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In der Vergangenheit hat die Welt meine Heimat Borneo in seiner Exotik gesehen und nannte sie die „Lunge der Erde“ – darin klingen all die Hoffnungen auf die Schönheit und Gnade Gottes mit. Doch dieses Borneo ist nicht mehr da, verändert, jetzt sprechen alle nun noch über das unglückliche Schicksal der Insel, die zerstört und ausgeplündert wird. Ich bin hier geboren und fühle mich verpflichtet, die Umwelt meiner Heimat zu erhalten und zu schützen. Daher engagiere ich mich beim Borneo Institut in der indonesischen Stadt Palangkaraya. Hier haben wir ein Forum eingerichtet, wo alle Ebenen der Gesellschaft in einen Dialog miteinander treten können. Wir versuchen, die Sensibilität der Menschen zu schärfen für (wirtschaftliche) Richtlinien, die Umweltschäden mitverursachen.
Die Hauptursache für die Umweltzerstörung auf Borneo sind der Ausbau von Ölpalmenplantagen und der Bergbau, die sich auch auf den Klimawandel auswirken. Wälder, in denen Flora und Fauna beheimatet sind, werden gerodet und durch Plantagen oder Minen ersetzt. Diese Situation ist kritisch und besorgniserregend. Fast alle Gebiete in Zentral-Borneo sind mittlerweile von Überschwemmungen, Erdrutschen und Flächenbränden bedroht. Diese gefährlichen Folgen der Umweltzerstörung sind weder ein Fluch Gottes noch eine Glaubensprüfung. Sie sind die Schuld von Menschen, die sich nicht um die Natur scheren. Dies ist eine logische Folge der Gier einer Handvoll Menschen, die Macht über andere Menschen ausüben und ihre eigenen Interessen über die der Gemeinschaft stellen.
Diese Situation verschärft sich, wenn der Staat sich nicht auf die Seite des Volkes. Statt ökologische Nachhaltigkeit zu verteidigen, schlagen und verfolgen Militär und Polizei Menschen, die sich für die Umwelt einsetzen. Selbst gewöhnliche Umweltaktivisten werden kriminalisiert und beschuldigt, Fortschritt und Entwicklung zu behindern. 2018 war ich selbst mit Provokationen von staatlichen Institutionen konfrontiert, die Gewohnheitsrechte der Einwohner kriminalisieren wollten. Solche Erfahrungen verleiten manchmal, gleichgültig zu werden. Doch meine Liebe und mein Respekt für dieses Land haben mich für einen harten Kampf geschmiedet.
Wir hoffen, dass Länder in Europa und insbesondere Deutschland – als Land, das sich um ökologische Nachhaltigkeit und Menschenrechte bemüht – weiterhin ein Klima der Demokratie schaffen. Ein Klima, das eine ökologische Perspektive vermittelt und die Umwelt und die gesamte Schöpfung schützt. Darüberhinaus hoffen wir auch auf eine Anerkennung und Unterstützung für die indigenen Völker, weil diese ausgezeichnete Umweltschützer sind: Sie sehen die Wälder als ihre „Mütter“ und den Schutz der Natur setzen sie gleich mit dem Schutz der Gebärmutter der Menschheit. Wir müssen von unseren Vorfahren lernen, wie wichtig der Schutz der Umwelt für die Erde ist, auf der wir leben. Ich hoffe, dass sie zum Vorbild für die jüngere Generation werden können, um die Umwelt weiter zu bewahren und ökologische Gerechtigkeit zu vermitteln.
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Minister aus Indonesien, Singapur und Australien, Regierungsvertreter aus Dänemark und Norwegen, von den Philippinen und den Fiji-Inseln, insgesamt 1200 Gäste aus rund 40 Ländern, dazu riesige Mengen an Catering in Fünf-Sterne-Sälen, die so eisgekühlt sind, dass man einem Schal braucht.
Selbstverständlich erhalten sämtliche Gäste alle möglichen nötigen und unnötigen Information auf Papier ausgedruckt, anstatt sie auf den USB-Stick zu kopieren, der sowieso Teil der Geschenktasche aus Kunststoff ist, die jeder Gast erhält. So beginnt der dritte Asia Pacific Rainforest Summit in Yogyakarta. Master of Ceremony Anthony Benny vom australischen Umweltministerium lädt die Gäste gleich zu Anfang ein, sich nach dem Gipfel die „tropischen Regenwälder in der Region anzusehen“ – was zumindest bei einigen einheimischen Teilnehmern die Mundwinkel zucken lässt, gibt es doch in Zentraljava schon seit Jahrhunderten keine nennenswerte Regenwälder mehr.
Die indonesische Umweltministerin Siti Nurbaya Bakar klärt das Missverständnis in ihrer Rede dann zumindest indirekt auf: Es werden Touren zu Wiederaufforstungsprojekten angeboten. Diese Baumplantagen sorgten unter anderem dafür, dass Java mittlerweile nicht mehr Holz aus Kalimantan, dem indonesischen Teil von Borneo, einführen muss, sondern im Gegensatz dazu die eigene Produktion nach Kalimantan verschifft. Was sie nicht sagt: dass in Kalimantan nicht mehr viele Bäume übrig sind, die man irgendwohin verschiffen könnte. Dort sind neben den sich krebsartig ausbreitenden Palmölplantagen fast nur noch geschützte oder schwer zugängliche Gebiete bewaldet, also in Nationalparks und im Gebirge: Spätestens seit 2014 gilt Indonesien als der unbestrittene Weltmeister im Abholzen von Regenwäldern.
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Das neue Magazin der Weltreporter (Foto: Bomsdorf).
Mehrfacher Bürgermeister einer Millionenmetropole, Jurist, Präsident – und bekennender Killer. Der philippinische Staatschef Rodrigo Duterte trägt eine skurrile Ansammlung an Titeln. In gut zwei Wochen wird er 73 Jahre alt, dann dürfte seine tödliche und unmenschliche Politik gegen das Drogenelend seines Landes wieder etwas mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Hilja Müller, unsere Weltreporterin in Peking, die zuvor neun Jahre in Manila gelebt hat, beobachtet die Lage im Land schon seit langem aus der Nähe. Über den Staatschef schreibt sie:
“Duterte hat der Kriminalität den Kampf angesagt. Er ordnet auch Erschießungen an – und zerstört so Familien. Seine Anhänger sind begeistert.”
Hilja Müllers ganze Geschichte, für die sie Angehörige von Opfern von Duettes gewaltsamen Kampf gegen die Drogen getroffen hat, steht im Rekorder, dem neuen Magazin der Weltreporter. Über die weiteren Geschichten informieren wir Sie ebenfalls in unserem Blog.
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Vor einer Woche sah es so aus, als stünde ein Ausbruch des Gunung Agung, des größten Vulkans auf der indonesischen Insel Bali, unmittelbar bevor. Drei Tage lang fand sich der heilige Berg der balinesischen Hindus in den Weltmedien wieder, wo er kurzfristig zum größten Vulkan Indonesiens aufstieg (in Wirklichkeit gehört er nicht einmal zu den Top Ten im Land mit den meisten Vulkanen der Welt). Als die Behörden vergangenen Montag die höchste Alarmstufe ausriefen, mussten fast hunderttausend Bergbewohner aus eine Zehn-Kilometer-Zone rund um den Berg evakuiert werden. Natürlich wurde das in den meisten Berichten auch kurz erwähnt. Das Hauptaugenmerk lag allerdings auf den ausländischen Touristen, die auf der beliebten Ferieninsel „festsitzen“, weil der Flugverkehr aufgrund der Aschewolken aus dem Vulkan eingestellt worden war. Für viele ein recht komfortables Intermezzo, da sich die meisten großen Reiseveranstalter kulant zeigten und Hotelbuchungen in den sicheren Touristenzentren kostenlos verlängerten.
Gunung Agung zu ruhigeren Zeiten
Weil sich der Vulkan nun offenbar doch noch etwas Zeit lässt mit seinem Ausbruch, konnten die Touristen nach zwei Tagen Reisesperre wieder abfliegen. Hätten sie übrigens auch vorher gekonnt – zugegebenermaßen mit einigem Mehraufwand – indem sie per Mietauto, Bus oder Bahn zum nächsten Fährhafen und von dort auf eine der Nachbarinseln übergesetzt hätten. Denn auch auf Java und Lombok gibt es internationale Flughäfen.
Die Bewohner des Gunung Agung dagegen sitzen weiterhin fest. Der Berg hat sich zwar etwas beruhigt, aber brummelt weiter. Kein gutes Zeichen: Die Vulkanologen warnen davor, dass sich im Inneren des Stratovulkans immer mehr Druck aufbaue, weil unter dem brodelnden Magma, das bereits im Krater zu sehen ist, Gase eingeschlossen seien. Obwohl immer noch höchste Alarmstufe besteht, fahren die Bauern mittlerweile wieder in die Evakuierungszone, um ihre Tiere zu füttern, um ihre Felder zu bestellen. Sie halten es nicht aus, einfach nur in überfüllten Turnhalten oder feuchten Zeltlagern herumzusitzen und abzuwarten. Ganz davon abgesehen, dass es dort nicht annähernd so bequem ist wie selbst in den einfachen Hotels der Touristenzentren im Süden Balis.
Die balinesischen Bergbauern sind diejenigen, die der Ausbruch des Gunung Agung wirklich betrifft. Doch der Berg ist ihnen heilig, auch wenn er ihnen Angst einjagt. Wo jetzt Asche und Geröll ihre Ernte zerstört, wird später besonders fruchtbare Erde entstehen. Deswegen werden sie bleiben und wieder von vorne anfangen. Und beten, dass die Götter ihnen dabei helfen. Und vielleicht auch ein wenig die Touristen.
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Das Video zog riesige Kreise in Chinas Microblogs und auf Facebook: Eine chinesische Touristin an einem Strand von Phuket in Thailand, die ehrlich erbost mal so richtig vom Leder zog über ihre Landsleute – und sich dabei selber filmte. Die Ursache: Eine andere Reisende hatte ein Stück Treibholz mitnehmen wollen – obwohl die Reiseleiter sie gebeten hatten, das Stück liegenzulassen. Das gehe gar nicht, so die Lady: Chinas Touristen müssten sich über ihr mieses Image im Ausland nicht wundern, wenn sie überall nur darauf aus seien, alles mitzunehmen, laut herumredeten und sich nicht wirklich scheren um die Kultur und Realität der besuchten Länder. “Gut, dass es hier Regeln gibt. Sonst würden sie bald alles Holz, jedes Sandkorn mitgenommen haben!” Immer weiter redete sie sich auf dem Video in Rage – und postete es anschließend unter dem Namen “Große Schwester Bin” auf Facebook (Link zum Video mit Untertiteln hier).
Klar wird: Fremdschämen über eigene Landsleute können nicht nur wir Deutschen uns, wenn wir mal wieder lesen, dass “wir” gemeinsam mit den Briten in Italien durch aggressives frühmorgendliches Plätzebesetzen am Strand sogar die Polizei auf den Plan gerufen haben. Chinesische Touristen haben im Ausland ebenfalls keinen guten Ruf – ihnen wird in manchen Gastländern schlechtes Benehmen, Drängeln, Auf-den-Boden-Spucken oder Müll-irgendwohin-Werfen vorgeworfen. Doch mit zunehmender Bildung wird vielen Chinesen dies bewusst – und sie verlangen besseres Benehmen von ihren Landsleuten. Ungewöhnlich ist vor allem die offene Wut von “Große Schwester Bin”. Emotionen auf diese Weise öffentlich freien Lauf zu lassen ist in China nicht gerade üblich.
Noch ungewöhnlicher war dies lange Zeit für Chinas Sportler. Sie traten bei Olympia und anderen Wettkämpfen oft mit regloser Miene auf – egal, ob sie gerade ihre Medaille entgegennahmen oder einen Wettkampf verloren hatten. Auch das ist diesen Sommer in Rio anders. Chinas Internetnutzer feierten die Schwimmerin Fu Yuanhui als “Ur-Mädchen”, nachdem sie in einem TV-Interview erfuhr, eine neue persönliche Bestzeit geschwommen zu sein und laut ausrief: “So schnell war ich? Ich bin super zufrieden! Ich habe meine Ur-Kräfte ausgeweitet!”, wobei sie auch noch wild die Augen aufriss (hier ein link mit Video). Fu hatte da gerade Bronze im 100m Rückenschwimmen gewonnen. Später zog sie sogar bei der Medaillenzeremonie fröhliche Grimassen und erzählte nach der Heimkehr ungezwungen, wie sie auf dem Rückweg auf dem Flughafen Dubai ohne Englisch zu können allein durch Gestikulieren nach dem Weg gefragt habe, stellte die Gesten noch einmal nach und lachte sich dabei über sich selbst kaputt. Die Leute liebten es. Früher hatten Chinas Athleten bei Interviews stoisch ihre Führungskader und Trainer gepriesen. Heute antworten sie in Interviews letztlich genauso wie Athleten aller Länder: Wie schwierig oder wie toll es heute war, wie gut der Gegner, wie schwer die Beine, oder so. Chinas Volleyballererinnen kreischen bei jedem wichtigen Punkt – genauso wie die Damen aus Brasilien oder Serbien, gegen die sie spielten.
Ungewöhnlich selbst für westliche Standards indes war die Aktion des Kunstspringers Qin Kai: Direkt nach der Medaillenzeremonie, auf der seine Kollegin und Freundin He Zi mit Silber vom Dreimeterbrett geehrt wurde, kniete er sich vor laufender Kamera nieder und machte He Zi einen Heiratsantrag (link hier). Auch er bekam großen Applaus vom Publikum in ganz China. Liebe unter Athleten war in China lange tabu: Noch 2004 wurden vier Mitglieder des Tischtennisteams aus dem Olympia-Team geworfen wegen romantischer Beziehungen miteinander – darunter die damalige Nummer Eins der Welt, Ma Lin. Zum Glück hat He Zi übrigens genickt und ja gesagt. Man mag sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn sie abgelehnt hätte.
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Wenn es irgendjemanden gibt, der über Donald Trump’s Aufstieg feixt, dann ist es Chinas offizielle Presse. Zeigen die Exzesse der Kampagne des Milliardärs doch aus den Augen Pekings die Schwächen der Demokratie. Das Parteiorgan China Daily zeigt Trump (hier) als Baby, das der Freiheitsstatue aus dem Kinderwagen ins Gesicht spuckt. Solche Irren hätten in unserem sozialistischen System gar keine Chance, ist der Tenor der Kommentare. Während ja Adolf Hitler und Benito Mussolini damals durch Wahlen an die Macht gekommen seien. Trump, ein “narzisstischer und aufhetzender” Kandidat habe in den USA eine Büchse der Pandora geöffnet, schreibt etwa die als nationalistisch bekannte Global Times nach den Ausschreitungen bei der Trump-Kampagne in Chicago (hier). Er habe die Weißen der ehemaligen Mittelschicht angesprochen, denen es seit der Wirtschaftskrise ab 2008 immer schlechter gehe. “Großmäulig, antitraditionell und das Prinzip der Offenheit missbrauchend, ist er der perfekte Populist, der mit Leichtigkeit die Öffentlichkeit provozieren kann. Trotz der Versprechen der Kandidaten wissen die Amerikaner, dass Wahlen ihr Leben nicht wirklich verändern. Warum also nicht Trump unterstützen und Dampf ablassen?”, schreibt das Blatt. Dass Wahlen das Leben der Menschen nicht verändern, ist das Kernargument. Wenn das so ist, dann doch lieber gar keine Wahlen, so wie in China. Denn hier haben Populisten keine Chance. Der Kommentar endet mit der Warnung: “Die USA sollten auf sich selbst aufpassen, dass sie nicht zu einer Quelle destruktiver Kräfte gegen den Weltfrieden werden – anstatt immer mit den Fingern auf andere Länder zu zeigen wegen deren angeblichen Nationalismus und Tyrannei.” Letzteres ist übliches Parteizeitungs-Sprech. Ersteres verrät eine gewisse Genugtuung – teilt China damit doch Sorgen anderer Länder, auch der westlichen demokratischen Welt. Welcher Europäer würde Donald Trump schon gern im Weißen Haus sehen? Wohl eher wenige. Doch aus anderen Gründen.
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Das Jubiläumsjahr beginnt mit einer Farce: 2016 jährt sich Maos Todestag zum 40.Mal. Und dafür errichteten Dörfler in der zentralchinesischen Provinz Henan dem auch gerne als “Rote Sonne” verherrlichten Großen Vorsitzenden klammheimlich eine goldene Statue. Nicht irgendeine. Nein, die größte der Welt, 36,6 Meter hoch.
Plötzlich tauchten Fotos des goldenen Giganten, umgeben von brauner Erde und bräunlichem Smog, auf. Und sorgten für Unruhe. Im chinesischen Internet. Für das Geld hätte man doch lieber lokale Schulen bauen sollen, empörten sich Netizens. Und bei der Führung. Die ließ den sitzenden Riesenmao nur wenige Tage nach Auftauchen der Fotos wieder abreißen. Das Parteiorgan Volkszeitung bestätigte das und zitierte Offizielle, der Bau habe nicht den nötigen Genehmigungsweg durchlaufen. Wer auf welcher Ebene den Abriss beschloss, weiß niemand. Der britische Guardian zitiert einen Anwohner des betroffenen Dorfes Zhongshigang mit den Worten, er habe keine Ahnung, wer den Abriss befohlen habe, die Arbeiter habe er vorher noch nie gesehen (hier). Irgendwie typisch für China.
Die Mao-Verehrung auf dem Land nehme zu, schreibt die Zeitung Global Times. Demnach bauen Dörfler in mehreren Provinzen Schreine und Tempel für die “Rote Sonne” (hier). In der Unruhe über die verwirrenden und wechselhaften Zeiten der Gegenwart sehnen sich manche offenbar nach der kargen Einfachheit der Mao-Jahre – und verdrängen dabei den Irrsinn der Kulturrevolution oder die Hungersnot, die Maos “Großer Sprung nach Vorn” ausgelöst hat. Sie wollen etwa Maos Geburtstag, den 26. Dezember, zum Nationalfeiertag erheben. Nostalgie vermische sich mit Volksglauben, so die Global Times, und berichtet von der kürzlichen Einweihung einer bronzenen Mao-Statue für einen taoistischen Tempel, bei der in Jingyuan in der Nordostprovinz Gansu neben den Mönchen auch ein extatischer Schamane mitgewirkt habe. Bereits vor über zehn Jahren orderte die KP den Abriss eines Mao-Tempels in der Südprovinz Guangdong: Der Vorsitzende sei schließlich Atheist gewesen. Die Dörfler aber ignorierten das Verbot und errichteten den Tempel heimlich neu. Der Dorfparteichef ging sogar hin, um für seine Wiederwahl als lokaler KP-Vorsitzender zu beten. Selbst Parteichef Xi Jinping, dem vielfach eine Wiederbelebung maoistischer Kampagnenpolitik nachgesagt wird, sagte kürzlich, dass Revolutionsführer nicht wie Götter verehrt werden dürften. In Jingyuan aber beten die Dörfler nun in ihrem Tempel zu Mao um Babys, Gesundheit oder Reichtum – so wie ihre Vorfahren es zu den von Mao verbotenen Gottheiten wie dem Jadekaiser oder dem Reichtumsgott taten.
Beinahe drei Milliarden Yuan (419 Mio Euro) soll der goldbepinselte Riesenmao gekostet in Henan haben, bezahlt von lokalen Unternehmern und Anwohnern des Dorfes Zhushigang in der zentralchinesischen Provinz Henan. Laut Global Times fühlen sich viele solcher glühenden Mao-Verehrer zunehmend marginalisiert. Das ist wohl wahr. In den Metropolen dürfte sich die Trauer um den gefallenen Goldriesen in engen Grenzen halten.
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Eine Zwei-Fliegen-Politik gibt es in China schon lange – auf Pekings Toiletten. Nicht mehr als zwei Brummer dürfen auf einer Notdurfstation herumschwirren, damit diese als hygienisch einwandfrei gelten kann. Eine Politik, gegen die allerdings nonstop verstoßen wird. Nun gibt es die viel wichtigere Zwei-Kind-Politik. Lange erwartet, kam die Entscheidung am Ende doch überraschend: Das Plenum des Zentralkomitees schaffte – während es nebenbei den kommenden Fünfjahresplan entwarf – diese Woche die mehr als 35 Jahre geltende Einkind-Politik für sämtliche Paare in China ab.
Der Reuters-Fotograf Carlos Barria muss daher wohl seine Serie beenden: Seit 1979 fotografierte er Chinas Einzelkinder – und fragte sie ob sie gern Geschwister hätten (hier gehts zum Link), ein faszinierendes Zeugnis der gesellschaftlichen Veränderungen dieser Politik, die einerseits eine Bevölkerungsexplosion wie in Indien verhinderte. Aber zugleich zu einem verzerrten Verhältnis der Geschlechter führten – da viele Menschen nach wie vor Söhne präferieren und daher selektiv weibliche Föten abtreiben, obwohl dies mitsamt der dazu nötigen Ultaschalluntersuchungen seit vielen Jahren verboten ist. Zudem drohten ganze Gruppen von Verwandtschaftsbeziehungen auszusterben, zum Beispiel Cousins und Cousinen – von weiter verzweigten Verwandschaftsgraden ganz zu schweigen.
Rund 2,5 Millionen zusätzliche Neugeborene erwartet die Regierung nun – dringend nötiger Nachwuchs, denn Chinas Gesellschaft altert rapide – und das bevor das Land die Wohlstandsschwelle erreicht hat, ab derer die Staaten des Westens begannen zu altern. Schwellenländer haben normalerweise viele Kinder – in China waren es 2013 gerade einmal 1,24 pro Frau. 2010 lag die Zahl mit 1,18 sogar noch niedriger – seitdem wurde die strikte Politik bereits leicht gelockert. Bis jetzt dürfen Anghörige nationaler Minderheiten zwei Kinder bekommen, oder Bauern, deren erstes Kind ein Mädchen war. Auf dem Land sind noch immer die Söhne dafür verantwortlich, ihre Eltern im Alter zu versorgen. In den Städten durften miteinander verheiratete Einzelkinder zwei Kinder bekommen. Ansonsten war der einzig legale Weg zu zwei Kindern die Geburt von Zwillingen.
Ob die Fruchtbarkeitsrate nun wirklich stark steigt wird sich zeigen. Viele Städter wollen gar nicht mehr unbedingt mehr – das Land ist an Einzelkinder gewöhnt; viele Paare lassen die Kleinen unter der Woche von den Großeltern aufziehen, während sie selbst arbeiten. Wanderarbeiter lassen sie auf dem Dorf zurück, da sie wegen des strikten Haushaltsregistrierungssystems in den Städten nicht kostenlos zur Schule gehen dürfen. Um wirklich mehr Geburten zu fördern ist dies das nächste System, das abgeschafft werden müsste.
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In zwei Jahren haben Chinas Kommunisten die KPdSU eingeholt – dann regieren sie genauso lange wie die Kommunisten der einstigen Sowjetunion. In einer Größe sind sie bereits die Nummer Eins: Der Anzahl der erlassenen Fünfjahrespläne, bei den Russen unterbrochen etwa vom Zweiten Weltkrieg.
Diese Woche ist es nun wieder soweit: Das Zentralkomitee der KPCh trifft sich um den nächsten, nunmehr Dreizehnten Fünfjahresplan zu beschließen. Zwar sind diese Pläne heute mehr ökonomische Zielsetzungen als detailgenaue Vorschriften für die kommenden Jahre. Doch hält die KP gern an diesem zentralen Ritual ihres trotz aller Reformen leninistischen politischen Systems fest. Damit auch Ausländer verstehen, was es mit dem Plan – auf Chinesisch schlicht “shisan Wu” (Dreizehn-Fünf) genannt – auf sich hat, kreierte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua ein leicht psychedelisch angehauchtes Video auf Englisch, bei dem Cartoon-Figuren, inclusive Albert Einstein und einem Roboter mit (ähem) Exkrementen auf dem Kopf (link hier – Video ganz unten, unter den Fotos eingeschlafener Delegierter). Ohrwurmeffekt inclusive.
Was also ist von dem neuen Plan (2016-2020) wirklich zu erwarten? Die Zeitung Global Times wünscht sich vor allem mehr Urlaubstage, durch die Wiedereinführung der 2008 gestrichenen “Goldenen Woche” um den 1.Mai. Umweltschützer hoffen, dass die bereits begonnene Deckelung des Kohleverbrauchs verbindlich festgeschrieben wird. Ökonomen wiederum setzen darauf, dass Präsident und KP-Chef Xi Jinping endlich konkrete Maßnahmen zur schon vor zwei Jahren angekündigten Ausweitung der Wirtschaftsreformen festschreiben lässt – etwa zur Reform der riesigen Staatsunternehmen: Diese sollen künftig marktwirtschaftlicher arbeiten, mehr Dividende zahlen oder teilprivatisiert werden. Doch Konkretes weiß niemand. Ebensowenig, wie genau die Finanzreformen weitergeführt werden – so dass Privatunternehmen leichter an Kredite kommen, beispielsweise. Auch Pläne zum derzeit kriselnden Autosektor und dem Ausbau der Elektromobilität soll der Plan enthalten.
Wichtig sind diese Weichenstellungen allemal, denn Chinas Wirtschaft wächst nicht mehr hemmungslos, ohne weitere Reformen droht das Land in der “middle-income-trap” zu landen, der “Falle des Mittleren Einkommens”, in der schon so manches Schwellenland verharrt. Vor genau dieser Falle warnte am Montag das Parteiorgan “Volkszeitung.” Doch die Reformen durchzusetzen, ist schwierig für die Regierung, denn die KP soll intern zerstritten sein zwischen Reformern, Bremsern, Besitzstandswahrern – und sie ist zugleich zerrissen durch die weiterhin mit Härte durchgezogenen Korruptionsermittlungen.
Es gibt viel zu tun – was genau angepackt wird, das erahnen wir vielleicht am Ende der viertätigen Sitzung. Bis dahin einfach mitsingen: “If you wanna know what China’s gonna do, best pay attention to the shí sān wǔ.”
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Als ich heute früh mit unserem Hund unterwegs war, saßen in dem kleinen Park unserer Wohnanlage am Stadtrand von Peking ein halbes Dutzend alter Frauen, die sich lachend und gestikulierend unterhielten. Ein an sich typisches Bild, in den Grünanlagen der chinesischen Hauptstadt kommen morgens vor allem ältere Menschen zusammen, um ein Schwätzchen zu halten oder gemeinsam Tai Chi zu machen. Doch am heutigen Tag ist das Damenkränzchen im Freien etwas Besonderes. In der Stadt sind öffentliche Parks geschlossen, manche dürfen erst nächste Woche wieder öffnen.
Es ist eine von vielen Einschränkungen, mit denen Pekings Bewohner dieser Tage zu Recht kommen müssen. Die Hauptstadt hat sich seit Wochen auf ein Ereignis vorbereitet, das weltweit live übertragen wird: Mit einer gewaltigen Militärparade zelebrierte die chinesische Regierung das Ende des Zweiten Weltkriegs in Asien vor 70 Jahren. Oder besser: Die Kapitulation des Erzfeindes Japan. Vom Platz des Himmlischen Friedens aus rollten ab 10 Uhr vormittags die modernsten Waffen, die das Reich der Mitte aufzubieten hat, an den Tribünen der Ehrengäste und Veteranen vorbei. 12.000 Soldaten marschierten mit, der Himmel gehörte Kampfjets und Hubschraubern.
Eine pure Demonstration der Stärke und des Nationalismus, die in China auf allen Kanälen übertragen wurde. Bei der minutiösen Planung des Mega-Events wurde nichts dem Zufall überlassen: Damit das Säbelrasseln nicht durch den sonst üblichen Smog getrübt werden konnte, dürfen auf Pekings Straßen seit Tagen nur die Hälfte der Autos fahren, sind Hunderte Fabriken geschlossen. Eine erfolgreiche Maßnahme, über der Mega-Metropole scheint die Sonne ungetrübt von einem klaren blauen Himmel. Parade Blue nennen es die Pekinger, und atmen verwundert gute Luft ein.
Allerdings zwitschern deutlich weniger Vögel als sonst in den Bäumen – sie wurden durch abgerichtete Falken vertrieben, ihre Nester zerstört. Man fürchtete, die Piepmätze könnten eine Gefahr für die Militärflieger darstellen. Damit diese tatsächlich ungehindert über die Köpfe der handverlesenen Zuschauer hinweg düsen konnten, brauchten Fluggäste heute viel Geduld. Die beiden Flughäfen der Hauptstadt waren vormittags geschlossen. Keiner kam rein, keiner kam raus.
Auch Schulen, Büros, Restaurants und Geschäfte sind heute und morgen geschlossen. Im Innenstadtbereich durften Anwohner in den letzten Tagen zum Teil ihre Häuser nach 20 Uhr abends nicht mehr verlassen. Ein geradezu surrealer Maßnahmenkatalog, damit die Parade ja wie am Schnürchen läuft. Die Furcht der Machthaber vor aufmüpfigen Protestlern oder gar einem Anschlag schien groß zu sein.
Im Westen findet die Parade, mit der Präsident Xi Jinping sich innenpolitisch Schulter an Schulter mit dem mächtigen Militär präsentiert, wenig Anklang. Man hätte sich ein anderes Gedenken an das Ende des Weltkrieges gewünscht, heißt es in diplomatischen Kreisen. Auf der Ehrentribüne saßen einige Staats- und Regierungschefs osteuropäischer Länder, angeführt von Russlands starkem Mann Vladimir Putin, selbst bekanntlich ein Freund solch militärischer Spektakel. Flankiert wurden sie von einigen asiatischen Machthabern, doch mehr als 30 Länderchefs haben die Parade nicht verfolgt. Viele asiatische Nachbarn werden seit Jahren von Chinas Gebaren im südchinesischen Meer unter Druck gesetzt, die Spannungen in der Region sind groß. Die USA, Taiwan und natürlich Japan beobachteten die pompöse Machtdemonstration sicher mit größtem Unbehagen.
Die Pekinger hingegen können dem ganzen Trara auch etwas Gutes abgewinnen. Obgleich ihnen der Alltag durch die Fahrverbote und andere Einschränkungen erschwert wurde, freuen sie sich über die gute Luft und den blauen Himmel. „Das ist ein ganz anderes Leben, es fühlt sich so leicht an“, sagte mir ein Taxifahrer vor einigen Tagen. „Ich habe mit vielen Kunden gesprochen. Wir waren alle der Meinung, dass es so bleiben sollte.“
Das wird es aber leider nicht. Wenn die Inszenierung vorbei ist, und es nicht mehr um Glanz und Gloria geht, dürfen die Fabrikschlote wieder dicke Abgaswolken in die Umwelt blasen und Millionen Autos die Straßen verstopfen.
Bis zum nächsten großen Ereignis, mit dem China die Welt beeindrucken möchte.
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Und es gibt ihn doch: Den Himmel über Peking. Seit einigen Tagen gelten dieselben Regeln wie während der Olympischen Spiele 2008: Nur jedes zweite Auto darf fahren – je nachdem ob die letzte Ziffer des Nummernschildes gerade oder ungerade ist – die meisten Fabriken sind abgestellt. Derzeit läuft im Olympiastadion die Leichtathletik-WM, und am 3. September paradiert Chinas Militär über den Tiananmen-Platz um des Sieges über Japan am Ende des Zweiten Weltkriegs zu gedenken. Für beides muss die Luft rein sein. Am Wochenende übten Düsenjägerbattalions unter weißen Wattewölkchen ihre Formationsflüge.
Wölkchen sehen wir selten; sie verstecken sich meist über der Dunstglocke. Doch genau WIE schädlich die Luft denn nun eigentlich ist, das ist für uns Pekinger eher wenig fassbar. Gerade erst erregten Berichte über eine neue Studie aus den USA Besorgnis (Details hier): Demnach sind wir alle hier Zwei-Schachteln-am-Tag-Raucher: Ein Tag Pekinger Luft entspricht demnach 40 Zigaretten. Illustriert wurde diese Geschichte etwa im Economist mit einer China-Karte, auf der die Gegend um Peking tiefrot gefärbt ist, für die schlechteste Luft im Land. Alles “Pferdesch….”, antwortete nun ein lokales Stadtmagazin: Der Feinstaubgehalt der Pekinger Luft entspreche durchschnittlich nur etwa einer fünftel Zigarette am Tag. Die Autoren haben das einigermaßen plausibel nachgerechnet – auf Basis der Pekinger Feinstaubstatistik von Greenpeace sowie dem, was über den Feinstaubgehalt von Zigaretten bekannt ist. Nun denn. Man möchte ja gerne die zweite Story glauben (Details hier).
Dass ihre Stadt die lebenswerteste Chinas ist, glauben aber nicht einmal die Locals: Peking rangiert an der Spitze des “Liveability Index” des Economist Intelligence Unit für China. Lachhaft, bloggen die Pekinger: Soll das ein Aprilscherz sein? Über den Spott der Hauptstädter berichtet sogar die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua (Story hier). Auch wenn die Luft natürlich nur eines von vielen Kriterien ist. Die Unis sind ja gut in Peking, oder das kulinarische und kulturelle Angebot. Auf Nummer zwei des Rankings ist übrigens Tianjin platziert, die Hafenstadt neben Peking – die ebenfalls auf der China-Luftdreck-Karte tiefrot gefärbt ist. Und die dank des Infernos vor knapp zwei Wochen derzeit eher für negative Schlagzeilen sorgt. Die Zahl der Toten durch die Explosionen eines Lagerhauses für gefährliche Chemikalien ist auf 121 gestiegen, und noch immer werden mehr als 50 Menschen vermisst. Es qualmt immer noch am Unglücksort, mehrere Verantwortliche des Lagerhauses sind in Haft. Die Sache stinkt, physisch und im übertragenen Sinn.
Ich gehe dann mal raus und genieße den Himmel. Solange er noch da ist. Der Countdown läuft. Schon am 4. September wird alles wieder hochgefahren. Und wir werden wieder zu Zwangsrauchern.
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Am Anfang ging ein Video um auf dem chinesischen Chatforum WeChat, das von weitem die verheerenden Explosionen von Tianjin zeigt. Einen Tag später tauchte eines auf, das aus nächster Nähe geschossen wurde. Darin ist bei der zweiten Explosion nur noch Weiß zu sehen, der Filmer scheint mitten im Inferno. Am nächsten Morgen machte sich ein chinesischer Fotoreporter der Beijing News auf, um so nahe wie möglich an den Brandherd heranzukommen. Der war schon abgeriegelt – doch He Xiaoxin schlich sich vorbei an den Polizeikordons, durch ein Wäldchen, unter Hochstraßen entlang, bis zu einem beschädigten, leeren dreistöckigen Gebäude, von dem aus er einen riesigen Platz sah, voller ausgebrannter Autos, durch die ein einsamer Feuerwehrmann schlich. Von dort aus beobachtete He auch die gelbe Giftwolke, die am Nachmittag bei einer kleineren Explosion in den Himmel stieg – möglicherweise enthielt sie Natriumcyanid. Erst dann nahm auch er die Beine in die Hand. Später wurde er doch noch gestellt, viele Fotos musste er löschen. Die erhaltenen Fotos zeigen das Katatsrophengebiet aus nächster Nähe, was kaum jemandem gelungen ist. Hier der link: He Xiaoxin: How Far Can I Go? And How Much Can I Do?
Mindestens 114 Menschen starben bei der Katastrophe, deren Ursache immer noch im Dunklen liegt. 70 weitere werden noch vermisst. 68 befinden sich im kritischem Zusatand in Krankenhäusern, zusammen mit mehr als 600 weiteren Verletzten. Anwohner fordern bereits Kompensationen: Laut Chinas eigenen Verordnungen müssen Gefahrgutlager mindestens einen Kilometer von Wohnhäusern, öffentlichen Gebäuden oder Durchgangsstraßen entfernt sein. Online-Karten zeigen allerdings sowohl eine Straße als auch ein Wohnviertel innerhalb von 500 Metern Entfernung des zerstörten Ruihai International Logistics Warehouse. “Wir Opfer verlangen: Regierung, kauft unsere Wohnungen zurück”, forderten die Anwohner der Wohnanlage vor dem Hotel, in dem die Lokalregierung ihre täglichen Pressekonferenzen abhält. Diese hat Sicherheitschecks aller Lagerstätten gefährlicher Güter angeordnet. Die Zentralregierung will auch landesweit die Sicherheitsstandards prüfen lassen.
Der Hafenbetrieb läuft derzeit wieder langsam an. Autohersteller leiten ihre Autoimporte vorübergehend über andere Häfen. Viele Importwagen wurden auf den nahegelegenenen Stellplätzen beschädigt – darunter etwa 2700 Modelle des Volkswagen-Konzerns. Wie groß der Schaden für die lokale Wirtschaft, oder auch ausländische Unternehmen, insgesamt ist, lässt sich noch nicht absehen.
Transparenz kündigt die Regierung an – doch bislang läuft alles weitgehend wie gehabt: Die Unglücksstelle wird abgeriegelt, Medien dürfen nur die offiziellen Berichte der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua drucken, unabhängige Bilder werden gelöscht, Suchbegriffe wie “Tianjin” funktionieren nicht. Auch He Xiaoxins Bilder sind im Netz wohl nicht mehr zu sehen.
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Eigentlich ist Sommerloch. Trotzdem gibt es Nachrichten, die guten und die schlechten. China hat in den letzten drei Tagen Klimaziele für die UN-Klimakonferenz in Paris bekanntgegeben – das ist eine gute. Um 60-65 Prozent soll bis 2030 der Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber 2005 sinken – gemessen zwar pro Einheit Wirtschaftsleistung, aber da das chinesische Wachstum nachlässt, kann es sein, dass China den absoluten Emissionsgipfel bereits vor 2030 erreicht. Das war bisher das Ziel, ausgegeben im Winter beim Gipfel mit Barack Obama. Nicholas Stern und Fergus Green vom Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment an der London School of Economics and Political Science, dass China den Emissions-Gipfel bereits 2025 erreichen wird (siehe Studie). Den Optimismus ziehen die Autoren aus dem Rückgang des Kohlekonsums, der 2014 erstmals gefallen ist, um 2,9 Prozent. Selbst Greenpeace-Experten glauben, dass dieser Trend anhalten wird – mit positiven Folgen für das gesamte Weltklima. 2014 sind – erstmals ohne akute Wirtschaftskrise – die energie-bezogenen Treibhausgasemissionen nicht mehr gestiegen, schreibt die Internationale Energie-Agentur.
Praktisch zeitgleich, und das ist die weniger schöne Nachricht, verabschiedete China ein neues Sicherheitsgesetz, dass das Internet noch stärkerregulieren soll als bisher. Mögliche Vergehen wie die Gefährung der staatlichen Sicherheit bleiben wie immer vage – aber gerade darin liegt die Gefahr für kritische Blogger oder Chatter. Für Paranoia gibt es leider keine Emissions-Obergrenzen. Was sich teils in skurrilen Details zeigt: Als Freunde von uns vergangene Woche die Möbelpacker im Haus hatten, um in die USA überzusiedeln, weigerte sich das Team, einen Globus einzupacken. Warum? Auf dem Globus hatte Taiwan eine andere Farbe als China. Landkarten, die China und Taiwan nicht als EINEN Staat ausweisen, darf man offenbar nicht einmal aus dem Mutterland AUSführen. Als wären auf allen sonstigen Globen und Atlanten Amerikas China und Taiwan stets in derselben Farbe ausgezeichnet.
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Lesen wollte ich eine ganz harmlose Geschichte über das Champions League Halbfinale zwischen Barca und Bayern München, aber statt rauszufinden warum Trainer Guardiola Thomas Müller aus dem ZDF-Studio gepfiffen hat, lese ich nur “Server Not Found”. Gerne erscheint in diesen Fällen auch die Meldung “Error 404”. Chinas Internet ist langsam und wird immer langsamer. Schuld ist nicht das fehlende Breitband, auch wenn gelegentlich Arbeiten am Netzwerk die Geschwindigkeiten drosseln. Letzteres ist vorübergehend. Der Trend nicht: Chinas “Great Firewall”, welche die Bürger am Lesen unliebsamer Inhalte hindern soll, wird immer höher, ihre Löcher werden immer kleiner. Dabei ist die Zensur selbst schon ärgerlich genug. Noch lästiger ist aber, dass das ständige Durchwühlen aller Inhalte auf verdächtige Worte auch das Öffnen erlaubter Websites verlangsamt – nicht zuletzt weil fast jede Website irgendwo einen Link zu den gesperrten Facebook oder Twitter sitzen hat.
Seit einiger Zeit gehen Chinas Propagandazaren auch gegen VPN-Tunnel vor – “Virtual Private Networks”, die den Zensoren vorgaukeln, dass man etwa aus Los Angeles (“Best for North China”) oder Hong Kong auf eine Seite zugreift. Panik ergriff kürzlich vor allem Ausländer, als sie auf dem Smartphone ihren Facebook-Account nicht mehr öffnen konnten, da mehrere der großen VPN-Anbieter ins Visier der Internetpolizei geraten waren. Derzeit laufen die VPN wieder besser, allerdings unzuverlässig – und ihre Zukunft ist völlig offen.
Firmen klagen derweil immer lauter über das langsame Internet, das eine echte Geschäftsbremse zu werden droht. Laut dem jüngsten Geschäftsklimaindex der Deutschen Außenhandelskammer in China stören sich 59,1% aller deutschen Firmen an dem langsamen Internet. 2012 war es noch die Hälfte gewesen. Der Punkt ist nach drei Personalthemen der viertgrößte Kritikpunkt deutscher Unternehmen. Den 2014 erstmals eingeführten Problempunkt “Internet-Zensur” benannten in der Umfrage auch gleich 44% der Befragten als störend für die Geschäfte. Zumal nicht nur China, sondern auch Deutschland den freien Datenverkehr behindert. Der E-Mail-Provider GMX etwa sperrt Zugriffe aus China aus Sicherheitsgründen. Man weiß ja nie, ob der harmlose User in Peking nicht in Wirklichkeit ein Hacker ist. Manche Online-Dienste lassen sich in Deutschland nur abrufen, wenn der VPN-Tunnel via einem Server in Deutschland aktiviert ist.
Nach dem dritten Versuch zu Thomas Müller zu gelangen, gebe ich jetzt erstmal auf. Wenn es irgendwann gelungen sein sollte, diesen Blogbeitrag hochzuladen, werde ich aber auch die Story gelesen haben. Dann läufts wieder. Zumindest langsam.
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Am 26. Dezember 2004 war ich über Weihnachten in Berlin und hörte morgens im Radio die Nachricht, dass es vor Nordsumatra ein Seebeben gegeben hatte. Ich machte mir erst einmal nicht allzu viele Gedanken. Solche Nachrichten gibt es in Indonesien regelmäßig. Neun Tote im Osten der Insel wurden gemeldet, einige Brücken seien zerstört. Aus deutscher – und anfangs selbst aus indonesischer – Mediensicht also kein großes Ereignis, noch dazu am zweiten Weihnachtsfeiertag. Ich trank in Ruhe Kaffee.
Tsunami-Gedenkstätte in Banda Aceh, Indonesien: ein 2.600 Tonnen schweres Generatorschiff, das vier Kilometer weit ins Landesinnere gespült wurde, Foto: Florian Kopp/Misereor
Doch die Nachrichten über das Seebeben verschlimmerten sich laufend: Erst kamen Berichte von tausenden Toten, die bei einem Tsunami im Süden Thailands gestorben waren, wenig später folgten ähnliche Meldungen aus Sri Lanka, Indien und von den Malediven. Der gesamte Indische Ozean schien rundherum über seinen Rand geschwappt zu sein, die Todeszahlen stiegen stündlich. Nur aus Aceh, der nördlichsten Provinz Sumatras hörte man gar nichts. Und das obwohl das Epizentrum des drittgrößten Bebens, das je gemessen wurde, nur 85 Kilometer vor der acehnesischen Küste lag. Mich beschlich ein dumpfes Gefühl. Ein Anruf bei Kollegen in Jakarta bestätigte die Vorahnung, dass die schlimmsten Nachrichten noch ausstanden. Gegen Abend fragte ein großes Nachrichtenmagazin an, ob ich für die Tsunami-Berichterstattung auf die Malediven fliegen wolle. Ich lehnte ab und schlug vor, stattdessen früher nach Indonesien zurückzufliegen. Die Redaktion hielt das nicht für nötig – dort sei ja nicht so viel passiert. Laut Nachrichten.
Es dauerte tatsächlich mehrere Tage, bis die Welt anfing zu verstehen, warum es kaum Nachrichten aus Aceh gab. Aufgrund eines fast dreißigjährigen Unabhängigkeitskriegs stand die indonesische Provinz zu jenem Zeitpunkt unter Kriegsrecht und war von der Außenwelt weitestgehend isoliert. Nichtregierungsorganisationen und Ausländer durften nur mit Sondergenehmigung einreisen. Knapp zwei Tage dauerte es, bis die ersten indonesischen Hilfs- und Reporterteams sich über die vom Erdbeben zerstörten Straßen und Militärblockaden bis zur Westküste der Provinz durchgekämpft hatten und berichten konnten. Das Schreckensszenario dort überstieg jede Vorstellung: Über Hunderte von Kilometern waren ganze Küstenstreifen einfach ausradiert. Häuser, Bäume, Straßen – alles weg. Nur die platten Fundamente erinnerten noch daran, dass hier einmal Menschen gelebt hatten. In manchen Orten hatten gerade einmal zehn Prozent der Bevölkerung überlebt, mit wenigen Ausnahmen diejenigen, die zum Zeitpunkt der Katastrophe nicht zu Hause waren. Die Überlebenden zogen sich unter Schock und zum Teil schwer verletzt in die Berge zurück. Strom- und Telefonnetz waren komplett zusammen gebrochen, es war unmöglich, Hilfe herbeizurufen. Viele mussten tagelange Fußmärsche auf sich nehmen, um Lebensmittel oder ärztliche Versorgung für zurückgebliebene Angehörige zu besorgen.
Heute wissen wir, dass der Tsunami allein in Aceh 170.000 Menschen in den Tod riss. Als ich genau eine Woche nach der Katastrophe am Flughafen von Jakarta landete, hatte ich ein Dutzend SMS auf dem Handy: alle von Redaktionen, die mich plötzlich schnellstmöglich auf dem Weg nach Aceh sehen wollten. Es war abzusehen, dass der größte Tsunami unserer Geschichte noch Wochen und Monate die globalen Nachrichten beherrschen würde. Denn was jetzt folgte, war die größte Spendenaktion aller Zeiten.
Seit meiner Ankunft in Banda Aceh weiß ich, wie Leichen riechen. Zehn Tage nach der Katastrophe lag über der ganzen Stadt der süßliche Gestank der Verwesung. Rund 2000 aufgedunsene Körper zogen die Bergungstrupps jeden Tag aus Flussmündungen, unter Trümmern und Schutt hervor und fuhren sie auf großen Lastwagen in Massengräber. Jeder Gesprächspartner hatte Verwandte und Freunde verloren. In den am schlimmsten betroffenen Orten waren manche Familien komplett ausgelöscht worden. Die Überlebenden quetschten sich in Schulen oder Zeltlager. Die meisten hatten noch gar nicht realisiert, was eigentlich passiert war. Wo sich die 12 bis 30 Meter hohen Wellen mit voller Wucht hinübergewalzt hatten, war nicht mehr viel zu sehen außer ein paar Kokospalmen und vereinzelten Hausskeletten. Der Grenzstreifen der Todeszone lag etwa fünf Kilometer stadteinwärts: Hier stapelten sich Hausrat, zerquetschte Autos und die Überreste derer, die sich nirgends mehr hatten festhalten können. Mittendrin, fast unversehrt, lagen riesige Schiffe, als hätte sie ein Riese beim Spielen aus Versehen dort fallen lassen.
„Ist das Deine erste Katastrophe?“ fragte mich ein krisenerfahrener Kollege, mit dem ich zusammenarbeitete, und fügte – nicht sehr aufmunternd – hinzu: „Na, dann hast Du es ja gleich richtig erwischt.“ Dank seiner Unterstützung habe ich meine Arbeit trotzdem irgendwie geschafft. Nach einer Woche konnte ich wieder nach Hause fliegen. Es fühlte sich an wie der erste tiefe Atemzug an der frischen Luft nach einem längeren Tauchgang. Zwar spukten manche Bilder und Gespräche noch eine Weile im Kopf herum, doch die Katastrophe rückte wieder weit genug weg, um ein Nachrichtenbild im Fernseher zu werden. In den kommenden anderthalb Jahren flog ich noch mehrmals nach Aceh. Die Bedingungen wurden besser und ich härtete ab. Ich absolvierte das ABC der Katastrophenberichterstattung und zugleich noch einen Schnellkurs in internationaler Nothilfe und Entwicklungsarbeit. Doch die Betroffenen selbst konnten nicht einfach wegfliegen und die Tür hinter sich zu machen. Wie haben sie ihre schrecklichen Erinnerungen verarbeitet?
Zehn Jahre nach dem großen Tsunami von 2004 fuhr ich noch einmal nach Aceh. Diesmal um über das heutige Leben dort zu berichten, über den längst abgeschlossenen Wiederaufbau und den Frieden, den die Katastrophe der umkämpften Provinz brachte. Aber auch über die Scharia, die in der autonomen Provinz immer schärfer eingeführt wurde. Natürlich kamen Erinnerungen hoch. Ein Dokumentarfilm im Tsunami-Museum von Banda Aceh versetzte eine ganze Besuchergruppe in hemmungsloses Schluchzen und eine Mutter erzählte mir mit Tränen in den Augen, dass sie bis heute das Gefühl hat, einer ihrer beim Tsunami verschwundenen Söhne würde noch irgendwo leben.
Ich fühlte mich nicht wohl, die Frau durch meine Fragen nach den schrecklichen Erinnerungen so aufzuwühlen. Der Helfer jedoch, der mir den Kontakt vermittelt hatte, sagte: „Mach Dir keine Sorgen, das macht sie oft – und danach geht’s ihr wieder besser. Dieses Mitteilen ist ihre Form von Selbsttherapie.“ Schon zehn Jahre zuvor war ich tief beeindruckt, wie offen und freundlich die Opfer auf die Fragen fremder Besucher antworteten. Selbst im Zeltlager bekam ich manchmal noch etwas zu Trinken angeboten.
Internationale Hilfsorganisationen gehen automatisch davon aus, dass Opfer einer großen Naturkatastrophe posttraumatische Stresssymptome zeigen müssen, und richten ihre Einsätze demzufolge aus. Bei der psychologischen Betreuung in Aceh sind sie mit diesem Denkansatz kläglich gescheitert. Der Umgang mit den traumatischen Erfahrungen in Indonesien ist anders als bei uns. Alles mit der Gemeinschaft teilen ist dabei ein wichtiger Punkt, Religion ein andere. Die meisten Acehnesen glauben, dass der Tsunami eine Strafe Gottes für das Blutvergießen im Bürgerkrieg war. Durch diesen Glauben an eine göttliche Vorbestimmung und durch ihren kollektiven Lebensstil haben sich viele auf ihre eigene Art von den traumatischen Erinnerungen befreit. Fast alle Interviewpartner sagten, dass die psychischen Nachwirkungen des Bürgerkriegs bis heute viel schlimmer seien als die des Tsunamis: Gegen die Naturkatastrophe seien sie völlig machtlos und alle gleichermaßen betroffen gewesen. Während des Konflikts jedoch haben sich Menschen gegenseitig gequält und umgebracht, ohne dass irgendein höherer Sinn dahinter erkenntlich gewesen sei. Der Friede sei somit auch ein Geschenk Gottes.
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Klaus Bardenhagen ist ein Multi-Talent: schreibt für Print- und Onlinemedien, arbeitet für Radiosender und dreht Fernsehbeiträge als Videojournalist. Aus Taiwan und anderen Ländern der Region berichtet er seit 2008 – über Menschen, die Chinesisch sprechen und demokratisch wählen, über eine Gesellschaft, die vor vielen ähnlichen Herausforderungen steht wie Deutschland, und über ein Land, das vom Westen noch zu entdecken ist.
Seinen O-Ton für den Weltreporter-Adventskalender hat er vor der eigenen Haustür aufgenommen:
“Auch mein Stadtviertel in Taipeh war Ende November im Regionalwahl-Fieber. Kandidaten wie Hong Jian-yi trommelten um Stimmen und schickten solche Lautsprecherwagen durch die Straßen. Diese Botschaft kam wohl gut an – Hong wurde wieder in den Stadtrat von Taipeh gewählt. Und ich hatte einen schönen Ton für meinen Vorbericht zur Wahl.“
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… aus Nizamuddin in Neu Delhi. Diesen O-Ton haben wir aus einem Video herausgenommen, das Michael Radunski in Delhis Stadtteil Nizamuddin aufgenommen hat, in einem kleinen Hinterhof vor dem Mogul-Grab Chausath Khamba. Was wir hier hören ist “Qawwali”, ist ein zum Sufismus gehörender Gesangsstil, der ursprünglich aus der ehemaligen Provinz Punjab im heutigen Pakistan und Nordindien stammt.
Das Grab im Hinterhof wurde 1623 erbaut und hütet die Gebeine des Mogul-Kaisers Mirza Aziz Kokaltash. Der Name Chausath leitet sich von der impossanten Deckenkonstruktion ab, die auf 64 Marmorsäulen ruht (Chausath = 64). Seit 2011 wurde das Grabmal mit Unterstützung der Deutschen Botschaft in Delhi restauriert und nun feierlich mit Qawwali-Gesang für die Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. Michael hat das Video extra für den Adventskalender aufgenommen.
Bevor Michael 2012 nach Neu Delhi kam, hat er in England und China gelebt. In seinen Reportagen, Interviews und Porträts erzählt er nun von einem Land, das ihn durch seine Unterschiedlichkeit fasziniert.
(Fotos: co Deutsche Botschaft Neu Delhi/German Embassy New Delhi)
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Dass Peking nun durchatmen kann, kann man so nicht sagen. Durchgeatmet haben wir tagelang während des Mega-Gipfels der APEC Staaten (Asia Pacific Economic Conference) hier in der Stadt: Denn Verkehr, Fabriken und sogar Behörden und Schulen wurden drastisch runtergefahren. Heute sind die APEC-Delegierten fort, und noch bläst der Nordwind zwar frische Luft in die Stadt. Sobald Windstille herrscht, wird sich aber wieder die Smogglocke über uns senken. Also durchatmen eher nicht. Aber aufatmen. Dass die Schulen wieder geöffnet sind, dass wir wieder vier Tage in der Woche und am Wochenende Auto fahren können statt nur jeden zweiten Tag. Und dass der ganze Hype sich nun nach Naypyitaw verlagert hat, der Hauptstadt Myanmars. Dort steigt heute der Gipfel der südostasiatischen ASEAN-Staaten, und auch dort schweben wieder wichtigste Würdenträger ein: US-Präsident Barack Obama reist aus Peking nach Myanmar, ebenso Japans Ministerpräsident Shinzo Abe. Chinas Ministerpräsident Li Keqiang ist auch dabei – nachdem er die Show in Peking seinem Chef, Präsident Xi Jinping überlassen musste.
Und wozu sind diese Gipfel? Um über Handelsabkommen zu beraten, die regionale Sicherheitsstruktur. Um sich am Rande bilateral zu treffen um dort auch schwierige Themen zu debattieren, wenn die politische Lage offizielle Gipfel nicht zulässt. Siehe Xi und Abe. Siehe Obama und Russlands Wladimir Putin. Vom Rande des APEC-Gipfels gibt es Fotos von Xi und Abe, die sich sichtlich gequält die Hand gaben. Immerhin, man hat miteinander gesprochen, und sich geeinigt, nicht einig zu sein – über Territorialkonflikte und den Besuch Abes in einem Schrein, der Kriegstote, aber auch Kriegsverbrecher ehrt. Leichter war es für Xi mit Koreas Park Präsidentin Geun-hye, mit der er eine Rahmenvereinbarung für ein Freihandelsabkommen schloss. Oder mit Benigno Aquino, Präsident der Philippinen, mit denen sich China um einen Teil des Südchinesischen Meer streitet: Das Scarborough Shawl, das China 2012 besetzte. Aquino verglich einst die Reaktion der Welt auf Chinas Besetzung des Riffs mit Westeuropas Zaudern geegenüber Hitler in 1938, als dieser Teile der Tschchoslowakei besetzte. China war wenig begeistert. In Peking nun bescheinigte Aquino Xi Aufrichtigkeit und Wärme.
Obama und Putin sprachen laut Mitarbreitern hinter verschlossenen Türen ebenfalls miteinander, insgesamt etwa 15 Minuten. Nicht viel, aber doch mehr als in der Öffentlichkeit : “Schön nicht?” Soll Putin Obama mit Blick auf das güldene Dekor der Empfangshalle des Gipfels gefragt haben. Der antworte nur mit einem “ja” ins Leere. Einen Schulterklopfer von Putin ignorierte Obama ebenfalls.
Über zwei verschiedene Handelsabkommen wurde in Peking diskutiert, bei denen Experten noch streiten, ob sie in Konflikt miteinander stehen oder einander sogar ergänzen können. Das eine, die Free Trade Area of the Asia Pacific (FTAAP) für alle APEC-Mitglieder hatte China auf die offizielle Gipfel-Agenda gesetzt. Man beschloss, an der Planung zu arbeiten. Das andere, die bereits etwas konkretere Transpazifische Partnerschaft (TPP) von nur 12 Staaten besprach Obama mit ein paar anderen Staatslenkern lieber im Nebenzimmer. Kein Wunder, China ist bei dem geplanten Abkommen nämlich nicht dabei.
Zusammen waren sie am Ende alle wieder bei dem traditionellen APEC-Familienfoto in lokal angehauchter Kleidung. Diesmal in schlicht lila-schwarz gehaltenen, traditionellen Seidenjacken mit Stehkragen, die offenbar einige an Outfits von Raumschiff Enterprise erinnerten. Austaliens Tony Abbott spreizte die Finger zum traditionellen Spock-Gruß und sofort waren Fotos im Netz und auf dem sozialen Netzwerk WeChat unterwegs, die die APEC-Granden mit den Enterprise-Granden verschmolzen.
Benigno Aquino durfte übrigens auf dem Foto in der ersten Reihe stehen, Abe musste in die zweite. Zufall? Wohl kaum. Kopien der Seidenjacken sind derweil schon einen Tag nach der Konferenz ein Hit unter Online-Shoppern (Foto siehe hier).
Ebenfalls viral gingen am Gipfelabend Fotos von Putin, wie er beim Galadinner galant Chinas First Lady Peng Liyuan eine Decke umhängte, als diese froer. Freundliche Geste? Oder Flirt? Die User fandens lustig, manche Chinesen mögen Putins Macho-Image. Die Zensoren nicht – nach kurzer Zeit verschwanden die Fotos aus dem chinesischen Web-Universum.
Jetzt sind sie alle in Burmas Hauptstadt, wo vielleicht wieder einige merkwürdige Begegnungen warten. Oder eine merkwürdige Atmosphäre. Still soll es sein in Naypyitaw, das weit weg ist von allem, heimlich aus den Reisfeldern gestampft, als die Junta im Land noch das alleinige Sagen hatte. Um China wird es aber auch dort gehen, denn schließlich streiten sich außer Aquino auch noch andere Staaten mit Peking um Riffe im südchinesischen Meer.
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Als Taifun Haiyan vor zwei Wochen mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 300km/h auf die Philippinen zuraste, war ich für Recherchen in Japan. Weit weg vom Geschehen und von meinem Arbeitsplatz in Peking. Fast zehn Jahre habe ich auf den Philippinen gelebt und über das Land berichtet. Abnehmer für Geschichten zu finden war oft schwierig. Die Philippinen sind kein Touristenziel für Deutsche wie Thailand, sie haben wirtschaftlich nicht das Potenzial wie Japan oder China und überhaupt, da gibt’s doch dauernd Ärger. Kriminalität, islamistische Terroristen, Naturkatastrophen. Genau, Naturkatastrophen. So wie jetzt Haiyan, der auf einigen Inseln der Visayas-Gruppe alles umsäbelte, was sich ihm in den Weg stellte. Den Rest erledigte die Sturmflut.
Und nach dem Sturm und der Flut kamen sie in Scharen, die Fallschirm-Journalisten. Rasch eingeflogen aus New York, Singapur oder London. Auf dem Weg zum Unglücksort noch schnell einige Länderinformationen studieren und dann geht’s los mit der Berichterstattung, als hätte man schon immer auf einer philippinischen Insel gelebt. So wie im März 2011 in Japan, als der CNN-Korrespondent Anderson Cooper nach dem großen Erdbeben gemeinsam mit meinem Mann in der ersten Maschine aus New York saß, die den vorübergehen gesperrten Flughafen in Tokio anfliegen konnte. Kaum gelandet, erzählte er Millionen Zuschauern, wie katastrophal die Situation in Japan war und wie eigenartig ruhig die Japaner damit umgingen.
Die Großen der Branche können es sich leisten, jeweils einen ganzen Tross aus Journalisten, Fotografen, Kameraleuten und Technikern zu den Brennpunkten der Erde zu schicken. Über Nacht war Tacloban, die Hauptstadt der Insel Leyte, ein solcher Brennpunkt geworden. Cooper & Co. machten sich hastig auf ins Epizentrum der Zerstörung. Eine Woche lang gehörten die Schlagzeilen den philippinischen Taifunopfern und ihrem verzweifelten Warten auf Hilfslieferungen. Auch bei mir fragten Zeitungen und Sender an, ob ich nicht rasch nach Tacloban fliegen könnte.
Nein, ich konnte nicht, mit zwei Kindern ist man nicht super-flexibel. Aber ich wollte auch nicht. Ich sah‘ keinen Sinn darin, mich diesem Medienhype anzuschließen. Auf allen Kanälen, in sämtlichen Zeitungen wurde berichtet, was die Leitungen hergaben. Welchen wichtigen Beitrag kann man in einer solchen Situation noch beisteuern? Muss man wichtige Ressourcen (Lebensmittel, Wasser, Helikopter, Ansprechpartner vor Ort) verbrauchen, nur um eine Geschichte zu schreiben, die so wie alle anderen das Grauen der Zerstörung und das Elend der Überlebenden ausleuchtet?
Ich will lieber nachschauen, wie es in Tacloban ausschaut, wenn der Medientross weitergezogen ist. Wenn die Welt nicht mehr auf die zertrümmerten Orte schaut, weil niemand mehr von dort berichtet. Es ist keine Überraschung, dass diese Idee auf wenig Resonanz bei den Redaktionen stößt. Ein netter Kollege vom Nachrichtensender N24 sagte ganz offen: „Die Leute wollen das doch nicht mehr sehen.“
So ist das. Eine Woche hieß es „Spot on“. Nun liegen die Taifungebiete wieder im tiefen Dunkel (buchstäblich, denn Strom soll es erst um Weihnachten wieder geben). Wie es dort weitergeht, ob die von der Regierung versprochenen neuen Behausungen gebaut werden, was mit den vielen Millionen Spenden passiert, wie die Menschen ihr Leben wieder in den Griff bekommen – wer will das wissen? Die Fallschirm-Journalisten jedenfalls nicht. Sie sitzen bereits wieder im Flieger zum nächsten Krisengebiet und lesen sich rasch an, worüber sie eigentlich berichten sollen.
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Seit wir vor ziemlich genau zwei Monaten nach Peking gezogen sind, ist ein ruhiges Plätzchen schwer zu finden. Das liegt zum einen an den großen Baustellen neben und hinter unserem Haus. Doch das Problem ist temporär und wird irgendwann verschwinden. Etwas anderes aber wird uns während unserer Zeit im Reich der Mitte begleiten: Die Freude der Chinesen am Lärmen, am geselligen und kakophonischen Beisammensein.
Was den normalen Mitteleuropäer zurückprallen lässt, ist für die Einheimischen normale Härte. Knallvolle Restaurants, dichtes Treiben vor Sehenswürdigkeiten, Schieben und Drängen an Bushaltestellen, und das alles mit möglichst lautstarker Untermalung (Nein, ich fange jetzt nicht an, mich über das deutlich hörbare, röchelnde Spucken auszulassen). Hier ist das Alltag und deswegen gibt es auch ein Wort dafür: Rè Nào nennen die Chinesen den Zustand der lärmenden Enge. Laut meiner Chinesischlehrerin ist der Begriff eine Zusammensetzung der Worte „heiß“ und „laut“. Das trifft’s genau.
Bei unserem ersten Trip in den Süden Chinas vor drei Wochen sammelten wir intensiv Erfahrung mit Rè Nào. Es war während der so genannten Golden Week, wenn sich ganz China und wenige, unerfahrene Ausländer (also wir) auf Reisen begeben. Egal, zu welcher Sehenswürdigkeit wir kamen, durch welche Gassen wir gingen, auf welchem Ausflugsdampfer wir fuhren – es gab kein Entkommen von den Massen, die sich freudig ihre Urlaubs-Eindrücke zubrüllten.
Inzwischen kann ich verstehen, dass eine chinesische Freundin, die vor Jahren als Krankenschwester nach Österreich ging, bei ihrer Ankunft in Wien dachte, es sei etwas Furchtbares geschehen. Ganz still und menschenleer wären die Straßen der Hauptstadt an jenem Sonntagmorgen gewesen. Das hätte ihr richtig Angst gemacht, und sie hätte gedacht, dass vielleicht ein Krieg bevorstünde und deswegen alle Menschen in ihren Häusern wären. Damals hatte ich diese Geschichte nicht verstanden, als eine übertriebene Anekdote abgehakt. Doch aus hiesiger Perspektive wird der Kulturschock begreifbar, den meine an Rè Nào gewöhnte Freundin erlitten hatte. So wie ich jetzt (eigentlich wollte ich immer im dünn besiedelten Schweden leben, aber das ist eine andere Geschichte). Egal, meine Freundin hat sich bestens mit ihrem ruhigeren Leben in Wien arrangiert. Das wird mir mit dem kakophonischen Alltag in China sicher auch gelingen. Irgendwann jedenfalls.
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Weil meine Reporter-Heimat Taiwan eigentlich wichtig, aber im Ausland noch immer so wenig bekannt ist, möchte ich ein neues Buch herausbringen. Und Sie können mir dabei helfen.
Dies ist auch ein Test, ob in Zeiten der Medienkrisen neue Finanzierungswege im Journalismus funktionieren. Mein Projekt steht auf der neuen Crowdfunding-Plattform Krautreporter.
Hier geht es nicht um milde Gaben; es winken handfeste Gegenleistungen: Unterstützer bekommen schon für 10 Euro mein Taiwan-E-Book-Paket, für 25 Euro außerdem das neue Buch direkt nach Erscheinen frei Haus.
Mehr Informationen in diesem Video und auf krautreporter.de/taiwanbuch
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von krautreporter.de zu laden.
Sie können sich noch bis zum 28. Februar an dem Projekt beteiligen. Nur, wenn dieses Projekt gelingt, wird es das neue Buch geben.
Kommt die Summe am Ende nicht zusammen, erhalten alle Unterstützer automatisch ihr Geld zurück.
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Es gibt einen neuen Geschenkehit zum chinesischen Neujahrsfest: Atemmasken. Wo sonst vor allem rote Umschläge mit Geld oder edle Früchte und andere Speisen verschenkt werden, gehts jetzt auch um Dinge zur Förderung der Gesundheit. Seit Wochen hängt eine dicke Smogwolke über dem Land, und darüber freuen sich ein paar gewitzte Unternehmer, die ihre Masken gezielt zum Neujahrsfest in zwei Wochen anpreisen. So stellen zum Beispiel Apotheken die Masken, sonst irgendwo hinten im Lager platziert, nun vorn ins Schaufenster – gleich mit Werbung: Speziell gegen PM2,5, also Feinstaub, seien die Masken. PM2,5 – was in Deutschland Feinstaub heißt – ist auch in China heute das Hauptreizwort im Zusammenhang mit dem Smog. Auch teure Lufreiniger werden angepriesen, die sich früher kaum ein Mensch gekauft hätte.
Schon immer seien chinesische Geschäftsleute gut darin gewesen, aus Krisen prima Geschäftsideen zu generieren, schreibt die staatliche Zeitung China Daily (link). Für die derzeit zig Millionen Wanderarbeitern bevorstehende beschwerliche Eisenbahnreise in ihre Heimatdörfer zum Neujahrsfest dachte sich ein Unternehmer eine Art Schlafhaube aus. Sie sieht aus wie ein Kesselwärmer mit einem Loch zum Atmen um die Nase und Löchern über dem Kopf, in die man die Arme stecken und verschränken kann. Keine Ahnung, wer so schlafen kann. Aber besser als nichts, so ist es wohl. Im Laufe eines Skandals um Babymilchpulver Ende 2008 stiegen viele Firmen ganz schnell in den Milchpulver-Import ein. Und als ein Skandal um recyceltes Speiseöl für Aufregung sorgte, erfanden Unternehmer ein angebliches “Schmutzöl-Testpapier” und verdienten einen Haufen Geld damit.
Leider hat noch keiner eine Windmaschine erfunden. Vor drei Tagen blies ein steifer Nordwind aus Sibirien, und die Feinstaub-Werte lagen zack auf unter 50, dem Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation. Doch seither herrscht wieder Windstille, und alles wieder auf Anfang; die Werte schrauben sich ohne Wind sofort unerbittlich hoch. Ab 250 werden Aktivitäten im Freien eingeschränkt – zB alle Sportveranstaltungen unserer Kinder abgesagt. Heute morgen haben wir 425. Fast schon Routine in diesen Tagen.
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In den Emails, die ich aus Deutschland bekomme, geht es seit zwei Wochen stereotyp ums Wetter. Besser gesagt, um die knackigen Kältegrade dort. Doch endlich kann ich mal kontern mit dem markigen Satz: „Bei uns ist es auch ganz schön kalt, heute Früh waren es nur 18 Grad!“ Bitte nicht lachen, das wäre jetzt gänzlich unangebracht. Schließlich ist der Alltag in den tropischen Philippinen jahrein, jahraus geprägt von Temperaturen jenseits der 30 Grad-Marke.
Doch seit mehr als einer Woche ist alles anders, der Nordost-Monsun gepaart mit einer Kaltfront lässt die an Hitze gewöhnten Einheimischen morgens bibbern. Warme Jacken sind derzeit ein Verkaufsschlager, und auch tagsüber darf’s ein T-Shirt mit langen Ärmeln sein. Ausländer aus Ländern mit Kontinentalklima blühen hingegen auf. Wenn ich morgens die Kinder in die Schule bringe, höre ich auf dem Campus von allen Seiten begeisterte Kommentare über die ungewöhnliche Kältewelle. Noch nie sind mir morgens so viele Energiegeladene Läufer begegnet. Vieles fällt eben leichter, wenn der Schweiß nicht schon im Stehen aus den Poren strömt. Nur mit dem Schwimmen haben einige Eltern so ihre Probleme – bei nur 26 Grad und Wind kann man doch kein Kind ins Wasser jagen, oder?
Um ehrlich zu sein, wir sind dank unserer elf Jahre in Asien temperaturmäßig auch schon ganz schöne Weicheier geworden. Besonders deutlich wurde das letzten Sonntag, als mein Mann auf der Terrasse sitzend mit einmal fröstelt. „Der Wind ist echt kalt“, so die etwas verschämte Entschuldigung. Fünf Minuten später drückte ich ihm eine Tasse mit dampfendem Glühwein in die Hand. Den können wir sonst nur genießen, wenn die Klimaanlage im Haus auf Höchststufe rattert. Mein Mann trank den Warmmacher kommentarlos und fühlte sich gleich besser.
Bis Februar soll die Kälte noch anhalten, so meldet das nationale Wetterbüro. Weitere herrliche Tage also ohne Klimaanlage, Eiswürfel und Kaltwasser-Duschen zum runter kühlen. Und noch ein paar Tage, in denen ich kecke Mails nach Deutschland schicken kann: „Bei uns ist es auch ganz schön kalt.“
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Wie war Ihr Silvester neulich? Ich habe mir zum Jahreswechsel das wie immer spektakuläre Feuerwerk am Taipei 101-Wolkenkratzer angesehen. Dazu musste ich nur vor die Haustür treten. Mein Video vom Feuerwerk, das ich noch in der Nacht ins Internet gestellt hatte, haben mittlerweile etwa 200.000 Menschen weltweit gesehen.
Direkt am Hochhaus drängten sich zehntausende Taiwaner, vor allem aus der jungen Generation, um einen besonders guten Blick zu erhaschen. Einige aber machten sich dieses Jahr nichts aus dem Spektakel – sie hatten wichtigeres zu tun: Mehrere hundert Studenten begrüßten 2013 mit einer Mahnwache auf dem „Freiheitsplatz“ in der Nähe des Präsidentenpalasts. Dunkelheit, Kälte und Regen konnten sie nicht abhalten. Sie sind Teil einer Studentenbewegung, die seit etwa einem halben Jahr immer wieder mit friedlichen Protesten auf ihre Ziele aufmerksam macht. In Taiwan ist das ungewöhnlich, denn eigentlich gelten Studenten hier als extrem unpolitisch und kaum zu mobilisieren.
Es geht um den Kampf gegen ein „Medienmonster“, um Meinungsvielfalt und Pressefreiheit. Die Studenten fordern von der Regierung und den Kartellbehörden, einen milliardenschweren Mediendeal zu verhindern. Taiwans größte Boulevardzeitung und das wichtigste kritische Nachrichtenmagazin sollen verkauft werden. Bislang gelten beide Blätter als politisch relativ unabhängig und ausgewogen. Die neuen Käufer aber sind einige der reichsten Unternehmer Taiwans, und sie machen einen Großteil ihrer Geschäfte drüben in China.
Nicht nur die Studenten, sondern eine breite Allianz aus Bürgerrechtsgruppen, Professoren und Journalisten fürchtet: Die neuen Eigentümer könnten china-kritische Berichte verhindern und ihre Medienmacht für eigenen Interessen missbrauchen. Am Ende könnten sie gar Taiwans Medienmarkt monopolisieren. Abweichende Stimmen würden dann kaum noch laut werden.
Auf einer Demonstration vor der Kartellbehörde in Taipeh habe ich vor einigen Wochen selbst gesehen, wie leidenschaftlich viele Studenten sich für dieses Thema engagieren. Vor allem wollen sie sich nicht den Mund verbieten lassen. Dass konservative Medien ihre Bewegung nicht ernst nehmen und sie als Störenfriede abstempeln wollen, spornt die Studenten nur noch mehr an. Die Proteste spülen vieles an die Oberfläche, was in Taiwans traditionell konfuzianisch geprägter Gesellschaft bislang kaum hinterfragt wurde: Erwachsene Studenten werden häufig wie unreife Kinder behandelt, denen man nicht auf Augenhöhe begegnen muss. Viele Universitäten untersagen ihnen gar politische Aktivitäten – ein Überbleibsel aus der Zeit, als Taiwan per Kriegsrecht regiert wurde.
Natürlich ist es nur eine kleine Minderheit der Studenten, die sich wirklich engagiert. Und ich glaube nicht, dass der Kampf gegen das Medienmonster am Ende erfolgreich sein wird. Taiwans Regierung will den Verkauf der Medien unter rein wirtschaftlichen Kriterien beurteilen. In jedem Fall aber denke ich: Viel wichtiger ist es, dass viele junge Taiwaner nun für gesellschaftliche Themen sensibilisiert sind. Und sie wehren sich dagegen, dass man sie nicht für voll nimmt. In Zukunft werden sie bestimmt noch öfter Gelegenheit haben, den Mund aufzumachen.
Bilder der Studentenproteste in Taiwan (Video):
Was macht Taiwan so besonders, und wie lebt es sich in der einzigen Demokratie, in der Chinesisch Landessprache ist? Über meinen ungewöhnlichen Alltag habe ich ein kleines Buch geschrieben und mit vielen Fotos garniert.
Sie können einen Blick in mein Buch “Tschüß Deutschland, Ni hao Taiwan” werfen und es bestellen – gedruckt oder als e-Book im EPUB-Format für weniger als vier Euro.
Klaus Bardenhagen berichtet seit 2009 aus Taiwan. Erfahren Sie mehr unter taiwanreporter.de oder folgen Sie ihm per Facebook und Twitter.
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Vielleicht stand ja dieses Jahr eines bei Ihnen unterm Weihnachtsbaum? Der Fahrradhersteller “Giant” ist in Deutschland mittlerweile ein Begriff und eröffnet demächst auch ein erstes eigenes Geschäft in Düsseldorf. Dass “Giant” aus Taiwan stammt, ist dagegen weniger bekannt.
Ich habe die Firmenzentrale in der Stadt Taichung besucht und die Firma in einem Bericht für die Deutsche Welle vorgestellt: Der Fahrradriese aus Taiwan
Wie entstehen die Räder? Ich habe außerdem ein kleines Video vom Montage-Band gedreht.
Was macht Taiwan so besonders, und wie lebt es sich in der einzigen Demokratie, in der Chinesisch Landessprache ist? Über meinen ungewöhnlichen Alltag habe ich ein kleines Buch geschrieben und mit vielen Fotos garniert.
Sie können einen Blick in mein Buch über das Leben in Taiwan werfen und es bestellen – gedruckt oder als e-Book im EPUB-Format für weniger als vier Euro.
Klaus Bardenhagen berichtet seit 2009 aus Taiwan. Erfahren Sie mehr unter taiwanreporter.de oder folgen Sie ihm per Facebook und Twitter.
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Alle wissen ja, dass in Amerika heute gewählt wird. Aber fast genau zeitgleich findet auch in China ein Machtwechsel statt. Von Wahl kann man hier zwar nicht sprechen. Ausgekungelt wurden die neuen Parteichefs in den Hinterzimmern der Kommunistischen Partei. Verkündet werden die neuen Miltglieder des engsten Machtzirkels – dem Ständigen Ausschuss des Politbüros der KPCh – auf dem am Donnerstag beginnenden Parteitag. Der findet nur alle fünf Jahre statt. Und deshalb ist es auch etwas Besonderes, dass die Großmacht USA und die Vielleicht-Bald-Großmacht China mit nur wenigen Tagen Abstand beide ihre politische Spitze zur Disposition stellen oder austauschen. Zum letzten Mal fanden US-Präsidentenwahl und KPCh-Parteitag im Jahr 1992 zeitgleich statt. Damals siegte in den USA Bill Clinton. In China war aber – drei Jahre nach der Niederschlagung der Tiananmen-Proteste – an einen Stabswechsel garnicht zu denken. Der damalige Parteichef und Präsident Jiang Zemin war gerade erst drei Jahre an der Macht und auf dem Parteitreffen eher dabei, diese zu konsolidieren. In den achtziger Jahren wechselten sich zwar einige Parteichefs ab, doch der starke Mann war der alte Reformpatriarch Deng Xiaoping. Und davor herrschten Mao und zumeist auch das Chaos.
Klar, der Spaß an einem solchen zeitlichen Zusammentreffen ist vor allem was für eingefleischte Politjunkies. Denn wahrscheinlich wird sich zwischen beiden Staaten gar nicht viel ändern – auch wenn der voraussichtliche neue KP-Chef und Präsident Xi Jinping am Ruder ist, und dann beim nächsten Gipfel entweder Obama oder Romney die Hand schüttelt. Die bilateralen Beziehungen der beiden Staaten gelten als die wichtigsten der Welt, und sie sind trotz regelmäßiger Spannungen und gelegentlichem Misstrauen eigentlich stabil.
Wie sehr die Amerikaner den chinesischen Stabwechsel in der Partei beobachten, ist von Peking aus schwer zu sagen. Aber die Chinesen schauen genau auf die USA. Die Debatten standen auf chinesischen Video-Plattformen. Obama sorgte auch hier 2008 für eine gewisse Aufregung. Seit damals gibt es auf Klamottenmärkten T-Shirts mit Obama im Mao-Käppi. Oder Autoaufkleber wie diesen hier:
Schickaniere mich nicht, steht da drauf: Mein Großer Bruder ist OBAMA.
Viele Chinese interessieren sich gar mehr für die US-Wahl als für den Generationswechsel daheim. Mehr Farbe, es fliegen die Fetzen in einem öffentlichen Wahlkampf, und ja überhaupt, man kann eben etwas auswählen. Zumindest Chinas Netizens haben dabei ähnliche Vorlieben wie die meisten Europäer Bei einer Umfrage des Microblogs Weibo führte Obama innerhalb von zwei Tagen mit 7:1.
Chinas Staatsmedien meckern derweil, denn beide Kandidaten prügeln auf China ein – das so genannte China-Bashing hat im US-Wahlkampf Tradition. Besonders kernig gibt sich Mitt Romney, der China gleich am ersten Amtstag als Präsident zum Währungsmanipulator abstempeln will. Angst vor Romney? Ach wo. Man müsse Romneys Parolen nicht beim Wort nehmen, glaubt Shen Dingli, Direktor des Zentrums für Amerikastudien an der Shanghaier Fudan-Universität. „Romney wird das gleiche tun wie Clinton, Bush oder Obama“, so Shen. Sprich: Nach dem Wahlkampfgetöse die Politik auf das übliche Lautstärke herunterfahren.
In den USA laufen jetzt die letzen Stunden vor der Wahl. In Peking ist die Stadt noch zwei Tage im Warte- und Ausnahmezustand. Patrouillen suchen die Stadt ab nach reaktionären Slogans, die Polizei lässt stadtbekannte Dissidenten nicht aus den Augen. Überhaupt stehen überall Polizisten. Und selbst Taxifahrer haben genaue Anweisungen: Weiträumig umfahren sollten sie den Tagungsort am Platz des Himmlischen Friedens, und darauf achten, dass Fahrgäste keine Anti-KP-Parolen an ihrem Auto befestigen. Auch dürfen sie niemanden mitnehmen, der irgendeine Art von Ball transportiert. Es könnte ja sein, dass der Fahrgast Tischtennisbälle mit subversiven Botschaften aus dem Auto wirft. Daher müssen die Fahrer die Fensterscheiben auf den Rücksitzen blockieren. In China wird eben nichts dem Zufall überlassen.
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Zensoren verstehen keinen Spaß. Oder lassen sich nicht vergackeiern. Was letztlich aufs Gleiche hinausläuft. Als jedenfalls der Künstler Ai Weiwei, derzeit Chinas bekanntester Regimekritiker, eine selbst gedrehte Persiflage des koreanischen Superhits Gangnam Style (link hier) ins Netz stellte, reagierten sie prompt. Binnen Stunden war das Video des Pferdetanzes a la Ai von der lokalen Filmwebsite Tudou verschwunden. Auf Youtube steht es noch (link hier), die Seite ist in China allerdings seit Jahren ohnehin blockiert.
Der Nachrichtenagentur AP sagte Ai, er habe das Video doch nur gemacht um einen Rockstar-Freund aufzuheitern, dessen Wohnhaus abgerissen werde um Platz für ein Naubaugebiet zu machen. Humor helfe gegen die Frustration der Menschen: “Ständig wird uns unsere Fröhlichkeit genommen, unsere Häuser abgerissen, wir werden dauernd kontrolliert, und all das hat Einfluss auf unsere Fröhlichkeit.” Im pinken T-Shirt reitet der vollschlanke Ai also mit Freunden durch seinen Hof, zwischen eingeblendeten Teilen aus dem Original des Südkoreaners PSY. Aber dann holt er während des Pferdetanzes irgendwann eine Handschelle aus der schwarzen Jacke und im Gangnam Style schwingt sie wie ein Lasso.
Klar, das ist mehr als nur Happiness. Das haben die Zensoren blitzschnell durchschaut. Wenn Ai Weiwei etwas macht, dann wittern sie ohnehin sofort Unbill.
Aber vielleicht sollten sie sich freuen, dass weder Ai noch andere bisher über ihren Präsidenten Hu Jintao etwas produzierten wie Kim Jong Style (link hier) – eine Gangnam-Parodie auf den jungen Diktator Nordkoreas: Darin tanzt ein Kim Jong Un-Impersonator mit Haarteil und Kommunistenanzug zwischen Pferden oder uniformierten Schönheiten herum, und hängt an einer gerade abgeschossenen Rakete: “Hey, unser einziger Export sind Atomtests”. Später sitzt “Kim” nackt mit Sonnenbrille in der Badewanne und lässt sich eine Dame bringen, die seine Zehen ablutschen soll.
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Auch außerhalb Taiwans finden sich interessante Themen. Neulich in Berlin war es mir gelungen, den 90-jährigen Egon Bahr über seine Taiwan-Reise zu befragen.
Man nennt ihn „Tricky Egon“, weil er durch unermüdliches Verhandeln und geschicktes Taktieren immer wieder scheinbar Unmögliches erreicht hat: Egon Bahr prägte den Begriff „Wandel durch Annäherung“. Seine „Politik der kleinen Schritte“ führte in den 70er Jahren zur allmählichen Annäherung zwischen Ost und West und machte den kalten Krieg ein gutes Stück weniger gefährlich.
Mit 90 Jahren verfolgt Bahr heute noch immer gespannt, was sich in der Welt tut. So war er im Dezember 2011 eine Woche nach Taiwan gereist, auf Einladung der Regierung. Von dem Mann, der zur Zeit der deutschen Teilung so erfolgreich zwischen den Fronten vermittelt hatte, erhoffte man sich offenbar Anregungen fürs Verhältnis zwischen Taiwan und China.
In Berlin rief ich in der SPD-Parteizentrale an und schilderte einer Mitarbeiterin der Presseabteilung, die auch Bahrs Terminkalender verwaltet, mein Anliegen. Ergebnis: Obwohl Bahr gerade erst seinen Geburtstag und eine Reihe Empfänge und Ehrungen hinter sich gebracht hatte, saß ich ihm nur zwei Tage später an seinem Schreibtisch gegenüber, in einem hellen Büro irgendwo in den langen Korridoren des Willy-Brandt-Hauses.
In dem Gespräch ging es dann genauso um die große Weltpolitik (China vs. USA) wie um das kleine Taiwan. Das Interview mit Egon Bahr als Video:
Ein Transkript des Gesprächs und weitere Informationen stehen hier: Egon Bahr über Taiwan
Was er denn als nächstes vorhabe, fragte ich den 90-Jährigen, während ich meine Sachen zusammenpackte. „Ein Buch schreibe ich noch darüber, was in der EU gerade passiert.“ Da laufe so unfassbar viel schief. „Und danach kann ich in Ruhe verblöden.“
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Die Headline des „Inquirer“, der größten philippinischen Tageszeitung, hatte heute BILD-Zeitungsniveau. Nur ein Wort prangte in riesigen Lettern auf der Titelseite: GUILTY! Darunter nahezu seitenhoch das Foto des Missetäters namens Renato C. Corona. Der ist aber keineswegs ein Massenmörder oder der Chef eines üblen Verbrechersyndikats – im Gegenteil, bis gestern war Corona der oberste Richter des Landes. Nun ist er in Schimpf und Schande seines Amtes enthoben.
Was aber hat der ehemalige höchste Jurist des philippinischen Supreme Court auf dem Kerbholz? Eigentlich nichts, was in dem notorisch korrupten Land sonst einen Skandal auslösen würde. Der 63-jährige hat bei der für Staatsbediensteten obligatorischen Offenlegung seines Vermögens die Kleinigkeit von 2,4 Mio. USD und 80 Mio. Peso unter den Tisch fallen lassen. Eine Summe, für die er einige Leben lang arbeiten müsste, um sie zu ehrlich verdienen. Keine Frage, Corona ist mit seinen geheimen Woher-sie-auch-immer-kommen-Millionen kein Einzelfall, im Gegenteil. Die Sensation ist also, dass ein so hohes Tier tatsächlich mal zur Strecke gebracht wurde.
Wie aber war das möglich in einem Land, in dem die Gesetze das Papier nicht wert sind auf dem sie stehen? Ganz einfach, Corona ist dem seit zwei Jahren amtierenden Präsidenten Benigno Aquino in herzlicher Feindschaft verbunden. Denn der höchste Jurist des Landes wurde von Aquinos Vorgängerin Gloria Macapagal Arroyo in einer „Mitternachtsberufung“ zum Chief Justice erklärt, als die Frau eigentlich schon nichts mehr zu melden hatte. Damit hatte Arroyo einen loyalen Freund an der Spitze des Supreme Court – der perfekte Schutz vor der erwarteten Aufarbeitung ihrer skandalträchtigen neunjährigen Amtszeit. In der Tat hätte Corona es fast geschafft, Arroyo die als notwendiger Arztbesuch getarnte Flucht ins Ausland zu ermöglichen. Erst in letzter Minute wurde die des Wahlbetruges und der illegalen Bereicherung Angeklagte am Flughafen abgefangen und verhaftet. Eine Kriegserklärung an Präsident Aquino, der vor seiner Wahl versprochen hatte, mit der Korruption aufzuräumen und Arroyo zur Rechenschaft zu ziehen.
Es braucht also nicht viel Fantasie, um sich auszurechnen, wer dafür sorgte, dass ausgerechnet Corona auf der Anklagebank landete. Keine Frage, das Amtsenthebungsverfahren gegen den obersten Juristen war auch ein politisch motivierter Prozess. Es war aber vor allem ein dringend notwendiges Signal, dass eben nicht mehr jeder in diesem Staat in die eigene Tasche wirtschaften kann und ungestraft davonkommt. Zumal nicht, wenn es der oberste Rechtsprecher des Landes ist. So argumentierten die Befürworter des Amtsenthebungsverfahrens und dieser Sicht schlossen sich gestern 20 von 23 Senatoren an und plädierten auf „guilty“.
Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, wem die nächste fette „Guilty“-Schlagzeile gehören wird. Gloria Macapagal Arroyo, der kleinen Frau mit dem großen Ego, dürfte es seit gestern sehr mulmig zumute sein.
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In Manila braucht es nicht viel, um die devoten katholischen Gemüter zu erregen. Die Philippinen sind seit der mehr als 300 Jahre währenden Herrschaft der Spanier das einzige Land Südostasiens, in dem der Katholizismus die bestimmende Religion ist. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung bekennen sich dazu. Der Glaube bestimmt ihren Alltag, ihr Leben. Was die alten Herren in der Bischofskonferenz sagen, ist für die Massen Gesetz. Deswegen gelten Pille oder Kondome auch als Teufelszeug, Abtreibung wird mit Mord gleichgesetzt. Die Folge ist eine fatal hohe Geburtenrate (und eine beschämend hohe Mütter- und Säuglingssterblichkeit, zu der die Geistlichen nichts zu sagen haben), die dem armen Land eine nicht zu verkraftende Bevölkerungsexplosion aufbürdet.
Aber ich komme ein wenig vom Thema ab. Denn eigentlich wollte ich über Adam und Eva schreiben. Denn, so lernt jedes Christenkind, von den beiden stammen wir ab. Nun gibt es aber ein brandneues Museum in Manila (was in der an Kulturinstitutionen armen Millionenmetropole für mich die eigentliche Sensation ist), in dem es frevelhaft zugeht.
Die Köpfe, die hinter dem „Mind Museum“ stecken, so glaubt die katholische Kirche, sind wohl von allen guten Geistern verlassen. In dem futuristischen Bau in Manilas Boomzentrum Bonifacio Global City geht es um Wissenschaft, um das Universum, um Atome, um Lebensräume – und um Evolution. Jene Lehre also, nach der der Mensch vom Affen abstammt. Für viele Einheimische, so erzählte die Kuratorin Maria Isabel Garcia neulich einem ausländischen Fernsehteam, sei diese Gedankenwelt völlig fremd, für manche schlicht ein Sakrileg. „Für einige unserer Besucher ist unsere Ausstellung zweifelsohne eine Herausforderung.“
Gestern habe ich mir das Corpus Delicti mal selber angesehen. O weia, da stehen unsere Vorfahren nackt und behaart oder mit Fellen behängt in Lebensgröße mitten im Raum. Skandalös, oder? Statt Adam und Eva im Garten Eden Lendenschurzträger mit einer Steinaxt und grimmigem Blick. Die erwachsenen Besucher scharrten sich gestern kichernd wie kleine Kinder, die nicht bei einem dummen Streich erwischt werden wollen, um Lucy, Neanderthaler & Co und lichteten sich gegenseitig ab.
Aber wem schenken sie nun Glauben, der modernen Wissenschaft oder dem Buch Moses? Garcia lacht und meint: „Ich will ja keinen bekehren. Aber was ich immer wieder beobachte, ist, dass viele Besucher verwundert darüber sind, dass an der Evolutionslehre etwas dran ist, dass sie Sinn macht.“ An der Macht der katholischen Kirche wird diese aufrüttelnde Erkenntnis sicher nichts ändern. Wahrscheinlich haben die Bischöfe das frevlerische Treiben der „Mind Mover“ (so nennt sich das Team des Museum) deshalb bisher noch nicht unterbunden. Denn das wäre für die einflussreichen Vertreter Gottes ein leichtes, kann auf den Philippinen doch kein bei der Kirche in Ungnade gefallener Politiker auf seine Wiederwahl hoffen.
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Flip-Flops im April? Das ist krass, selbst für New York. Aber nicht in diesem Jahr. Schon Ostern liefen hier viele Leute in Sommerkleidung herum – Shorts oder Minirock, kurzärmliges T-Shirt. Und zeigten eben Flip Flops, die hier so selbstverständlich auf der Straße getragen werden wie in Deutschland in der Badeanstalt. Okay, tatsächlich stand das Thermometer für ein oder zwei Tage auf 29 Grad. Ansonsten war es sonnig, aber kühl. Ich fand es kalt. Zog Übergangsjacke an und Lederstiefel.
Trotzdem ist der Frühling in diesem Jahr unzweifelhaft früh dran. Zu früh! Der Dogwood-Baum vor unserer Haustür blüht einen geschlagenen Monat eher als üblich. Ich traute meinen Augen kaum, als ich vergangene Woche Eastern Carpenter Bees im Hinterhof herumfliegen sah – Riesenbienen, die aussehen wie große Hummeln. Nach meiner Erinnerung lassen sie sich sonst frühestens Ende Mai blicken. Und als ich bei Facebook mein Profilbild austauschte, auf dem ich samt Pflanzen auf dem Treppenabsatz zu sehen bin, fragte ein deutscher Freund und Kollege entgeistert, ob ich wirklich schon den Oleander rausgestellt hätte. Ja, habe ich.
Bei den japanischstämmigen New Yorkern gerät der Terminplan aus dem Ruder, weil die Kirschblüte viel zu früh begonnen hat, mindestens zwei Wochen. Dabei ist Hanami, das Fest zur Feier der Kirschblüte, ein wichtiger Anlass. Man trifft sich mit Freunden und Verwandten im Brooklyn Botanical Garden und fotografiert sich gegenseitig vor den wunderschönen Blüten. Die Fotos auf dieser Seite entstanden bereits Mitte April, aber das offizielle Sakura Matsuri Festival ist auf Ende April terminiert. Da werden die meisten Bäume bereits verblüht sein.
Dieses Wochenende hat das Thermometer einen Satz nach unten gemacht. Es herrschen 11 bis 12 Grad Celsius und es regnet. Die Carpenter Bees haben sich verkrochen und unser Vermieter hat die Heizung aufgedreht. Allerdings tragen, wie man in der U-Bahn sieht, ein paar Hartgesottene weiterhin Flipflops. Sie haben einen unschlagbaren Vorteil: Sie sind billig. Und sehr viele New Yorker sind arm.
Fotos: Nikolaus Piper (1), Christine Mattauch (3)
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Da für viele Deutsche eine Nachricht ja kaum stattfindet, wenn sie nicht in der Tagesschau verkündet wird, freue ich mich natürlich immer besonders, wenn Taiwan mal den Weg ins Allerheiligste der ARD schafft, die 20-Uhr-Ausgabe.
Die Präsidentenwahlen im Januar waren wieder so ein Anlass. In einer 25-Sekündigen NiF (Nachricht im Film) wurde die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten gemeldet. Von dem Wahlkampf oder den unterschiedlichen Konzepten, die auf dem Spiel standen, konnte auch der treueste Tagesschau-Seher in den Wochen zuvor freilich nichts erfahren.
Hier lässt sich die Sendung online ansehen.
Und auch für diesen Kurzbeitrag ist kein ARD-Reporter nach Taiwan gekommen, hat kein deutscher Kameramann auch nur einen Finger rühren müssen. Sie wurde aus Feed-Material zusammengeschnitten, das allen Sender international zur Verfügung gestellt wird. Weder ARD noch ZDF waren vor Ort präsent, als die Menschen in der einzigen Demokratie der chinesisch-sprachigen Welt getan haben, was in China undenkbar ist: Ihre Regierung frei zu wählen. Bei den Wahlen vor vier Jahren war das anders, aber da hatten Unruhen in Tibet auch gerade für offene Brisanz gesorgt.
Weil sich in 25 Sekunden die Bedeutung dieser Wahlen nun mal nicht abhandeln lässt, habe ich kürzlich die Gelegenheit genutzt, bei einem Vortrag in Hamburg Taiwans Wahlkampf Revue passieren zu lassen, die bestimmenden Themen vorzustellen und einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. So läuft etwa in Sachen Taiwan derzeit fast alles im Sinne der erklärten Politik des scheidenden chinesischen Präsidenten Hu Jintao.
Meine Vortrags-Folien samt Videos von Wahlkampf-Kundgebungen und der Stimmabgabe stehen drüben bei mir im Blog: Wahlen 2012 in Taiwan
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Eigentlich hab‘ ich es nicht so mit Jahrestagen. Ich fand‘ immer, das hat so etwas Bemühtes. Aber den 11. März 2011, jenen Tag vor einem Jahr, den werde ich für den Rest meines Lebens nicht vergessen. Dieser Moment, als erst ein leichtes Zittern den Boden unter meinen Füßen in Bewegung versetzte, das dann in ein Rucken und Beben überging, das immer stärker wurde und gar nicht mehr aufzuhören schien. Es war der Moment, dem schlaflose Nächte und von Furcht geprägte Wochen folgten, der nicht nur meine Welt aus den Fugen geraten ließ.
Denn das Erdbeben, das uns in Tokio durchschüttelte, war ja nur der Beginn, nur der Auslöser viel größerer Katastrophen, die Japan heimsuchten. Zunächst schien das Beben schlimm genug. Jedem war sofort klar, das war es gewesen, „the big one“, vor dem schon lange gewarnt worden war. Keiner ahnte da, dass nur wenige Minuten später an der Küste im Norden 22.000 Menschen sterben würden, weggerissen und zermalmt von den Monsterwellen eines Tsunamis. Dass einige Stunden später die letzten Notstromaggregate im AKW Fukushima-Daiichi versagten und kein Mensch mehr den Gau verhindern konnte. Kein Drehbuchautor in Hollywood war bisher irre genug, sich eine solch zerstörerische Kettenreaktion vorzustellen.
Dies alles passierte an einem ganz normalen Arbeitstag, einem Freitag. Bestimmt hatten viele Menschen schon Pläne fürs Wochenende gehabt. Jetzt hieß es Notfallpläne schmieden, Taschen mit dem Nötigsten packen, die dauernden Nachbeben ertragen und die sich überschlagenden Nachrichten aus Fukushima einordnen.
Ein Jahr ist vergangen. Nein, ich habe nicht jeden Tag an die Dreifachkatastrophe gedacht. Glücklicherweise. Es geht ja weiter, das Leben. Zumal für uns, die wir inzwischen wieder auf den Philippinen leben. Die glimpflich aus Japans schwärzestem Tag davongekommen sind. Ich ärgere mich wieder über Belanglosigkeiten, rege mich über Bagatellen auf, freue mich über meine Kinder oder einen guten Auftrag. Alltag eben, nicht der Rede wert. Oder doch? Seit dem 11. März 2011 weiß ich: Normalität hat etwas sehr beruhigendes. Normalität – das ist wunderbarer, kostenloser Luxus.
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Statt an die Erfolge ihrer deutschen Schwesterpartei anzuknüpfen, sind Taiwans Piraten vorerst an der Bürokratie gescheitert. Das Innenministerium blockierte die Zulassung mit der Begründung, die Bezeichnung „Piratenpartei“ könne den Eindruck erwecken, die Mitglieder seien wirklich Seeräuber. Außerdem bemängelten die Beamten nach einem Bericht von Taiwans Nachrichtenagentur CNA, der Name widerspreche den genannten Zielen der Partei, und Piraterie werde strafgesetzlich verfolgt.
Ähnlich wie in Europa wollen Taiwans Piraten sich für eine Reform des Urheberrechts, mehr Freiheit im Internet und Transparenz in der Verwaltung einsetzen. Parteigründer Tai Cheh will sich noch nicht geschlagen geben. Er werde Beschwerde gegen die Entscheidung einlegen, sagte der Psychologie-Dozent. Die Regierung habe gar kein Recht, eine Parteigründung aufgrund des Namens abzulehnen. „Es geht hier um Redefreiheit. Die Regierung mischt sich ja auch nicht ein, wenn Eltern ihrem Kind einen Namen geben.“
Als wichtiger Standort der Computerindustrie könnte das fast komplett vernetzte Taiwan durchaus Wählerpotenzial für eine Piratenpartei bieten. Auch reagieren viele Taiwaner empfindlich auf mögliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit, denn das Land war jahrzehntelang per Kriegsrecht regiert worden. Erst 1986 gründete sich die erste Oppositionspartei, freie Parlamentswahlen gibt es seit 1992.
Die Erfolgsaussichten von kleinen Parteien sind in Taiwan aber traditionell gering. Taiwans Grüne, die sich ebenfalls für gesellschaftliche Modernisierung einsetzen, haben im Zuge von Fukushima bei den Wahlen im Januar mit 1,7% zwar ihren Stimmanteil vervierfacht, aber erneut den Sprung ins Parlament verpasst.
Der Einzug der deutschen Piratenpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus hatte auch in Taiwan Wellen geschlagen – zumindest bei den berüchtigten Animateuren von NMA.tv (Video):
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Die Ankündigung des Microblogging-Diensts Twitter, seine Inhalte in Zukunft auf Wunsch einzelner Staaten zu zensieren, dürfte viele autoritäre Regime gefreut haben. Was gibt es schon Schlimmeres, als Bürger, die sich frei über Machtverhältnisse, Korruption und die Gängelung Andersdenkender austauschen?
Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis sich Regierungen für die Entscheidung bedanken würden. Doch welcher Staat hat Twitters angekündigte Zensur als erster öffentlich begrüßt? Kuba? Usbekistan? Saudi-Arabien? Falsch. Es war Thailand.
Jeerawan Boonperm, Staatssekretärin im Ministerium für Information und Kommunikationstechnologie, nannte Twitters Entscheidung „eine willkommene Entwicklung.“ Sie fügte hinzu, dass es bereits mit anderen Internet-Unternehmen wie Google und Facebook „gute Kooperationen“ gebe. Die thailändische Regierung werde sich bald mit Twitter in Verbindung setzen.
Thailand hat einige der schärfsten Zensurgesetze der Welt. Auf dem Pressefreiheits-Index von Reporter Ohne Grenzen rangiert das Land auf dem 153. Platz von 178 Ländern. In den vergangenen Jahren haben die Behörden den Zugang zu zigtausenden Webseiten geblockt. Der Grund: Auf ihnen soll sich Kritik an Mitgliedern des Königshauses befunden haben.
Ein drakonisches Gesetz gegen „Majestätsbeleidigung“ verbietet jegliche Kritik an Mitgliedern der königlichen Familie. Öffentliche Debatten etwa über die zukünftige Rolle des Königshauses finden nicht statt. Denn Jeder, der aus Sicht der Justiz gegen das Gesetz verstößt, begeht damit ein Schwerverbrechen gegen den Staat. Die Mindeststrafe beträgt drei Jahre, die Höchststrafe 15 Jahre Haft – pro angeblicher Äußerung.
Erst vor wenigen Wochen hat ein Urteil weltweit für Aufsehen gesorgt. Ein krebskranker, 61 Jahre alter Mann wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er vier SMS verschickt haben soll, in denen er die Königin kritisiert haben soll. Hunderte Thais sind seit dem Militärputsch 2006 wegen angeblicher Majestätsbeleidigung angeklagt oder verurteilt worden. Ihre genau Zahl ist nicht bekannt. Die Verfahren finden im Geheimen statt, die angeblichen Vergehen der Verurteilten werden nicht öffentlich gemacht.
Die thailändische Presse zensiert sich aufgrund der drohenden massiven Strafen selbst. Und auch ausländische Berichterstatter – einschließlich des Verfassers dieser Zeilen – stehen regelmäßig vor dem Dilemma: Kann ich das so schreiben? Vor wenigen Jahren haben die Behörden dem damaligen BBC-Korrespondenten Jonathan Head mit einer Anklage wegen Majestätsbeleidigung gedroht. Head hat das Land kurze Zeit später verlassen und wurde in die Türkei versetzt.
Doch es regt sich Widerstand. Mitte Januar forderten sieben Juristen der Thammasat-Universität eine Reform des Majestätsbeleidigungs-Paragraphen. Kurz zuvor hatten auch die UNO, die EU und die USA Thailand dazu ermahnt, das drakonische Gesetz zu entschärfen und Meinungsfreiheit sicher zu stellen.
Ihr Vorstoß brachte jedoch umgehend die Verfechter des Status Quo auf die Straße: Ultra-Monarchisten verbrannten vor dem Universitätsgebäude eine Puppe eines der Juristen und forderten die Festnahme der Gruppe. Kurz danach protestierten – ausgerechnet! – Journalistik-Studenten dafür, das Gesetz unverändert beizubehalten und alle Kritiker strafrechtlich zu verfolgen. Prayuth Chan-ocha, Thailands wortgewaltiger Armeechef, forderte jeden Thai, der das Gesetz kritisiert, dazu auf, das Land zu verlassen.
Das vielleicht Erstaunlichste an den derzeitigen Entwicklungen ist, dass die Regierung von Premierministerin Yingluck Shinawatra, die nach einem Erdrutschsieg bei Wahlen im vergangenen Jahr ins Amt gekommen ist, in Sachen Zensur noch drastischer vorgeht als die vorherige Regierung des erklärten Monachisten Abhisit Vejjajiva. Yingluck ist die Schwester des 2006 aus dem Amt geputschten Ex-Premiers Thaksin Shinawatra. Einer der ausdrücklichen Gründe für den Putsch war damals sein angeblich „mangelnder Respekt gegenüber der Monarchie.“
Während der Proteste der Pro-Thaksin-„Rothemden“ 2010 gab sich der Ex-Premier und Selfmade-Milliardär, der im Exil in Dubai lebt, in Video-Liveschaltungen noch ganz klassenkämpferisch. Er polterte damals, er werde die „Prai“ (Unfreien) in ihrem Kampf gegen die Vorherrschaft der „Amart“ (Elite) anführen. 91 Menschen starben, als die Armee die Proteste kurze Zeit später niederschoss. Die meisten Angeklagten, denen drakonische Strafen wegen angeblicher Majestätsbeleidigung drohen, sind Rothemden oder stammen aus deren Umfeld.
Von dem beschworenen Kampf gegen die Elite ist seit dem Machtwechsel im vergangenen Jahr keine Rede mehr. Vize-Premier Chalerm Yubamrung ermahnte neulich gar alle thailändischen Facebook-Nutzer, dass sie Majestätsbeleidigung begingen, wenn sie auf monarchiekritischen Seiten den „Like“-Button drücken. Die „Verteidigung der Monarchie“ ist das erklärte oberste Ziel der Regierung, die Thaksin von Dubai aus steuert.
Es scheint, als wäre der Klassenkampf erst einmal verschoben worden.
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Wer im Büro nach dem Mittagessen ins Leistungsloch fällt, kennt in Deutschland vor allem ein Mittel dagegen: Eine Tasse heißen Kaffee. Der wird auch in Taiwan getrunken, aber gegen Müdigkeit hilft hier vor allem der kollektive Büroschlaf. Wenn ich während der meist einstündigen Mittagspause ins Großraumbüro eines taiwanischen Unternehmens komme und die Lunchboxen verzehrt sind, vertreibt sich nur ein Teil der Angestellten die Zeit mit Facebook & Co. Die anderen schlafen, den Kopf auf die Arme gebettet, direkt auf der Schreibtischplatte. So ein Nickerchen soll ja sehr gesund sein, liest man auch in Deutschland immer wieder, und der Konzentration förderlich. Hauptsache, es dauert nicht länger als eine halbe Stunde – sonst fällt man in den Tiefschlaf und ist für den Rest des Tages erst recht nicht mehr zu gebrauchen.
Aber nicht nur im Büro staune ich über die Fähigkeit der Taiwaner, in unbequemen Stellungen und vor aller Augen ins Reich der Träume hinüberzugleiten. Bauarbeiter schlummern auf Holzplatten mitten zwischen ihren Werkzeugen, Pendlern fallen auf dem Heimweg in der vollbesetzten U-Bahn ganz selbstverständlich die Augen zu, und Studenten ratzen im Hörsaal in der Pause zwischen zwei Vorlesungen.
Bilder von schlafenden Taiwanern – eine Auswahl auf meinem Blog
Ich beneide die Taiwaner um diese Fähigkeit und frage mich manchmal, ob dafür ein Gen verantwortlich sein könnte, das die Wissenschaft noch nicht identifiziert hat. Und dann hole ich mir noch einen Kaffee.
Dabei läuft das Leben zumindest in Taiwans Metropolen eigentlich sehr schnell getaktet. Die meisten Menschen wirken immer geschäftig, rotieren zwischen Job und Familie, machen Überstunden, drängeln sich auf dem Motorroller durch den Verkehr, zum Einkaufen oder ins Restaurant. Anspannung liegt in der Luft, aber kein Stress. Denn irgendwie gelingt doch immer wieder die Balance zwischen Anforderungen und Entspannung. Und wenn es nur ein paar Minuten Schlaf sind, die man dem Alltag abringt.
Wahrscheinlich liegt es an der Erziehung, dass Taiwaner so schnell wegschlummern können. In Kindergarten und Grundschule gehört der Gruppenschlaf zum festen Programm, und wer es einmal gelernt hat, beherrscht es bis ins hohe Alter. Dem Sohn einer deutschen Freundin, der eine Zeit lang einen Kindergarten in Taipeh besucht hat, wollte das Einschlafen dagegen partout nicht gelingen. Nur mit einer Ausnahmegenehmigung der Erzieherin durfte er schließlich etwas lesen und musste sich nicht mehr jeden Tag schlafend stellen.
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Normalerweise geht es in Taiwan recht harmonisch zu, doch wenn Wahlkampf herrscht, liegen die Nerven bei vielen Bürgern blank. Als Folge einer jahrzehntelangen Diktatur ist die Gesellschaft noch immer in zwei Lager gespalten, die sich spinnefeind sind. Kein Wunder, dass Politik im Alltag normalerweise nicht diskutiert wird. Selbst Kollegen, die jahrelang zusammenarbeiten, kennen oft nicht die Einstellung ihres Gegenübers.
Einen sicheren Anhaltspunkt für die Gesinnung liefert die Zeitungslektüre. Fast alle Blätter stehen fest entweder im “blauen” oder im “grünen” Lager, und so vorhersehbar fallen Themensetzung und Leitartikel dann auch aus. Nie würde ein Anhänger der “blauen” Regierungspartei Kuomintang sich öffentlich etwa mit einer Liberty Times erwischen lassen, und seine “grünen” Gegenspieler legen mit der China Times höchstens den Fußboden aus.
In so einer Medienlandschaft standen Gratiszeitungen in den vergangenen Wochen vor einem besonderen Problem: Politik zu ignorieren, ist im Wahlkampf keine Option. Damit möglichst viele Pendlern in der U-Bahn-Station ein Exemplar mitnehmen, müssen die Blätter möglichst so berichten, dass niemand sich vor den Kopf gestoßen fühlt. Bei Sharp Daily, bislang nicht durch journalistische Brillanz aufgefallen, haben die Herausgeber eine verblüffende Lösung gefunden: Sie druckten einfach für jedes politische Lager eine eigene Auflage, zu unterscheiden an der Farbe des Logos.
“Wenn Sie grüne Meinungen lesen wollen, nehmen Sie eine grüne Ausgabe”, steht als Warnhinweis neben dem blauen Zeitungstitel. Seite 26 macht den Unterschied: Sie besteht nur aus Wortmeldungen von Lesern, die über die Oppositionspartei und ihre Kandidatin schimpfen. “Die kann nur träumen und kriegt nichts auf die Reihe” heißt es da, oder “Wegen jeder Kleinigkeit will sie eine Volksabstimmung, wozu soll das gut sein?”
Täglich stellte die Redaktion zudem eine Frage, zu der die Leser per Mail oder Website Dampf ablassen konnten. Genau spiegelbildlich ging es in der “grünen” Ausgabe zu.
Vergangenen Samstag wurde dann endlich gewählt, und der amtierende Präsident darf weitere vier Jahre ran. Die Redakteure von Sharp Daily haben wohl aufgeatmet, dass die Zeit des schizophrenen Journalismus wieder vorbei ist.
Jedem Leser sein Weltbild nach Wunsch servieren, um keinen zu vergraulen – ob das Zukunft hat? Vielleicht gibt es schon bald die ersten Websites, auf denen der User mit einem Mausklick seine politische Einstellung und damit die Nachrichtenauswahl wechseln kann.
Was macht Taiwan so besonders, und wie lebt es sich in der einzigen Demokratie, in Chinesisch Landessprache ist? Über den ungewöhnlichen Alltag in Taiwan habe ich ein kleines Buch geschrieben und mit vielen Fotos garniert.
Sie können einen Blick ins Taiwan-Buch werfen und es bestellen – gedruckt oder als eBook im EPUB-Format für weniger als vier Euro.
Klaus Bardenhagen berichtet seit 2009 aus Taiwan. Erfahren Sie mehr unter taiwanreporter.de oder folgen Sie ihm per Facebook und Twitter.
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Es war drei Uhr in der Früh, als vergangenen Dienstag bei uns die Lichter ausgingen. Ich hatte gerade alles, was im Garten rumstand und hätte wegfliegen können, ins Haus gebracht. Warum ich das nicht vor dem ins Bett gehen gemacht habe, weiß ich nicht. Mir war klar gewesen, dass ein Taifun auf Manila zu rauschte, aber ich brachte es irgendwie nicht mit mir in Verbindung. Bis der Sturm mich wachtrommelte und mir klar wurde, dass ich zum zweiten Mal in diesem Jahr null Vorbereitungen für eine nicht unerwartete Ausnahmesituation getroffen hatte.
Das erste Mal hatte es uns in Tokio erwischt. Als sich am 3. März die Erde in einen sich wütend hebenden und senkenden Untergrund verwandelte und die Hochhäuser wie in einem Horrorfilm schwankten, stand ich buchstäblich mit leeren Händen da. Obgleich ich seit unserer Ankunft in Japan im Sommer 2009 gewusst hatte, dass dem Land ein großes Beben bevorstand, war es beim guten Vorsatz geblieben, Notfalltaschen zu packen und immer ausreichend Lebensmittel- und Wasservorräte im Schrank zu haben. Ich hatte mich damals verantwortungslos geschimpft und es als gerechte Strafe gesehen, dass ich in den Tagen nach dem Erdbeben durch etliche nahezu geplünderte Läden in der Nachbarschaft streifen musste, um ausreichend Wasser und unverderbliches Essen für einige Tage aufzutreiben.
Und nun hat es mich am Dienstag ähnlich kalt erwischt. Am Montag war keine Wasserlieferung gekommen – ich merkte es erst, als es für eine Reklamation zu spät war und sah betrübt auf die leeren Wasserflaschen. Dafür hatte ich einen Großeinkauf durchgezogen, der Kühlschrank und die Tiefkühltruhe waren bestens gefüllt. Nur ohne Strom und bei tropischen Temperaturen verwandeln sich Lebensmittel ruck zuck in ungenießbares Zeug.
Ich fand genau zwei kleine Taschenlampen – perfekt, um zwei Kindern die Angst in einem stockfinsteren, sturmumtosten Haus zu nehmen. Telefon und Internet gingen nicht und die Batterie meines Handys war nahezu leer. Aufladen ging nicht – kein Strom. Trotz umherfliegender Äste und Weltuntergangsstimmung musste ich nach einer schlaflosen Nacht also wieder Noteinkäufe machen: Drei Säcke Eis für den Kühlschrank, große Stand-Taschenlampen mit 40 Stunden Laufzeit und jede Menge Kerzen. Zur Beruhigung der Nerven Kekse mit Schokofüllung.
Gut, dass noch welche übrig sind. Tropensturm Quiel ist im Anmarsch, bis morgen früh soll er über unserer Insel wüten. Draußen schüttet es bereits, und die Palmen beweisen im Wind, wie biegsam sie sind. Doch diesmal kann ich gemütlich durchs Fenster schauen und Schokokekse knabbern. Trinkwasser, kühlende Eissäcke, Taschenlampen – alles ist an Bord. Lesson learned…
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Presse- und Meinungsfreiheit sind in Taiwan ja eigentlich garantiert, ganz anders als in China. Aufpassen muss man als Reporter trotzdem – und zwar, wenn es ums Essen geht. Da versteht Taiwans Regierung nämlich offenbar wenig Spaß.
Als Asiens Paradies der Völlerei bezeichnete der CNN-Ableger CNNGo.com die Hauptstadt Taipeh kürzlich in einem Online-Artikel. Fazit: “Es war nie so leicht, sich vollzufressen, wie hier.”
Das hätten sie nicht tun sollen. Essen ist für viele Taiwaner der eigentliche Lebensinhalt, man ist stolz auf die einmalige Mischung aus sämtlichen chinesischen Regionalküchen, japanischem Erbe und südostasiatischen Einflüssen. Kein Abend, an dem nicht auf mehreren TV-Kanälen gleichzeitig Restaurants vorgestellt werden, kaum eine Straße, in der man nicht gut und günstig speisen könnte, kein Taiwaner, der nicht aus dem Stehgreif minutenlang über neun verschiedene Dumpling-Varianten referieren könnte. “Hauptsache satt” ist hier völlig unbekannt. Kein Restaurant würde sich halten, in dem die Qualität nicht stimmt. Und dann das!
Im Netz und auf Taiwans permanent hyperventilierenden Nachrichtensendern schlug der Bericht schnell Wellen, empörte Taiwaner hinterließen mehr als 500 Kommentare zur kulinarischen Ehrenrettung ihrer Nation. Auch die Politik wurde aufmerksam. Abgeordnete der Regierungspartei grillten den neuen Regierungssprecher bei seinem ersten Auftritt vor dem Kulturausschuss: Was würde er tun, um Taiwans Ruf in der Welt wieder zu richten?
Prompt setzte das Informationsamt der Regierung alle Hebel in Bewegung. Die Beamten luden den zuständigen CNN-Redakteur in Hongkong zum Tee ein – eine traditionelle Methode, subtilen Druck auszuüben.
Nun gibt es im Chinesischen kein positiv besetztes Wort für “Ironie”. Denn eigentlich war alles gar nicht böse gemeint. “Völlerei” ist nun mal eine der sieben biblischen Todsünden, die der Artikel auf “Asiens sündigste Städte” herunterbrach. Es trifft auch steht Seoul als Stadt der Trägheit, Manila für Hochmut, Shenzen für Gier, Tokio für Wolllust, Neu Delhi für Neid und Pjöngjang für Zorn. Genau der wurde aus keinem anderen der betroffenen Länder vermeldet. Macht man aber Taiwanern ihren Stinketofu madig, mutiert so mancher Netizen zur beleidigten Leberwurst.
Am Ende glättete CNNGo.com die Wogen auf diplomatische Weise. Eine offizielle Entschuldigung gab es zwar nicht, aber einen wohlmeinenden Artikel über Taiwans Lieblingsgetränk Bubble Tea (das neuerdings auch in Europa Freunde findet). Und das Versprechen an den Regierungsprecher, künftig noch mehr Journalisten auf Taiwans Nachtmärkte zu schicken.
Ob das US-Außenministerium als Vermittler eingegriffen hat, ist nicht bekannt.
Über Taiwan schreibt Klaus Bardenhagen auch unter intaiwan.de, facebook.com/taiwanreporter und twitter.com/taiwanreporter.
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Von Fukushima könne man lernen, erklärte Vietnams stellvertretender Technologieminister. Damit meinte er allerdings nicht, dass Atomenergie unberechenbar gefährlich sei, sondern was man beim Neubau eines Atomkraftwerks beachten müsse, um ähnliche Vorfälle zu vermeiden: Acht Reaktoren sollen in Vietnam bis 2031 ans Netz gehen. Damit führt das Land das Rennen um den ersten Nuklearstrom in der Region an.
Thailand plant die Fertigstellung seines ersten AKW bis 2020, vier weitere sollen folgen. Die Atomenergiepläne in Indonesien und auf den Philippinen sind besonders beängstigend: Beide Länder liegen auf dem pazifischen Feuerring und sind daher extrem erdbebengefährdet. Doch während die Regierungschefs in Thailand und den Philippinen angesichts der Katastrophe in Japan zurückrudern, scheinen sich die Atomlobbyisten in Vietnam und Indonesien einig zu sein, dass die Fehler der Japaner ihnen nie passieren könnten.
„Jakarta ist bei einer solchen Katastrophe sicher“, erklärte ein indonesischer Lokalpolitiker in der Jakarta Post. Woher er diese Sicherheit nimmt, bleibt rätselhaft: Simulationen zeigen, dass etwa ein Drittel der Neun-Millionen-Metropole von einem Tsunami derselben Größe weggewaschen würde – und die wenigen glaubhaft erdbebensicheren Gebäude haben Japaner gebaut. Indonesische Unternehmer sind zudem nicht gerade bekannt für die Einhaltung von Abmachungen und Vorschriften, sondern eher für Korruption und Unpünktlichkeit, weswegen viele technische Vorhaben bereits an menschlichem Versagen und Materialmängeln gescheitert sind.
Das Lieblings-AKW der südostasiatischen Atomgegner steht in Bataan auf den Philippinen: Der 1986 fertig gestellte Reaktor ging nach Tschernobyl niemals ans Netz.
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Am Donnerstag Abend hat sich im Nordosten Burmas ein schweres Erdbeben ereignet, mitten im Goldenen Dreieck zwischen Burma, Thailand und Laos. Es hatte die Stärke 6,8 und spielte sich in nur 10 Kilometern Tiefe ab. Damit ähnelt es stark dem Haiti-Beben.
Bislang sind etwa 80 Tote bestätigt, aber zu etlichen Bergdörfern ist jeglicher Kontakt abgerissen. Offenbar hat es zahlreiche Erdrutsche gegeben. Die Zahl der Todesopfer dürfte weitaus höher sein.
Ich bin gerade auf dem Weg nach Mae Sai an der Grenze zu Burma und werde auch versuchen, mit einem Tagesvisum ins Katastrophengebiet auf der anderen Seite der Grenze zu gelangen. Falls das nicht klappt, werde ich versuchen, mit von Mae Sai aus ein Bild zu machen.
Ich bin ab Samstag früh, 6 Uhr dt. Zeit, vor Ort zu erreichen. Eine Leitung werde ich nicht haben, aber ich bin per Handy (in Thailand) oder Sat-Telefon (in Burma) zu erreichen:
Tel.: 0066-858-314-174
Sat-Tel: 0088-216-4494-1281
Ich sollte auch in Tachileik in Burma auf der Thai-Nummer zu erreichen sein. Bitte mehrfach versuchen, falls das nicht klappt auf die Sat-Nummer ausweichen.
Sehr gerne kann ich auch kurze Radiobeiträge schicken, ca. eine Minute. Bei Interesse bitte melden bei:
zastiral@weltreporter.net
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Zwei Tage lang sah es so aus, als käme Taifun Megi nach Hongkong. Die Prognosen auf den Wetterkarten ließen keinen Zweifel zu. Den Hongkongern wurde das Herz schwer.
Ein Super-Taifun, hieß es in der Presse. Der schlimmste seit vielen Jahren. Mit seinem Auge direkt über der Stadt! Hongkongs Katrina!! 225 km/h!!! Zeitungen zeigten Verwüstungsfotos vom letzten „direct hit“ eines Taifuns 1979 und vom ganz schlimmen 1962, als über 100 Menschen starben.
Irgendwann begriff ich, dass das wohl berichtenswert wäre. Eine freudige Erregung machte sich breit. Nicht dass ich den Hongkongern eine Katrina wünschen würde. Aber ich sah mich schon in meiner wind- und sinftlutumtosten Wohnung souverän Live-Gespräche mit Radio- und TV-Sendern führen, nebenbei mit einer Hand das Fenster gegen den Druck von außen zuhaltend. Ich sah mich mit Mikrofon durch menschenleere Straßenfluchten hechten, immer im letzten Moment den umherfliegenden Objekten ausweichend. Ich sah mich am Tag danach bei der Pressekonferenz der Stadtregierung kritische Fragen zum Katastrophenschutz stellen. Ich sah mich schon ganz groß rauskommen. Und dann das:
Und DAS!!!
Megi bog ab. Stunde für Stunde wurden die Verlaufsprognosen korrigiert. Stunde für Stunde rückte Megi weiter nach Osten, weg von Hongkong. Da saßen wir nun mit unserer aufgeputschten Katastrophenstimmung und sahen die Katastrophe davonziehen! Das war eine Art Enttäuschung, wie ein Advent ohne Weihnachten, nur in Gruselform. Während ich hier schreibe, hätte Megi draußen wüten sollen. Ich habe heute keine journalistischen Heldentaten vollbracht, sondern im Sonnenschein Kaffee getrunken.
Am Ende hat Megi dann in Fujian und Taiwan gewütet. Dort sind mehrere Menschen bei Erdrutschen ums Leben gekommen. Taifune sind nichts zum Drauffreuen.
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Ich bin umgezogen. Die alte Wohnung hatte zu viele Busse vor dem Fenster (Radioaufnahmen im Kleiderschrank), keinen Blick, lag in der falschen Gegend. Die neue Wohnung ist ruhig, mit Hongkong-Blick, liegt in einer schönen Gegend. Ein guter Tausch. Doch wie immer im Leben zahlt man für alles einen Preis: Die neue Wohnung ist nur noch halb so groß wie die alte. Deshalb brauche ich jetzt zusätzlich ein Büro, weil ich sonst zu Hause die Wände hochgehe oder in den schönen Ausblick hineinspringe.
Bürosuche in Hongkong ist kein schönes Unterfangen. Die Stadt kennt die teuersten Büromieten der Welt. Wenn ich die Preise sehe, quält mich wieder der Verdacht, dass Hongkong vielleicht doch kein guter Standort für einen freiberuflichen Journalisten ist.
Ein Schreibtisch in einem Gemeinschaftsbüro: 420 Euro im Monat
Ein 8qm-Raum ohne Fenster: 600 Euro
Ein 40qm-Raum, hell und schön: 2000 Euro
Es geht auch billiger. Doch die erschwinglichen Büros haben zu viele Busse vor dem Fenster, keinen Blick, liegen in der falschen Gegend. Hmm!
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Schnöselige Hongkong-Bewohner aus dem westlichen Ausland (=Expats) bezeichnen Hongkong immer mal wieder gern als „cultural desert“, als Kulturwüste, wo allein – pfui – das Geld regiere und die künsterlischen Darbietungen nicht einmal europäisches Kleinstadtniveau erreichten. Ich muss zugeben, selbst ohne schnöselig zu sein, bereitet einem das Hongkonger Kulturleben Kopfschmerzen, etwa wenn man angestrengt nachdenkt, was man denn abends unternehmen könnte. Das Kinoprogramm beschränkt sich nahezu auf US- oder chinesische Blockbuster. Klassische Konzerte sind, sofern keine internationalen Stars eingeflogen werden, ziemlich schlecht und trotzdem teuer. Die Ballett-Truppe au weia. Kunstausstellungen sind rar oder irrelevant. Und die Subkultur steckt noch in den Babyschuhen. Hongkong ist nicht Tokio.
Doch das soll jetzt alles anders werden, auf einen Schlag. Hongkong baut den West Kowloon Cultural District und will sich damit auf die Weltkarte der Kulturstädte hieven. Das Projekt ist ehrgeizig: Zwei Milliarden Euro für ein ganzes Kulturviertel mit einem Museum für zeitgenössische Kunst, mehreren Theatern, Konzertsälen und sonstigen Bühnen. Die Stadt hat den früheren künstlerischen Direktor des Londoner Barbican, Graham Sheffield, eingekauft. Er soll das Ganze leiten. Hongkong klotzt, zunächst einmal auch baulich.
Das neue Kulturviertel entsteht auf aufgeschüttetem Land an der Einfahrt zum Victoria Harbour, der Wasserstraße zwischen den beiden Stadthälften Hong Kong Island und Kowloon. Exponierter geht es kaum:
Dieser Bauplatz schreit geradezu nach Spektakel-Architektur à la Sydney-Oper. Jetzt haben die drei Finalisten ihre Entwürfe vorgestellt: Norman Foster, Rem Koolhaas und der Hongkonger Rocco Yim Sen-kee. Entschieden wird Anfang des kommenden Jahres.
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Was ist nur mit Japan los? Nicht genug damit, dass es in der Politik drunter und drüber geht und ein Premierminister nach dem anderen zurücktritt. Die wirtschaftliche Entwicklung ist auch nur noch eine lahme Ente. Und nun erschüttern auch noch Skandale ohne Ende die Sumo-Szene.
Diese ur-japanische Sportart, eigentlich eine Bastion nationaler Traditionen, scheint kurz vor dem Ableben zu stehen. Seit geraumer Zeit macht Sumo nur noch negative Schlagzeilen. Vor wenigen Monaten musste der Großmeister Asashoryu nach einer Schlägerei im Suff seinen unehrenhaften Abschied nehmen. Ein Vorbild als besoffener Haudrauf, das ziemt sich nicht. Aber jetzt kommt’s richtig dicke. Die schwergewichtigen Ringer haben sich mit den schwerkriminellen Yakuza eingelassen, so wurde bekannt. Das japanische Pendant der italienischen Mafia hat den dicken Männern geholfen, fette Gewinne bei illegalen Wetten zu machen. Das stürzt so manchen Japaner in eine Sinnkrise. Nichts scheint mehr heilig zu sein im Land der aufgehenden Sonne. Die Idole im Ring sind in Wahrheit Halunken, die sich in der Halbwelt herumtreiben. Nippon liegt im Staub, Rettung ist nicht in Sicht. Fehlte nur noch, dass sich im Kaiserpalast Unerhörtes zutragen würde. Aber das wollen wir den Japanern nicht wünschen. Sie haben es derzeit schon schwer genug.
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Deutschlands Mann in Hongkong, Generalkonsul Frank Burbach, ist ein doppelt begabter Mensch. Er kann seinen diplomatischen Pflichten nachkommen, und er kann Bilder malen. Nach Ansicht des Hongkonger Goethe-Instituts malt Herr Burbach sogar so gute Bilder, dass dieser jüngst seine Werke in den Goethe-eigenen Ausstellungsräumen zeigen durfte. „Transition“ hieß die Ausstellung – weil sich Herr Burbach gerade in einem Übergang befinde, schreibt die Goethe-Webseite. Sein Hongkonger Posten geht nämlich gerade zu Ende und er selbst in Pension.
Über die Qualität der Burbachschen Kunstproduktion möchte ich mir kein Urteil erlauben (böse Zungen sprechen von „Sonntagsmalerei“). Ich weiß nur, dass es für andere in Hongkong ansässige deutsche Kunstschaffende äußerst schwer ist, in der durchaus renommierten Goethe-Galerie ausstellen zu dürfen. Ich weiß auch, dass das Goethe-Institut die „Präsentation deutscher Kultur im Ausland und interkulturellen Austausch“ (Goethe-Webseite) betreiben will. Ich wusste bislang nicht, dass sich das öffentlich finanzierte Goethe-Institut auch als Plattform für die Kunstaspirationen von Mitarbeitern in befreundeten Einrichtungen vor Ort versteht.
Übrigens ist auch die Frau des scheidenden Generalkonsuls, Eva Meier, eine Künstlerin. Sie tritt verschiedentlich als Brecht-Interpretin auf, gerne auch in deutschen Botschaftsräumen in Asien.
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Über Wahlen auf den Philippinen zu schreiben, hat immer etwas Komisches. Denn sowohl im Senat als auch im Kongress spielt sich dann eine Art Bäumchen-Wechsel-Dich ab. Das südostasiatische Inselreich wird von etwa 200 Familienclans regiert, die vor Generationen ihre Claims abgesteckt haben. Die einen machen in Zuckerrohr, die anderen beuten die Rohstoffe aus, andere dominieren den Medienmarkt. Zwei Dinge haben sie alle gemein: Sie werden unkontrolliert reicher und mächtiger, und sie tummeln sich in der Politik.
Die Liste der Kongressabgeordneten und Senatoren liest sich wie das Who is Who der philippinischen Oligarchie. In der Tat werden Sitze im Unterhaus innerhalb der Familien quasi vererbt. Mitunter entbrennt ein Streit: darf der jüngste Sohn nun oder ist doch die Ehefrau, Schwester oder der Cousin an der Reihe? Letztlich spielt es keine Rolle, wer wann in welcher Kammer sitzt. Die Politik der letzten Jahrzehnte war – mal mehr, mal weniger – von Gier und Eigennutz bestimmt. Familieninteressen kommen vor Landesinteressen, so die Einstellung vieler “Volksvertreter”.
Auch die Wahl vom Montag hat wieder bewiesen, dass die nächste Legislaturperiode im Schatten der Oberen Zehntausend stehen wird. Ganz oben auf der Hitliste des philippinischen Komödienstadls steht der Name Marcos. Denn Imelda hat es geschafft, sie wird ihre Heimatprovinz Ilocos Norte im Kongress vertreten. Ja, genau, es ist die Imelda mit den x-1000 Paar Schuhen, Witwe des Diktators Ferdinand Marcos. 80 Jahre ist sie inzwischen, und reichlich irre. Um das Schöne zu vertreten, wolle sie wieder in die Politik, kündigte die frühere First Lady an. Das kann sie nun tun, den loyalen Marcos-Wählern sei Dank. Sie hievten auch Tochter Imee auf den Gouverneurssessel und Sohn Ferdinan Jr. in den Senat.
Imelda kann künftig mit einer Dame im Kongress plauschen, deren früherer Wohnsitz ebenfalls der Präsidentenpalast Malacanang war. Gloria Macapagal Arroyo, noch amtierende Staatschefin, hat vorgesorgt. Um nicht im Nachhinein von Korruptionsklagen belästigt zu werden – ihre Regierungszeit war eine Aneinanderreihung von Skandalen – hat sie sich per Abgeordnetenmandat Immunität besorgt. Ganz schön schlau, Madame President.
Und Sohn Ferdinand Marcos Jr ist im Senat ebenfalls in bester Gesellschaft: “Bongbong” Estrada, Sprößling des wegen Bereicherung im Amt zu lebenslanger Haft verurteilten (und gleich darauf begnadigten) Expräsidenten Joseph “Erap” Estrada, hat es locker ins Oberhaus geschafft. Vater “Erap” spielt derweil die Rolle der beleidigten Leberwurst; im Rennen ums höchste Amt belegte der verurteilte ExPräsi nur Platz zwei.
Selber schuld, mag man im Westen denken. Warum wählen diese Philippiner Leute, die sie nachher ausbeuten? Die Antwort ist einfach: Weil sie keine Wahl haben. Vom Kreuzchen an der richtigen Stelle hängt der Arbeitsplatz, das Stipendium für die begabte Tochter oder die Verlängerung des Kredits ab. Leute, die sich dem lokalen Oligarchen gegenüber nicht loyal zeigen, bekommt das zu spüren.
Wer aber soll den südostasiatischen Archipel nun regieren? Wer kann die Korruption minimieren, wenn schon nicht völlig unterbinden? Wer bringt echte Hilfe für die mehr als 30 Millionen Philippiner auf den Weg, die unterhalb der Armutsgrenze leben? Der Mann, der’s richten soll, heißt Benigno “Noynoy” Aquino. Der 50-Jährige mit dem braven Seitenscheitel hat einen Rekordsieg eingefahren, mehr als 40 Prozent der Stimmberechtigten wählten ihn ins höchste Amt.
Man ahnt es schon, auch “Noynoy” kommt aus bestem Haus. Seine Mutter, Corazon Aquino, wurde Präsidentin, nachdem sie als Anführerin der People-Power-Revolution Imelda samt Gatten ins Exil verjagt hatte. Sein Vater, Benigno “Ninoy” Aquino, hätte es werden können, wenn er nicht von Schergen des verhassten Marcos-Regimes erschossen worden wäre. Die Aquinos sind anders, glaubt man daher auf den Philippinen. Sie hätten wirklich die Interessen der Armen im Sinn, hoffen die Wähler. Der Name Aquino steht für Aufrichtigkeit und Anstand. Wenn das am Ende der Amtszeit in sechs Jahren auch noch so sein sollte, dann hätten die Philippiner ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel endlich mal an der richtigen Stelle gemacht.
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Vang Vieng ist eine südostasiatische Schönheit: Steile Karstberge ragen aus grünen Reisfeldern, es mäandert der Nam Song, Kinder fischen im Fluss, Reisfelder, Bambushütten, Wasserfälle. Schwer zu übertreffen der laotische Ort (Traum eines jeden Reisejournalisten) Wären da nicht die Besucher. Vor ein paar Jahren haben die 18- bis 28jährige “Traveller” aus aller Welt Vang Vieng entdeckt und zu ihrer Nr 1 Trink- und Partyzentrale gemacht.
Attraktionen: a) drinking b) tubing c) TVing.
Seither geht Vang Vieng so: Ein Veranstalter im Ort gibt Urlaubern in Badezeug gegen Mittag (bzw. nach dem Ausnüchtern) je einen aufgeblasenen Traktorreifenschlauch und bringt sie flussaufwärts. Dort werden sie in den Nam Song geworfen um im Reifen flussabwärts zu treiben. Das nennen sie tubing; tube: engl. = Schlauch, tubing = sich im Schlauch treibend die Kante geben. Denn weil im Fluss treiben durstig macht und weil Alkohol in Laos sehr billig ist, können sich die jungen Abenteurer unterwegs in Bucket-Bars erfrischen. Dort bekommen sie für 30 000 Kip (2,60 Euro) einen Eimer Hochprozentiges. Den trinken sie per Strohhalm. Wer 2 Eimer kauft, bekommt 1 umsonst, Whisky, bei 38 Grad im Schatten, nur dass es kaum Schatten gibt.
Wenn sie im Ort ankommen sind sie folglich nicht mehr so frisch. Daher lassen sie sich auf Party Island nieder, wo die Lautsprecheranlagen von fünf Bars einander open air beschallen und erholen sich bei ein paar Drinks. Dann geht es in die TV-Bars. Von denen gibt es an den 3 Haupt- und 2 Nebenstraßen etwa 50 bis 60 (nicht übertrieben): luftige Kneipen, in denen in Meditationspolster gelehnt alle Besucher tagein tagaus in die gleiche Richtung starren: auf einen der Fernseher (4 bis 5 pro Bar). Die zeigen in Endlosschleife Friends (Folgen einer amerikanische Vorabendserie mit Lachern aus der Dose). Besonders kecke Bars zeigen Zeichentrickserien, aber meist läuft Friends. Dazu trinken die verwegenen Weltentdecker Beerlao (0,65 Liter für 1 Euro), teilen noch ein paar buckets Whiskey und essen “happy” Pizzen.
Dann gehen sie ins Hostel. Und am nächsten Tag gleich in die TV-Bar, weil tubing waren sie ja nun schon. Nein, stopp, zwischendurch springen sie noch kurz ins Internetcafe und teilen ihren Facebookfriends mit, was sie so ‘erleben’, wichtig, dass alle Bescheid wissen. Oder sie skypen, weil sie leider (Beerlao) keine Fotos mehr hochladen können.
Dieses Gespräch einer jungen Irin durfte ich mitverfolgen (sie schrie so laut in den Schirm, dass schwer war diskret wegzuhören):
– “yea, so cool, so cheap – been tubing too”
– (Frage am anderen Ende)
– Not sure, called Vaengving or something like that.
– (Frage aus Dublin)
– Not sure, Asia somewhere. (Frage an den Computernachbarn): Hey, Sean, what’s this place called?
– (wieder in den Skype Schirm) Right, it’s called Laos, cool place, really, near Thailand, you better come over.
Am nächsten Tag bin ich weiter nach Norden gefahren. Der Rest von Laos ist nämlich weitgehend tubingfrei (schon dank der Dürre und der chinesischen Staudämme), und wirklich interressant, auch schön. Die Einheimischen in Vang Vieng allerdings taten mir noch länger leid. Sicher machen sie Geld, aber um welchen Preis? Und Tourismus war mir mal wieder peinlich. Aber wahrscheinlich werde ich nur alt und humorlos. Obwohl: Ich bin auch mit 21 nicht 9000 Kilometer geflogen und sehr lange Bus gefahren, nur um mich dann am Ziel vor einer amerikanischen Fersehserie mit billigem Bier zu betrinken. Glaube ich jedenfalls.
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Der Gouverneur von Jakarta, Fauzi Bowo, ist nicht gerade bekannt für sein Mitgefühl für die arme Bevölkerung der indonesischen Hauptstadt. Wie sein Vorgänger Sutiyoso lässt er Slumbewohner ohne gültigen Personalausweis vertreiben. Die Ordnungskräfte gehen dabei nicht zimperlich vor: Hütten werden eingerissen und samt der armseligen Innenausstattung abgebrannt; wer sich wehrt oder um sein Hab und Gut kämpft, bekommt die Schlagstöcke zu spüren. Als Fauzi Bowo gestern eine Ausstellung von Indonesiens Vorzeigekünstlerin Dolorosa Sinaga eröffnete, zeigte er jedoch auf einmal seine sentimentale Seite: Er wollte eine Bronzeskulptur mit dem Titel „I will fight“ kaufen, die ein Gruppe vertriebener Slumbewohner darstellt. Als die Künstlerin – bekannt für ihr soziales Engagement – fragte, warum er denn ausgerechnet diese Skulptur wolle, antwortete der Gouverneur: „Ich habe Mitleid mit diesen Menschen.“
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Das letzte Mal habe ich Rio Aling gesehen, als er mit ein paar Dutzend Bauern von den philippinischen Bergen herunter kam. Rio hatte ein Megaphon dabei, die Bauern Transparente, mit denen sie gegen die zunehmenden Übergriffe der Militärs protestierten. Als sie auf dem Marktplatz von Hilongos ankamen, sah alles friedlich aus. Erst als sich die Augen an die gleißende Mittagssonne gewöhnt hatten, konnte man in den Eingängen der Hütten und unter den Vordächern der Marktstände rund um den Platz die mattschimmernden Gewehrläufe sehen, getragen von gelangweilten Soldaten in Kampfuniform. Sie hatten auf Rio Aling gewartet. Er wußte es. Jeder wußte es, Aling war seit Jahren ein rotes Tuch für sie, weil er jeden Übergriff dokumentierte und zu den Menschenrechtsorganisationen nach Manila schickte.
Trotzdem hat er sich in die Mitte der Platzes gestellt und hat laut über Redefreiheit gesprochen, über die Freiheit, zu sagen, was man denkt, über Freedom of Speech. Meinungsfreiheit reicht nicht, rief Aling, man muss seine Meinung auch aussprechen.
Die Militärs haben ihn an diesem Tag in Ruhe gelassen. Vielleicht, weil die Anwesenheit eines westlichen Reporters damals auf den Philippinen noch Eindruck machte. Zwei Monate später haben sie den Menschenrechtler Rio Aling zu Hause abgeholt, haben ihm die Hände auf den Rücken gebunden und ihn im Wald mit den Gewehrkolben erschlagen. Freedom of Speech, da könnte ja jeder kommen.
Freedom of Speech, so steht es in riesigen Buchstaben neben der Anzeigetafel im Flughafen Brüssel, darunter Fotos von offensichtlich gebildeten Menschen in Entwicklungsländern, Menschen wie Rio Aling. Die Mobilfunkfirma Base will mehr Handyverträge verkaufen und eignet sich dafür den hohen moralischen Wert der Meinungsfreiheit an. In Deutschland, wo die Öffentlichkeit sensibler auf solche Banalisierungen reagiert, beschränkt sich Base auf ein augenzwinkerndes Wortspiel: Meine neue Redefreiheit. In anderen Ländern zielt sie ganz bewußt auf die Assoziationen, die einem bei Dritter Welt und Redefreiheit durch den Kopf schießen. Freedom of Speech, heruntergekommen zur Freiheit, so lange wie möglich zu quasseln. Werbung kann manchmal zum Kotzen sein.
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Seit ein paar Tagen bin ich auf Recherchereise in Hongkong. Vor zehn Jahren ist die vormalige britische Kolonie wieder ein Teil des Mutterlandes China geworden. Heute ist Hongkong durch und durch chinesisch. Nur ein Unterschied ist geblieben: Die Hongkonger stellen sich an – wo immer es geht. In ganz China wird gedrückt, gedrängelt und geschubst. Wenn die Hongkonger das Ende einer Schlange sehen, stellen sie sich an, auch wenn sie gar nicht wissen, worauf die Menschen warten. Warteschlangen sind die einzige britische Lebensart, die sich im chinesischen Kulturraum durchsetzen konnte.
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Komme gerade aus Korea zurück. Ich hatte einen Auftrag, einen Artikel über die „Küche der Zukunft“ zu schreiben. Ein koreanischer Elektrokonzern hatte der Redaktion versprochen, uns futuristische Wohnungen zu zeigen, voll mit den modernsten Entwicklungen der Haushaltselektronik.
Ich erwartete große, begehbare Kühlschränke mit Internetanschluss, selbst reinigendes Geschirr und Nano-Kochroboter in U-Boot-Form, die in Suppentöpfen umhertauchen. Mindestens. Ich freue mich auf die Zukunft.
Nach einem viertägigen Programm aus Fabrikbesichtigungen, Powerpointpräsentationen und ermüdenden Fachvorträgen über Kühlschrankgeneratoren stand ich endlich in einer Wohnung. Wollte sehen, wie normale koreanische Familien mit der Zukunftstechnik leben.
Im Flur verstreut lagen Kinderschuhe. Düstere Einbauschränke aus Kunstholz. An der Wohnzimmerwand hing ein Flachbildschirm, den der Firmenvertreter stolz als HomNet vorstellte. Mit ausgestrecktem Zeigefinger klickte er durch umständliche Dialogfenster, bis an der Wohnzimmerdecke zwei Neonröhren aufleuchteten. Das ist die Zukunft? Der Firmenvertreter bemerkte meine Enttäuschung. „218 HomNets haben wir schon nach Dubai verkauft.“ Er versuchte, triumphierend zu klingen.
Unter dem HomNet gab es auch noch zwei normale Lichtschalter. „Meistens nutze ich den. Das ist praktischer“, sagte die Wohnungsbesitzerin (Abbildung ähnlich).
Wir haben uns entschieden, keinen Artikel darüber zu schreiben, in Korea weiß man offenbar auch nicht mehr über die Zukunft als in Deutschland. Aber ich werde mich nie wieder auf die Versprechen eines mir unbekannten Pressesprechers verlassen, wenn ich eine Recherchereise ins Ausland plane.