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Das Privileg, für alle zu berichten

Der Axel-Corti-Preis ging dieses Jahr an Weltreporter Karim El-Gawhary. Bei seiner Dankesrede für den österreichischen Fernsehpreis der Erwachsenenbildung erinnerte der Nahost-Korrespondent daran, dass sich niemand aussucht, wo er geboren wird und welchen Pass er dadurch zufällig erhält. Die meisten Menschen auf dieser Welt können nicht hinreisen, wo sie wollen. Sie haben auch keinen freien Zugang zu unabhängigen Medien. Daher empfindet El-Gawhary es als „unheimlich großes Privileg öffentlich-rechtlich für Sie alle zu arbeiten, sozusagen Ihnen allen zu gehören“. Und ruft dazu auf, dass wir uns dieses Privileg von niemandem wegnehmen lassen sollten.

Link: https://www.facebook.com/weltreporter/videos/2439909616025424/

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Alternativer Nobelpreis statt “Alternative Facts”

Khadija Ismayilova (Foto: Right Livelihood Award)

Khadija Ismayilova (Foto: Right Livelihood Award)

Journalistenpreise gibt es viele, Nobelpreise wenige. Und dann gibt es da noch den Alternativen Nobelpreis des Schweden Jakob von Uexküll, offiziell heißt die Ehrung Right Livelihood Award. In diesem Jahr wird damit unter anderem eine Journalistin ausgezeichnet: Adija Ismayilova aus Aserbaidschan. Das hat auch mit Deutschland zu tun.

Ismayilova erhält die Auszeichnung „für ihren Mut und ihre Hartnäckigkeit, Korruption auf höchster Regierungsebene durch herausragenden investigativen Journalismus aufzudecken“, wie es seitens des Right Livelihood Awards heißt. “Ich nehme die Auszeichnung im Namen aller Journalisten und Verteidiger der Menschenrechte in meinem Land an, die trotz schwierigster Bedingungen unermüdlich weiterarbeiten”, lässt sich Ismayilova zitieren. Als Weltreporter wissen wir, es braucht mehr dieser Journalisten. Überall.

Laut Right Livelihood Award ist “Khadija Ismayilova ist die bedeutendste investigative Journalistin Aserbaidschans. In den vergangenen zehn Jahren hat ihre Berichterstattung den Umfang der korrupten und lukrativen Geschäfte der herrschenden Elite Aserbaidschans dokumentiert, in die auch Familienmitglieder von Präsident Aliyev involviert sind.

Sie hat Beweise für Korruption auf höchster Regierungsebene gefunden, die auch multinationale Unternehmen wie TeliaSonera betrafen. Ihre Recherchen und Dokumentationen zeigen auf, wie der Reichtum der Nation geplündert und ins Ausland geschleust wird. Mit dem Geld werden zum Beispiel europäische Politiker beeinflusst, wie der aktuelle Fall der CDU-Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden der Deutsch-Südkaukasischen Parlamentariergruppe Karin Strenz zeigt: Die Politikerin äußerte sich gegen hohe Zahlungen aserbaidschanischer Lobbyfirmen positiv über das Regime, lobte im Gegensatz zur OSZE-Beobachtermission die Wahlen 2010 und stimmte als einzige deutsche Abgeordnete im Europarat gegen eine Resolution zur Freilassung politischer Häftlinge in Aserbaidschan. Gegenüber dem Deutschlandfunk sagte Ismayilova: “Solche Leute ermöglichen es dem Regime, unsere Freiheit zu unterdrücken und uns ins Gefängnis zu bringen.“


Für die Veröffentlichung von Artikeln über staatliche Korruption wurde Ismayilova mit Schmutzkampagnen, Schikanen und Strafgeldern verfolgt. Trotz einer eineinhalb Jahre währenden Gefängnisstrafe hat Ismayilova sich nicht zum Schweigen bringen lassen und schreibt weiter. Ismayilova widmet sich auch der desaströsen Menschenrechtsbilanz in Aserbaidschan, schreibt über politische Gefangene und unterstützt deren Familien. Während die Regierung weiterhin Journalisten einschüchtert und verhaften lässt, bleibt Ismayilova standhaft und fordert in ihren Artikeln ein verantwortungsvolles Regierungshandeln in Aserbaidschan.”

 

 

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EUROPA UND DIE 20 GRANDEN

Ein Abend mit den Weltreportern in Hamburg am Freitag, 30. Juni 2017, 19 Uhr 

Putin, Erdogan, Merkel, Trump, Juncker und all die anderen Mächtigen an einem Tisch: Probleme gäbe es für die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten Anfang Juli genug zu lösen. Beispiele gefällig? Klimaschutz: Den hat der US-Präsident gerade aufgegeben. Ein Ende von Krieg und Chaos: Nicht nur Saudi-Arabien heizt die Lage global weiter auf. Der Kampf gegen Ungleichheit und Armut: Doch die Europäer wollen nur, dass die Armen bleiben, wo sie schon immer waren. Vor dem G20-Gipfel in Hamburg gibt es nichts als Fragezeichen.
Eine Woche vor dem Spitzentreffen laden deshalb die Korrespondenten des Netzwerks Weltreporter zu einer Runde Ausrufezeichen ein: Was denken die Menschen in Russland, der Türkei oder Ägypten über diese 20 Granden, um die sich die Welt vermeintlich dreht? Was sind in den G20-Staaten und darüberhinaus die wirklichen Probleme? Und wer führt künftig die freie Welt an: Macron? Xi Jinping? Oder etwa das Volk?
Kommen Sie und sprechen Sie mit uns: Wir laden Sie ein zu kurzen, knackigen Live-Berichten von Korrespondenten aus der ganze Welt, die (nicht nur) dort leben, wo die G20 regieren. Wir freuen uns auf eine spannende Diskussion mit Ihnen und eine Abstimmung zum Schluss.
Weltreporter.net ist das größte Netzwerk deutschsprachiger Auslandskorrespondenten und berichtet insgesamt aus 160 Ländern weltweit. www.weltreporter.net 
Europa und die 20 Granden
Freitag, 30. Juni, 19 Uhr
Thalia Nachtasyl
Alstertor 1
20095 Hamburg
Eintritt: 7 Euro
Karten bekommen Sie auf der Webseite des Thalia-Theaters

 

 

 

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Tag der Pressefreiheit – nicht überall

Der 3. Mai ist der Internationale Tag der Pressefreiheit. Um die allerdings ist es nicht sonderlich gut bestellt. Der Verband Reporter ohne Grenzen (ROG) hat zu diesem Termin eine überraschende und teils erschreckende Rangliste mit vielen Hintergründen zur Pressefreiheit in der Welt zusammengestellt.

Es ist ein hochspannendes und informatives Dokument, viel mehr als eine Liste.
Ein Blick auf die interaktive Weltkarte der ROG-Kollegen ist extrem aufschlussreich. Denn in der Übersicht geht es nicht nur darum, wo Journalisten, die ihre Arbeit erledigen wollen, dabei behindert oder sogar festgenommen werden.
Es werden auch Manipulationen und Monopole angesprochen – und keineswegs nur Einschränkungen in Diktaturen.

„Besonders erschreckend ist, dass auch Demokratien immer stärker unabhängige Medien und Journalisten einschränken, anstatt die Pressefreiheit als Grundwert hochzuhalten“, sagt ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske zu dem Ranking, für das vor allem Ereignisse und Daten aus 2016 zusammengetragen wurden.

Zur Verschlechterung der Lage für Journalisten tragen weltweit auch medienfeindliche Rhetorik, beschränkende Gesetze und politische Einflussnahme bei. Deutschland hält sich auf der Liste unverändert auf Platz 16. Australien steckt zwischen Surinam und Portugal auf Platz 19. Nicht zuletzt weil in meinem Berichtsgebiet Journalisten beispielsweise nicht unbehindert über die Flüchtlingspolitik berichten dürfen.

 

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Kollegen hinter Gittern

Dieses Foto stammt aus dem Frühjahr 1998, als wir den Kollegen Ragip Duran aus dem Gefängnis im nordwesttürkischen Saray abholten. Ragip sollte einer der letzten Journalisten sein, die in der Türkei wegen ihrer Berichterstattung eingesperrt wurden – so hofften wir damals. Doch heute sitzen wieder mehr als 150 Journalisten hinter Gittern, viele ohne Prozess und sogar ohne Anklage. Der Fall der Brüder Ahmet und Mehmet Altan, die seit fast einem halben Jahr ohne Anklageschrift im Gefängnis sitzen, wird jetzt vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg aufgegriffen. Inhaftiert wird ohne Rücksicht auf Alter oder Gebrechen: So sitzt die 73jährige Kolumnistin Nazli Ilicak seit dem vergangenen Juli im Gefängnis, ohne dass bisher Anklage erhoben wurde; ebenso der gleichaltrige Kolumnist Sahin Alpay. Auf die Freilassung werde auch der deutsch-türkische Korrespondent Deniz Yücel voraussichtlich noch länger warten müssen, glaubt der türkische Jurist und Oppositionspolitiker Sezgin Tanrikulu, der Yücel bei seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung beigestanden hatte. „So schnell kommt er wohl nicht wieder raus“, sagt Tanrikulu.

 

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WR Spezial – SoundCloud

soundcloud_slider2Recherchen zu unserem neuen Buch “Die Flüchtlingsrevolution” führten uns in südafrikanische Frisörsalons und kenianische Lager, in neuseländische Küchen und bosnische Wohnzimmer. Im ersten Weltreporter Spezial (zu hören via SoundCloud) erzählen wir, wie dieses Buch entstand und lassen einige Interviewpartner zu Wort kommen.

65 Millionen Menschen leben derzeit nicht in ihrer Heimat sondern sind unterwegs: zu Fuß und per Boot, per Bus und in Fliegern, auf Transitrouten, in Lagern, in provisorischen Unterkünften. Sie halten sich an Orten auf, die vielleicht eines Tages eine neue Heimat werden, oder vielleicht auch nicht. Sie fliehen vor Naturkatastrophen oder Armut, vor Gewalt oder Verfolgung, vor Unrecht oder Krieg.

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Lidia Nunez und Anwältin Yanci Montes

Über einige Dutzend dieser Menschen schreiben wir in unserem Buch “Die Flüchtlingsrevolution”, und einige von ihnen lernen Sie im neuen, 20-minütigen Audio Weltreporter Special kennen.
Wer sind diese Menschen? Welche Lebensgeschichten verbergen sich hinter der schwer vorstellbaren Zahl 65 000 000?

Wir sprechen mit einer Frau, die aus Beirut nach Frankreich floh, mit einer  Kongolesin, die in Südafrika landete, doch auch dort nicht sicher ist, mit Fischern in Lesbos und Landmigranten in chinesischen Metropolen.

Coco Bishogo Ruvinga, die vom Kongo nach Südafrika geflüchtet war, wurde in ihrem Friseursalon Opfer fremdenfeindlicher Gewalt

Coco Bishogo Ruvinga, die vom Kongo nach Südafrika geflüchtet war, wurde in ihrem Friseursalon Opfer fremdenfeindlicher Gewalt

Wir analysieren in unserem Buch Fakten und versuchen Hintergründe zu erklären, beschäftigen uns mit historischen Aspekten und erörtern, wie Politiker in verschiedenen Regionen auf diese Völkerwanderung reagieren. Um die enormen Dimensionen begreifbar zu machen, erzählen wir jedoch vor allem von persönlichen Schicksalen – Ein Versuch, dieser Revolution, die unsere Welt bewegt, Gesichter und Stimmen zu geben.

Kerstin Zilm und Lidia Nunez vor dem Gerichtsgebäude

Kerstin Zilm und Lidia Nunez vor dem Gerichtsgebäude

Im WR Spezial erfahren Sie auch: Wie ist die Idee zu diesem Buch entstanden? Wie ist uns gelungen, mit 26 Kollegen aus fünf Kontinenten und doppelt so vielen Zeitzonen ein Konzept zu erarbeiten, das mehr ist als eine Sammlung von Geschichten:  Ein ausgewähltes Portfolio individueller Texte, die zusammen ein höchst komplexes Bild ergeben; denn Flucht hat heute enorm viele Facetten.

Erleben Sie, wie das kenianische Dadaab klingt, was wir im Goethe-Institut in Yogjakarta erfahren haben und was wir auf dem Balkan, in Malaysia und Magdeburg aufnehmen konnten.

Zusammengestellt haben das Audio Spezial Kerstin Zilm in LA, Leonie March in Durban, Randi Häusler in Stockholm und Sascha Zastiral. Sascha Zastiral, der viele Jahre Weltreporter in Bangkok war und seit kurzem in London arbeitet, hat auch die Musik für diese Weltreporter Audio Reportage komponiert und aufgenommen. Dieser Link führt zur SoundCloud, auf der Sie das Spezial anhören können.

Töne, Berichte und Interview für den 20-minütigen Report lieferten außerdem Bettina Rühl (Nairobi), Birgit Kaspar (Toulouse), Christina Schott (Jakarta), Alkyone Karamanolis (Athen), Marc Engelhardt (Genf), Danja Antonovic (Belgrad).

Wenn Sie das Audio-Spezial neugierig gemacht hat:

Unser neues Buch “Die Flüchtlingsrevolution”, ein 350-seitiges Gemeinschaftswerk von 26 Weltreportern ist Ende August im Pantheon Verlag erschienen und sowohl als ebook wie broschiert (16,99 €) erhältlich.

 

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Unser 11. September

Der Angriff auf “Charlie Hebdo” war nicht das schlimmste Attentat in Europa. Doch die Reaktion in Paris und ganz Europa zeigt, dass dies ein Wendepunkt war wie der 11. September in New York. Was folgt daraus?

Madrid, London, Toulouse, Brüssel – seit dem 11. September hat es in Europa schon viele schlimme Attentate gegeben, die auf radikale Islamisten zurückgehen.

Doch noch nie zielten Terroristen so direkt und so brutal auf einen Grundpfeiler der europäischen Kultur: Die Meinungs- und Pressefreiheit.

Und noch nie war die Reaktion von Politik und Gesellschaft so eindeutig und entschieden wie in Paris, wo am Sonntag mehr als eine Million Menschen auf die Straße gegangen sind.

Sogar Präsident Hollande war dabei, obwohl französische Staatschefs sonst (fast) nie demonstrieren. Auch viele EU-Politiker kamen, darunter Kommissionschef Juncker und Kanzlerin Merkel.

Die richtigen Lehren ziehen

Es ist gut und wichtig, dass die Europäer ein Zeichen setzen gegen Terror, Fremdenhass, Antisemitismus und einen Gewaltkult, der ans finsterste Mittelalter erinnert.

Doch was kommt danach? Werden die EUropäer endlich die Lehren aus dem 11. September 2001 ziehen – und ihre Fehler im Irak, in Syrien und in Nahost korrigieren?

Das sind die Brandherde, die derzeit tausende junge Europäer anziehen und zu Terroristen machen. Man darf gespannt sein, was unsere EU-Außenpolitiker dazu sagen, vor allem die “neuen Europäer”.

Völlig falsche Prioritäten

Bisher setzen sie falsche Prioritäten – und verteufeln Putin, statt den wahren Gefahren für die “europäische Friedensordnung” ins Auge zu sehen, die übrigens auch in der Türkei lauern.

Mindestens genauso wichtig ist aber die Reaktion nach innen. Natürlich müssen jetzt die Sicherheits-Maßnahmen überprüft und ggf. verschärft werden.

Klar ist aber auch, dass neue Passagierdaten-Abkommen, wie sie etwa EU-Ratspräsdient Tusk fordert, im Fall “Charlie Hebdo” nichts gebracht hätten.

Bedrohung aus dem Homeland

Gegen die Bedrohung von innen – aus dem “Homeland”, wie es neudeutsch heißt – nutzen die meisten aktuellen Antiterror-Maßnahmen nichts; das ist offensichtlich.

Viel wichtiger wäre daher, endlich das leere Versprechen einzulösen, etwas gegen Jugendarbeitslosigkeit und Ausgrenzung in den Problemvierteln von Paris, London oder Hamburg zu tun.

Dazu müsste sich allerdings auch die Wirtschafts- und Sozialpolitik insgesamt ändern. Ich habe Zweifel, ob Tusk, Merkel & Co. dazu bereit sind…

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog “Lost in EUrope”

photo credit: OlivierdeBrest via photopin cc

 

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Die Nationen trauern vereint

Der Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris, kaum mehr als drei Zugstunden von Genf entfernt, hat im Völkerbundpalast Trauer und Entsetzen ausgelöst. Krisen, Krieg und Gewalt gehören für die UN und für die Korrespondenten hier zum Arbeitsalltag. Und trotzdem trifft das Attentat von Paris die Organisation, die UN-Menschenrechtskommissar Zeid al-Hussein bei einem Gedenken am Freitag als globale Familie bezeichnet, ins Herz.

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Zeid al-Hussein, bei einer Schweigeminute am 9.1.15 im Genfer Palais des Nations

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Zeid al-Hussein, bei einer Schweigeminute am 9.1.15 im Genfer Palais des Nations

Das liegt daran, dass nicht nur die Journalisten im Palais das Recht auf freie Meinungsäußerung für eines der unveräußerlichsten Menschenrechte überhaupt halten. “Dieses Recht muss deshalb vehement verteidigt werden, vor allem von den Vereinten Nationen, von mir wie von uns allen”, sagt al-Hussein.

Der gebürtige Jordanier mahnt nach dem Anschlag dazu, innezuhalten anstatt über Rache nachzusinnen. “Es wird noch viel Gewalt geben, und zwar bald, wenn wir uns jetzt nicht klar und menschlich verhalten”, sagt er. “Weder der Islam noch die Multikulturalität Europas sind für den blutigen Überfall vor zwei Tagen verantwortlich, wie es verschiedene rechte Politiker bereits behauptet haben”, betont er.

Al-Hussein, selbst Muslim, geht differenziert auf die umstrittenen Cartoons von Charlie Hebdo ein. “Als Muslim empfinde ich viele der Cartoons, die heute überall wiederveröffentlicht werden, als beleidigend, so wie alle Muslime in diesem Gebäude und überall auf der Welt, alle 1,6 Milliarden”, sagt er. “Aber die Antwort ist natürlich nicht, jemanden zu ermorden oder zu verletzen. Stattdessen müssen wir das gleiche Recht nutzen, dass die getöteten Redakteure von Charlie Hebdo so meisterlich genutzt haben: das Recht, frei zu schreiben, zu sprechen und zu zeichnen.”

Für den Menschenrechtskommissar ist längst erwiesen, dass das Wort mächtiger ist als das Schwert oder eine andere Waffe. “Wir müssen über die Notwendigkeit sprechen, mehr zu lieben, uns mehr zu kümmern, gütig zu sein, mehr Menschen zu intergrieren und besser integriert zu sein: Wenn wir irgendeine Lehre aus diesen teuflischen Morden ziehen können, dann ist es diese.”

Die UN kranken oft daran, keine klaren Positionen beziehen zu können. Wer 193 Staaten repräsentiert, spricht oft verklausuliert. Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo haben die UN klare Worte gesprochen, in Genf und in New York. Das lässt hoffen, dass sie im Kampf gegen Terror und Extremismus auf allen Seiten in den kommenden Wochen ihr ganzes Gewicht in die Wagschaale werfen wird.

 

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Gestern Bagdad, heute Hamburg: Birgit Svensson bei Netzwerk Recherche

BirgitSvenssonWelteporterinBagdad

 

Birgit Svensson lebt und arbeitet seit Jahren in Bagdad. Als freie Journalistin an einem der aktuell gefährlichsten Orte schreibt  und berichtet sie u.a. für DIE ZEIT, die WELT, den Deutschlandfunk, den Schweizer Rundfunk und die Deutsche Welle. Sie ist eine der ganz wenigen Frauen, die vor Ort das aktuelle Chaos , die dramatischen Veränderungen erleben. Noch im letzten Jahr musste sie um ihren Verbleib in Bagdad kämpfen, für viele Medien schien der Irak uninteressant. Jetzt sind sie alle  wieder interessiert, wollen Berichte und Reportagen.

 

Wie Birgit Svensson das alles erlebt. wie sie  mit dem Problem Sicherheit umgeht, wie dieser Bürgerkrieg auch sie verändert – darüber redet sie auf dieser Veranstaltung. Und stellt sich all den Fragen derer, die Bagdad und den Irak nur vom Fernseher oder den Zeitungen kennen.

Mit Christoph Reuter, Spiegel.

Heute, Freitag, 4. Juli, 14.15 Uhr Netzwerk Recherche-Tagung, NDR Gelände Lokstedt, Hugh-Greene-Weg.

 

BIRGIT SVENSSON noch einmal HEUTE um 15.30 Uhr: Lasst uns über Geld reden. Neue Modelle für Freie im Ausland. Moderation: Gemma Pörzgen, Freischreiber.

BITTE AKTUELLE RAUM-HINWEISE BEACHTEN!

 

 

 

 

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Verurteilte Korrespondenten in Ägypten sofort freilassen!

In Kairo sind heute drei Korrespondenten des englischsprachigen Programms des Fernsehsenders Al Jazeera zu sieben bzw. zehn Jahren Haft verurteilt worden. Die Weltreporter fordern: Die verurteilten Korrespondenten müssen umgehend freigelassen werden!

Die Bundesregierung muss massiven Druck auf die Regierung Ägyptens ausüben, damit dieses ungeheuerliche Urteil zurückgenommen wird – die verurteilten Journalisten haben nichts anderes getan, als ihren Beruf auszuüben und damit ein fundamentales Menschenrecht zu verwirklichen.

Sie muss das Urteil alleine deshalb mit aller Schärfe verurteilen, um auch in Zukunft eine kritische Berichterstattung über Ägypten zu ermöglichen. Wenn die Bundesregierung nicht ihr ganzes Gewicht für die Freilassung unserer Kollegen einsetzt, müssen in Zukunft auch deutsche Korrespondenten fürchten, ohne Grund verhaftet und verurteilt zu werden – ein unhaltbarer Zustand!

Nach Ansicht von Menschenrechtlern und anderen unabhängigen Prozessbeobachtern wurde zur Rechtfertigung des Urteils kein einziger plausibler Beweis vorgelegt. Das am Montag gesprochene Urteil hat offenbar vor allem ein Ziel: die Einschüchterung von Korrespondenten. Vor Ort ist bereits zu sehen, wie bei manchen Berichterstattern die Schere im Kopf ansetzt. Auch deshalb ist es so wichtig, von politischer Seite Druck auf die ägyptische Regierung auszuüben.

Weltreporter.net gehören derzeit 66 Mitglieder an, die aus 160 Ländern für verschiedene deutschsprachige Medien berichten, darunter auch aus Ägypten. Das Netzwerk gibt es seit 2004. Ziel des eingetragenen Vereins ist die Förderung eines hochwertigen Auslandsjournalismus, zu dem sich alle Mitglieder bekennen.

 

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War mein Vater im Geheimdienst?

Seit der NSA-Snowden Affaire denke ich oft an meinen Vater. Er ist vor ein paar Jahren verstorben, hatte ein abenteuerliches Leben hinter sich – zumindest in seinen jungen Jahren als Fremdenlegionär in Afrika und Vietnam, zumindest, wenn ich ihm Glauben schenken darf, was er erzählte (als Beamter im österreichischen Innenministerium).

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Mein Vater liest uns vor: Zumindest könnten die Geschichten wahr sein

„Zumindest“ begleitet alle Erinnerungen an ihn. Es ist ein Schlüsselwort, auch von Geheimdiensten, wenn sie Zweifel sähen wollen, wenn Tatsachen ans Licht kommen, die angeblich nicht für uns, die Öffentlichkeit, bestimmt sind. Wir haben ja gewusst, dass unsere E-Mails gelesen und Telefonate abgehört werden – zumindest, so dachten wir, besteht die Möglichkeit dazu. Und wenn Julian Assange als Sexverbrecher dargestellt wird, könnte das eine Rache der NSA an Wikileaks sein – aber andererseits und zumindest könnte sich Julian auch wirklich vergangen haben. Rufmord im gleichen Stil funktioniert nicht zwei mal hintereinander. Aber hey, der Snowden-Affairen-Aufdecker Journalist Glenn Greenwald hat doch einen schwulen Partner. Präsentieren wir doch den der breiten Öffentlichkeit – zumindest könnte mit ihm was faul sein.

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Algerien, 1946: Mein Vater in der Fremdenlegion

Erzählungen von meinem Vater damals erklären heute, warum kein Politiker gegen Praktiken wie die der NSA vorgeht. („Nicht einmal faule Eier fliegen“ kommentiert ein Leser vom österreichischen Der Standard.)

„Alle Volksvertreter sind von diesen zwielichtigen Institutionen erpressbar,“ sagte mein Vater. „Die Agenten bezahlt das Volk, aber kontrollieren, zur Rechenschaft ziehen, kann es sie nicht. Im Innenministerium liegen von allen Politikern Geheimakte auf. Die Staatspolizei (Anmerkung: heute heisst dieser Geheimdienst Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) lanziert Informationen nach Gutdünken und politischer Gesonnenheit. Sie sind nur einem kleinen, inneren Kreis vorbehalten, der keiner Aufsichtsbehörde untersteht. Sie dienen zum Selbstschutz der Geheimdienstler, zur Erpressung und für Geschäfte. Gibst du zum Beispiel den Israelis eine Information, bekommst du zwei gute zurück. Deshalb wird der Mossad geschätzt.“

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Pensioniert und vom Staat ausgezeichnet: Mein Vater beim Kasernenbesuch in den 90er Jahren

Ich weiss bis heute nicht, welche Funktion mein Vater im Innenministerium wirklich einnahm. Er tat geheimnisvoll, wissend, gewichtig und immer so, dass er zumindest auch ein Wichtigmacher hätte sein können, was wiederum auch nicht Sinn machte, da er ja zumindest einen der höchsten Orden der Republik erhalten hatte. Kurz vor seinem Tod erwähnte er, dass er aus seiner umfangreichen Büchersammlung noch ein paar Dokumente entfernen wollte, die er dort “zur Sicherheit” versteckt hatte. “Es wäre besser, wenn ich sie nicht finde.” Er kam nicht mehr dazu – und ich auch nicht, das heisst, tausende Seiten durchblättern, denn, zumindest könnte zwischen den Buchdeckeln ja wirklich etwas Interessantes zum Vorschein kommen.

 

 

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Etappensieg für die Pressefreiheit

Er hat nicht unterschrieben. Bravo! Südafrikas Präsident Jacob Zuma hat ein Gesetz zurück ans Parlament geschickt, gegen das Journalisten und Bürgerrechtler hier am Kap jetzt schon seit Jahren kämpfen. Das „Gesetz zum Schutz staatlicher Information“, in Südafrika besser bekannt als „Secrecy Bill“, frei übersetzt Geheimhaltungsgesetz. Denn mit diesem Gesetz hätten investigativen Journalisten und Whistleblowern drakonische Strafen gedroht, das Recht der Bürger auf Information hätte drastisch und willkürlich beschnitten werden können, Behörden hätten korrupte Machenschaften spielend vertuschen können – um nur einige der Einwände zu umreißen. Die Liste ist noch viel, viel länger. All das ist so gar nicht im Sinne der südafrikanischen Verfassung, die als eine der liberalsten der Welt gilt und Presse- und Meinungsfreiheit groß schreibt. Doch was gelten heute die Ideale des Freiheitskampfes, das Vermächtnis Nelson Mandelas. Der ANC blieb stur.

Trotz aller Kritik hatte die Regierungspartei den Gesetzentwurf mit überwältigender Mehrheit vom Parlament verabschieden lassen. Daher ist es jetzt umso köstlicher, dass ausgerechnet Jacob Zuma die Reißleine zieht. Teile des Gesetzentwurfs entbehrten jeden Inhalts, seien unstimmig, ja irrational und seien daher verfassungswidrig, sagte er gestern vor Journalisten. Da zergeht jedes einzelne Wort auf der Zunge. Zwar konnte Zuma nicht begründen, was genau er ändern lassen möchte. Schwamm drüber. Die Entscheidung hat er wohl nicht selbst gefällt, sondern seine juristischen Berater. Denn das Gesetz hätte in dieser Form niemals einer Verfassungsklage standgehalten und genau damit hatten die Gegner gedroht. Damit ist der Kampf für alle, die in Südafrika noch an Pressefreiheit und Bürgerrechte glauben noch nicht vorbei. Es ist unklar, ob die Abgeordneten jetzt zum x-ten Mal einzelne Passagen ändern, oder das Gesetz ganz in die Tonne treten. Aber erstmal ist es ein wichtiger Etappensieg. Glückwunsch!

 

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Recherchieren in China – ein Interview mit Janis Vougioukas

Für das Buch “Echt Wahr! Wie Journalisten Wirklichkeit erzählen” haben Studenten der Hamburg Media School (inzwischen sind sie Absolventen!) auch Interviews mit Korrespondenten des Weltreporter-Netzwerks geführt. In diesem Werkstattgespräch erzählte Janis Vougioukas Christina Lachnitt von seiner – manchmal ganz schön schwierigen – Arbeit in China.

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Keine Transparente, keine Sprechchöre. Eine kleine Demonstrati­on, kaum als solche erkennbar. Nur ein paar Dutzend Menschen, die im Regen stehen. Selbst das ist zu viel: Die Journalisten auf dem Platz, darunter Janis Vougioukas, werden von der Polizei „einge­sammelt“, wie der Korrespondent es später ausdrückt. „Das zeigt, wie nervös das Regime ist.“ Vougioukas lebt seit 2002 in Shanghai, berichtet aus Südostasien für den Stern. Mit Christina Lachnitt sprach er über die schwierigen Arbeitsbedingungen für ausländi­sche Korrespondenten, mutige chinesische Kollegen – und warum er trotz allem gerne aus China berichtet: „Probleme machen die Arbeit für mich erst interessant.“

Herr Vougioukas, Sie sind im März 2011 in Shanghai bei einer Demonstration festgenommen worden. Was war da los?
Wenn Sie die Szene als Passant gesehen hätten, würden Sie vielleicht sagen: nichts. Vor einem Kaufhaus hatten sich etwa 50 Menschen ver­sammelt, ohne Transparente. Sie gingen in dem Trubel auf der Stra­ße fast unter, es war eine getarnte Demonstration. Dazu aufgerufen hatte eine Handvoll Aktivisten, die die Proteste aus der arabischen Welt nach China bringen wollten. Sie nannten das Jasminrevolution.

Wie sind Sie auf eine so dezente Meinungsäußerung aufmerksam geworden?
Die Polizei hatte alle ausländischen Journalisten angerufen und da­vor gewarnt, an dem betreffenden Wochenende in die Innenstadt zu gehen. Ich habe mit Kollegen gesprochen: Eigentlich war diese win­zige Demonstration kein Thema für uns, wir wollten gar nicht be­richten. Aber wenn die Polizei uns extra anruft, ist es unsere jour­nalistische Pflicht, hinzugehen und aufzuschreiben, was passiert.

Der große Bruder hat Sie also selbst darauf gestoßen?
Die Reaktionen auf die Jasminrevolution waren absurd. Die Polizei ging zu Tee- und Blumenhändlern und sagte: Ihr dürft keinen Jas­mintee, keine Jasminsträucher verkaufen! Es war wie bei Orwell: Die Regierung versuchte das Wort Jasmin zu eliminieren, um den Men­schen ihr revolutionäres Gedankengut auszutreiben. Schon lange kursierte im Internet ein lustiges Video von Premierminister Wen Jiabao, aufgenommen bei einer Afrikareise. Er sang ein Lied, in dem eine Jasminblume vorkam. Das wollte die Regierung dann löschen.

Wo haben die Polizisten Sie hingebracht?
In einen unterirdischen Bunker, der vermutlich extra für diesen Zweck eingerichtet wurde. Aber, in China festgenommen zu wer­den ist für uns Korrespondenten nicht so schlimm, wie es klingt. Mir wurden nicht mal Handschellen angelegt, ich bin auch noch nie gefoltert worden. Die Festnahme hatte auch keine spürbaren Konsequenzen. Ich kannte ja die meisten der Polizisten und mit mir wurden ein Dutzend andere Journalisten festgenommen.

Und die Demonstranten?
Einige sind zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Darunter auch ein Anfang 20-Jähriger, der mit Twitter-Posts zu dieser De­monstration aufgerufen hatte.

Das ist hart.
Die harsche Reaktion zeigt, wie überrascht und besorgt die Regie­rung war. Kurz zuvor war ein Bloomberg-Kameramann kranken­hausreif geschlagen worden. Vermieter wurden gedrängt, keine Journalisten mehr einzuquartieren. Die Familie der Freundin ei­nes Kollegen wurde unter Druck gesetzt, damit er nicht über diese Demonstration berichtet. Das sind doch schon Gestapo-Methoden. Es gibt zwar auch sonst immer wieder Demonstrationen, aber sie richten sich gegen ein Chemiewerk oder einen korrupten Beamten. Nie gegen das System generell, das hat es seit dem Massaker auf dem Tian’anmen-Platz nicht mehr gegeben.

In Ihrem Pass steht auf Chinesisch „Journalist“ – gel­ten Sie dadurch als Staatsfeind?
Nein, nicht automatisch. Aber jedes Hotel, in das man eincheckt, muss das Visum kopieren und an die Sicherheitsbehörden faxen. Wir müssen sogar den Pass vorzeigen, um ein Zugticket zu kaufen. Man kann kaum unentdeckt reisen, fällt überall sofort auf. Ausländische Fernsehteams schicken deshalb oft Chinesen mit Kameras los.

Trotzdem gibt es immer wieder Festnahmen.
Ja, das passiert regelmäßig. Aber uns Korrespondenten kann ja nicht viel passieren. Die größte Gefahr besteht für unsere chinesi­schen Interviewpartner. Um die muss man sich am meisten sorgen.

Wie schützen Sie Ihre Interviewpartner?
Viele ahnen gar nicht, in welcher Gefahr sie sich befinden, wenn sie mit ausländischen Journalisten sprechen. Bauern oder Enteig­nete, zum Beispiel. Da ändern wir die Namen. Wenn man aber Ai Weiwei spricht, ist das natürlich etwas anderes.

Bekommen Sie Auflagen vom Staat? Oder gibt es unge­schriebene Gesetze?
Es gibt geschriebene und ungeschriebene Gesetze, die sich mit der Zeit geändert haben. Früher mussten wir jede Inlandsreise geneh­migen lassen. Das war absurd. Einmal wollte ich nach Südchina in einen Freizeitpark fahren, für eine Geschichte mit dem Arbeitsti­tel „Die Chinesen entdecken den Urlaub“. Nach zwei Wochen hatte ich noch immer keine Genehmigung. Damals habe ich beschlossen, diese Regel zu ignorieren. Doch genau das ist die Idee dahinter: Wer gegen Regeln verstößt, gegen den kann die Regierung jeder­zeit vorgehen. Seit den Olympischen Spielen brauchen wir für In­landsreisen keine Zustimmung der Regierung mehr und auch kei­ne Begleiter. Das ist allerdings die einzige Regel, die sich gebessert hat. Sonst ist vieles immer komplizierter geworden.

Was zum Beispiel?
Unsere chinesischen Mitarbeiter werden stärker unter Druck ge­setzt, öfter als früher von der Geheimpolizei zu Gesprächen ein­geladen. Wenn sie gegen Regeln verstoßen, kommen sie auf eine schwarze Liste und werden es schwer haben, einen anderen Job im Mediensektor zu finden. Und das Internet ist ohne Tricks für Re­cherchen eigentlich nicht mehr zu gebrauchen. Ohne Virtuelle Pri­vatnetzwerke, sogenannte VPNs, mit denen man Firewalls umge­hen kann, läuft gar nichts. Ausländische Webseiten wie Google oder Facebook hat China längst ausgehebelt, indem chinesische Plagiate gegründet wurden. Die haben eine moderne Webseite, zensieren sich aber selbst und stehen unter der Fuchtel der Regierung.

Werden Sie abgehört?
Manchmal bekommt man durch Zufall mit, wie viel die Sicher­heitsbehörden über einen wissen. Ich bin vor ein paar Jahren in Shanghai umgezogen und habe deshalb mit zwei, drei Maklern ge­sprochen. Dann bekam ich einen Anruf von dem Herrn, der sonst mein Visum verlängert. Er sagte mir: „Ich nehme an Sie wissen, dass Sie uns das melden müssen, wenn Sie umziehen.“ Um das zu wissen, muss er meine Telefonate mitgehört haben.

Haben Sie denn das Gefühl, in einer Diktatur zu leben?
China ist das anarchistischste Land überhaupt. Ein Kollege hat mal geschrieben: „Es gibt in China nicht einen Diktator, sondern Zehn­tausende!“ Das beschreibt die Situation ganz gut. Denn jeder Stra­ßenpolizist, jeder Dorfbürgermeister, jeder kleine Beamte hat eine ganz eigene Vorstellung von Gesetzen und Vorschriften. Viele den­ken vor allem an die eigene Tasche, nicht an das Wohl des Staates. Es gibt keine Rechtssicherheit. Man kann sich auf keine Vorschrift, auf kein Gesetz verlassen. Das hat wirklich anarchische Züge. Viele Europäer haben da ein ganz falsches Bild.

Sie beschreiben in Ihrem Buch „Wenn Mao das wüsste“ das neue China. Was darf Mao nicht wissen?
China ist aggressiver im Kapitalismus und in der Verfolgung von materiellen Zielen als die meisten anderen Länder der Welt. Mao wäre davon schockiert. Wobei er das wahre China ohnehin nicht kannte: Weil er Flugangst hatte, fuhr er mit dem Zug. Die Behörden sorgten dann gerne dafür, dass wohlgenährte Bauern und Bäue­rinnen mit Ährenbüscheln neben den Gleisen standen. So wie wir es von Propagandapostern kennen.

Wenn Sie Berichte über China in Deutschland lesen: Wird die Wirklichkeit so abgebildet, wie Sie sie erleben?
Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe des Journalismus ist, die Wirklichkeit abzubilden. Nachrichten sind Abweichungen vom All­tag. Wenn ein Flugzeug abstürzt und wir berichten darüber, ist das nur ein Ausschnitt der Realität. Die meisten Flugzeuge kommen heil an. Als 2010 die Unruhen in Bangkok waren, haben wir über die Straßen berichtet, in denen geschossen wurde, in denen Men­schen in ihrem Blut lagen. Gleichzeitig konnte man an 99 Prozent der thailändischen Strände völlig unbehelligt Urlaub machen. Den Lesern ist oft nicht klar, dass sie nur einen Ausschnitt betrachten. Das gilt auch für China.

Inwiefern?
Es stimmt, dass viele Menschen in China unzufrieden sind. Sie är­gern sich vielleicht über Korruption, teure Lebensmittel oder Infla­tion. Aber die meisten wollen keine andere Regierung. Nur wenige träumen von einem Systemwechsel, von so etwas wie Montagsde­monstrationen. Sie wollen keine Demokratie, sondern einfach nur Verbesserungen in der Partei. Sie haben Angst vor Unordnung. Die Partei ist für viele noch immer ein Garant für Stabilität. Nicht pla­nen zu können, das ist für viele Chinesen eine Horrorvorstellung. Für mich ist aber wichtig, wie die Regierung die Menschen behan­delt, die sich gegen sie stellen. Es die Aufgabe der Journalisten, auf diese ein oder zwei Prozent der Bevölkerung zu schauen.

China steht auf Platz 171 des Pressefreiheits-Index der Organisation Reporter ohne Grenzen. Noch schlechter werden nur sieben Länder eingestuft, unter anderem Nordkorea und Iran. Wie kommen Sie denn an Ihre Informationen?
Das ist oft unglaublich schwierig, selbst wenn es nur darum geht, wie viele T-Shirts oder Feuerwerkskörper in China hergestellt wer­den. Man muss immer noch Faxe schicken. Diese Beantragungs­faxe sind oft länger als der Text, der am Ende gedruckt wird. Es gibt meist keine Pressesprecher. Und wenn es sie gibt, sehen sie ihre Rolle nicht darin zu kommunizieren, sondern zu verhindern. Ich habe mich bewusst für Shanghai als Wohnort entschieden, ob­wohl die Stadt nicht das politische Zentrum Chinas ist. Aber das ist letztlich egal, weil man in Peking genauso weit von der Politik entfernt ist. Das ist wie früher die Kreml-Astrologie in Moskau. Wir könnten auch den Kaffee- oder in China vermutlich besser den Teesatz lesen und uns überlegen, was die Regierung entscheidet. Immerhin denken inzwischen nicht mehr alle Chinesen: Oh, ein ausländischer Journalist, der ist sicher ein Spion! Sie haben sich ein bisschen an Korrespondenten gewöhnt.

Worüber würden Sie gerne berichten, bekommen aber keinen Einblick?
Kein Journalist hat je einen echten Einblick in das chinesische Weltraumprogramm bekommen. Genauso ist es völlig unmöglich, eine Hintergrundgeschichte zur Volksbefreiungsarmee zu ma­chen. Da kommt man einfach nicht weiter. Man merkt bei der jour­nalistischen Arbeit, dass China noch ein Entwicklungsland ist. Das sehen viele deutsche Firmen oft nicht, die hierher kommen.

Wie ist die Lage für chinesische Journalisten?
Sie sind angehalten, positiv zu berichten. Das macht die Medien hier ziemlich langweilig, die Fernsehnachrichten sind unerträg­lich. Mir tun die Leute leid, die diesen Job machen müssen. Doch auch die chinesischen Medien müssen Gewinne erwirtschaften – und das geht nur mit gutem Journalismus. Es wird langsam besser.

Das heißt, die Kollegen trauen sich inzwischen mehr?
Es gibt immer mehr mutige Journalisten, die die Grenzen des Sys­tems ausreizen, so weit es geht. Da gelten viele ungeschriebene Ge­setze. Eins der wichtigsten ist: Wenn du einen Skandal aufdeckst, überlege gut, wen du angreifst. Je näher eine Person an der Zent­ralregierung ist, desto schwieriger wird es, über einen Skandal zu berichten. Ein echtes Problem ist auch der vorauseilende Gehorsam vieler Medien, die Selbstzensur. Weil die Regeln nicht klar sind, versuchen sie, vorwegzunehmen: Was könnte zensiert werden?

Gilt das für alle Themen – oder nur für die Politik?
Vor zwei Jahren hat in Shanghai ein Hochhaus gebrannt, Dutzende von Menschen starben. Ich dachte wirklich, dass über ein solches Thema offen berichtet werden kann. Doch dann kamen viele Miss­stände ans Licht: Die Feuerwehr hat, obwohl die Innenstadt hier längst aussieht wie ein Bambuswald aus Hochhäusern, keine Pum­pen, mit denen sie über den 5. oder 6. Stock hinauskommt. Dann ist bekannt geworden, dass die ursprünglich vom Bauherrn beauf­tragte Firma den Auftrag an einen Subunternehmer weitergege­ben hatte. Der wiederum an einen anderen. Das Ganze ist sechs Mal passiert. Viele der Firmen waren mit dem Staat verbandelt. Deshalb hat die Regierung das Thema dann strikt kontrolliert.

Trotz allem scheinen Sie gerne aus China zu berichten. Sie leben dort seit mehr als zehn Jahren. Warum?
Bevor ich nach China kam, habe ich in der politischen Berichter­stattung in Bayern gearbeitet, das war oft frustrierend – und das genaue Gegenteil. Allein dieses Gefühl, an einem Ort zu sein, an dem Weltgeschichte geschrieben wird! Ich konnte in den letzten Jahren das größte Privatisierungsprogramm der Welt beobach­ten. Dabei zusehen, wie 250 Millionen Menschen aus der Armut gehoben wurden. Wie ein ganzes Land nach vorne drängt, an die Weltspitze. Und dabei versucht, seine Probleme in den Griff zu be­kommen. Mir gefällt das dynamische Chaos in China und Probleme machen die Arbeit ja auch interessant. Ich habe mich hier noch keinen einzigen Tag gelangweilt.

Echt wahr!
Wie Journalisten Wirklichkeit erzählen
Karen Naundorf, Ulf Grüner (Hg.),
edition journalismus multimedial, BoD
Kontakt zu Christina Lachnitt und den anderen Autoren:
redaktion@kursbuch-echtwahr.info
 

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Taiwan: Studenten demonstrieren für Medienvielfalt

Wie war Ihr Silvester neulich? Ich habe mir zum Jahreswechsel das wie immer spektakuläre Feuerwerk am Taipei 101-Wolkenkratzer angesehen. Dazu musste ich nur vor die Haustür treten. Mein Video vom Feuerwerk, das ich noch in der Nacht ins Internet gestellt hatte, haben mittlerweile etwa 200.000 Menschen weltweit gesehen.

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Direkt am Hochhaus drängten sich zehntausende Taiwaner, vor allem aus der jungen Generation, um einen besonders guten Blick zu erhaschen. Einige aber machten sich dieses Jahr nichts aus dem Spektakel – sie hatten wichtigeres zu tun: Mehrere hundert Studenten begrüßten 2013 mit einer Mahnwache auf dem „Freiheitsplatz“ in der Nähe des Präsidentenpalasts. Dunkelheit, Kälte und Regen konnten sie nicht abhalten. Sie sind Teil einer Studentenbewegung, die seit etwa einem halben Jahr immer wieder mit friedlichen Protesten auf ihre Ziele aufmerksam macht. In Taiwan ist das ungewöhnlich, denn eigentlich gelten Studenten hier als extrem unpolitisch und kaum zu mobilisieren.

Studenten Demo Taiwan

Es geht um den Kampf gegen ein „Medienmonster“, um Meinungsvielfalt und Pressefreiheit. Die Studenten fordern von der Regierung und den Kartellbehörden, einen milliardenschweren Mediendeal zu verhindern. Taiwans größte Boulevardzeitung und das wichtigste kritische Nachrichtenmagazin sollen verkauft werden. Bislang gelten beide Blätter als politisch relativ unabhängig und ausgewogen. Die neuen Käufer aber sind einige der reichsten Unternehmer Taiwans, und sie machen einen Großteil ihrer Geschäfte drüben in China.

Nicht nur die Studenten, sondern eine breite Allianz aus Bürgerrechtsgruppen, Professoren und Journalisten fürchtet: Die neuen Eigentümer könnten china-kritische Berichte verhindern und ihre Medienmacht für eigenen Interessen missbrauchen. Am Ende könnten sie gar Taiwans Medienmarkt monopolisieren. Abweichende Stimmen würden dann kaum noch laut werden.

Studenten Medien Demo Taipeh

Auf einer Demonstration vor der Kartellbehörde in Taipeh habe ich vor einigen Wochen selbst gesehen, wie leidenschaftlich viele Studenten sich für dieses Thema engagieren. Vor allem wollen sie sich nicht den Mund verbieten lassen. Dass konservative Medien ihre Bewegung nicht ernst nehmen und sie als Störenfriede abstempeln wollen, spornt die Studenten nur noch mehr an. Die Proteste spülen vieles an die Oberfläche, was in Taiwans traditionell konfuzianisch geprägter Gesellschaft bislang kaum hinterfragt wurde: Erwachsene Studenten werden häufig wie unreife Kinder behandelt, denen man nicht auf Augenhöhe begegnen muss. Viele Universitäten untersagen ihnen gar politische Aktivitäten – ein Überbleibsel aus der Zeit, als Taiwan per Kriegsrecht regiert wurde.

Natürlich ist es nur eine kleine Minderheit der Studenten, die sich wirklich engagiert. Und ich glaube nicht, dass der Kampf gegen das Medienmonster am Ende erfolgreich sein wird. Taiwans Regierung will den Verkauf der Medien unter rein wirtschaftlichen Kriterien beurteilen. In jedem Fall aber denke ich: Viel wichtiger ist es, dass viele junge Taiwaner nun für gesellschaftliche Themen sensibilisiert sind. Und sie wehren sich dagegen, dass man sie nicht für voll nimmt. In Zukunft werden sie bestimmt noch öfter Gelegenheit haben, den Mund aufzumachen.

Bilder der Studentenproteste in Taiwan (Video):

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Was macht Taiwan so besonders, und wie lebt es sich in der einzigen Demokratie, in der Chinesisch Landessprache ist? Über meinen ungewöhnlichen Alltag habe ich ein kleines Buch geschrieben und mit vielen Fotos garniert.

Buch von Klaus Bardenhagen: Tschüß Deutschland, Ni hao Taiwan

Sie können einen Blick in mein Buch “Tschüß Deutschland, Ni hao Taiwan” werfen und es bestellen – gedruckt oder als e-Book im EPUB-Format für weniger als vier Euro.

berichtet seit 2009 aus Taiwan. Erfahren Sie mehr unter taiwanreporter.de oder folgen Sie ihm per Facebook und Twitter.

 

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Zeitungskrise? Es kriselt eher die Qualität

Morgen, am Freitag, 7. Dezember, erscheint die Financial Times Deutschland zum letzten Mal. Wir haben dazu Folgendes gedacht (und als Pressemitteilung in die Welt geschickt):
Die nach der Insolvenz von Financial Times Deutschland, Frankfurter Rundschau und dapd heraufbeschworene Zeitungskrise ist in Wirklichkeit eine Krise des Qualitätsjournalismus.
„Verleger klagen, dass immer weniger Leser bereit sind, Geld für ihre Zeitung auszugeben – dabei sind sie häufig selber nicht willens, in Qualitätsjournalismus zu investieren, um damit ihre Leser zu überzeugen“, kritisiert der Weltreporter-Vorsitzende Marc Engelhardt. Durchschnittliches fänden die Leser inzwischen kostenlos im Internet. „Wer eine Zeitung kauft, erwartet mehr: qualitativ hochwertige Berichte, exklusive Reportagen und tiefgehende Analysen. Für solche Texte müssen die Autoren dann aber auch angemessen bezahlt werden.”
Das gilt auch und gerade für die Berichterstattung aus dem Ausland. „Wenn derzeit auf dem Tahrir-Platz wieder gekämpft wird, dann möchten Leser wissen, was genau dahintersteckt – genauso wie bei den Unruhen in Syrien oder dem Aufflammen des Bürgerkriegs im Kongo. Dafür müssen Zeitungen es ihren Korrespondenten, die zunehmend freiberuflich arbeiten, ermöglichen, vor Ort zu berichten – mit vernünftigen Honoraren, mit kaum noch üblichen Reisekostenerstattungen oder mit Pauschalen.”
Wenn jetzt als Konsequenz aus der angeblichen Zeitungskrise weiter bei denen gespart werde, die den Inhalt und damit den wirklichen Wert der Zeitungen bestreiten, sei das genau der falsche Weg. „Dann werden unweigerlich noch mehr Leser ihre Abos kündigen und weitere Zeitungen dichtmachen. Der einzige Weg aus der Krise ist eine Qualitätsoffensive.”
 

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Erst mal doch kein Klassenkampf

Die Ankündigung des Microblogging-Diensts Twitter, seine Inhalte in Zukunft auf Wunsch einzelner Staaten zu zensieren, dürfte viele autoritäre Regime gefreut haben. Was gibt es schon Schlimmeres, als Bürger, die sich frei über Machtverhältnisse, Korruption und die Gängelung Andersdenkender austauschen?

Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis sich Regierungen für die Entscheidung bedanken würden. Doch welcher Staat hat Twitters angekündigte Zensur als erster öffentlich begrüßt? Kuba? Usbekistan? Saudi-Arabien? Falsch. Es war Thailand.

Jeerawan Boonperm, Staatssekretärin im Ministerium für Information und Kommunikationstechnologie, nannte Twitters Entscheidung „eine willkommene Entwicklung.“ Sie fügte hinzu, dass es bereits mit anderen Internet-Unternehmen wie Google und Facebook „gute Kooperationen“ gebe. Die thailändische Regierung werde sich bald mit Twitter in Verbindung setzen.

Thailand hat einige der schärfsten Zensurgesetze der Welt. Auf dem Pressefreiheits-Index von Reporter Ohne Grenzen rangiert das Land auf dem 153. Platz von 178 Ländern. In den vergangenen Jahren haben die Behörden den Zugang zu zigtausenden Webseiten geblockt. Der Grund: Auf ihnen soll sich Kritik an Mitgliedern des Königshauses befunden haben.

Ein drakonisches Gesetz gegen „Majestätsbeleidigung“ verbietet jegliche Kritik an Mitgliedern der königlichen Familie. Öffentliche Debatten etwa über die zukünftige Rolle des Königshauses finden nicht statt. Denn Jeder, der aus Sicht der Justiz gegen das Gesetz verstößt, begeht damit ein Schwerverbrechen gegen den Staat. Die Mindeststrafe beträgt drei Jahre, die Höchststrafe 15 Jahre Haft – pro angeblicher Äußerung.

Erst vor wenigen Wochen hat ein Urteil weltweit für Aufsehen gesorgt. Ein krebskranker, 61 Jahre alter Mann wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er vier SMS verschickt haben soll, in denen er die Königin kritisiert haben soll. Hunderte Thais sind seit dem Militärputsch 2006 wegen angeblicher Majestätsbeleidigung angeklagt oder verurteilt worden. Ihre genau Zahl ist nicht bekannt. Die Verfahren finden im Geheimen statt, die angeblichen Vergehen der Verurteilten werden nicht öffentlich gemacht.

Die thailändische Presse zensiert sich aufgrund der drohenden massiven Strafen selbst. Und auch ausländische Berichterstatter – einschließlich des Verfassers dieser Zeilen – stehen regelmäßig vor dem Dilemma: Kann ich das so schreiben? Vor wenigen Jahren haben die Behörden dem damaligen BBC-Korrespondenten Jonathan Head mit einer Anklage wegen Majestätsbeleidigung gedroht. Head hat das Land kurze Zeit später verlassen und wurde in die Türkei versetzt.

Doch es regt sich Widerstand. Mitte Januar forderten sieben Juristen der Thammasat-Universität eine Reform des Majestätsbeleidigungs-Paragraphen. Kurz zuvor hatten auch die UNO, die EU und die USA Thailand dazu ermahnt, das drakonische Gesetz zu entschärfen und Meinungsfreiheit sicher zu stellen.

Ihr Vorstoß brachte jedoch umgehend die Verfechter des Status Quo auf die Straße: Ultra-Monarchisten verbrannten vor dem Universitätsgebäude eine Puppe eines der Juristen und forderten die Festnahme der Gruppe. Kurz danach protestierten – ausgerechnet! – Journalistik-Studenten dafür, das Gesetz unverändert beizubehalten und alle Kritiker strafrechtlich zu verfolgen. Prayuth Chan-ocha, Thailands wortgewaltiger Armeechef, forderte jeden Thai, der das Gesetz kritisiert, dazu auf, das Land zu verlassen.

Das vielleicht Erstaunlichste an den derzeitigen Entwicklungen ist, dass die Regierung von Premierministerin Yingluck Shinawatra, die nach einem Erdrutschsieg bei Wahlen im vergangenen Jahr ins Amt gekommen ist, in Sachen Zensur noch drastischer vorgeht als die vorherige Regierung des erklärten Monachisten Abhisit Vejjajiva. Yingluck ist die Schwester des 2006 aus dem Amt geputschten Ex-Premiers Thaksin Shinawatra. Einer der ausdrücklichen Gründe für den Putsch war damals sein angeblich „mangelnder Respekt gegenüber der Monarchie.“

Während der Proteste der Pro-Thaksin-„Rothemden“ 2010 gab sich der Ex-Premier und Selfmade-Milliardär, der im Exil in Dubai lebt, in Video-Liveschaltungen noch ganz klassenkämpferisch. Er polterte damals, er werde die „Prai“ (Unfreien) in ihrem Kampf gegen die Vorherrschaft der „Amart“ (Elite) anführen. 91 Menschen starben, als die Armee die Proteste kurze Zeit später niederschoss. Die meisten Angeklagten, denen drakonische Strafen wegen angeblicher Majestätsbeleidigung drohen, sind Rothemden oder stammen aus deren Umfeld.

Von dem beschworenen Kampf gegen die Elite ist seit dem Machtwechsel im vergangenen Jahr keine Rede mehr. Vize-Premier Chalerm Yubamrung ermahnte neulich gar alle thailändischen Facebook-Nutzer, dass sie Majestätsbeleidigung begingen, wenn sie auf monarchiekritischen Seiten den „Like“-Button drücken. Die „Verteidigung der Monarchie“ ist das erklärte oberste Ziel der Regierung, die Thaksin von Dubai aus steuert.

Es scheint, als wäre der Klassenkampf erst einmal verschoben worden.

 

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“Charia hebdo”, Pressefreiheit und anti-islamischer Populismus

Plötzlich kämpfen alle für die Pressefreiheit – französische Politiker jeder Couleur preisen sie als „heiliges Recht“ der Franzosen. Richtig so. Ich meine, dieselben Politiker sollten ebenso auf die Barrikaden gehen, wenn staatliche Abhörskandale gegen französische Journalisten bekannt werden. Oder welche Pressefreiheit darf es bitteschön sein?

Der Aufschrei des Entsetzens gestern, nach dem abscheulichen Brandanschlag gegen den Redaktionssitz der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris, war ebenso absehbar wie ein Akt der Gewalt als Antwort auf das satirische Porträt des Propheten Mohammed auf der Titelseite der neusten Ausgabe. Als der Titel am Vortag publik wurde, war denen, die ein wenig Sensibilität gegenüber den Befindlichkeiten der islamistischen Szene und Kenntnis von der Engstirnigkeit ihrer extremen Anhänger haben, klar: Es wird Reaktionen geben. Und sie werden vermutlich mit Gewalt einhergehen.

Ob die Form der Auseinandersetzung von „Charlie Hebdo“ mit dem Wahlsieg der Islamisten-Partei Nahda in Tunesien und der Absichtserklärung des libyschen Übergangspremiers Mustafa Abdel Jalil, mehr Scharia-Elemente in der künftigen libyschen Rechtsprechung zu berücksichtigen, eine besonders intelligente war, sei dahingestellt. Unsere Pressefreiheit besagt schließlich nicht, dass nur kluge Meinungsäußerungen erlaubt sind. Und Satire umfasst erfahrungsgemäß ein sehr breites Spektrum zwischen „Dumm wie Bohnenstroh“ und intelligentem Witz. Egal für wie dumm man die Idee der Ausgabe „Charia hebdo“ hält, einen Brandanschlag auf die Redaktion rechtfertigt sie nicht. In einer aufgeklärten Gesellschaft sollte erlaubt sein, auch Religion und religiöse Figuren zu persiflieren. Und zwar die aller Religionen.

Das wird allerdings umso heikler, je aufgeheizter das Klima in einer Gesellschaft gegenüber dieser Religion ist. Leider herrscht in diesen Tagen nicht nur in Frankreich, auch in Deutschland, Islamophobie. Die Reaktionen in der französischen Presse aber auch unter einigen Politikern nach dem Wahlsieg der tunesischen Islamisten muss man teilweise als hysterisch bezeichnen. Da war sofort die Rede vom Ende der Frauenrechte, ja gar vom Ende der Demokratie! Dabei hatte die Nahda-Partei gerade bei als sehr demokratisch-korrekt bewerteten Wahlen eine Mehrheit errungen.

Warum diese unbesonnenen Reaktionen? Politische Verbohrtheit? Dummheit? Oder nur Unkenntnis der politischen und gesellschaftlichen Realitäten eines Landes wie Tunesien? Die Gesellschaften in Tunesien, Ägypten und Libyen haben jahrzehntelang unter korrupten, selbstherrlichen und gesetzlosen Regimen gelitten. Die Menschen sehnen sich nach Recht und Ordnung. In diesem Kontext haben die so genannten „gemäßigten Islamisten“ die Aura konservativer Saubermänner, denen man am ehesten zutraut, nicht persönlichen Profit zu suchen und das Land zumindest einem Rechtsstaat nahe zu bringen. Die Tunesier haben sich mehrheitlich entschieden, Nahda eine Chance zu geben. Soll die Partei nun Flagge zeigen und man wird sehen, ob die Erwartungen der Wähler erfüllt werden oder ob die Islamisten sich abwirtschaften und dann hoffentlich abgewählt werden. Natürlich kann das schief gehen. Aber es ist vielleicht auch die einzige Chance, islamischem Extremismus das Wasser abzugraben.

Ähnliches gilt für den Fall Libyen. Dort wurde schließlich nicht das Scharia-Recht als einzig geltendes eingeführt. Mustafa Abdel Jalil erklärte Berichten zufolge lediglich in Benghazi: „Wir sind ein islamischer Staat“ und versprach die Gesetze zu ändern, die dem islamischen Recht widersprächen. So hat man sich das im Westen vielleicht nicht vorgestellt, als man die Nato-Flugzeuge de facto zum Sturz Gaddafis in den Einsatz schickte. Tatsache ist aber, dass die meisten Staaten mit muslimischer Mehrheit zumindest Elemente der Scharia in ihrer Rechtsprechung berücksichtigen. In manchen betrifft das nur persönliche Rechte, in anderen ist die Scharia eine Quelle der Gesetzgebung neben anderen. Oder sie ist die wichtigste Quelle der Gesetzgebung. Oder wir haben es gar mit Scharia-Recht zu tun, wie in Saudi-Arabien oder Iran.

Aber dass das Rechtssystem, das sich ein Staat gibt, von den religiösen Werten der Mehrheit der Bürger inspiriert ist, ist doch nicht ungewöhnlich. Das ist auch bei uns so, obwohl wir uns auf eine strikte Trennung von Kirche und Staat berufen. Denken wir zum Beispiel daran, wie schwer wir uns mit der Gleichberechtigung schwuler oder lesbischer Paare tun. Wichtig ist, dass die Rechte von Minderheiten geschützt werden. Und dass das Prinzip der Gleichberechtigung – auch der von Männern und Frauen – respektiert wird. Das Selbstbestimmungsrecht gehört ebenfalls in diesen Katalog. In diesem Sinne täten wir gut daran, den Ausgang freier, demokratischer Wahlen zu respektieren und abzuwarten, welche neue Lebensrealität die Tunesier, Ägypter und Libyer für sich gestalten möchten. Steigen wir von unserem hohen Ross herunter, hören wir auf uns als neue „Besserwessis“ zu gebärden, die glauben, sie wüssten, was für diese Menschen gut ist.

Einen Anschlag auf unser hohes Gut der Pressefreiheit wie den auf „Charlie Hebdo“ dürfen wir nicht akzeptieren. Aber wir sollten auch nicht wortlos zusehen, wie einige Politiker und Journalisten aber auch ganz normale Bürger ihn als Anlass für einen neuen Kreuzzug gegen den Islam missbrauchen.

 

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Pressefreiheit auf Libanesisch

In das Palästinenser-Flüchtlingslager Nahr al Bared im Nordlibanon kann man nicht einfach so gehen. Nicht nur als Journalistin wird man an den Armeecheckpoints zurückgewiesen. Selbst die dort lebenden Palästinenser benötigen Genehmigungen. Das ist so, seit die libanesiche Armee das Camp 2007 komplett zerstört hat. Nun wird es wieder aufgebaut, nach vier Jahren sind die ersten Häuser bezugsfertig.

Ein Eintrittsgenehmigung für Nahr al Bared zu erlangen ist eine kleine Odyssee. Ohne die Hilfe von UNRWA (UN-Hilfsorganisation für Palästinenserflüchtlinge) ist es fast unmöglich. Die freundliche UNRWA-Mitarbeiterin Hoda stellte für mich den Antrag, dann war ich an der Reihe. Zehn Tage später kam der Anruf vom militärischen Geheimdienst. Ich möge ins Verteidigungsministerium kommen, um die Genehmigung abzuholen. Eine knappe Stunde dauert es mit dem Auto bis hinauf nach Yarze. Vorbei an einem Anti-Kriegs-Denkmal, das eigentlich mal im Zentrum Beiruts stehen sollte, dann aber für zu hässlich befunden wurde. Und wer will schon ständig an die Schrecken des Krieges erinnert werden.

Das Verteidigungsministerium ist hochwichtig und deshalb auch mit mehreren Kontrollpunkten geschützt. Die Überwindung des ersten bringt mich immerhin schon mal auf den Parkplatz. Folgt eine halbe Stunde Wartezeit am so genannten Informationsschalter. Informationen bekommt man hier keine, dafür aber einen Besuchersticker – für den nächsten Checkpoint. Am Infoschalter stehen dutzende Libanesen vor einem vergitterten Fenster, sie drängeln sich nach vorne, strecken flehend ihre Hände durch das Gitter. Es hat etwas Unwürdiges. Eine junge Libanesin, die vor kurzem aus Frankreich zurückgekehrt ist, schaut mich Hilfe suchend an. Wir sind die einzigen beiden Frauen in dem Männergewusel. „Wann werden sich diese Zustände ändern in diesem Land“, fragt sie und verdreht die Augen.

Da wird mein Name aufgerufen oder jedenfalls etwas, das so ähnlich klingt. Ich erhalte meinen Sticker und darf zwei Felder vorrücken. Bei der nächsten Kontrolle steht ein Metalldetektor, dann bringt mich einer der dickbäuchigen Soldaten zu einer älteren Dame in einem kleinen Zimmer. Auf ihrem Schreibtisch liegt eine Zeitung, ein Aschenbecher voller Kippen steht daneben. Sie raucht, winkt mich heran und durchwühlt meine Handtasche. Das Handy, meinen Palm sowie interessanter Weise meine Zeitung behält sie auf ihrem Tisch. Ich darf nun ins Allerheiligste vordringen.

Aufzug, dritter Stock, nach Colonel Wissam fragen. Der sitzt in einem winzigen Büro voller Papiere. Prüft gewissenhaft meine Identität und legt mir dann ein Din-A-4 Schreiben auf Arabisch vor, das er mir zur Sicherheit übersetzt. Die Genehmigung gilt für eine Woche, ich muss versprechen, keine Photos zu publizieren ohne sie vorher der Armee vorzulegen, darf keine Filmkamera mitnehmen, aber mein Audio-Recorder ist erlaubt. Phew, Glück gehabt! Dass ich das alles verstanden habe, muss ich feierlich unterschreiben. Auf Zuwiderhandlung steht wahrscheinlich die Todesstrafe. Nun den ganzen Weg wieder zurück, meine Utensilien auflesen, an jeder Kontrolle sagen, dass ich jetzt gehe. Damit sie auch alle beruhigt sind.

Doch nun darf ich keineswegs direkt ins Nahr al Bared Camp – weit gefehlt. Mit meiner tollen Genehmigung darf ich zum Militärgeheimdienst im nordlibanesischen Tripoli – der ist für Nahr al Bared zuständig. Ein ähnliches Prozedere erwartet mich. Der dort zuständige Colonel nickt schließlich und sagt mit breitem Grinsen: „Sie dürfen jetzt nach Nahr al Bared fahren, am nördlichen Checkpoint erwartet Sie mein Kollege.“ Na prima! Am nördlichen Eingang des Palästinenserlagers wartet überhaupt niemand. Die hier herumlungernden Wachsoldaten winken mein Auto auf die Seite. Bitte warten. Dann debattieren sie darüber, was jetzt zu tun sein. Wollen mich zum lokalen Militärgeheimdienst schicken. Als ich mich weigere, geht die Debatte von vorne los.

Nach einer weiteren halben Stunde fährt plötzlich ein Militärfahrzeug vor. Zwei Uniformierte und ein dickbäuchiger Mann mit organgefarbenem Hemd steigt aus. Er sieht so schmierig aus, dass ich nur seufze: „Na hoffentlich will der nicht zu mir.“ Natürlich will er zu mir. Und diese drei netten Herren wollen mit mir ins Lager fahren, um mir bei meiner Recherche zu helfen. Ich protestiere lautstark. Argumentiere, dass mich im Lager ein UNRWA-Mitarbeiter erwartet, ich also keineswegs Gefahr laufe, verloren zu gehen. Stößt alles auf taube Ohren. „This is for the security.“ Das Totschlagargument. Vor die Alternative gestellt, bis hierher vorgedrungen zu sein und entweder unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu fahren oder mein Glück zu versuchen, entscheide ich mich resigniert für letzteres.

Als ich Fadi, den lokalen UNRWA-Mitarbeiter frage, wie um Himmels Willen ich vernünftige Interviews mit Palästinensern führen soll, wenn ich mit einer halben Kompanie anrücke, zuckt er nur die Schultern. „Das ist unser Problem. Aber anders geht es nicht.“ Soviel zur Pressefreiheit im ach so liberalen und demokratischen Zedernstaat.

 

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Blindes Vertrauen

Starker Andrang altbackener Medien auf WikiLeaks-Boss Julian Assange, der sich im Norden vom Verfolgungsdruck des Pentagons entspannt. Die Militärs hätten ihm statt der angefragten Hilfe bei der Sichtung der über 90.000 Dokumente des kürzlich veröffentlichten  „Afghan War Diary“ eine Liste von Forderungen übersandt, klagt der Australier: Er möge das bereits munter zirkulierende Material löschen, auf künftige Publikationen von als geheim gestempelten Dokumenten verzichten und generell die Zusammenarbeit mit Informanten im Dienst der US-Streitkräfte einstellen.

Dass die Namen “unschuldig Beteiligter“ an die Öffentlichkeit gerieten, will Assange nicht ausschließen. Solche Fehler seien auch bei “vergleichbar voluminösen Projekten” wie etwa der “Aufarbeitung der Stasi-Akten” unterlaufen. Für die kritisierte Veröffentlichung von Klarnamen gäbe es allerdings auch gute Gründe, wehrt sich Assange. Wenn sich etwa örtliche Journalisten oder Offizielle vom US-Militär bestechen ließen, hätten die Afghanen ein Recht darauf, dies zu erfahren.   

Die publizistische Sorgfaltspflicht nehme man durchaus ernst. Aus diesem Grund würden in Kürze auch 15.000 weitere Dokumente mit besonders sensiblen Hinweisen auf die Quellen nachgereicht. Dieses Material habe seine kleine, wenn auch rapide wachsende Organisation nämlich erst einmal Zeile um Zeile auf denkbare Gefährdungen abklopfen müssen.

Auch die Sicherheit der eigenen Informanten wird WikiLeaks nicht garantieren können, solange die Internetplattform einen Großteil ihres traffics über schwedische Server abwickelt, warnen indessen Rechtsexperten wie Anders Olsson. Um vom legendären Quellenschutz im selbst ernannten Musterland der Pressefreiheit  zu profitieren, müsse die flüchtige Organisation nämlich erst einmal einen Verantwortlichen mit fester Adresse benennen.

Er sei bemüht, solche Zweifel auszuräumen, sagt Assange mit sanfter Stimme. Ohnehin sei man auf den Umgang mit Organisationen eingestellt, die sich von Recht und Gesetz traditionell kaum beeindrucken ließen. Man darf vermuten, dass ihm die Tunneldienste schwedischer Hacker-Kollegen mehr Vertrauen einflößen als Schwedens stolzes Presserecht aus dem Jahre 1766.

 

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Zensur: Von Deutschland lernen?

Über ein faszinierendes Abkommen zwischen Deutschland und dem Videoportal Youtube berichtet der türkische Telekommunikationsminister Yildirim – faszinierend für mich jedenfalls, denn ich habe davon noch nie gehört: Die deutsche Justiz, so der Minister, sei ständig online mit Youtube verbunden (was ja an sich keine Kunst ist, wenn sie denn Internet-Zugang hat). Über diesen direkten Draht verschicken deutsche Staatsanwälte demnach sofort eine Warnung, wenn ihnen ein Video nicht gefällt; wenn es dann nicht binnen 72 Stunden aus dem Netz verschwinde, werde es von Youtube gesperrt.

Mir kommt das etwas merkwürdig vor, aber ich kann das ebenso schwer nachprüfen wie all die anderen türkischen Internet-Nutzer, denen Yildirim das erzählt, weil Youtube für uns in der Türkei ja schon seit Jahren komplett gesperrt ist. Immerhin können wir uns jetzt denken, was Yildirim von den Youtube-Vertretern verlangen wird, die diese Woche nach Ankara kommen, um die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Blockade zu sondieren – über die 15 Millionen Euro hinaus, die Ankara als Eintrittsgeld verlangt.

Sollte eine Einigung auf das von Yildirim skizzierte Modell hinauslaufen, wird Youtube personell kräftig aufstocken müssen, um all den Zensurwünschen der türkischen Staatsanwälte nachzukommen. Im World Wide Web sind hierzulande tausende Adressen gesperrt, darunter natürlich Dutzende kurdische Medien und linke Webseiten, aber auch allerlei unpolitische Seiten wie das internationale Anzeigenportal www.expatriates.com. Warum, das bleibt wie immer das Geheimnis der türkischen Behörden: Die Adresse sei auf Grundlage des türkischen Internet-Gesetzes vorbeugend geschlossen, lautet der kryptische Standard-Hinweis.

 

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Zensiert

Die türkische Datenautobahn erinnert fatal an die türkischen Autobahnen: Dauernd kommt einem etwas rückwärts entgegen. Mit dem Youtube-Verbot können wir nach zwei Jahren dank Yasaktube und ähnlicher Umgehungsstraßen ja einigermaßen leben. Mit der Sperrung aller möglichen kurdischen Seiten kommen wir auch klar, weil alle die Schleichwege kennen. Die PKK-nahe Ajansa Nuceyan a Firate zum Beispiel wechselt einfach die Domain-Endung, wenn sie wieder einmal von den türkischen Gerichten gesperrt wird. Derzeit erreichen wir in der Türkei sie unter www.firatnews.nu, nachdem www.firatnews.com und www.firatnews.eu gesperrt sind (wer letztere Adressen öffnen kann, befindet sich nicht in der Türkei). Gesperrte Zeitungen wie Gündem können wir immerhin mit Proxies wie Ktunnel lesen.

Aber nun bin ich endgültig in der Sackgasse gelandet: Um auf meinem Blog „Türkei-Reporter“ einen „social bookmarking button“ installieren zu können, müsste ich ihn vom Betreiber herunterladen können – und der ist gleich doppelt gesperrt. Zwei Provinzgerichte, in Denizli und in Burdur, haben beschlossen, dass der 30jährige israelische Software-Programmierer Hillel Stoler eine Gefahr für die Türkei darstellt. Warum, das bleibt – wie immer bei diesen Sperrungen – ihr Geheimnis und wird dem Nutzer nicht verraten. Auf die Facebook- und Twitter-Links muss ich also verzichten und bitte die geneigten Leser deshalb darum, meinen Blog manuell weiterzuempfehlen.

 

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“Mit fremden Augen”

 

Ausländische Reporter genießen in Israel kein hohes Ansehen. Zu unabhängig ist ihre Berichterstattung. Sie fahren nach Gaza und in die Westbank und berichten von der anderen Seite der Mauer. Das ist nicht im Interesse der israelischen Regierung, die alles in ihrer Macht stehende tut, damit Israelis und Palästinenser einander nicht wahrnehmen, einander nicht begegnen: Israelis dürfen die Städte des Westjordanlands nicht betreten, nach Gaza dürfen ohnehin nur noch Diplomaten, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen und bei der israelischen Regierung akkreditierte Journalisten. So fällt das „othering“ leichter, das Kreieren eines Bildes vom Anderen als „Feind“, „Terrorist“ oder „Rassist“. Und umgekehrt dürfen nur handverlesene Bewohner des Westjordanlandes und des Gazastreifens nach langwierigen und unübersichtlichen Genehmigungsverfahren für kurze Zeit auf die israelische Seite. Solche zum Beispiel, die dringend eine medizinische Behandlung brauchen, die es nur in Israel gibt.

 

Ausländische Journalisten aber, die offiziell bei der israelischen Regierung akkreditiert sind, dürfen mit ihrem Pass und dem Ausweis des israelischen Presseamtes zwischen den Seiten hin- und herpendeln. Die Geschichten, die sie von der anderen, der auch für die israelischen Journalisten-Kollegen nicht zugänglichen Seite mitbringen, fließen in den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung über Israel in ihren Herkunftsländern ein. Und diesem Bild von Israel begegnen die reisefreudigen Israelis, wenn sie ihr Land verlassen. Die Leser, Hörer und Zuschauer in Frankreich, Italien und Deutschland konfrontieren die Israelis dann gerne unaufgefordert mit schlichten Theorien zur Lösung des Nahost-Konflikts. Und das geht vielen Israelis auf den Wecker.

Deshalb hat die israelische Regierung vor ein paar Wochen kurzerhand eine Kampagne zur Diskreditierung der ausländischen Presse gestartet. Sie hat die Bevölkerung aufgerufen, selbst aktiv dazu beizutragen, das Image Israels im Ausland zu verbessern. Auf der von der Regierung betriebenen Internetseite http://www.masbirim.gov.il/ ist zum Beispiel ein Video zu sehen, das eine französische Korrespondentin zeigt, die über schwere Gefechte in Israel berichtet, während im Hintergrund die prächtigsten Feuerwerke zu sehen sind. Ein anderes Filmchen zeigt einen britischen Reporter, der an der Seite eines Kamels durch den heißen Wüstensand stapft und mit Kennermiene erläutert, dass Kamele in Israel nach wie vor ein Haupt-Fortbewegungsmittel sind. Im Abspann heißt es dann jeweils: „Haben auch Sie genug davon, wie man uns im Ausland darstellt? Sie können dazu beitragen, das zu verändern!“

Die auflagenstärkste hebräische Tageszeitung, „Jedioth Achronoth“, hat inzwischen dagegen gehalten und eine umfangreiche Wochenend-Beilage herausgegeben. Auf 26 aufwändig gestalteten Seiten berichten neun Korrespondenten unter anderem aus Großbritannien, Italien, den USA, Frankreich und Deutschland vielseitig und kenntnisreich über ihre Arbeit in Israel und den Palästinensergebieten. „Mit fremden Augen“ lautet der Titel der Beilage. Es scheint, als traute die Redaktion des Massenblattes „Jedioth Achronoth“ ihren Lesern mehr kritisches Bewusstsein zu als den gewählten Volksvertretern lieb ist.

 

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Wieviel Internet-Zensur braucht China?

…..gar keine, denken die meisten von uns. Und deshalb freuen wir uns alle über  Googles Ankündigung, die chinesischen Zensurspielchen nicht mehr mitmachen zu wollen. Endlich sei Google auf „der richtigen Seite der Geschichte“, jubelt die China- und Internetexpertin Rebecca MacKinnon heute im Wall Street Journal.

Aber natürlich heißt das nicht, dass Internetnutzer in China jetzt auf einmal alles über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens von 1989 lesen können. Oder über den Dalai Lama. Oder über die Charter 08. 

 Einen Tag nach der großen Google-News kann man bei „Gu Ge“ (das heisst so viel wie Korn- oder Erntelied und ist der chinesische Name von Google) unter google.cn zwar vielleicht mehr Suchergebnisse finden als früher – zum Beispiel Links zu den blutigen Bilder vom Juni 89. Aber die Seiten kann man innerhalb Chinas noch immer nicht öffnen. Denn die Filter, die die chinesischen Behörden in die Internet-Infrastruktur in China eingebaut haben – sowohl in die Hard- als auch in die Software  -, bleiben ja bestehen.

Und bestimmte Suchbegriffe bringen nach wie vor seltsame Ergebnisse. Ich habe das heute morgen ausprobiert. Auf der englisch-sprachige Seite von google.com werde ich unter dem Begriff „Human Rights in China“ sofort auf die Website der New Yorker Menschenrechtsorganisation verwiesen. Nicht so bei google.cn. Dort taucht die Website der Organisation in den Suchergebnissen gar nicht erst auf. Oder zumindest nicht auf den ersten drei oder vier Seiten.

Mmmh. Dabei steht doch selbst in der „Global Times“ heute drin, dass „die Informationsautobahn nicht nur sichere Fahrer braucht, sondern auch  freie Fahrt.“ Und weiter: „Der freie Fluß von Informationen sollte in einer Zivilgesellschaft Vorrang haben.“ Wow, ausgerechnet die „Global Times“, die doch zur „Volkszeitung“ gehört, die wiederum direkt der Kommunistischen Partei untersteht.

Aber natürlich ist die GT noch längst nicht zum Vorkämpfer der Meinungsfreiheit mutiert. Wäre ja zu schön. Weiter unten heisst es nämlich, „in einer Übergangsgesellschaft wie China ist Zensur gerechtfertigt.“ Nur wie viel, das ist offenbar strittig. Die Regierung müsse die „Vision“ haben, die „richtigen“ Kontrollmechanismen zur „richtigen“ Zeit aufzustellen. Was das in der Realität bedeuten soll, verrät das Blatt nicht. Schade. Man hätte doch zu gerne gewußt, was  das Maß an „richtiger“ Zensur sein sollte. Immerhin gesteht die GT noch ein, dass ein Rückzug von Google ein Riesenverlust für China wäre. 

 Ob Google.cn nun bleibt oder nicht, uns internationalen Pekingern bleibt auf jeden Fall noch der englische Google-Dienst. Nur,  auf die blockierten Seiten kommen wir damit auch nicht. Als da sind, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen: http://googleblog.blogspot.com/ (dort findet man das Statement von Google),  Human Rights in China, Human Rights Watch, Amnesty International, Reporters Without Borders, Deutsche Welle, BBC Chinese Service, Voice of American, Radio Free Asia, China Digital Times, Uighur World Congress, China Labour Bulletin, International Campaign for Tibet, Students for a Free Tibet…..ach ja, und  Facebook und Twitter und  YouTube, und und und …..

Ist das das ‘richtige’ Maß an Zensur? Global Times, discuss!

 

 

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Attentat auf Presseclub in Peshawar

Heute wurde auf den Presseclub in der pakistanischen Stadt Peshawar ein Selbstmordanschlag verübt. Drei Menschen wurden getöten und 17 verletzt als ein Mann mit einem Sprengstoffgürtel sich vor dem Haupttor des Clubs in die Luft jagte.

Ich scheibe dies, weil es in Pakistan inzwischen so viele Attentate gibt, dass diese Meldung es bestimmt nicht in die deutschen Nachrichten schafft. Und weil ich den Club oft besucht habe. Ich gebe regelmäßig Kurse für Journalisten in Pakistan; seit 2008 betreibt meine Organisation Initiative Freie Presse e.V. zusammen mit der Mediothek Afghanistan e.V. und der Universität Peshawar dort auch ein Medienhaus für Kollegen aus den paschtunischen Stammesgebieten.

Die Arbeit dort wird wegen des Aufstands der Taliban für Medien immer schwieriger. Gezielte Tötungen von Journalisten (so genannte “target killings”) sind inzwischen an der Tagesordnung. In kaum einem Land der Welt kamen 2009 nach Zahlen von Reporter ohne Grenzen so viele Journalisten ums Leben wie in Pakistan.

All jene, die in Deutschland gern das dumme Argument ins Feld führen, dass diese Art von Terrorismus zur Kultur der Region gehört, möchte ich daran erinnern, dass die Freiheit immer und überall gegen Gewalt und Despotismus erkämpft werden muss. Wer der Meinung ist, dass er mit den Kämpfen der anderen nichts zu tun hat, soll von den Menschenrechten in Zukunft schweigen.

 

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Kaupthing lässt Journalisten jetzt in Ruhe recherchieren

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise auf Island oder soll man besser sagen seit dem Zusammenbruch der Banken dort, tauchen ständig neue Gerüchte darüber auf, wie die Banker ihre Stellung systematisch ausgenutzt haben und so zum Absturz beigetragen haben. Schon lange heißt es, die Finanzinstitute hätten ihre größten Eigner mit sehr vorteilhaften und risikobehafteten Krediten bedient. Ende vergangener Woche (also Ende Juli) tauchte dann ein internes Dokument der Kaupthing Bank auf, dass genau dies bestätigte. Erst kursierte es auf Island, von wo aus auch ich es zugesteckt bekam (siehe den Bericht in der FTD). Für jedermann ist es auf der Seite von Wikileaks zugängig. Das war der mittlerweile verstaatlichten Kaupthing zu viel. Sie schrieb an Wikileaks und forderte, dass das Dokument entfernt werde. Doch das gelang nicht. Auch an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RUV, der in der Abendsendung berichten wollte, wandte man sich. Hier ließ Kaupthing eine Verfügung zustellen und untersagte den Bericht, schließlich gehe es um das Bankgeheimnis.
Die auch für die Medien zuständige Kultusministerin Katrin Jakobsdóttir forderte daraufhin eine Gesetzesänderungen, damit die Journalisten nicht in ihrer Arbeit behindert werden. Schließlich wollen sie die Isländer darüber aufklären, was in ihren Banken geschehen ist und wie diese den Crash in dem Land mit verursacht haben.
Genau deshalb protestierten die Isländer im Netz und in Gesprächen gegen die Blockadepraxis von Kaupthing. Mit Erfolg. Die Bank will fortan nicht mehr gegen die Veröffentlichung des Dokuments vorgehen.

 

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Absurdes Theater auf dem Platz des Himmlischen Friedens

„Den Pass bitte!“ Die junge Polizistin streckt fordernd die Hand mit dem weissen Handschuh aus. Neben mir strömen die Menschen durch die Sicherheitskontrolle auf den Platz des Himmlischen Friedens im Herzen Pekings. Nur der Mann vor mir in der Schlange darf auch nicht weiter. Aus seiner Aktentasche fischen die Beamten engbeschriebene Papiere. Ob er die auf dem Platz etwa verteilen wollte, fragt der Polizist barsch. Der Mann schüttelt irritiert den Kopf.

Der 4. Juni ist in China ein heikler Tag. Weil sich die Niederschlagung der Demokratiebewegung heute zum 20. Mal jährt, sind die Sicherheitsbehörden besonders nervös. Die junge Polizistin entdeckt das Journalistenvisum in meinem Pass. „Guck mal“, sagt sie triumphierend und reicht das Dokument an ihren Vorgesetzten weiter. Der studiert minutenlang meinen Pass, schreibt sorgfältig alle Details in eine große Liste und schickt mich dann zurück. Ohne Sondergenehmigung dürfen Journalisten heute nicht auf den Platz, heißt es.

Ein Begründung gibt es nicht. Denn der 4. Juni ist ja kein offizieller Gedenktag. Eigentlich ist es ein Tag wie jeder andere, behaupten die Behörden. Dass man vor 20 Jahren den „konterrevolutionären Aufstand“ der Studenten mit Panzern und scharfer Munition niederschlug, soll das Land am liebsten vergessen. Dennoch ist man überall in der Stadt in Alarmbereitschaft. Besonders am Tiananmen. Keiner soll demonstrieren oder versuchen, in irgendeiner Form der hunderten, vielleicht tausenden von Toten vor 20 Jahren zu gedenken.

Ich mache mich auf ins „Verwaltungsbüro für den Platz des Himmlischen Friedens“ und bitte dort um eine Genehmigung, um den Platz als ausländische Journalistin betreten zu drüfen. „Gar nicht nötig“, lacht der Beamte dort. „Du hast ja gar keine Fernsehkamera dabei.“ Und dann der Rat, es doch am besten an einem anderen Eingang zu versuchen. Dort seien die Beamten freundlicher.

Diesmal halten mich an der Sicherheitsschleuse, wo alle Taschen wie am Flughafen durchleuchtet werden, nicht drei, sondern zehn Polizisten auf. „Wo ist Deine Sondergenehmigung“, kommt schon wieder die Frage. Wieder wird der Pass studiert, diesmal auch mein Mikrofon und Aufnahmegerät gefilzt. Erst als ich verspreche, dass ich auf dem Platz mit niemandem sprechen werde, darf ich passieren.

Interviews hätte man heute sowieso nicht machen können. Auf dem Platz sind vor allem Sicherheitsleute unterwegs: Gruppen von Polizisten, Soldaten der Nationalen Volksbefreiungsarmee und junge Männer in Zivil. Viele tragen einen Knopf im Ohr und ein Mikro am T-Shirtkragen. Fast alle haben Anstecknadeln mit der chinesischen Flagge dabei – und gleichfarbige Sonnenschirme. Die sollen offenbar vor der brutalen Hitze schützen, können aber auch jederzeit vor die Linsen der Fernsehkameras (mit Genehmigung, versteht sich) gehalten werden. Man spaziert über den Platz und gibt sich gelassen. 4. Juni. War da was? Ist doch ein Tag wie jeder andere auch.

 

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Schwarz auf weiß: Südafrikas tägliche Dosis Fremdenhass

In Südafrika machen die Ärmsten der Armen Hetzjagd auf Ausländer vom Rest des Kontinents. Häuser brennen, somalische Geschäfte werden geplündert, Millionen von Mosambikanern, Simbabwern, Malawiern, Kongolesen fürchten um ihr Leben.

Außerhalb der Townships ist die Überraschung groß. Der Geheimdienstchef ergeht sich in wilden Mutmaßungen über eine Verschwörung weißer Rassisten, ansonsten herrscht Sprachlosigkeit. Gewiss, man weiß, dass die Armen sich vom Staat ignoriert fühlen. Aber woher der plötzliche Gewaltausbruch?

Vielleicht hätten die Damen und Herren in Südafrikas „Erster Welt“, die Politker, Intellektuellen und Geheimdienstler, sich hin und wieder dazu herablassen sollen, die größte Tageszeitung des Landes zu lesen, die fast 10 Prozent der Bevölkerung erreicht. Die fasst ein gebildeter Mensch zwar nur mit Gummihandschuhen an, dafür verkauft sich die „Daily Sun“ blendend unter Südafrikas Armen. Das Boulevardblatt hetzt seit jeher gegen Einwanderer und macht sie für so ziemlich alles verantwortlich, was den Lesern nicht passt. Ob Flüchtling, Gastarbeiter oder illegaler Einwanderer: Für die Daily Sun sind sie alle „aliens“. Am Weltflüchtlingstag 2007 lautete der Titel „Du bist geschnappt! Polizist mit GROSSER KNARRE weckt Ausländer, die illegale Ausweise verkaufen“.

„Bildung ist nicht unsere Aufgabe“, sagte mir der Herausgeber Deon Du Plessis zu diesem Thema vor zwei Jahren seelenruhig ins Mikrofon. Seit 2002 macht die „Daily Sun“ Geld damit, dem Volk nach dem Mund zu reden und hat die weit verbreitete Ausländerfeindlichkeit gegenüber Schwarzafrikanern seit Jahren genutzt – um nicht zu sagen gefördert – , um die Auflage hochzutreiben. Das soll nicht heißen, dass die Zeitung verantwortlich ist für die Pogrome. Aber überrascht sollte wirklich niemand sein.

 

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Nur für Journalisten: Mugabe-Wahlparty zum Spottpreis

Robert Mugabe, Simbabwes alternder Präsident, plant mal wieder seine Wiederwahl. Da der Urnengang selbstverständlich wie gewohnt “frei” und “fair” ablaufen wird, sind ausländische Journalisten willkommen. Sollen sich die Schmierfinken des Westens doch selbst davon überzeugen, wie prächtig die Demokratie in Mugabes Reich blüht.

Für eine moderate Gebühr von 1700 US-Dollar dürfen sie diesmal über die Wahlen berichten. Das hört sich nach Abzocke an? Nicht doch. Runtergebrochen sieht die Summe schonmal weniger furchterregend aus. Dann kostet die Akkreditierung nämlich nur noch 1000 Dollar, dazu kommt lediglich eine “Verwaltungsgebühr” von 500 Dollar und eine “Wahlgebühr” von schlappen 200 Dollar. Gewiss, vor kurzem waren es insgesamt nur 600 Dollar, aber wenn Sie bedenken, wo die Wirtschaft Simbabwes gerade hintrudelt, dann entspricht die Erhöhung ja noch nichtmal dem Inflationsausgleich. Und wer aus Europa kommt darf sich gleich nochmal freuen: So günstig, wie momentan der Dollarkurs ist, bekommt man die Mugabe-Wahl ja praktisch geschenkt. Na denn: Frohes Schaffen allerseits.

 

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Politiker vs. Journalisten: Schmutziger Kampf mit legalen Mitteln

Politiker haben es nicht leicht. Schon gar nicht, wenn es im Gefüge der Regierungspartei kracht in allen Fugen, so wie gerade im südafrikanischen ANC. Da spielt sich ein formidables Hauen und Stechen um den Parteivorsitz (und damit den künftigen Präsidenten des Landes) ab. Es kocht und brodelt – nach allen Regeln der Parteidisziplin (angeblich – oder so). Es ist die Saison der Wadenbeißer und Schönredner, der Giftpfeilschützen und Aufs-Protokoll-Pocher. Und der Pressesprecher, PR-Berater und Spindoctors.

Schon nervig, wenn weniger auf ANC-Etikette bedachte einheimische Journalisten da plötzlich einen politischen Skandal nach dem anderen ans Licht zerren. Wessen politische Zukunft auf dem Spiel steht, der lässt sich halt ungern von ein paar dahergelaufenen Schreiberlingen der Lächerlichkeit preisgeben.

Was also tun, fragt sich da die arg gebeutelte Regierung in Pretoria. Redaktionsräume durchsuchen wie in Kenia? Kurzen Prozess machen wie in Simbabwe? Zeitungen verbieten wie zu Apartheidzeiten? God forbid! – wie unappetitlich.

Und um fair zu sein: undenkbar im heutigen Südafrika. Um noch fairer zu sein: Was sich Journalisten am Kap an schonungsloser Kritik leisten können, ist in vielen westlichen Demokratien alles andere als selbstverständlich. “Manto – ein Säuferin und Diebin” titelte kürzlich die Sunday Times über die durch ihre Aids-Politik diskreditierte Gesundheitsministerin. Bisher hat dieser Aussage noch niemand widersprochen. Aber die wütenden Rufe nach Maulkörben für Journalisten mehren sich stetig.

Zunächst drohte die Regierung, künftig keine Anzeigen mehr im Blatt zu schalten. Jetzt gibt es ein Angebot, die Muttergesellschaft der Sunday Times zu kaufen. Für 7 Milliarden Rand, obwohl das Unternehmen nach Angaben von Analysten weit weniger wert ist. Und wer steckt dahinter? U.a. ein Berater Thabo Mbekis und der Sprecher des Außenministeriums.

Tada! Sauber, clever, legal. So einfach ist das.

 

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Helau auf chinesisch! Der Volkskongress tagt

 

 

 

 

Der 5. März ist in Peking Beginn des Karnevals chinesischer Prägung. Chinas Minderheiten müssen nämlich in ihren Kostümen in der Großen Halle des Volkes antreten, um im Parlament die Einheit des Landes zu demonstrieren. Der jährliche Volkskongress hat begonnen, wie immer mit dem vom Premier vorgetragenen Rechenschaftsbericht, diesmal 35 eng geschriebene Seiten, und er endet damit, dass die Delegierten selbigen brav abnicken. Fragen sind nicht erlaubt, mit einer Ausnahme: nach Abschluß stellt sich der Premier den in- und ausländischen Journalisten auf einer Pressekonferenz.

Weil aber Chinas KP nichts dem Zufall überläßt, bekommen viele meiner Kollegen und Kolleginnen in diesen Tagen Anrufe aus dem Außenministerium. Meist beginnen sie so ähnlich:

„Sie haben doch den Bericht des Premiers verfolgt – wahrscheinlich haben Sie noch Fragen dazu?“

„Ja, durchaus…..“

„Die könnten Sie ja auf der Pressekonferenz stellen. Was wollen Sie denn fragen?“

„???“

Klar ist, dass sich die chinesische Presse an solche Absprachen hält. Klar ist auch, dass sich kaum ein ausländischer Korrespondent zum Büttel der chinesischen Zensur machen will. Er/sie hat also zwei Möglichkeiten:

1) er/sie lehnt das Ansinnen entrüstet ab und wird vom Chef der Informationsabteilung, der die Fragesteller aussucht, garantiert nicht aufgerufen

2) er/sie geht zum Schein darauf ein, stellt aber auf der Pressekonferenz eine ganz andere, natürlich kritische Frage.

Im zweiten Fall wird man zwar Chinas Premier kaum in Verlegenheit bringen, der auch auf kritische Fragen ausweichende Antworten parat hat, kann aber sicher sein, sich einen kleinen Beamten im Außenministerium zum Feind gemacht zu haben. Den Anrufer nämlich, der die mißglückte Absprache dann ausbaden muß. Das ist es kaum wert – noch dazu für eine Antwort, die nur selten Nachrichtenwert hat.

Also verzichtet man auf die Offenlegung seiner Frage und hofft, trotzdem aufgerufen zu werden. Schließlich muss auch das chinesische Staatsfernsehen seinen Zuschauern die Beteiligung der westlichen Presse dokumentieren.

Leider gehen aber doch immer wieder einige Kollegen und Kolleginnen auf die Absprache ein … und sorgen mit dafür, dass die Pressekonferenz des Premiers genau so spannend verläuft wie vorher der Volkskongress.

 

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