinen Schlüsselvorräten. Ab und zu zieht er voller Hoffnung einen Rohling hervor, studiert ihn minutenlang im Vergleich zum Original, rümpft die Nase, was dazu führt, dass wieder ein wenig Asche von der Zigarettenspitze fällt, und hängt ihn wieder an seinen Platz. Oder an einen anderen. Das Konzept von „jeder Schlüssel hat seinen Platz“ scheint hier ohnehin nicht zu greifen.

Als die Glut der Zigarette sich bedrohlich seinen Lippen nähert, drückt Jacques sie rasch an einem Metallteil auf dem Tisch zu seiner Linken aus und legt den Stummel daneben.Weiter geht die Schlüsselsuche. „Ah, le voilà!“, sagt er plötzlich nach etwa 20 Minuten mit einem Anflug von Begeisterung. Der Hausschlüssel ist gefunden. Aber wir sind noch lange nicht fertig. Nun ist der Garagenschlüssel dran. Das gleiche Prozedere. Jacques hat alle Zeit der Welt. Dann erneutes Aufblitzen in seinen Augen. Auch dieser Schlüssel soll seinen Meister finden.

Nun geht es an die kleine Fräsemaschine, anschließend zieht Jacques ein paar Handfeilen aus einer hölzernen Schublade. Hingebungsvoll macht er sich an die Feinarbeit. Ein wunderbares Erlebnis, von Menschen bedient zu werden, die ihre Arbeit mögen! Wieder vergehen mindestens 15 Minuten, bis Jacques zufrieden ist. Stolz reicht er mir die neuen, glänzenden Schlüssel. Sie sind genauso klobig wie die alten, aber aus einer gelblichen Metalllegierung. Haben deutlich weniger Charme. Egal, sie tun ihren Dienst (ich hab’s probiert).

Und Jacques, den Meister der Langsamkeit und Hingabe, den habe ich ins Herz geschlossen. Ich möchte eigentlich nie mehr woanders meine Schlüssel duplizieren lassen als in der Quincaillerie Lapeyre. Dort, wo die Zeit stehen zu bleiben scheint. „Bon“, sagt Jacques lächelnd, „kann ich noch irgendetwas anderes für Sie tun?“ „Nein,“ antworte ich grinsend und gehe gedankenverloren, ja fast bezaubert zur Kasse.

 

 

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Wir sind jetzt Freunde

Es herrscht eine warme Atmosphäre vor dem „Monument des Morts“ in der südfranzösischen 35-Seelen-Gemeinde Belloc an diesem Freitagmorgen. Küsschen zur Begrüßung. Jeder kennt jeden. Nur die Deutsche und den Schotten, die kennen noch nicht alle. Umso freundlicher werden sie Willkommen geheißen. So etwas hat es in Belloc noch nicht gegeben: Eine Deutsche, die am Gedenktag für die Kriegstoten im 1. Weltkrieg dabei ist. „Eine starke Geste“, meint mein Nachbar Bernard. Er sei stolz, mit mir befreundet zu sein. Das fröhliche Geplänkel und der Austausch des jüngsten Klatsches kommen zu einem jähen Ende, als der Bürgermeister das Mikrofon ergreift.

 

André Courset trägt einen dunklen Anzug und dunkelblaue Krawatte. „Es ist unsere Pflicht, an die zu erinnern, die Frankreich und die Demokratie verteidigten und dafür den höchsten Preis zahlten“, verkündet er feierlich. Nicht nur 1914 -18 sondern zu allen Zeiten. Er persönlich nehme den Gedenktag an den Waffenstillstand des 1. Weltkrieges am 11. November 1918 sehr ernst. Courset dankt den rund 20 Belloquois besonders herzlich, dass sie diese Tradition aufrecht erhalten. Denn in einigen Kommunen werde der 11. November mangels Interesse schon nicht mehr zelebriert. In seiner Ansprache ist für jeden etwas dabei: Für die Nationalisten, für die Verwandten von Gefallenen – und das sind hier auf dem Lande viele – aber auch einfach nur für Pazifisten.

 

Mit weißen Handschuhen hält der Fähnrich die blau-weiss-rote Nationalflagge mit der silbernen Aufschrift „Commune de Betchat“ in den lauen Herbstwind. Nun tritt ein Kommunalbeamter etwas linkisch ans Mikrofon. Er verliest – mit getragener Stimmer – eine Kurzform der offiziellen Ansprache des Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy am Arc de Triomphe in Paris! Die Langfassung gibt es übrigens zeitgleich im Fernsehen. Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie viel Bedeutung und Respekt die Franzosen dem Amt des Präsidenten beimessen. Selbst diejenigen, die seinen derzeitigen Amtsinhaber gar nicht schätzen.

Die beiden jüngsten Teilnehmer – zwei Teenager – legen das Blumengesteck der Kommune am kleinen Kriegerdenkmal nieder. Jetzt stehen alle stramm und konzentriert da. Zwei andächtige Schweigeminuten. Nur die Vögel zwitschern. Und Crapule, die freundliche Promenadenmischung, die immer durch Belloc streift, versteht wieder den Ernst des Augenblicks nicht. Fröhlich wedelt der Hund mit dem Schwanz und fordert einen nach dem anderen zum Spielen auf. Nicht doch! Denn schon ertönen Trompeten und Trommelwirbel aus dem kleinen schwarzen Lautsprecher unter dem Monuments des Morts. Kurz darauf die Marsaillaise – die übrigens von niemandem mitgesungen wird.

 

So ist es also am Feiertag für den Waffenstillstand von 1918 in „la France profonde“ – also dort, wo sich normalerweise Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen, denke ich mir. Weit gefehlt. Jetzt würde es doch erst richtig nett, betonen die Nachbarn. Und schleppen uns ab zu einem „vin d’honneur“, einem fröhlichen Umtrunk im Gemeindesaal. Da sind sie einfach unschlagbar, die Franzosen: Champagner wird gereicht, wenn auch in Plastikbechern. Mit oder ohne Cassis (das ist Johannisbeerlikör, der den Schampus dann in einen „Kir Royal“ verwandelt). Dazu gibt es kleine Häppchen. Aber nicht etwa mit Schnittkäse oder Thunfisch. Na, zu Foie Gras (Gänsestopfleber) sollte es doch noch reichen im krisengebeutelten Frankreich, zumal wir uns hier in einer Hochburg seiner Produktion befinden.

Die Stimmung hebt sich, alte Freundschaften werden gepflegt, neue geschlossen. Jedenfalls erklärt so Chantal ihrer 8jährigen Tochter Melissa, warum wir heute hier sind: „Vor vielen, vielen Jahren haben Deutsche und Franzosen sich gegenseitig im Krieg erschossen. Das war furchtbar“, sagt sie ernst. „Aber heute gedenkt Birgit aus Deutschland gemeinsam mit uns dieser Toten, denn heute sind wir Freunde.“ Chantal lacht, drückt mir einen Kuss auf die Wange, und wir stoßen auf diese neue Freundschaft an. Melissa will natürlich nun auch von mir in den Arm genommen werden – und plötzlich bekommt dieser Besuch aus reiner Neugierde bei den Feierlichkeiten zum 11. November in meiner neuen Wahlheimat eine ganz tiefe Bedeutung. Vive l’amitié. Vive la République. Vive la France. Und vor allem die südfranzösische Wärme und Lebenslust.

 

 

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“Charia hebdo”, Pressefreiheit und anti-islamischer Populismus

Plötzlich kämpfen alle für die Pressefreiheit – französische Politiker jeder Couleur preisen sie als „heiliges Recht“ der Franzosen. Richtig so. Ich meine, dieselben Politiker sollten ebenso auf die Barrikaden gehen, wenn staatliche Abhörskandale gegen französische Journalisten bekannt werden. Oder welche Pressefreiheit darf es bitteschön sein?

Der Aufschrei des Entsetzens gestern, nach dem abscheulichen Brandanschlag gegen den Redaktionssitz der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris, war ebenso absehbar wie ein Akt der Gewalt als Antwort auf das satirische Porträt des Propheten Mohammed auf der Titelseite der neusten Ausgabe. Als der Titel am Vortag publik wurde, war denen, die ein wenig Sensibilität gegenüber den Befindlichkeiten der islamistischen Szene und Kenntnis von der Engstirnigkeit ihrer extremen Anhänger haben, klar: Es wird Reaktionen geben. Und sie werden vermutlich mit Gewalt einhergehen.

Ob die Form der Auseinandersetzung von „Charlie Hebdo“ mit dem Wahlsieg der Islamisten-Partei Nahda in Tunesien und der Absichtserklärung des libyschen Übergangspremiers Mustafa Abdel Jalil, mehr Scharia-Elemente in der künftigen libyschen Rechtsprechung zu berücksichtigen, eine besonders intelligente war, sei dahingestellt. Unsere Pressefreiheit besagt schließlich nicht, dass nur kluge Meinungsäußerungen erlaubt sind. Und Satire umfasst erfahrungsgemäß ein sehr breites Spektrum zwischen „Dumm wie Bohnenstroh“ und intelligentem Witz. Egal für wie dumm man die Idee der Ausgabe „Charia hebdo“ hält, einen Brandanschlag auf die Redaktion rechtfertigt sie nicht. In einer aufgeklärten Gesellschaft sollte erlaubt sein, auch Religion und religiöse Figuren zu persiflieren. Und zwar die aller Religionen.

Das wird allerdings umso heikler, je aufgeheizter das Klima in einer Gesellschaft gegenüber dieser Religion ist. Leider herrscht in diesen Tagen nicht nur in Frankreich, auch in Deutschland, Islamophobie. Die Reaktionen in der französischen Presse aber auch unter einigen Politikern nach dem Wahlsieg der tunesischen Islamisten muss man teilweise als hysterisch bezeichnen. Da war sofort die Rede vom Ende der Frauenrechte, ja gar vom Ende der Demokratie! Dabei hatte die Nahda-Partei gerade bei als sehr demokratisch-korrekt bewerteten Wahlen eine Mehrheit errungen.

Warum diese unbesonnenen Reaktionen? Politische Verbohrtheit? Dummheit? Oder nur Unkenntnis der politischen und gesellschaftlichen Realitäten eines Landes wie Tunesien? Die Gesellschaften in Tunesien, Ägypten und Libyen haben jahrzehntelang unter korrupten, selbstherrlichen und gesetzlosen Regimen gelitten. Die Menschen sehnen sich nach Recht und Ordnung. In diesem Kontext haben die so genannten „gemäßigten Islamisten“ die Aura konservativer Saubermänner, denen man am ehesten zutraut, nicht persönlichen Profit zu suchen und das Land zumindest einem Rechtsstaat nahe zu bringen. Die Tunesier haben sich mehrheitlich entschieden, Nahda eine Chance zu geben. Soll die Partei nun Flagge zeigen und man wird sehen, ob die Erwartungen der Wähler erfüllt werden oder ob die Islamisten sich abwirtschaften und dann hoffentlich abgewählt werden. Natürlich kann das schief gehen. Aber es ist vielleicht auch die einzige Chance, islamischem Extremismus das Wasser abzugraben.

Ähnliches gilt für den Fall Libyen. Dort wurde schließlich nicht das Scharia-Recht als einzig geltendes eingeführt. Mustafa Abdel Jalil erklärte Berichten zufolge lediglich in Benghazi: „Wir sind ein islamischer Staat“ und versprach die Gesetze zu ändern, die dem islamischen Recht widersprächen. So hat man sich das im Westen vielleicht nicht vorgestellt, als man die Nato-Flugzeuge de facto zum Sturz Gaddafis in den Einsatz schickte. Tatsache ist aber, dass die meisten Staaten mit muslimischer Mehrheit zumindest Elemente der Scharia in ihrer Rechtsprechung berücksichtigen. In manchen betrifft das nur persönliche Rechte, in anderen ist die Scharia eine Quelle der Gesetzgebung neben anderen. Oder sie ist die wichtigste Quelle der Gesetzgebung. Oder wir haben es gar mit Scharia-Recht zu tun, wie in Saudi-Arabien oder Iran.

Aber dass das Rechtssystem, das sich ein Staat gibt, von den religiösen Werten der Mehrheit der Bürger inspiriert ist, ist doch nicht ungewöhnlich. Das ist auch bei uns so, obwohl wir uns auf eine strikte Trennung von Kirche und Staat berufen. Denken wir zum Beispiel daran, wie schwer wir uns mit der Gleichberechtigung schwuler oder lesbischer Paare tun. Wichtig ist, dass die Rechte von Minderheiten geschützt werden. Und dass das Prinzip der Gleichberechtigung – auch der von Männern und Frauen – respektiert wird. Das Selbstbestimmungsrecht gehört ebenfalls in diesen Katalog. In diesem Sinne täten wir gut daran, den Ausgang freier, demokratischer Wahlen zu respektieren und abzuwarten, welche neue Lebensrealität die Tunesier, Ägypter und Libyer für sich gestalten möchten. Steigen wir von unserem hohen Ross herunter, hören wir auf uns als neue „Besserwessis“ zu gebärden, die glauben, sie wüssten, was für diese Menschen gut ist.

Einen Anschlag auf unser hohes Gut der Pressefreiheit wie den auf „Charlie Hebdo“ dürfen wir nicht akzeptieren. Aber wir sollten auch nicht wortlos zusehen, wie einige Politiker und Journalisten aber auch ganz normale Bürger ihn als Anlass für einen neuen Kreuzzug gegen den Islam missbrauchen.

 

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Jeder für sich, gemeinsam gegen Sarkozy

Da standen sie nun vor der Kamera des französischen Fernsehsenders France 2, die sechs Bewerber für die sozialistische Präsidentschaftskandidatur. Zu Anfang ein bisschen nervös, etwas bemüht, schließlich geht es um viel. Ségolène Royal, die bereits 2007 gegen Nicolas Sarkozy angetreten war und verlor, zeigte sich mit Abstand am besten geschminkt. Doch ihr gewinnendes Dauerlächeln hatte etwas irritierendes. Offenbar hatten ihre Berater es verordnet, damit sie trotz der allgemeinen Krisenstimmung vor allem Zuversicht verbreite. Aber punkten konnte sie bei diesem knapp dreistündigen TV-Politmarathon mit ihrem ‘I can do it’-Grinsen nicht.

Royal, Franҫois Hollande (der in den Umfragen vor dem Fernsehduell führte), Martine Aubry, Manuel Valls, Arnaud Montebourg und der sich als Statist gebärdende Jean-Michel Baylet – sie alle wollten ihr Profil vor den für den 9. Oktober angesetzten Vorwahlen der Parti Socialiste schärfen. Aber auch gleichzeitig die gemeinsame linke Plattform stärken. Hollande: „Das Wichtigste ist, dass uns (bei den Präsidentschaftswahlen) 2012 der Wechsel gelingt. Ich habe nur ein Ziel: Dass die Linke gewinnt.“ Natürlich am besten mit ihm an der Spitze. Ein Ende des für Frankreich tragischen Sarkozysmus sei notwendig, darin waren die sechs potentiellen Frankreich-Retter sich einig.

An diesem langen Fernsehabend, dessen Ausgewogenheit sorgfältig geplant war, wurden mehr oder weniger vage Programme vorgestellt, nichts Neues, nichts Überraschendes. Ein paar unterschiedliche Ansätze, Akzente. Aber nichts, was den informierten Zuschauer sehr viel weiter bringen konnte. Die Finanzen wollen sie alle restrukturieren, mehr soziale Gerechtigkeit soll geschaffen werden, gleichzeitig müsse Frankreich aus der Schuldenfalle raus, den Ausbildungssektor wollen sie stärken. Schließlich garantiere die Jugend die Zukunft der ‘Grande Nation’. Ach ja! Und ein paar grüne Ideen dürfen auch nicht fehlen, denn in Frankreich erwacht so langsam das ökologische Bewusstsein. Ja, sogar mit Blick auf die Nuklearpolitik.

Spannender als Finanzmodelle gespickt mit Slogans und Bankenschelte sind die unterschiedlichen Persönlichkeiten der drei Hauptkontrahenten. Franҫois Hollande, der sich so gerne als freundlich, humorvoll, zuverlässig und völlig „normal“ gibt, zeigt seine Terrier-Qualitäten. Es passt ihm nicht, in Frage gestellt zu werden. Er kann ganz schön verbissen dreinschauen, wenn seine Rivalen sich positiv in Szene setzen. Und sogar wütend bellen. Hollande redet ohnehin viel und gerne. Martine Aubry scheint präziser, auf souveräne Weise kämpferisch. „Je suis claire – Ich bin klar“ ist einer ihrer liebsten Nachsätze. Nur falls es jemand nicht gemerkt haben sollte. Sie hat in meinen Augen etwas „Merkeliges“ – diesen sehr ernsten Zug, mit einem starken Unterton von mütterlicher Sorge für die Nation gepaart mit deutlichem persönlichen Machtwillen. Das macht sie nicht unbedingt charismatischer. Aber es könnten ihre Entschiedenheit und in der Tat Klarheit sein, die sie als Persönlichkeit präsidiabel machen. Und Ségolène Royal? Sie lächelt nett, wirkt sympathisch, ein bißchen gebremst, wedelt mit ihrem Programm für die Nation und bleibt ohne nachhaltige Wirkung.

Für mich ist Aubry bei diesem Polit-TV-Marathon ohne große Überraschungen aber mit durchaus unterhaltsamen Passagen die Punktsiegerin. Wie die anderen knapp 5 Millionen Fernsehzuschauer (laut Médiamétrie war die Debatte mit 22,1% der Zuschauer der Spitzenreiter des Abends und schlug damit sogar knapp den populären Kochwettbewerb „Masterchef“ auf TF 1) das einschätzen, dürften die nächsten Umfragen zeigen.

 

 

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Von Beirut nach Belloc

„Sie sind aber neu hier!“, begrüßt mich die Besitzerin der Reinigung in Saint Girons als ich meine schmutzigen Gardinen bei ihr auf den Tresen lege. Dass ich neu zugezogen bin, weiß sie, weil dies die einzige chemische Reinigung im Umkreis von 20 Kilometern ist. Da kennt man seine Kunden. Als ich ihr erzähle, ich sei gerade aus Beirut nach Betchat gezogen, lacht sie schallend. „Wie sind sie denn auf die Idee gekommen??? So etwas habe ich ja noch nie gehört!“ Dass sie mich nicht gleich als verrückt bezeichnet hat, ist auch alles. In der Midi de la France sind die Menschen sympathisch direkt.

Die Gegensätze könnten drastischer nicht sein: Dort Beirut, diese lärmende Millionen-Metropole mit ihren täglichen Staus und Stromausfällen. Hier Betchat – oder genauer gesagt der Weiler Belloc, der zur Gemeinde Betchat gehört, mit seinen rund 30 Einwohner, sehr viel mehr Kühen und Ziegen, in beruhigender grüner Hügellandschaft mit Blick auf die französischen Pyreneengipfel.

 

Der Balsam für die von Nahost-Konflikten und Kriegen geschundene Seele entfaltet wohltuende Wirkung. Die Nachbarn Vivianne und Jean-Yves kommen mittags von ihren morgendlichen Streifzügen in den Wäldern vorbei und bringen Körbe voller Pfifferlingen, die sie bereitwillig teilen. Sie helfen gleichsam mit Tipps, wer für was im Dorf zuständig ist, wie das alte Dach unseres nicht minder alten Landhauses (angeblich 1820 erbaut) am besten vom Moos zu befreien ist (eine Aufgabe, die es jeden Sommer zu erledigen gilt!) und wie man die Tomatenstauden im Garten vor tödlichem Pilzbefall schützt. Eine Entdeckungsreise in einem neuen Mikrokosmos beginnt!

Ich fühle mich beschenkt: 24 Stunden Strom, 7/7, funktionierendes Internet in vergleichsweise rasender Geschwindigkeit, Straßen, auf denen man sein Ziel in kalkulierbarer Zeit erreicht und der morgendliche frische Duft nach Rosmarin und Lavendel beim Öffnen der grünen Holzfensterläden… Und Toulouse, la ville rose und viertgrößte Stadt Frankreichs, lockt mit Festivals wie „Klaviermusik im Jakobinerkloster“ und Jazznächten. Auch hier gibt es jede Menge Probleme, dennoch fällt langsam jahrelange Anspannung von mir ab.

Nur im Nachbargarten fällt ab und zu ein Schuss. Das ist Jean-Yves mit seinem Jagdgewehr, der seinen ganz persönlichen Krieg gegen die leidigen Maulwürfe führt, die unsere Gärten in Hügellandschaften verwandeln. Von einer Charakterisierung als niedliche, nützliche Tierchen will der ehemalige Flugzeugtechniker nichts wissen. Dabei ist er durchaus ein Tierliebhaber, der die neun jungen Enten in seinem Gartenteich mit Hingabe aufzieht und gegen Bussarde und Steinmarder verteidigt. Ich habe für meine Maulwürfe jetzt eine kleine Wegbeschreibung angefertigt, wie man nach Deutschland kommt. Denn dort stehen sie im Gegensatz zu Frankreich unter Naturschutz.

So richten wir uns langsam ein, in dieser neuen französischen Welt, in der die abendlichen Fernsehnachrichten von der Tour de France und dem verregneten Sommer dominiert werden. Erst danach folgen die weltweite Finanzkrise, das Massaker in Norwegen oder das Blutvergießen in Syrien. Die Wettervorhersage gibt es übrigens beim Fernsehsender TF1 gleich zweimal: Vor und nach den Nachrichten. Menschen und ihre Prioritäten – es bleibt faszinierend und meine Neugier bleibt groß.

 

 

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Bild des Wochenendes aus Paris

“So was kann nur einer Frau passieren”, sagte mein Freund und ich hätte ihn beinahe etwas gegen den Kopf geknallt. Was war da, im Bild, passiert? Die Geschichte zum Foto lautet: Beim Rathaus in Paris ist eine Tiefgarage um die Ecke. Nur wo geht es rein? Eine Autofahrerin hatte den Metro-Eingang mit der Einfahrt in die Parkgarage verwechselt. Die Feuerwehr musste dann anrücken und das Auto von der Treppe heben. Ich denke mal, dass dieser Parkversuch der Dame ein Vermögen gekostet hat.

Übrigens: ich will hier nun bitte keine blöden Kommentare à la Frauen und Autofahren lesen. Würden wir als Beifahrerinnen nicht ständig aufpassen, wo die Herren hinfahren, hätten wir solche Feuerwehreinsätze täglich.

Foto: Claudia Fessler

 

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Alles eine Frage der Einstellung

Das ist eine Filiale der französischen Supermarktkette Carrefour in Paris und das sind die Einkaufswagen, die direkt an einer mehrspurigen Kreuzung stehen, langsam vor sich hinverdrecken und von Passanten als willkommenes Abfalllager genutzt werden (siehe der Müll im zweiten Wagen).

Und nun die Frage: Würden Sie ihr Kind in diesen Kindersitz setzen? Nein? Dann sind wir schon beim Thema, denn eine Französin würde es. “Et hopp, hinein und los gehts zum Einkaufen!” Denn alles ist eine Frage der Einstellung und das bekomme ich gerade am eigenen Leib zu spüren bei meinem wöchentlichen Besuch in der Geburtsvorbereitung im bayerischen Oberland, südlich von München.

Nicht nur, dass ich mit weitestem Abstand die Älteste im Kurs bin, nein, ich bin auch die, die am ehesten entbinden wird. Denn ich habe viel zu spät mit dem Kurs angefangen und es kann mir passieren, dass ich ihn auch nicht zu Ende führen werde, weil das Baby vorher kommt. Ich bin auch die einzige, die noch arbeitet. Obwohl das liegt daran, dass Selbstständige sich einfach keinen Mutterschutz leisten können. Bei 13 Euro am Tag von der Krankenkasse ist man eben nicht in der komfortablen Situation einer Gehaltsempfängerin. Meine Mithecheler im Kurs sind zum Großteil Angestellte und die meisten sind, weil sie beim Tierarzt oder im Kindergarten arbeiten, auch schon seit Monaten aus Ansteckungsgefahren von der Arbeit frei gestellt. Haben die es gut. Ich beneide sie.

Doch was sie für die Zeit danach planen, wundert mich. Die meisten wollen nach der Geburt zwei bis drei Jahre mit dem Kind zuhause bleiben. Und das mit Ende 20 oder Anfang 30 und diversen Eltern und Großeltern in Reichweite. Wenn ich dann erzähle, dass ich mir das gar nicht leisten kann und in Frankreich es eh üblich ist, dass das Kind nach drei Monaten in fremde Hände gegeben wird, dann kommt immer die gleiche Reaktion: “Ja, in Frankreich gibt es ja auch so viele Krippenplätze und für alles ist gesorgt.” Wenn die Damen wüssten. Das Ganze ist ein großes Märchen. Die Kinder-Rundherum-Versorgung in Frankreich ist ein Vorurteil, das sich in Deutschland hartnäckig hält nach dem Motto: Woanders ist es besser. Doch leider schaut die Realität anders aus: Krippenplätze sind Fehlanzeige – wenigstens in Paris. Ich kenne keine, ich wiederhole keine, die je einen Krippenplatz bekommen hätte. Alle organisieren sich selbst, mit Kinderfrauen, Familienkrippen, Eltern-Babysitting etc. Was bitte ist sonst organisiert? Gar nichts. Während man hier in Deutschland Kindergeld bekommt und das nun sogar auf über 180 Euro im Monat erhöht werden soll, gibt es in Frankreich fürs erste Kind gar nichts. Null Euro. Erst ab dem zweiten gibt es was und das liegt weit unter dem Betrag von Deutschland. Elterngeld? Auch das Fehlanzeige. Unterstützung für Väter? Fehlanzeige.

Schon in der Schwangerschaft müssen die Französinnen blechen: Ein Ultraschall in Deutschland kostet um die 30 Euro, in Frankreich 100 Euro. Wer nicht in Frankreich versichert ist, der ist schnell mit fast 2000 Euro dabei, wenn er eine “normale” Schwangerschaft durchlebt. So wie ich. Was zu ewigen Diskussionen mit meiner deutschen Krankenversicherung führt, die mir bis dato GAR NICHTS zurückerstattet hat. Wahrscheinlich denken die das Gleiche wie meine Schwangerschaft-Kolleginnen: In Frankreich ist doch alles eh rund um Geburt und Kinderbetreuung geregelt, was braucht die dann noch Geld zurück.

Ach, träumt nur alle weiter und ich setze inzwischen dann mein Baby in den Carrefour-Einkaufswagen. Aber wahrscheinlich erst nachdem ich in typisch deutscher Gründlichkeit ihn mit einem feuchten Tuch abgewischt habe. Denn alles ist wirklich nur eine Frage der Einstellung und irgendwie kann man wohl doch nicht aus seiner deutschen Haut.

Foto: Barbara Markert

 

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Absolutely

Gemessen an der Einwohnerzahl gehört Schweden sicher zu den Ländern, die am meisten nationale Ikonen hervorgebracht haben: Abba, Ikea, H&M, Volvo und natürlich Absolut. Die Wodkamarke feiert in diesem Jahr ihren 30. . Wie kaum ein anderes Produkt ist Absolut in die Werbegeschichte eingegangen. Denn mit ungewöhnlichen Kampagnen schaffte es der damals noch staatliche schwedische Produzent sich im internationalen Geschäft für Alkoholika zu platzieren. Künstler wie Keith Haring und Andy Warhol haben Anzeigen für die Flasche mit dem klaren Inhalt entworfen und sie so zur Ikone gemacht (wie das alles geschah erzählt der Schwede Carl Hamilton in seiner Biographie einer Flasche).

Zwar ist die Kampagne mit den bekannten Künstlern als Gestalter seit 2007 eingestellt, doch will sich die Marke weiterhin kulturell positionieren, wie es so schön heißt. Deshalb wurde Ende Oktober in Stockholm der erste Absolut Art Award vergeben (Preisträger und mehr hier). Aus diesem Anlass ein kurzer Abriß der schwedischen Alkohol- und Privatisierungspolitik:

Seit vergangenem Jahr gehört Absolut wie der komplette Vin & Sprit-Konzern zu Pernod Ricard aus Frankreich. Zuvor war der schwedische Staat Jahrzehnte Eigner. Dank Alkoholproduktion in staatlicher Hand sollte der Konsum eingeschränkt werden, die gleiche Aufgabe haben übrigens die immer noch staatlichen Alkoholläden. Doch die 2006 angetretene liberal-konservative Regierung will privatisieren und hat Absolut verkauft und damit einmal mehr mit Alkohol tüchtig Geld verdient. Das staatliche Alkoholverkaufsmonopol aber? Bleibt vorerst. Und Vattenfall? Ebenfalls bis auf Weiteres in Regierungshand. Der Konzern, in Deutschland aktiv und berüchtigt vor allem wegen seiner vielen Probleme mit AKWs und als Betreiber von Kohlekraftwerken, soll in Schweden seinem Namen alle Ehre machen. Vattenfall bedeutet Wasserfall. Schwedische Doppelmoral? Absolutely.

 

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Einmal sprayen ohne übermalt zu werden

Graffiti ist den Pariser Stadtbehören ein Dorn im Auge. Es gibt eine Abteilung, die durch Paris geht und unerlaubtes Sprühen sofort eliminiert. Sprich, ein Maler der Stadtbehöre wird geschickt und der übermalt dann in der Wandfarbe des Hauses die ‘tags’, wie man in Frankreich french-english Graffiti nennt. Somit bleibt die Stadt schön wie immer. Nur an einer Wand in der Stadt herrscht seit Juli Anarchie.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hier darf gesprüht werden, wie man lustig ist. Denn die Kunststiftung Fondation Cartier hat sich in einer Ausstellung der Straßenkunst gewidmet und zeigt unter dem Titel ‘Né dans la rue..’ (dt.: Geboren in der Straße) die Geschichte des Graffiti von den Anfängen bis heute.

Zwar fehlt ‘unsere’ Berliner Mauer vollständig in der Ausstellung (und das trotz des Mauerfall-Geburtstags), aber ansonsten ist die Schau gut gemacht, vor allem weil beim Eingang zum Museum jeden ersten Samstag am Monat Starsprayer eingeladen sind, um die Außenwand zu bemalen. Die offiziell erlaubten Sprayer bleiben natürlich nicht allein zwischen den ihren Aktionen, denn zu verlockend ist die Einladung und zu publikumswirksam. Deswegen schaut die Wand nun eigentlich jede Woche anders aus. Ein Kunsthappening in situ, wie man so schön sagt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das was auf den hier gezeigten Bildern zu sehen ist, sind die Anfänge der Aktion. Inzwischen wurde es wilder. Und auch auf der Homepage der Fondation geht es auch gerade recht tag-mäßig und wenig informativ zu und auch das passt zum Großen Ganzen.

Fotos: Barbara Markert

 

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Paris kurz vor Weihnachten

Während die Metrostationen überquellen…

 

 

 

 

 … bietet das Luxus- und Palasthotel Plaza Athenée für seine kleinen Gäste einen eigene Schlittschuh-Bahn an. Die Kinder reicher Hotelgäste müssen sich also nicht auf den öffentlichen Eisplätzen wie am Hôtel de Ville Schlange stehen. 

    

  

 

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Zweiklassen-Gesellschaft in Paris

Seit es in Paris das Leihfahrrad-System Vélib gibt, ist Fahrradfahren "in". Nur leider sind nicht alle dieser Meinung. Taxifahrer machen längst gezielt Jagd auf die Zweiräder und das Hotel Costes in Paris will vor seiner Eingangstüre die Drahtsessel einfach nicht sehen. Dieses Schild brachten die Hotelmanager auf dem öffentlichen Gehsteig an. 

 

 

 

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Die Fragen des kommenden Winters

In Paris laufen gerade die Herrenmodeschauen und nach nur zwei Tagen häufen sich die Fragen.

1. Wer wählt eigentlich die Herrenmodels aus? Und wie kommt es, dass bei männlichen Models Schönheit keine Rolle spielt?

 

 

 

 

 

2. Wer gut sieht ist out? Ja, das scheint so, denn DAS Modeaccessoires des Winter ist die Hornbrille mit besonders starken Gläsern.

 

 

 

 

 

3. Wie style ich Hochwasserhosen richtig? So wie Galliano? Reinstecken oder weglassen?

 

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Die Macht der Blogs

Haben Sie nun geheiratet oder nicht? Ist sie schwanger oder nicht? Die französische Nation wird derzeit täglich von neuen Details aus dem Privatleben des Präsidenten überrascht und in Atem gehalten. Meist stammen diese Informationen aus dem Internet, wo sie sich dank Blogger in Windeseile verbreiten, die hoch erfreut sind über den Promi-Gossip, der so einfach ihre täglichen Seiten füllt. 3000 Blogger haben dem Gerücht, dass Sarko-Freundin Carla Bruni schwanger ist, zu einem halboffiziellen Nachrichten-Status verholfen. "Wenn es soviele schreiben, muss es stimmen", sagten sich auch ein paar (hoch angesehene) deutsche Tageszeitungen und druckten die "Meldung" ab. Ätsch, hieß es einen Tag später: Alles eine große Zeitungs-Ente.

Gestern abend dann bekam ich einen Anruf: "Du, die haben am letzten Donnerstag geheiratet." Und die Quelle? "Das steht im Internet." Tatsache ist: Irgendeine Provinzzeitung hat das gemutmaßt und schon stürzen sich alle darauf. Siehe auch die deutsche Presse. Ich kann dazu nur den Kopf schütteln und fragen: Sind Sarko und Carla wirklich so spannend, dass sonst ordentlich recherchierende Nachrichtenkanäle alle guten journalistischen Grundsätze vergessen und halbgare Gerüchte veröffentlichen. Und wann BITTE hört endlich dieser Promihype auf? Es ist wirklich nicht mehr zu ertragen.

 

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Sarkozys neue Medienwelt

Alles neu. Dank Sarko. In Frankreich hat selbst die Neujahrsansprache des Präsidenten den Sprung in die Modernität geschafft. Statt sich wie üblich in gesetzter Form ans Volk zu wenden, berief der Präsident eine Pressekonferenz ein. 500 akkreditiere Journalisten aus 40 Nationen waren geladen. Doch wer keine Einladung bekam, musste nicht traurig sein. Denn die gesamte Konferenz wurde live im Internet übertragen. "Public Sénat" heißt diese Innovation, die Sarkozy bereits in der Silvesternacht nutzte, um zu seinem Volk zu sprechen. Die Internetauftritte der Tagespresse, wie z.B. der von Le Monde, konnten froh sein. Selten hielten sich ihre Nutzer so lange auf ihrer Website auf.

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