Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.

Audio #2: Weltfremd oder inspirierend?

 

Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare und Kritik gab es seither reichlich und diese Reaktionen waren so spannend wie vielseitig. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.

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Manche Zeitungen wie die FAZ haben unser Buch gleich zweimal rezensiert


Viele Zeitungen berichten von den Lesungen, zu denen auch Philip Hedemann von Buchläden, Bücherein auber auch von vielen Schulen eingeladen wird. Auch viele Radiostationen rezensierten das Buch bereits, zum Beispiel Bayern 2

Autorinnen und Autoren haben auf Dutzenden von Lesungen in ganz Deutschland (hier ein Bericht aus dem oberpfälzischen Pressath) diskutiert, sich Kritik gestellt und Fragen beantwortet.

Bei der offiziellen Buch-Vorstellung im taz-Café saß auch Ameena auf dem Podium, die junge Syrerin die Philip Hedemann auf ihrem Weg begleitete und die einen Prolog zu unserem Buch geschrieben hat. Im Audio-Spezial 2 hören Sie Sie mehr darüber, wie das Leben der jungen Frau seither weitergegangen ist und lernen zwei ihrer Kinder kennen. Philipp erzählt, warum Ameena unbedingt das Kanzleramt kennenlernen wollte. Und warum sie – trotz ihres Glücks darüber in Deutschland zu leben – während einer Lesung in Tränen ausbrach.

Im Audio hören Sie, was Kerstin Zilms Interviewpartnerin Lidia Nunez empfand, als sie ihren Sohn nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder umarmen konnte. Von einem anderen Weltende schaltet sich Bettina Rühl  ins Audio, sie läßt die Somalierin Haibo Abdirahman Muse zu Wort kommen, die 25 Jahre in einem kenianischen Flüchtlingslager lebt und trotzdem noch Angst hat.

Birgit Kaspar in Toulouse spricht  mit ihrer Interviewpartnerin Chantal Pulé, die ihr erzählt, ob sie nach Jahren in Paris, bereut aus dem Libaon geflohen zu sein.

Zu weit weg?

Herausgeber Marc Engelhardt erzählt im Audio #2 welche Inhalte auf Lesungen am häufigsten diskutiert werden und wie sehr viele deutsche Leser überrascht, das Fluchten auf der ganzen Welt passieren. Viele Gespräche nach den Lesungen drehen sich darum, was der Begriff ‘Revolution’ bedeuten soll. Engelhard hat außer vielen positiven Rückmeldungen natürlich auch kritische bekommen. Ein Leser wirft uns vor, als Auslandskorrespondenten zu weit entfernt von der deutschen Problematik zu sein. Marc Engelhardt: “Den Blick aus dem Ausland sehen wir eher als Qualität des Buches. Sicher kann man das kritisieren, ich glaube aber nicht, dass man das sollte. Wir sagen ja nicht, dass sich eine Lösung aus Südafrika oder anderem Land 1 zu 1 auf Deutschland übertragen lässt. Aber es hilft vielleicht, den Horizont zu erweitern und mit anderen Augen auf Situation in Deutschland zu blicken.”

Denn eines ist gewiss: Flucht wird als Phänomen zunehmen, Die Frage ist: wie gehen wir damit um.

In Lesbos bleiben die Tische leer

Im Audio #2 hören Sie von Alkyone Karamanolis, Weltreporterin in Athen, die sich gefragt hat: Wie geht es den Rettern heute? Fischer Konstantinos Pinderis, erzählt wie sein Leben auf der Insel Lesbos sich komplett verändert hat. In Skala Sikamineas gleich am idyllischen Hafen bleiben die Tische leer. Zwar kommen dort keine Flüchtlinge mehr an wie 2015, doch die Touristen kommen ebenfalls nicht mehr, sie scheinen ihre früheren Lieblingsinseln vergessen zu haben – zum Leid der Einheimischen, denen die Arbeit ausgeht.

Vergessen würden in meinem eigenen Berichtsgebiet Australien viele Politiker am liebsten die Situation der Flüchtlinge, die nach wie vor auf den Inseln Manus und in Nauru die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage aussitzen. Menschen müssen dort seit Jahren als Abschreckung für künftige Boots-Migranten herhalten. Ich erzähle im Audio #2 darüber, wie schwer geschädigt die dort gestrandeten Männer, Frauen und Kinder durch die Inhaftierung sind, und dass ihre Zukunft trotz heftiger Proteste nicht nur von Menschenrechtsorganisationen noch immer unklar ist.

Hören Sie rein, ich bin sicher, unser Audio Spezial # 2 macht Sie neugierig auf unser Buch Die Flüchtlingsrevolution, erschienen im August im Pantheon Verlag.

Auch wenn sie es bereits gelesen haben, erfahren Sie im Podcast noch einiges Neues.Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare und Kritik gab es seither reichlich und diese Reaktionen waren so spannend wie vielseitig. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.

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Manche Zeitungen wie die FAZ haben unser Buch gleich zweimal rezensiert

Viele Zeitungen berichten von den Lesungen, zu denen auch Philip Hedemann von Buchläden, Bücherein auber auch von vielen Schulen eingeladen wird. Auch viele Radiostationen rezensierten das Buch bereits, zum Beispiel Bayern 2

Autorinnen und Autoren haben auf Dutzenden von Lesungen in ganz Deutschland (hier ein Bericht aus dem oberpfälzischen Pressath) diskutiert, sich Kritik gestellt und Fragen beantwortet.

Bei der offiziellen Buch-Vorstellung im taz-Café saß auch Ameena auf dem Podium, die junge Syrerin die Philip Hedemann auf ihrem Weg begleitete und die einen Prolog zu unserem Buch geschrieben hat. Im Audio-Spezial 2 hören Sie Sie mehr darüber, wie das Leben der jungen Frau seither weitergegangen ist und lernen zwei ihrer Kinder kennen. Philipp erzählt, warum Ameena unbedingt das Kanzleramt kennenlernen wollte. Und warum sie – trotz ihres Glücks darüber in Deutschland zu leben – während einer Lesung in Tränen ausbrach.

Im Audio hören Sie, was Kerstin Zilms Interviewpartnerin Lidia Nunez empfand, als sie ihren Sohn nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder umarmen konnte. Von einem anderen Weltende schaltet sich Bettina Rühl  ins Audio, sie läßt die Somalierin Haibo Abdirahman Muse zu Wort kommen, die 25 Jahre in einem kenianischen Flüchtlingslager lebt und trotzdem noch Angst hat.

Birgit Kaspar in Toulouse spricht  mit ihrer Interviewpartnerin Chantal Pulé, die ihr erzählt, ob sie nach Jahren in Paris, bereut aus dem Libaon geflohen zu sein.

Zu weit weg?

Herausgeber Marc Engelhardt erzählt im Audio #2 welche Inhalte auf Lesungen am häufigsten diskutiert werden und wie sehr viele deutsche Leser überrascht, das Fluchten auf der ganzen Welt passieren. Viele Gespräche nach den Lesungen drehen sich darum, was der Begriff ‘Revolution’ bedeuten soll. Engelhard hat außer vielen positiven Rückmeldungen natürlich auch kritische bekommen. Ein Leser wirft uns vor, als Auslandskorrespondenten zu weit entfernt von der deutschen Problematik zu sein. Marc Engelhardt: “Den Blick aus dem Ausland sehen wir eher als Qualität des Buches. Sicher kann man das kritisieren, ich glaube aber nicht, dass man das sollte. Wir sagen ja nicht, dass sich eine Lösung aus Südafrika oder anderem Land 1 zu 1 auf Deutschland übertragen lässt. Aber es hilft vielleicht, den Horizont zu erweitern und mit anderen Augen auf Situation in Deutschland zu blicken.”

Denn eines ist gewiss: Flucht wird als Phänomen zunehmen, Die Frage ist: wie gehen wir damit um.

In Lesbos bleiben die Tische leer

Im Audio #2 hören Sie von Alkyone Karamanolis, Weltreporterin in Athen, die sich gefragt hat: Wie geht es den Rettern heute? Fischer Konstantinos Pinderis, erzählt wie sein Leben auf der Insel Lesbos sich komplett verändert hat. In Skala Sikamineas gleich am idyllischen Hafen bleiben die Tische leer. Zwar kommen dort keine Flüchtlinge mehr an wie 2015, doch die Touristen kommen ebenfalls nicht mehr, sie scheinen ihre früheren Lieblingsinseln vergessen zu haben – zum Leid der Einheimischen, denen die Arbeit ausgeht.

Vergessen würden in meinem eigenen Berichtsgebiet Australien viele Politiker am liebsten die Situation der Flüchtlinge, die nach wie vor auf den Inseln Manus und in Nauru die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage aussitzen. Menschen müssen dort seit Jahren als Abschreckung für künftige Boots-Migranten herhalten. Ich erzähle im Audio #2 darüber, wie schwer geschädigt die dort gestrandeten Männer, Frauen und Kinder durch die Inhaftierung sind, und dass ihre Zukunft trotz heftiger Proteste nicht nur von Menschenrechtsorganisationen noch immer unklar ist.

Hören Sie rein, ich bin sicher, unser Audio Spezial # 2 macht Sie neugierig auf unser Buch Die Flüchtlingsrevolution, erschienen im August im Pantheon Verlag.

Auch wenn sie es bereits gelesen haben, erfahren Sie im Podcast noch einiges Neues.Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare und Kritik gab es seither reichlich und diese Reaktionen waren so spannend wie vielseitig. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.

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Sama Wareh – Hoffnung und Kunst für syrische Kinder

 
Sama liest Brief der Flüchtlingskinder

Sama liest Brief der Flüchtlingskinder

Ich fahre durch die Dunkelheit in ein schmales Tal in den Bergen südlich von Los Angeles: Silverado Canyon. Die Wegbeschreibung endete mit einem Hinweis auf eine große rote Scheune. Ohne Straßenbeleuchtung sind Größe und Farbe der wenigen Gebäude am Straßenrand kaum zu erkennen. Endlich finde ich die Scheune, im Haus gegenüber leuchtet hinter einem Fenster warmes Licht. Ich bin bei Sama Wareh angekommen: Künstlerin und Aktivistin, Kalifornierin mit Wurzeln in Syrien. Bis zum Kriegsausbruch hat sie regelmäßig Familie und Freunde in Damaskus besucht.
Der Krieg hat sie so beschäftigt, dass sie einmal auf eigene Faust an die türkische Grenze reiste, um Flüchtlingen mit Decken, Heizkörpern, Medizin und Mietzahlungen zu helfen. Ein Jahr später machte sie sich wieder auf den Weg, diesmal mit der Mission, ein nachhaltiges Projekt zu initiieren und dabei ihre Stärken zu nutzen: Kunst und Pädagogik. Sie entwickelte ein Curriculum: “Kunsttherapie für Kinder in Kriegsgebieten” und zog los. Vor ein paar Wochen kam sie zurück und erzählt mir nun, was sie erlebt hat.

“Möchtest Du Linsensuppe?” fragt sie mich zur Begrüßung. Die köchelt vor sich hin, füllt die kleine Wohnung mit Wärme und dem Duft einer starken Gewürzmischung. Wir setzen uns auf ein niedriges Sofa und Sama beginnt zu erzählen.
Im November reiste sie zu einer Schule im Libanon, nördlich von Tripolis. Dort hatte sie nach langer Recherche einen Direktor gefunden, der Schülern die selben Werte vermitteln wollte wie sie: Teamwork, Kreativität und Gleichberechtigung über Religion, Geschlecht, Herkunft, Alter und Rasse hinweg – ein Vorbild für die Zukunft Syriens. Die Schüler hatten den Namen der Schule selbst gewählt: Vögel der Hoffnung.
Sama kaufte von Spenden, die sie in Kalifornien gesammelt hatte und vom Einkommen aus dem Verkauf ihrer Bilder Material und begann ihr Kunstprogramm: Sie ließ die Kinder ihre Träume und Hoffnungen malen und gestaltete mit allen Schülern, Lehrern und dem Direktor ein Wandgemälde. Die steckten der kalifornischen Künstlerin jeden Morgen Briefe und Zeichnungen zu: Blumen und Herzen, Monster, Bomben, blutende Bäume und zerstörte Städte.
“In Kunst drücken Kinder aus, worüber sie nicht sprechen können,” erzählt Sama von ihrer Zeit mit den 350 ‘Vögeln der Hoffnung’. Ein Junge sang jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn auf der Schultreppe ein Lied von der Schönheit Syriens und von Trauer um die Zerstörung des Landes. Der Abschied fiel ihr schwer, weinend ermutigte sie die Kinder, weiter zusammen zu arbeiten, zu reden und Konflikte ohne Gewalt zu lösen.
Die gesammelten Spenden finanzieren nun einen Kunstlehrer, der ihr Projekt fortführt. Er schickt ihr Videos von den Fortschritten. Sie zeigt mir eines auf dem Computer und holt aus ihrem Schlafzimmer Briefe und Zeichnungen der Kinder. Sie erinnern sie an traurige und glückliche Momente in der Schule. “Nichts kann mich mit so viel Glück und Freude füllen, wie das Lächeln der Flüchtlingskinder und die Konzentration und Ruhe auf ihren Gesichtern während sie zeichnen.”
Aus Videoaufnahmen ihres Abenteuers an der Schule produziert sie einen Dokumentarfilm. Einnahmen aus Vorführungen werden direkt zu den ‘Vögeln der Hoffnung’ geschickt. “Jeder kann etwas Positives bewirken in der Welt,” sagt sie während wir Linsensuppe löffeln. “Ich bin Künstlerin, ich hab nicht viel Geld aber jetzt haben die Kinder diese neue Freude im Leben, nur weil ich mich angestrengt habe. Das ist das beste Gefühl der Welt!”

 

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Pressefreiheit auf Libanesisch

 

In das Palästinenser-Flüchtlingslager Nahr al Bared im Nordlibanon kann man nicht einfach so gehen. Nicht nur als Journalistin wird man an den Armeecheckpoints zurückgewiesen. Selbst die dort lebenden Palästinenser benötigen Genehmigungen. Das ist so, seit die libanesiche Armee das Camp 2007 komplett zerstört hat. Nun wird es wieder aufgebaut, nach vier Jahren sind die ersten Häuser bezugsfertig.

Ein Eintrittsgenehmigung für Nahr al Bared zu erlangen ist eine kleine Odyssee. Ohne die Hilfe von UNRWA (UN-Hilfsorganisation für Palästinenserflüchtlinge) ist es fast unmöglich. Die freundliche UNRWA-Mitarbeiterin Hoda stellte für mich den Antrag, dann war ich an der Reihe. Zehn Tage später kam der Anruf vom militärischen Geheimdienst. Ich möge ins Verteidigungsministerium kommen, um die Genehmigung abzuholen. Eine knappe Stunde dauert es mit dem Auto bis hinauf nach Yarze. Vorbei an einem Anti-Kriegs-Denkmal, das eigentlich mal im Zentrum Beiruts stehen sollte, dann aber für zu hässlich befunden wurde. Und wer will schon ständig an die Schrecken des Krieges erinnert werden.

Das Verteidigungsministerium ist hochwichtig und deshalb auch mit mehreren Kontrollpunkten geschützt. Die Überwindung des ersten bringt mich immerhin schon mal auf den Parkplatz. Folgt eine halbe Stunde Wartezeit am so genannten Informationsschalter. Informationen bekommt man hier keine, dafür aber einen Besuchersticker – für den nächsten Checkpoint. Am Infoschalter stehen dutzende Libanesen vor einem vergitterten Fenster, sie drängeln sich nach vorne, strecken flehend ihre Hände durch das Gitter. Es hat etwas Unwürdiges. Eine junge Libanesin, die vor kurzem aus Frankreich zurückgekehrt ist, schaut mich Hilfe suchend an. Wir sind die einzigen beiden Frauen in dem Männergewusel. „Wann werden sich diese Zustände ändern in diesem Land“, fragt sie und verdreht die Augen.

Da wird mein Name aufgerufen oder jedenfalls etwas, das so ähnlich klingt. Ich erhalte meinen Sticker und darf zwei Felder vorrücken. Bei der nächsten Kontrolle steht ein Metalldetektor, dann bringt mich einer der dickbäuchigen Soldaten zu einer älteren Dame in einem kleinen Zimmer. Auf ihrem Schreibtisch liegt eine Zeitung, ein Aschenbecher voller Kippen steht daneben. Sie raucht, winkt mich heran und durchwühlt meine Handtasche. Das Handy, meinen Palm sowie interessanter Weise meine Zeitung behält sie auf ihrem Tisch. Ich darf nun ins Allerheiligste vordringen.

Aufzug, dritter Stock, nach Colonel Wissam fragen. Der sitzt in einem winzigen Büro voller Papiere. Prüft gewissenhaft meine Identität und legt mir dann ein Din-A-4 Schreiben auf Arabisch vor, das er mir zur Sicherheit übersetzt. Die Genehmigung gilt für eine Woche, ich muss versprechen, keine Photos zu publizieren ohne sie vorher der Armee vorzulegen, darf keine Filmkamera mitnehmen, aber mein Audio-Recorder ist erlaubt. Phew, Glück gehabt! Dass ich das alles verstanden habe, muss ich feierlich unterschreiben. Auf Zuwiderhandlung steht wahrscheinlich die Todesstrafe. Nun den ganzen Weg wieder zurück, meine Utensilien auflesen, an jeder Kontrolle sagen, dass ich jetzt gehe. Damit sie auch alle beruhigt sind.

Doch nun darf ich keineswegs direkt ins Nahr al Bared Camp – weit gefehlt. Mit meiner tollen Genehmigung darf ich zum Militärgeheimdienst im nordlibanesischen Tripoli – der ist für Nahr al Bared zuständig. Ein ähnliches Prozedere erwartet mich. Der dort zuständige Colonel nickt schließlich und sagt mit breitem Grinsen: „Sie dürfen jetzt nach Nahr al Bared fahren, am nördlichen Checkpoint erwartet Sie mein Kollege.“ Na prima! Am nördlichen Eingang des Palästinenserlagers wartet überhaupt niemand. Die hier herumlungernden Wachsoldaten winken mein Auto auf die Seite. Bitte warten. Dann debattieren sie darüber, was jetzt zu tun sein. Wollen mich zum lokalen Militärgeheimdienst schicken. Als ich mich weigere, geht die Debatte von vorne los.

Nach einer weiteren halben Stunde fährt plötzlich ein Militärfahrzeug vor. Zwei Uniformierte und ein dickbäuchiger Mann mit organgefarbenem Hemd steigt aus. Er sieht so schmierig aus, dass ich nur seufze: „Na hoffentlich will der nicht zu mir.“ Natürlich will er zu mir. Und diese drei netten Herren wollen mit mir ins Lager fahren, um mir bei meiner Recherche zu helfen. Ich protestiere lautstark. Argumentiere, dass mich im Lager ein UNRWA-Mitarbeiter erwartet, ich also keineswegs Gefahr laufe, verloren zu gehen. Stößt alles auf taube Ohren. „This is for the security.“ Das Totschlagargument. Vor die Alternative gestellt, bis hierher vorgedrungen zu sein und entweder unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu fahren oder mein Glück zu versuchen, entscheide ich mich resigniert für letzteres.

Als ich Fadi, den lokalen UNRWA-Mitarbeiter frage, wie um Himmels Willen ich vernünftige Interviews mit Palästinensern führen soll, wenn ich mit einer halben Kompanie anrücke, zuckt er nur die Schultern. „Das ist unser Problem. Aber anders geht es nicht.“ Soviel zur Pressefreiheit im ach so liberalen und demokratischen Zedernstaat.

 

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Ausverkauf libanesischer Frauen?

 

In Beirut hat die Badesaison begonnen. Seit dem Wochenende aalen sich die Bikinischönheiten in den Strandclubs,

eingeschmiert mit sonnenverstärkenden Ölen, denn die knackige Bräune muss ganz schnell her. Schließlich will Frau in den Nachtclubs und auch auf der Strasse bald viel Haut zeigen. Ich werde schon seit langem das unangenehme Gefühl nicht los, dass die Libanesinnen es zumindest zum Teil selbst Schuld sind, dass sie in den Augen dieser Macho-Gesellschaft weitgehend zum Objekt sexueller Begierde degradiert wurden. Viele Frauen identifizieren sich so sehr mit ihrer Rolle als verführerische Kätzchen, wenn sie nicht gerade als Hausfrau und Mutter eingespannt sind, dass sie zur zweiten Natur geworden ist.

Doch dass das Tourismusministerium in seiner neuesten Werbekampagne auf die Vermarktung der legendären libanesischen Schönheiten setzt, das geht zumindest für einige Libanesinnen nun doch zu weit. In dem Werbespot „Lebanon Blues“ für den US-Markt kann sich ein junger Amerikaner nicht mehr auf seine Arbeit im Büro konzentrieren, weil ihm die Libanesinnen, die ihm den letzten Urlaub versüßten, nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Dieser Clip brachte das Fass zum Überlaufen, schimpft die 21jährige Leen Hashem. Eine Gruppe junger Feministinnen setzte sich zusammen und verfasste einen Protestbrief an den Minister. Es sei inakzeptabel, dass die libanesische Regierung versuche, die Körper der Libanesinnen zu verkaufen, damit viele Touristen ins Land kommen, heißt es darin. Wie könne das Ministerium es wagen, die Frauen feil zu bieten, die auf der anderen Seite vom Gesetz benachteiligt würden und die vor gewaltsamen Übergriffen durch Männer auf keine Weise geschützt seien?

Und was sagt darauf der Minister? Die jungen Aktivistinnen sollten sich schämen, so unpatriotisch zu sein! Das sei doch alles völlig übertrieben, der Spot zeige ine Frau im Bikini lediglich für 30 Sekunden. Aber er ist unmissverständlich anzüglich – ohne große Worte. Davon will Minister Aboud nichts wissen. Jedenfalls war ihm nicht nach einer Entschuldigung zumute. Die Feministinnen wollen nun selbst einen Videoclip veröffentlichen, in dem sie die Diskriminierung gegen libanesische Frauen zur Schau stellen. Sie würden diverse Werbekampagnen weiter kritisch beobachten, sagt Leen Hashem.

Man kann den Libanesinnen nur wünschen, dass sie langfristig mit ihrer Kritik Erfolg haben. Denn bald fallen sie wieder ein, die feisten Männer aus den arabischen Golfstaaten sowie die lüsternen Geschlechtsgenossen aus dem Westen. Ihr Blick spricht Bände – hier geht es nur um eines. Und es ist mit nur wenig Hülle aber viel Fülle zu haben im Zedernstaat.

 

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Wikileaks – oder: Wir sagen jedem was er hören will

 

Es waren schon knackige Zitate, die Wikileaks vorzuweisen hatte. Vor allem von arabischen Herrschern gegen den Iran. Doch man sollte dabei nicht vergessen, dass es eine Spezialität arabischer Politiker ist, jedem zu sagen was er gerade hören will. Auch und vor allem amerikanischen Diplomaten.

Beispiel Saad Hariri: „Irak war unnötig, aber Iran ist nötig“, sagte demzufolge der heutige libanesische Premier im August 2006 mit dem Zusatz, dass die Amerikaner im Falle des iranischen Nuklearprogramms bereit sein sollten, die Sache bis zum Ende durchzuziehen, falls nötig.

Heute in Teheran Saad mal ganz anders: Der Libanon werde sich nicht am internationalen Druck gegen Teheran in der Nuklearfrage beteiligen. Außerdem habe der Iran ein Recht auf friedliche Nutzung von Nuklearenergie. Gestern betonte er – ebenfalls in Teheran – der Libanon habe bis jetzt Widerstand gegen das zionistische Regime geleistet und werde diesen Widerstand fortsetzen. So hört sich das an, wenn man in der Islamischen Republik zu Besuch ist. Aber wie gesagt, mit solcher levantinischer Flexibilität steht Hariri in der arabischen Welt keineswegs alleine da.

 

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Crisis? What Crisis?

 

Bei 29 Grad Celsius im Sporting Club ganz entspannt in die Sonne gucken, einen Drink zu sich nehmen, ab und zu mal ins Meer oder in den Pool springen. Die Beiruter lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Von wegen Angst vor einem neuen Bürgerkrieg. Sollen doch die Medien spekulieren. Auch gerne über eine unmittelbar bevorstehende Übernahme der Kontrolle durch die Hisbollah. Was soll’s.

Erst am Donnerstag hatte Hisbollah-Chef Nasrallah gedroht, denjenigen, die Hisbollah-Mitglieder mit dem Hariri-Mord in Verbindung bringen wollen oder sie gar verhaften wollen, die Hand abzuschlagen. In Washington, Paris und London beteuert man indessen hektisch und immer wieder die Unterstützung für das Hariri-Sondertribunal. Minister und Sondergesandte fliegen rasch nach Beirut, essen und trinken gut, genießen das schöne Wetter und fliegen wieder nach Hause. Die Partei Gottes bemüht sich ungeachtet dessen, das Tribunal auszuhebeln oder wenigstens seine Glaubwürdigkeit so sehr zu erschüttern, dass die erwartete Anklageerhebung ohne große Folgen sein wird.  

Der politische Schaukampf um den Einfluss im Zedernstaat zwischen dem Westen und der so genannten Achse des Bösen (Iran, Syrien, Hisbollah, Hamas) geht in die nächste Runde. Doch die Beiruter ficht das nicht an. Jedenfalls nicht an einem so schönen Sonntagnachmittag, an dem man das Leben genießen kann. So oder so sind am Montag wieder die Zeitungen voll mit: A sagt, B kontert und C droht. Und D? D hat klammheimlich alle seine Förmchen aus dem Sandkasten geworfen und will nicht mehr mitspielen. Jetzt sind wir gespannt, was die anderen machen.

 

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Mein Freund der Baum

 

Vielleicht nennt man sie demnächst die Achse der grünen Männchen. Nicht, dass sie vom Mars kämen. Obwohl man schon mitunter das Gefühl hat, sie leben auf einem anderen Planeten. Dabei sind sie mitten unter uns. Die Baumpflanzer. Die Rede ist von Hisbollah-Chef  Nasrallah und Irans Präsident Ahmedinejad. Ja, sie sind unter die Ökos gegangen. Ganz öffentlich. Der nebenberufliche Chef der Schiitenmiliz hat den biblischen Aufruf „Schwerter zu Pflugscharen“ selbst in die Tat umgesetzt. Er kam tatsächlich aus seinem Versteck, wo er sich vor israelischen Attentatsdrohungen schützt, ins pralle Sonnenlicht und pflanzte den  Millionsten Baum der Aufforstungskampagne der Hisbollah-Wiederaufbauorganisation Jihad al Bina. Direkt vor seinem Haus steht das Bäumchen jetzt. Wer es gießt, ist unbekannt.

In einer langen Rede, der erstaunlicher Weise selbst die libanesischen Medien keinerlei Beachtung schenkten, erklärte der Chef der „Partei Gottes“, die Aufforstung des Libanon sei Teil der nationalen Sicherheitsstrategie. Nicht nur, weil Guerrillakämpfer sich unter diesen Bäumen prima verstecken können (nicht umsonst haben die israelischen Besatzer im Südlibanon tatsächlich zahlreiche Bäume gefällt und erst im August kam es zu einem Zwischenfall an der Grenze, weil israelische Militärs neuerlich einen Baum entfernen wollten). Sondern auch weil Nasrallah als einziger libanesischer Politiker erkannt hat, dass der Klimawandel eine der größten Bedrohungen nicht nur für die Libanesen sondern für die ganze Welt ist.  

Weil der gute Nasrallah sich nun mit seinem grünen Finger hervorgetan hatte, dachte der iranische Präsident vermutlich: „Was der kann, kann ich schon lang“. Kaum hatte Ahmedinejad sein ausgedehntes Mittagessen mit dem libanesischen Präsidenten Suleiman beendet, stürzte er in Suleimans Garten und bestand darauf, auch einen Baum zu pflanzen. Zuerst dachte ich, es wird wohl ein Kaktus gewesen sein. Aber nein, Ahmedinejad wählte eine Zeder. Wie originell! Eine Freundschaftszeder, wie er es nannte. Nur zu dumm, dass Zedern in Beirut gar nicht überleben können – hier ist es zu warm. Sie gedeihen nur in den Bergen, wo im Winter auch Schnee fällt.

Kann man nur hoffen, dass dies kein schlechtes Omen für den Bestand der Freundschaft ist. Aber derzeit muss man da wohl keine Angst haben. Denn dass ein großer Teil der Libanesen feurige Anhänger Ahmedinejads sind, stellten sie während seines Besuches mehrfach unter Beweis. Aber so richtig überwältigt war der Mann aus Teheran während einer Willkommensfeier am Abend in der Dahiyeh, den südlichen Vororten Beiruts. Dort flogen ihm die Herzen zehntausender jubelnder Menschen nur so zu, eine Hisbollah-Band spielte ein eigens für diesen Besuch komponiertes Willkommenslied – und der Präsident aus dem gefährlichen I-Land wischte sich verstohlen die Tränchen aus den Augen. Es war geradezu rührend. Zu Hause dürfte ihm das in diesen Tag nicht so häufig passieren. Aber im Libanon ist er unter Freunden. Jedenfalls in den südlichen Gefilden des Landes.

Wir dürfen nun gespannt sein, ob Ahmedinejad nach seiner Heimkehr auch eine Aufforstungskampage ausruft. Weil er auch gerne öfters dem Vorbild Nasrallahs folgend wie ein Rockstar gefeiert werden möchte. Bäume statt Nuklearanlagen. Meinetwegen auch für die nationale Sicherheit. Das wär doch mal was.

 

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Kleine Spende für die Armee

 

Hätten Sie vielleicht ein paar Euro übrig? Es dürfen auch Dollar sein. Für einen guten Zweck, versteht sich. Zum Beispiel dafür, dass sechs libanesische Soldaten nicht bei nahezu 40 Grad Celsius am Straßenrand stehen und auf Hilfe warten müssen, weil ihnen wieder mal der Sprit ausgegangen ist. Oder weil ein Truppentransporter auf den holprigen Strassen im Südlibanon oder an der Grenze zu Syrien zusammengebrochen ist. Die libanesische Armee sucht dringend großzügige Unterstützer. 

Zu dem Zweck hat Verteidigungsminister Elias Murr kürzlich ein Spendenkonto eingerichtet, in das libanesische Patrioten und andere Gewogene jede denkbare Summe einzahlen können, damit die Streitkräfte endlich kampftauglich ausgerüstet werden können. Ob es Spendenquittungen geben wird, ließ der Minister offen. Er appellierte vor allem an die zahlreichen Libanesen, die im Ausland arbeiten, ihren Beitrag zur Landesverteidigung zu leisten. Murr selbst hat gemeinsam mit seinem Vater bereits 665.000 Dollar eingezahlt, quasi als Ermunterung für potentielle Nachahmer. 

Im Verteidigungsministerium zerbrechen sich nun die Strategen sicher den Kopf darüber, wie viele private Spender man durchschnittlich benötigt, um einen modernen Militärhubschrauber zu kaufen. Oder Luftabwehrraketen, die in der Lage wären, die den Libanon ständig überfliegenden israelischen Kampf- und Aufklärungsmaschinen ernsthaft abzuschrecken.

Diese dramatische Maßnahme des Verteidigungsministers folgt einer Ankündigung von US-Kongressmitgliedern, eine zugesagte militärische Unterstützung in Höhe von 100 Millionen US-Dollar zunächst einmal auf Eis zu legen. Die Begründung: Man wolle der libanesischen Armee nicht dabei helfen, gegen die israelischen Streitkräfte vorzugehen. Die Vorgeschichte: Libanesische Soldaten hatten am 3. August bei einem Zwischenfall an der Grenze zu Israel zur Waffe gegriffen, um israelische Soldaten an einem vermeintlichen Grenzübertritt zwecks einer Baumentwurzelung zu hindern. Es kam zum Schusswechsel, bei dem ein israelischer Offizier, zwei libanesische Soldaten sowie ein libanesischer Journalist ums Leben kamen.

Seither heißt es in pro-israelischen Kreisen in Washington, der libanesischen Armee könne man nicht mehr trauen. In Israel spricht man gar von einer „Hisbollahisierung“ der libanesischen Armee. Stellt sich die Frage: Wozu ist eine Armee denn gut, wenn nicht zur Verteidigung ihrer Landesgrenzen? Ok, die Frage, ob die israelischen Soldaten tatsächlich auf libanesisches Territorium vorgedrungen waren, bleibt unbeantwortet. Denn an genau der Stelle ist der Verlauf der so genannten „Blauen Linie“, welche die Rückzugslinie der israelischen Armee im Jahr 2000 definiert, umstritten. Die internationale Grenze zwischen beiden Ländern ist ohnehin nicht festgelegt. Aber Israel hatte sich nicht an die mit der Blauhelmtruppe UNIFIL vereinbarte Regelung zu Gärtnerarbeiten im grenznahen Bereich gehalten, was die Libanesen als Aggression interpretierten. Übereifrig und nicht korrekt, kann man im Nachhinein sagen. Ebenso verhält sich die israelische Marine häufig an der nicht demarkierten Seegrenze, wenn libanesische Fischer ihr auch nur nahe kommen. Doch die Fischer antworten nicht mit schwerem Geschütz und kaum jemand verliert ein Wort darüber.  

Nun muss die libanesische Armee also wieder um die westliche Hilfe bangen. Im Westen sollte man sich wirklich überlegen, was man will: Will man die libanesische Armee stärken und zu einer ernstzunehmenden Streitmacht heranbilden, damit endlich das Hisbollah-Argument nicht mehr zieht, nur die Schiitenmiliz könne den Libanon verteidigen? Oder will man die Dinge lieber so lassen wie sie sind, dann ist es auch leichter der Hisbollah als von den USA und Israel gebrandmarkter Terrororganisation den schwarzen Peter im Konfliktfalle zuzuschieben.

Die libanesische Armee benötigt dringend eine adäquate Ausrüstung sowie entsprechendes Training  – und zwar nicht nur leichtes Gerät, Maschinengewehre und ein bisschen Munition. Sondern moderne Panzer, Truppentransporter, die nicht bei jeder Gelegenheit zusammenbrechen, Kampfhubschrauber, ein ernstzunehmende Luftabwehr und hochseetaugliche Schiffe, die auch im Winter die Patrouillen der Küste sicherstellen können. Einer Studie des amerikanischen „Center for Strategic and International Studies“ zufolge braucht die Armee mit ihren knapp über 50.000 Soldaten mindestens 1 Milliarde US-Dollar, um ein Minimum an Einsatzbereitschaft zu erlangen. Da müssten sich schon sehr viele private Patrioten zusammenfinden, um die aufs Spendenkonto zu bringen. Andernfalls hat sich auch schon Teheran angeboten. Vermutlich ein Bluff, aber wer weiß. 

 

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Von wegen Meinungsfreiheit

 

Der Anfang Juli in Beirut verstorbene schiitische Großajatollah Mohammed Hussein Fadlallah hat uns über seinen Tod hinaus noch einige Lehren mit auf den Weg gegeben. Nicht zuletzt, dass es mit der Meinungsfreiheit auch im Westen nicht sehr weit her ist, wenn es um eine berühmte und umstrittene Figur wie Fadlallah geht. Zudem eine, welche die israelische, die amerikanische und die britische Regierung als „Erz-Terroristen“ gebrandmarkt haben.

Die amerikanisch-libanesische CNN-Nahost-Spezialistin Octavia Nasr hat ihr Tweet zu Fadlallahs Tod ihren Job gekostet. Die britische Botschafterin Francis Guy, die den Großajatollah in ihrem diplomatischen Blog aus Beirut würdigte, erhielt eine schroffe Rüge aus London. Ihr Blogeintrag wurde aus dem Netz verbannt. 

Nun kann man den beiden ausgezeichneten Nahostkennern keine Naivität vorwerfen. Vielleicht hätte Nasr nicht gerade einen Tweet mit 140 Zeichen-Begrenzung wählen sollen, um ihren Gefühlen über den Tod einer so komplexen Person wie Fadlallah Ausdruck zu verleihen. Dächte man auch nur einen kurzen Moment nach, könnte man darauf kommen, dass das nicht gut gehen kann. Andererseits wissen wir auch, wie hoch der Druck einiger großer Medienunternehmen auf ihre Mitarbeiter ist, vor allem im TV-Bereich, zu tweeten und zu bloggen. Bei manchen ist es schon Einstellungsvoraussetzung, hört man. Der Wahnsinn in dieser Welt hat viele Gesichter!

Beiden Äußerung zu Fadlallahs Tod ist eines gemein: Sie drückten Respekt für den verstorbenen schiitischen Großajatollah aus, der in vielen Medien weiterhin fälschlich als geistlicher Führer oder ehemaliger geistlicher Führer der Hisbollah beschrieben wird.  Das kann man sicher so nicht sagen, obwohl Fadlallah Sympathien und teilweise offene Unterstützung für einige politische Sichtweisen und Taten der Hisbollah geäußert hat und beide sicherlich den Kampf gegen Israel und eine feindliche Gesinnung gegenüber den USA teilten. Die einzig wirklich gut recherchierte Würdigung Fadlallahs, die ich gelesen habe, stand übrigens im US-Magazin Foreign Policy.

Octovia Nasr musste ihre 20jährige Karriere bei CNN beenden wegen des Satzes: Fadlallah ist einer der Hisbollah-Giganten, die ich sehr respektiere. Darauf erhielt sie sofort wütende Reaktionen, unter anderem vom Simon Wiesenthal Center in den USA, das sie aufforderte, sich sofort bei all jenen Hisbollah-Opfern zu entschuldigen, deren Angehörige ihre Trauer über den Tod des Hisbollah-Giganten nicht teilen könnten. Kurz darauf entschied CNN, dass Nasrs Glaubwürdigkeit kompromittiert war, obwohl sie sich entschuldigt hatte und ihren eigenen Tweet als Fehleinschätzung zurückgezogen hatte. So schnell kann eine Karriere zu Ende gehen. Das besorgniserregende daran ist – ganz egal ob man Octavia Nasrs Einschätzungen zum Nahen Osten teil oder nicht – dass sie für CNN unhaltbar wurde, obwohl ihre Vorgesetzten wussten, dass sie eine durchaus differenzierte Einstellung zu Fadlallah und zur Hisbollah hatte, die sie immerhin 20 Jahre lang über den Sender gebracht hatte.

Der Fall der britischen Botschafterin Francis Guy liegt ganz ähnlich – obwohl sie glücklicherweise nicht gleich aus Beirut abgezogen wurde und ich hoffe, das wird auch so bleiben. Denn sie gehört zu den großen Kennern der Region in der westlichen Botschafterclique hier, sie wohltuend ist ehrlich, aufrichtig und nicht immer so entsetzlich diplomatisch. Guy hatte in ihrem Blog geschrieben, der Tod des Ajatollahs habe den Libanon ärmer gemacht. „Wenn man ihn besuchte, konnte man sicher sein, eine ernsthafte und respektvolle Auseinandersetzung zu erleben und man wusste, dass man sich als bessere Person fühlen würde, wenn man ihn verließ. Das ist für mich der Effekt eines wirklichen religiösen Mannes, dass er einen tiefen Eindruck bei jedem hinterlässt, der ihn trifft, ganz egal welchen Glaubens diese Person ist.“ Ein Sprecher der israelischen Regierung schrie „Skandal“ und das britische Außenministerium wand sich in Schmerzen. Es sei eine persönliche Meinung gewesen, hieß es aus London, die nicht der Regierungseinschätzung entspreche. Während das Foreign Office Fadlallahs progressive Ansichten zu Frauenrechten und dem inter-religiösen Dialog begrüße, gebe es auch tiefe Meinungsverschiedenheiten, vor allem wegen seiner Befürwortung von Attacken gegen Israel. Guy schrieb einen Entschuldigungsblog, in dem sie ihre Äußerungen zu Fadlallah mutiger Weise nicht zurücknahm. Aber, in dem sie sich klar von jeder Form (sic!) des Terrorismus distanzierte und in dem sie bedauerte, dass sie möglicherweise die Gefühle einiger ihrer Leser verletzt habe. Das sei nicht ihre Absicht gewesen.

Was lernen wir daraus? Dass Meinungsfreiheit in unserer westlichen Welt bei manchen Themen ganz engen Grenzen unterworfen ist, selbst, wenn man sehr differenziert ist. Sympathie für einen umstrittenen Menschen, vor allem islamischen Glaubens, den Israel und die USA als Erz-Feind ausgemacht haben – sei das nun berechtigt oder unberechtigt – kann und darf man nicht ungestraft äußern. Solche Einschätzungen werden im Zweifelsfalle nicht einmal diskutiert. Wie im Falle Octavia Nasrs heißt es lieber gleich „Kopf ab“. Ob das der Kultur einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, von der ich weiterhin träume, dient, wage ich zu bezweifeln.  

 

 

 

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Keine Chance für Fußball-Muffel in Beirut

 

Nun ist es also soweit: Nicht genug damit, dass man den Mücken in unserem Haus um diese Jahreszeit nur unterm Moskitonetz vollständig entkommt. Aus dem Wohnzimmer tönt zudem das Geräusch eines Schwarmes tausender heranschwirrender Moskitos – auch wenn es tatsächlich glücklicherweise nur das Konzert dieser Ohren-beleidigenden Vuvuzela-Trompeten ist. Im Wohnzimmer sitzt mein Mann, Schotte, Fußballfan und schaut begeistert den Worldcup, unterbrochen nur vom Ausfall der Satellitenübertragung von Al Jazeera. Das aber regelmäßig.

Nun könnte man meinen, Türen schließen würde helfen. Aber es ist Sommer, die Temperaturen liegen auch am frühen Abend noch bei 30 Grad C und die Luftfeuchtigkeit in Beirut steigt. Da öffne ich persönlich gerne die Fenster. Damit befinde ich mich leider in bester Gesellschaft. Drum schallen eben jene Vuvuzelas sowie die Jubelschreie der Nachbarn, wann immer ein Tor für ihre Lieblingsmannschaft gefallen ist, ungefiltert zu mir herüber. Als Deutschland die australische Mannschaft vorgestern mit 4:0 besiegte, ging es besonders hoch her. Schreie, Freudenschüsse, Knallgranaten und Hupkonzerte – die Libanesen lieferten die ganze Palette.

Denn die deutsche Mannschaft steht hier besonders hoch im Kurs. Zahlreiche Balkone, Autos und ganze Straßen sind mit den deutschen Nationalfarben beflaggt. Gestern stand ich im Stau neben einem Cabrio mit vier libanesischen Fußballnarren. Sie alle trugen samtene Schlapphüte in schwarz-rot-goldenem Karo, einer wedelte mit einer besonders großen deutschen Flagge, der Fahrer hielt eine Attrappe der goldenen WM-Trophäe in der einen Hand, in der anderen zu meiner Erleichterung das Lenkrad. Wenn es nach den meisten Libanesen geht, dann wird die Elf von Trainer Löw auf jeden Fall Weltmeister. Es sei denn Brasilien sticht sie aus. Doch Flip-Flops in den deutschen Nationalfarben sind mit Abstand die beliebtesten, selbst in den Strandclubs gibt es kein Entkommen von der WM.

Bars und Restaurants haben alle ohne Ausnahme große Fernsehbildschirme installiert. Nachbarn in den ärmeren Gegenden haben ihre persönlichen Couchen auf kleinen, freien Plätzen zusammengerückt, einer hat seinen Fernseher zur Verfügung gestellt und so sitzt man eng und kuschelig beieinander, Fähnchen in der Hand, jubelnd oder schimpfend. Das WM-Vergnügen will geteilt sein. Auch mit all denen, die davon gar nichts wissen wollen. Wie ich.

All das übrigens, obwohl die libanesische Nationalmannschaft gar nicht dabei ist in Südafrika. Die Libanesen haben sich seit Jahren nicht mehr für eine WM qualifiziert, was vor allem daran liegt, dass im Zedernstaat trotz enormer Fußballbegeisterung junge Talente nicht systematisch gefördert werden. Der Fußballverband hat kein Geld. Fußball ist seit ein paar Jahren eine Arena für die Austragung politischer und konfessioneller Rivalitäten geworden, woran die libanesischen Politiker maßgeblich die Schuld tragen. 

Also identifizieren sich die Libanesen mit den Nationalmannschaften, denen sie einen Sieg zutrauen. Denn schließlich will man am Ende etwas zu feiern haben. Und feiern tun sie lautstark, hemmungs- und gnadenlos. Bis tief in die Nacht. Der Libanese an sich braucht offenbar nicht sehr viel Schlaf, anders ist es kaum zu erklären, dass er morgens im Service-Taxi auf dem Weg zur Arbeit schon wieder hitzig über die jüngsten Spielergebnisse debattiert. Meine deutschen Gene scheinen mich da anders programmiert zu haben. Drum bin ich mir trotz ohnehin nur verhalten vorhandenem Patriotismus nicht sicher, ob ich mir wünsche, dass die deutsche Mannschaft bis ins Endspiel kommt. Andererseits, wenn es nicht die Deutschen sind, dann sind es eben die Brasilianer. An der Begeisterung und am Lärmpegel in Beiruts Straßenschluchten wird das wenig ändern. Da es kein Entkommen gibt, wird mir nichts anderes übrig bleiben als tapfer durchzuhalten. Inshallah. 

 

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Kleine Hindernisse räumen wir selbst weg

 

Es ist kurz nach Mittag. Ich habe mir gerade eine Tasse Tee gekocht und versuche, mich auf meinen Artikel zu konzentrieren. Draußen auf der Straße höre ich die Müllabfuhr. Sie kommt ungefähr sechs Mal täglich. Das ist gut so, bei dem Abfall, den das Viertel ständig in den drei grünen Containern an der Straßenecke ablädt. Nicht so gut ist die Dezibelstärke dieser Uralt-Mülllaster. WBei offenem Fenster versteht man sein eigenes Wort nicht mehr.

Plötzlich geht ein ohrenbetäubendes Hupkonzert auf der Strasse los. Es steigert sich zum Crescendo. Und will gar nicht mehr aufhören. Schließlich gehe ich etwas ungehalten auf den Balkon, um zu sehen, was da los ist. Lärm ist ja normal, aber das… Es ist wieder einmal so weit: Ein superschlauer Autofahrer – oder war es eine Autofahrerin? – hat seinen Kleinwagen neben einer improvisierten Absperrung geparkt, die eigentlich dazu da ist, ein Parkverbot zu signalisieren. Weil nämlich sonst die Müllwagen nicht mehr vorbeikommen. Genau das ist das Problem. Und zwar nicht zum ersten Mal.

 

Das geparkte Auto steht also fast mitten auf der Fahrbahn, auf der anderen Straßenseite parken selbstverständlich noch mehr Autos. Und nun kommen die fleißigen Mitarbeiter der Beiruter Müllreinigungsfirma Sukleen mit ihrem superlauten Laster nicht mehr weiter. Hinter ihnen staut sich inzwischen der Verkehr, die Fahrer werden sauer und drücken ohne Unterlass auf die Hupe. Der Fahrer von Sukleen hupt nun auch – um den Übeltäter zu seinem Auto zu bewegen, damit er es aus dem Weg fährt. Aber: Fehlanzeige. Da hilft nur Selbsthilfe.

 

Der kleine Wagen wird kurzerhand von den Sukleen-Mitarbeitern zu Seite gehievt.

So, dass der Mülllaster schließlich ganz knapp vorbei passt.

 

Es ist schon hart, bei der Beiruter Müllabfuhr zu malochen. Aber die Sukleen-Männer in ihren grünen Anzügen sind Kummer gewohnt. Zu erwarten, dass die Polizei an solch prekären Stellen Knöllchen verteilt, ist völlig vergeblich. Das tun Polizisten in den seltensten Fällen. Von wegen „Dein Freund und Helfer“. Die Libanesen sind es gewohnt, sich selbst zu helfen, denn auf den Staat können sie sich nicht verlassen. Das nimmt mitunter groteske Formen an oder auch verabscheuenswürdige. So zum Beispiel kürzlich in einem Dorf im Chouf-Gebirge. In Ketermaya wurde ein älteres Ehepaar mit seinen beiden Enkeln auf schreckliche Weise ermordet. Der Mörder, ein Ägypter, wurde gefasst und von der Polizei zurück an den Tatort gebracht, um den Tathergang zu klären. Kaum tauchte er dort auf, fiel der Mob über ihn her, lynchte ihn und hängte ihn anschließend mit einem Metzgerhaken an einem Strommast auf. Die Polizei stand untätig daneben. Gegen diese wütende Meute traute sie sich nicht vorzugehen. Selbstjustiz ist keine Seltenheit im Libanon – wenn sie auch nicht immer so bestialische Züge annimmt. Dass der libanesische Staat ein sehr schwacher ist, ist bekannt. Aber ich denke, die Behörden müssen sich sehr bald entscheiden, ob sie zumindest versuchen wollen, die Dinge unter ihre Kontrolle zu bringen. Oder ob sie das Land sich selbst überlassen wollen. Denn die Anzeichen mehren sich, dass die Libanesen selbst zu Tat schreiten. Ob es nur um das Wegräumen störender Fahrzeuge geht oder um die Rache an tatsächlichen oder mutmaßlichen Mördern.

 

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Gestrandet in Beirut

 

Wenn man als Tourist seinen Beirutaufenthalt zwangsweise verlängern muss, dann denkt in Deutschland gleich jeder: Da ist wieder eine Bombe hochgegangen, der Bürgerkrieg ausgebrochen oder die Israelis haben sich an der Hisbollah gerächt. Doch weit gefehlt! Meine Freunde aus Deutschland, die mich für eine Woche besuchen wollten, verbringen nun schon den vierten Tag unfreuwillig im Zedernstaat und lernen ihn besser kennen, als sie gehofft hatten.

Neue Museen werden aufgetan, im Strandclub frischen sie nun schon den zweiten Tag lang ihre Bräune auf – und natürlich genießen sie die libanesische Küche. Nur die 85jährige Mutter in Deutschland, die sehnlich auf die Rückkehr ihrer beiden Töchter wartet und sich Sorgen macht, weil Beirut ja schließlich grundsätzlich so ein gefährliches Pflaster ist, kann es nicht begreifen: Es ist der Vulkanausbruch auf Island, der an allem Schuld ist. Und einmal nicht die chaotischen Araber oder moslemischen Terroristen, wie das Vorurteil im Westen nahe legen würde. Hier geht das Leben seinen gewohnten Gang und meine lieben Freunde erfahren von den gastfreundlichen Libanesen eine besonders aufmerksame Behandlung – sind sie doch schließlich Opfer einer unverschuldeten Notlage. Und mit so was kennen sich die Libanesen aus!

 

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Wo Eremiten in wohlbeheizten Höhlen hausen

 

Wir waren auf Abenteuer aus und wollten uns nach tagelanger Schreibtischarbeit noch mal so richtig austoben. Kein besserer Ort als das tief zerklüftete Kadisha-Tal im Norden des Libanon, wo einem die steilen Abstiege fast ebenso viel abverlangen wie die fast senkrechten Aufstiege. Dank sei dem Erfinder der Teleskopstöcke ohne die das – zumindest für mich – kaum zu

schaffen gewesen wäre. Im Talgrund rauschen kleine Gebirgsflüsse und an den teils felsigen, teils bewachsenen Steilhängen befinden sich so viele Höhlen und Klöster wie sonst nirgends in diesem Land.

„Kadisha“ kommt aus dem Aramäischen und heißt heilig. Heilig ist das Hochtal vor allem den Maroniten. Denn die haben hier, unterhalb der ehemaligen Zedernwälder, von denen jetzt nur noch eine Art Zedern-Disney-Park übrig ist, seit dem Ende des 7. Jahrhunderts Zuflucht gesucht. Noch heute bestehen hier wichtige Klöster: Das Kannubin-Kloster wurde im 15. Jahrhundert für 500 Jahre Sitz des maronitischen Patriarchen, der immer noch die Politik im Zedernstaat mitbestimmt. Das Sankt Antonius-Kloster schmückt sich unter anderem damit, die älteste Druckerpresse im Nahen Osten aus dem 16. Jahrhundert zu beherbergen.

Ausgestattet mit genügend Wasser und Proviant für ein ausgedehntes Picknick zogen wir frühmorgens zu unserer sechsstündigen Wanderung los. Georges, ein Sportlehrer und Wanderführer aus einem kleinen Bergdorf in der Nähe, zeigt uns den Weg, teils auf erkennbaren Pfaden, teils aber auch über Geröll oder quer durch die Büsche. Denn das ist eines der Charakteristika des Lebanon Mountain Trail, einem Höhenwanderweg vom äußersten Norden bis in den Süden des Libanon, dessen 7. Etappe wir vor uns hatten: Man muss die Wege schon kennen, sonst ist man verloren. Irgendwie wollen die lokalen Ortkundigen schließlich ihr Geld verdienen. Insofern hat man vom Ausbau der Wanderwege beziehungsweise ihrer genauen Markierung weitgehend Abstand genommen.

 

Die Bäche murmeln viel versprechend, ein leichter Wind rauscht durch die Bäume, Vögel zwitschern, auf dem Waldboden und in den Wiesen blühen wilde Annemonen, Veilchen und Kamillenblumen. Purer Genuss! Vor allem wenn man aus dem lauten und hektischen Beirut kommt. Die zahlreichen Mönche und Nonnen, die sich hier niedergelassen haben, haben eine gute Wahl getroffen. Daneben gibt es allerdings noch ein paar andere heilige Männer, die man in Europa eher selten antrifft: Eremiten.

Nach einem besonders steilen Anstieg treten wir durch ein eisernes Tor. Dahinter befinden sich auf dem Steilhang abgetrotzten Erdterrassen ein paar Obstbäume sowie Tomaten und Kartoffelpflanzen. Nur ein paar in den Fels gehauene Stufen trennen uns nun von der winzigen Wohnstätte des kolumbianischen Einsiedlers Paolo Escobar. An seiner Tür steht auf Arabisch: Bitte nicht stören, ich meditiere. Also treten wir durch ein knarrendes Tor in eine kleine Kapelle. Dass es hier nach Weihrauch riecht, hätte ich fast erwartet. Aber dass mir hier warme Heizungsluft entgegenschlägt, das hat mich dann doch überrascht.

Nun darf man natürlich fragen, warum sollte sich ein Eremit im Winter die Finger abfrieren, ist ja auch nur ein Mensch. Aber diese beiden elektrischen Heizkörper an jedem Ende der Kapelle haben mich doch verdutzt. In einer Ecke, nahe der Heizung versteht sich, steht Escobars Schreibtisch mit diversen Leselampen, zahlreichen Büchern und Notizblöcken. Hier studiert er also. Böse Zungen behaupten sogar, der 75jährige Kolumbianer habe in seiner Bleibe einen Laptop versteckt, von dem aus er ein kleines Drogenimperium leite. Aber das glaube ich nicht.

Der freundliche Mann in brauner Kutte, dessen langer Bart zittert, wenn er redet, schüttelt uns wenig später draußen die Hände und heißt uns willkommen. „Für mich ist dies das Paradies“, sagt er mit einem schelmischen Lächeln. Er sei hierher gekommen, um in Stille zu arbeiten und Gott nahe zu sein. „Normalerweise rede ich mit niemandem, aber heute mache ich eine Ausnahme.“ Wie oft er diese Ausnahme macht, möchte ich nicht wissen. Aber lieber ein freundlicher Eremit als ein verknöcherter. Angesichts der Tatsache, dass er da oben in den Bergen Strom und eine gut beheizte Höhle mit einer traumhaften Aussicht hat, könnte ich mir sogar einen (sehr) befristeten Wohnungstausch vorstellen. Bei den Büchern hätte ich wahrscheinlich andere Präferenzen. Aber ich habe mich nicht getraut, ihm das vorzuschlagen.  

 

 

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Eine Art libanesischer Karneval

 

Jedes Jahr am 14. Februar ziehen sie durch die Strassen, tausende junge wie alte Libanesen, Familien mit Kindern, grölende Jugendliche ausgerüstet mit libanesischen Flaggen oder den Fahnen ihrer jeweiligen konfessionell geprägten Partei. Die Stimmung ist ausgelassen, fröhlich, manchmal auch ein wenig aggressiv. Hier wird Dampf abgelassen. Es fehlen die farbenfroh dekorierten Wagen, Schnäpschen und Kamelle – aber sonst erfüllen diese Umzüge einen ähnlichen Zweck wie die im Rheinland und in Mainz in diesen Tagen: Zusammenstehen, Freude haben, im Wir-Gefühl baden und den Alltag vergessen. Die Gedenkdemonstrationen am Tag des Hariri-Attentats – gestern vor fünf Jahren – haben durchaus etwas Karnevalistisches. Oder gewinnt hier die Rheinländerin Oberhand, die es nicht lassen kann Äpfel mit Birnen zu vergleichen?

Am Sonntagmorgen gegen 9 Uhr ging es los mit dem Gegröle auf den Strassen. Mit Bussen wurden tausende herangekarrt. Dann heißt es Aussteigen und zu Fuß marschieren bis zum Märtyrerplatz, wo gegen Mittag zum großen Finale die ehemals oder immer noch anti-syrischen politischen Führer, allen voran Premierminister Saad al-Hariri, ihre jeweiligen Büttenreden, nein pardon, politischen Weisheiten und Einsichten dem Volke vortragen. Um 12:55 Uhr schließlich die Schweigeminute für den am 14. Februar 2005 ermordeten Rafik al-Hariri – ein Moment, der dem Spektakel etwas Würde zurückgibt. Viele Libanesen sind immer noch ehrlich aufgebracht über diese grausige Tat und machen die syrische Führung dafür verantwortlich. Damaskus weist diesen Vorwurf entschieden zurück.

Mit aufwendigen Plakat- und Fernsehkampagnen haben die Parteien des ehemals anti-syrischen Bündnisses für eine massive Teilnahme ihrer Anhänger geworben. Da wurde nicht gespart und ich bin nicht die einzige, die empfindet, man hätte das Geld besser anlegen können in diesem Land mit seiner extrem maroden Infrastruktur. Aber hier geht es nicht darum, den mündigen Bürger zufrieden zu stellen. Hier geht es darum, dem politischen Gegner und der Welt zu demonstrieren, dass man die Massen immer noch mit dem Märtyrer Hariri und der so genannten Zedernrevolution, dieser wunderbaren Erfindung des Westens, mobilisieren kann.

Von libanesischer Einheit kann dabei gar keine Rede sein. Mitnichten „Wir sind das Volk“ oder so was. Eher schon „Wir sind die Sunniten und wir haben was zu sagen, vor allem in Beirut“. Die beiden kleineren christlichen Parteien im Lande, die Forces Libanaises um Samir Geagea und die Kataeb um Amin Gemayel gesellen sich dazu, denn auch sie haben Märtyrer in den eigenen Reihen zu beklagen. Die sind nur nicht alle so bekannt wie Rafik al-Hariri. Die  Präsenz der Anhänger Geageas und Gemayels will aber auch heißen „Wir sind die Christen und wir lassen uns nicht marginalisieren“.

Der Umzug zum Gedenken an den bei einem Autobombenattentat getöteten Mr. Lebanon bleibt trotz dieser christlichen Komponente eine konfessionelle Kampfansage der Sunniten an die Schiiten, die Schätzungen zufolge eine knappe Bevölkerungsmehrheit im Libanon stellen. Auch wenn Sunnitenführer Saad al-Hariri viel von nationaler Einheit und einem Staat für alle Libanesen sprach. Die Schiiten haben übrigens am kommenden Dienstag ihren eigenen „Veilchen-Dienstags-Umzug“ – zum Gedenken an ihren Großmärtyrer, Imad Mughniyeh.

Der ehemalige militärische Führer oder Sicherheitschef der Hisbollah wurde am 12. Februar 2008 durch eine Autobombe in Damaskus getötet. Die Schiitenpartei und einige andere Libanesen vermuten die Drahtzieher für dieses Attentat in Israel. Die Großdemo am Dienstag in den südlichen Vororten Beiruts, bei der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah zum Volke sprechen wird, ist eine direkte Antwort auf die Valentinstagskundgebung im Zentrum Beiruts. Ihre Botschaft: „Wir bringen mindestens ebenso viele Anhänger auf die Strasse wie ihr“. Und damit sind die beiden politischen und konfessionellen Hauptkontrahenten im Libanon, Sunniten und Schiiten, erstmal wieder quitt.

Am Aschermittwoch ist glücklicher Weise auch im Libanon alles vorbei, die Christen beginnen mit der Fastenzeit und alle anderen gehen wieder ihrem normalen Tagesgeschäft nach. Die libanesischen Bürger würden sich freuen, wenn dazu auch vermehrt gehörte, die marode Infrastruktur und beispielsweise das Gesundheits- und Schulwesen im Lande mal auf Vordermann zu bringen.

 

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Grenzenlose Inkompetenz

 

Willkommen im vor-elektrischen Zeitalter! Wir befinden uns im Libanon im Jahre 2010. Und zwar nicht irgendwo in den fast jemenitisch anmutenden, vernachlässigten Orten im Norden an der Grenze zu Syrien. Nein, mitten in der Hauptstadt Beirut, im Stadtviertel Sanayeh. Seit über 50 Stunden sind wir stromlos. Dafür haben die Bauarbeiter zwei Straßen entfernt gesorgt, als sie mit ihrem Bulldozer ein Versorgungskabel durchtrennten. Die Konsequenz: Ein Kurzschluss im nahe gelegenen Verteilerkasten, einige private Generatoren in der Nachbarschaft gerieten in Brand (ja, auch aus unserem Keller stieg am Dienstagmittag gegen 13 Uhr dicker, bläulicher Rauch auf) und in vier Strassen gingen die Lichter aus.

Klar, Pannen am Bau passieren auch in Deutschland. Man darf sich trotzdem fragen, warum diese Bauarbeiter nicht wussten, dass dort wichtige Hauptleitungen verlegt waren und dass man vielleicht etwas vorsichtig vorgehen sollte. Die Antwort ist relativ einfach: Hier werden Bauarbeiten nicht unbedingt nach einem ausgefeilten Plan ausgeführt. Auch in diesem Bereich rühmen die Libanesen sich ihrer Improvisationskünste und oft nicht ganz so glücklicher ad hoc Entscheidungen. Allerdings geht man als Mitteleuropäer davon aus, dass ein solcher Kabelschaden mit Fachkräften leicht wieder zu beheben sein müsste. Nur: Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Die wenigsten Bauarbeiter oder Elektriker in diesem Land haben eine Fachausbildung. Hier wird bestenfalls das Handwerk vom Vater an den Sohn weitergegeben, schlimmstenfalls heißt es einfach: Learning by doing. Und deshalb oft: Grenzenlose Inkompetenz.

Nach dieser Glanzleistung wurde erstmal auf der Strasse debattiert, keiner wollte die Verantwortung übernehmen. Dann traten die Experten leicht betreten den Rückzug zur weiteren Beratung an, denn inzwischen hatte es zu regnen angefangen. Immerhin 30 Stunden später begannen die Presslufthammer die Gegend zu erschüttern. Die ganze Strasse wurde bis zum Verteiler aufgerissen, die Kabel wieder verbunden und die Sicherungen im Verteilerkasten ausgetauscht. Gestern Nachmittag machte plötzlich die frohe Botschaft die Runde: Am Abend sollten die Lichter wieder angehen. Inshallah. 

Zum Glück sind wir nicht ganz unvorbereitet, denn in der Glitzermetropole Beirut kommt jeden Tag mindestens drei Stunden lang kein Strom aus der Steckdose. Das liegt daran dass die Electricité du Liban das Land nur mit rund 70 Prozent des Energiebedarfs versorgen kann, was unterm Strich wiederum an Inkompetenz, Ineffizienz aber noch viel mehr an der unvorstellbaren Korruption im Lande liegt. Viele Haushalte sind deshalb an einen sehr teuren Nachbarschaftsstromgenerator angeschlossen, der anspringt, wenn der Strom ausfällt. Oder sie betreiben – wie wir – einen eigenen kleinen Generator auf dem Balkon. Der überbrückt drei Stunden problemlos, wenn man keine Stromfresser anschließt,  muss dann aber zum Abkühlen wieder abgeschaltet werden. 

Ich lebte also im Dreistundentakt. Drei Stunden Internet, Computer und Drucker, dann wieder lesen, im Zweifelsfalle bei Kerzenlicht. Abends gab’s romantische Candlelight-Dinner und mit geschicktem Energiemanagement sorgten wir dafür, dass der volle Tiefkühlschrank irgendwie doch nicht abtaute. Nur für die Spülmaschine, die Waschmaschine oder die Heißwasserboiler reichte der Generator dann doch nicht aus. Mein Flehen „Herr, wirf Hirn vom Himmel“ wurde letztlich erhört. Die verehrten Meister der Inkompetenz haben es schließlich geschafft – gestern Abend gingen die Lichter wieder an in unserem Viertel. Das haben wir gefeiert! Licht an in allen Räumen und endlich wieder eine heiße Dusche! So sehen sie aus, die einfachen Freuden 2010 in Beirut, dieser Perle am Mittelmeer.

 

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Weihnachten kam mit einem Knall

 

Da saß ich gemütlich bei einer Tasse Tee mit einem Diplomaten zum Hintergrundgespräch in einem Café, als wir plötzlich von einem fürchterlichen Knall aufgeschreckt wurden. Es klang wie eine heftige Explosion – und mehrere weitere folgten. Bestürzt liefen die Kellner zur Tür, um hinauszusehen. Statten die Israelis uns zu Weihnachten einen unangekündigten Besuch ab? Oder sind irgendwelche Terroristen am Werk? Als die Kellner strahlend wieder rein kamen und Entwarnung gaben, wurde klar: Es war ein mächtiges Feuerwerk. Wenn der Krieg nicht zu uns kommt, dann sorgen die Libanesen eben selbst für entsprechenden Lärm. Es hat mich immer zutiefst verwundert, warum die Menschen in einem Land, das so viele Kriege ertragen musste, Knaller und Feuerwerke so sehr lieben. Sind wir sensiblen Ausländer die einzigen, die sich dann immer wieder erschrecken und an das Schlimmste denken? Ich kann es mir kaum vorstellen.

Doch sei es wie es ist. Wir hatten also gestern mal wieder das Vergnügen eines massiven Feuerwerks im Zentrum Beiruts. Es erleuchtete den Nachthimmel zwischen dem Märtyrer-Denkmal und der Mohammed el-Amine-Mosche, besser bekannt als Hariri-Moschee (weil Rafic al Hariri  diese überdimensionierte Moschee vor seinem Tod hatte errichten lassen – als Symbol der sunnitischen Macht im Libanon, heißt es) in allen denkbaren Farben und war wunderschön. Der Grund: Saad al Hariri, der Sohn Rafics und Libanons neuer Premierminister, eröffnete die Weihnachtssaison in Beirut. 

Der Märtyrerplatz ist nun dekoriert mit 86 kleineren Weihnachtsbäumen und einer Riesentanne, bestehend aus 500 eigens dafür abgeholzten Nadelbäumen. An dieser Stelle ein Gruß von Beirut nach Kopenhagen, wo gerade die weltweite Klimaveränderung beklagt und vielleicht sogar bekämpft wird. Hariri wird Anfang der Woche auch dorthin kommen und sicher besorgte Worte finden. Aber jetzt und hier zu Hause erfreuen wir uns der Weihnachtssaison, denn die Konjunktur soll ja auf Hochtouren laufen. Um das zu erleichtern brennen auch auf den Weihnachtsbäumen auf dem Märtyrerplatz 1150 Lampen während 20 Projektoren die Mega-Tanne mit verschieden farbigem Licht zusätzlich anstrahlen. Tag und Nacht versteht sich. Minus drei Stunden täglich, denn für diese Zeitspanne fällt in Beirut jeden Tag der Strom aus, weil die Electricité du Liban nicht genug Strom produzieren kann. Wie das alles zusammenpasst, fragt man sich im Libanon besser nicht. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Die Libanesen sind also ganz auf’s Fest eingestimmt, alle Geschäftsstrassen sind weihnachtlich dekoriert, übrigens auch im überwiegend moslemischen Westen der Stadt. In den Läden wimmelt es von Festtags-Schnäppchen – der Kommerz ist König! Sozusagen als vorweihnachtliches Präsent bekamen die Libanesen auch noch kurz vor Jahresende endlich eine neue Regierung – nur sechs Monate nach den Parlamentswahlen im Juni. Die neue Mannschaft der nationalen Einheit wurde vom Parlament nach einer Marathondebatte von knapp 99 Prozent der Abgeordneten bestätigt – ein Rekord.

Und das, obwohl die pro-westlichen Christenparteien allesamt gegen Paragraph 6 der Regierungserklärung waren, der besagt: Der Libanon, sein Volk, seine Regierung, seine Armee und sein Widerstand (d.h. Hisbollah) haben das Recht, das gesamte libanesische Territorium mit allen legitimen Mitteln zu befreien. Mit anderen Worten: Niemand rührt die Waffen der Hisbollah an. Das finden nicht alle im Zedernstaat klasse, aber das ist nun erneut Regierungspolitik. Die Zeichen stehen auf Ruhe und Ausgleich, vorerst jedenfalls. Nach Ansicht des Abgeordneten Fadi al-Awar ist die allgemeine Atmosphäre so gut, dass einer Arbeit im Interesse der Bürger eigentlich nichts im Wege steht. Na, das sollte einem schon ein lautes Feuerwerk wert sein.

 

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Gewaltenteilung auf Libanesisch

 

Der libanesische Innenminister Ziad Barroud ist ein Mann der Praxis. Das mögen die Menschen an ihm. Er schwafelt nicht nur über hehre Ziele wie „Nationale Einheit“, „Sicherheit“ oder „Recht und Ordnung“, er setzt sie in die Tat um. Im Kleinen, aber mit Signalwirkung. So hat der Minister, Ex-Vorkämpfer der libanesischen Bürgerrechtsbewegung, parteilos aber eher dem pro-westlichen Lager zuzuordnen, unmittelbar nach der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit in der vergangenen Woche eine zukunftsweisende Vereinbarung mit der Hisbollah geschlossen: Erstmalig seit dem Bürgerkrieg ist die libanesische Polizei in großer Zahl wieder in der überwiegend von Schiiten bewohnten Dahiyeh präsent.

Die Dahiyeh, das sind südlichen Vororte von Beirut. Früher einmal überwiegend von der christlichen Mittelschicht bewohnt, haben sich hier während des Bürgerkrieges 1975 – 1990 immer mehr Schiiten aus dem Süden des Landes angesiedelt. Die Hisbollah fasste ebenfalls Fuß und errichtete hier ihr politisches Hauptquartier. Weil der libanesische Staat jahrelang durch Abwesenheit glänzte, übernahm die Schiitenpartei infrastrukturelle Versorgungsfunktionen aber auch die Sicherheitskontrolle. Drum ist die Dahiyeh eine Welt für sich: Die Hisbollah-Polizei regelt den Verkehr, Hisbollah-Sicherheitsleute sorgen für Ordnung auf den Straßen und kümmern sich unmittelbar um Auffälligkeiten vor allem ausländischer Besucher.

So ist es erst kürzlich wieder zwei ahnungslosen deutschen Touristinnen passiert. Sie hatten sich regelrecht in die Dahiyeh verirrt, wussten nicht, wo sie waren, fanden die Umgebung aber reizvoll und so ganz anders als das Zentrum Beiruts, und packten ihre Kamera aus. Kaum hatten sie ein paar Schnappschüsse gemacht und den Fotoapparat wieder in ihrer Tasche verschwinden lassen, standen schon ein paar junge Männer vor ihnen. Die Personalien bitte. Und dann wollten sie wissen, warum um alles in der Welt die Damen hier Fotos gemacht hätten. Wo doch jedes Kind im Libanon weiß, dass die Dahiyeh Sperrgebiet für jede Art von Kamera oder Tonaufzeichnungsgerät ist. Es sei denn, man hat eine Ausnahmegenehmigung der Partei Gottes. Es entspann sich eine längere Befragung der jungen Frauen, nachdem die Hisbollahis sie zunächst zuvorkommend gebeten hatten, auf Plastikstühlen auf dem Gehweg Platz zu nehmen. Auch für das leibliche Wohl wurde gesorgt, man reichte Tee und Wasser, fehlten nur noch die Kekse.

Die Hisbollah-Sicherheitsleute erklärten den beiden Ahnungslosen, warum dies so sensibles Gebiet sei: Weil die Partei, deren Führer auf der Abschuss-Liste der Israelis stehen, Sorge vor israelischen Spionen habe, die kämen, um potentielle Ziele zu demarkieren. Das geht übrigens nicht nur auf Paranoia und Kontrollsucht zurück, denn tatsächlich wurden in den vergangenen Monaten im Libanon mehrere Dutzend israelische Spione enttarnt und vor Gericht gestellt. Die deutschen Spaziergängerinnen waren geschockt: „Um Gottes Willen, wir sind doch keine Spione!“  Bleich saßen sie auf den weißen Stühlen. Doch statt der befürchteten Verschleppung in dunkle Verliese erhielten sie ihre Kamera zurück sowie noch ein paar freundliche Tipps für den Heimweg und damit war der Fall erledigt. Kein Einzelfall übrigens.

Für Deutsche mag das schockierend sein, für Libanesen ist die Geschichte wenig überraschend. Wie so etwas in Zukunft ablaufen wird, bleibt abzuwarten. Ob dann vielleicht Hisbollah-Schutzleute gemeinsam mit der regulären Polizei operieren? Oder ob die Staatsordnungshüter nur den Verkehr regeln dürfen, während die Hisbollahis die Hoheitsaufgaben in ihrer Dahiyeh lieber weiter selbst in die Hand nehmen? Es wird spannend sein zu beobachten, wie diese ‚Gewaltenteilung’ in der Praxis aussehen wird. Aber eines steht fest: Innenminister Baroud, der Mann der leisen aber entschiedenen Töne, hat es wieder einmal geschafft, dort Pflöcke einzurammen, wo andere nur lautstark Slogans durch die Gegend posaunen von der Notwendigkeit, die Souveränität des libanesischen Staates auf das gesamte Staatsgebiet auszudehnen.   

 

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Arabische Feministinnen rechnen mit dem Westen ab

 

Wie stellen Sie sich arabische Feministinnen vor? Frauen, die sich den Schleier herunter reißen? Die für Abtreibungsrechte, offene Partnerschaften und das Recht auf Beruf statt Kind kämpfen? Weit gefehlt. Die arabischen Feministinnen sind anders. Sie betonen ihre Weiblichkeit, Kinder zu haben ist in diesen Gesellschaften ein zentraler Wert  – auch in den Augen der Frauen. Ein Zeichen der Emanzipation ist hier beispielsweise, sich am politischen Widerstand gegen israelische oder westliche Besatzung zu beteiligen. All das verstünden die westlichen Schwestern nicht, drum könne man auch auf ihre wohlgemeinte Unterstützung verzichten, man müsse einen eigenen Weg gehen.

Drei Tage lang debattierten mehr als 50 arabischen Frauenrechtlerinnen und Feminismusforscherinnen, in welche Richtung sie sich in Zukunft bewegen wollen. Es war ein emotionales Treffen an der Amerikanischen Universität Beirut . Es wurde gestritten, man klopfte sich gegenseitig auf die Schulter und es wurden viele Fragen gestellt. Vorne weg diese: Welches ist der richtige Platz für Feminismus in einer Umgebung, die wie die unsere durch Kriege, Bürgerkriege, Armut, autoritäre Regime, ein Fehlen der Bürgerrechte, durch militärische Angriffe und Umsturzversuche aus dem Ausland geprägt ist?

Weil ihr Lebensraum so aussieht, bewegen diese Feministinnen andere Themen als die Frauen im Westen: Das Recht auf Ausbildung, das Recht auf Arbeit, das Recht, einen Pass zu beantragen ohne den Vater oder Ehemann fragen zu müssen, das Recht, die eigene Staatsbürgerschaft an die Kinder weiterzugeben, das in den meisten Ländern dem Mann vorbehalten ist. Es geht um Scheidungsrecht, Erbrecht, um den Schutz gegen Gewalt, die Diskussion um den Hijab (Schleier), um Sexualität und auch, aber nicht an erster Stelle, um politische Rechte. Letztere würden häufig als Folge westlichen Drucks zugestanden, dabei handele es sich dann aber nur um ein Feigenblatt, um zu verdecken, was eigentlich im Argen liege, meinte Mai al-Nakib von der Kuwait University. Sie legte dar, dass die kuwaitischen Frauen zwar im Vergleich zu anderen Golfstaaten mehr Freiheit und vor allem das Wahlrecht haben. Das bedeute jedoch keinesfalls, dass die Frauen in dem ölreichen pro-westlichen Emirat deshalb wesentlich emanzipierter seien als ihre Geschlechtsgenossinnen in den Nachbarstaaten. Al-Nakib:„Die meisten Frauen in Kuwait sind vollkommen apathisch. Der Islam, ein konservativer Moralkodex sowie die Moschee dominieren ihr Leben.“ Und das akzeptierte die Mehrheit.

In Saudi-Arabien, so konnte man auf dem Kongress lernen, erwacht so langsam ein Bewusstsein unter den Frauen für ihre enorme Unterdrückung. Aber eine richtige feministische Bewegung gibt es schon allein deshalb nicht, erklärte Hatoon al-Fassi  von der Universität Riyadh, weil die Frauen sich nicht in der Öffentlichkeit treffen dürften, um über solche Dinge zu reden. Noch dürften sie eigene Publikationen herausgeben. So bliebe es bei privaten Treffen von Einzelkämpferinnen. Sie selbst könne die Missstände nicht detaillierter beschreiben, weil sie sonst fürchten müsse, nicht mehr zurück nach Saudi-Arabien gelassen zu werden. Ein ernüchterndes Statement, das deutlich macht, gegen welche Windmühlen diese Frauen ankämpfen müssen – falls sie es denn überhaupt wollen. Denn die Mehrheit der Frauen in der arabischen Welt betrachte Feministinnen doch immer noch als ein wenig geistesgestört, schimpfte Noha Bayoum von der Libanesischen Universität Beirut .

Aber auch von den westlichen Frauen fühlen sich die arabischen Feministinnen missverstanden. Sie wehren sich gegen deren Bevormundung, sie bräuchten keinen Ideenimport, denn sie hätten ihre eigenen, betonte eine Rednerin nach der anderen. „Das einzige, worauf wir uns einigen können, ist, dass wir beide die Gleichberechtigung der Frau wollen“, sagte mir eine Aktivistin. Doch darüber, wie wir uns diese Rechte im Einzelnen vorstellten, könnten wir uns schon nicht einigen. Das sei Fakt und deshalb wolle sie auch nicht weiter mit mir diskutieren. Sagte es und verließ erregt den Raum.

Der Westen habe den arabischen Frauen sehr viel Leid angetan durch Invasionen wie im Irak und Afghanistan, die Unterstützung von Kriegen und Besatzung wie im Libanon und in Palästina. All das habe die Frauenrechte um Jahre zurückgeworfen, lautete der Tenor. Die US-Invasion und die nachfolgende Besatzung hätten die irakischen Frauen in die 30er Jahre zurück katapultiert, erklärte die irakische Schriftstellerin Haifa Zangana  wütend. „Zwar sitzen nun in unserem Parlament 25 Prozent Frauen. Aber was tun sie dort? Kümmern sie sich um die Belange der Frauen? Nein.“ Dafür habe das Land nun den höchsten Anteil an Witwen weltweit.

Kaum positiver beschreibt die Frauenforscherin Elahe Rostamy-Povey von der Universität London die Lage afghanischer Frauen nach dem Versuch der Vertreibung der Taliban durch westliche Truppen: „Krieg und militärische Konflikte verschärfen immer männliche Vorherrschaft in der Gesellschaft. Die afghanischen Frauen sind heute keineswegs befreit.“ Das Leben sei jetzt anders als unter den Taliban, aber nicht besser.

Es war viel Provokatives zu hören auf dem Beiruter Feministinnenkongress und ich habe vieles über arabische Frauen gelernt. Es war ein Privileg, diese teils mutigen und engagierten Frauenrechtlerinnen kennen zu lernen. Auch wenn sie an viele Dinge ganz anders herangehen. Sie haben Recht damit, weil sie tatsächlich in einer anderen Welt leben. Doch kann ich mich nicht damit abfinden, dass wir unfähig sein sollten, miteinander in einen Dialog zu treten. Radikale Abgrenzung bringt keinen weiter. Wir westlichen Frauen können jedenfalls von unseren arabischen Schwestern einiges lernen, vor allem was Solidarität und das Annehmen der eigenen Weiblichkeit angeht.

 

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Aus für “polymorphes Parken” in Beirut?

 

Aus für „polymorphes Parken“ in Beirut?

Der libanesische Innenminister meint es ernst, sehr ernst sogar. Ziad Baroud hat nun schon mehrfach versucht, die Autofahrer in der libanesischen Hauptstadt an den Gedanken zu gewöhnen, dass es tatsächlich so etwas wie Straßenverkehrsregeln gibt. In einem Land, wo man einen Führerschein ohne Fahrstunden oder ordentliche Prüfung für 100 bis 350 US-Dollar erwerben kann und wo das Missachten staatlicher Regelwerke als eher normal gilt, ist das mutig. Barouds Devise lautet: Die libanesischen Strassen müssen sicherer werden, 850 Verkehrstote im Jahr 2008 sind entschieden zu viele für ein Land mit rund 4 Millionen Einwohnern.

Ich staunte dennoch nicht wenig, als ich kürzlich auf der Corniche, der Strasse, die in Beirut am Meer entlangführt, gleich mehrere Arbeitertrupps sah, Eimerchen mit weißer Farbe in der einen Hand, dicke Pinsel in der anderen. Sie begannen tatsächlich, Parkverbotszonen am Straßenrand, so wie wir das in Deutschland auch gewohnt sind, mit weißen Streifen zu markieren. Meine spontane Reaktion: „Was für eine Verschwendung von Farbe! Wer verdient sich denn an dieser Aktion eine goldene Nase?“ Denn oft werden derart unsinnig erscheinende Projekte vom Gewinnstreben einzelner Regierungsmitarbeiter getrieben, zumal, wenn der Staat das Portemonnaie öffnet. Zu hoffen, dass ein Parkverbot in Beirut respektiert wird, das ist ungefähr so absurd wie darauf zu warten, dass Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen. Selbst auf Hauptverkehrsadern parken Beiruter in zweiter oder sogar dritter Reihe – was dann zu dramatischer Staubildung führt, aber wen interessiert das! Die dritte Reihe wird aber, das muss man schon einräumen,  meist nur in Anspruch genommen, wenn man rasch etwas in einem Laden am Straßenrand besorgen muss.

Auch Eisenpoller, die ein Parkverbot markieren, werden schlicht ignoriert. Dann stellt man sich eben daneben. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, und unsere mitteleuropäische Phantasie überbieten die Autofahrer hier mit Leichtigkeit. Die Bloggerin und Illustratorin Joumana Medlej hat den Eigenheiten libanesischer Verkehrsteilnehmer übrigens eine ganze Reihe wunderbarer Cartoons unter dem Stichwort ‘polymorphes Parken’ gewidmet. Um auf die Corniche zurückzukommen, verwunderte es mich denn nicht weiter, dass, kaum war die weiße Farbe trocken,  zahlreiche Autos ihre Schatten über die fein säuberlich aufgemalten Streifen am Straßenrand warfen.

Doch Ziad Barouds Malertrupps ließen sich nicht beirren, sie malten wenig später Fahrstreifen auf mehrspurige Strassen – in einem Land, in dem das Konzept der Fahrspur an sich gänzlich fremd ist. Im Libanon lautet das Credo: Der durch die Seitenbebauung am Rand begrenzte Raum einer Strasse ist maximal auszunutzen, das heißt es gibt jeweils so viele Spuren, wie gerade Autos nebeneinander Platz finden. Das findet der Mitteleuropäer mitunter etwas beängstigend, aber wir sind zugegebener Maßen ziemliche Mimosen im Straßenverkehr.

Die zahlreichen neuen Ampeln, die von den Ordnungskräften an Kreuzungen aufgestellt wurden, haben bis jetzt lediglich zu Verwirrung geführt. Plötzlich leuchten da rote, gelbe oder grüne Lichter, wo man sich früher schlicht dem Nahkampf hingegeben hat. Was nun? Soll man sie beachten – oder eher nicht? Gut, wenn der Strom gerade wieder ausgefallen ist, stellt sich die Frage nicht. Dafür stehen an jeder Kreuzung weiterhin Verkehrspolizisten, die in dem Fall ihrem Auftrag mit wild wedelnden Armen nachkommen. Doch wenn die Ampeln ihre Farbe wechseln, dann scheint es als beobachteten diese Ordnungswächter eher amüsiert die Unschlüssigkeit der Verkehrsteilnehmer darüber, was man mit diesem ungeahnten Einbruch des hoch technologisierten Zeitalters in den Beiruter Verkehrsalltag anfangen soll. Meist gilt am Ende weiter das Gesetz des Dschungels, das heißt „Frech kommt weiter“ und bahnt sich den Weg.

Bleibt die Frage: Glaubt der Minister tatsächlich, dass diese immer neuen Signale einer bisher ungekannten ordnenden Hand im Beiruter Verkehr langfristig Wirkung zeigen werden? Ist er gar ein Anhänger der Broken-Windows-Theorie ? Bisher gibt es noch keine Anzeichen dafür, dass die Maßnahmen in Beirut die gewünschte Beachtung finden. Aber vielleicht muss man es wirklich nur lange genug versuchen und hoffen, dass sich die Idee eines Regelwerkes, das man unter Umständen sogar befolgen könnte, irgendwo im Unterbewusstsein der Libanesen niederschlägt. 

 

 

 

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Wenn der Muezzin die “Traviata” trifft

 

Die Nacht ist sternenklar, eine leichte, kühle Brise weht durch die römischen Ruinen von Baalbeck. Mehrere tausend Libanesen und Ausländer blicken gebannt von den Zuschauertribünen auf die ungewöhnlich große Bühne, direkt am Fuße der 19 Meter hohen Steinsäulen, die den gewaltigen Bacchustempel aus dem 2. Jh vor Christus umgeben. Violetta, die Titelheldin von Guiseppe Verdis „La Traviata“ besingt im vollem Sopran gerade ihre Liebe zu Alfredo – da setzt er ein, der Muezzin in der Nachbarschaft. „Allahu akbar“. Nicht nur einer! In Abständen von Minuten beginnt eine ganze Kakophonie der Gebetsrufe in Baalbeck, der Hochburg der schiitischen Hisbollah im libanesischen Bekaa-Tal. Könnte ich sie aus der Ferne der eher günstigen Sitzplätze so genau sehen, ich bin mir sicher, ich könnte bei Ermonela Jaho, die die Violetta singt, nicht einmal ein Wimpernzucken bemerken. Die Töne perlen ihr aus dem Mund, als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen. Bei mir hingegen zucken nicht nur die Wimpern sondern auch die Ohren. Ein paar Minuten später, als dieses ungewöhnliche Duett – oder ist es vielmehr ein Sextett? – nach dem Motto „Islam meets Opera“ zu Ende ist, geht ein fast hörbarer Seufzer der Erleichterung durchs Publikum. Doch zu früh gefreut: Der Muezzin erhebt erneut seine Stimme, und damit nicht genug. Eine Weile später beginnt in einem Restaurant auf dem Nachbarhügel eine libanesische Hochzeitsfeier, deren laute arabische Musik in Wellen vom Wind zu uns getragen wird. Dazu ein gelegentliches Hupkonzert aus dem Dorf (es wurde sicher irgendetwas gefeiert) sowie mehrere Salvos Freudenschüsse und ein kleines Feuerwerk – als Opernfan, der sich seit Monaten auf seine „Traviata“ gefreut hat, muss man schon sehr viel kulturelle und akustische Toleranz mitbringen, um sich davon nicht irritieren zu lassen. Die Kulisse ist dennoch atemberaubend schön, der jahrhundertealte, majestätische Tempel, die blinkenden Sterne im dunkelblauen Nachthimmel… Aber vielleicht muss ich doch erkennen, dass der Libanon mit seinen lärmbesessenen Menschen (ich glaube fast, sie haben gar kein Empfinden für Lärm, das dem des durchschnittlichen Europäers auch nur nahe käme), sich trotz magischer Konzertorte einfach nicht für Aufführungen klassischer Musik mit sanften Tönen eignet. Jedenfalls sicher nicht Baalbeck, wo die Tempel in unmittelbarer Nähe der Stadt stehen. Natürlich unken ein paar libanesische Zuschauer, die Hisbollah-Anhänger in Baalbeck inszenierten diese Störmanöver extra, weil sie das als dekadent empfundene „International Baalbeck Festival“ boykottieren wollten. Das glaube ich gar nicht. Die Hisbollah macht ihren Punkt auf ganz andere Weise deutlich: Mit einer kleinen Ausstellung zum islamischen Widerstand in den Tempelruinen. Hisbollah-Fähnchen und die Hochglanzbroschüre „Warum widerstehen wir?“ bekommt man als Geschenk. Immerhin ist der Zugang, direkt neben dem Eingang zum Festival, fakultativ. Wenn man sich hinein begibt, steht man vor blutigen Bildergalerien aus dem Krieg vom Juli 2006 mit Israel, einem Raum  voller Märtyrerbilder und am Ende eines kleinen Ganges vor dem Nachbau des „Büros“ von Imad Mughniyeh, einem Ex-Hisbollah-Sicherheitschef und international gesuchten Terroristen, der im Februar 2008 in Syrien bei einem Bombenanschlag ums Leben kam. Ob Guiseppe Verdi, der schließlich nicht nur Künstler sondern auch ein sehr politischer Mensch war, sich diese Nachbarschaft gewünscht hätte, wage ich zu bezweifeln. Aber wer hätte ihn fragen sollen.

 

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Vermeintliche Friedenstauben

 

Wenn Berichterstattung von Wunschdenken geprägt ist, wird es problematisch. Da ist im deutschen Blätterwald allenthalben zu lesen, dass Israel jetzt eine umfassende Friedensoffensive gestartet hat und, anscheinend völlig überraschend, Friedensfühler Richtung Libanon ausstreckt, sogar zu direkten Gesprächen über alle strittigen Punkte bereit sei. Hört, hört! Dass die Israelis seit Jahrzehnten nichts lieber getan hätten, als den kleinen Zedernstaat aus der arabischen Front heraus zu brechen, daran scheint sich niemand mehr zu erinnern. Dass die israelische Regierung 1982 nach ihrer Militärintervention sogar so weit ging, in Beirut einen pro-israelischen Präsidenten zu inthronisieren, der einen Friedensvertrag mit Jerusalem unterzeichnen sollte und dass Bashir Gemayel damals mit dem Leben dafür bezahlen musste, das scheint auch vergessen. Das Begehren, einen Separatfrieden mit dem Libanon abzuschließen und auf diese Weise die Nordgrenze zu konsolidieren, ist ein altes. Es ist aus israelischer Sicht verständlich. Dass die libanesische Führung das rundheraus ablehnt, weil es für sie undenkbar ist, solange die Frage des Verbleibs der rund 350.000 palästinensischen Flüchtlinge im Libanon nicht geklärt ist, ist nicht überraschend. Die meisten der Palästinenser sind sunnitische Moslems und die will hier so gut wie niemand haben, weil ihre Einbürgerung die konfessionelle Balance verändern würde. Außerdem ist angesichts der regionalen Machtverhältnisse klar, dass Beirut erst einen Friedensvertrag mit Jerusalem unterzeichnen kann nachdem Damaskus das vorgemacht hat. Und das bleibt abzuwarten. Also eine gute PR-Nummer des israelischen Premiers Ehud Olmert: Wenn man mit Syrien spricht, kann man doch auch gleich  Bereitschaft zu Gesprächen mit dem Libanon erklären. Klingt logisch, erhöht die moralische Friedensdividende im Westen und kostet nichts. Hat offensichtlich geklappt! Im Libanon hat das israelische Angebot niemanden beeindruckt, viele fanden es einfach nur unpassend. Die historische Perspektive hilft mitunter bei der Einordnung solcher Entwicklungen und macht sie zu dem, was sie sind: Randerscheinungen.

 

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Libanon zwischen Feuerwerk und Schusswechsel

 

„Michel Suleiman – die Würde der Nation“ – heißt es auf Bannern und großen Postern mit dem Konterfei des bisherigen Armeechefs und neuen Präsidenten. Personenkult wird im Nahen Osten ganz groß geschrieben und die Libanesen sind glücklich, dass sie wieder auf irgendjemanden stolz sein können. Dabei ist Michel Suleiman nur ein Verlegenheitskandidat, der kleinste gemeinsame Nenner im libanesischen Polit-Bazaar. Immerhin konnten sich die wichtigsten Mächte, die hinter den zerstrittenen politischen Lagern stehen, mit ihm anfreunden – also sowohl die USA und Saudi-Arabien auf der pro-westlichen Seite sowie Syrien und Iran auf der Seite der Opposition.

Dass mit Suleiman in der angeblichen Vorzeigedemokratie des Nahen Ostens der nun schon seit Jahren herrschende Trend einer Militarisierung des Präsidentenpostens fortgesetzt wird, scheint außer dem Kolumnisten Issa Goraieb von der Zeitung „L’Orient-le-Jour“ niemanden zu stören. Die Erwartungen an den 59jährigen Suleiman sind riesig. Wieder weht dieser frische Wind durch den Zedernstaat, der wispert „Jetzt wird alles anders“ und „Jetzt geht es aufwärts“. Der wehte mir auch 1998 ins Gesicht, als der damalige Armeechef Emile Lahoud das Amt übernahm. Er wurde mir damals von allen meinen Gesprächspartnern in den höchsten Tönen als Saubermann angepriesen, der endlich mit der Korruption im Land aufräumt, er sei der große politische Hoffnungsträger. Dann kam die Ernüchterung: Im Null-Komma-Nichts unterwarf Lahoud sich den Machtverhältnissen und wurde zu einem Instrument der syrischen Entscheidungsträger im Land. Schließlich, als Syrien nicht mehr hoch im Kurs stand, demontierte ihn der Westen und stellte ihn kalt. Aber davon redet jetzt niemand, denn die Libanesen sind in Feierlaune, das Land trägt mit Nationalflaggen und Suleiman-Postern sein Festtagsgewand. Man will es sich gut gehen lassen, wenigstens für ein paar Tage. Die Börse zeigt seit Tagen Hochstimmung, Politiker versprechen eine traumhafte Sommersaison. Die Libanesen wollen endlich wieder das tun, was sie am besten können: Geschäfte machen. Doch ein Restaurantbesitzer im Hafenstädtchen Byblos, der seit drei Jahren strampelt, um sich über Wasser zu halten, winkt ab. „Wir leben von einem Tag zum anderen. Unseren Politikern ist alles zuzutrauen. Dies ist der Libanon, vergessen sie das nicht.“ Weise Worte, gelassen ausgesprochen.

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