Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare und Kritik gab es seither reichlich und diese Reaktionen waren so spannend wie vielseitig. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.
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Manche Zeitungen wie die FAZ haben unser Buch gleich zweimal rezensiert
Viele Zeitungen berichten von den Lesungen, zu denen auch Philip Hedemann von Buchläden, Bücherein auber auch von vielen Schulen eingeladen wird. Auch viele Radiostationen rezensierten das Buch bereits, zum Beispiel Bayern 2
Autorinnen und Autoren haben auf Dutzenden von Lesungen in ganz Deutschland (hier ein Bericht aus dem oberpfälzischen Pressath) diskutiert, sich Kritik gestellt und Fragen beantwortet.
Bei der offiziellen Buch-Vorstellung im taz-Café saß auch Ameena auf dem Podium, die junge Syrerin die Philip Hedemann auf ihrem Weg begleitete und die einen Prolog zu unserem Buch geschrieben hat. Im Audio-Spezial 2 hören Sie Sie mehr darüber, wie das Leben der jungen Frau seither weitergegangen ist und lernen zwei ihrer Kinder kennen. Philipp erzählt, warum Ameena unbedingt das Kanzleramt kennenlernen wollte. Und warum sie – trotz ihres Glücks darüber in Deutschland zu leben – während einer Lesung in Tränen ausbrach.
Im Audio hören Sie, was Kerstin Zilms Interviewpartnerin Lidia Nunez empfand, als sie ihren Sohn nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder umarmen konnte. Von einem anderen Weltende schaltet sich Bettina Rühl ins Audio, sie läßt die Somalierin Haibo Abdirahman Muse zu Wort kommen, die 25 Jahre in einem kenianischen Flüchtlingslager lebt und trotzdem noch Angst hat.
Birgit Kaspar in Toulouse spricht mit ihrer Interviewpartnerin Chantal Pulé, die ihr erzählt, ob sie nach Jahren in Paris, bereut aus dem Libaon geflohen zu sein.
Zu weit weg?
Herausgeber Marc Engelhardt erzählt im Audio #2 welche Inhalte auf Lesungen am häufigsten diskutiert werden und wie sehr viele deutsche Leser überrascht, das Fluchten auf der ganzen Welt passieren. Viele Gespräche nach den Lesungen drehen sich darum, was der Begriff ‘Revolution’ bedeuten soll. Engelhard hat außer vielen positiven Rückmeldungen natürlich auch kritische bekommen. Ein Leser wirft uns vor, als Auslandskorrespondenten zu weit entfernt von der deutschen Problematik zu sein. Marc Engelhardt: “Den Blick aus dem Ausland sehen wir eher als Qualität des Buches. Sicher kann man das kritisieren, ich glaube aber nicht, dass man das sollte. Wir sagen ja nicht, dass sich eine Lösung aus Südafrika oder anderem Land 1 zu 1 auf Deutschland übertragen lässt. Aber es hilft vielleicht, den Horizont zu erweitern und mit anderen Augen auf Situation in Deutschland zu blicken.”
Denn eines ist gewiss: Flucht wird als Phänomen zunehmen, Die Frage ist: wie gehen wir damit um.
In Lesbos bleiben die Tische leer
Im Audio #2 hören Sie von Alkyone Karamanolis, Weltreporterin in Athen, die sich gefragt hat: Wie geht es den Rettern heute? Fischer Konstantinos Pinderis, erzählt wie sein Leben auf der Insel Lesbos sich komplett verändert hat. In Skala Sikamineas gleich am idyllischen Hafen bleiben die Tische leer. Zwar kommen dort keine Flüchtlinge mehr an wie 2015, doch die Touristen kommen ebenfalls nicht mehr, sie scheinen ihre früheren Lieblingsinseln vergessen zu haben – zum Leid der Einheimischen, denen die Arbeit ausgeht.
Vergessen würden in meinem eigenen Berichtsgebiet Australien viele Politiker am liebsten die Situation der Flüchtlinge, die nach wie vor auf den Inseln Manus und in Nauru die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage aussitzen. Menschen müssen dort seit Jahren als Abschreckung für künftige Boots-Migranten herhalten. Ich erzähle im Audio #2 darüber, wie schwer geschädigt die dort gestrandeten Männer, Frauen und Kinder durch die Inhaftierung sind, und dass ihre Zukunft trotz heftiger Proteste nicht nur von Menschenrechtsorganisationen noch immer unklar ist.
Hören Sie rein, ich bin sicher, unser Audio Spezial # 2 macht Sie neugierig auf unser Buch Die Flüchtlingsrevolution, erschienen im August im Pantheon Verlag.
Auch wenn sie es bereits gelesen haben, erfahren Sie im Podcast noch einiges Neues.Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare und Kritik gab es seither reichlich und diese Reaktionen waren so spannend wie vielseitig. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.
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Manche Zeitungen wie die FAZ haben unser Buch gleich zweimal rezensiert
Viele Zeitungen berichten von den Lesungen, zu denen auch Philip Hedemann von Buchläden, Bücherein auber auch von vielen Schulen eingeladen wird. Auch viele Radiostationen rezensierten das Buch bereits, zum Beispiel Bayern 2
Autorinnen und Autoren haben auf Dutzenden von Lesungen in ganz Deutschland (hier ein Bericht aus dem oberpfälzischen Pressath) diskutiert, sich Kritik gestellt und Fragen beantwortet.
Bei der offiziellen Buch-Vorstellung im taz-Café saß auch Ameena auf dem Podium, die junge Syrerin die Philip Hedemann auf ihrem Weg begleitete und die einen Prolog zu unserem Buch geschrieben hat. Im Audio-Spezial 2 hören Sie Sie mehr darüber, wie das Leben der jungen Frau seither weitergegangen ist und lernen zwei ihrer Kinder kennen. Philipp erzählt, warum Ameena unbedingt das Kanzleramt kennenlernen wollte. Und warum sie – trotz ihres Glücks darüber in Deutschland zu leben – während einer Lesung in Tränen ausbrach.
Im Audio hören Sie, was Kerstin Zilms Interviewpartnerin Lidia Nunez empfand, als sie ihren Sohn nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder umarmen konnte. Von einem anderen Weltende schaltet sich Bettina Rühl ins Audio, sie läßt die Somalierin Haibo Abdirahman Muse zu Wort kommen, die 25 Jahre in einem kenianischen Flüchtlingslager lebt und trotzdem noch Angst hat.
Birgit Kaspar in Toulouse spricht mit ihrer Interviewpartnerin Chantal Pulé, die ihr erzählt, ob sie nach Jahren in Paris, bereut aus dem Libaon geflohen zu sein.
Zu weit weg?
Herausgeber Marc Engelhardt erzählt im Audio #2 welche Inhalte auf Lesungen am häufigsten diskutiert werden und wie sehr viele deutsche Leser überrascht, das Fluchten auf der ganzen Welt passieren. Viele Gespräche nach den Lesungen drehen sich darum, was der Begriff ‘Revolution’ bedeuten soll. Engelhard hat außer vielen positiven Rückmeldungen natürlich auch kritische bekommen. Ein Leser wirft uns vor, als Auslandskorrespondenten zu weit entfernt von der deutschen Problematik zu sein. Marc Engelhardt: “Den Blick aus dem Ausland sehen wir eher als Qualität des Buches. Sicher kann man das kritisieren, ich glaube aber nicht, dass man das sollte. Wir sagen ja nicht, dass sich eine Lösung aus Südafrika oder anderem Land 1 zu 1 auf Deutschland übertragen lässt. Aber es hilft vielleicht, den Horizont zu erweitern und mit anderen Augen auf Situation in Deutschland zu blicken.”
Denn eines ist gewiss: Flucht wird als Phänomen zunehmen, Die Frage ist: wie gehen wir damit um.
In Lesbos bleiben die Tische leer
Im Audio #2 hören Sie von Alkyone Karamanolis, Weltreporterin in Athen, die sich gefragt hat: Wie geht es den Rettern heute? Fischer Konstantinos Pinderis, erzählt wie sein Leben auf der Insel Lesbos sich komplett verändert hat. In Skala Sikamineas gleich am idyllischen Hafen bleiben die Tische leer. Zwar kommen dort keine Flüchtlinge mehr an wie 2015, doch die Touristen kommen ebenfalls nicht mehr, sie scheinen ihre früheren Lieblingsinseln vergessen zu haben – zum Leid der Einheimischen, denen die Arbeit ausgeht.
Vergessen würden in meinem eigenen Berichtsgebiet Australien viele Politiker am liebsten die Situation der Flüchtlinge, die nach wie vor auf den Inseln Manus und in Nauru die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage aussitzen. Menschen müssen dort seit Jahren als Abschreckung für künftige Boots-Migranten herhalten. Ich erzähle im Audio #2 darüber, wie schwer geschädigt die dort gestrandeten Männer, Frauen und Kinder durch die Inhaftierung sind, und dass ihre Zukunft trotz heftiger Proteste nicht nur von Menschenrechtsorganisationen noch immer unklar ist.
Hören Sie rein, ich bin sicher, unser Audio Spezial # 2 macht Sie neugierig auf unser Buch Die Flüchtlingsrevolution, erschienen im August im Pantheon Verlag.
Auch wenn sie es bereits gelesen haben, erfahren Sie im Podcast noch einiges Neues.Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare und Kritik gab es seither reichlich und diese Reaktionen waren so spannend wie vielseitig. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.
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Manche Zeitungen wie die FAZ haben unser Buch gleich zweimal rezensiert
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Ich bin ja jetzt schon eine ganze Weile in Kalifornien, angekommen als ARD-Radio-Korrespondentin und inzwischen als selbständige Journalistin mit allen Höhen und Tiefen, die das freischaffende Leben so mit sich bringt.
Zu den Höhen zählt eindeutig, dass es nun das erste Buch von mir gibt. Ein Jahr in Kalifornien!
Als der Herder-Verlag mich fragte, ob ich Lust auf das Projekt hatte, war ich sofort neugierig. Schon lange träumte ich davon, ein Buch zu schreiben. In der Grundschule habe ich des sogar schonmal gemacht. Selbstgebundene und illustrierte Abenteuer eines Mädchens, frei erfunden mit starken autobiographischen Zügen. Der Dackel meiner Freundin hat das gute Werk leider vernichtet bevor es zum Bestseller werden konnte.
Jetzt also ein neuer Versuch. “Ich finde das Jahr, in dem ich mich selbständig gemacht habe spannender als mein erstes Jahr in Kalifornien”, sagte ich beim Treffen mit dem Lektor. Der antwortete diplomatisch, das sei sicher auch sehr interessant, aber in der Serie gehe es mehr darum, wie das so ist, wenn man in einem neuen Land ankommt, die Bürokratie ist anders, die Menschen und das Wetter sowieso.
Ja, wie war das damals eigentlich? Ich versuchte mich zu erinnern und mir fiel einiges ein – wie am roten Teppich die Prominenz einfach an mir vorbei ging, wie ich durch die erste Führerscheinprüfung gefallen bin, den ersten prall gefüllten Waffenschrank gesehen habe, wie ich mit Aktivisten Wasser in die Grenzwüste gebracht habe, und wie ich staunend in der Gischt der Wasserfälle von Yosemite stand. Und natürlich wie wunderbar es nach 14 Jahren Berliner Winter war – und noch immer ist – dass so oft die Sonne scheint.
Jetzt ist es raus in der Welt, mein erstes Buch. Bei mir ist allerdings noch keins angekommen, obwohl der Verlag das Paket mit Belegexemplaren schon vor einer Weile abgeschickt hat. Auch das ist so eine kalifornische Erfahrung: transatlantische Post kostet zwar ein Vermögen, bewegt sich aber im Tempo der Postkutschen-Zeit.
Ob das ins nächste Buch passt? Eher nicht. Ich glaube, das wird eine erfundene Geschichte mit nur ein paar autobiographischen Zügen.
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In der New York Times stand, die Teilnahme sei freiwillig. Ich glaube, das war ein Missverständnis. Uns hat jedenfalls keiner gefragt. Eines schönen Frühlingsmorgens stand der kleine Henkelmann vor der Tür. Hellbrauner Plastikkörper mit schneeweißem Griff, überraschenderweise nicht in China gefertigt, sondern in Kanada.
Ein paar Tage später kam der große Bruder, braun mit orangefarbenem Schnappverschluss, und der Aufschrift „NYC Organic Collection“.
Sie ahnen es: New York probt den Einsatz der Biotonne.
Dass in den Pilotversuch mit 70 000 Haushalten unser Viertel Park Slope einbezogen wurde, könnte mit dem von mir bereits in einem früheren Blog erwähnten Umstand zu tun haben, dass Bill de Blasio in der Nachbarschaft wohnt, seit Januar Bürgermeister von New York City. Nach monatelangen Zögern ringt sich die Familie de Blasio jetzt allerdings doch zum Umzug nach Gracie Mansion durch, der traditionellen Bürgermeistervilla an der Upper East Side. Dass es dort besser sein soll als hier, können wir stolzen Brooklynites uns nun gar nicht vorstellen.
De Blasio zieht also weg und wir behalten die Biotonne. Ich finde, das ist kein schlechter Tausch. Es war zwar nicht ganz einfach, die empfohlenen kompostierbaren Beutel aufzutreiben, obwohl die Stadt dem Henkelmann vier Coupons unterschiedlicher Hersteller beigelegt hatte. Und es ist wohl auch noch wenig Preisdruck auf dem neuen Markt, denn 25 Beutelchen kosteten 5.49 Dollar. Trotzdem freue ich mich, dass meine Küchenabfälle nun eine sinnvolle Nutzung erfahren.
Mit meiner Zufriedenheit bin ich allerdings ziemlich allein. Die Nachbarn stört ein ganz banaler Umstand: Der Küchen-Kompost stinkt. Für etliche Großstädter ist dies offenbar eine neue Erkenntnis. Und so werden Tipps ausgetauscht, wie sich die Geruchsbelästigung verhindern lässt. Bei einer Umfrage der New York Times empfahlen die einen ein Duftspray der Marke Febreze, aber nur mit Zimtaroma – Vanille verschärfe das Problem. Ob die mit Chemieduft besprühten Abfälle wohl genauso gut rotten wie unbehandelte? Andere Mitbürger verstauen den Henkelmann in der Eistruhe – Kompost eisgekühlt. Bei allem Umweltbewusstsein, wir sind immer noch in Amerika.
Fotos: Christine Mattauch
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Diese Woche wurde unsere Straße geteert.
Sie fragen sich, wo da der Nachrichtenwert liegen soll? Dann waren Sie noch nie in New York.
Eine anständige New Yorker Straße hat ungefähr alle zwei Meter ein Schlagloch, einen Riss oder einen Buckel. Sie ist bereits 32mal notdürftig repariert worden, was man ihr auch ansieht. Diese Fotos habe ich gestern mal eben auf dem Weg zum Supermarkt gemacht.
Dabei lebe ich in einem respektablen Brooklyner Viertel namens Park Slope, in dem auch Bill de Blasio zuhause ist, seit Januar neuer Bürgermeister von New York. Es ist nicht ganz abwegig, einen Zusammenhang zwischen seiner Wahl und den plötzlichen intensiven Straßenreparaturarbeiten in Park Slope zu vermuten. Unser Viertel erfreut sich seit der Bürgermeisterwahl gesteigerter Aufmerksamkeit. Seit Januar ist Park Slope auf der Wetterkarte des populären Fernsehsenders NY1 verzeichnet. Auf den Avenuen wurden neue saubere Recycling-Eimer aufgestellt, und wir sind jetzt Pilotbezirk für die Biotonne.
Doch zurück zu den Schlaglöchern. David Letterman, Moderator der Kult-Fernsehsendung Late Night Show, witzelte mal, in New York seien die „potholes“ so tief, dass einige ihre eigenen Andenkenläden hätte. Warum die Straßen so schlecht sind, ist ein auf Stehempfängen gern diskutiertes Thema. Die Republikaner machen die Gewerkschaften verantwortlich und die Demokraten zu niedrige Steuern. In der deutschen Expat-Gemeinde herrscht wie stets die Ansicht vor, dass die Amerikaner „es“ einfach nicht können. Ich halte das schon deshalb für eine Unterstellung, weil ich beispielsweise im Mittleren Westen und sogar im Bergland von Montana ganz ausgezeichnete Straßen befahren habe.
Was immer die Ursache, die Konsequenzen sind eindrucksvoll. Im vergangenen Jahr zahlte New York City wegen schlaglochinduzierter Schäden 5,5 Millionen Dollar Schadenersatz an Autofahrer, enthüllte kürzlich die New York Times. Dafür könnte man eine ganze Menge Straßen reparieren. Tatsächlich sind die Schäden noch viel größer, denn die Stadt haftet erst, wenn sie von der Existenz eines Schlaglochs schriftlich unterrichtet wurde und nachgewiesenermaßen mehr als 15 Tage untätig blieb.
Der Bundesstaat New York vermeidet solche komplexen Statuten. Dort gilt ein Gesetz, das den Staat von der Haftung durch kaputte Landstraßen komplett freistellt, sofern sich Achsbrüche und Unterbodenschäden von Mitte November bis Ende April ereignen. Das ist sehr wirkungsvoll. 2013 zahlte der Staat New York lediglich 13 386 Dollar an Autofahrer.
Jetzt gibt es eine Initiative, das Gesetz abzuschaffen. Ergriffen hat sie Thomas Abinanti, ein demokratischer Abgeordneter aus Westchester County, einem Bezirk nördlich von New York City. Es ergab sich nämlich, dass Herr Abinanti im Januar auf dem Taconic State Parkway unterwegs war und derart über ein Schlagloch bretterte, dass ein Reifen ersetzt werden musste. Kurze Zeit später passierte ihm das gleiche auf der Interstate 95. Die beiden neuen Reifen kosteten ihn rund 700 Dollar. Das ärgert den Politiker. „Ich verstehe nicht, wie der Staat sich aus der Haftung stehlen kann“, findet er. „Das Gesetz ist unfair.“
Bis sich das notorisch zerstrittene und phlegmatische Parlament in Albany auf eine Revision geeinigt hat, werden aber vermutlich Jahre vergehen. Dann dürfte auch unsere Straße in Park Slope erneut reparaturbedürftig sein, denn der schöne neue Belag fängt an den Rändern bereits an auszufransen. Hoffen wir, dass Bill de Blasio dann noch Bürgermeister ist.
Fotos: Christine Mattauch
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Der längste zusammenhängende Mauerstreifen außerhalb von Deutschland ist – in Los Angeles, auf einer Wiese neben dem Wilshire Boulevard, einer Hauptverkehrsstrecke zwischen West und Ost, gegenüber vom Los Angeles County Museum of Art. Mittags parken hier ein halbes Dutzend Food Trucks, oft sind einer mit Bratwurst und die Currywurst-Konkurrenz dabei.
Die zehn Originalsegmente aus Berlin hat das Wende Museum zum 20. Jahrestag des Mauerfalls nach Los Angeles gebracht. Inzwischen gab es davor Demonstrationen und Picknicks, Konzerte und Hochzeiten.
Viele Fragmente der Berliner Mauer sind in Nordamerika gelandet. Zwei kanadische Künstler haben es sich zur Aufgabe gemacht, zumindest einen Teil von deren Geschichte aufzuspüren und zu dokumentieren. Ihr Projekt heißt Freedom Rocks. Letzte Woche haben Vid Ingelevics und Blake Fitzpatrick dafür Station im Goethe Institut von Los Angeles gemacht.
Vor schlichter Kulisse von Klappstuhl und Tisch mit schwarzer Decke stellten sie Kamera und Scheinwerfer auf. Dann kamen die Besitzer von Mauerfragmenten und erzählten ihre Geschichten.
Die Künstler stellen immer dieselben Fragen: Wie heißt Du? Wo wohnst Du? Woher hast Du die Mauerstücke? Wo bewahrst Du sie auf? Was bedeuten sie heute für Dich?
Sie filmen nur Hände, die die Fragmente halten und haben festgestellt, dass die meisten Geschichten weniger mit dem Kalten Krieg als mit persönlichen Erinnerungen zu tun haben.
In Los Angeles erzählt ein Deutschprofessor, wie er 1990 mit Studienkollegen in einer Regennacht Stücke selbst abklopfte. Ein Künstler berichtet, wie er einen Teil der Mauer in Kreuzberg 1987 bemalte, ganau zwei Jahre bevor die Grenze geöffnet wurde. Eine Teilnehmerin ist nicht sicher ob ihre Teile echt sind. Sie hat sie in einem Baumarkt für 20 Dollar gekauft. Einer Germanistin aus Dresden steigen Tränen in die Augen, als sie erzählt wie sie eine Woche nach dem Fall der Mauer zum ersten Mal im Leben durch das Brandenburger Tor ging und von dort Mauerstücke mit nach Los Angeles nahm.
“Solange die Fragmente in Bewegung ist wird sich ihre Geschichte verändern,” fassen die Künstler zusammen. “Wie wir uns an Geschichte erinnern und ihr Denkmale setzen bleibt nie gleich.”
Meine Geschichte für den Deutschlandfunk können Sie hier nachhören: Freedom Rocks
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Seit Juli 2011 ist Jürgen Klinsmann Coach der US-Nationalmannschaft. Sein Anfang war etwas holprig, voller Experimente und deshalb auch mit einigen schwachen Spielen. Doch im Gegensatz zum Rest der Welt, wo das zur Ruck-Zuck-Entlassung des Trainers geführt hätte, bekam in den USA kaum jemand was mit vom schwachen Start. Die Stadien waren halb leer, nur eine Handvoll Reporter – davon mehr als die Hälfte von hispanischen Medien – berichtete darüber und die raren Fernsehübertragungen der Spiele schaltete sowieso kaum jemand ein. Trotzdem gab es einen Spieleraufstand – die alteingesessenen Profis fühlten sich übergangen und US-Spieler insgesamt ungerecht benachteiligt gegenüber Neuzugängen mit doppelter Staatsbürgerschaft aus Zentralamerika und Europa.
Doch jetzt ist alles anders und viel besser im US-Fußball, der hier ‘soccer’ genannt wird. 16 Mal haben die USA während der WM-Qualifikation gewonnen, davon zwölf sogar in Serie am Stück. Das gab’s noch nie in der Verbandsgeschichte. Sie haben den Gold Cup gewonnen und sich frühzeitig für die WM qualifiziert. Halb leere Stadien gibt es nicht mehr. Dafür sorgen die ‘American Outlaws’ – eine Fanorganisation, die vor ein paar Jahren von 40 Fans in Nebraska gegründet wurde. Ländlicher als Nebraska geht’s eigentlich nicht mehr. Football mag man da und NASCAR-Autorennen. Fußball? Das ist was für Weicheier! Deshalb auch der Name ‘Outlaws’ – Außenseiter ja! Weicheier nein! Zu jedem Spiel der Nationalelf reisen sie, inzwischen zu Tausenden. Insgesamt haben sie über 17 tausend Mitglieder in rund 150 Ortsverbänden. Gemeinsam marschieren sie von der Vor-Party auf dem Parkplatz in die Stadien, singen stehend 90 Minuten lang patriotische Fußballsongs – und LIEBEN Jürgen Klinsmann.
https://soundcloud.com/soundslikerstin/we-want-j-rgen-us-soccer-coach
Beim ausverkauften Freundschaftsspiel gegen Süd Korea hab ich das selber miterlebt. Mehr Stimmung gibt’s auch in deutschen Stadien nicht. Von den Fans, die ich dort getroffen habe, werden mehr als 600 nach Brasilien reisen, um das Team bei der WM anzufeuern. Die Outlaws haben Flugzeuge gechartert und Hotelzimmer reserviert, um der Nationalelf gemeinsam zu folgen. Auch das ist eine absolute Neuheit für den US-Sport. Das gab’s noch nie im Fußball und gibt es in keiner anderen Disziplin. Football, Basketball, Baseball, Eishockey haben starke lokale Fanclubs. Bei Olympischen Spielen können Basketball und Eishockey Patriotismus wecken, aber rund ums Jahr einer Nationalmannschaft hinterherreisen? Das gibt’s sonst nirgendwo.
Dass es so gut aufwärts geht mit dem US-Fußball hat auch viel mit dem Trainer zu tun, da sind die Fans sicher. Klinsmann öffnet Türen – zu Spielen auf höchstem internationalem Niveau, zu Spielern im Ausland, die ins US-Nationalteam wollen und zu Veränderungen im System, die Nachwuchs fördern. Deshalb lieben sie ihn.
Am 26. Juni trifft Klinsmanns Elf auf die von seinem ehemaligen Ko-Trainer Joachim Löw. Klinsi sagt: er wird beide Hymnen singen aber danach ist für 90 Minuten Schluß mit der Freundschaft. Er will nichts lieber, als an dem Tag Deutschland besiegen.
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Es begann damit, dass ein Nachbar 311 wählte und sich über Lärm beschwerte.
Zwei Polizisten klingelten darauf hin an der Haustür von Frank Giardina. Der Mann empfing sie freundlich, eine schmauchende Pfeife in der Hand. Den Gesetzeshütern kam der Geruch verdächtig vor. Was in der Pfeife drin sei, wollten sie wissen. Die freimütige Antwort: „Ach, das ist Gras“ – Marihuana. Nun fanden es die Uniformierten an der Zeit, die Personalien des Mannes festzustellen. Der blieb ein Gentleman und bat die Polizisten in die Wohnung, während er seine Papiere suchte. Auf dem Küchentisch: ein Berg von Heroin. Über fünf Pfund waren es, wie die Wägung später ergab, mit einem Marktwert von mehr als 400 000 Dollar. Mr. Giardina war offenbar so high, dass er geglaubt hatte, die Polizisten würden das Pulver höflich übersehen.
Als Szene in einer Kriminalkomödie ließe sich über den tumben Drogenhändler kräftig lachen. Doch die Geschichte hat sich nach einem Bericht der New York Times vergangenen Woche tatsächlich zugetragen, im New Yorker Stadtteil Queens, in einem Viertel, das die Polizei bis dato für drogenfrei gehalten hatte. Sie steht, leider, für einen beunruhigenden Trend: Heroin ist in den USA wieder auf dem Vormarsch. Und das, nachdem es lange Zeit so schien, als seien die Gefahren der Droge so bekannt, dass sie dauerhaft zur Randerscheinung würde.
Als am 2. Februar der Schauspieler und Oscar-Preisträger Philip Seymour Hoffman an einer Überdosis starb, nachdem er über 25 Jahre clean gewesen war, machte das Schlagzeilen. Doch für den steigenden Konsum von Heroin sind weniger rückfällige Alt-Junkies verantwortlich. Vielmehr sind es junge Leute, die die 1970er und 1980er Jahre höchstens noch aus Filmen kennen und verheerende Suchtfolgen wie Verelendung, Prostitution und Tod verdrängen. Das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft hat, was den Konsum harter Drogen angeht, nachgelassen.
Ein Bericht des Weißen Hauses von diesem Februar nennt alarmierende Zahlen: 2006 gaben Amerikaner für Heroin schätzungsweise 21 Milliarden Dollar aus, 2010 bereits 27 Milliarden (neuere Zahlen liegen nicht vor). Die Zahl der Junkies wuchs im gleichen Zeitraum von 1,2 auf 1,5 Millionen. Auch die Menge des – vor allem an den südwestlichen Grenzen der USA – beschlagnahmten Heroins stieg steil an, von 1867 Kilogramm im Jahr 2007 auf 3291 Kilogramm 2010.
Es ist nicht nur ein Problem der Großstadt. In ländlichen Gebieten ist Heroin auf dem besten Weg, die illegalen Schmerzmittel abzulösen, die die dortige Drogenszene lange dominiert haben. Der Gouverneur des Bundesstaats Vermont, Peter Shumlin, widmete dem Problem Anfang Januar seine komplette Neujahrsansprache. Er sprach von einer „ausgewachsenen Heroin-Krise“, die Einwohner „in jeder Ecke des Bundesstaats“ bedrohe. Die Zahl der Drogentoten steige kontinuierlich und habe sich 2013 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Fast 80 Prozent aller Gefängnisinsassen seien süchtig. Jede Woche werde Heroin im Wert von zwei Millionen Dollar nach Vermont geschleust.
Es kommt vor allem aus Mexiko und wird zu Preisen gedealt, bei denen der Einstieg leicht fällt: In Großstädten kostet ein Beutelchen rund sechs Dollar. Auf dem Land lässt sich mehr verlangen, weshalb ein regelrechter Dealer-Tourismus nach Neuengland eingesetzt hat. Dass die Droge billig ist, ist freilich nicht der einzige Grund für ihre Renaissance. „Wer Drogenabhängigen zuhört, weiß, was viele in die Sucht treibt: Hoffnungslosigkeit und ein Mangel an Chancen“, sagt Gouverneur Shumlin. Die zunehmende Ungleichheit und die Rezession der vergangenen Jahre, für viele mit Arbeitslosigkeit und Zwangsversteigerung verbunden, haben der Drogenmafia neue Kundschaft beschert.
In Vermont will der Gouverneur nun mehr Geld für Prävention und frühzeitige Behandlung von Abhängigen zur Verfügung stellen. Vor allem aber rief er seine Mitbürger auf, Drogenkonsum nicht in erster Linie als Verbrechen, sondern als Krankheit zu sehen. Eine neue Erkenntnis ist das eigentlich nicht, doch vielleicht gilt auch hier, dass das kollektive Gedächtnis nach Jahrzehnten eine Auffrischung braucht. Für Frank Giardina allerdings, den Gentleman-Dealer aus Queens, kommt sie wohl zu spät.
Christine Mattauch
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Ich fahre durch die Dunkelheit in ein schmales Tal in den Bergen südlich von Los Angeles: Silverado Canyon. Die Wegbeschreibung endete mit einem Hinweis auf eine große rote Scheune. Ohne Straßenbeleuchtung sind Größe und Farbe der wenigen Gebäude am Straßenrand kaum zu erkennen. Endlich finde ich die Scheune, im Haus gegenüber leuchtet hinter einem Fenster warmes Licht. Ich bin bei Sama Wareh angekommen: Künstlerin und Aktivistin, Kalifornierin mit Wurzeln in Syrien. Bis zum Kriegsausbruch hat sie regelmäßig Familie und Freunde in Damaskus besucht.
Der Krieg hat sie so beschäftigt, dass sie einmal auf eigene Faust an die türkische Grenze reiste, um Flüchtlingen mit Decken, Heizkörpern, Medizin und Mietzahlungen zu helfen. Ein Jahr später machte sie sich wieder auf den Weg, diesmal mit der Mission, ein nachhaltiges Projekt zu initiieren und dabei ihre Stärken zu nutzen: Kunst und Pädagogik. Sie entwickelte ein Curriculum: “Kunsttherapie für Kinder in Kriegsgebieten” und zog los. Vor ein paar Wochen kam sie zurück und erzählt mir nun, was sie erlebt hat.
“Möchtest Du Linsensuppe?” fragt sie mich zur Begrüßung. Die köchelt vor sich hin, füllt die kleine Wohnung mit Wärme und dem Duft einer starken Gewürzmischung. Wir setzen uns auf ein niedriges Sofa und Sama beginnt zu erzählen.
Im November reiste sie zu einer Schule im Libanon, nördlich von Tripolis. Dort hatte sie nach langer Recherche einen Direktor gefunden, der Schülern die selben Werte vermitteln wollte wie sie: Teamwork, Kreativität und Gleichberechtigung über Religion, Geschlecht, Herkunft, Alter und Rasse hinweg – ein Vorbild für die Zukunft Syriens. Die Schüler hatten den Namen der Schule selbst gewählt: Vögel der Hoffnung.
Sama kaufte von Spenden, die sie in Kalifornien gesammelt hatte und vom Einkommen aus dem Verkauf ihrer Bilder Material und begann ihr Kunstprogramm: Sie ließ die Kinder ihre Träume und Hoffnungen malen und gestaltete mit allen Schülern, Lehrern und dem Direktor ein Wandgemälde. Die steckten der kalifornischen Künstlerin jeden Morgen Briefe und Zeichnungen zu: Blumen und Herzen, Monster, Bomben, blutende Bäume und zerstörte Städte.
“In Kunst drücken Kinder aus, worüber sie nicht sprechen können,” erzählt Sama von ihrer Zeit mit den 350 ‘Vögeln der Hoffnung’. Ein Junge sang jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn auf der Schultreppe ein Lied von der Schönheit Syriens und von Trauer um die Zerstörung des Landes. Der Abschied fiel ihr schwer, weinend ermutigte sie die Kinder, weiter zusammen zu arbeiten, zu reden und Konflikte ohne Gewalt zu lösen.
Die gesammelten Spenden finanzieren nun einen Kunstlehrer, der ihr Projekt fortführt. Er schickt ihr Videos von den Fortschritten. Sie zeigt mir eines auf dem Computer und holt aus ihrem Schlafzimmer Briefe und Zeichnungen der Kinder. Sie erinnern sie an traurige und glückliche Momente in der Schule. “Nichts kann mich mit so viel Glück und Freude füllen, wie das Lächeln der Flüchtlingskinder und die Konzentration und Ruhe auf ihren Gesichtern während sie zeichnen.”
Aus Videoaufnahmen ihres Abenteuers an der Schule produziert sie einen Dokumentarfilm. Einnahmen aus Vorführungen werden direkt zu den ‘Vögeln der Hoffnung’ geschickt. “Jeder kann etwas Positives bewirken in der Welt,” sagt sie während wir Linsensuppe löffeln. “Ich bin Künstlerin, ich hab nicht viel Geld aber jetzt haben die Kinder diese neue Freude im Leben, nur weil ich mich angestrengt habe. Das ist das beste Gefühl der Welt!”
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Es begann bei einer Party, erzählt mir Cornelia Funke bei einem Espresso im Büro von Thomas Gaehtgens, dem Leiter des Getty Research Centers. Einer Party, zu der sie eigentlich gar nicht gehen wollte, weil die super erfolgreiche Schriftstellerin gar nicht auf Hollywood-Partys steht. Aber sie ließ sich überreden.
“Und wen sehe ich als Erstes kaum komme ich zur Tür rein?” Der Ton legt nahe, dass es sich um ein dreiköpfiges, schielendes, sabberndes Monster am Buffet handeln muss. Wenn nicht schlimmer!
“Brad Pitt!”
“Aha!” denke ich, ich habe Cornelia missverstanden. Sie war dann doch froh, dass sie zur Party gegangen ist. “Nein!” widerspricht sie und verdreht die Augen. Dieser Anblick bestätigte nur dass es eine Feier genau der Sorte sein würde, der sie möglichst aus dem Weg geht. “Aber Brad Pitt sieht ja auch tatsächlich von Nahem sehr gut aus und ist auch sehr nett!” fügt sie dann noch hinzu.
Viel wichtiger war aber die Begegnung mit Gaehtgens. Mit dem sprach sie über ihre Bücher und deren Charaktere aus verschiedenen Jahrhunderten, über Projekte, Inspirationen und Schwierigkeiten beim Schreiben. Der Leiter des Research Institutes lud sie sofort ein, das Getty-Archiv zu nutzen. Das Institut ist offen für jede Form der Recherche.
Mehrere Notizbücher hat sie inzwischen gefüllt mit Fotos von Charakteren des Getty-Archivs: furchterregend, verführerisch, geheimnisvoll, bucklig, zart, klein, kostümiert, nackt… Sie alle erweckt sie in ihren Büchern zu neuem Leben. Wann immer Funke ins Institut kommt, liegen da schon neue Bücher bereit. Als Dank für Offenheit und Hilfe des Instituts erfand Cornelia Funke den Piraten William Dampier. Genauer gesagt: Dampier lebte tatsächlich von 1651 bis 1715. Dank Funke spukt er jetzt als Geist durch die weiße Getty-Festung über dem Pazifik. Sie hat eine Piraten-Geschichte erfunden rund um Landkarten, Sternenkarten, Silbermünzen, Muscheln und Mumien für die jungen Besucher der neusten Ausstellung des Instituts: ‘Connecting Seas – A Visual History of Discoveries and Encounters’. Die folgt Reisenden, Neugierigen, Abenteurern, Erfindern, Aufschneidern, Wissenschaftlern, Kolonialisten und Ausbeutern über die Weltmeere vom 17. Jahrhundert bis heute.
Mir gaben die beiden eine Tour durch die Ausstellung. Ziemlich beeindruckend! Nicht nur, was ich da zu sehen bekam sondern auch, wie die beiden ganz unkompliziert und unbürokratisch mit Hilfe von mehreren Kuratoren das Projekt auf die Beine gestellt haben.
Der Geist von Pirat Dampier soll auch in Zukunft durch Austellungen spuken und Kinder in den Bann von Forschung und Geschichte ziehen. Die Broschüre mit seiner Geschichte liegt kostenlos aus und auch Erwachsene nehmen sie gerne mit.
Die Show zur Erkundung des Globus über die Weltmeere ist noch bis zum 13. April offen.
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Da mag Barack Obama eine große Rede zur Abhörpraxis der NSA halten und Yahoo-Chefin Marissa Mayer ihren Vizechef feuern – Tagesgespräch in New York ist eine kleine McDonalds-Filiale im Stadtteil Queens. Genauer gesagt in Flushing, einem Viertel mit vielen Einwanderern aus Korea. Über die Jahre hat er sich zum Treffpunkt von Senioren entwickelt. Die ersten kommen schon am frühen Morgen. Sie kaufen einen Kaffee für 1,09 Dollar, setzen sich und klönen. Neuankömmlinge werden freudig begrüßt. Das geht so bis zum Abend.
Was in dem Cafè eines Altenheims ein liebenswertes Ritual wäre, hat sich für McDonalds-Filialbetreiber Jack Bert zu einem echten Problem entwickelt. Denn die netten alten Herren verzehren nicht nur wenig, sondern blockieren die Tische angeblich in solcher Zahl, dass andere Burger-Fans oft keine Plätze finden. „Sie können sich wohl vorstellen, dass es für jedes Unternehmen eine schwierige Situation wäre, wenn einige Kunden andere behindern“, sagt Bert. Er hat versucht, sich zu wehren – bat die Herren zu gehen, erst höflich, dann harsch. Er hängte Schilder auf, wonach eine Mahlzeit innerhalb von 20 Minuten verzehrt sein muss. Als alles nichts half, wählte er die Notrufnummer 911. Und dann kam die Polizei.
Die richtete zwar auch nicht viel aus gegen den Stammtisch. Die Senioren verließen das Lokal, drehten eine Runde um den Block und kehrten in den McDonalds zurück, sobald die Luft rein war. Aber Angehörige und Nachbarn reagierten empört: Wie konnte es der Filialchef wagen, die Großväter mit Staatshilfe zu vertreiben? „Ältere Bürger sollten nicht wie Kriminelle behandelt werden“, sagt Christine Colligan von der Korean Parents Association von New York.
Der Konflikt ist auch ein Kampf der Kulturen: Für die meisten Amerikaner ist die aushäusige Nahrungsaufnahme eine kurze und zweckgebundene Angelegenheit. Nach dem Essen gemütlich sitzen zu bleiben, ist selbst in normalen Restaurants nicht üblich – die Rechnung wird nicht selten schon während des Essens gebracht. Das hat seitens der Gäste mit Effizienzdenken zu tun – weshalb sitzen blieben, wenn die Mahlzeit beendet ist – und seitens der Restaurantbetreiber mit hohen Mieten, die es erfordern, die Tische möglichst schnell wieder zu besetzen.
In Korea geht es, wie Einwanderer erzählen, wesentlich entspannter zu beim Essen. Vor allem aber ist, wie in allen asiatischen Kulturen, die Achtung vor dem Alter stark ausgeprägt. Es ist eine Selbstverständlichkeit – mehr noch: eine Pflicht –, Senioren respektvoll und freundlich zu behandeln. Die Polizei zu holen, weil einer seinen Kaffee nicht schnell genug austrinkt – undenkbar. Christine Colligan und ihre Freunde haben deshalb zum Boykott von McDonalds aufgerufen – weltweit.
Dem Fast-Food-Konzern droht Imageschaden. Nachdem zunächst nur koreanische Zeitungen über das gestörte Sit-In berichteten, brachte diese Woche auch die New York Times eine große Geschichte, und jetzt hat die Boulevardpresse das Thema entdeckt. „This is McMayhem“, schrieb die Daily News, was sich ungefähr mit „Willkommen bei McAufruhr“ übersetzen lässt. Ein Lokalpolitiker namens Ron Kim hat sich eingeschaltet und versucht zu vermitteln. Spätestens im Frühling allerdings dürfte sich die Situation von selbst beruhigen. Der Margaret Carman Park mit vielen Bänken ist gleich um die Ecke. Und weitaus schöner als ein steriles Fast-Food-Restaurant.
Foto: McDonalds
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Jedes Jahr am 31. Dezember wandere ich mit Freunden auf eine Hügelkuppe in den Bergen von Los Angeles. Von dort schauen wir beim Picknick vom glitzernden Pazifik im Westen über Wolkenkratzer von Downtown bis zu schneebedeckten Bergen im Osten. Es ist immer eine gute Gelegenheit, mich an Menschen und Orte zu erinnern, die ich im vergangenen Jahr getroffen und entdeckt habe. Wieviel ich selbst nach zehn Jahren in Los Angeles noch zu entdecken habe wurde mir bei meinem letzten Interview im Jahr 2013 mal wieder sehr bewusst. Für Reporter Corps, ein Projekt der USC Journalismus Schule ging ich mit einer Studentin durch das Viertel, in dem sie aufgewachsen ist: Watts. Im Süden der Wolkenkratzer gelegen, ist es vor allem bekannt für die Rassenunruhen, die dort 1965 ausbrachen, Bandenkriege und Schießereien über die die Abendnachrichten berichten. In alternativen Reiseführern werden außerdem die Watts Towers erwähnt, das Kunstwerk eines italienischen Einwanderers, der in jahrelanger Arbeit aus Fundstücken Türme schuf, die sich bis heute dem blauen Himmel entgegen strecken.
Shanice, die Studentin, zeigte mir ein anderes Watts: einen Park, in dem Pärchen auf Bänken sitzen, Mütter ihre Kinder auf Schaukeln und Rutschen beobachten und Teenager Baseball spielen; daneben eine Bibliothek und ein Beratungszentrum für Jugendliche, zwei Künstler, die eine Wand des Jugendzentrums mit bunten Symbolen für Freundschaft und Verständigung verschönern und ein stolzer hispanischer Vater, dessen Kinder in Watts aufgewachsen sind und ihren Uniabschluß gemacht haben.
“Ich lebe gerne in Watts” sagt die 22 jahre alte Shanice. “Hier ist immer etwas los, die Leute sind meistens freundlich und helfen einander. Viele hier haben es nicht leicht und erreichen trotzdem viel! Viele starke Menschen leben in Watts!”
Shanice über das Leben in Watts
Es gibt so viele Geschichten zu erzählen, die zeigen: Los Angeles hat unendlich mehr zu bieten als Hollywood. Ich freu mich schon auf die Entdeckungsreisen im neuen Jahr!
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New York kennt in diesen Wochen vor allem ein Thema: den Wechsel im Bürgermeisteramt, der am 1. Januar stattfinden wird. Nach zwölf Jahren tritt der konservative, parteilose Milliardär Michael Bloomberg ab, der für einen Dollar Jahreslohn arbeitete. Sein Nachfolger ist der linke Demokrat Bill de Blasio, der noch im Sommer als chancenloser Außenseiter galt. Vor zwei Wochen aber wurde der 52jährige, fast zwei Meter große Weiße mit einer spektakulären Mehrheit von 73 Prozent der Stimmen gewählt. Das lag nicht zuletzt daran, dass de Blasio seine ungewöhnliche Familie – Ehefrau Chirlane McCray trat in jungen Jahren öffentlich als schwarze Lesbe auf – in genialen Fernsehspots vermarktete. Besonders populär war ein Spot mit Sohn Dante, der einen riesigen Afro trägt.
Anders als Bürgermeister-Milliardär Bloomberg, der an der vornehmen Upper East Side zuhause ist, lebt de Blasio in Brooklyn. Genauer gesagt, fünf Blocks von uns entfernt, im Stadtteil Park Slope. Mein Mann traf ihn mal im Weinladen, vor einigen Jahren. Da musste Bill noch persönlich Geschäfte abklappern, um für seine Wahl zum Bürgerbeauftragten („Public Advocate“) zu werben. Heute hat fast jeder Laden ein rotes „Bill de Blasio“-Schild unübersehbar aufgehängt – klar doch, wenn „einer von uns“ Bürgermeister wird. Atemberaubende 89 Prozent der Wähler von Park Slope haben für Bill gestimmt. Bei der Viertels-Halloween-Parade schritten er und Chirlane dem Zug voran und wurden mit Applaus und Jubelrufen begrüßt, als seien sie König und Königin.
Dabei weiß eigentlich keiner so recht, was Bill in seinem Amt als Bürgerbeauftragter bewegt hat. Davor saß er im Stadtrat. Das ist in seinem Heimatviertel schon deshalb unvergessen, weil er dafür sorgte, dass an einigen Straßenecken öffentliche Mülltonnen aufgestellt wurden.
Er führte auch einmal einen Wahlkampf für Hillary Clinton. Dabei scheint er eine Menge gelernt zu haben. Trotzdem fragen sich viele, wie dieser Mann es schaffen soll, die schwierige Acht-Millionen-Metropole New York in den Griff zu bekommen. Seine Wahl erinnert an die von Obama, der ebenfalls von einer Woge persönlicher Sympathie ins Amt katapultiert wurde und dem sein Mangel an Erfahrung bis heute zu schaffen macht.
Einige unserer alteingesessene New Yorker Freunde befürchten eine Wiederkehr der Zustände in den berüchtigten 70er und 80er Jahren, als Korruption und Drogenkriminalität die Stadt fast lahmlegte. Andere prophezeien einen Auszug der Wohlhabenden, weil de Blasio New Yorkern mit einem Jahreseinkommen von mehr als 500 000 Dollar eine Zusatzsteuer abknöpfen möchte (bezeichnenderweise kann er das gar nicht selbst beschließen, sondern ist auf das Parlament des Bundesstaates New York angewiesen). Solche Ängste sind wahrscheinlich übertrieben. Klar ist indes, dass eine neue Ära in der Stadt anbrechen wird; es wird spannend sein zu sehen, wie „unser“ Bill sich schlägt. Vielleicht sorgt er ja dafür, dass auch der Hausmüll in ordentlichen Tonnen gesammelt wird anstatt in schwarzen Plastiksäcken, die über Nacht auf den Gehwegen gammeln und von Ratten angefressen werden. Das wäre ein echter Gewinn.
Foto: Christine Mattauch
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Es wartete eine große Überraschung auf mich in der Los Angeles Sports Arena. Diese war für ein paar Tage verwandelt in ein improvisiertes Krankenhaus mit Zahnarzttischen auf dem Basketballfeld und Augentests in den Katakomben. Die Ärzte behandelten mehr als 4000 Patienten innerhalb von vier Tagen. Ich wollte herausfinden, warum sie mehrere Stunden – oft über Nacht – Schlange gestanden hatten, um Zahnfüllungen zu bekommen oder eine Brille. Für mich schien das Prozedere entwürdigend und ich war sicher: die Mehrheit dieser Patienten konnte es nicht erwarten, sich für ‘Obamacare’ einzuschreiben.
Weit gefehlt! Die meisten, mit denen ich sprach hatten noch nicht einmal angefangen, sich über das neue Gesundheitsgesetz zu informieren. Sie trauen dem System aus improvisierten kostenlosen Behandlungen und Notaufnahmen mehr als Regierungsprogrammen. Eine alleinerziehende Mutter, die mit Zug und Bus zur Klinik gekommen war, erzählte: die staatliche Krankenversicherung habe ihrem asthmakranken Sohn jahrelang nicht die richtige Behandlung gegeben und sie endlos für ein Inhalationsgerät kämpfen lassen. Außerdem: “Präsident Obama hat doch nicht alles unter Kontrolle, mal ehrlich! Das hier ist besser als Obamacare!”
Kriegsveteran Cornel berichtete von schlechten Erfahrungen mit seiner staatlichen Krankenversicherung nach Ausscheiden aus dem Militärdienst: “Ewiges Warten, Tonnen Papierkram und endlose Hürden bevor es Service gibt”
Cornel spricht über Regierungsprogramme
Der Hausmeister bekommt Basis-Versorgung vom Staat, dazu gehören aber weder Zahnbehandlungen noch Augenuntersuchungen. Er war in die Sporthalle gekommen, weil ihm beim Basketballspielen zwei Backenzähne ausgeschlagen wurden. Der Zahnarzt wollte 5000 Dollar für eine Brücke. Cornel zahlt jetzt noch an den 1200 Dollar dafür, dass er ihm die abgebrochenen Zähne zog. In der kostenlosen Klinik bekam er nicht die erhoffte Brücke. Der Zahnarzt versorgte ihn stattdessen mit Füllungen, Zahnreinigung und einer Liste von Ärzten, die Zahnersatz zu niedrigen Kosten anbieten. Cornel wird auch für die nächste kostenlose Behandlung wieder über Nacht Schlange stehen. Er braucht eine Brille. Den Klapptisch mit Informationen über Gesundheitsreform würdigte er keines Blickes.
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Gerade habe ich im Radio gehört, dass weltweit kein großes Interesse am schlechten Schauspiel der Haushaltsblockade von Washington besteht. Kein Wunder. Ich kann auch kaum noch die Stimmen der üblichen Verdächtigen ertragen, die sich gegenseitig die Schuld zu schieben. Die müssen doch mindestens genausoviele Geschichten von Betroffenen gehört haben wie ich!
Ich habe Touristen am Flughafen von Los Angeles getroffen, die ihren gesamten Ferienplan umstellen mussten weil sie nicht in Nationalparks kommen. Eine Rentnerin war auf dem Weg zum Trip ihres Lebens mit Schulfreundinnen – Wildwasserrafting im Grand Canyon. Aus der Traum!
Ich traf einen Vater, der die Hypothek für sein Haus und Studiengebühren für seine Töchter nicht bezahlen kann, weil er im Zwangsurlaub ist. Irgendwann soll er sein Gehalt bekommen. Bis dahin stapeln sich unbezahlte Rechnungen und Verzugsgebühren. Er schläft nicht gut.
Am meisten beeindruckt aber hat mich die Geschichte von Shanice, einer Studentin aus dem nicht gerade idyllischen Viertel Watts in Los Angeles. Das ist berühmt vor allem für Rassenunruhen in den 60ern und für die Türme aus Recycle-Material. “Ich weiss nicht, was derzeit unser größtes Problem ist – Gangs oder Teen-Mütter,” erzählte sie mir. Shanice will den Kreislauf durchbrechen und hat ein Studium angefangen. Sie schrieb sich ein für Soziologie und Kommunikation an einem relativ preiswerten College. 1000 Dollar zahlt sie im Jahr für Studium und Studienmaterial. Das stieß bei Freundinnen auf großes Unverständnis. “Warum wirst du nicht einfach schwanger, dann bekommst Du Geld für Essen und Wohnung?” haben die gefragt.
Die 21 jährige lebt bei ihrer Großmutter. Sie hat sechs Geschwister. Die leben bei der Mutter. Der Vater hat sich nie um sie gekümmert. Shanice bekommt etwa 10 tausend Dollar im Jahr aus verschiedenen Töpfen des Bundeshaushalts. Mir ist es ein Rätsel, wie man mit so wenig Geld in Los Angeles leben und studieren kann! “Ich bin total von finanzieller Hilfe abhängig. Ich zahle alles davon – das Busticket, die Bücher, mein Essen, die Gebühren, meine Kleidung, Zuschuss zur Miete.” erzählte sie mir. Und das ist die Verbindung zur Haushaltsblockade.
Vor gut acht Wochen wäre eine Zahlung an Shanice fällig gewesen, etwa 1500 Dollar. Wegen Kürzungen an den Unis noch vor der Blockade hat sich die Zahlung verzögert. Wegen der Streits in Washington wurden nun zusätzlich Stellen am College gestrichen und Shanice fürchtet, dass sie das Geld gar nicht mehr bekommt. Bei der Beratungsstelle sind die Schlangen endlos. Dort arbeiteten einmal drei Angestellte, nur eine Stelle ist geblieben. “Wenn ich am Ende des Monats keine Überweisung bekomme, kann ich mir den Bus nicht mehr leisten. Wenn ich nicht zur Schule komme, kriege ich schlechte Noten. Mit schlechten Noten bekomme ich keine finanzielle Förderung mehr.” Shanice will ein Vorbild sein, ihren Geschwistern zeigen, dass auch Kinder aus Watts einen Collegeabschluss machen können. Momentan fürchtet sie, dass die Schulfreundinnen recht behalten und es einfacher ist, eine Teen-Mutter zu sein als zu studieren.
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Der Reiseführer hatte gewarnt. „In the region is the Bavarian lookalike town of Leavenworth…People come from all over the country to see the spectacle“. Es klang nach einer Art Disneyland, nach Brezelbuden und Achterbahn mit Zwiebeltürmchen. Wenn man zum ersten Mal in Washington State unterwegs ist, muss man sich so einen Kitsch wirklich nicht antun, dachte ich. Aber dann war der Highway, den ich nehmen wollte, wegen eines Erdrutschs gesperrt, und so kam ich doch noch nach Leavenworth.
Es muss recht harmlos begonnen haben, in den 1960er Jahren, als sich die Kleinstadt zusätzliche Einnahmequellen jenseits von Holz- und Landwirtschaft erschließen wollte. Pauline und Owen Watson, die einen kleinen Laden an der Hauptstraße betrieben, hatten Solvang besucht, eine kalifornische Siedlung, die dänische Einwanderer zu einem Mini-Kopenhagen umgebaut haben. Das Modell leuchtete den Watsons ein. Flugs wurde ein Komitee gegründet namens LIFE – Leavenworth Improvement For Everyone – und die Umwidmung der Stadt erörtert. Dabei kam heraus, dass sich die Bergstadt Leavenworth viel besser mit Weißwurst und Fachwerk vermarkten lässt als mit kleiner Meerjungfrau und Andersens Märchen. Der Stadtumbau wurde begonnen.
Seit damals hat Leavenworth als bayerische Alpenstadt ein beachtliche Authentizität erreicht. Von wegen Achterbahn und Brezelbuden: Dies ist kein Vergnügungspark. Die komplette Innenstadt wurde als Kreuzung von Mittenwald und Berchtesgarden neu geboren, mit hölzernen Balkons, Fassadenmalerei, einschlägigen Restaurants, Biergärten, Kutschen und einem Nussknackermuseum. Viele Einwohner kleiden sich in Dirndl und Lederhosn. Auch einen Maibaum gibt es und im Herbst, natürlich, ein Oktoberfest.
Sogar die Lokalzeitung hat sich dem Stil angepasst: Sie heißt „The Leavenworth Echo“ und trägt im Logo ein Edelweiß sowie einen Alphornbläser in Lederhosn.
Es ist eine so perfekte Verwandlung, dass ich mich unwirklich fühlte, wie in einem Film. Ich wusste, dass ich mich im Nordwesten der USA befand, unweit von Seattle, in einem Ort, in dem ich nie zuvor gewesen war. Gleichzeitig wurde ich Opfer der Illusion; eine Stimme in meinem Inneren flüsterte mir unablässig zu: Du kennst das hier!
Kommerziell ist die Transformation von Leavenworth ein großer Erfolg. In dem 2000-Einwohner-Ort gibt es heute mehr als hundert Hotels und dutzende „uriger“ Gaststätten.
Die Transformation wirft Fragen von weitreichender Bedeutung auf. Ist bayerischer Kitsch weniger schlimm, wenn er in Mittenwald stattfindet als in Leavenworth? Kann die Kopie einer Lebensart besser sein als ihr Original? Sollte Bayern sein Kulturgut urheberrechtlich schützen lassen, und müsste Leavenworth dann Lizenzgebühren zahlen? Deutet sich hier womöglich sogar ein ganz neuer Ansatz zur Lösung der europäischen Krise an – ein Kompletttransfer der Akropolis ins Niemandsland von Nevada oder der spanischen Alhambra nach Idaho?
Fotos: Christine Mattauch
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50 Jahre ist es her, dass Martin Luther King in Washington vor Hunderttausenden von (weißen und schwarzen) Zuhörern über seinen Traum von der Versöhnung zwischen den Rassen sprach. «I have a dream» wurde die Rede später getauft, die der junge Geistliche am 28. August 1963 an einer Demonstration «für Arbeitsplätze und Freiheit» hielt. Weniger bekannt ist es, dass King den Schluss seiner Ansprache weitgehend improvisierte – die Traum-Passage war im Manuskript nicht enthalten. Zeitgenossen des Bürgerrechtlers sagten später, dass es die legendäre Gospel-Sängerin Mahalia Jackson gewesen sei, die King zu dieser spontanen Einlage angespornt habe. Jackson, die auf der Tribüne mit den Ehrengästen saß, soll King zugerufen haben: «Martin, erzähl‘ ihnen über den Traum!»
Interessant an dieser Anekdote ist, dass niemand mit letzter Sicherheit zu wissen scheint, ob King diese Aufforderung zu Ohren bekommen hatte. Er sagte später, er habe instinktiv gefühlt, dass er den Schluss seiner Rede improvisieren müsse. Nicht bekannt ist zudem, wann Jackson genau intervenierte: Auf der überlieferten Aufnahme der Rede ist ihre Stimme nicht zu hören. Deshalb kursieren nun mehrere Versionen dieses Vorfalls. Der renommierte Historiker Robert Dallek behauptete in seiner Kennedy-Biographie (auf Deutsch: «John F. Kennedy: Ein unvollendetes Leben»), Jackson habe ihren Zwischenruf fünf Minuten nach Beginn der Rede angebracht. Das stimmt wohl nicht: King liest mindestens zehn Minuten seiner Rede von Blatt ab, wie der untenstehende Film zeigt. Eine andere Version brachte der verstorbene Senator Ted Kennedy in Umlauf. In seinen posthum erschienen Memoiren (im Original: «True Compass») berichtete er detailliert, wie King seine Rede bereits beendet hatte, und absitzen wollte, als Mahalia Jackson interveniert habe. Dies habe er, Kennedy, vor dem Fernsehgerät sitzend ausgemacht, obwohl er doch auch einräumt, dass er Jackson weder gesehen noch gehört habe. Weil ein Senator bekanntlich stets die Wahrheit sagt, wurde diese Anekdote dann auch von Weggenossen von Martin Luther King aufgegriffen — als Beweis dafür, dass Jackson in der Tat ein Stück Weltgeschichte geschrieben habe.
Wie dem auch sei. Schauen Sie sich die Rede Kings doch selbst an, um das kleine Rätsel zu lösen…
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Zwischen 16 und 17 Uhr solle ich an der Ecke Broadway/53. Straße sein, hatte John angewiesen. „Und dann sagst du den Helfern, dass du auf meiner ‚Gold List’ stehst“. Natürlich war ich zu früh, weil ich die mühsam erkämpfte Gelegenheit zum Besuch der Late Show mit David Letterman (siehe Teil eins des Blogs) um nichts in der Welt riskieren wollte. Ich war nicht die einzige – schon von weitem sah ich eine gigantische Schlange, die vom Ed Sullivan Theater hinunter bis zur Straßenkreuzung reichte und dann links abbog in die 53. Straße. Hoffnungsvoll wandte ich mich an eine junge Frau, die eine Neonweste als Helferin auswies. „Zur Late Show…“ „…bitte ans Ende der Schlange“, unterbrach sie mich freundlich. „Aber ich bin auf Johns Gold List“, protestierte ich. Sie lächelte geduldig. „Honey, die sind alle auf Johns Gold List.“ Nach sechseinhalb Jahren Amerika hätte ich eigentlich wissen müssen, dass nicht einmal „Platinum“- oder „Diamond“-Klassifikationen einen VIP-Status garantieren.
Die Stimmung in der Schlange war gut, auch weil es schnell voran ging, trotz scharfer Sicherheitskontrollen: Ein Uniformierter schritt die Schlange mit einem Schäferhund ab; größere Taschen mussten geöffnet werden. Gleich zwei Mal wurde mein Pass kontrolliert und der Name mit der Zuschauerliste abgeglichen. Fotografieren war verboten. Im Foyer teilte eine junger Mann Papiertickets ausgab und uns in unterschiedliche Richtungen schickte. Vor uns waren zwei knubbelige Frauen um die 40, die aussahen, als seien sie für die Show eigens aus dem Mittleren Westen angereist. Wahrscheinlich waren sie das auch. Ich konnte nicht hören, was der junge Mann zu ihnen sagte, aber sie wirkten ganz zufrieden. Dann waren wir dran. Der junge Mann ordnete seine Tickets und jodelte ohne aufzublicken: „Hellloooo you crazy cats, how are youuuu today,?“ Nun habe ich in meinen fast 50 Lebensjahren einiges erlebt, aber dass mich jemand, der mein Sohn sein könnte, als „verrückte Katze“ bezeichnet, war durchaus eine neue Erfahrung. An der Miene meines Begleiters konnte ich ablesen, dass ihm Ähnliches durch den Kopf ging. Der junge Mann schien unsere leichte Fassungslosigkeit nicht zu registrieren. „Red“, sagte er in so bedeutsamen Ton, als hätten wir das große Los gezogen, und dirigierte uns in eine bestimmte Warteschlange. Umgehend waren wir versöhnt. Rot, das klang nach rotem Teppich und Plüsch und Pomp.
Menschen in Pagenuniform winkten uns durch Gänge und Treppen, bis wir schließlich oben im ersten Rang ankamen. „Hier bitte“, „gehen Sie dort“ – alle waren ungemein höflich. Mit ausladender Geste zeigte der letzte Helfer auf zwei Kippsessel und eilte weiter. „Sehr gute Plätze“, sagte der beste Ehemann aller Zeiten. „Wunderbar“, stimmte ich zu. Tatsächlich saßen wir in der allerletzten Reihe, den Blick auf die Bühne teilweise versperrt von Scheinwerfern. Aber unser so schön umschmeicheltes Ego weigerte sich, solche Kleinigkeiten zur Kenntnis zu nehmen.
Bis auf den bei Liveshows offenbar unverzichtbaren Einpeitscher, der das Publikum vor Aufzeichnungsbeginn mit Witzen und Anekdoten in Stimmung bringt, war dann alles ganz genau so wie im Fernsehen. Wir sahen Letterman durch die Kulisse laufen und bewunderten seine routinierte Art, mit dem Publikum zu flirten. Stargast war John Travolta, den das Publikum mit großem Hallo begrüßte und der wirklich eine gute Figur machte. Er erzählte Anekdoten von seinem zweieinhalbjährigen Sohn, schwadronierte über sein Flughobby („8500 Flugstunden“), gab mit seinem Bizeps an und warb für seinen neuen Film, „Killing Season“. Zum Abschluss gab’s eine Tanzeinlage.
Was man am Bildschirm zuhause freilich nicht sieht, ist der Schwarm von Assistenten, der in jeder Werbepause die kleine Bühne füllt. Einmal zählte ich 14 Personen, die irgendwelche Uhren kontrollierten, Gegenstände auf Lettermans Schreibtisch zurecht rückten oder einfach nur um dem Moderator herumstanden. Mag in Amerika eine Zeitung nach der anderen sterben – dem Fernsehen, so scheint es, geht das Geld noch lange nicht aus.
Foto: Christine Mattauch
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„Lettermaaaaan“ – mit diesem Urschrei beginnt an jedem Wochentag die Late Show auf CBS. Sie ist eine Institution in den USA, ein Kult: Die erste Spätsendung mit David Letterman, die Tagesrückblick mit Comedy verbindet, lief am 30. August 1993, und noch immer schalten durchschnittlich vier Millionen Amerikaner ein. Auch viele Deutsche kennen sie, zumindest indirekt, denn sie stand Pate für die Harald Schmidt Show. Wie genau die deutsche Version vom amerikanischen Vorbild kopiert ist, wurde mir erst hier in den USA richtig klar: Bis in kleinste Gesten hinein ahmt Schmidt sein Alter Ego nach. Was die interessante Frage aufwirft, ob auch Letterman seine Rolle nur spielt oder er authentisch ist.
Die Show wird im Ed Sullivan Theater in Midtown Manhattan produziert. Vor Jahren entdeckte ich zufällig, dass, wer sie live sehen möchte, sich via Internet bewerben kann. Die Teilnehmer würden „zufällig ausgewählt“, heißt es nebulös, was bei mir den Verdacht entstehen ließ, dass das Publikum hauptsächlich aus Freunden und Bekannten des Showpersonals besteht. Deshalb wunderte es mich auch nicht, dass ich nie eine Antwort bekam, wenn ich gelegentlich, mehr aus Jux, das Formular ausfüllte.
Eines schönen Junimorgens jedoch fand ich eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter: Ich möge „John“ von der Late Show anrufen und mein Wunschdatum bestätigen. Ich glaubte erst an einen Witz, oder an Abzocke. Aber schließlich wusste außer mir keiner von der Bewerbung. Also rief ich zurück, derartig nervös, dass mein Englisch ungefähr dem Niveau einer Vierjährigen entsprach. John klärte ein paar Formalien und sagte dann, ich müsse eine Frage beantworten, um zu beweisen, dass ich ein echter Fan sei: „Wer ist Tony Mendez?“
Mein Kopf raste. In meiner Panik fiel mir überhaupt nur ein Mitwirkender ein, ein junger Mann, der zur Gedächtnisstütze des Moderators Stichwortkarten hochhält. Stotternd versuchte ich dessen Funktion zu erklären. John lachte. Es klang so, als sei ich auf dem richtigen Weg. Ich atmete tief durch und versuchte es mit „The teleprompter guy“ John lachte noch mehr und sagte dann: „Oh nein, so leicht kommst du mir nicht davon. Du musst schon den richtigen Begriff sagen.“ Das fand ich ungerecht. „Ich bin Deutsche, wie kannst du erwarten, dass ich so eine ausgefallene Vokabel kenne?“ „Weil der Ausdruck in jeder Sendung fällt“, antwortete John streng. Dann hatte er ein Einsehen. Oder Mitleid. „Bleib in der Leitung, ich rede mal mit meinem Vorgesetzten.“
Was nun geschah, wird die technikaffine jüngere Generation nie verstehen. Weil mir schien, dass die Verbindung unterbrochen sei, versuchte ich, die Lautstärke hochzustellen. Und erwischte dabei den „Aus“-Knopf. Noch nie war ich so wütend auf mich selbst. Denn natürlich würde John diese radebrechende, ungeschickte Deutsche nicht noch einmal anrufen. Bestimmt hatte er Tausende von enthusiastischen, echten Fans auf seiner Liste, die nicht nur den richtigen Begriff aus dem Effeff wüssten, sondern auch noch beschreiben könnten, welche Farbe das T-Shirt von Tony Mendez in der Show von vor drei Wochen gehabt hatte. Während ich halblaut vor mich hinschimpfte, klingelte das Telefon. John. „Alles klar, du kannst kommen. Sag einfach, dass du auf meiner ‚Gold List’ stehst.“ Ich konnte mein Glück kaum fassen und bedankte mich überschwänglich. John wehrte ab. „Tony Mendez ist übrigens unser ‚cue card boy’“, sagte er noch. „Der Ausdruck ist mir unbekannt“, sagte ich aufrichtig. Es entstand eine Pause. Dann sagte John spitz: „Dass die Sendung auf Englisch ist, weißt du aber schon?“
Was es mit Johns „Gold List“ auf sich hatte und wie viele Regieassistenten bei Letterman auf der Bühne stehen, erfahren Sie in meinem nächsten Blog.
Fotos: Christine Mattauch
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„Bereiten Sie Ihr Haus für die Wirbelsturmsaison 2013 vor“, lautet die Überschrift über der Pressemitteilung. Darunter steht der Hinweis auf eine „National Hurricane Preparedness Week“ vom 26. Mai bis 1. Juni. So etwas liest man als Journalist, zumal nach dem Tornado in Oklahoma am vorvergangenen Wochenende, der 24 Menschen tötete und mehr als 12 000 Häuser zerstörte.
Es fängt ganz interessant an. Eine Metereologin namens Jill Hasling vom Weather Research Center in Houstin (Texas) prognostiziert für dieses Jahr eine 70prozentige Chance für einen großen tropischen Sturm an der Küste zwischen Lousiana und Alabama. In der Region von Georgia und North Carolina beträgt die Wahrscheinlichkeit immerhin noch 60 Prozent. „Unser Rat an Hausbesitzer ist, sich während der National Hurricane Preparedness Week Zeit zu nehmen um ihr Haus sturmfest zu machen“, ist Frau Halsing zitiert.
Wie das geschehen kann, darüber informiert anschließend Mark Clement, Moderator einer Radiosendung mit dem denkwürdigen Titel „MyFixitUpLife“. Ich lese, dass es sich bei Herrn Clement um einen professionellen Handwerker handelt. Und zwar um einen mit ausgeprägten Produktvorlieben, wie sofort klar wird. In den nächsten zehn Absätzen der Pressemitteilung preist er das Kunststoffschieferdach Da Vinci Roofscapes, das er für sein eigenes Haus verwendet habe, Fensterglas der Firma Simonton („extrem energieeffizient“) und Eingangstüren von Therma-Tru („ein hervorragender Schutz“). Spätestens jetzt ist klar: Die fürsorglich warnende Pressemitteilung ist in Wirklichkeit eine Gemeinschaftswerbung, geschickt zusammengerührt von einer PR-Dame namens Kathy Ziprik. Ein Foto hat sie auch beigefügt, es sieht so aus:
Ob das Wetterinstitut, der Handwerker-Moderator oder eine der Firmen es zur Verfügung gestellt haben, bleibt unklar.
Es interessiert mich, ob es Medien gibt, die auf diesen dreisten PR-Trick hereingefallen sind, und ich google ein paar Schlüsselbegriffe aus dem Presseinfo. Beruhigenderweise wird nur ein Blog der Fensterfirma Simonton ausgeworfen, die an dem Projekt selbst beteiligt ist. Scheint so, als hielte sich der Nutzen für die Werbepartner in Grenzen. Frau Ziprik freilich wird sich ihre Dienstleistung mit einem schönen Honorar vergütet haben lassen.
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Ginger Harold hat in den 70 er Jahren mit Freundinnen vor dem Rathaus Büstenhalter geschwenkt und für Gleichberechtigung demonstriert. Sie hat eine Tochter verloren, Erdbeben und eine schwere Krebserkrankung überlebt. Wenig kann sie noch beeindrucken – und bestimmt nicht die dicken weißen Ascheflocken, die vom Buschfeuer am Berg hinter ihrem Haus auf sie niederregnen oder das gespenstisch gelb-rote Leuchten der Flammen, das durch eine dicke graue Rauchwolke scheint. Die 74 Jahre alte Naturliebhaberin wird diesen Berg hinaufsteigen sobald Asche und Rauch, die ihn jetzt komplett verdecken verschwunden sind. Bestehende Evakuierungspläne hält sie für einen Witz, für völlig veraltet. Sollten die Flammen doch den Mini-Bunglow erreichen, in dem sie alleine wohnt oder Funken die ausgetrocknete Eiche erfassen, deren Äste über sein Dach hängen, wirft sie sich eine Plane über und springt in den Pool. Das ist ihr Plan. Gepackt hat Ginger nichts für den Ernstfall. “Ich wüsste nicht was ich packen sollte. Nichts ist wichtig und alles ist wichtig,” sagt sie, zuckt mit den Achseln, lacht und rückt die Atemmaske über Mund und Nase zurecht.
Ginger ist der Typ, den Feuerwehr und Polizei in Kalifornien fürchten und dem sie allzu oft begegnen: sture Senioren, die ihre Häuser trotz Evkuierungsaufforderungen nicht verlassen. Müssen sie gerettet werden, bringen sie andere in Gefahr und stehen möglicherweise vor der gewaltigen Aufgabe, ohne Hab und Gut ganz von vorne anfangen zu müssen. Eine Prognose, die Ginger nicht erschreckt. Sie ist sicher: die Flammen werden ihr Häuschen nicht erreichen. Warum? Oben auf den Hügeln wohnen die Superreichen auf riesigen Anwesen mit Pferdekoppeln und privaten Wanderwegen. “Sie rufen den Gouverneur an und schon bald werden hier so viele Wasserflugzeuge am Himmel sein, dass sie den Flugverkehr regeln müssen.” Sie lacht wieder. “Das ist wahr. Ich hab es schon oft erlebt. Und Gott sei Dank dafür!”
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Es war eine verheißungsvolle Aufschrift: „Gift of Music“, Musikgeschenk, stand auf dem Briefumschlag. Er kam vom Orchestra of St. Luke’s, einem New Yorker Klassikensemble. Ich kannte es, denn der beste Ehemann aller Zeiten hatte in der vergangenen Saison eine Konzertreihe von St. Luke’s gebucht. Offenbar wollten sich die Musiker für unsere Treue bedanken – und wie vornehm! Eine silbrige Klappkarte samt Pergamenteinlage lud zum Dinnerkonzert am 6. Mai im distinguierten Plaza Hotel ein. „Honorary Chairmen: Renée Fleming, Plácido Domingo“. Oha. Ich versuchte mich zu erinnern, was unsere Plätze gekostet hatten, dass wir so ein Dankeschön verdienten. Nun, warum nicht… ich sah mich im Zwiegespräch mit den Opernstars, die Vor- und Nachteile der Met erörternd… Dann entdeckte ich die Zahl. Ich machte die Augen zu und machte sie wieder auf. Die Zahl stand immer noch da: $75,000.
Wie hatte ich nur annehmen können, dass uns in New York jemand etwas schenken würde? Natürlich sollten wir etwas geben, zu Gunsten des Orchesters, das vor zwei Jahren eine eigene Spielstätte in Manhattan bezogen hat. Es handelte sich um einen klassischen Fundraiser: Damit das Spenden leichter fällt, ist es mit einer Gegenleistung verbunden, in diesem Fall ein Konzert in prominenter Gesellschaft. So etwas ist in den USA gang und gäbe und nicht nur eine sympathische, sondern auch eine notwendige Sitte, weil sich der Staat wenig an der Finanzierung von Kultur beteiligt. Die Großzügigkeit, mit der Amerikaner spenden, ist ziemlich ansteckend.
Ein „Chairman’s Challenge Table“ für 75 000 Dollar übersteigt überraschenderweise das Budget deutscher Journalisten, aber im Laufe der Jahre haben wir uns zu allerlei Mitgliedschaften und Dauerspenden verpflichtet. Unter anderem sind wir Freunde der Carnegie Hall, des Prospect Parks und des Brooklyn Botanical Gardens. Wir unterstützen den Klassikradiosender WQXR und das Museum of Modern Art, stiften Konserven für die Obdachlosenhilfe CHIPS und nehmen an der jährlichen „Thanks for Sharing“-Aktion von Macy’s teil. Vergangene Woche sind wir spontan dem Cinema Club des BAM beigetreten, einer unabhängigen Kultureinrichtung. Es war eine einmalige Gelegenheit, denn im Rahmen einer Sonderaktion wurden 13 Dollar, der Preis einer Kinokarte, von den 130 Dollar Jahresgebühr abgezogen. Wir haben also richtig gespart.
Gute Taten werden belohnt. Das Klassikradio sandte uns ein Poster, das zu „Beethoven Awareness“ aufruft. Der Prospect Park lädt zum Fledermausgucken ein und die Carnegie Hall zu einer kostenlosen Führung. Und man kriegt Restkarten zum Sonderpreis, was einen dazu verleitet, noch mehr Konzerte zu besuchen und sich der Institution noch stärker verbunden zu fühlen, so dass man vielleicht vom Friend (100 Dollar im Jahr) zum Fellow (150 Dollar) aufsteigen möchte oder sogar zum Associate (300) oder Sustainer (900).
In dieser Woche kam Post vom Orchestra Underground. Es vertont Komponisten der Gegenwart und feiert im Mai sein zehnjähriges Bestehen – natürlich mit einem Fundraiser. Die Veranstaltung war ordentlich als „Spring Benefit“ gekennzeichnet, Missverständnisse konnten nicht aufkommen. Das war mir sympathisch. Und ich dachte, dass es die Musiker mit den schrägen Stücken, die sie spielen, wahrscheinlich ziemlich schwer haben. Mitleidig fischte ich die Antwortkarte heraus. Ich studierte die Alternativen: „Leader Table at $10,000“, „Table at $5000“, „Tickets at $500“. Wie schön, dass zeitgenössische Tonkunst so potente Verehrer hat. Auf mich müssen die Musikanten diesmal verzichten.
Fotos (2): Richard Ten Dyke; Orchestra of St Luke’s
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New York ist in diesem Winter fast schneelos, trotzdem seit Wochen kalt und ungemütlich – ähnlich wie in Deutschland. Normalerweise zeigen sich um diese Zeit schon überall Knospen und Blüten, doch diesmal – keine Anzeichen von Frühling. So zumindest schien es mir, bis ich heute nachmittag im im Brooklyn Botanical Garden spazieren ging. Es war der erste halbwegs warme und sonnige Tag seit langem. Aber die Natur hat vorgearbeitet, oder sich bei den ersten warmen Sonnenstrahlen ganz irrsinnig beeilt. Wie konnte ich nur glauben, dass dieses Jahr nichts blüht?
Liebe deutsche Freunde, er kommt auch zu Euch, der Frühling. Habt nur noch ein klein wenig Geduld.
Fotos: Christine Mattauch
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“Rund 5000 Kinder leben in den USA ohne Eltern, weil die ohne Papiere ins Land gekommen sind und abgeschoben wurden.” Dieser Satz eines Aktivisten für Immigrationsrechte veranlasste mich, eine Familie zu suchen, auf die diese Beschreibung zutrifft. Sie zu finden war schwieriger als erwartet. Niemand wollte reden.
Der Pressesprecher einer Bürgerrechtsorganisation schlug mir schließlich vor, Norma und ihre Tochter Jessica zu treffen. Die Familie passe zwar nicht ganz in mein Konzept, Norma sei legal im Land, doch ihr Mann Jose seit mehr als einem Jahr im Gefängnis. Die drohende Abschiebung reisse die Familie auseinander, besonders die Tochter leide darunter, dass sie ihren Vater nur noch im Gefängnis sehen kann, umziehen musste und auf eine neue Schule geht. “Der Fall ist nicht einfach, nicht schwarz und weiß,” erklärte mir der Sprecher. Jose habe eine Drogenstrafe von früher und sei schonmal abgeschoben worden. Aber: Jessica und ihre Mutter seien bestimmt gute Interviewpartner und hätten eine eindrückliche Geschichte zu erzählen.
Er hatte Recht. Ich traf Jessica und Norma in ihrem neuen zu Hause – sie leben jetzt in einem kleinen Zimmer bei den Eltern von Norma. Zum Gespräch kam auch Joses Mutter dazu. Als der von den Immigrationsbeamten abgeholt wurde war es sechs Uhr morgens. Norma wollte ihn gerade zur Arbeit fahren. “Vier Streifenwagen haben uns eingekreist, Polizisten mit gezogenen Waffen sind auf uns zugerast, haben gebrüllt und auf die Windschutzscheibe geschlagen. Jose war angeschnallt, sie haben ihn aus dem Wagen gezerrt, ihm Handschellen angelegt und weggefahren”, erzählt sie. Jessica hat alles aus dem Fenster ihres Kinderzimmers beobachtet. Wenn sie davon erzählt, steigen ihr Tränen in die Augen. Sie vermisst es, mit ihrem Vater ans Meer zu gehen, zum See zu radeln, Pizza zu essen und am meisten, dass sie ihn nicht umarmen kann. Wenn sie ihn besuchen, ist eine Glasscheibe zwischen Jose und den Frauen. Norma und Jessica wissen, dass Jose vielleicht wieder abgeschoben wird. Zum ersten Mal geschah das 1994 nachdem er mit Drogen erwischt wurde, sagt Norma. Damals sei er noch am selben Tag zurück gekommen. Es sei leicht gewesen, die Grenze zu überqueren. 2010 wurde Jose bei der Arbeit aufgegriffen und abgeschoben. Diesmal war es schwieriger, zurück zu kommen, doch er schaffte es – und wurde ein paar Monate später wieder verhaftet. Jessica versteht bis heute nicht, warum ihr Vater nicht wie sie und ihre Mutter einen Pass bekommen und bei ihr bleiben kann.
Meine Nachfrage bei der Einwanderungsbehörde ergibt eine nüchterne Antwort: Die Behörde sei dazu da, illegale Einwanderer wie Jose so schnell wie möglich aus dem Land zu weisen. Mit Drogendelikt und mehrfacher illegaler Einreise sei er eine Priorität auf der Abschiebeliste. Ohne Erlaubnis ins Land einzureisen könne mit einer Haftstrafe von bis zu zwanzig Jahren bestraft werden.
Ich gebe diese Email nicht an Norma und Jessica weiter. Die Geschichte ist tatsächlich sehr kompliziert. Im Moment weiß ich noch nicht, wie ich sie am besten erzählen kann.
Hören Sie hier, wie die beiden beschrieben, wie Jose abgeholt wurde, was sie an ihm mögen und was sie für die Zukunft hoffen: Norma and Jessica
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Angela Thompson erzählt gerne aus ihrem Leben und aus dem ihrer Mutter. Über die hat sie sogar ein Buch geschrieben: “Bleib immer neben mir”. Es ist die Geschichte eines Frauenlebens im 20. Jahrhunderts mit eindrücklichsten Schilderungen unter anderen von der Bombardierung Dresdens, von überraschend wertvollen Päckchen die die in den Westen geflüchtete Familie von der in Dresden zurück gebliebenen Omi bekam, von im Rückblick verrückt erscheinenden Entscheidungen der Mutter, schwer zu ertragendem Verhalten des zurück kehrenden Vaters und Andeutungen des neuen Freiheitsgefühls der Autorin, als sie in Kalifornien ankommt und studieren kann.
In Deutschland haben viele längst genug von diesen Geschichten und ich dachte ich gehöre zu dieser Gruppe, die nichts mehr hören mag vom Krieg, von Flucht, von Hitler, von Bomben und dem Kampf ums Überleben. Bis ich Angela traf und sie mir mit Gefühl, Humor und Wissen aus ihrem Leben und dem ihrer Mutter erzählte. Besonders wichtig ist ihr dabei, dass US-Bürger diese Geschichten hören und lesen, um zu verstehen, was in den Menschen vorging, auf die die Bomben ihrer Helden fielen. Sie selbst hat sich in den 70er Jahren von Los Angeles aus für politische Gefangene in der DDR eingesetzt, unter anderen mit dem damaligen Gouverneur Ronald Reagan als Verbündeten. Sie fuhr mit dem Auto quer durchs Land um in Washington mit Kongressabgeordneten und Senatoren über Unterdrückung im Osten Deutschlands zu sprechen und machte heimliche Besuche bei den Familien der Gefangenen.
Für Radio/Audio-Enthusiasten-Truppe ‘Listen Up Los Angeles’ hat Angela einen Teil dieses interessanten Lebens erzählt. Weil heute der Jahrestag der Bombadierung von Dresden ist hier der entsprechende Ausschnitt aus meinem Interview.
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Das Ereignis der Woche war, natürlich, die Amtseinführung von Präsident Barack Obama. Die Einwohner von New York beschäftigte daneben ein weiteres Thema: ein Aufruf des texanischen Generalstaatsanwalts Greg Abbott, ihre Heimat zu verlassen und nach Texas zu ziehen. Eine Liebeserklärung an die sonst so verhassten Yankees? Nicht ganz: Angesprochen waren ausdrücklich nur “Law abiding gun owners” – gesetzestreue Bürger, die eine Waffe besitzen.
Abbott, ein im Rollstuhl sitzender Republikaner, hatte die Anzeigen online auf diversen Nachrichtenseiten schalten lassen. Sie erschienen insbesondere bei Nutzern auf dem Bildschirm, die ausweislich ihrer Postleitzahl in Manhattan oder in der Staatshauptstadt Albany leben. Nun ist man in den USA einiges von dem Cowboystaat gewohnt und nimmt ihn, anders als er sich selbst, nicht immer ganz ernst. In den vergangenen Monaten zum Beispiel wurden in Texas mehr als hunderttausend Unterschriften für eine Petition gesammelt, die es dem Bundesstaat ermöglichen sollte, sich vom Rest der Republik abzuspalten. Auch den Unterzeichnern war freilich klar, dass Washington den Antrag rundweg ablehnen würde.
Abbotts Abwerbungsversuche sind ein anderes Kaliber. Hintergrund sind die strengen Waffengesetze, die der Gesetzgeber des Staats New York auf Druck von Gouverneur Andrew Cuomo in Rekordzeit verabschiedet hat. Es war die Reaktion auf das Blutbad an der Sandy-Hook-Schule in Newtown, bei dem ein 20jähriger Selbstmordattentäter mit halbautomatischen Sturmgewehren 20 Kinder und sechs Lehrer niedergemäht hatte. Der Schock war so groß, dass selbst das als lahm und notorisch korrupt geltende Provinzparlament in Albany in Bewegung kam und damit nach Ansicht der meisten New Yorker Menschen das Richtige tat. Nicht jedoch nach Ansicht der Gun-Lobby, die in mehr statt weniger Waffen das Rezept gegen Massenmörder sieht – damit sich der gesetzestreue Bürger verteidigen kann. Mit dieser Position hat sie an der liberalen Ostküste allerdings einen schweren Stand, ganz anders als im waffenvernarrten Süden der USA.
Für Abbott war es somit ein günstiger Zeitpunkt, um auf sich aufmerksam zu machen. Der 55jährige wolle die Amerikaner “vor reflexartigen und skurrilen Reaktionen der politischen Elite” bewahren, erklärte sein Sprecher. Ganz nebenbei will er im kommenden Jahr auch Gouverneur von Texas werden und kann die Publicity gut brauchen, die ihm seine provokative Aktion verschafft. Klugerweise ließen sich bisher weder der New Yorker Gouverneur noch Bürgermeister Michael Bloomberg zu einer Antwort hinreißen. Die in Manhattan erscheinende Wochenzeitung Village Voice allerdings nahm den Fehdehandschuh auf. Sie warnte ihre Leser: “Abbott lügt. Texas will dich nicht. Selbst wenn Du ein durch und durch republikanischer, Waffen tragender New Yorker bist, könntest du glauben, dass Schwule und Frauen Menschen sind. Das kommt da unten gar nicht gut an.”
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Am Donnerstag ist es mal wieder so weit – in Hollywood gehen zu unchristlicher Zeit Lichter und Fernseher an, weil die Oscar-Akademie um halb sechs morgens bekannt gibt, wer in diesem Jahr für die goldenen Männchen nominiert ist. Warum tut sie das um diese frühe Zeit, wenn selbst in Kalifornien noch nicht die Sonne scheint? Damit die Live-Übertragung auch zur besten Sendezeit im Frühstücksfernsehen an der Ostküste (der Westküste drei Stunden voraus) für hohe Einschaltquoten sorgen kann.
Daniel Day-Lewis braucht nicht den Fernseher einzuschalten. Er hat eine Nominierung sicher für seine Lincoln-Darstellung in Steven Spielbergs Bürgerkriegs- und Sklaverei-Geschichtsschinken. Michael Haneke für sein ‘Amour’ genauso. Spannender ist, ob die Akademiemitglieder auch Quentin Tarantinos Version der Sklavengeschichte ‘Django Unchained’ mit Nominierungen ehrt. Humor und Gewalt des blutigen Spaghetti-Western mit Oscar-Gewinner Christoph Waltz in einer Hauptrolle neben Jamie Fox, Kerry Washington und Leonardo DiCaprio dürfte für manche schwer verdaulich sein.
Auch spannend: ob die einzige Frau, die jemals einen Regie-Oscar gewonnen hat wieder eine Chance bekommt. Kathryn Bigelow löst nach ‘Hurt Locker’ mit ihrer Leinwandversion Osama bin Laden-Jagd ‘Zero Dark Thirty’ Kontroversen um Medienkooperation des CIA sowie um Sinn und Zweck von Folter aus. Ich wette, sie bekommt eine Nominierung.
Scheinbar ist auch sicher, dass das Kino-Musical ‘Les Miserables’ von den Akademiemitgliedern mit Nominierungen geehrt wird. Ich habe das Kostüm- und Gesangspektakel noch nicht gesehen. Singende Schauspieler sind einfach nicht meine Sache. Angeblich hat es das Zeug, den Erfolg von ‘Chicago’ von vor zehn Jahren zu wiederholen.
Heftig die Daumen drücke ich neben Christoph Waltz Quvenzhane Wallis. Die neunjährige Hushpuppy stiehlt in der wunderbren Mischung aus Realität und traumartigen Sequenzen ‘Southern Beasts of the Wild’ allen die Schow. Bekommt Quvenzhane eine Nominierung wird sie eindeutig der Liebling auf und um jeden roten Teppich.
Leider werde ich am Tag der Oscar-Verleihung, dem angeblichen Höhepunkt des Hollywood-Kalenders am 24. Februar, dank der zahllosen Nominierungen, Preisverleihungen und Ehrungen wie jedes Jahr komplett erschöpft und vor allem froh sein, wenn der letzte Oscar für den besten Film vergeben ist.
Neugierig wer gewinnt, bin ich trotzdem. Noch.
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Ich wusste, dass die Deutsche Bank mir bei der Suche nach der Wahrheit im verworrenen Geflecht um Zwangsausweisungen nicht wirklich helfen wollte, als ich die Mail des Bank-Sprechers aus New York öffnete. Er hatte mir versprochen, der Text werde alles erklären, was ich wissen wollte. Er ist zwölf Seiten lang, hat reichlich Fußnoten und beginnt mit der Geschichte des US-Eisenbahnbaus im 19. Jahrhundert.
Ich konnte mir nun sehr gut vorstellen, welche Erfahrungen die kaum englisch sprechende Margarita Lucero gemacht hatte, als sie aus ihrem Haus geworfen wurde, erfuhr, dass die Deutsche Bank ihr Haus laut Besitzurkunde besitzt und der Sache auf den Grund gehen wollte. Bis dahin hatte Margarita nie etwas mit der Deutschen Bank zu tun gehabt. Jetzt wollte sie eine Erklärung und den neuen Hypothekenvertrag, den man ihr versprochen hatte. Sie erfuhr über Umwege, dass Deutsche Bank als Treuhänder Investoren vertritt aber nicht für Zwangsausweisungen zuständig ist. Diese unerfreuliche Arbeit erledigt Dienstleister Carrington Mortgage Service für das Geldinstitut.
Margarita Lucero hat 15 Jahre ihre Hypothekenraten pünktlich bezahlt. Vor zwei Jahren bat sie um niedrigere Raten. Sie bekam über Carrington Mortgages zweimal einen Übergangsvertrag mit dem Versprechen, wenn sie die Raten dafür pünktlich zahle würde sie eine neue Hypothek bekommen. Der zweite Übergangsvertrag lief aus. Eine neue Vereinbarung gab es nicht. Die Sheriffs kamen und warfen die Familie aus dem Haus. Margarita Lucero erfuhr, dass die Deutsche Bank ihr Haus besitzt – und dass niemand mehr mit ihr verhandeln will.
Sie wandte sich an die Occupy-Bewegung. Die prüfte den Fall und schaltete sich ein. Seit acht Wochen besetzen sie mit Mama Lucero Grundstück und Haus. Ihre Kinder, Bruder und Schwägerin sind bei Freunden und Verwandten untergebracht. Die Besetzer fordern von der Bank, dass sie der Familie Lucero, die nichts geschenkt haben will, ihr Haus mit einem fairen Vertrag zurück gibt. Sie demonstrieren, schreiben Briefe, rufen Politiker, Staatsanwälte, Banken und Konsulate an. Bisher haben sie keine Antwort bekommen. Jetzt bereiten sie eine Sammelklage gegen die Deutsche Bank vor. Familie Lucero ist nur einer von vielen ähnlichen Fällen in den USA.
Ich fragte die Deutschen Bank, ob die Familie Lucero lügt, wenn sie behauptet, dass die Bank ihre Zwangsausweisung veranlasst habe. Der Sprecher wich mit ausschweifenden Formulierungen voller Fachwörter aus. Dasselbe passierte auf die Frage, ob die Bank die Zwangsausweisung stoppen könnten. Danach bekam ich die Mail, die alles erklären sollte. Beides sind Fragen, die mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten sind. Kein Wunder dass Mama Lucero ihre Hoffnung auf ein Weihnachten zu Hause mit ihrer Familie in die Hände der Besetzer legt, die mit Schlafsäcken, Zelten und Sofas in ihrem Garten leben.
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Alle wissen ja, dass in Amerika heute gewählt wird. Aber fast genau zeitgleich findet auch in China ein Machtwechsel statt. Von Wahl kann man hier zwar nicht sprechen. Ausgekungelt wurden die neuen Parteichefs in den Hinterzimmern der Kommunistischen Partei. Verkündet werden die neuen Miltglieder des engsten Machtzirkels – dem Ständigen Ausschuss des Politbüros der KPCh – auf dem am Donnerstag beginnenden Parteitag. Der findet nur alle fünf Jahre statt. Und deshalb ist es auch etwas Besonderes, dass die Großmacht USA und die Vielleicht-Bald-Großmacht China mit nur wenigen Tagen Abstand beide ihre politische Spitze zur Disposition stellen oder austauschen. Zum letzten Mal fanden US-Präsidentenwahl und KPCh-Parteitag im Jahr 1992 zeitgleich statt. Damals siegte in den USA Bill Clinton. In China war aber – drei Jahre nach der Niederschlagung der Tiananmen-Proteste – an einen Stabswechsel garnicht zu denken. Der damalige Parteichef und Präsident Jiang Zemin war gerade erst drei Jahre an der Macht und auf dem Parteitreffen eher dabei, diese zu konsolidieren. In den achtziger Jahren wechselten sich zwar einige Parteichefs ab, doch der starke Mann war der alte Reformpatriarch Deng Xiaoping. Und davor herrschten Mao und zumeist auch das Chaos.
Klar, der Spaß an einem solchen zeitlichen Zusammentreffen ist vor allem was für eingefleischte Politjunkies. Denn wahrscheinlich wird sich zwischen beiden Staaten gar nicht viel ändern – auch wenn der voraussichtliche neue KP-Chef und Präsident Xi Jinping am Ruder ist, und dann beim nächsten Gipfel entweder Obama oder Romney die Hand schüttelt. Die bilateralen Beziehungen der beiden Staaten gelten als die wichtigsten der Welt, und sie sind trotz regelmäßiger Spannungen und gelegentlichem Misstrauen eigentlich stabil.
Wie sehr die Amerikaner den chinesischen Stabwechsel in der Partei beobachten, ist von Peking aus schwer zu sagen. Aber die Chinesen schauen genau auf die USA. Die Debatten standen auf chinesischen Video-Plattformen. Obama sorgte auch hier 2008 für eine gewisse Aufregung. Seit damals gibt es auf Klamottenmärkten T-Shirts mit Obama im Mao-Käppi. Oder Autoaufkleber wie diesen hier:
Schickaniere mich nicht, steht da drauf: Mein Großer Bruder ist OBAMA.
Viele Chinese interessieren sich gar mehr für die US-Wahl als für den Generationswechsel daheim. Mehr Farbe, es fliegen die Fetzen in einem öffentlichen Wahlkampf, und ja überhaupt, man kann eben etwas auswählen. Zumindest Chinas Netizens haben dabei ähnliche Vorlieben wie die meisten Europäer Bei einer Umfrage des Microblogs Weibo führte Obama innerhalb von zwei Tagen mit 7:1.
Chinas Staatsmedien meckern derweil, denn beide Kandidaten prügeln auf China ein – das so genannte China-Bashing hat im US-Wahlkampf Tradition. Besonders kernig gibt sich Mitt Romney, der China gleich am ersten Amtstag als Präsident zum Währungsmanipulator abstempeln will. Angst vor Romney? Ach wo. Man müsse Romneys Parolen nicht beim Wort nehmen, glaubt Shen Dingli, Direktor des Zentrums für Amerikastudien an der Shanghaier Fudan-Universität. „Romney wird das gleiche tun wie Clinton, Bush oder Obama“, so Shen. Sprich: Nach dem Wahlkampfgetöse die Politik auf das übliche Lautstärke herunterfahren.
In den USA laufen jetzt die letzen Stunden vor der Wahl. In Peking ist die Stadt noch zwei Tage im Warte- und Ausnahmezustand. Patrouillen suchen die Stadt ab nach reaktionären Slogans, die Polizei lässt stadtbekannte Dissidenten nicht aus den Augen. Überhaupt stehen überall Polizisten. Und selbst Taxifahrer haben genaue Anweisungen: Weiträumig umfahren sollten sie den Tagungsort am Platz des Himmlischen Friedens, und darauf achten, dass Fahrgäste keine Anti-KP-Parolen an ihrem Auto befestigen. Auch dürfen sie niemanden mitnehmen, der irgendeine Art von Ball transportiert. Es könnte ja sein, dass der Fahrgast Tischtennisbälle mit subversiven Botschaften aus dem Auto wirft. Daher müssen die Fahrer die Fensterscheiben auf den Rücksitzen blockieren. In China wird eben nichts dem Zufall überlassen.
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Am Tag nach dem Sturm ist New York eine geteilte Stadt. Die eine ist von Sandy hart getroffen – mit Überschwemmung, Stromausfall und dem Schock, trotz High-Tech so verwundbar zu sein. Die andere hat gewaltigen Böen erlebt, aber sonst kaum unter dem Monstersturm gelitten – und probt Business as Usual.
Glücklicherweise wohne ich in einem wettertechnisch privilegierten Viertel an einem Hang in Brooklyn, Park Slope. Oder vielleicht sollte ich schreiben “sandy-privilegierten Viertel”. Denn Park Slope wurde im vergangenen Frühjahr von einem lokalen Tornado heimgesucht, der dutzende Bäume zu Fall brachte. Womöglich ist dies einer der Gründe, weshalb Sandy den Bäumen in unserer Nachbarschaft vergleichsweise wenig zusetzte. Ja, einige sind gefallen, aber doch viel weniger als wir erwartet hatten.
Insgesamt war die Stimmung in Park Slope heute geradezu fröhlich. Brooklyns Stadtteilpräsident Marty Markowitz hatte schon morgens kämpferisch die Parole ausgegeben: “Der Sturm hat sich die falsche Stadt ausgesucht, wir geben nicht auf!” Viele Leute gingen einkaufen – zwei von drei Läden hatten geöffnet -, und vor allem waren Restaurants und Kneipen dicht besetzt. Die Menschen feierten den zusätzlichen Feiertag – kaum einer konnte wegen U-Bahn-Ausfalls und gesperrter Tunnels zur Arbeit – und die Erleichterung, eine Katastrophe unvermutet gut überstanden zu haben.
Aber auch in Red Hook, einem Viertel in der Evakuierungs-Zone am East River, bewiesen die Leute Standfestigkeit und Humor.
Das zeigten nicht nur solche Graffitis, sondern auch die Atmosphäre in dem Viertel. Während die Keller ausgepumpt wurden, standen die Leute in Grüppchen zusammen, tauschten Tipps aus und Neuigkeiten. Und selbst in Downtown Manhattan ist die Lage weniger dramatisch als viele Fernsehbilder vermitteln. Wir mieteten heute nachmittag einen Wagen und fuhren durchs Börsenviertel. Das Wasser ist längst abgeflossen; der spärliche Verkehr läuft trotz ausgefallener Ampeln reibungslos. Während die Subway nach wie vor still steht, fahren schon wieder Busse – kostenlos. Sandsack-Barrieren wie hier vor Goldman Sachs werden abgebaut.
In den deutschen Medien ist das Unspektakuläre verständlicherweise nicht so interessant. Doch es entsteht auf diese Weise ein schiefes Bild. Wir erhielten viele Mails von Angehörigen und Freunden, die Angst hatten, dass wir einem kompletten Chaos zum Opfer gefallen wären. Manche mochten unsere beruhigenden Antworten kaum glauben. Es war ihnen nicht bewusst, dass zwar in 600 000 Haushalten der Strom ausgefallen ist – aber rund vier Millionen keine Probleme haben.
Fotos: Christine Mattauch
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Der Sturm ist da. Einmal mehr liegt New York in Agonie. Die Küstengebiete sind evakuiert worden, U-Bahnen und Busse fahren seit gestern abend nicht mehr. In vielen Supermärkten sind die Lebensmittelregale leergekauft und Batterien ausgegangen. Schulen und Universitäten sind geschlossen und auch der Parketthandel der Börse – gemeinhin ein sicheres Zeichen dafür, dass die Sache ernst ist.
Das alles stimmt und vermittelt doch ein falsches Bild. Die Windböen, die bei uns in Brooklyn ums Haus heulen, sind bisher kaum stärker als bei manchen Gewittern. Und als ich gerade einen Spaziergang auf unsere Viertels-Einkaufsstraße 7th Avenue wagte, war ich überrascht, wie viele Menschen unterwegs sind.
Einige führen ihre Hunde aus, andere gehen ganz normal einkaufen oder essen – denn tatsächlich haben diverse Läden und Restaurants geöffnet, von der Drogerie Rite Aid über den Billigjapaner Shinju bis zur Hamburgerkette Cheeburger, wo sich ein paar Jugendliche über Fritten hermachten. Die Post allerdings hat zu. Auch unser Hardwarestore Tarzian samt angrenzender Drogerie, der sonst keine Gelegenheit zum Geschäft auslässt, ist so kunstfertig verrammelt, als wolle der Inhaber Reklame für Klebstreifen machen. Vielleicht will er das ja auch.
An den Küsten Staten Islands und Brooklyns ist die Lage ebenfalls durchwachsen, wie klatschnasse Reporter im Lokalfernsehen NY1 berichten. Riesige Brecher arbeiten sich an den Stränden empor, und heute nacht wird das noch schlimmer werden, wenn die Flut ihren Höchststand erreicht. Vorerst aber laufen auch dort noch viele Anwohner über die Promenaden und sagen den Reportern ins Mikrofon, dass sie überhaupt nicht daran denken, ihre Wohnungen zu verlassen – obwohl die Stadt in den großen Sozialsiedlungen jenseits der Promenade schon gestern Aufzüge, Heizungen und Warmwasser abstellen ließ, um die Evakuierung zu beschleunigen. In New York wird nicht gerade sanft mit Almosenempfängern umgegangen. Busse mit Polizisten fahren durch die Straßen, um evakuierungswillige Mitbürger einzuladen.
Hat das Hurrican Center Sandy – in der Boulevardpresse auch „Frankenstorm“ genannt, in Anspielung auf Frankenstein, schließlich ist übermorgen Halloween – etwa überschätzt? Die Prognosen der Wetterstationen sind erstaunlich unterschiedlich. Einige sagen, dass der Höhepunkt des Sturms heute abend gegen 18 oder 20 Uhr lokaler Zeit zu erwarten sei, andere meinen, das Schlimmste sei bereits vorbei. Unser Vollkornbrot und die Thunfischdosen jedenfalls liegen noch ungeöffnet im Schrank. So langsam beginne ich mich mit dem Gedanken zu befassen, wer das eigentlich alles essen soll, wenn der Sturm vorüber ist.
Fotos: Christine Mattauch
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An diesem Sonntag vormittag ist es in New York ganz schön windig – Laub wirbelt durch die Luft, und auf der Straße haben viele eine Kapuze über den Kopf gezogen. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was uns offenbar bevor steht: Im Laufe der kommenden Nacht, spätestens am Montag wird Hurrikan Sandy an der Ostküste eintreffen. Mit bis zu 120 Stundenkilometern und heftigem Regen. „Ein solcher Sturm ist noch nie da gewesen“, warnte Rick Knabb, vom National Hurricane Center. Das Besondere ist vor allem die Ausdehnung von Sandy – der Sturm ist so groß, dass er die Küste von North Carolina bis hoch nach Maine schädigen und, wenn er wie vorhergesagt nach Westen zieht, den gesamten Bundesstaat Pennsylvania erfassen wird. Der Meeresspiegel an der Küste soll um bis zu zweieinhalb Meter ansteigen, da zufällig auch noch gerade Vollmond ist mit ohnehin höherem Wasserstand. Andrew Cuomo, Gouverneur des Staates New York, hat den Notstand ausgerufen.
„Heute ist der Tag, um sich vorzubereiten, morgen ist es zu spät“, warnt das Wetterfernsehen. Aber eigentlich ist es heute schon zu spät. Als ich gerade noch ein paar Wassercontainer im Supermarkt kaufen wollte, waren die Regale schon ziemlich leer.
Hätte ich nur auf die Drogeriekette CVS gehört. Die schickte schon am Samstag eine Mail mit der Überschrift „Christine, be hurrican-prepared“! Genau 20 Sachen waren aufgeführt, die man für den Fall der Fälle unbedingt im Haus haben müsse, darunter Pflaster, Windeln, Kerzen und Taschenlampen. Zufälligerweise alles Dinge, die CVS im Sortiment hat.
Auch ein „handbetriebener Dosenöffner“ gehört laut Drogerie zur Notfallausstattung. Tatsächlich besteht für die Menschen außerhalb der küstennahen Gebiete das größte Risiko des Wirbelsturms darin, dass der Strom ausfällt. Und damit möglicherweise auch Gas- und Wasserwerke den Betrieb einstellen. Es ist fast unheimlich, mit welcher Geschwindigkeit einschlägige Unternehmen reagieren. Auf der Website weather.com waren gestern große Banner des Batterieherstellers Duracell geschaltet, und im Fernsehen gibt es Werbung für den dezentralen Stromgenerator „Generac“: „Never feel powerless“.
Gerade trat Gouverneur Cuomo, im Fernsehen auf und stahl damit dem New Yorker Bürgermeister Bloomberg die Show – die beiden Männer befinden sich in einer Dauerkonkurrenz, die offenbar auch in Notzeiten keine gemeinsame Pressekonferenz zulässt. Jedenfalls wissen wir jetzt, dass U-Bahnen ab 19 Uhr und Busse ab 21 Uhr nicht mehr fahren. Ob morgen die Schulen geschlossen bleiben, wird später entschieden.
Wir stellen uns jedenfalls auf einen gemütlichen Montag ein, an dem wir uns von Vollkornbrot und Thunfisch ernähren und die Körperreinigung mit kaltem Wasser aus der Waschschüssel vornehmen. Notfalls bei Kerzenlicht. Arbeiten können wir spätestens dann nicht mehr, wenn die Akkus leer sind. Stromausfall hat auch seine guten Seiten.
Foto: Christine Mattauch
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Über 40 Grad, kläffende und knurrende hyper-muskulöse Wachhunde, kritische Blicke durch verschlossene Stahltüren und vergitterte Fenster – nicht die besten Bedingungen für eine Tour mit Obama-Anhängern auf Wählermobilisierung. Sie verteilen Registrierungs-Formulare und fragen, ob ihnen jemand beim Kampf für die Wiederwahl des US-Präsidenten helfen möchte. Ehrenamtlich natürlich. Im Viertel leben vor allem Latinos und Schwarze. Arbeitslosigkeit und Kriminalität sind hoch, Einkommen niedrig. Interesse an der Wahl zwischen Obama und Romney zeigen wenig. “Ich hab zu viele andere Sorgen, um mich um den Zirkus auch noch zu kümmern.” “Macht haben sowieso nur die, die auch Geld haben!” “Ob ich wähle oder nicht ändert auch nichts an der Lage.” So oder ähnlich reagieren die meisten auf die Aufforderung, am sechsten November ihre Stimme abzugeben. Wenn sie überhaupt die Tür aufmachen.
Mehr als 200 Millionen Bürger der USA sind alt genug um zu wählen. Achtzig Millionen davon haben vor vier Jahren nicht gewählt und dieses Jahr sollen es noch mehr werden. Beide Parteien verstärken ihre Bemühungen, die Basis zu mobilisieren.
Ich mache mich nach dem Gang durchs Viertel mit den ehrenamtlichen Helfern alleine auf den Weg und frage genauer nach. Dabei erlebe ich mehr Frustration aber auch zwei wunderbare Überraschungen: Im Friseursalon will ein 18 jähriger deutsch lernen und spendiert mir für die Übersetzung von “Ich heiße Terry” und “Du hast einen schönen Ausschnitt” einen Freestyle-Rap über das Ghetto, die Wahl und deutsches Radio.
Durchgeschwitzt und erschöpft raffe ich mich zu einem letzten Interview mit einer Frau um die 40 auf, die an einer Ampel steht. Sie ist auf dem Weg zur Arbeit, macht Nachspeisen in einem Restaurant. Ihre neuste Erfindung: Kürbis-Schwarzbier-Eis. Das Restaurant ist geschlossen. Sie lässt mich durch die Hintertür in die Küche und reicht mir eine riesige Kugel Eis im Becher zum Mitnehmen. Super-lecker und das perfekte Ende für diesen Tag.
Beide – der rappende Friseur und die großzügige Nachspeisen-Expertin wollen übrigens im November wählen.
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Viele Amerikaner haben deutsche Vorfahren: Über 20 Millionen Haushalte gaben bei der letzten Volkszählung an, deutsche Wurzeln zu haben. Im Alltag ist von diesem Erbe wenig zu spüren, sieht man einmal von den zahlreichen, oft grotesk klischeehaften “Oktoberfests” ab, die durchaus auch außerhalb des Oktober veranstaltet werden. Doch die Namen haben sich erhalten. Die Sprechstundenhilfe unseres Zahnarztes etwa heißt mit Nachnamen “Wolke” (wir brachten ihr aus Deutschland Reinhards Meys Hit “Über den Wolken” mit). Ein besonders schönes Beispiel begegnete uns vor drei Wochen am Keuka-Lake im Staat New York:
Ich machte das Foto nur kurz im Vorbeifahren. Hinterher dachte ich, dass wir doch in den Laden hätten reingehen sollen. Denn es hätte mich schon interessieren, wie die Amerikaner das aussprechen: “Knäpp änd Schläppi”?
Foto: Christine Mattauch
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Als Anfang des Monats die erste Hitzewelle über New York hereinbrach, beschloss ich, schwimmen zu gehen. Nicht an einem der Strände, die die Metropole umgeben, sondern in einem öffentlichen Outdoor-Pool. Wenige Tage zuvor war in Greenpoint, einem Brooklyner Stadtteil, das McCarren-Schwimmbad wieder eröffnet worden, und auf das war ich neugierig. 1936 erbaut, war die auf 1500 Besucher ausgelegte Anlage in den 70er Jahren zunehmend verfallen, bis sie 1984 dichtgemacht wurde. 28 lange Jahre blieb sie geschlossen, zum Ärger der Anwohner, bis sich Bürgermeister Michael Bloomberg erbarmte. Die Lokalpresse feierte die 50-Millionen-Dollar-Renovierung wie einen Sieg – die New York Times nannte sie „einen Meilenstein für eine neue soziale Dynamik in der Stadt“. Nun gut. In der Tat gehen die Millionäre, an denen es in der Stadt nicht gerade mangelt, am Wochenende nicht ins Freibad, sondern fliegen per Hubschrauber an die Strände der Hamptons. Und Greenpoint ist das, was man hier eine „mixed neighborhood“ nennt – ein raues Arbeiterviertel, das vor einigen Jahren von Intellektuellen und dann auch von jungen Familien entdeckt worden ist.
Da wir mit einem gewissen Andrang rechneten, suchten wir uns den strategisch günstigsten Zeitpunkt aus: Am späten Nachmittag, wenn die Familien zusammenpacken, um pünktlich zum Abendessen zuhause zu sein – die Abendbrotzeit in Amerika beginnt klassischerweise um 18 Uhr. Nach einer halbstündigen U-Bahnfahrt endlich angekommen, trauten wir unseren Augen nicht: Vor dem Eingang warteten ungefähr 300 Leute in einer Schlange, ordentlich eingefasst von Sperrgittern. Ins Bad eingelassen wurden jeweils nur so viele, wie heraus kamen. Das waren nicht eben viele.
Wir fragten eine Ordnungshüterin, wie lange es schätzungsweise dauern würde, bis wir hineinkämen, wenn wir uns einreihten. Sie wollte sich nicht festlegen: „Ich bin den ersten Tag hier.“ Dann sagte sie, dass wir noch Glück hätten, denn am Mittag habe sich die Schlange einmal um die komplette Anlage gewickelt. Unsere Strategie war also nicht ganz falsch gewesen, doch das half uns trotzdem nicht viel. Es ging auf 17.30 Uhr zu und war immer noch brütend heiß, und um 19 Uhr sollte das Bad schon wieder zu machen.
Wie gut, dass wir uns bereits zuhause über die gastronomische Infrastruktur von Greenpoint informiert hatten. Dort gibt es das „Radegast“, einen der seltenen Biergärten in New York – beziehungsweise was New Yorker unter einem solchen verstehen. So ganz unter freiem Himmel ist er nicht, schon gar nicht unter Bäumen, sondern in einer alten Lagerhalle mit Schiebeglasdach. Immerhin, es gibt deutsches Bier. Und so kühlten wir uns statt mit Poolwasser mit Radeberger naturtrüb ab.
Wir waren über die Entwicklung des Abends nicht ganz traurig. Am nächsten Tag bedauerten wir sie noch viel weniger. Da lasen wir in der New York Times, dass es in der Badeanstalt zu Randale gekommen war: Als ein Bademeister ein paar Halbwüchsigen untersagte, per Rückwärtssalto ins Becken zu springen, verprügelten sie den Mann kurzerhand. Die Polizei kam, die Jugendlichen wurden wegen Zusammenrottung, Körperverletzung und Ruhestörung festgenommen, und das Bad eine Stunde früher geschlossen. Soviel zur neuen sozialen Dynamik. Mir taten nur die Leute leid, die anders als wir geduldig in der Schlange ausgeharrt hatten – für nichts.
Fotos: Christine Mattauch (5), Nikolaus Piper (2)
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Was ist wichtiger: Tempo oder Genauigkeit? In Zeiten von Twitter etc. pp. ist das eine nicht unerhebliche Frage für Medienschaffende. Aktueller Anlass, sie zu stellen, gibt die Verkündung des Urteils zur Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama, aufgrund der am Donnerstag anscheinend die ganze Welt nach Washington geschaut hat. (Behaupten jedenfalls die Journalisten.)
Um 10:09 Uhr verschickte der Nachrichtensender CNN die folgende Meldung: “The Supreme Court has struck down the individual mandate for health care – the legislation that requires all to have health insurance.”
Das war schnell, aber leider falsch, und beruhte auf einer falschen Auslegung des dicken Urteils. Neun Minuten später folgte deshalb die Korrektur: “The Supreme Court back all parts of President Obamas signature health care law, including the individual mandate that requires all to have health insurance.” Autsch.
Besonders peinlich an diesem Fehlgriff, der übrigens auch Konkurrent Fox News unterlief: CNN täuschte selbst Präsident Obama, der die atemlose TV-Berichterstattung vom Oval Office im Weißen Haus aus verfolgte. Autsch.
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Zu einer der großen Überraschungen meines Korrespondentendaseins in den USA gehört, wie wenig sich Leserinnen und Leser (oder Redakteurinnen und Redakteure) für Indianer-Geschichten interessieren. Ich dachte immer, dass Berichte über das Leben der amerikanischen Ureinwohner in meiner Heimat auf besonders offene Ohren stoßen – obwohl ich in meiner Jugend nun wirklich kein Winnetou-Leser war.
Diese Geschichte beispielsweise: Kürzlich hat der konservative Bundesstaat North Dakota in einer Volksabstimmung entschieden, dass die staatliche Universität den Übernamen «Fighting Sioux» in den Ruhestand schicken darf. Dieser Übername, der vor allem bei Sportveranstaltungen der Universitätsmannschaften eingesetzt wurde, hatte angeblich Anspielungen auf die Widerstandskraft der Indianer geweckt. Solche (späte) Verbeugungen vor den «Native Americans sind aber heutzutage verpönt. Nur wenige Sportteams – die Redskins in der NFL (Football) beispielsweise, oder die Cleveland Indians in der MLB (Baseball) – halten noch an ihnen fest. Die Vereinigung der College-Sportorganisationen NCAA hingegen hat einen Bann verhängt: Wer an seinem Indianer-Maskottchen oder -Übernamen festhalten will, der wird im Gegenzug von den nationalen Sportwettbewerben verbannt. Da dies finanzielle Folgen hätte, befolgen fast alle Unis den Ukas der NCAA.
So weit, so gut. Die Geschichte in North Dakota – dem derzeit wirtschaftlich erfolgreichsten US-Bundessstaat übrigens – besitzt aber noch einen zusätzlichen Dreh. Der Stamm der Spirit Lake, ein Zweig der Sioux-Indianer, sprach sich nämlich ausdrücklich für die Beibehaltung des Übernamens aus. Und auch aus einem anderen lokalen Stamm waren positive Stimmen zu hören.
Eine spannende Geschichte, finde ich. Sie zeigt, wie stark sich die Beziehungen zwischen Einwanderern und Ureinwohnern verändert haben – und wie komplex sie immer noch sind, angesichts der wirtschaftlich desolaten Verhältnisse in vielen Indianer-Reservaten. Aber eben: Platz hat eine solche Geschichte derzeit in deutschsprachigen Tageszeitungen nicht. Ob es wohl daran liegt, dass die Winnetou-Fans langsam aussterben?
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“Während ich hier mit Ihnen sitze mache ich vermutlich 1500 Dollar mit dem Grundstück, das mein Großvater vor 70 Jahren für 1500 Dollar gekauft hat!” Der Mann, der das sagte ist Robert Anderson, Urenkel der ersten Managerin des Beverly Hills Hotels. Für ein Interview zu dessen hundertsten Geburtstag hat er mich in die Polo Lounge eingeladen, erzählt von großen Hollywood-Deals, die hier heute abgeschlossen werden, von Elizabeth Taylor, die in Bungalows des Hotels sechs von acht Flitterwochen verbrachte und von Marlene Dietrich, die an der Bar der Polo Lounge Hotelregeln brach: niemand konnte der deutschen Diva verbieten, Hosen zu tragen!
Am meisten beeindruckte mich allerdings die Geschichte von Andersons Urgroßmutter, der Gründerin des Hotelbetriebs.Margaret Anderson setzte in einer Zeit als Frauen noch nicht wählen konnten und Beverly Hills aus Feldwegen und Bohnenfeldern bestand auf Luxus. Die alleinstehende Mutter von zwei Kindern führte das Hotel zum Riesenerfolg. Ihr Sohn kaufte wenig später Immobilien in der aufstrebenden Stadt, unter anderem am Sunset Boulevard und dem heutigen Rodeo Drive. Daher das nette Einkommen von Margarets Urenkel Robert.
Nur wenige Tage nach meinem Mittagessen im Beverly Hills Hotel war ich einige Kilometer entfernt wieder am Sunset Boulevard, genauer gesagt an seinem Ostende, wo er Cesar Chavez Avenue heisst, benannt nach dem großen Kämpfer für Rechte der Landarbeiter in den USA. Im ältesten Viertel von Los Angeles, der heutigen Olvera Street traf ich den Nachkommen einer ganz anderen Familie:
Mike Mariscals Urgroßvater mietete einen der ersten Läden für mexikanische Souvenirs in der Fussgängerzone, die Touristen ins Pueblo anziehen sollte. Das Geschäft blieb in der Hand der selben Familie. Mike und seine Frau Rosa setzen sich von der Konkurrenz durch Poster, Postkarten, handbemalte Totenköpfe und handgeschnitzte Skulpturen von lokalen Künstlern ab. Die meisten Kunden sind Touristen ohne Blick für die Kunst. Sie kaufen Sombreros und Ponchos aus Massenproduktion. “Es ist schwer für uns, die Rechnungen zu bezahlen,” erzählt Mike. Die Häuser hier gehören der Stadt. Die hat vor einem Jahr angesichts von roten Haushaltszahlen die Miete um 300 Prozent erhöht.
Das Treffen dieser zwei Männer, die in vierter Generation an der selben Straße in Los Angeles wohnen, hat mir viel über die Geschichte der Stadt erzählt. Entscheidungen ihrer Urgroßeltern haben Los Angeles genauso wie die Leben von Robert Anderson und Mike Mariscal geprägt. Ihre Geschichten könnten kaum unterschiedlicher sein.
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Mit der US-Army verbindet mich eigentlich gar nichts. Doch als ich erfuhr, dass es möglich ist, in die Herzkammer der nationalen Verteidigung vorzudringen, ging ich mit. Es war keine Tour für Journalisten: Die Militärakademie West Point lädt jeden zur Besichtigung ein, der gewillt ist, 13 Dollar zu zahlen. Die Formalitäten waren, gemessen an den Sicherheitskontrollen eines durchschnittlichen New Yorker Bürogebäudes, geradezu lächerlich: Ein Wachmann warf einen kurzen Blick auf meinen Personalausweis.
Dabei gibt West Point ein perfektes Feindbild für Antiimperialisten. Jährlich treten in der Ausbildungsstätte 80 Kilometer nördlich von New York rund 1300 Kadetten an und lassen sich für Führungspositionen des US-Militärs ausbilden. Gleichzeitig studieren sie Geschichte, Wirtschaft oder Ingenieurwesen. Die Ausbildung dauert vier Jahre und ist, anders als die meisten Universitäten, kostenfrei. Im Gegenzug verpflichten sich die jungen Männer und Frauen – letztere stellen rund 15 Prozent der Kadetten – zu einer mehrjährigen Karriere bei der Army. Für die meisten Deutschen wäre das wohl nicht sehr attraktiv, doch die US-Kaderschmiede ist überlaufen: Auf einen Platz kommen fast zehn Bewerbungen. Und schon das Bewerben ist gar nicht so leicht, denn man braucht eine Empfehlung eines Kongressabgeordneten oder des US-Vizepräsidenten.
Gegründet wurde die Akademie bereits 1802. Die düsteren, wie eine neugotische Trutzburg gestalteten Hauptgebäude wurden allerdings erst hundert Jahre später gebaut. Sie stehen in einem eigenartigen Kontrast zu der lieblichen Umgebung – das Gelände liegt auf einer Anhöhe am Hudson und bietet atemberaubende Panoramen.
Das Areal ist riesig: 65 Quadratkilometer. Deshalb fuhren wir auch mit dem Bus. Erster Haltepunkt war – eine Kirche. Ein neugotischer Prachtbau, in dem jeden Sonntag ein evangelischer Gottesdienst gehalten wird. „Die Teilnahme ist nicht obligatorisch, aber die meisten kommen trotzdem“, erklärte Jane, unsere Führerin. Es gibt auf dem Gelände auch eine katholische Kirche und eine Synagoge.
Überhaupt ist West Point ein ziemlich komplettes Gemeinwesen. Nicht nur die Kadetten wohnen dort, in studentenwohnheimähnlichen Baracken (jeweils zwei teilen sich eine Stube). Auch der Akademieleiter und Lehrkräfte sind dort untergebracht, in hübschen kleinen Villen. Besucher können im luxuriösen Thayer Hotel absteigen, für 200 Dollar die Nacht. Es gibt neben den Lehrgebäuden ein Offizierskasino mit Aussicht auf den Hudson, ausgedehnte Sportfazilitäten samt Baseballstadium, und, natürlich, einen Exzerzierplatz. Straßen, Zäune, Mauern – alles ist in tiptop in Ordnung, ein krasser Gegensatz zur zivilen Infrastruktur der Vereinigten Staaten.
Drei Mal dürften wir aus dem Bus aussteigen: bei der Kirche, an einem Denkmal mit vielen Kanonen und am Exerzierplatz. Fotografieren war ausdrücklich erlaubt. Kadetten indes sahen wir nur von Ferne und vom Bus aus. Sie trugen ausnahmslos Uniform und wirkten sehr ernsthaft. Die Wirtin unseres B&B erzählte später, dass das Pensum so anstrengend ist, dass die jungen Leute nur eines wollen, wenn sie etwa wegen Elternbesuchs Ausgang erhalten: schlafen.
Die Offenheit von West Point war mir sympathisch. Was mir nicht gefiel, waren die Texte zur Militärgeschichte im hauseigenen Museum. Zum Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs fand sich ein einziger Satz: „Die Ursachen waren äußerst komplex und beinhalteten verfassungsrechtliche, ökonomische, politische und moralische Themen.“ So lässt sich der Kampf gegen die Sklaverei also auch beschreiben. So verständlich es ist, dass sich das Militär scheut, politische Positionen zu beziehen – ein Bekenntnis zu bestimmten Grundwerten erwarte ich von einer Armee in einem demokratischen Staat schon.
Zum Abschluss der Tour ging ich ins Visitor Center, das einen riesigen Souvenirladen beherbergt. Ich überlegte, ob ich eine schwarze Küchenschürze mit „Army“-Aufdruck kaufen sollte, Servietten mit „Army“-Logo oder lieber einen „Army“-Regenschirm. Am Ende entschied ich mich für Socken. In Zukunft kann mir also keiner vorwerfen, dass mich nichts mit der Army verbindet. Auch wenn ich sie, streng genommen, mit den Füßen trete.
Fotos: Christine Mattauch
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Vor Kurzem fuhr ich in eine trostlose Gegend im Osten von Los Angeles, machte mich zwischen Schrottplätzen und Autowerkstätten auf die Suche nach einem neunjährigen Jungen, der derzeit Kinder, Eltern, Lehrer, Künstler und überhaupt alle inspiriert, die das Video über ihn angeschaut haben. Es zeigt Caine, der in den Sommerferien im Laden seines Vaters für gebrauchte Autoteile ausgeklügelte Spiele aus Pappe, Papier, Klebeband, Schnur und ein paar anderen Utensilien baut, die im Geschäft rumliegen. Er begann mit einem Basketballspiel gebaut aus Pappe und dem Netz, das Caine in seiner Lieblingspizzeria bekommen hat. Sein Lieblingsspiel ist die Greifmaschine aus einem Haken, einer Schnur und einem oben eingeritzten Pappkarton mit Sichtfenster aus Klebeband und bunten Preisen, nach denen Kunden angeln können. Doch: in der Gegend gibt es keine Fußgänger und der Vater macht seine Geschäfte inzwischen fast ausschließlich online. Deshalb hatte Caine lange keine Kunden – abgesehen von der Sekretärin oder mitfühlenden älteren Brüdern.
Bis zu dem Tag als Filmemacher Nirvan Mullick auf der Suche nach einem Türgriff für sein altes Auto den Laden betritt. Er sieht die Spielhalle aus Pappe, fängt an zu spielen, ist an seine Kindheit erinnert und beschließt einen Kurzfilm über Caine’s Arcade zu machen. Als Nirvan hört, dass Caine keine Kunden hat schafft er einen Event auf facebook – und Dutzende kommen um zu spielen. Es wird Caines glücklichster Tag in seinem neunjährigen Leben. Nirvan filmt alles und erzählt die Geschichte in einem liebevoll produzierten Film, den er ins Internet stellt.
Damit ändert sich das Leben aller Beteiligten – Caine bekommt eine facebookseite mit inzwischen über 112 tausend Fans, wird an Unis, zur NASA und zu Unternehmerkonferenzen eingeladen. Seine Eltern haben keine Zeit mehr mit Autoteilen zu handeln und jedes Wochenende wollen Hunderte Caine
s Spiele spielen. Es gibt inzwischen zwei Stiftungen in seinem Namen. Die eine sammelt Geld damit Caine studieren kann, die andere fördert Kinder mit erfinderischem Unternehmergeist.
Caine bleibt bei alledem auf dem Teppich. Mein Interview mit ihm wurde ziemlich kurz. Caine hat keine Geduld für viele Fragen, er will sich um seine Spiele und seine Kunden kümmern!
Wie wunderbar, dass er das alles gebaut hat ohne an Geld und Erfolg zu denken und dass sich Filmemacher Nirvan Zeit zum Spielen genommen hat!
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Flip-Flops im April? Das ist krass, selbst für New York. Aber nicht in diesem Jahr. Schon Ostern liefen hier viele Leute in Sommerkleidung herum – Shorts oder Minirock, kurzärmliges T-Shirt. Und zeigten eben Flip Flops, die hier so selbstverständlich auf der Straße getragen werden wie in Deutschland in der Badeanstalt. Okay, tatsächlich stand das Thermometer für ein oder zwei Tage auf 29 Grad. Ansonsten war es sonnig, aber kühl. Ich fand es kalt. Zog Übergangsjacke an und Lederstiefel.
Trotzdem ist der Frühling in diesem Jahr unzweifelhaft früh dran. Zu früh! Der Dogwood-Baum vor unserer Haustür blüht einen geschlagenen Monat eher als üblich. Ich traute meinen Augen kaum, als ich vergangene Woche Eastern Carpenter Bees im Hinterhof herumfliegen sah – Riesenbienen, die aussehen wie große Hummeln. Nach meiner Erinnerung lassen sie sich sonst frühestens Ende Mai blicken. Und als ich bei Facebook mein Profilbild austauschte, auf dem ich samt Pflanzen auf dem Treppenabsatz zu sehen bin, fragte ein deutscher Freund und Kollege entgeistert, ob ich wirklich schon den Oleander rausgestellt hätte. Ja, habe ich.
Bei den japanischstämmigen New Yorkern gerät der Terminplan aus dem Ruder, weil die Kirschblüte viel zu früh begonnen hat, mindestens zwei Wochen. Dabei ist Hanami, das Fest zur Feier der Kirschblüte, ein wichtiger Anlass. Man trifft sich mit Freunden und Verwandten im Brooklyn Botanical Garden und fotografiert sich gegenseitig vor den wunderschönen Blüten. Die Fotos auf dieser Seite entstanden bereits Mitte April, aber das offizielle Sakura Matsuri Festival ist auf Ende April terminiert. Da werden die meisten Bäume bereits verblüht sein.
Dieses Wochenende hat das Thermometer einen Satz nach unten gemacht. Es herrschen 11 bis 12 Grad Celsius und es regnet. Die Carpenter Bees haben sich verkrochen und unser Vermieter hat die Heizung aufgedreht. Allerdings tragen, wie man in der U-Bahn sieht, ein paar Hartgesottene weiterhin Flipflops. Sie haben einen unschlagbaren Vorteil: Sie sind billig. Und sehr viele New Yorker sind arm.
Fotos: Nikolaus Piper (1), Christine Mattauch (3)
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Ich bin noch nichtmal ganz im Restaurant, da begrüßt mich ein grauhaariger Lockenkopf in ausgewaschenem Sweatshirt und zerrissenen Jeans mit freundlichstem Lächeln und einer weit ausholenden Geste, die mir bedeutet, ich solle mich neben ihn an die Bar setzen. Aus den Lautsprechern klingt Carly Simons’ “You’re so vain”. Über den Tischen neben der Bar hängen bunte Kunstwerke, ein Surfbrett und eine US-Flagge mit Friedenszeichen über den blau-weißen Streifen. Zwischen den Tischen laufen wedelnd Hunde herum. Die Gäste begrüßen sich mit heftigen Umarmungen und großem Hallo als hätten sie sich Ewigkeiten nicht gesehen. Es stellt sich heraus, dass sie sich andauernd über den Weg laufen, sie sind alle Nachbarn in Topanga, einer Gemeinde nur wenige Kilometer entfernt von Los Angeles mitten in den Bergen. Hier ist die Zeit in den späten 60 ern stehen geblieben. Topanga Canyon war damals DER Ort für Musiker. Im Topanga Corral spielten Joni Mitchell, Bob Dylan, Jim Morrison und George Harrison. Canned Heat war die Houseband und Neil Young besass ein Haus am Fluß. Während ich meinen Cafe au Lait trinke höre ich Geschichten von Nächten, in denen sich die Bewohner zugekifft in die Wiesen legten und UFOs beobachteten nur um später festzustellen, dass die Raumschiffe mit Außerirdischen über LAX kreisende Flugzeuge waren. Pat, der Besitzer des Restaurants empfiehlt, den Dichter zu besuchen, der mit Hilfe eines Joints noch immer sein 60 Strophen langes Topanga-Gedicht von 1970 aufsagen kann. Oder die Chakra-Expertin, die alles über magnetische Felder unter der Region weiß. Ich könnte mich auch auf die Suche nach Uschi Obermaier machen. Die Kommune-1-Ikone entwirft hier oben ihre Schmuckkollektion.
Alle Gespräche über Topanga führen irgendwann zu wortreichen Versuchen, den ‘Vibe’, die ‘Energie’, die ‘Community’ hier zu beschreiben. Karen ist vor einem Monat aus Los Angeles in die Berge gezogen. Hier kann die Hauverwalterin besser meditieren, findet optimalen Zugang zu ihrer spirituellen Seite und atmet endlich wieder richtig durch. Der Sweatshirt-Träger, der mich so überschwänglich an die Bar gebeten hat, ist Filmproduzent. Philip kam zum ersten Mal 1969 nach Topanga und hat sich vor fünf Jahren endlich ein Haus hier gekauft mit traumhafter Ausicht auf Berge und Pazifik. “Ich bin mein Leben lang durch die Welt gereist und habe nach dem perfekten Ort zum Leben gesucht,” erzählt er. “Dabei war er direkt vor meiner Nase, nur zehn Kilometer entfernt von Downtown Los Angeles!”
Pat ist bis heute für die Warnung seiner Mutter dankbar. Kaum war die Familie 1964 in Los Angeles angekommen sagte die: “Geh blos nicht nach Topanga! Da sind lauter zugedröhnte Nichtsnutze mit langem Haar!” Pat war damals 16 Jahre alt und nahm diese Warnung zum Anlass so schnell wie möglich nach Topanga zu trampen. “Sie hatte Recht! Und ich passte perfekt dazu!” Pats langes Haar ist inzwischen dünn und grau geworden. Er bindet es mit einem bunten Gummi im Nacken zusammen. Natürlich ist alles auf seiner Speisekarte Öko – von den Kaffeebohnen über das Obst bis zu den Eiern von freilaufenden Hühnern. Nach einem langen Frühstück und kräftigen Abschiedsumarmungen spaziere ich durchs kleine Dorfzentrum. In den Schaufenstern liegen Kristalle, Räucherstäbchen und Batikhemden. Yogalehrer, Heiler und Trommlerinnen werben für ihre Künste. Bilder von kleinen Hütten am Fluss und Anwesen auf Hügelgipfeln hängen im Fenster des Immobilienladens. Unter 750 tausend Dollar ist kein Stück vom Hippie-Paradies zu bekommen. Die Anwesen oben auf den Bergkuppeln kosten mehrere Millionen. Ich fahre die Serpentinenstraße durch die Hügel zurück in die Stadt, schon jetzt wehmütig in Erinnerung an die hinter mir liegende gute alte Hippiewelt.
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Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf mag es vor Überraschungen nur so wimmeln. Eine Konstante aber lässt sich immerhin erkennen: Brooks & Dunn, das erfolgreichste Country-Duo der Musikgeschichte, stellt zum dritten Mal in Folge den beliebtesten Wahlkampfsong. Rick Santorum greift auf «Only in America» zurück. Newt Gingrich lässt das Lied in krachender Lautstärke abspielen. Und auch auf Romney-Veranstaltungen war es bereits zu hören. Das hat Tradition: George W. Bush und Dick Cheney liebten den Song, und während des Wahlkampfs 2004 waren Brooks & Dunn fast an jeder Veranstaltung der Republikaner zu hören. Aber auch der aktuelle Bewohner des Weißen Hauses besitzt ein Faible für das flotte Lied: Kaum hatte Barack Obama vor vier Jahren am Parteitag der Demokraten die Nomination zum Präsidentschaftskandidaten akzeptiert, plärrte «Only in America»durch die Lautsprecher. Und Zehntausende seiner Parteigänger schunkelten mit und sangen aus voller Kehle: «We all get a chance / Everybody gets to dance / Only in America.» Übersetzt heißt das, etwas holperig: Alle haben wir eine Chance, jeder kommt einmal zum Zuge, das gibt es nur in Amerika.
Wahlkampflieder gehören in den USA zu politischen Kampagnen wie die Ansteckknöpfe, die aggressiven Werbespots und die Nationalhymne. Nichts bringt das Blut der Anhänger schneller in Wallung als ein stampfender Song. Das außergewöhnliche an «Only in America» ist allerdings, dass das Lied (unsichtbare) politische Grenzen überschreitet. Denn Country-Musik, jedenfalls gemäß dem Stereotyp, das ist die Musik, die Republikaner sich anhören, diese fleischessenden, waffentragenden Cowboys. Demokraten hingegen sind urban, hip und immer am Puls des Zeitgeistes. Ein Klischee? Selbstverständlich. Ein Blick auf die offizielle Musikliste von Obama, die kürzlich durch dessen Wahlkampfstab veröffentlicht wurde, bestätigt aber, wie unterschiedlich die Geschmäcker sind. Unter den 29 Songs, die während Wahlkampfauftritten des Präsidenten gespielt werden, finden sich Lieder der Gruppen Arcade Fire («We used to wait»), die erste Singleauskoppelung von Bruce Springsteens neuem, poppigen Album («We take care of our own») und (programmatische) Klassiker wie Al Greens «Let’s stay together». Vergeblich sucht man allerdings nach einem Rap- oder Hip-Hop-Song; zu riskant, werden sich die Berater dem Präsidenten wohl gesagt haben. «Ausgeschlossen, dass diese Lieder zufällig gewählt werden», lautet der Kommentar des Musikprofessors Benjamin Schoening, der an der University of Wisconsin in Rice Lake lehrt.
Denn Wahlkampfsongs gleichen Minenfeldern. Ganz Washington zerriss sich jüngst das Maul darüber, dass der Skandal-Musiker Kid Rock, auch als Kurzzeit-Gatte von Pamela Anderson bekannt, nun den Obersaubermann Mitt Romney unterstützt. Der Song «Born Free» ist seither an jeder Veranstaltung des Präsidentschaftskandidaten zu hören. Die konservative Publikation «Daily Caller» machte sich deshalb einen Spaß daraus, den Text des Lieds «WCSR» zu zitieren, ein Duett von Kid Rock mit dem Rapper Snoop Dogg, das vor Obszönitäten nur so strotzt. Ein anderes Beispiel: Vor vier Jahren erkor die damalige Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton die Classic-Rock-Hymne «Takin’ care of business» zu ihrem offiziellen Wahlkampfsong, auch wegen des zupackenden Titels – dumm nur, dass sich Bachmann-Turner-Overdrive in dem Stück lustig über den arbeitenden Teil der Bevölkerung macht. Auch John Edwards, der einst Präsident hätte werden wollen, nun aber bald wegen einem angeblichen Verstoß gegen die Wahlfinanzierungsgesetze vor Gericht steht, griff 2008 daneben. Sein Lieblingssong – «Small Town» des linken Sängers John Mellencamp – enthält die Zeile: «All my friends are so small town», was übersetzt etwa heißt: Meine Freunde sind ach so provinziell.
Manchmal setzt ein erzürnter Musiker dem Treiben der Politiker auch ein Ende. So ließ sich Bruce Springsteen 1984 nicht durch Präsident Ronald Reagan vereinnahmen, als dieser plötzlich den Kracher «Born in the U.S.A.» für sich entdeckte. Und jüngst klagte Frankie Sullivan, der Komponist des Songs «Eye of the tiger», den Präsidentschaftskandidaten Newt Gingrich ein – weil Gingrich ihn nicht um Erlaubnis gefragt habe, als er die alte Rocky-Hymne verwendete. Brooks & Dunn hingegen stören sich nicht darüber, dass ihr Song «Only in America» von Linken und Rechten gespielt wird. «Das Lied ist weder demokratisch noch republikanisch», sagte Kix Brooks jüngst dem Sender CNN. «Ich glaube, dass dies Politiker beider Parteien verstehen.»
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Manche Geschichten lassen mein Reporterinnenherz besonders hoch schlagen. Dazu gehört die vom gigantischen Granitbrocken, der derzeit auf dem Weg vom Steinbruch ins LACMA Museum in Los Angeles ist und dabei jede Menge Neugierige und wunderbare Kommentare anzieht.
Der Fels ist über zwei Stockwerke hoch und wiegt 340 Tonnen. Das ist so schwer wie eine Boeing 747, vollgeladen und vollgetankt. Über 160 Kilometer legt die wertvolle Fracht zurück – in Plastik verpackt und in einem extra dafür angefertigten Transporter mit fast 200 Rädern und 40 individuell steuerbaren Achsen hängend. Höchstgeschwindigkeit: acht Stundenkilometer. Der Konvoi kann aus verkehrstechnischen Gründen nur nachts unterwegs sein und aus gewichtstechnischen Gründen nur auf auserwählten Straßen fahren. Sonst müssten nicht nur Ampeln, Straßenschilder und Äste entfernt werden sondern auch Brücken und Autobahnauffahrten. Der Sinn des Ganzen? Der Granitbrocken ist entscheidender Bestandteil der Skulptur ‘Levitated Mass’ des Künstlers Michael Heizer. Der hatte 1968 die Vision einer Betonspalte, die sich in den Boden gräbt und auf deren Mitte ein Riesenfels scheinbar schwebend zum Liegen kommt. Erst vor sechs Jahren hat er den richtigen Fels gefunden – im Steinbruch östlich von Los Angeles. Das LACMA Museum ist begeistert von der Skulptur. Private Spender haben zehn Millionen Dollar gegeben und dank Meisterleistungen von Ingenieuren und Stadtplanern bewegt sich nun der Fels in Richtung Museum.
Eine wahre Reporter-Schatzgrupe sind all die Neugierigen, die sich rund um den Fels versammeln. Die Diskussionen, die der Transport auslöst sind natürlich gewaltig: vor allem geht es dabei darum ob ein Riesengranitbrocken auf einer Betonspalte Kunst ist und ob die zehn Millionen Dollar nicht sinnvoller ausgegeben werden könnten, zum Beispiel um Obdach- und Arbeitslosen zu helfen. Ganz nebenbei ist eine riesige Fangemeinde entstanden. Der Granitbrocken löst Heiratsanträge, Fotowettbewerbe, Facebook- und Twitterseiten aus. Ist er nachts unterwegs, folgen Hunderte der Transport-Meisterleistung. Ist er tagsüber geparkt, gibt es Rockfestivals und Kunstunterricht am Wegesrand.
Ein wenig erinnert mich das alles an die Stimmung am Reichstag in Berlin, als der von Christo und Jean Claude verhüllt wurde. Ob das alles Kunst ist wird für mich dabei komplett nebensächlich. Der Granitblock verbindet die Stadt wie es wenige Ereignisse können. Viele, die den Transport verfolgen werden zum Museum kommen, um in der Betonspalte unter dem Brocken zu stehen. Dem wird man dann all die Arbeit nicht mehr ansehen. 340 Tonnen schwebend unter wolkenlosem blauen Himmel. Großartig!
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Die New York Times hatte gestern auf der ersten Wirtschaftsseite eine Geschichte über Deutschland. Der Artikel begann so: „Torsten Emmel mag aussehen wie ein unschuldiger Florist, ein netter Typ mit Glatze und Schürze, der sorgfältig die Stiele seiner Freesien kürzt. Tatsächlich ist er ein Gesetzesbrecher. Sein Vergehen: Er setzte ein Schild auf den Gehsteig, auf dem er ankündigte, seinen Laden am Muttertag von 9 bis 16 Uhr zu öffnen.“ Das, erklärt die Times ihren Lesern, sei in Deutschland illegal – und ein Beleg für strukturelle Schwäche: „Es zeigt, dass die deutsche Wirtschaft unter der gleichen Überregulierung und Sklerose leidet, die typischerweise mit den Problem-Ländern Europas verbunden werden.“
Sonntagsruhe gleich verkalkte Strukturen gleich Griechenland – die Gleichsetzung ist kühn, vorsichtig ausgedrückt. Sicher enthält sie ein Körnchen Wahrheit über die deutsche Mentalität, doch sie sagt mindestens ebenso viel aus über die Amerikaner, beziehungsweise über den Stellenwert, den sie dem Konsum beimessen. Es ist in den USA unvorstellbar, am Sonntag nicht shoppen zu können. Der Tag ist für viele der wichtigste Einkaufstag – dann hat man endlich Zeit! Das Gleiche gilt für die wenigen Feiertage wie President’s Day oder Columbus Day, die 1968 per Gesetz auf einen Montag verlegt wurden. Wunderbar, ein langes Wochenende zum Einkaufen! Samstags- und Sonntagsausgabe der New York Times schwellen dank der vielen Reklamebeilagen auf das Doppelte, und ältere Semester wie ich erinnern sich wehmütig, dass so ein Umfang in der Hoch-Zeit der gedruckten Presse der Normale war.
Selbst in unserer Brooklyner Einkaufsstraße, für die die Bezeichnung Nebenzentrum eher hochtrabend wäre, haben sonntags nahezu sämtliche Läden geöffnet. Auch mein Zahnarzt macht Termine – nicht weiter erstaunlich: Da er Jude ist, ist sein Feiertag der Samstag. Doch auch mein Friseur hat sonntags geöffnet, und der ist aus Sizilien eingewandert und bekennender Katholik. Die einzigen, die aus irgendeinem Grund verlässlich geschlossen sind, sind Reinigungen.
In den ersten Monaten nach meiner Ankunft fand ich es irritierend, dass die Woche keinen natürlichen Rhythmus hat. Die äußere Uhr läuft einfach weiter und ich wurde nicht, wie in Deutschland, durch Stille beim Aufwachen an das Gebot erinnert „Am siebten Tage sollst du ruhen“. Inzwischen habe ich gelernt, mir meinen eigenen Rhythmus zu geben und eine Wochenendroutine zu entwickeln, indem ich zum Beispiel ausdrücklich am Samstag einkaufen gehe und nicht am Sonntag. Ob Amerikaner das verstehen würden?
Der Artikel in der New York Times enthält übrigens noch weitere interessante Breitseiten, etwa dass auch die Handwerksrolle die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwächt: „Jahre der Ausbildung sind erforderlich, um als Maler, Schornsteinfeger oder Fahrradtechniker zu arbeiten.“ Als Ökonomin, die an der liberalen Universität zu Köln studiert hat, hätte ich der Kritik vor meinem USA-Aufenthalt ohne weiteres zugestimmt. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Die mit dicker weißer Farbe überstrichenen Lichtschalter und Türknäufe in unserer Altbauwohnung machen ebenso nachdenklich wie der verkehrt angeschraubte Überlauf in der Badewanne. Bizarr verlief unser Auftrag an einen Schreiner, der Umzugsschäden am Parkett beseitigen sollte und das Schleifen und Lackieren von zwei mexikanischen Tagelöhnern erledigen ließ, während er selbst den Lieferwagen um den Block fuhr, angeblich weil er keinen Parkplatz fand. Ein Freund aus London – auch dort ist das Handwerk liberalisiert – unterhielt monatelang eine ganze Facebook-Gemeinde mit der Horror-Story einer Dachreparatur.
Während ich dies schreibe, frage ich mich, was der Kollege der New York Times denken würde, wenn er meinen Blog lesen würde: „Ein typisch deutsches Lamento“? Vielleicht ist es an der Zeit, die kulturellen Unterschiede einfach zu akzeptieren und nicht in Schablonen zu packen. Zumal ich mir inzwischen in Deutschland zuweilen schon fast vorkomme wie eine Amerikanerin – ich vermisse Flexibilität und Improvisationstalent. Außerdem wäre es schön, den vergessenen Brokkoli auch am Sonntag noch schnell einkaufen zu können.
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Ein beliebter Zeitvertrieb in Washington ist das Rätselraten über die nächsten Karriereschritte des politischen Spitzenpersonals. Es erstaunt deshalb nicht weiter, dass sich die halbe Hauptstadt derzeit den Kopf über die Zukunft von Außenministerin Hillary Clinton zerbricht. Der Auslöser: Robert Zoellick, Weltbank-Präsident seit gut fünf Jahren, gab bekannt, dass er sich nicht um eine zweite Amtszeit bewerben werde. Stattdessen tritt der Republikaner, inthronisiert durch den damaligen Präsidenten George W. Bush, auf Ende Juni zurück. Und Clinton gilt – zusammen mit Ex-Finanzminister Larry Summers – als heiße Anwärterin für den Posten, der traditionsgemäß durch das Weiße Haus vergeben wird. (Gemäß den ungeschriebenen Regeln ist Europa im Gegenzug zuständig für die Wahl des Direktors des Internationalen Währungsfonds, der Schwester-Organisation der Weltbank.) Bereits im Juni 2011 publizierte die Nachrichtenagentur Reuters einen Artikel, in dem behauptet wurde, dass Clinton «diesen Job» will. Mit diesen Worten jedenfalls wurde eine angeblich gut informierte Quelle zitiert. Angeblich unterstütze Präsident Barack Obama ihren Wunsch nach Veränderung.
Sowohl das Weiße Haus als auch das Außenministerium bezeichneten die Meldung aber als unzutreffend. Der Sprecher Obamas sagte vorige Woche: «Komplett falsch». Und die Sprecherin des State Departments verkündete: Clintons «Meinung hat sich nicht geändert», und ein Wechsel aus dem Außenministerium in die Weltbank – die beiden Gebäude sind in Washington eigentliche Nachbarn – stehe nicht an. Solch klare Worte sollten die Gerüchteküche eigentlich zum Verstummen bringen. Hinzu kommt, dass die 64-Jährige kein Geheimnis aus ihrem Wunsch gemacht hat, auf Ende Jahr in den Ruhestand zu treten. In der amerikanischen Hauptstadt allerdings werden Dementis selten zum Nennwert genommen. Denn die wenigsten Akteure können sich vorstellen, dass sich Clinton, die seit den Siebzigerjahren politisch aktiv ist, plötzlich zur Ruhe setzt – um darauf zu warten, dass ihre Tochter Chelsea ihr endlich ein Grosskind schenkt, wie Gatte Bill einmal scherzend sagte. Hillary, behauptete der Ex-Präsident, wünsche sich nichts sehnlicher als endlich Großmutter zu werden.
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Über den Eifer, mit dem in New York Straßen, Wegstrecken und Brücken nach Prominenten benannt werden, habe ich bereits in einem früheren Blog geschrieben. Die Queensboro Bridge beispielsweise, die die Stadtteile Bronx und Queens verbindet, wurde vor guten einem Jahr offiziell umgetauft und dem früheren New Yorker Bürgermeister Edward “Ed” Koch gewidmet – was allerdings bis heute den wenigsten Einwohnern bekannt ist. Der inzwischen 87jährige Mayor nimmt’s mit Humor, wie ein kultverdächtiges Video zeigt. Darin begibt sich der gegenwärtige Bürgermeister Michael Bloomberg auf eine Fahrt in die Bronx – und begegnet dabei unerwarteterweise seinem Vor-Vorgänger. Der kleine Film wimmelt vor Insider-Gags und Anspielungen auf lokalpolitische Scharmützel, aber auch wer sie nicht versteht, wird Freude haben an dem sich selbst karrikierenden Demokraten Koch, der versucht, eine weitere Brücke für sich zu reklamieren…
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Madonna nannte ihn ‘den Folterer’. Der Produzent des ‘Artists’ verneigte sich vor ‘dem Boss’ und Meryl Streep bedankte sich bei ‘Gott’. Sie alle sprachen am Sonntag bei der Verleihung der Golden Globes von dem Mann, der ihnen zum Sieg verhalf und in einem Jahr voller Leinwandeffekte einen französischen Stummfilm in schwarz-weiss zum Favoriten der Oscar-Saison machte: Harvey Weinstein, eine Hälfte des Produzentenduos der Weinstein Company aus New York.
Harvey hat den Wahlkampf um den begehrtesten Filmpreis von Hollywood perfektioniert. In den Monaten vor der Oscar-Verleihung bricht Harvey über Hollywood herein wie eine Riesenwelle. Niemand kann sich seiner Wucht und Macht entziehen. Harvey überschüttet die 6000 Mitglieder der Oscar-Akademie mit persönlichen DVDs seiner Filme, die sie auf Riesenleinwänden in den Entertainmentsälen ihrer Villas in Malibu und Beverly Hills abspielen können. Harvey schmeisst die tollsten Partys in den teuersten Hotels, mit Stars, tollem Essen und reichlich Getränken. Harvey schickt Spione in Filmpremieren und lässt sich erzählen wie Akademiemitglieder reagieren.
1999 hat Harvey ganz Hollywood schockiert. Er startete eine aggressive Multi-Millionen-Dollar-Kampagne für seinen Film ‘Shakespeare in Love’ und gewann den Oscar für den besten Film. Wissen Sie wer auch im Rennen war? Hollywoodliebling Steven Spielberg mit dem Film ‘Der Soldat Ryan’, in dem ein anderer Hollywoodliebling – Tom Hanks – die Hauptrolle spielt.
Harvey liebt Kino. Und Harvey liebt den Wettkampf. Im Sport, in der Politik und wenn es um seine Filme geht. Aus der Politik hat Harvey gelernt, dass man manchmal kleine Bomben schmeissen muss, um die Aufmerksamkeit der Massen zu bekommen. Dafür scheut er weder Kosten noch Kontroversen. In diesem Jahr hat treten Harveys ‘The Artist’, ‘Die Eiserne Lady’ und ‘My Week With Marilyn’ unter anderem an gegen ein Kriegsdrama mit einem Pferd in der Hauptrolle, gedreht und koproduziert von eben erwähntem Herrn Spielberg. Ich wette, dass Harvey mal wieder eine Riesen-Oscar-Party schmeisst, bei der ihm willige Folteropfer zu Füßen liegen werden.
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Als Wirtschaftsjournalistin komme ich eher selten mit der Kunstszene in Berührung. Gestern abend jedoch war ich zu einer Party eingeladen, auf der Christo erscheinen sollte. Der Christo? Genau der.
Angeblich passiert es einem in New York ja alle naselang, dass man Prominenten begegnet. Vor einigen Monaten saß ich in Berlin in einem Taxi zum Flughafen, und der Taxifahrer war sehr beeindruckt, als er mitbekam, dass ich in New York lebe. „Und – wie viele Stars haben Sie schon gesehen?“ fragte er gespannt. Ich war verdutzt. „Also – eigentlich keinen“, sagte ich. Er konnte es nicht fassen. „Keinen? Keinen?“ Seine Enttäuschung tat mir weh. Es war so schön gewesen, ein wenig bewundert zu werden. Fieberhaft dachte ich nach. Und tatsächlich, es fiel mir jemand ein, der in Deutschland zumindest als Halbpromi durchgeht. Glaubte ich. „Herrn Ackermann und seiner Frau bin ich mal in der Vorweihnachtszeit beim Einkaufsbummel begegnet“, sagte ich triumphierend. Im Rückspiegel sah ich die ratlosen Augen des Fahrers. „Ackermann? Wer ist das?“ Geknickt murmelte ich etwas von der Deutschen Bank. Der Fahrer sagte nichts mehr.
Seit dieser Episode denke ich manchmal darüber nach, was ich anders machen müsste, um gelegentlich Woody Allen oder Robert de Niro zu treffen. Das erste wäre wohl, häufiger nach Manhattan zu fahren, „in die Stadt“, wie wir Brooklyner sagen. Ich müsste in Lokale gehen, die ich mir nicht leisten kann, gekleidet in teure Designerklamotten, die ich nicht besitze. Das wichtigste aber wäre, die Stars überhaupt zu erkennen. Und da würde ich wahrscheinlich kläglich versagen, da ich wenig fernsehe und„People“ höchstens mal beim Friseur zur Hand nehme.
Auch an Christo würde ich in einem Lokal möglicherweise vorbei laufen. Gestern abend aber war ich vorgewarnt, außerdem war der Künstler ständig von einer Traube Bewunderer umgeben, die sich gegenseitig zusammen mit dem Promi fotografierten. Christo, unauffällig gekleidet in dunkelblauer Jeans und schwarzem Blazer, ließ sich geduldig ablichten. Ich fand das peinlich und ging nicht in die Nähe. Obwohl eine ganz kleine Stimme in mir quengelte, dass sie auch gern so ein Foto haben würde.
„Silencium!“, rief der Gastgeber. Christo müsse gleich wieder fort, wolle aber zuvor noch sein neues Projekt vorstellen. Christo sagte als erstes, wie schade es sei, dass seine vor zwei Jahren gestorbene Frau Jeanne Claude diesen Augenblick nicht erleben könne. Sie habe maßgeblichen Anteil an der Idee, den Arkansas River in Colorado auf einer Strecke von 42 Meilen mit Stoffbahnen zu überspannen. Seit 1992 hatten die beiden für das Projekt gekämpft – in diesem November wurde es von den Behörden genehmigt. Mehr als 9000 Haken zur Befestigung der Stoffbahnen müssen eingeschlagen werden, bevor das 50-Millionen-Projekt 2014 eröffnet wird. Lange Wartezeiten und Widerstand ist der 76jährige freilich gewohnt. Er erzählte, dass er den Reichstag nur habe verpacken dürfen, weil sich die seinerzeit populäre Rita Süssmuth in einem Machtpoker mit Helmut Kohl durchgesetzt habe. Und die Installation von 7500 orangefarbenen Toren im New Yorker Central Park hätten nacheinander drei Bürgermeister abgelehnt, bevor Michael Bloomberg sie 2005 endlich erlaubte.
Dann wollte sich der Künstler verabschieden, was aber nicht ging, da er bereits wieder umlagert war. Blitzlichtgewitter. Ich stand da gerade neben einem Börsenkorrespondenten vom Deutschen Anleger Fernsehen, der wie ich den Trubel beobachtete. Ich erzählte ihm, dass ich noch nicht einmal daran gedacht hatte, eine Kamera mitzunehmen. Er hatte natürlich eine dabei – Fernsehleute wissen, wie wichtig Bilder sind. „Geh hin zu Christo, ich mach ein Foto von euch“, sagte er. Ich wollte erst nicht – da löste sich Christo aus der Umklammerung seiner Fans und ging einen Schritt in meine Richtung. Das Ergebnis haben Sie bereits gesehen.
Und so kann ich nächstes Mal, wenn sich ein deutscher Taxifahrer für meine Prominentenbekanntschaften interessiert, damit angeben, dass ich Christo die Hand geschüttelt habe. „Der Künstler, der mal den Reichstag verpackt hat, Sie wissen schon.“ Und wenn er es nicht glaubt, dann sage ich: „Bitte lesen Sie meinen Weltreporter-Blog vom 30. November 2011!“
Foto: Manuel Koch
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„99% Clean“, titelte die New York Post triumphierend, nachdem die New Yorker Polizei das Zeltlager von Occupy Wall Street diese Woche geräumt hatte. Das rechtslastige Boulevardblatt (Eigentümer: Rupert Murdoch) hatte zuvor eine regelrechte Kampagne gegen die Besetzer im Zuccotti-Park gefahren und Bürgermeister Michael Bloomberg in starken Worten aufgefordert, die „Hippies“ und „Gammler“ zu entfernen. Volkes Stimme? Eher nicht. Nach einer Umfrage des Fernsehsenders NY1 sympathisieren 57 Prozent der New Yorker Wähler mit den Demonstranten, vor allem junge Leute.
Mit der Räumung sind die Proteste freilich keineswegs vorbei. Zwar hat die Bewegung keine einheitliche ideologische Führung, aber sie ist schlagkräftig, flexibel und professionell organisiert. Gestern abend um 18.30 Uhr wurden Emails versandt, die den 17. November zum „Day of Strenght and Solidarity“ erklärten, mit der Absicht, die Wall Street zum Börsenauftakt lahmzulegen.
Tatsächlich versammelten sich heute morgen hunderte in Downtown Manhattan, woraufhin die Polizei die Zugänge zur Wall Street blockierte – und, insofern, das Anliegen der Besetzer umsetzte. Wer sich als Mitarbeiter der NYSE ausweisen konnte oder sonst wie einen seriösen Eindruck machte, kam freilich trotzdem durch. Das sorgte, wie die New York Times berichtet, neben ernsthafter Konfrontation auch schon mal für Heiterkeit. Als die Polizei an einer Straßenecke mal wieder zwei Männer in Anzügen passieren ließ, rief ein Demonstrant: „Hey, gibt’s einen Dress-Code für diese Kreuzung?“
Persönlich sind mir die Proteste, nicht zuletzt in Erinnerung an eigene Jungendaktionen, einerseits sympathisch, und das drastische Wohlstandsgefälle der US-Gesellschaft lädt wirklich ein zu Widerspruch. Andererseits hat die Frontenbildung etwas Bizarres. Mag die NYSE für die Besetzer ein Symbol für die globalen Finanzmärkte sein – in Wahrheit ist deren Bedeutung im Zuge der Computerisierung der vergangenen Jahre erheblich geschrumpft. Die elektronischen Plattformen, die das Geschäft inzwischen zu großen Teilen besorgen, sitzen in New Jersey oder in Kansas, wo die Mieten billig sind, und an der Wall Street bangen die wenigen verbliebenen Parketthändler um ihre Arbeitsplätze. Nicht dass sie sich deshalb mit den Demonstranten solidarisieren würden – das ist eine andere Welt.
Am meisten unter den durch OWS ausgelösten Blockaden leiden die kleinen Geschäftsleute in Downtown, genau jene Mittelschicht also, deren Verschwinden die Demonstranten wortreich beklagen. Das Problem: Die Kunden kommen nicht mehr durch. Schon als die Besetzer noch im Zuccotti Park kampierten, soll in einem benachbarten Cafe das Geschäft derartig zurückgegangen sein, dass der Inhaber 20 Leute entließ.
Als ich diese Meldung las, war ich allerdings verwundert, denn als ich an einem Sonntag vor zwei Wochen den Zuccotti Park besuchte, hatte ich den Eindruck, dass das Zeltlager wie ein Magnet auf Touristen wirkte. Hunderte bestaunten und fotografierten Zelte und Bewohner. Ich dachte zuerst, dass die Besetzer davon ziemlich genervt sein müssten, aber sehr schnell realisierte ich, dass das Gegenteil der Fall war. Denn der Besucherstrom führte zu Einnahmen: Es gab Solidaritätsbuttons für zwei Dollar das Stück, eine OWS-Zeitung für einen Dollar. Die einmalige Chance nutzen auch Andere, darunter diverse Straßenkünstler und eine trotzkistische Splittergruppe, die Zeitungen verkaufte, in denen das Engagement der USA gegen den libyschen Diktator Gaddafi angegriffen wurde. So wie der Zuccotti-Park überhaupt zur Sammlungsstätte der wunderlichsten Aktivisten mutierte, die gegen den thailändischen König ebenso protestierten wie gegen die Kommerzialisierung von Hip Hop und die Notenbank Fed.
Unter Finanznot leidet OWS jedenfalls nicht: Zwischen Mitte September und Ende Oktober hatten die Demonstranten fast eine halbe Million Dollar Spenden gesammelt und nur einen kleinen Teil davon ausgegeben, 55 000 Dollar. Da bleibt genug, um Winterquartiere und noch viele Aktionen zu organisieren. Einen Überblick über Ein- und Ausgaben veröffentlichte die zuständige OWS-Arbeitsgruppe übrigens in einem ordentlichen Finanzbericht. Spontanität hin oder her – die Kasse muss stimmen. Vielleicht sind die Welten diesseits und jenseits der Blockaden ja doch gar nicht so verschieden.
Fotos: Christine Mattauch
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Es ist November und das bedeutet für Los Angeles Regenfälle. Eigentlich ein Ereignis, das man angesichts vertrockneter Vorgärten, sonnenverbrannter Hügel und erhöhter Brandgefahr mit Freudenstänzen begrüßen sollte. Schließlich handelt es sich bisher ausschließlich um Regen in Ausmaßen, über die meine Verwandtschaft aus Wuppertal nur milde lächeln kann – zwei Zentimeter höchstens pro Tag. Und die Schauer dauern höchstens ein paar Stunden. Danach kommt die Sonne raus und es gibt traumhafte Regenbögen.
Doch so sicher wie Lindsay Lohan wieder vor Gericht landet, rufen die lokalen Fernsehstationen in Los Angeles beim ersten November-Regen den Ausnahmezustand aus. STORM WATCH! Moderatoren kündigen mit hysterisch geweiteten Augen umfassende Berichterstattung aus allen gefährdeten Regionen an als würde es sich um ein Kriegsgebiet handeln. Reporter haben die Wahl, sich für die Abendnachrichten entweder LIVE vor einer Riesenpfütze im Berufsverkehr von vorbeifahrenden Autos nassspritzen zu lassen oder in die Berge zu fahren, um dort LIVE schwitzend unter Pudelmütze, mit Wollhandschuhen und Superdaunenjacke von den ersten mutigen Snowboardern zu berichten. Damit die Unterlage für deren Eskapaden taugt, muss sie natürlich mit künstlichem Schnee angereichert werden. Genauso wie die Riesenpfütze in der Stadt weniger durch starke Regenfälle als durch ein komplett veraltetes Abflusssystem zu erklären ist.
Ich muss zugeben, dass auch mein Körper nach acht Jahren Kalifornien verweichlicht ist, ich bei Temperaturen unter 15 Grad dicke Socken und Plüschpullis aus dem Schrank hole und überlege, ob wir den Kamin anfeuern sollten.
In meinem ersten November 2003 in Los Angeles hatte ich mich noch im T-Shirt höhnisch über lokale Weicheier lustig gemacht. Schließlich habe ich fünfzehn Berliner Winter überlebt!
Die STORM WATCH-Hysterie über anhaltende Regenschauer und den ersten Bergschnee zieht mir aber immernoch alle Jahre wieder die Plüsch-Pantoffeln aus.
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Mein Herz machte im Garten des schweizerischen Generalkonsuls einen kleinen Freudensprung. Ein Kurator des LACMA-Museums hatte mir gerade erzählt, dass er für das ganz Südkalifornien umfassende Kunstprojekt Pacific Standard Time die Filminstallation einer deutschstämmigen Künstlerin betreut. Endlich hatte ich einen Ansatz für meinen Bericht gefunden, der ihn von den Geschichten der Kolleginnen und Kollegen über das Giga-Kunstereignis unterscheiden würde. Der Kurator versprach, am Tag der Pressevorschau den Kontakt mit Maria Nordman herzustellen. Seinen nächsten Satz hätte ich etwas ernster nehmen sollen: “Ich habe schon mit vielen komplizierten Künstlern gearbeitet. Maria schießt den Vogel ab!”
Ein paar Tage vor dem Pressetermin bekam ich eine Email von der Künstlerin. Sie bat mich darum, ihr etwas von mir zu erzählen. Eigentlich gebe sie keine Interviews, könnte sich aber bereit erklären wenn wir uns etwas besser kennenlernen könnten. Ich schrieb ein wenig und schickte den link zu meiner webseite. Maria antwortete, sie freue sich darauf, mich bei der Pressevorschau näher kennenzulernen.
Auf den ersten Blick schien sie eine sehr freundliche, in ihrem weiten weißen Mantel und der Spiegelbrille nur leicht extravagante Künstlerin zu sein. Maria schüttelte meine Hand zur Begrüßung überschwenglich und bat, zunächst etwas mit ihr zu essen damit wir uns dabei besser kennenlernen könnten. Sie bat mich, mein Aufnahmegerät vorerst wieder einzupacken. Beim Essen sprach Maria mit jedem, der in unsere Nähe kam, aber kaum mit mir. Nach einer Stunde bat ich darum, mit ihr zur Installation ihres Films gehen zu können. Ihre Antwort: “Wir müssen uns erst noch ein bißchen besser kennenlernen.” Ihr Vorschlag: ein kleiner Spaziergang, um sich dem Werk von der besten Seite, vom Boulevard vor dem Museum, anzunähern.
An anderen Tagen hätte ich diese leichte Exzentrik sicher als wunderbaren Ausdruck eines Künstlercharakters empfunden, der sich nicht üblichen Konventionen beugt. An diesem Tag war ich unter Druck einer Deadline, schleppte eine schwere Tasche voller Papiermaterial über das Kunstprojekt mit mir herum und hatte noch nichts von den umfangreichen Ausstellungen gesehen, von denen Marias Werk nur ein minimaler Teil ist. Ich wurde nervös und packte mein Aufnahmegerät aus, um sie während des Gehens zu interviewen. Sie schaute mich leicht tadelnd an. “Aber wir müssen uns doch noch ein wenig besser kennenlernen.”
Wiederum eine Stunde später hatte Maria viele interessante Dinge erzählt, von denen ich nichts aufnehmen durfte, und mit jedem an uns vorbei kommenden Passanten, Kuratoren und Journalisten gesprochen. Auf meine Frage, was sie denn gerne über mich wissen wolle, antwortete sie vage, dass sie mich einfach nur ein wenig besser kennen lernen wolle. Sie stellte keine einzige Frage. Endlich kamen wir vor der Tür des Raumes an, in dem ihr Film gezeigt wird, wo sie sofort wieder mit einer Besucherin zu reden begann. Ich packte mein Aufnahmegerät aus.
Gerade als ich anfangen wollte, ihr Fragen zu stellen, erklärte sie, dass sie wirklich keine Interviews gebe, nur Gespräche führe. “Fein!” sagte ich etwas schnippisch. “Dann führen wir ein Gespräch.” “Ich müsste sie aber noch ein wenig besser …” bevor Maria den Satz beendet hatte kam ein Kollege in den Vorraum der Filminstallation, nahm sein Aufnahmegerät und hielt Maria ein Mikrofon unter die Nase. “Kann ich Ihnen ein paar Fragen stellen zu Pacific Standard Time und Ihrer Arbeit?”
Sie kennen die Antwort. Doch der Kollege blieb hartnäckig. “Nein, ganz einfache Fragen, ganz schnell.” Maria sah zwischen mir und dem Kollegen hin und her. “Ich weiß nicht, ich mach das eigentlich nicht… Und eigentlich habe ich Kerstin hier …”
Auf dieses Stichwort stand ich auf. “Kein Problem. Macht was Ihr wollt. Ich geh!” Ohne mich noch einmal umzusehen verließ ich den Austellungsraum. In meinem Bericht kam Maria mit keinem Wort vor, obwohl ihr schwarz-weiß-Film aus dem Jahr 1967 wirklich sehenswert ist.
Sie schrieb mir noch am selben Tag eine Email wie nett es gewesen sei, mich kennen zu lernen und welch gute Diskussionen wir geführt hätten. Jetzt könnte es auch mit einem Interview klappen. Sie habe mit dem netten Kollegen schonmal geübt.
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Hurrikan Irene – schon vergessen? Erst einen Monat ist es her, dass ganze Stadtviertel in New York evakuiert wurden, weil Meteorologen den Wirbelsturm durch die Metropole ziehen sah. Irene jedoch umkurvte die Großstadt weitgehend (siehe Blog vom 30.8.). Für die meisten New Yorker war die Sache damit erledigt. Nicht so für die Bewohner des Umlands, wie ich vor zehn Tagen bei einem Besuch der Catskill Mountains feststellte, einem Mittelgebirge rund 150 Kilometer nördlich des Big Apple.
Natürlich hatte ich von den Schäden gelesen, die der Sturm dort und auch in Vermont angerichtet hatte. Aber die unmittelbare Konfrontation mit den Schäden war erschütternd. Die Cold Spring Lodge bei Oliverea, in der sich unsere Hütte befand, war wundersamerweise verschont geblieben. Nur 50 Meter weiter jedoch hatte sich ein kleiner Fluss in einen reißenden Strom verwandelt, Häuser geflutet, Terrassen und Balkone weggerissen, Boote von Anhängern weggetragen und in die Wildnis geworfen.
Wir gingen die Landstraße ein Stück bergan und kamen an zwei riesigen Erdrutschen vorbei, glücklicherweise auf unbesiedeltem Terrain. Einige hundert Meter weiter hatte die Flut ein komplettes Haus aus dem Fundament gehoben – es handelte sich ausgerechnet um den örtlichen Lebensmittelladen. Die Besitzer muss so etwas wie Galgenhumor getrieben haben, als sie nach dem Desaster ein Verkaufsschild aufstellten und darunter schrieben „Flexible Price“.
Der nächste Supermarkt in Pine Hill ist etwa zehn Kilometer entfernt, und die Inhaberin erzählte, dass ihre Regale wie leer gefegt gewesen seien, weil die Menschen nirgendwo anders hätten einkaufen konnten. Sie sagte das nicht wie jemand, der ein gutes Geschäft gemacht hat. Sie wirkte eher, als stünde sie noch immer unter Schock.
Doch die meisten Menschen in der Katastrophenzone strahlten eine beeindruckende Mischung von Tatkraft und Gelassenheit aus. Etwa in Margaretville, eine Kleinstadt, die so stark zerstört wurde, dass ihr Präsident Barack Obama seine Aufwartung machte. Wir trafen dort am Sonntag um die Mittagszeit ein und parkten vor dem Tempel der Freimaurer. Eine ältere Frau saß vor dem Haus auf einem Gartenstuhl und sprach Passanten an, auch mich: Ob wir Putzgerät bräuchten, zum Säubern der vom Schlamm verdreckten Häuser? Durch eine Spende war sie in Besitz größerer Mengen Schrubber und Besen gelangt. Die lagerten nun im Treppenhaus der Freimaurer. „Nachher beginnt deren Versammlung, dann nehmen die den Rest mit“, hoffte die Dame.
Ein paar hundert Meter weiter hatte der Sturm ein halbes Geschäftszentrum weggerissen, aber die Läden hatten schon wieder geöffnet – in provisorischen Räumen in der nahe gelegenen Hauptstraße. Ein Drogist hatte ein Schild an der Tür, dass er „mindestens ein Prozent“ seiner Einnahmen der Monate September und Oktober den Flutopfern spenden werden. Und ein Schnellimbiss hatte trotzig ans Fenster geschrieben: „Was uns nicht umbringt, macht uns nur härter!“
Man kann nur hoffen, dass sich die Leute diese optimistische und solidarische Haltung bewahren. Von Vater Staat haben sie wenig zu erwarten: Die zerstrittenen Parteien in Washington konnten sich über Wochen hinweg nicht auf ein Hilfspaket einigen.
Fotos: Christine Mattauch
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Als die deutsch-deutsche Mauer fiel, war ich in Budapest und rercherchierte für meine Diplomarbeit. Mit ungläubiger Verwunderung blickte ich auf verwaschene schwarz-weiße Fernsehbilder von jubelnden Landsleuten und konnte nicht fassen, dass ich in dieser historischen Stunde am falschen Ort gelandet war.
Ähnlich fühlte ich mich, als ich vergangene Woche in München war, um ein neues Visum zu beantragen, und die Nachricht las, dass New York von Hurrikan „Irene“ heimgesucht werden sollte, dem womöglich stärksten Sturm seit Jahrzehnten. Ich las von Evakuierungen, nur wenige Kilometer von meinem Brooklyner Viertel Park Slope entfernt, von Subway-Stilllegung und Hamsterkäufen, und erhielt besorgte Emails von Freunden, die nicht wussten, dass ich mich sechstausend Kilometer entfernt im sicheren Deutschland aufhielt. Ich konnte alle beruhigen. Hinfliegen ging schon deshalb nicht, weil ich meinen Pass im Konsulat hatte abgeben müssen.
Die Katastrophe blieb aus, jedenfalls in der Metropole. Das stand auch in deutschen Zeitungen. Aber immerhin war „Irene“ ein formidabler Tropensturm. Deshalb war ich heute, nach der Landung auf JFK, gespannt auf das Ausmaß der Schäden vor Ort. Und fragte den Taxifahrer, der mit Panama-Hut, gestreiftem Hemd und karibischer Gelassenheit durch das Flughafengewühl steuerte. Er wiegte den Kopf. „Viel Wind, viel Regen. Aber nicht so schlecht.“ Nach kurzer Pause fügte er hinzu: „Gott steht über allem.“ Ich wollte nicht widersprechen und spähte um so aufmerksamer durchs Fenster. Aber von Sturmschäden sah ich wenig. Ein paar abgefallene Äste, das war’s, auf der kompletten Fahrt, die zirka eine Dreiviertelstunde dauert und durch dutzende von Wohnquartieren in Queens und Brooklyn führt.
Und in Park Slope, mit seinen vielen alten Bäumen? An meiner Haustür klebte eine Visitenkarte von „Leo’s Handyman“, einem Reparaturservice, der Sturmschäden behebt. Doch Leo scheint nicht viel zu tun zu bekommen. Bei einem ersten Rundgang durchs Viertel war alles so wie immer. Selbst die Subway meldet gegenwärtig lediglich ein Signalproblem und eine klemmende Weiche. Wer die New Yorker U-Bahn kennt, weiß, dass dies schon in normalen Zeiten als Erfolg zu werten ist.
Nicht überall lief es so glimpflich. In Manhattan, an der Lower East Side, trauern Nachbarn um einen entwurzelten alten Weidenbaum. „Es ist wie der Tod eines alten Freundes“, sagte einer. Der Baum stand in einem kleinen Gemeinschaftsgarten namens La Plaza, der auf wertvollem Baugrund angelegt ist und deshalb schon mehrfach dem Erdboden gleich gemacht werden sollte. Er hat sich aber dank des Einsatzes der Nachbarn für ihr Grün halten können, berichtet die New York Times, die für Heldengeschichten immer zu haben ist. Und jetzt, ohne die Weide? „Gott steht über allem“, würde der Taxifahrer mit dem Panama-Hut sagen.
Fotos: MTA
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In der Food Coop, in der ich immer einkaufen gehe, habe ich einen Lieblingskassierer. Er trägt sein Haar lang und offen und lackiert seine Fingernägel mal rot, mal gold – viel schöner, als ich das jemals könnte. Vergangenen Montag fiel mir auf, dass er ungeheuer müde aussah. „Die Hitze…?“ fragte ich, denn übers Wochenende hatte das Thermometer mit 42 Grad einen Rekordstand erreicht. Er lächelte nachsichtig und sagte: „Viel geschlafen habe ich jedenfalls nicht.“ Ich realisierte, dass ich irgendwas nicht mitbekommen hatte.
Als ich rausging, fiel es mir ein. Natürlich – während ich übers Wochenende ins kühle Vermont geflohen war, hatte halb New York die Nächte durchgefeiert. Denn hunderte Schwule und Lesben dürften endlich heiraten, nachdem der Senat des Bundesstaates New York im Juni die „Gay Marriage“ legalisiert hatte. Es war ein langer Kampf gewesen. Doch am Ende hatten alle Demokraten dafür gestimmt, mit Ausnahme des 68jährigen Ruben Diaz Senior aus der Bronx, der sagte, das gehe gegen seine religiöse Überzeugung. Obwohl seine Enkelin Erica eine bekennende Lesbe ist und deshalb sogar vom Militär ausgeschlossen wurde.
Doch der ganz überwiegende Teil der Metropole, in der die Schwulenbewegung nach einer brutalen Polizeiaktion in der Christopher Street 1969 ihren Ausgang nahm, ist in Sachen Homosexualität heute selbstverständlich tolerant. An einer der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Stadt, der High Line, wirbt die Lagerfirma Manhattan Mini Storage mit einem riesigen Plakat, das diese Einstellung auf den Punkt bringt: „Wenn du gegen die Schwulenehe bist, dann heirate eben keinen Schwulen.“ So linksliberal-lakonisch ist, außer vielleicht noch San Francisco, wohl kaum eine Stadt in den USA. Ein anderer Werbespruch der Firma lautet denn auch: „Remember, If You Leave the City, You’ll Have to Live in America“ – Denk dran, wenn du diese Stadt verlässt, musst du in Amerika leben.
Auch vier Republikaner waren von der Parteilinie abgewichen und hatten für das Gesetz gestimmt. Dass dies geschah, ist der umsichtigen Verhandlung des neuen Gouverneurs Andrew Cuomo zu verdanken – sowie hohen Geldspenden für die Abweichler. Unter den Gebern: New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, ein engagierter Verfechter der Schwulen-Ehe. Er bedachte jeden der vier Republikaner mit 10 300 Dollar, dem zulässigen Höchstbetrag für eine Spende. Das sei Bestechung, denken Sie? In den USA, wo Politiker Wahlkämpfe überwiegend auf Spendenbasis bestreiten und die Einflussnahme von Gebern zum System gehört, wird das anders gesehen: Da klar ist, dass die Senatoren in ländlichen konservativen Gebieten des Bundesstaates Stimmeinbußen bei den nächsten Wahlen zu befürchten haben, erhalten sie Geld, um zum Ausgleich besser Werbung für sich machen zu können. So einfach kann die Welt sein.
Als ich nun gerade auf den Anfang dieses Blog zurückblickte, fragte ich mich übrigens, ob ich meinem Lieblingskassierer furchtbar unrecht getan habe, indem ich ihn wegen seiner mädchenhaften Erscheinung kurzerhand dem Umfeld der Schwulen- und Lesbenszene zugerechnet habe. Womöglich ist der Mann stockkonservativ, oder er wäre beleidigt, weil ich ihn als Mann bezeichnet habe. Als Hetera befürchte ich bei solchen Fragen ständig, ins Fettnäpfchen zu treten, zumal den USA, wo jedwede Diskriminierung tabu ist. Aber das ist ein Thema für einen anderen Blog.
Foto: Christine Mattauch
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Amerikaner sind bekanntlich Meister im Marketing, was Journalisten nicht selten die Arbeit erschwert. Schon oft war ich zwischen Wut und Bewunderung hin- und hergerissen ob der Kunstfertigkeit von Interviewpartnern, ihre vorbereiteten positiven Botschaften abzusetzen und aus ihrer Sicht unpassende Fragen souverän und wiederholt zu ignorieren. Kurzfristig mag das effizient sein – aber Glaubwürdigkeit oder gar Sympathie entstehen auf diese Weise nicht.
Ähnlich zwiespältig ist meine Haltung zu der Reklame, die täglich ins Haus flattert. Da wir, wie die meisten unserer Nachbarn, „Stop-Flyer“-Schilder aufgehängt haben, bleiben wir von handverteilten Restaurantbroschüren und Werbezetteln weitgehend verschont. Aber es gibt ja noch die Briefpost. „Urgent Notification – Please Expedite delivery“, Dringende Mitteilung – bitte Zustellung beschleunigen“ röhrt ein Umschlag, den ich vergangene Woche im Briefkasten finde. Immerhin ist der Absender so ehrlich, sich zu offenbaren: die Zeitschrift Harvard Business Review. Ich ahne schon, was da so schrecklich dringend ist, und so ist es: Ich soll mein abgelaufenes Abonnement verlängern.
Aber was ist das: ein weißer Umschlag, leicht verknittert, unbeholfen handgestempelt mit „To the Owner“. Ein Nachbar, er sich beschweren will? Keineswegs – ein Handwerker sendet seine Visitenkarte. Noch alarmierender wirkt ein amtlich aussehendes Schreiben mit fetter Aufschrift „Business Mail – Penalty for Tampering“, Geschäftspost – Zurückhaltung strafbar. Dazu der Hinweis, dass, wer die Zustellung dieses Schreibens verhindert, mit einer Strafe von 2000 Dollar oder 5 Jahren Gefängnis zu rechnen habe. Was ist drin? Das Angebot für einen Autokredit von Plaza Toyota.
Am schlimmsten sind Wohltätigkeitsorganisationen. Ich ärgere mich inzwischen, dass ich zu Beginn meiner New Yorker Zeit hin und wieder gespendet habe, denn das führte zu einer wahren Flut an Bettelbriefen, bis heute. Manche Organisationen melden sich jede Woche, und nicht wenige geben meine Adresse offenbar weiter. Wie viele Spenden zur Finanzierung dieses Briefverkehrs eingesetzt werden, mag ich mir gar nicht vorstellen, und erst recht nicht, wie viel Zeit Stiftungsmitarbeiter damit verbringen, sich ungeheuer kreativ zu überlegen, wie sie mich dazu bringen können, Umschläge zu öffnen.
Die harmlosere Variante: Irreführung. Dazu zählen Briefe, die keinen Absender tragen und deren Adressen perfekt aussehen wie handgeschrieben, so dass man annehmen kann, es handele sich um private Korrespondenz. Die fortgeschrittene Version: Verunsicherung. Etwa eine Sendung mit der rätselhaften Aufschrift „ASPCA Membership Card Enclosed“. Eine Mitgliedskarte bekomme ich? Hab ich was unterschrieben? Glücklicherweise nicht, noch nicht, wie sich zeigt. Aber ich soll es tun, um die Vereinigung zur Verhinderung von Grausamkeit gegen Tiere zu unterstützen, und weil ich mich so einem ehrenhaften Anliegen doch bestimmt nicht entziehen will, hat die Organisation die Mitgliedskarte gleich mitgeschickt.
Meisterhaft schließlich der Appell an die Gier derjenigen, die man schröpfen will: ein Brief mit der Aufschrift: „Check enclosed“. Tatsächlich ist es in den USA üblich, dass Firmen Rabatte oder Rückvergütungen auf diese Weise auszahlen. Als ich den Umschlag öffne, finde ich einen Scheck des „Christian Appalachian Project“, Wert: zwei Dollar. Ich werde aber gebeten, ihn nicht einzulösen und stattdessen mit einer Überweisung von 8, 14, 21 oder 33 Dollar Menschen wie der 67jährigen Lois zu helfen, die in den Bergen lebt und ohne Badezimmer zurecht kommen muss. „Ohne Hilfe wird sie unterernährt und krank werden“, lautet die düstere Prognose.
Aus purer Rachsucht gegenüber der Organisation bin ich kurz versucht, den Scheck tatsächlich zur Bank zu tragen. Aber dann fällt mein Blick auf das Foto von Lois. Spenden mag ich nichts für ihr Badezimmer, aber kann ich es verantworten, der Organisation zwei Dollar zu entziehen? Vielleicht wird Lois dann noch schneller krank. Das will ich dann doch nicht riskieren.
Foto: Christine Mattauch
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Es war eine dieser Wochen, in der es in der US-Hauptstadt derart heiß war, dass man sich nicht aus dem Haus bewegen konnte. Und obwohl der Sommer meteorologisch noch nicht begonnen hat, herrscht in Washington bereits Sommertheater.
Wie Aasgeier stürzten sich die Medien auf den Skandal um Anthony Weiner, ein demokratischer Abgeordneter aus New York mit einer Fixierung auf gewisse Körperteile. Interessanterweise sorgte die Affäre – Weiner wurde dabei erwischt, wie er schlüpfrige Bilder über den Kurzmeldedienst Twitter an junge Frauen verschickte. Weil er dies zuerst abstritt, musste er sich an einer Pressekonferenz reihum entschuldigen. Natürlich übertrugen die Nachrichtensender das ganze Drama – wo war ich? Genau: Interessanterweise sorgte die Affäre im deutschsprachigen Raum nicht für allzu fette Schlagzeilen. Eine Theorie: Die europäischen Medien finden, recht beharrlich, dass die amerikanischen Politiker sich mit der Lösung der eigentlich zentralen Probleme des Landes beschäftigen sollten – Stichworte: Schuldenberg und schleppende Konjunktur. Vielleicht ist es einfach auch nur ein sprachliches Problem. Die Berichterstattung um den Herrn Weiner war für die amerikanischen Kollegen nämlich auch deshalb so unterhaltsam, weil sich dessen Familienname «WI-ner» ausspricht – und dieses Wort im englischen Sprachraum auch ein Synonym für das männliche Geschlechtsteil ist. Die wenigsten Journalisten konnten da widerstehen.
Einer hielt sich übrigens überraschend zurück: Der Satiriker Jon Stewart verschonte Weiner in der Anfangsphase des Skandals, wohl auch weil es sich um einen alten Freunden handelt. Am Dienstag sah sich Stewart – der mit seinem Programm «The Daily Show» schon lange Nachrichten erträglicher macht – zu einer Kurskorrektur gezwungen.
Die entsprechende Sendung ist auf der Internet-Seite der «Daily Show» zu finden; und einfach zum Schreien: http://www.thedailyshow.com/full-episodes/tue-june-7-2011-fareed-zakaria
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Wenn ich aus dem Norden Manhattans komme und auf die Brooklyn Bridge einbiege, fällt mir jedes Mal eine kleine Gedenktafel ins Auge: „Ari Halberstam Memorial Ramp“. Seit Jahren frage ich mich, wie es kommt, dass ein zirka 30 Meter langer, schlaglochgespickter Zubringer überhaupt nach jemandem benannt wird und wer Ari Halberstam war, dass ihm das passieren musste.
Amerikaner haben ein emotionales Verhältnis zu Straßen und Brücken – vermutlich ein Erbe der Pionierzeit, als es eine Leistung an sich war, sich einen Weg zu bahnen. Einen entsprechend hohen Stellenwert haben ihre Namen. Es ist eine hohe Auszeichnung für jeden Amerikaner, wenn irgendwo ein Straßenabschnitt nach ihm oder nach ihr benannt wird. Anders als in Deutschland ist das auch erlaubt, wenn der Ehrenbürger noch lebt. In New York wird mit großem Eifer von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
Nicht immer verläuft dies konfliktfrei, vor allem dann nicht, wenn Traditionsnamen zu Gunsten einer Berühmtheit geopfert werden, wie bei der Triboro Bridge. Dieses Konglomerat aus drei Brücken, die Manhattan, Queens und die Bronx verbinden, wurde 2008 in Robert-F.-Kennedy Bridge umbenannt, nach dem Bruder des Präsidenten John F. Kennedy, der 1968 ermordet wurde. Da RFK als Senator den Staat New York vertreten hatte, soll die Brückenwidmung zum 40. Todestag ein ausdrücklicher Wunsch der Kennedy-Familie gewesen sein. Doch bis heute weisen noch immer viele Straßenschilder in Richtung „Triboro“, und der Mann auf der Straße kann eine RFK-Bridge so wenig lokalisieren, dass die Brücke im Verkehrsfunk umständlich als „RFK-Triboro-Bridge“ bezeichnet wird. Dass seit ein paar Monaten auch die Queensboro Bridge offiziell nach einem Prominenten heißt, nämlich dem 86jährigen früheren New Yorker Bürgermeister Edward „Ed“ Koch, ist ins kollektive Gedächtnis überhaupt noch nicht vorgedrungen.
Wer nicht so eine gute Lobby hat wie Kennedy und Koch, muss sich auf ruppige Sitten einstellen. Das erfuhr in diesem Frühjahr Emelia Kazimiroff, eine 95jährige Witwe aus der Bronx. 1981 war zu Ehren ihres Gatten ein Abschnitt des Southern Boulevard in „Dr. Theodore Kazimiroff Boulevard“ umgetauft worden. Immerhin handelte es sich bei Dr. Kazimiroff um einen Amateurhistoriker und mutigen Zahnarzt, der einen Löwen im Bronx Zoo von einem vereiterten Zahn befreit haben soll, ohne zu Schaden zu kommen. Mit seiner Straße hatte der Lokalpromi weniger Glück. Die für ihre Sturheit bekannte US Post soll sich jahrelang geweigert haben, die schwierige Adresse zu akzeptieren. Zur Verwirrung ortsunkundiger Besucher gibt es zudem, etwas außerhalb, einen Kazimiroff Boulevard, an dem sich der Botanische Garten befindet. Kurz und gut – nach 30 Jahren entschied die Stadt New York, Dr. Kazimiroff seinen Straßennamen zu entziehen und den Abschnitt wieder in Southern Boulevard rückzubenennen. Sie hatte nicht mit der streitbaren Witwe gerechnet, die das Votum als „Schlag ins Gesicht“ empfand und umgehend die New York Times verständigte. Dem Weltblatt war der Vorgang einen vierspaltigen Aufmacher im Lokalteil wert, samt Fotos des Verblichenen und seiner Witwe. Das scheint gewirkt zu haben – jedenfalls ist die Straße bei Google Maps heute immer noch zu finden.
So erzählen Straßenschilder lustige Geschichten – und tragische. Für diesen Blog habe ich endlich nachgeschaut, welche Bewandnis es mit Ari Halberstam und seinem Zubringer hat. Halberstam war ein 16jähriger Talmud-Schüler aus Brooklyn, dessen Familie mit dem charismatischen und umstrittenen Rabbi von Lubawitsch, Menachem Mendel Schneerson, befreundet war. Am 1. März 1994 besuchte der Teenager den kranken Rabbi in einem Manhattaner Krankenhaus und wollte danach zurück nach Brooklyn. Beim Einbiegen auf die Brooklyn Bridge eröffnete ein arabischer Extremist das Feuer auf den Wagen, in dem neben Halberstam weitere junge Männer saßen. Halberstam wurde in den Kopf getroffen und starb fünf Tage später. Seine Familie kämpfte jahrelang darum, dass der Anschlag als Akt des Terrorismus anerkannt wurde, was ihr schließlich gelang. Künftig werde ich mich, wenn ich an dem Schild vorbeifahre, ein bisschen dafür schämen, dass ich seinen Zubringer so lange nur für eine Kuriosität gehalten habe.
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Die gepunkteten Satteltaschen aus Berlin sind der Hit in Los Angeles – ob ich sie vor dem Supermarkt mit Lebensmitteln und Klopapier fülle, am Strand Handtuch und Proviant raushole oder einfach nur durch mein Viertel fahre – Kommentare sind mir sicher. Meistens gehen sie in die Richtung:’These are soooooo coool’. ‘Wow, where did you get THOSE?’ und wenn ich dann sage, dass sie aus Berlin sind kommt oft der Hinweis, ich solle sie importieren und ein BIG BUSINESS draus machen!
Ein Problem bei der Idee ist, dass die wenigsten Fahrräder hier Gepäckträger haben. Das größere Hindernis dürfte sein, dass Los Angeles milde formuliert nicht wirklich Fahrradfahrer-freundlich ist mit seinen ineinanderverschobenen Freewaylabyrinthen und der am Auto orientierten Architektur und Infrastruktur.
Ich hab allerdings inzwischen festgestellt, dass ich erstaunlich viel mit dem Rad erledigen kann. Einkäufe mache ich weder in Beverly Hills noch in Compton, die Hitze hält mich meist davon ab, mich in Richtung Wolkenkratzer nach Downtown zu bewegen und Hollywood überlasse ich gerne Touristen, Paparazzi und Star-Imitatoren. Also nutze ich inzwischen aus, was ich anfangs etwas öde fand: wo ich wohne besteht Los Angeles im Grunde aus einer Aneinanderreihung von Vororten – Culver City, Santa Monica, Marina del Rey und da kann man auf Seitenstraßen hervorragend dem Verkehr ausweichen. Es gibt sogar Fahrradwege! Zum Beispiel den Ballona Creek Bike Path am Kanal entlang zum Meer, kein Auto nirgendwo! Und im Frühling jede Menge wunderbare Wildblumen am Wegesrand!
Und dann natürlich den kurvigen Fahrradweg am Meer entlang, Mehr als 35 Kilometer, vorbei am Santa Monica Pier, an Muscle Beach, wo Arnie sich die Muskeln zum Mister Universe Titel antrainiert hat, vorbei an Schlagzeug-Zirkeln, an einem Skateboardpark …
Die Devise ist: Cruisen, nicht rasen. Weil es viel zu sehen gibt, aber auch weil immer wieder Touristen plötzlich auf den Weg latschen, die irgendwie vergessen haben, dass man auch im Urlaub erst nach rechts und links schauen sollte bevor man einen Fahrradweg betritt. Und dann sind da auch noch sehr entspannte Patienten frisch vom Besuch beim Marihuana-Doktor für die natürlich Vorfahrtschilder für Fahrradfahrer Ausdruck einer sehr beschränkten Weltsicht sind, an die sich Wesen mit ausgedehntem Bewusstsein nicht halten können.
Wem nach all der entspannten Idylle am Strand das urbane Gefühl fehlt, sollte weiter Richtung Süden radeln: dort sorgen eine Kläranlage am Wegesrand und die Fahrt unter der Einflugschneise des Internationalen Flughafens dafür, dass man nicht vergisst, wo man ist. Wer das nicht unbedingt sehen will, kann direkt an der Marina umdrehen und im Biergarten einkehren. Im Waterfront Cafe gibt es sogar ein Radler.
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Nächstes Jahr wird in den USA ein neuer Präsident gewählt, genauer gesagt am 6. November 2012. Das ist noch lange hin, finden Sie? Von wegen. Barack Obama startete bereits Anfang dieses Monats offiziell seine „Reelection Campaign“. In einer E-Mail an seine Anhänger erklärte er den frühen Start so: „Die Politik, an die wir glauben, beginnt nicht mit teuren Anzeigen oder Fernsehspots, sondern mit Euch – Leuten, die von Haustür zu Haustür gehen, mit Nachbarn, Arbeitskollegen und Freunden sprechen. Diese Art von Kampagne braucht Zeit, um sich aufzubauen.“ Zahlreiche Getreue, die bereits beim letzten Mal dabei waren, helfen. Einige gaben dafür sogar ihre Washingtoner Jobs auf: David Axelrod etwa, in den letzten Jahren oberster persönlicher Berater von Obama, ist wieder für die Gesamtstrategie des Wahlkampfs verantwortlich. Jim Messina, bis vor kurzem stellvertretender Personalchef im Weißen Haus, kümmert sich ums operative Gelingen.
Ich hatte schon vorher gemerkt, dass der Wahlkampf begonnen hat, und zwar beim Gang durch die Buchhandlung:
In den USA gehört es für Politiker mit Ambitionen einfach dazu, ein Buch zu schreiben. Oder schreiben zu lassen. Das hat nicht nur mit Renommee zu tun, sondern oft auch mit schnödem Mammon: Auf dem riesigen US-Markt spielen Bestseller leicht enorme Summen ein, die gerade zu Wahlkampfzeiten willkommen sind. Die Bücher der rechtspopulistischen Tea-Party-Ikone Sarah Palin etwa, „Going Rogue“ und „America by Heart“, haben sich zusammen rund vier Millionen Mal verkauft. Zwar ist der Wahlkampf in den USA in weitaus größerem Ausmaß spendenfinanziert als in Deutschland, doch die meisten Kandidaten opfern auch erhebliche Beträge ihres eigenen Vermögens. Die frühere E-Bay-Chefin Meg Whitman beispielsweise setzte die Rekordsumme von 119 Millionen Dollar ein, um Gouverneurin von Kalifornien zu werden (die Wähler entschieden sich trotzdem für ihren Konkurrenten Jerry Brown). Selbstverständlich hatte auch sie zeitlich passend ein Buch geschrieben, „The Power of Many“, über Werte im Geschäftsleben. Es verkaufte sich nicht ganz so gut wie die patriotischen Manifeste von Palin, aber als Milliardärin ist Whitman auch nicht so auf die Einnahmen angewiesen wie die Kleinstadt-Mum.
Ihr Ausgabenrekord könnte allerdings bald gebrochen werden – wenn Donald Trump seine Ankündigung wahr macht, als US-Präsident zu kandidieren. Forbes schätzt das Vermögen des New Yorker Immobilien-Tycoon auf 2,4 Milliarden Dollar, doppelt so hoch wie das Whitmans. Ob er kampagnenbegleitend noch extra ein Buch schreibt, ist allerdings ungewiss – er hat bereits ein gutes Dutzend veröffentlicht, die meisten darüber, wie man reich wird. Außerdem hat er eine eigene Fernsehshow, The Apprentice, bei der sich Manager um einen Job in seinem Firmenimperium bewerben. Die letzte Folge Ende April sahen fast acht Millionen Zuschauer. Diesen Reklame-Effekt toppt kein Bestseller.
Fotos: Christine Mattauch
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Die Fahrtbeschreibungen zu meinen Gesprächspartnern in Wyoming beinhaltet Ölbohrstationen, Heuhaufen, Warnungen vor Schneestürmen und den Tipp, einen guten Reservereifen mitzunehmen, weil es auf den 20 Meilen unbefestigter Straße keinen Handyempfang gibt und das Satellitentelefon auf der Rinderfarm, zu der ich fahre nur sporadisch funktioniert. Je nachdem, wie der Satellit steht. Ich kann es kaum erwarten, mich auf den Weg zu machen!
Ich fahre ewig entlang endloser Felder und roter Felsformationen. Kein Haus, kein Auto, keine Stromleitung, kein Mensch in Sicht. Am nächsten Morgen sitze ich nicht in meinem Cabrio im mehrspurigen Berufsverkehr von Los Angeles, sondern mit Mutter Gwen, ihren zwei Kindern Kody und Kiley bei Sonnenaufgang im Geländewagen. Wir fahren 45 Minuten auf einem unbefestigten Feldweg zur Haltestelle des Schulbusses, in dem die Kinder nochmal 25 Minuten zum Unterricht unterwegs sind. Statt sich Yoga, Meditation, Jogging oder anderen in Kalifornien beliebten Aktivitäten zu widmen steigt Gwen nach der Rückkehr auf den Heu-Laster, fährt mit Ehemann Reno zur Wiese, wo rund 1400 Kühe mit ihren Kälbern auf Futter warten.
Hier werden keine Sinnfragen gestellt. Es wird getan, was getan werden muss. Alle haben ihre Aufgaben. Auch die acht australischen Hütehunde, die im Sommer unverzichtbar sind, wenn mehr als 3000 Kühe auf höher liegende Bergwiesen getrieben werden. Kiley und Kody wissen: wenn sie sich über Langeweile beklagen, werden sie durch den eisigen Wind zur Scheune geschickt zum Sattel ölen, Kälber füttern oder Hundehaus säubern. Vater Reno fordert mich beim Abendessen mit Rinderbraten, Kartoffelbrei und Pekannuss-Pie auf, meinen Freunden in Kalifornien zu sagen, sie sollen Republikaner wählen und die verrückten Demokraten aus dem Amt scheuchen. Die würden Geld verschwenden an die angeblich Armen, die in Wirklichkeit nur zu faul zum Arbeiten seien. „Kaum jemand will so hart arbeiten, wie wir!“ sagt der Farmer und hat wahrscheinlich Recht. Er schiebt hinterher: „Nur die Latino-Immigranten! Die wollen auch nur ein besseres Leben für ihre Familien, wie wir alle! Die nehmen dafür jede Arbeit an!“ Für eine lange Diskussion bleibt keine Zeit. Reno schaut in den Stall. Sein Gespür hat den Bauern, der auf einer Rinderfarm ohne Strom aufgewachsen ist nicht getrogen: eine kranke Kuh kalbt, die Geburt ist kompliziert. Ich erlebe am nächsten Morgen den Höhepunkt meines Land-Ausflugs: Gwen drückt mir eine Flasche mit warmer Milch in die Hand und fordert mich auf, das frisch geborene Kalb zu füttern. Kaum angekommen, habe auch ich schon eine Aufgabe bekommen.
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Ist der Ruf erst ruiniert… Vielleicht denken sie das wirklich. In Washington, in Riyadh und in Manama. Die amerikanische Regierung ruft zu „Zurückhaltung“ auf in Bahrain. Während 1200 saudische Militärs und 800 Polizisten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten einrollen, um – wie es heißt – strategisch wichtige Gebäude und die Interessen der Königsfamilie zu schützen. Sie kommen auf Einladung von König Hamad, versteht sich. Eine hübsche kleine Golf-Party wird das werden.
Tommy Vietor, der Sprecher des Weißen Hauses, sagte, die Partner der USA im Golfkooperationsrat sollten die Rechte der Menschen in Bahrain respektieren und mit all ihren Handlungen zum Dialog ermuntern. Das wird bestimmt gelingen mit all den bewaffneten, gepanzerten Fahrzeugen, bemannt mit grimmig drein schauenden Soldaten. Wir dürfen gespannt sein, wie Vietor ein befürchtetes Blutvergießen in Manama schön reden wird. Denn anders als bei dem ohnehin verhassten Muammar Gaddafi handelt es sich bei Bahrains König Hamad um einen wichtigen Partner am ölreichen Golf und einen bislang treuen Alliierten gegen den Iran. Der Schutz von Zivilisten vor militärischer Übermacht steht da gar nicht erst zur Diskussion.
In Nordafrika und selbst in Ägypten kann man, wenn alles nicht mehr hilft, schon mal ausgediente Diktatoren fallen lassen. Aber dort, wo die Energieversorgung auf dem Spiel steht, wo die 5. Flotte der USA vor Anker liegt und wo man die wichtigsten Partner im Machtkampf mit dem Iran ausmacht, dort gelten andere Regeln. Es gilt das Primat der eigenen Interessen vor irgendwelchen demokratischen Idealen oder gar Menschenrechten. Da muss man zusammenhalten, koste es was es wolle.
Die Saudis sind extrem nervös. Sonst hätten die Meister der Scheckbuchdiplomatie nicht plötzlich auf ihr eigenes Militär gesetzt. Das ist ungewöhnlich. Und ging schon vor mehr als einem Jahr im Nordjemen schief, als Riyadh in den Konflikt Sanaa’s mit den Houthis im Grenzgebiet eingriff. Daraus hätte man lernen können. Aber man muss nicht. Das Protestpotential im eigenen Land halten die Saudis noch mit einem massiven Polizeiaufgebot, der Verbreitung islamischer Fatwas gegen Protestkundgebungen sowie mit Schmiergeldern unter Kontrolle. Jedoch die unkalkulierbaren Entwicklungen im benachbarten Bahrain sowie im Jemen machen den von Krankheit und Alter angegriffenen saudischen Herrschern zu schaffen.
Die Verbündeten in Washington werden vermutlich beide Augen zu drücken solange es geht. Denn hier steht eindeutig zu viel auf dem Spiel: Die Ölpreise, die eigene militärische Machtprojektion in die Region sowie der Kampf gegen den Iran. Prognosen möchte man in diesen Tagen in der arabischen Welt nicht mehr wagen. Zu viele Dinge sind im Fluss, alte Regeln gelten nicht mehr, neue sind noch nicht etabliert. Aber wenn dieser von den USA geduldete, saudische Militäreinmarsch in Bahrain zu einem Blutbad führt, dann könnten am Ende diesseits und jenseits des Atlantiks ganz viele Verlierer stehen. Europäer inbegriffen, denn auch wer schweigt, macht sich schuldig. Der Begriff „politische Glaubwürdigkeit“ scheint aus dem Lexikon der modernen Politik gestrichen. Ersatzlos. Wie bedauerlich.
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Die westlichen Demokratien haben sich bei der tunesischen wie der ägyptischen Revolution gründlich blamiert. Sie hinkten hinter den Ereignissen her, wanden sich in Schmerzen mit vorsichtigen Statements. Ging es doch schließlich darum, den Diktatoren und Unterdrückern die Unterstützung zu entziehen, die sie seit Jahrzehnten in ihren Palästen gehalten hatte. Völlig ungeachtet der Tatsache, dass man in politischen Sonntagsreden immer mehr Demokratie im Nahen Osten forderte. Aber das versteht sich von selbst.
Als es gar nicht mehr anders ging, forderten US-Präsident Barack Obama und seine europäischen Mitläufer einen schnellen aber geordneten Übergang zu einer wirklich demokratischen Regierungsform. Aha. Damit behalten sie sich vor, darüber zu urteilen., was ‘wirklich demokratisch’ ist. Und im gleichen Atemzug drängt man auf die Einhaltung internationaler Verträge und Verpflichtungen. Da nämlich liegt, wenn es um den Nahen Osten geht, für die meisten westlichen Politiker der Hase im Pfeffer: Fast alles darf passieren, aber die beiden Friedensverträge mit Israel (mit Ägypten und Jordanien) dürfen nicht angetastet werden. Außerdem dürfen keine Islamisten an die Macht kommen, wobei am liebsten alle islamistischen Gruppierungen in einen großen Topf geworfen werden. Wie man es in Washington, Berlin und Paris damit hält, wenn demokratische Wahlen Islamisten an die Macht bringen, das haben wir beim Urnengang in den Palästinensergebieten 2006 gesehen. Als die Hamas den Sieg davon trug, brach man schlicht die Beziehungen mit der von ihr geführten Regierung ab.
Die westlichen Regierungen – nicht nur die amerikanische – haben in der arabischen Welt schon längst ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. Die Menschen in der Region verstehen, dass es nicht um Werte wie Demokratie, Selbstbestimmung und Freiheit geht sondern um politische Interessen. Vornehmlich um solche, die sich mit israelischen Interessen decken. Auch wenn man in vielen Fällen trefflich darüber diskutieren kann, ob sich diese Interessen tatsächlich decken. Oder ob wir uns nicht selbst ins Knie schießen, gerade weil wir dazu tendieren, die Region ausschließlich durch die israelische Brille betrachten.
Auch deshalb können die Ägypter auf gute Ratschläge aus dem Westen derzeit verzichten. Ihnen ist nicht entgangen, dass Washingtons Lieblingskandidat für die Nachfolge Mubaraks sein Geheimdienstchef Suleiman war. Also jemand, der mit Leib und Seele für das alte System stand und steht. Die Armee ist nun die zweitbeste Wahl, arbeitet ihre Führung doch sehr eng mit amerikanischen Militärs zusammen, die eine Finanzhilfe von 1,3 Milliarden US-Dollar jährlich beisteuern. In dem Preis dürfte inbegriffen sein, dass keine Politik erlaubt wird, die den ohnehin kalten Frieden mit Israel einfrieren könnte.
Interessant wird es, wenn eine wirklich demokratische zivile Regierung in Kairo an der Macht ist. Ihr werden vermutlich die ägyptischen Moslembrüder angehören, auch wenn die Menschen auf dem Tahrir-Platz deutlich gemacht haben, dass die Islamisten keine Mehrheit im Land haben.Ein weiterer Schleier ist gefallen: Die Alternative zu autokratischen oder diktatorischen Systemen im Nahen Osten heißt nicht automatisch Chaos und Islamismus. Es dürfte den Regierenden in Washington und Berlin in Zukunft schwer fallen, mit dieser Gleichung zu argumentieren, wenn es um die Unterstützung repressiver Regime in der Region geht, die Menschenrechte verachten aber Stabilität und Kampf gegen Terrorismus versprechen.
Unsere westlichen politischen Moralapostel stehen plötzlich ohne Kleider da. Sieht ganz so aus, als stünden sie auf der Verliererseite nach den erfolgreichen Volksaufständen in Tunis und Kairo. Gemeinsam übrigens mit ihren Erz-Feinden, den islamischen Extremisten aus der Al Qaeda-Ecke. Denn der Sieg der friedfertigen Menschen gegen ein brutales, vom Westen unterstütztes System, nimmt diesen Terroristen den Wind aus den Segeln. Die Jugendlichen, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo den Sturz Mubaraks gefeiert haben, haben es nicht mehr nötig, sich solchen Bewegungen aus Protest oder dem Gefühl der Ohnmacht anzuschließen. Sie haben sich selbst befreit und ermächtigt, sie haben ihren Stolz und ihre Menschenwürde zurück erobert.
Nachdem ich mehr 15 Jahre lang dem politischen Stillstand, der Demütigung und der Entmündigung der Menschen in der Region zugesehen habe, habe ich nun wieder Hoffnung. Auch wenn wir alle wissen, dass die Revolutionen noch nicht gewonnen oder vollendet sind. Aber es wäre schön, noch mehr solch befreite, lachende oder vor Freude weinende Gesichter in Arabien zu sehen. Die Sehnsucht ist geweckt, hoffentlich wird sie nicht in Blutvergießen ertränkt.
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Als schlimmste Katastrophe in ihrer Geschichte sollen die Vereinten Nationen das Erdbeben in Haiti bezeichnet haben – zumindest meldeten das diverse deutsche Nachrichtensender. „Das Erdbeben von Haiti ist die schlimmste Katastrophe, die wir je hatten“, erklärte auch ein Unternehmer aus Süddeutschland publikumswirksam bei einer Fernsehbenefizveranstaltung vergangene Woche. „Deswegen müssen wir auch mehr spenden als bisher, viel mehr als zum Beispiel beim Tsunami.“
Das Erdebeben von Haiti ist eine schreckliche, erschütternde, folgenreiche Katastrophe. Aber woran lässt sich wohl messen, dass diese nun die schlimmste aller Zeiten sein soll? An den Zahlen der Toten? Zur Erinnerung: Bei dem verheerenden Tsunami, der vor fünf Jahren ganze Regionen von mindestens fünf Staaten zugleich verwüstet hatte, starben allein in der indonesischen Provinz Aceh mehr als 160.000 Menschen. Oder lässt sich eine Katastrophe an der Stärke der Zerstörung messen? Doch mit welchem Maß?
Während die Bilder aus Haiti uns ganze Städte als elende Trümmerfelder zeigen, gab es zum Beispiel aus Aceh in der ersten Woche nach dem Tsunami so gut wie keine Aufnahmen. Weil weder Technik noch Menschen da waren, diese Bilder zu liefern. Und als sie dann endlich bei uns ankamen, sahen wir häufig vor allem eines: gähnende Leere. Denn in vielen Dörfern, die vom Tsunami zerstört wurden, existierte einfach gar nichts mehr. Keine Häuser, keine Bäume, keine Menschen. Die wenigen Überlebenden sammelten sich traumatisiert in Lagern. Was ist also schlimmer – ein Trümmerfeld oder das Nichts?
Wenn Medien Katastrophen in dieser Weise kategorisieren, prägen sie das Denken (und den Spendenwillen!) von Millionen von Menschen – oft ohne die Realitäten vor Ort wirklich vergleichen zu können. Das ist unverantwortlich. Was ist mit den Erdbeben, bei dem 2005 in Pakistan mehr als 50.000 Menschen ihr Leben verloren und 2,5 Millionen Obdachlose im eisigen Winter überleben mussten? Was mit dem schlimmen Beben in der chinesischen Provinz Sichuan im Jahr 2008, bei dem 80.000 Menschen umkamen und 5,8 Millionen obdachlos wurden? Warum gab es für diese Katastrophen weniger aufwändige Spendengalen als für Haiti oder die Tsunamiopfer? Nun, die Opfer in Pakistan waren Muslime und die Chinesen sind uns sowieso irgendwie fremd – könnte man nun frotzeln. Die Medienrealität dürfte sich allerdings auch danach gerichtet haben, dass das Erdbebengebiet in Pakistan, weil im verschneiten Bergland, nur sehr schwer zugänglich war – und dass die Behörden in China die Arbeit ausländischer Journalisten nicht gerade unterstützt haben.
Natürlich gönne ich den Haitianern den Spendensegen, der sie hoffentlich auch irgendwann einmal in vollem Umfang erreichen wird. Aber irgendwie lässt mich der Gedanke nicht los, dass die globale Aufmerksamkeit für den kleinen Inselstaat sehr viel mit den politischen Interessen diverser Großmächte zu tun hat – und damit, dass sich Medien und NGOs in dem so gut wir führungslosen Staat vermutlich mit weniger Restriktionen und Vorurteilen herumschlagen müssen als etwa in China, Indonesien oder Pakistan. Eines muss man den Vereinten Nationen aber wohl zugestehen: Vermutlich haben sie bisher bei keiner Katastrophe in ihrer Geschichte so viele Opfer aus den eigenen Reihen beklagen müssen wie auf Haiti.
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Während meine deutschen Freunde von weißen Winterlandschaften berichteten, war New York bitterkalt, aber Schnee gab es nicht. Aber dann, ein Blizzard!
Am Abend des zweiten Weihnachtsfeiertags ging es los. Es schneite und stürmte und hörte gar nicht mehr auf. Am anderen Morgen waren mehr als 60 Zentimeter Neuschnee gefallen.
Die Stadt lag in Agonie. Der Verkehr war komplett zum Erliegen gekommen. Alle Flughäfen waren geschlossen. Es fuhr kein einziger Bus und keine U-Bahn. Auf den Straßen standen gestrandete Autos und Busse.
Es war Montag, aber als ich mich vermummt und in Schneestiefeln gegen 10 Uhr zu unserer Viertelshauptstraße durchkämpfte, waren alle Läden dicht, auch die Post. Nur der Hardwarestore Tarzian hatte seine kompletten Vorräte an Schneeschippen bereit gestellt.
Die Preise waren über Nacht rasant gestiegen – ein Beutel tierfreundliches Salz kostete 30 Dollar. Als ich die Frau hinter der Kasse fragte, wie sie überhaupt zur Arbeit gekommen war, lachte sie und deutete nach oben: „Ich wohne über dem Laden!“ Ein Hoch auf die Neighborhoodstores.
Für Pendler, die teilweise Stunden in liegengebliebenen Bussen und Bahnen verbrachten, war der Blizzard eine Katastrophe. Wir mussten nicht reisen und fanden den Schnee gemütlich. Da keine Autos fuhren, war es still wie nie zuvor. Der gesamte Alltag schien entschleunigt. Weder Zeitungen noch Post wurden zugestellt. Auch die Müllabfuhr kam nicht durch. Der Gang zum Supermarkt dauerte doppelt so lang wie üblich. Trotzdem schienen die Menschen guter Laune zu sein. Väter, die nicht zur Arbeit konnten, bauten mit ihren Kindern Schneemänner, Treppen und Straßen verwandelten sich in Rodelbahnen. Bürgermeister Mike Bloomberg präsentierte sich in rustikaler Lederjacke souverän vor Reportern und versprach, die Stadt habe die Lage im Griff.
Von wegen. Nach drei Tagen sind viele Nebenstraßen immer noch nicht geräumt, und die ungeduldigen New Yorker finden das absolut inakzeptabel. Der lokale Fernsehsender New York One berichtet von einer Hochschwangeren auf Staten Island, die von ihren Nachbarn freigeschaufelt werden musste, und von Supermärkten in Queens, denen Brot und Milch ausgegangen ist. Es gibt Rücktrittsforderungen gegen den Bürgermeister, der inzwischen wieder im Anzug und nicht mehr ganz so gut gelaunt vor die Mikrofone tritt.
Aber Sylvester soll die Temperatur auf vier Grad steigen und die Sonne scheinen, dann taut der Schnee sowieso. Zwar fällt dann vermutlich wieder die U-Bahn aus, die auf größere Wassermengen notorisch empfindlich reagiert. Aber für die ist Mike Bloomberg nicht verantwortlich.
Fotos: Christine Mattauch
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Die Sonne scheint, Surfer warten auf die perfekte Welle und Palmblätter glitzern silbrig unter wolkenlosem Himmel. Alles wie immer im Süden Kaliforniens. Wäre da nicht die üppige Weihnachtsdekoration des Nachbarn, die unsere Küche seit Halloween jeden Abend in ein blinkendes Lichtermeer verwandelt. Peters Stromrechnung steigt jedes Jahr im November auf das Doppelte, doch das stört den begeisterten Hobby-Dekorateur nicht. Jedes Jahr hängen ein paar Lichterketten mehr an Dach, Treppengeländer und Fenstern. Die wahren Höhepunkte seiner Weihnachtsstimmungs-Kreationen hebt sich Peter für die Woche vor Heilig Abend auf: erst dann wird permanent Heissluft in einen Vier Meter hohen Schneemann im grünen Vorgarten geblasen und es dreht sich eine in Regenbogenfarben blinkende Rentier-Familie neben der Einfahrt. Peter ist nicht nur ein Weihnachts-Lichterketten-Deko-Enthusiast, er arbeitet auch furchtbar gerne am Computer. Ich wette, er arbeitet daran, seine Lichterkreationen mit dem von ihm geliebten Latino-Rap zu synchronisieren. Bald wird er uns mit einer ganz neuen Stufe von Lichter-Glück überraschen, den Verkehr im Viertel lahm legen und das Heimvideo seines Christmas-Lighting-Raps zu dem anderem Christmas-Deko-Wahnsinn ins Internet stellen.
Ohne Peter würde sich hier gar nichts wie Weihnachten anfühlen. Musikberieselung und Schoko-Sonderangebote im Supermarkt reichen da nun wirklich nicht aus. Manchmal stöhne ich zwar über die seltsamen US-Weihnachts-Rituale, vom Tannen-kranz auf der Kühlerhaube bis zum unvermeidlichen, surfenden Santa Claus, aber im Grunde finde ich das alles ziemlich grossartig. Bis ich wieder in meiner gnadenlos blinkenden Lichterlandschaft in der Küche stehe.
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Gestern abend entdeckte ich in unserem Lebensmittelladen eine Rarität: Kohlrabi. Nicht die verkümmerten, radieschengroßen Köpfe wie sonst gelegentlich, sondern richtig große Prachtexemplare. Ich freute mich. Und kaufte. Als ich später in der Küche stand und das Gemüse schälte, dachte ich sehnsüchtig an all die guten Dinge, die es in der alten Heimat gibt. Graubrot zum Beispiel und deftige Leberwurst. Ach, Deutschland!
Alle mir bekannten Auslandsdeutschen leiden unter Lebensmittel-Nostalgie. Sie kriegen leuchtende Augen, wenn sie über Magerquark und weißen Spargel reden, was sie übrigens sehr häufig tun. In New York gibt es Quark nur in ausgewählten Supermärkten. Er wird in Pennsylvania oder Vermont hergestellt, ist teuer wie eine Delikatesse und schmeckt trotzdem nicht annähernd so gut wie ein 99-Cent-Quark von Rewe. Weißen Spargel gibt es überhaupt nicht, grünen Spargel hingegen im Überfluss. Weshalb das so ist, konnte mir bisher keiner erklären. Ich staunte, als ich diesen Herbst in einem Brooklyner Bioladen weißen Spargel entdeckte. Er kam aus Peru.
Wenn es stimmt, dass Liebe durch den Magen geht, dann, ja dann sind die Deutschen in New York die größten Patrioten. Wir fahren stundenlang mit der U-Bahn, um bei Schaller und Weber an der Upper East Side ein kleines Glas Essiggurken der Marke Kühne für 4,99 Dollar zu erstehen, und tauschen Adressen von Kneipen, in denen es deutsches Bier vom Fass gibt. Wir riskieren hohe Geldstrafen, wenn wir Schwarzwälder Schinken und Limburger Käse durch den Zoll schmuggeln, und verpassen keine der Vernissagen im deutschen Generalkonsulat, weil da ein wirklich guter Riesling ausgeschenkt wird und nicht das zuckersüße Zeug, das die Amerikaner mögen.
In Deutschland sind mir die unschätzbaren Vorzüge von Kohlrabi, Spargel und Essiggurken nie richtig aufgefallen. Lebensmittel-Patriotismus entwickelt sich wohl nur in der Ferne. Ein guter Grund, weiter in New York zu bleiben.
Foto: Christine Mattauch
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Als ich in Deutschland lebte, fand ich es albern, wenn Ende Oktober in den Supermärkten Plastik-Skelette lagen und Freunde zu Geisterpartys einluden. Halloween? Ich? Niemals. Und jetzt? Im Schrank hängen das Hexen- und das Joe-the-Plumber-Kostüm. Mein Mann kauft gerade Candy für die Kinder der Nachbarschaft, und ich habe einen winzigen, sehr gefährlich dreinblickenden Kürbis erstanden, der unseren Hauseingang bewacht.
Halloween erfasst New York wie eine Welle, der man nicht ausweichen kann. Es ist wie in Köln mit dem Karneval – trotz allem Kommerz ein authentisches Fest, und die Menschen fiebern seinem Beginn entgegen. Schon Wochen vorher beginnen unsere Nachbarn, ihre Hauseingänge zu dekorieren. Zäune werden mit künstlichen Spinnweben drapiert, in den Bäumen hängen kleine Gespenster und in den Haustüren Fledermäuse und Sensenmänner. In manchen Vorgärten stehen gar künstliche Grabsteine. Viele morbide Kulissen sind liebevoll selbst gebastelt, an manchen sind offenbar ganze Hausgemeinschaften beteiligt.
Dann ist, am 31. Oktober, endlich Halloween, und man sieht nur noch Hexen, Piraten und Vampire auf den Straßen. Und unkostümierte Touristen, die nicht gewusst haben, dass New York am Vorabend von Allerheiligen einem uralten keltischen Brauch huldigt. Kinder ziehen durch die Viertel und sammeln Süßigkeiten, wie beim deutschen Martinsabend. Nur dass sie rücksichtsvoller sind. In meinem ersten Jahr habe ich mich gewundert, dass bei uns keiner klingelte. Und ich war ärgerlich, weil sich zu meinen vielen ungelösten Problemen ein Topf voller Snickers gesellte. Im nächsten Jahr kaufte ich nichts mehr. Erst im dritten Jahr bekam ich mit, dass die Kinder an überhaupt keiner Haustür klingeln, weil die spendierfreudigen Nachbarn mit ihren Bonbontöpfen in den Vorgärten oder auf dem Treppenaufgang sitzen. So müssen die Kinder nicht in fremde Wohnungen, und wer zu arm oder zu knauserig zum Geben ist, wird in Ruhe gelassen. Ich hoffe nur, dass es nicht zu kalt wird, wenn wir morgen den Platz auf unserer Treppe einnehmen.
Abends gibt es in Manhattan eine große Parade durchs West Village. Das sei aber nur etwas für Erwachsene, warnt unser Vermieter, weil da „Nudisten“ zu sehen seien. Auch ein schöner Ausdruck. In den Stadtteilen hingegen finden kleine, familiäre Umzüge statt. Es ist, bis auf die Nudisten, wirklich wie in Köln, mit dem großen Rosenmontags- und den kleinen Schull- und Veedelszöch. Noch ein Unterschied: In New York darf kein Alkohol auf der Straße getrunken werden.
Und was macht man nach Halloween mit den ganzen Süßigkeiten, die man zwar begeistert gesammelt hat, aber gar nicht mag? Ein paar Straßen von uns entfernt bietet Fußarzt Dr. Rinaldi eine Lösung, mit seinem „Halloween Candy Buy Back Program“: Pro Pfund zahlt er einen Dollar. „Die Süßigkeiten werden unseren Truppen in Irak und Afghanistan gespendet“, heißt es in seiner E-Mail, die mich über Umwege erreicht. Ein Brooklyner Fußpfleger, der sich berufen fühlt, eine Massenverschickung von Bonbons und Schokoriegel für amerikanische Soldaten zu organisieren? Ich glaube an einen Witz. Aber mein Mann sagt: „Beim Militär verstehen die Amerikaner keinen Spaß.“ Ich muss wohl mal mein Hühnerauge untersuchen lassen. Irgendwie hat mich Dr. Rinaldi neugierig gemacht.
Fotos: Christine Mattauch
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Sonne, Palmen, Margaritas am Strand und laue Nächte an Pools der Promis in Hollywood – so stellen sich viele das Leben einer Reporterin in Los Angeles vor. An dieser Stelle muss ich zumindest eine Illusion zerstören – die von der Sonne und den lauen Nächten. Die Beach Boys haben schlicht völlig verantwortungslos gelogen mit ihrem „It never rains in Southern California“. Das hab ich gemerkt, kaum war ich angekommen als Korrespondentin in Los Angeles. Das war in einem völlig verregneten März. Endlose Wasssergüsse führten zu bedrohlichen Erdrutschen, stundenlangen Telefon-, Internet- und Fernsehausfällen. Das Spielchen wiederholte sich jedes Jahr. Bisher aber nur im Winter und Frühling. Und dann kam der Sommer 2010! Erst gab es wochenlang eine hartnäckige graue Suppe aus Meeresrichtung, die die Südkalifornier in Depressionen schickte. Dann kamen plötzlich drei Tage Rekordhitze von über 45 Grad, bei denen wir nicht ins Auto steigen konnten ohne uns den Hintern am Sitz zu verbrennen und das Cabrio-Verdeck zulassen mussten, um nicht als Trockenpflaumen zu enden. Dann kam eine kurze sehr interessante Zwischenphase mit dramatischen Wolkenlandschaften und zugegebenermaßen wunderschönen Regenbögen.
Und jetzt das! Feuchte Kälte! In den letzten Tagen versammeln sich Kalifornier lieber mit Kuscheldecken vorm Kaminfeuer als mit Drinks an Pazifik oder Pool. Ich gestehe, dass wir hier etwas empfindlich sind und dazu neigen, schon bei 15 Grad Plüsch-Puschen, gefütterte Stiefel, dicke Pullis, Handschuhe und Strickmützen anzuziehen.
Die einzigen, die sich über das verrückte Wetter freuen, sind die Meteorologen. Bei denen ist endlich mal was los! Die Grafikabteilung muss nicht mehr nur blauen Himmel malen, sondern kann bei der Sieben-Tage-Vorhersage ihre ganze Symbol-Palette ausschöpfen: Wolken, Wind, Regen – Aus deutscher Sicht wirklich nichts Besonderes, aber für so ein Wetter zieht doch kein Mensch nach Kalifornien!
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Zu den angenehmen Pflichten einer Wirtschaftsjournalistin in New York gehört mitunter auch ein Kinobesuch.
Vergangenen Freitag lief der Film „Wall Street – Money never sleeps“ in den USA an. Von der Finanzkrise inspiriert, wollte der linke Starregisseur Oliver Stone mit den Spekulanten abrechnen – und dabei auch seinen ersten Wall-Street-Film von 1987 aufarbeiten. Darin hatte Michael Douglas den rücksichtslosen Investmentbanker Gordon Gekko gespielt. Zu Stones Ärger wurden Gekko und sein Motto „Gier ist gut“ zum Vorbild einer ganzen Börsengeneration.
Weil ich einen riesigen Ansturm auf den Film erwarte, reserviere ich im AMC Empire 25 unweit des Times Square eine Karte und bin eine halbe Stunde zu früh da, um noch einen guten Platz ergattern. Die erste Überraschung ist, dass es keine Schlangen gibt. Die zweite, dass der Kinosaal bestenfalls halb gefüllt ist. Gut, es soll an dem Abend noch acht weitere Vorstellungen in fünf Sälen geben, aber das ist in einem Großkino mit 25 Sälen nicht so ungewöhnlich, der Fantasyfilm „Legend of the Guardians“ läuft in dreien. Und die dritte Überraschung? Dass der Film schlecht ist.
Es fehlt die scharfsichtige Analyse, die den ersten Wall-Street-Film so gut machte. Die Finanzkrise wird zur dramatischen Kulisse einer rührseligen Familiengeschichte degradiert. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal einen Film gesehen habe, in dem so viele Tränen fließen. Der einzige Lichtblick ist Michael Douglas, der eine fantastische Vorstellung als alternder Gekko gibt.
Da ich keine geübte Kinokritikerin bin, beruhigt es mich am nächsten Tag zu lesen, dass es dem New-York-Times-Kolumnisten Joe Nocera auch nicht anders ging als mir. Im Gegensatz zu mir hatte er allerdings die Gelegenheit, mit Stone darüber zu reden. Auf Noceras Vorwurf, die Finanzkrise sei nicht angemessen thematisiert, antwortete der Regisseur, das sei in einem Mainstream-Film nicht möglich: „Die Leute wollen kein Business Movie sehen.“
Genau da liegt vermutlich das Problem: Der Film war von vornherein darauf ausgelegt, ein Kassenschlager zu werden. Und warum sollen Stone und die Filmgesellschaft nicht ein paar hübsche Millionen verdienen? Aber mit dem linken Anspruch verträgt sich das dann doch nicht so recht.
Auch das Product Placement ist nicht unbedingt als antikapitalistisch zu bezeichnen. Es erstreckt sich nicht nur auf Heineken Bier, sondern auch auf den New Yorker Hedge Fonds Skybridge Capital, dessen Logo in einer Szene groß eingeblendet wird. Dessen Gründer Anthony Scaramucci hat Oliver Stone bei den Dreharbeiten beraten. Scaramucci hat dann auch gleich noch ein Buch geschrieben, „Goodbye Gordon Gekko“, in dem er für den Film wirbt und fordert, dass er und seine Kollegen bessere Menschen werden. Auf der Rückseite des Buchs prangt ein Zitat von Oliver Stone: „Macht Spaß und ist leicht zu lesen.“ Ein gelungenes Cross-Marketing, das allerdings nicht unbedingt für Stones Distanz zur Wall Street spricht.
Am nächsten Tag laufe ich zufällig am City Cinema in der 86. Straße vorbei, an Manhattans vornehmer Upper East Side. Ich ärgere mich schon, dass ich nicht auf die Idee gekommen bin, den Film genau dort anzusehen, wo die reichen Leute wohnen, die es an der Wall Street zu etwas gebracht haben. Bestimmt hätte ich tolle Zitate von Börsenhändlern und Brokern sammeln können, die den Film über ihr eigenes Leben sicher in Massen begutachtet haben.
Doch dann stelle ich fest, dass der Film in der 86. Straße gar nicht gezeigt wird. Wie naiv ich bin! Gordon Gekkos Jünger gehen nicht ins Kino. Selbst wenn es um die Wall Street geht. Wenn sie einen Film sehen, dann auf den Großbildleinwänden ihrer Luxusappartments.
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Hätten Sie vielleicht ein paar Euro übrig? Es dürfen auch Dollar sein. Für einen guten Zweck, versteht sich. Zum Beispiel dafür, dass sechs libanesische Soldaten nicht bei nahezu 40 Grad Celsius am Straßenrand stehen und auf Hilfe warten müssen, weil ihnen wieder mal der Sprit ausgegangen ist. Oder weil ein Truppentransporter auf den holprigen Strassen im Südlibanon oder an der Grenze zu Syrien zusammengebrochen ist. Die libanesische Armee sucht dringend großzügige Unterstützer.
Zu dem Zweck hat Verteidigungsminister Elias Murr kürzlich ein Spendenkonto eingerichtet, in das libanesische Patrioten und andere Gewogene jede denkbare Summe einzahlen können, damit die Streitkräfte endlich kampftauglich ausgerüstet werden können. Ob es Spendenquittungen geben wird, ließ der Minister offen. Er appellierte vor allem an die zahlreichen Libanesen, die im Ausland arbeiten, ihren Beitrag zur Landesverteidigung zu leisten. Murr selbst hat gemeinsam mit seinem Vater bereits 665.000 Dollar eingezahlt, quasi als Ermunterung für potentielle Nachahmer.
Im Verteidigungsministerium zerbrechen sich nun die Strategen sicher den Kopf darüber, wie viele private Spender man durchschnittlich benötigt, um einen modernen Militärhubschrauber zu kaufen. Oder Luftabwehrraketen, die in der Lage wären, die den Libanon ständig überfliegenden israelischen Kampf- und Aufklärungsmaschinen ernsthaft abzuschrecken.
Diese dramatische Maßnahme des Verteidigungsministers folgt einer Ankündigung von US-Kongressmitgliedern, eine zugesagte militärische Unterstützung in Höhe von 100 Millionen US-Dollar zunächst einmal auf Eis zu legen. Die Begründung: Man wolle der libanesischen Armee nicht dabei helfen, gegen die israelischen Streitkräfte vorzugehen. Die Vorgeschichte: Libanesische Soldaten hatten am 3. August bei einem Zwischenfall an der Grenze zu Israel zur Waffe gegriffen, um israelische Soldaten an einem vermeintlichen Grenzübertritt zwecks einer Baumentwurzelung zu hindern. Es kam zum Schusswechsel, bei dem ein israelischer Offizier, zwei libanesische Soldaten sowie ein libanesischer Journalist ums Leben kamen.
Seither heißt es in pro-israelischen Kreisen in Washington, der libanesischen Armee könne man nicht mehr trauen. In Israel spricht man gar von einer „Hisbollahisierung“ der libanesischen Armee. Stellt sich die Frage: Wozu ist eine Armee denn gut, wenn nicht zur Verteidigung ihrer Landesgrenzen? Ok, die Frage, ob die israelischen Soldaten tatsächlich auf libanesisches Territorium vorgedrungen waren, bleibt unbeantwortet. Denn an genau der Stelle ist der Verlauf der so genannten „Blauen Linie“, welche die Rückzugslinie der israelischen Armee im Jahr 2000 definiert, umstritten. Die internationale Grenze zwischen beiden Ländern ist ohnehin nicht festgelegt. Aber Israel hatte sich nicht an die mit der Blauhelmtruppe UNIFIL vereinbarte Regelung zu Gärtnerarbeiten im grenznahen Bereich gehalten, was die Libanesen als Aggression interpretierten. Übereifrig und nicht korrekt, kann man im Nachhinein sagen. Ebenso verhält sich die israelische Marine häufig an der nicht demarkierten Seegrenze, wenn libanesische Fischer ihr auch nur nahe kommen. Doch die Fischer antworten nicht mit schwerem Geschütz und kaum jemand verliert ein Wort darüber.
Nun muss die libanesische Armee also wieder um die westliche Hilfe bangen. Im Westen sollte man sich wirklich überlegen, was man will: Will man die libanesische Armee stärken und zu einer ernstzunehmenden Streitmacht heranbilden, damit endlich das Hisbollah-Argument nicht mehr zieht, nur die Schiitenmiliz könne den Libanon verteidigen? Oder will man die Dinge lieber so lassen wie sie sind, dann ist es auch leichter der Hisbollah als von den USA und Israel gebrandmarkter Terrororganisation den schwarzen Peter im Konfliktfalle zuzuschieben.
Die libanesische Armee benötigt dringend eine adäquate Ausrüstung sowie entsprechendes Training – und zwar nicht nur leichtes Gerät, Maschinengewehre und ein bisschen Munition. Sondern moderne Panzer, Truppentransporter, die nicht bei jeder Gelegenheit zusammenbrechen, Kampfhubschrauber, ein ernstzunehmende Luftabwehr und hochseetaugliche Schiffe, die auch im Winter die Patrouillen der Küste sicherstellen können. Einer Studie des amerikanischen „Center for Strategic and International Studies“ zufolge braucht die Armee mit ihren knapp über 50.000 Soldaten mindestens 1 Milliarde US-Dollar, um ein Minimum an Einsatzbereitschaft zu erlangen. Da müssten sich schon sehr viele private Patrioten zusammenfinden, um die aufs Spendenkonto zu bringen. Andernfalls hat sich auch schon Teheran angeboten. Vermutlich ein Bluff, aber wer weiß.
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Natürlich konnte in all der Aufregung niemand widerstehen: Das Sydney Oprah House heißt Australiens Wahrzeichen Nr 2 demnächst. Jedenfalls im Dezember. Denn dann fliegt Oprah Winfrey, eine Talkshow-“Personality” aus Amerika, ein. Wir wissen das hier unten seit heute, und seit heute ist alles anders, alles! Auch für Oprah. Zum ersten Mal kommt sie nach Australien. Und sie ist soooo irre aufgeregt über das ‘absolute Abenteuer’. Verständlich, “The first cut is the deepest” wusste Yusuf Islam schon als er noch Cat Stevens hieß, und so ist Australiens Tourismusindustrie einfach ebenfalls irre nervös. Fast noch aufgeregter als OW. Heute auch nur von Irgendjemandem aus der Tourismusbranche einen nicht Oprah-relevanten Halbsatz zu bekommen war komplett unmöglich. “Das ganze Haus vibriert”, verriet mir hektisch eine Insiderin, die nur deshalb nicht-Oprah-bezogene Mails beantwortete, weil sie ab morgen Urlaub hat.
1 Millionen Australische Dollar gibt allein die Regierung in Neusüdwales aus, damit Oprah das Opernhaus sieht. Diverse weitere Mio schießen andere Länder und Sponsoren für Oprahs erstes Mal dazu. Man helfe bei der Unterbringung, hieß es erklärend. Mit Millionen? Ist Down Under so verflixt teuer geworden?
Nein, aber Oprah Winfrey bleibt ja ein bisschen (8 Tage), will Sydney und all das Outback rundum sehen, und nebenbei zwei Sendungen produzieren – Und sie kommt eben nicht allein: 450 Landsleute reisen mit. Denn zwar ist Oprah irgendwie irre positiv begeistert (was dann irre positiv für OZ ist, denn schließlich gucken massive amounts of people (Daily Telegraph) ihre Show, was dann massive für die Tourismusbranche ist). Und vermutlich auch für den Rest des Universums Folgen hat, denn wenige Stunden nach Bestätigung des welterschütternden Ereignisses meldete Google bereits 1299 Artikel, die sich mit “Oprah excitement visit Australia” befassten. Logisch, dass es längst eine Gesichtsbuchfreundegruppe gibt, in der sich “FB-Freunde von OW visits Australia” über ihre gemeinsame Vorfreude austauschen. Und einigen Medien schien kollektiv die Kinnlade runter gefallen zu sein, wobei ein Großteil des ohnehin beschränkten Vokabulars flöten gegangen sein musste und sich fortan auf einige wenige Adjektive reduzierte: Just massive, you know. It’s massive!
Doch kurz zurück zu Reisebegleitern und Publikum, denn da traut Oprah Winfrey den Australiern trotz Gratistrip und all der achselnassen Aufregung nun wohl doch nicht so ganz über den Weg: 300 US-Amerikaner ihres Stammpublikum fliegt sie mit ein, sicher ist sicher. Wahrscheinlich um Sprachbarrieren zu verhindern. Ihren eigenen Piloten bringt sie übrigens auch mit: Kein geringerer als John Travolta soll den Qantas-Jet sicher übers Meer steuern. Heißt es. Da fällt mir nur eins ein: massive, that’s just massive!
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Das Erdbeben in Neuseeland und der Blog der heftig beben-geschüttelten Kollegin Anke Richter aus Christchurch haben mich daran erinnert, dass unsere Decken und das Notproviant für alle kalifornischen Bebenfälle mal wieder bei irgendeinem Campingtrip oder Ausflug zum Strand verschwunden sind, dass ich immernoch nicht das handbetriebene Radio gekauft habe, das es seit Wochen zum Sonderpreis im Supermarkt gibt und dass in dem Schrank, in dem eigentlich Wasser und Erste-Hilfe-Kiste sein sollten aus irgendeinem Grund seit Monaten leere Bierflaschen vor der Abgabe beim Recycling zwischengelagert sind.
Immerhin ist die Sicherheits-Lasche noch an der Schranktür. Die verhindert im Fall eines Bebens dass die Flaschen auf den Boden fallen. Das erinnert mich daran, wieder feste Schuhe neben das Bett zu stellen. Denn scheinbar gibt es vor allem nachts Erdbeben in Kalifornien, Fenster gehen kaputt, Bilderrahmen kommen von den Wänden und wenn man im verschreckten Halbschlaf barfuß aus dem Bett klettert hat man als erstes einen Glassplitter im Fuß und damit unnötig zusätzlich Probleme! Das habe ich jedenfalls bei der Recherche für zahlreiche Beiträge rund ums Phänomen Erdbeben gelernt. Kurz nach diesen Recherchen lege ich dann immer Vorräte an, stelle eine Erste-Hilfe-Kiste zusammen, deponiere Bargeld und Dokumente in einem Safe, schreibe wichtige Kontaktnummern auf, entwickle einen Fluchtplan, zwinge meinen Mann dazu, einen Treffpunkt zu vereinbaren, wo wir uns finden, falls uns das Beben getrennt voneinander erwischt und eine Telefonnummer zu vereinbaren, die wir beide erreichen, wenn unsere Handys ausfallen. Theoretisch bin ich inzwischen sehr gut in der Erdbebenvorbereitung – ein paar Wochen nach der Recherche sieht es in der Praxis aber nicht mehr so gut aus – siehe leere Bierflaschen im Erste-Hilfe-Schrank!
Es gab ein paar mittel-heftige Beben in Los Angeles über die vergangenen Monate und Wissenschaftler grübeln nun ob das ein gutes Zeichen ist – heißt, dass sich Spannungen abbauen und deshalb größere Beben unwahrscheinlicher geworden sind – oder ob das kleine Ouvertüren sind für THE BIG ONE, das seit Jahren vorhergesagt wird mit mehreren tausend Toten und Milliarden an Sachschaden. Ich habe von den Beben nicht viel mitbekommen. Allerdings muss sich unser Haus innerhalb der letzten zwei Jahre bewegt haben. Und nicht wenig! Das hab ich entdeckt, als ich ein Bücherregal von einer Bürowand wegschob, die wir vor zwei Jahren frisch gestrichen hatten. Zwischen Staubwolken und Spinnweben klafft ein ziemlich heftiger Riss!
Kein Grund zur Beunruhigung! Häuser sind hier ja bevorzugt aus Holz gebaut, das hält sie flexibel und bebentauglich. Wir werden wohl nochmal streichen müssen. Oder das Regal wieder davor stellen.
Für die Kollegin Richter und ihre Familie, denen glücklicherweise allen nichts wirklich schlimmes passiert ist noch ein Tipp: hier raten alle Experten, sich möglichst NICHT in einen Türrahmen zu stellen wenn die Erde anfängt unruhig zu werden, eben weil Türen und andere Sachen da gut hinscheppern können. Sie empfehlen, sich unter eine solide Tischplatte zu begeben. Die einzige, die wir haben ist mein Schreibtisch und darunter ist wegen Kabelgewirr und Computer höchsten Platz für eine Person. Das bedeutet, mein lieber Mann muss im Fall des Falles vermutlich unter den Teak-Couchtisch kriechen. Hauptsache, er hat feste Schuhe an!
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Es ist Zeit für eine Enthüllung. Ich heiße gar nicht Christine Mattauch. Juristisch gesehen jedenfalls. Das hätte mich vergangenen Freitag fast die Einreise in die USA gekostet.
Schuld daran ist mein Eigensinn. Als vor vier Jahren der beste aller Männer um meine Hand anhielt, sagte ich nicht nur Ja, sondern beschloss zugleich, seinen Namen anzunehmen und damit alles Frauenrechtlertum über Bord zu werfen. Halt – nicht alles. Natürlich wollte ich weiter unter meinem Mädchennamen schreiben, der nach über 20 Jahren im Journalismus so etwas wie eine Marke geworden war. Das lieferte der Frauenrechtlerin in mir den perfekten Grund, den alten Namen irgendwie doch beizubehalten. Ich verfiel auf die Idee, ihn im neuen Pass als Künstlernamen eintragen zu lassen. Liebende Frauen müssen nicht logisch sein.
Der Beamte auf dem deutschen Konsulat in New York staunte nicht schlecht. „Den Mädchennamen als Künstlernamen? Wieso wollen Sie das denn, vorne wird ‚geborene Mattauch’ eingetragen, da sieht doch jeder, dass Sie mal so geheißen haben.“ Ich erklärte. Er verstand trotzdem nicht. Ich hatte keine Lust mehr zu erklären und wurde formal: „Aber es geht doch?“ – „Es geht. Allerdings nicht mehr lange.“ – „Aber jetzt geht es noch?“ Pause. Dann gab er auf: „Ja.“
Formal heiße ich also seit dreieinhalb Jahren Christine Piper, aber im Berufsalltag spielt der Name so gut wie keine Rolle. Viele Leute wissen überhaupt nicht, dass ich sozusagen doppelnamig bin. Im vergangenen Jahr saß ich bei einem festlichen Dinner an einem großen runden Tisch, an dem ein Platz unbesetzt blieb. Die Gastgeberin verteidigte ihn unverdrossen gegen Neuankömmlinge: Die Dame würde bestimmt kommen, das habe ihr der Ehemann heute noch versichert. Irgendwann wurde ich so neugierig auf die fehlende Person, dass ich mir die Platzkarte ansah. Da stand: Mrs. Piper.
Sonst sorgt mein heimliches Frauenrechtlertum für bemerkenswert wenig Turbulenzen, zumal Amerikaner in Namensangelegenheiten traditionell großzügig sind (wir hätten bei den Eheschließung sogar unsere Namen zusammenziehen können, etwa zu Pipermat, oder einen komplett neuen Namen beantragen können). Nur bei internationalen Flügen muss ich aufpassen, der strengen Sicherheitskontrollen wegen. Und da habe ich diesmal geschlafen und bei der Online-Flugbuchung meinen Mädchennamen eingegeben. Erst in der Subway zum Flughafen JFK fällt mir das auf. Mir schwant Böses.
Doch die amerikanische Bodenstewardess stutzt nur kurz und stellt umgehend die Bordkarte aus, auf Christine Mattauch. Ich interveniere: „Können Sie den Namen nicht ändern, ich heiße eigentlich Piper, und ich möchte nicht…“ – „Honey, das sieht doch jeder, dass das Dein Mädchenname ist“, unterbricht sie mich freundlich und wedelt mich in Richtung Sicherheitsausgang.
Sie kennt ja nicht das deutsche Bodenpersonal in Hamburg. Das Einchecken für den Rückflug läuft genauso alptraumartig ab, wie ich es mir vorgestellt habe. Die misstrauische Frage nach der Namensdifferenz. Das bedenkliche Gesicht nach meiner Erklärung. Der Griff zum Telefonhörer: „Ich habe hier einen Passagier, bei dem stimmen die Namen nicht überein…“ Ich schwitze. Ich bete. Ich verfluche die Frauenrechtlerin in mir. Die Bodenstewardess blättert in meinen Unterlagen und spricht in den Hörer: „Das Visum? Das ist auf den Mädchennamen ausgestellt…“ Endlich legt sie auf, sieht mich ernst an. Ich sehe mich bereits heimatlos in Hamburg. Dann sagt die Stewardess: „Das ist dann diesmal okay“, in einem Ton, der verrät, dass es natürlich ganz und gar nicht okay ist. Aber das ist mir egal. Auch, dass ich am Gate ganz besonders gründlich gecheckt werde.
Nochmal Panik, als ich beim Umsteigen in Düsseldorf ausgerufen werde. Ängstlich nähere ich mich dem Desk: „Es ist bestimmt wegen des Namens, nicht wahr? Mattauch ist mein Mädchenname und Piper…“ – „Das habe ich mir schon gedacht“, entgegnet ein vergnügter Rheinländer, blättert in meinen Papieren und entlässt mich mit einem Lächeln.
Den Künstlernamen hat in dem ganzen Kuddelmuddel kein Mensch beachtet, und ich war zugegebenermaßen froh drum. Vermutlich hätte der mich erst recht verdächtig gemacht. Denn wer kommt schon auf die absurde Idee, seinen Mädchennamen als Künstlernamen eintragen zu lassen?
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Oahu (Hawaii), Kamehameha Highway, gestern Nachmittag: Plötzlich stoppen Autos, einige steuern konfus den Straßenrand an, Leute springen raus mit gezückter Kamera. Ein Blick durchs Seitenfenster genügt, um zu wissen warum: Ein Segelschiff, offensichtlich mehrere hundert Jahre alt, liegt an einem kleinen Pier vor Anker. Ein Museumsschiff? Ein Restaurationsprojekt? Ein Nachbau a la Disneyland? Wir wenden. Parken am Pier, laufen zum Schiff, bis zu einer Absperrung, vor der zwei dutzend Menschen versammelt sind. Alle starren wie gebannt aufs Schiff, das aus der Nähe nicht weniger rätselhafter erscheint als aus der Ferne: Abgerissen, aber zugleich irgendwie gut in Schuss, und warum eigentlich wimmelt es hier vor Sicherheitsleuten?
Endlich macht einer den Mund auf. „Welcher Film?“ Der Security-Guy schiebt seinen Kaugummi von der rechten in die linke Backe und antwortet: „Fluch der Karibik.“ Die Menge erstarrt. Der Neugierige fragt ungerührt weiter: „Welcher Teil?“ – „Vier.“ Ein Teenager im Baskeballtrikot schreit hysterisch: „Ich habe Johnny Depp gesehen!“ Das ist aufgrund der Entfernung ganz unmöglich, und die Leute verdrehen die Augen. Aber später erzählen unsere netten Wirtsleute, dass auf der Insel ganze Horden von Paparazzi unterwegs sind, um den Star zu finden – bisher erfolglos. Kurz regt sich bei mir der Reporterinstinkt: Muss ich da nicht auch irgendwas machen? Ach nein – ich hab endlich mal Urlaub. Aber den Weltreporter-Blog will ich denn doch bestücken. Zumal sicher nicht jeder weiß, dass die “Pirates of the Caribbean” zumindest teilweise in der Südsee gedreht werden.
Foto: Christine Mattauch
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‘Prinz Frederic, Hello!’ – der deutsche Akzent war so stark, dass ich ziemlich sicher war: der Prinz ist höchstpersönlich am Telefon! Ich fragte lieber nochmal nach. Bis dahin dachte ich, Prinzen haben Butler, die den Hörer abnehmen, während die Hoheiten – so sie denn in Beverly Hills residieren – mit gekühltem Drink am Swimmingpool liegen, umgeben von Bediensteten, die ihnen jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Aber nein – Prinz Frederic geht tatsächlich persönlich ans Telefon. Vielleicht ist das noch eine Angewohnheit aus seiner Zeit als Hans Robert Lichtenberg, bevor er dank Vermittlung und Bezahlung des Titel-Großhändlers ‘Konsul’ Hans-Herrmann Weyer von Prinzessin Marie Auguste adoptiert und damit zum Verwandten von Kaiser Wilhelm wurde.
Jetzt tritt der deutsche Prinz an für die Nachfolge von Arnold Schwarzenegger, will Gouverneur von Kalifornien werden. Sein Wahlprogramm: Marijuana, Prostitution und kubanische Zigarren legalisieren und versteuern, die Homo-Ehe erlauben, die Grenze zwischen USA und Mexiko öffnen. Damit will er die knapp 20 Milliarden Dollar Haushaltsdefizit ausgleichen und sich die Stimmen von Latinos, Schwulen und Lesben sichern. In Kalifornien sind das ziemlich viele. Trotz eines ziemlich wirren Wahlkampfes hat der Prinz inzwischenüber zehntausend Unterschriften gesammelt. Sein Name wird im November höchstwahrscheinlich auf den Stimmzetteln stehen. Die Unterschriften müssen nur noch auf Rechtmässigkeit geprüft werden.
Prinz Frederic klang jedenfalls ziemlich optimistisch und kampfeslustig am Telefon. Obwohl ich ihn – wie er mir lachend erzählte – beim Abendessen mit Gattin Zsa Zsa Gabor unterbrochen hatte. ‘Das machen wir jeden Abend – Abendbrot essen und dazu Nachrichten schauen. Meine Frau sitzt ja leider im Rollstuhl und kann mich beim Wahlkampf nicht begleiten.’ Seiner Prinzessin und First Lady Zsa Zsa gehe es gut, erklärte er auf meine Nachfrage. Sie hätten zwar 1986 aus reinem Geschäftssinn geheiratet ‘Ich wollte rein in die Hollywood High Society und sie wollte Prinzessin sein’, inzwischen sei aber eine große Liebe zwischen ihnen gewachsen und sie würden einander nie verlassen. Rührend! Den Wahlkampf führe er auch, um sein Blut in Wallung zu halten und jung zu bleiben.
Bei soviel Plauderei mit einem Prinzen vergaß ich fast, nach einem Interviewtermin zu fragen. Den bekam ich dann aber doch – vor Beginn der Schwulen- und Lesbenparade in Hollywood. Bei der fuhr der Prinz in einer Kutsche mit. Eigentlich wollte ich an dem Tag direkt vom Interview in eine Kneipe zum Fußballschauen. Aber dann war überraschend ein Platz frei in der Kutsche und der Prinz fragte, ob ich nicht mitfahren wollte. Welche Reporterin kann schon die Einladung eines Prinzen ablehnen – selbst wenn es ein Wichtigtuer mit gekauftem Titel ist – mit ihm in der Kutsche in der Schwulenparade durch Hollywood zu fahren.
Ich wurde schwach, habe unglaubliche Töne gesammelt, während der Prinz bei über 30 Grad und wolkenlosem Himmel in Uniform majestätisch winkend Wahlkampf machte – und Deutschland hat gewonnen.
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Ein Konzert auf einem Friedhof? Einen Moment glaubte ich, ich hätte mich verlesen. Doch da stand es, schwarz auf weiß, in der E-Mail meiner Freundin Carol, einer resoluten älteren Dame, die nicht zu dummen Scherzen neigt. „It is a really nice event“, ließ sie mich wissen. „Let me know if you want to join us.“ Das wollte ich allerdings.
Stattfinden sollte der „nice event“ nachmittags auf dem Green-Wood Cemetery, einem 1838 gegründeten Waldfriedhof im Brooklyner Stadtteil Greenwood Heights. Das Gelände ist riesig – fast 200 Hektar – mit Seen, Teichen, Hügeln und vielen, vielen Bäumen. Nicht nur deshalb ist dieser Friedhof ein wenig anders als die meisten. Viele berühmte und manche exzentrische Persönlichkeiten sind dort beerdigt und bilden eine ewig ruhende illustre Gemeinschaft: der Dirigent Leonard Bernstein; der Boxer und Gangster „Bill the Butcher“; der Vater des US-Präsidenten Theodore Roosevelt; Lola Montez, die Geliebte des bayerischen Königs Ludwig I. In der Fassade des pompösen Eingangstores nistet seit Jahren eine Kolonie grüner Papageien. Angeblich sind die Vögel aus einem Flughafen-Container entwischt.
Konzertanlass war Memorial Day, ein Feiertag, mit dem Amerikaner der Soldaten gedenken, die in Ausübung ihres Dienstes gefallen sind. Ich erwartete deshalb eine Militärkapelle mit Marsch- und Trauermusik, als Zuhörer ein paar Veteranen in Uniform und eine ernste, würdevolle Atmosphäre.
Die Bühne und ein paar Stuhlreihen waren auf einem asphaltierten Platz aufgebaut. Weil es so heiß war, hatten sich allerdings die meisten Zuhörer in den Schatten der Bäume zurückgezogen. Ich traute meinen Augen kaum: Hunderte lagerten auf und zwischen Grabsteinen – Großfamilien mit Picknicktaschen, junge Leute mit Yogamatten, Herrenclubs mit Klappstühlen. Einige wenige hatten Miniaturen des Sternenbanners angesteckt oder Kleidung in den Nationalfarben weiß-rot-blau gewählt. Doch die meisten sahen aus wie auf einer gewöhnlichen Sommerfrische – Shorts, kurze Röcke, Flip-Flops.
Wir breiteten unsere Decken am Grab eines gewissen John Huzinec aus, verstorben am 7. August 2005. Dan, ein Freund von Carol, holte drei Tüten Popcorn, das die Friedhofsverwaltung neben der Bühne verkaufte. Uniformträger sah ich keine, und sie hätten sich vermutlich auch fehl am Platz gefühlt, denn die „ISO Symphonic Band“ und der „Brooklyn Youth Chorus“ hatten ein überaus ziviles Programm zusammengestellt: von der „Bridge over troubled water“ über Auszüge aus der West Side Story bis zur „Minnie from Brooklyn“, einer Variation des berühmten Jazzsongs „Minnie the Moucher“. Zwischen den Grabsteinen wippte und schnippte das Publikum, manche sangen mit. Und warum diese Liedauswahl? Einer der Beteiligten, Komponist oder Texter, hat auf dem Green-Wood Cemetery seine ewige Ruhe gefunden. Oder, wie es der Konzertmeister formulierte: er ist ein „Permanent Resident“. Eine hübsche, pragmatische Idee.
Mit zunehmender Dauer des Konzerts wurden die Sitten immer lockerer. Kinder balancierten auf den Grabsteinen, Erwachsene benutzten sie als Rückenlehne. Wie die Permanent Residents dazu standen, wird man nie erfahren, aber vielleicht finden sie es ja ganz gut, wenn mal Leben auf ihren Friedhof kommt. Der Gipfel war erreicht, als eine Gruppe dickbäuchiger Herren vor uns eine Flasche Wein entkorkte. Carol, die genüsslich ihr Popcorn verspeiste, zuckte nicht mit der Wimper. Nur wenn die Kinder zu laut kreischten, ärgerte sie sich. „Psst! Das ist doch ein Konzert“, rief sie mehrfach in Richtung der Eltern.
Weil der Green-Wood Cemetery reichlich 30 Gehminuten von meiner Wohnung entfernt liegt, hatte ich übrigens die Idee gehabt, mit dem Fahrrad dorthin zu fahren. Das sei keine gute Idee, hatte mich Carol belehrt. Radfahren ist auf dem Friedhof streng verboten. Aus Pietätsgründen.
Fotos: Christine Mattauch
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Der Andrang war spektakulär: Hunderte drängten sich vergangenen Freitag in der 66. Straße von Manhattan. Und warum? Ein Rasen wurde eingeweiht! In Nullkommanichts nahm die Meute das Fleckchen Grün in Besitz. Exzentrisch gekleidete ältere Damen breiteten Strandmatten aus, Jugendliche übten das Radschlagen, Schulklassen fielen über ihre Sandwichs her. Es war so voll wie im Hochsommer eine Badeanstalt, mit dem Unterschied, dass nicht Bademeister, sondern Polizisten das Treiben überwachte.
Okay, es war auch nicht irgendein Rasen, sondern eine skulptural gestaltete Grünfläche im Lincoln Center, dem großen Opern- und Konzertkomplex an der Upper West Side. Außerdem gab es kostenlose Zitronenlimonade. Trotzdem wäre soviel Bohei um ein bisschen Grün in Stuttgart oder Hamburg undenkbar. In Deutschland ist ein Rasen, nun ja, eben ein Rasen. Doch im hochhausdominierten New York gelten andere Maßstäbe, dort wird jedes Stückchen Natur in Ehren gehalten. Ein Rasen ist hier ein Heiligtum.
Nicht nur Rasen – alles, was grün ist, gilt als unantastbar. In meinem ersten New Yorker Sommer ärgerte ich mich über ein paar Zweige, die den Treppenaufgang versperrten. Ich schickte den Vermietern eine Mail und bot an, sie mit der Heckenschere abzuknipsen. Die Antwort kam innerhalb von Minuten, und der Ton war so entsetzt, als hätte ich vorgeschlagen, den gesamten Garten mit Unkraut-Ex zu übergießen. „Christine, PLEASE DO NOT CUT THE TREE!“ Sie würden sich selbst um das Problem kümmern. Das Ergebnis war einige Tage später eine kunstvolle Seilkonstruktion, mit deren Hilfe die Äste hochgebunden wurden.
Dabei hat New York viel mehr Grün als gemeinhin bekannt. Über 1700 städtische Grünanlagen gibt es in der Stadt, vom Central Park, den jeder kennt, bis zu winzigen Straßengärten, oft nach einer lokalen Berühmtheit benannt. Für die Pflege ist das „New York City Department of Parks & Recreation“ zuständig, eine riesige Behörde mit rund 10 000 hauptamtlichen Mitarbeitern, die außer den Grünanlagen noch 1000 Spielplätze, 600 Sportplätze und 14 Meilen Strand betreut. Hinzu kommen unzählige private Parks, oft von Millionären oder Grundstücksbesitzern gestiftet und von Freiwilligen bewirtschaftet. Einige sind perfekte Großstadtoasen, wie der Greenacre Park in der 51. Straße, gespendet von Abby Rockefeller Mauzé. Andere sind von einem hohen Zaun umsäumt und, wohl aus Angst vor Randalierern, meistens abgesperrt, wie der LaGuardia Corner Garden im Greenwich Village.
Last not least gibt es 600 000 Straßenbäume, die von Anwohnern liebevoll umsorgt und gegossen werden. Häufig bepflanzen sie die Erde um den Stamm herum mit Stiefmütterchen oder Tulpen. Und wenn der Baum wächst und die Wurzeln die Steinplatten des Bürgersteigs zu heben drohen? Dann kommen Bauarbeiter und schneiden ein größeres Loch in den Beton. In unserer Straße ist der Gehsteig an manchen Stellen so schmal, dass Mütter mit Kinderwagen auf die Straße ausweichen müssen. Aber einen kleinen Umweg nimmt man zugunsten der Natur doch gerne in Kauf.
Und wehe, ein Radfahrer wagt es, sein Gefährt an einen Baum anzuschließen. Das kostet bis zu 1000 Dollar Strafe. “Ketten und Schlösser können die Rinde und die innere Haut des Baums beschädigen”, belehrt die Parkverwaltung. Als eine Kollegin kürzlich abends aus der Kneipe kam, konnte sie gerade noch zwei Männer mit einem riesigen Bolzenschneider davon abhalten, ihr Fahrradschloss zu knacken. Es handelte sich keineswegs um Diebe, sondern um Mitarbeiter des Ordnungsdienstes, die das Fahrrad abschleppen wollten – wegen Parkens an einem Baum.
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YOUR RESPONSE IS REQUIRED BY LAW! Das steht auf dem großen Umschlag, den ich Ende März im Briefkasten finde. Darin: Die Unterlagen zum „United States Census 2010“. Schon seit Wochen werben Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften und minutenlange Fernsehspots für die Teilnahme an Amerikas Volkszählung. Alle zehn Jahre wird sie durchgeführt – eine gewaltige Aktion, die 870 000 Aushilfskräfte beschäftigt. Kein Wunder, bei mehr als 300 Millionen Einwohnern.
Anders als in Deutschland gibt es in den USA kein Meldewesen und keinen Personalausweis. Sich bei einer Behörde zu registrieren, widerstrebt freiheitsliebenden Amerikanern. Auch wenn das im Alltag Schwierigkeiten mit sich bringt und man beim Handykauf zum Nachweis des Wohnortes die eigenartigsten Dokumente vorlegen muss. Zum Beispiel die Gasrechnung.
Grundlage der Bevölkerungsstatistik ist der Zensus, und Bundesregierung, Bundesstaaten und Städte machen Werbung dafür. Aber nicht nur, weil sie wissen wollen, wie viele Leute wo leben. Auf Basis der Zählergebnisse werden Subventionen für Straßen, Krankenhäuser und Schulen vergeben, und so hat jede Gebietskörperschaft ein Interesse daran, möglichst hohe Einwohnerzahlen zu präsentieren. Das aber ist gar nicht so einfach.
Während Indonesien durch Mehrfachzählungen offenbar eine statistische Bevölkerungsexplosion bevorsteht (siehe Blog vom 26. April), werden in den USA vor allem Großstädte systematisch unterzählt – weil dort überdurchschnittlich viele Einwanderer leben, legale und illegale. Die sind zwar ebenfalls zur Teilnahme verpflichtet. Viele verstehen aber nicht, wozu das gut sein soll. Und die Illegalen haben Angst, dass nach Ausfüllen des Fragebogens plötzlich die Polizei vor der Tür steht, auch wenn das Amt für Statistik schwört, es gebe die Angaben nicht weiter.
Die Beteiligung der Immigranten am Zensus ist in den US-Medien ein großes Thema. Worüber hingegen überhaupt nicht diskutiert wird, ist der Datenschutz. Das hat mich überrascht, denn ich kann mich noch gut erinnern, was 1987 bei der Volkszählung in Deutschland los war. Es gab Demonstrationen und Boykottaufrufe. Eine meiner Freundinnen weigerte sich so lange, den Bogen auszufüllen, bis ihr ein hohes Bußgeld angedroht wurde.
Der amerikanische Staat will aber auch nicht soviel wissen wie der deutsche. Nachdem ich den Brief geöffnet und das hellblaue Formular überflogen habe, stelle ich fest, dass ich – im Fragebogen „Person 1“ – nur acht Fragen beantworten muss, und von denen sind die meisten banal – Name, Familienstand, Geschlecht, Geburtsdatum. Nicht mal der Beruf interessiert, geschweige denn das Einkommen. Dafür aber – die Herkunft. „Is Person 1 of Hispanic, Latino, or Spanish origin?“ „What is Person 1’s race?“ Eine Flut von Alternativen wird angeboten: Asian Indian, Alaska Native, Chinese, Korean, Vietnamese, Native Hawaiian, Guamanian or Chamorro, Samoan, Other Pacific Islander… White natürlich auch. Und für den Fall, dass sich jemand nicht repräsentiert fühlt, gibt es „some other race“.
Man ahnt, dass einige Bezeichnungen Gegenstand langer Diskussionen gewesen sind. Die Rubrik für Schwarze etwa heißt „Black, African American or Negro“. Neger? Einige Zeitungen haben empört beim Statistikamt nachgefragt, weshalb ein so veralteter und rassistisch belasteter Begriff verwendet wird. Die Behörde rechtfertigte sich damit, dass viele ältere Schwarze sich selbst noch so bezeichnen würden. Das Unverständnis über diese Erklärung war so groß, dass der Begriff beim nächsten Zensus wohl endlich gestrichen wird.
Auch der Präsident muss den Fragebogen ausfüllen. Da Obama einen schwarzen Vater und eine weiße Mutter hat und in Hawaii geboren ist, hat er bei der Herkunft mehrere Optionen, und es interessierte die Medien, wo er sein Kreuzchen macht. Bei ‘Black’, bestätigte schließlich ein Sprecher.
Zum Schluss kommt die Frage, ob „Person 1“ vorübergehend abwesend sei. Unter den sieben vorgegebenen Gründen lautet einer „In jail or prison“, im Gefängnis. Ich muss erst schmunzeln. Dann aber fällt mir ein, dass jeder fünfte schwarze Mann ohne Collegeabschluss einen Teil seiner Jugend hinter Gittern verbringt. Überhaupt liegt der Anteil der Schwarzen im Gefängnis weit über ihrem Bevölkerungsanteil. Ob daran die Polizei, die Armut oder das Erbe der Sklaverei schuld ist, darüber wird seit Jahren diskutiert, ohne dass sich etwas ändert.
Als ich meinen Bogen ausgefüllt und zur Post getragen habe, komme ich mir sehr staatstragend vor. Obwohl ich kurz versucht bin, den Brief absichtlich zurückzuhalten. Es wurde nämlich angedroht, dass diejenigen, die sich nicht beteiligen, Besuch von Interviewern erhalten. Dann hätte ich noch mehr Material für den Blog gehabt. Aber vielleicht wäre auch keiner gekommen, und dann hätte die Stadt New York wegen der Weltreporter zuwenig Geld aus Washington bekommen. Das wollte ich dann doch nicht riskieren.
Fotos: US Census Bureau, Pete Souza
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Vang Vieng ist eine südostasiatische Schönheit: Steile Karstberge ragen aus grünen Reisfeldern, es mäandert der Nam Song, Kinder fischen im Fluss, Reisfelder, Bambushütten, Wasserfälle. Schwer zu übertreffen der laotische Ort (Traum eines jeden Reisejournalisten) Wären da nicht die Besucher. Vor ein paar Jahren haben die 18- bis 28jährige “Traveller” aus aller Welt Vang Vieng entdeckt und zu ihrer Nr 1 Trink- und Partyzentrale gemacht.
Attraktionen: a) drinking b) tubing c) TVing.
Seither geht Vang Vieng so: Ein Veranstalter im Ort gibt Urlaubern in Badezeug gegen Mittag (bzw. nach dem Ausnüchtern) je einen aufgeblasenen Traktorreifenschlauch und bringt sie flussaufwärts. Dort werden sie in den Nam Song geworfen um im Reifen flussabwärts zu treiben. Das nennen sie tubing; tube: engl. = Schlauch, tubing = sich im Schlauch treibend die Kante geben. Denn weil im Fluss treiben durstig macht und weil Alkohol in Laos sehr billig ist, können sich die jungen Abenteurer unterwegs in Bucket-Bars erfrischen. Dort bekommen sie für 30 000 Kip (2,60 Euro) einen Eimer Hochprozentiges. Den trinken sie per Strohhalm. Wer 2 Eimer kauft, bekommt 1 umsonst, Whisky, bei 38 Grad im Schatten, nur dass es kaum Schatten gibt.
Wenn sie im Ort ankommen sind sie folglich nicht mehr so frisch. Daher lassen sie sich auf Party Island nieder, wo die Lautsprecheranlagen von fünf Bars einander open air beschallen und erholen sich bei ein paar Drinks. Dann geht es in die TV-Bars. Von denen gibt es an den 3 Haupt- und 2 Nebenstraßen etwa 50 bis 60 (nicht übertrieben): luftige Kneipen, in denen in Meditationspolster gelehnt alle Besucher tagein tagaus in die gleiche Richtung starren: auf einen der Fernseher (4 bis 5 pro Bar). Die zeigen in Endlosschleife Friends (Folgen einer amerikanische Vorabendserie mit Lachern aus der Dose). Besonders kecke Bars zeigen Zeichentrickserien, aber meist läuft Friends. Dazu trinken die verwegenen Weltentdecker Beerlao (0,65 Liter für 1 Euro), teilen noch ein paar buckets Whiskey und essen “happy” Pizzen.
Dann gehen sie ins Hostel. Und am nächsten Tag gleich in die TV-Bar, weil tubing waren sie ja nun schon. Nein, stopp, zwischendurch springen sie noch kurz ins Internetcafe und teilen ihren Facebookfriends mit, was sie so ‘erleben’, wichtig, dass alle Bescheid wissen. Oder sie skypen, weil sie leider (Beerlao) keine Fotos mehr hochladen können.
Dieses Gespräch einer jungen Irin durfte ich mitverfolgen (sie schrie so laut in den Schirm, dass schwer war diskret wegzuhören):
– “yea, so cool, so cheap – been tubing too”
– (Frage am anderen Ende)
– Not sure, called Vaengving or something like that.
– (Frage aus Dublin)
– Not sure, Asia somewhere. (Frage an den Computernachbarn): Hey, Sean, what’s this place called?
– (wieder in den Skype Schirm) Right, it’s called Laos, cool place, really, near Thailand, you better come over.
Am nächsten Tag bin ich weiter nach Norden gefahren. Der Rest von Laos ist nämlich weitgehend tubingfrei (schon dank der Dürre und der chinesischen Staudämme), und wirklich interressant, auch schön. Die Einheimischen in Vang Vieng allerdings taten mir noch länger leid. Sicher machen sie Geld, aber um welchen Preis? Und Tourismus war mir mal wieder peinlich. Aber wahrscheinlich werde ich nur alt und humorlos. Obwohl: Ich bin auch mit 21 nicht 9000 Kilometer geflogen und sehr lange Bus gefahren, nur um mich dann am Ziel vor einer amerikanischen Fersehserie mit billigem Bier zu betrinken. Glaube ich jedenfalls.
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Ich war kurz vorm Nervenzusammenbruch – hatte viel zu tun bei der Arbeit, dazu Besuch der herumgefahren werden wollte und ich plante eine Reise nach Deutschland, die wegen der weit verstreuten Familie und Freunde eine logistische Höchstleistung erforderte. Weil ich mal wieder mehrere Sachen gleichzeitig erledigen wollte, schüttete ich mir dann auch noch Milchkaffee über den Laptop, der sofort seltsame Geräusche machte und sich bald weigerte, bestimmte Befehle auszuführen. Bevor ich komplett in Verzweiflung und Selbstmitleid versinken konnte, kam genau die richtige Geschichte, um mein Leid zu relativieren…
Für einen Bericht über illegale Einwanderer in den USA stellte ich mich morgens um sechs mit Tagelöhnern an eine Straßenecke in Los Angeles und fragte sie nach ihren Geschichten. Heraclio aus Mexiko berichtete von der Razzia, bei der er vor zwei Jahren verhaftet wurde. Seither kämpft er gegen seine Abschiebung. Seine Anwältin hat ihm geraten, nicht zu arbeiten solange der Prozeß läuft, aber er weiß nicht, wie er ohne Arbeit seine Frau und zwei Töchter ernähren und das Zimmer bezahlen soll, dass sie sich mit einem Bruder teilen. Seine Kinder sind in den USA geboren und haben deshalb die US-Staatsbürgerschaft. Heraclio und seine Frau hoffen, dass sie eine gute Ausbildung und gut bezahlte Arbeit bekommen. Sie haben Angst, zurück in ihr Dorf in Mexiko geschickt zu werden. Candido aus Honduras erzählte mir, dass er vor drei Jahren seine Frau und drei Kinder zu Hause zurück gelassen hat und einem Schmuggler 6000 Dollar zahlte, um die Grenze zu überqueren. Auch er träumte von einem besseren Leben in Kalifornien. Doch statt wie gehofft, regelmässig Geld nach Hause zu schicken, kann der 31jährige selbst kaum überleben. Jeden Morgen steht er ab sechs Uhr in Malermontur an der selben Straßenecke, seit drei Wochen hat er keine Arbeit bekommen. Für einen Job, an dem er vier Tage arbeitete, hat er nie Geld gesehen. Der Auftraggeber versprach, den Lohn vorbeizubringen, ist aber nie wieder aufgetaucht. Candido hat Sehnsucht nach seiner Familie, sieht aber keine Möglichkeit, sie bald zu sehen. In seiner Heimat gibt es noch weniger und schlechter bezahlte Arbeit als in den USA und wenn er nur zu Besuch fahren wollte, müsste er wieder einem Schmuggler viel Geld bezahlen, um zurück nach Kalifornien zu kommen.
Während wir redeten, hielt ein Auto am Straßenrand. Der Mann am Steuer wurde mit großen Jubelrufen empfangen, obwohl er keine Arbeit zu vergeben hatte. Wie jeden Tag brachte er um 9 Uhr 30 einen grossen Karton voller Donuts zu den Tagelöhnern. Die bestanden darauf, dass ich mir auch einen frischen zuckerbestreuten Teigkringel nehme, obwohl viele von ihnen nicht wussten, wovon sie sich und ihren Familien das nächste Essen bezahlen würden.
Die Tagelöhner hoffen auf eine Reform der Immigrationspolitik, auf Arbeitsgenehmigungen, die ihnen ermöglichen zwischen den USA und ihrer Heimat zu reisen. Von Präsident Obama sind sie enttäuscht, weil er im Wahlkampf versprach, sich für die Rechte der Einwanderer ohne Papiere einzusetzen und ihnen einen Weg zur Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. Bisher gab es aber keine Entscheidung der US-Regierungen, die diese Versprechungen in die Realität umsetzen würde.
Zurück am Schreibtisch war ich ziemlich dankbar, dass ich Arbeit habe, Freunde aus Deutschland mich jederzeit besuchen können, ich die Reparatur meines Laptops bezahlen und – auch wenn es logistische Höchstleistungen erfordert – wann immer ich will zu meiner Familie nach Hause fliegen kann.