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Nicola de Paoli hat in Wales erfahren, wie man Papageientauchern die schönsten Brutplätze zeigt: Im Nationalpark Pembrokeshire stellen Ranger Vogelattrappen aus Plastik auf, die die Tiere anlocken sollen, und ahmen Töne nach, die die Vögel gerne hören. Das klingt wie das Muhen einer Kuh, die Tonleitern übt. Folge: Zur Brutzeit ist die Insel Ramsey mit einem Klangteppich aus Kuhmuhen bedeckt. Das alles und vieles mehr steht in der neuen Ausgabe des BritishTravel-Magazins. Darin erklärt Nicola de Paoli auch, warum die Royals so gerne nach Cornwall fahren und es in London schon lange vor der Coronakrise angesagt war, am Samstagabend lieber zuhause auf dem Sofa Musik zu hören als in einen Club zu gehen. Die BritishTravel ist für 6,80 Euro am Kiosk erhältlich oder direkt bei www.britishtravel.de
Weltreporterin in Edinburgh
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Vor zwei Jahren bekam ich die erste Mail von Benni Over. Der 27-jährige Pfälzer fragte, ob ich seine Reise zu den Orang-Utans in den Regenwald von Borneo begleiten wolle – im Rollstuhl: Benni leidet an schleichendem Muskelschwund und ist völlig gelähmt. Verrückt, dachte ich zuerst. Ein Dutzend Mails später wusste ich, dass er es ernst meint. Mit Willensstärke und Lebensmut hat Benni zusammen mit seiner Familie seinen Traum realisiert. Im Buch „Im Rollstuhl zu den Orang-Utans“, das zum Welt-Orang-Utan-Tag am 19. August 2018 erscheinen wird, beschreibe ich die abenteuerliche Reise der Overs zu den bedrohten Menschenaffen: zu Tierrettungscamps, Dayak-Dörfern und durch endlose Palmölplantagen, die ein Hauptgrund für die Zerstörung des Regenwalds und den weltweiten Klimawandel sind.
Mehr News, Geschichten und Anekdoten von den Weltreportern erfahren Sie in unserem monatlichen Newsletter:
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Seit zwei Jahren arbeiten Weltreporterin Theresa Breuer und die amerikanische Fotografin Erin Trieb an einem Dokumentarfilm über das erste weibliche Bergsteigerteam Afghanistans. Die jungen Frauen haben sich vorgenommen, was bisher noch keine Afghanin vor ihnen wagte: Sie wollen den höchsten Berg des Landes erklimmen. Mount Noshaq ist 7500 Meter hoch und selbst für Bergsteigerprofis eine Herausforderung.
Zudem werden Frauen, die in Afghanistan Sport treiben, sozial geächtet und müssen sich immer wieder gegenüber ihrer Familie und deren Umfeld behaupten. Um die einmalige Expedition zu begleiten, trainieren Breuer und Trieb seit fast zwei Jahren.
Wer das Projekt „An Uphill Battle“ unterstützen will, kann das hier tun: https://www.kickstarter.com/projects/erintrieb/an-uphill-battle#
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Fehlt Ihnen im Nordhalbkugel-Winter zuweilen eine Dosis Licht? Australien wird mit Sonne und Hitze derzeit reichlich versorgt, vorgestern war es in Sydneys Westen gut beleuchtete 47 Grad. Die kann ich Ihnen nicht um die Welt schicken, aber etwas deutlich Besseres: Nehmen Sie sich etwas Zeit und reisen Sie mit uns in zwanzig Minuten um die Welt: Mit dem Weltreporter-Podast #3. In der dritten Audio-Reise des Journalisten-Netzwerks geht es um Licht. Begleiten Sie Weltreporter an Orte, an denen Licht verzaubert, wo Lichter aufgehen und dorthin, wo ein ganzes Land das Licht am Ende eines Tunnels feiert.
Aber Vorsicht, die erleuchtete Welt der Reporter hat ein paar Überraschungen für Sie parat: Unsere Kollegin in Südosteuropa hat ein besonderes Lichtspektakel sogar richtig sauer gemacht. Denn dort gehen die Uhren anders – sagt eine, die es wissen muss: Weltreporterin Danja Antonovic aus Belgrad. Sie erklärt Ihnen, warum dort die Weihnachtsbeleuchtung im September an- und erst im Februar wieder ausgeschaltet wird. Sie weiß auch, was über diese Lichterflut jene Belgrader denken, die selbst kaum genug Geld für die eigene Stromrechnung haben.
Belgrads winterliches Lichtermeer
Die meisten Momente, die das Podcast-Team der Weltreporter – Kerstin Zilm, Sascha Zastiral, Jürgen Stryjak, Birgit Kaspar und Leonie March – zusammengetragen hat, sind aber auf eher positive Art erhellend.
Auf der Audio-Reise zu den Einsatz- und Arbeitsorten von Weltreporter-Kollegen in aller Welt erfahren Sie von ungewöhnlichen Augenblicken in Tschechien, Australien und Kairo. Außerdem erleben Sie einen eiskalten Sonnenaufgang im Zelt über den Wolken in den Pyrenäen.
In Kenia, drei Autostunden von Nairobi entfernt, rennt Bettina Rühl vor Sonnenaufgang durch die Savanne. Warum sie dabei von Massai bewacht wird, erfahren Sie ebenfalls im Weltreporter Podcast #3.
Über den Wolken in den Pyrenäen
Von ganz persönlichen und manchmal sogar magischen Momente, die mit Licht und Schatten zusammenhängen, berichten Weltreporter aus dem nächtlichen Paris und einem Delfter Museum, aus Kairos Straßen und vom Strand in Lombok.
Wir haben Licht am Ende des sprichwörtlichen Tunnels in Tschechien gefunden und schauen in Chile vorbei, wo endlich neue, günstige Solaranlagen gebaut werden. Im Podcast erzählt unser neuer WR-Kollege in Südkorea, welche Hoffnungsschimmer die Einwohner von Seoul haben, angesichts der eher düstern Angst vor einem drohendem Atomkrieg. Sie erfahren, weshalb nicht mehr viele serbische Mädchen Svetlana (“Tochter des Lichts”) genannt werden und folgen Marc Engelhardt 175 Meter unter die Schweizer Erde, in die Tunnel des Europäischen Kernforschungszentrums. Auch dort funkelt ein besonderes Licht.
Gamelan-Musiker in Indonesien
Zu einem Klang- und Licht Erlebnis der historischen Art nimmt Christina Schott Sie in die Sultansstadt Jogjakarta mit. Dort wird seit Jahrhunderten die Kunst des Schattentheaters zelebriert, ein Meisterwerk des Kulturerbes, an dem heute auch Touristen teilnehmen können. Lauschen Sie dem Klingklong der indonesischen Gamelan, deren fünf- oder siebentönige Tonskalen vielleicht Geister vertreiben, mit Sicherheit aber die Zuhörer in eine ganz andere Welt versetzen.
An einem wiederum anderen Ende des Globus trifft sich die größte indische Bevölkerungsgruppe außerhalb Indiens zu einer Prozession, in der mit Lampen, Gesang und Farben der Sieg des Lichts über die Dunkelheit gefeiert wird. Auf welchem Kontinent diese Zeremonie die Straßen in ein spirituelles Volksfest verwandelt, erfahren Sie ebenfalls im Weltreporter-Podcast #3.
Sonnenaufgang in Kenia
PS: Alle drei Monate erzählen Weltreporter von Jobs und Recherchen zwischen Durban und Dänemark und laden ein zum Blick hinter die Kulissen, nehmen Sie mit in den Korrespondentenalltag oder teilen persönliche Eindrücke.
Sie haben die ersten WR-Podcast verpasst? Hören Sie sie in der Soundcloud an. Sie treffen einen Weltreporter-Gründer, hören, welches Geräusch unsere Kollegin in Los Angeles zuweilen von der Arbeit abhält, welche Eigenschaften zum Job gehören und was Kollegen in Krisenregionen auch in schwierigen Zeiten zum Durchhalten motiviert. Im zweiten Podcast geht es um Identität.
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Vor einer Woche sah es so aus, als stünde ein Ausbruch des Gunung Agung, des größten Vulkans auf der indonesischen Insel Bali, unmittelbar bevor. Drei Tage lang fand sich der heilige Berg der balinesischen Hindus in den Weltmedien wieder, wo er kurzfristig zum größten Vulkan Indonesiens aufstieg (in Wirklichkeit gehört er nicht einmal zu den Top Ten im Land mit den meisten Vulkanen der Welt). Als die Behörden vergangenen Montag die höchste Alarmstufe ausriefen, mussten fast hunderttausend Bergbewohner aus eine Zehn-Kilometer-Zone rund um den Berg evakuiert werden. Natürlich wurde das in den meisten Berichten auch kurz erwähnt. Das Hauptaugenmerk lag allerdings auf den ausländischen Touristen, die auf der beliebten Ferieninsel „festsitzen“, weil der Flugverkehr aufgrund der Aschewolken aus dem Vulkan eingestellt worden war. Für viele ein recht komfortables Intermezzo, da sich die meisten großen Reiseveranstalter kulant zeigten und Hotelbuchungen in den sicheren Touristenzentren kostenlos verlängerten.
Gunung Agung zu ruhigeren Zeiten
Weil sich der Vulkan nun offenbar doch noch etwas Zeit lässt mit seinem Ausbruch, konnten die Touristen nach zwei Tagen Reisesperre wieder abfliegen. Hätten sie übrigens auch vorher gekonnt – zugegebenermaßen mit einigem Mehraufwand – indem sie per Mietauto, Bus oder Bahn zum nächsten Fährhafen und von dort auf eine der Nachbarinseln übergesetzt hätten. Denn auch auf Java und Lombok gibt es internationale Flughäfen.
Die Bewohner des Gunung Agung dagegen sitzen weiterhin fest. Der Berg hat sich zwar etwas beruhigt, aber brummelt weiter. Kein gutes Zeichen: Die Vulkanologen warnen davor, dass sich im Inneren des Stratovulkans immer mehr Druck aufbaue, weil unter dem brodelnden Magma, das bereits im Krater zu sehen ist, Gase eingeschlossen seien. Obwohl immer noch höchste Alarmstufe besteht, fahren die Bauern mittlerweile wieder in die Evakuierungszone, um ihre Tiere zu füttern, um ihre Felder zu bestellen. Sie halten es nicht aus, einfach nur in überfüllten Turnhalten oder feuchten Zeltlagern herumzusitzen und abzuwarten. Ganz davon abgesehen, dass es dort nicht annähernd so bequem ist wie selbst in den einfachen Hotels der Touristenzentren im Süden Balis.
Die balinesischen Bergbauern sind diejenigen, die der Ausbruch des Gunung Agung wirklich betrifft. Doch der Berg ist ihnen heilig, auch wenn er ihnen Angst einjagt. Wo jetzt Asche und Geröll ihre Ernte zerstört, wird später besonders fruchtbare Erde entstehen. Deswegen werden sie bleiben und wieder von vorne anfangen. Und beten, dass die Götter ihnen dabei helfen. Und vielleicht auch ein wenig die Touristen.
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Ein schönes Gefühl, es nun auch selbst in der Hand zu halten: Vor kurzem ist mein Buch „Ein Jahr in Frankreich“ im Herder-Verlag erschienen. Nun hat die Bücherkiste auch den Weg ins ferne Belloc gefunden. Das haben wir gefeiert! Kater Mishmish hat sogleich den leeren Karton zu seinem neuen Schlafplatz erkoren, seine Form der Liebeserklärung. Das Lesen überläßt er anderen. Denn was interessieren ihn die Geschichten über das Alltagsleben im französischen Südwesten, über die sehr erträgliche Leichtigkeit und Gemächlichkeit des Seins, über schwindelerregende Höhenpfade in den Pyrenäen, über die Hauptstadt des Parfums und französische Kommunalpolitik… Mir hat es sehr viel Freude gemacht, diesmal meine sehr persönlichen Erlebnisse aufzuschreiben statt wie sonst die Geschichten anderer Menschen zu erzählen. Hoffentlich haben meine LeserInnen genauso viel Spaß.
Birgit Kaspar, „Ein Jahr in Frankreich“, Herder-Verlag
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Ein schönes Gefühl, es nun auch selbst in der Hand zu halten: Vor kurzem ist mein Buch „Ein Jahr in Frankreich“ im Herder-Verlag erschienen. Nun hat die Bücherkiste auch den Weg ins ferne Belloc gefunden. Das haben wir gefeiert! Kater Mishmish hat sogleich den Karton zu seinem neuen Schlafplatz erkoren. Denn was interessieren ihn die Geschichten über das Alltagsleben im französischen Südwesten, über schwindelerregende Höhenpfade in den Pyrenäen, über die Hauptstadt des Parfums und französische Kommunalpolitik… Mir hat es sehr viel Freude gemacht, diese sehr persönlichen Erlebnisse aufzuschreiben. Statt wie sonst als Journalistin die Geschichten anderer Menschen zu erzählen. Jetzt hoffe ich, dass meine Leser genauso viel Spaß beim Lesen haben werden!
Birgit Kaspar, „Ein Jahr in Frankreich“, Herder-Verlag, 16 €
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Seit Monaten spricht Südkalifornien von El Nino. Das Wetterphänomen soll endlich Regen bringen, nach vier Jahren Dürre haben wir den bitter nötig.
Vor Kurzem gab es dann auch richtig tolle Wolken am Horizont und ich hatte vor einem Termin kurz Zeit für einen Spaziergang am Meer um mir das genauer anzuschauen.
GROSSARTIG!
Regen gab es leider trotzdem nicht. Aber am Ende von meinem Termin sah ich einen goldenen Schimmer über den Häusern. Eigentlich wollte ich nur noch schnell nach Hause und hab dann doch einen Abstecher Richtung Pazifik gemacht.
Hat der sich gelohnt! Auch wenn ich irgendwann tierisch gefroren habe, konnte ich einfach nicht wegschauen, geschweige denn umdrehen!
Das Schauspiel, das ich von der Natur geboten bekam, will ich doch niemandem vorenthalten.
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Barcelona im August, das ist die Hölle. Bruthitze, bis auf Souvenirshops und Großketten fast alle Geschäfte geschlossen und in der Altstadt Heerscharen von Touristen, die mit elektrisch betriebenen Skateboards, SegWays, GoCars und anderen Vehikeln des Grauens die Gassen blockieren. Deswegen am besten der Stadt entfliehen, und raus an den Strand fahren, z. B. nach Empúries.
Gegründet im sechsten Jahrhundert vor Christus von phokäischen Händlern, gehörte die Stadt einst zu den wichtigsten des Mittelmeers. Heute zeugt von der griechisch-römischen Doppelstadt ein beeindruckendes Ruinenfeld, Asklepiosstatue und Forum inklusive. Direkt davor, auf der anderen Seite des Radweges, hinter einem Kiefernwäldchen gibt’s drei hübsche Buchten, mit flach abfallendem Strand für die Kinder und einem unprätentiösen Xiringuito für hungrige und durstige Erwachsene (und einem tollen Spa-Hotel).
Mehr Strand-Tipps von mir gibt’s übrigens im jetzt erschienenen Katalonien-Merian. Da geht es um Strand mit Hinterland, also um Strände, die nicht nur mit Sand und Wasser, sondern auch sehenswertem Küstenort punkten. Wie Empúries. Barcelona ist natürlich auch dabei. Das ist kein Widerspruch. Ich mag Besuch nämlich wirklich gerne. Gegen Touristen als solche habe ich natürlich auch nichts. Bin ja selber eine. Nur Segway fahren sollten sie bitte nicht.
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Wer hätte das gedacht? Da werde ich am selben Tag zweimal an den Duft der DDR erinnert – und das mitten in Los Angeles! Einmal steigt er mir sogar direkt in die Nase!
Er kommt aus einem Kontrollhäuschen aus Ost-Berlin, das an einer Kreuzung in Los Angeles steht. Wenn man nah ran geht riecht man den Geruch der DDR, der aus allen Ritzen kriecht: die unverkennbare Mischung aus Reinigungsmitteln, Staub, verbrannter Kohle und deprimierender Unterdrückung.
ADN-Pförtnerhaus ist das Projekt von Künstler Christof Zwiener. Er hat das Haus vor der Metallpresse gerettet und in Berlin auf zwei Quadratmetern mehrere Installationen kuratiert.
Nach Los Angeles kam es durch Initiative des Wende Museums, das seit über zehn Jahren Strandgut aus den ehemaligen Ostblock-Staaten sammelt und archiviert. Christof erklärt: das Häuschen riecht selbst nach mehreren Installationen und einer Containerreise noch nach DDR weil es über 11 Jahre lang ungelüftet auf dem Parkplatz des ehemaligen ADN-Gebäudes stand. Da hatte der Geruch richtig schön Zeit, sich festzusetzen.
Am selben Tag, an dem ich diese unerwartete Dosis DDR einatme, erzählt mir der Komponist, Arrangeur und Dirigent Chris Walden aus Hamburg von genau diesem “Duft”. Walden ist seit 18 Jahren in Hollywood und arbeitet inzwischen mit den größten der Musikszene, von Barbra Streisand bis Michael Buble. Gerade hat er mit seiner eigenen Big Band eine CD herausgebracht ‘Full On!’. Gleichzeitig arrangiert er für Stevie Wonder und Josh Groban Songs, hat vor wenigen Wochen ein selbst komponiertes Arrangement für Neil Youngs erste Orchesterplatte dirigiert.
Und wieso hat Chris Walden auch noch diesen DDR-Geruch in der Nase?
In den 90er Jahren arrangierte und dirigierte er mit der RIAS Big Band. Sie arbeiteten immer in den Studios in West Berlin, bis der RIAS – Rundfunk im Amerikanischen Sektor – 1994 mit Ost-Funkstationen zusammen gelegt wude. Da ging es ab nach Karlshorst, in die Räume der Nalepastraße. Eine Geisterstadt, in der die Band zwischen Spinnweben, zerbrochenen Scheiben und eben diesem Duft ihre Stücke einspielte.
“Gespenstisch, surreal und urig,” erinnert sich Walden.
Am 8. November gibt es beim Wende Museum eine große Party zur Feier des Mauerfalls. Da steht dann auch das ADN-Pförtnerhaus im Hinterhof. Ich werde so viele wie möglich hinlocken und auffordern, mal ganz tief einzuatmen: Das war der Geruch der DDR.
Und hier noch ein link zu einer Geschichte über das Pförtnerhaus, die ich für das Deutschlandradio produziert habe
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Der längste zusammenhängende Mauerstreifen außerhalb von Deutschland ist – in Los Angeles, auf einer Wiese neben dem Wilshire Boulevard, einer Hauptverkehrsstrecke zwischen West und Ost, gegenüber vom Los Angeles County Museum of Art. Mittags parken hier ein halbes Dutzend Food Trucks, oft sind einer mit Bratwurst und die Currywurst-Konkurrenz dabei.
Die zehn Originalsegmente aus Berlin hat das Wende Museum zum 20. Jahrestag des Mauerfalls nach Los Angeles gebracht. Inzwischen gab es davor Demonstrationen und Picknicks, Konzerte und Hochzeiten.
Viele Fragmente der Berliner Mauer sind in Nordamerika gelandet. Zwei kanadische Künstler haben es sich zur Aufgabe gemacht, zumindest einen Teil von deren Geschichte aufzuspüren und zu dokumentieren. Ihr Projekt heißt Freedom Rocks. Letzte Woche haben Vid Ingelevics und Blake Fitzpatrick dafür Station im Goethe Institut von Los Angeles gemacht.
Vor schlichter Kulisse von Klappstuhl und Tisch mit schwarzer Decke stellten sie Kamera und Scheinwerfer auf. Dann kamen die Besitzer von Mauerfragmenten und erzählten ihre Geschichten.
Die Künstler stellen immer dieselben Fragen: Wie heißt Du? Wo wohnst Du? Woher hast Du die Mauerstücke? Wo bewahrst Du sie auf? Was bedeuten sie heute für Dich?
Sie filmen nur Hände, die die Fragmente halten und haben festgestellt, dass die meisten Geschichten weniger mit dem Kalten Krieg als mit persönlichen Erinnerungen zu tun haben.
In Los Angeles erzählt ein Deutschprofessor, wie er 1990 mit Studienkollegen in einer Regennacht Stücke selbst abklopfte. Ein Künstler berichtet, wie er einen Teil der Mauer in Kreuzberg 1987 bemalte, ganau zwei Jahre bevor die Grenze geöffnet wurde. Eine Teilnehmerin ist nicht sicher ob ihre Teile echt sind. Sie hat sie in einem Baumarkt für 20 Dollar gekauft. Einer Germanistin aus Dresden steigen Tränen in die Augen, als sie erzählt wie sie eine Woche nach dem Fall der Mauer zum ersten Mal im Leben durch das Brandenburger Tor ging und von dort Mauerstücke mit nach Los Angeles nahm.
“Solange die Fragmente in Bewegung ist wird sich ihre Geschichte verändern,” fassen die Künstler zusammen. “Wie wir uns an Geschichte erinnern und ihr Denkmale setzen bleibt nie gleich.”
Meine Geschichte für den Deutschlandfunk können Sie hier nachhören: Freedom Rocks
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Es begann bei einer Party, erzählt mir Cornelia Funke bei einem Espresso im Büro von Thomas Gaehtgens, dem Leiter des Getty Research Centers. Einer Party, zu der sie eigentlich gar nicht gehen wollte, weil die super erfolgreiche Schriftstellerin gar nicht auf Hollywood-Partys steht. Aber sie ließ sich überreden.
“Und wen sehe ich als Erstes kaum komme ich zur Tür rein?” Der Ton legt nahe, dass es sich um ein dreiköpfiges, schielendes, sabberndes Monster am Buffet handeln muss. Wenn nicht schlimmer!
“Brad Pitt!”
“Aha!” denke ich, ich habe Cornelia missverstanden. Sie war dann doch froh, dass sie zur Party gegangen ist. “Nein!” widerspricht sie und verdreht die Augen. Dieser Anblick bestätigte nur dass es eine Feier genau der Sorte sein würde, der sie möglichst aus dem Weg geht. “Aber Brad Pitt sieht ja auch tatsächlich von Nahem sehr gut aus und ist auch sehr nett!” fügt sie dann noch hinzu.
Viel wichtiger war aber die Begegnung mit Gaehtgens. Mit dem sprach sie über ihre Bücher und deren Charaktere aus verschiedenen Jahrhunderten, über Projekte, Inspirationen und Schwierigkeiten beim Schreiben. Der Leiter des Research Institutes lud sie sofort ein, das Getty-Archiv zu nutzen. Das Institut ist offen für jede Form der Recherche.
Mehrere Notizbücher hat sie inzwischen gefüllt mit Fotos von Charakteren des Getty-Archivs: furchterregend, verführerisch, geheimnisvoll, bucklig, zart, klein, kostümiert, nackt… Sie alle erweckt sie in ihren Büchern zu neuem Leben. Wann immer Funke ins Institut kommt, liegen da schon neue Bücher bereit. Als Dank für Offenheit und Hilfe des Instituts erfand Cornelia Funke den Piraten William Dampier. Genauer gesagt: Dampier lebte tatsächlich von 1651 bis 1715. Dank Funke spukt er jetzt als Geist durch die weiße Getty-Festung über dem Pazifik. Sie hat eine Piraten-Geschichte erfunden rund um Landkarten, Sternenkarten, Silbermünzen, Muscheln und Mumien für die jungen Besucher der neusten Ausstellung des Instituts: ‘Connecting Seas – A Visual History of Discoveries and Encounters’. Die folgt Reisenden, Neugierigen, Abenteurern, Erfindern, Aufschneidern, Wissenschaftlern, Kolonialisten und Ausbeutern über die Weltmeere vom 17. Jahrhundert bis heute.
Mir gaben die beiden eine Tour durch die Ausstellung. Ziemlich beeindruckend! Nicht nur, was ich da zu sehen bekam sondern auch, wie die beiden ganz unkompliziert und unbürokratisch mit Hilfe von mehreren Kuratoren das Projekt auf die Beine gestellt haben.
Der Geist von Pirat Dampier soll auch in Zukunft durch Austellungen spuken und Kinder in den Bann von Forschung und Geschichte ziehen. Die Broschüre mit seiner Geschichte liegt kostenlos aus und auch Erwachsene nehmen sie gerne mit.
Die Show zur Erkundung des Globus über die Weltmeere ist noch bis zum 13. April offen.
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Jedes Jahr am 31. Dezember wandere ich mit Freunden auf eine Hügelkuppe in den Bergen von Los Angeles. Von dort schauen wir beim Picknick vom glitzernden Pazifik im Westen über Wolkenkratzer von Downtown bis zu schneebedeckten Bergen im Osten. Es ist immer eine gute Gelegenheit, mich an Menschen und Orte zu erinnern, die ich im vergangenen Jahr getroffen und entdeckt habe. Wieviel ich selbst nach zehn Jahren in Los Angeles noch zu entdecken habe wurde mir bei meinem letzten Interview im Jahr 2013 mal wieder sehr bewusst. Für Reporter Corps, ein Projekt der USC Journalismus Schule ging ich mit einer Studentin durch das Viertel, in dem sie aufgewachsen ist: Watts. Im Süden der Wolkenkratzer gelegen, ist es vor allem bekannt für die Rassenunruhen, die dort 1965 ausbrachen, Bandenkriege und Schießereien über die die Abendnachrichten berichten. In alternativen Reiseführern werden außerdem die Watts Towers erwähnt, das Kunstwerk eines italienischen Einwanderers, der in jahrelanger Arbeit aus Fundstücken Türme schuf, die sich bis heute dem blauen Himmel entgegen strecken.
Shanice, die Studentin, zeigte mir ein anderes Watts: einen Park, in dem Pärchen auf Bänken sitzen, Mütter ihre Kinder auf Schaukeln und Rutschen beobachten und Teenager Baseball spielen; daneben eine Bibliothek und ein Beratungszentrum für Jugendliche, zwei Künstler, die eine Wand des Jugendzentrums mit bunten Symbolen für Freundschaft und Verständigung verschönern und ein stolzer hispanischer Vater, dessen Kinder in Watts aufgewachsen sind und ihren Uniabschluß gemacht haben.
“Ich lebe gerne in Watts” sagt die 22 jahre alte Shanice. “Hier ist immer etwas los, die Leute sind meistens freundlich und helfen einander. Viele hier haben es nicht leicht und erreichen trotzdem viel! Viele starke Menschen leben in Watts!”
Shanice über das Leben in Watts
Es gibt so viele Geschichten zu erzählen, die zeigen: Los Angeles hat unendlich mehr zu bieten als Hollywood. Ich freu mich schon auf die Entdeckungsreisen im neuen Jahr!
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Der Duft von Jasmin, Orangenblüten und Rosen ist längst verflogen. Die Nächte sind kalt, die sonnigen Tage hingegen noch wohltuend warm im winterlichen Grasse. Ein Hauch von Normalität weht durch die engen Gassen, durch die sich im Sommer schwitzende Touristen schieben. Sie alle wollen die Geheimnisse der Parfümherstellung entschlüsseln. Oder auch einfach nur ein paar kleine Duft-Flacons als Mitbringsel für die Lieben daheim erstehen. Davon lebt Grasse von April bis November. Auch wenn die Blumenfelder deutlich geschrumpft sind und die Blüten nicht mehr von den Grassois selbst gepflückt werden sondern vor allem von Gastarbeitern aus Osteuropa. Das Zentrum der französischen Parfümindustrie sowie das Herz der traditionellen Kunst, ein Parfum zu kreieren, ist die Kleinstadt in den Seealpen oberhalb von Cannes mit Blick auf das Mittelmeer geblieben.
Hinter der silbern und azurblau glitzernden Weihnachtsschmuck-Fassade kauern vier bis fünfstöckige Altbauten eng zusammen in den typischen Farben der Provence: Orange oder gelblich-ockerfarben. Mit zum Teil schwer verwittertem Putz. Auf schmalen Balkonen sonnen sich kleine Stechpalmen, Kletterpflanzen recken ihre Blüten gen Himmel. Frisch gewaschene Hemden, Socken und Unterhosen baumeln vor den Fenstern im Wind. Die Bescheidenheit einer südfranzösischen Kleinstadt. Wo Metzger und Bäcker die Vorlieben ihrer Klientel kennen. Wo man sich mittags zum Zweigänge Menu für 12 Euro mit einer Freundin trifft, weil dies die kleinen Freuden sind, die man sich ab und zu gönnt.
Vom Flair einer lukrativen Luxusindustrie ist in diesen Dezember-Tagen wenig zu spüren. Mal abgesehen von einer relativ hohen Konzentration an Parfümläden und den Parfümmuseen. Der elegante Jet-Set ist in Cannes abgestiegen und kommt höchsten zur Besichtigung einer der traditionellen Parfümfabriken hinauf in die 51.000-Einwohner-Stadt. Die Reichen und Schönen von Grasse leben in ihren Traumvillen, die auf den benachbarten Hügeln das Mittelmeer überblicken.
In der Rue Fragonard – ein Maler übrigens, die bekannte Parfümerie hat seinen Namen nur zu seinen Ehren angenommen – schieben zwei junge Marokkanerinnen ihre Dreijährigen im Kinderwagen vor sich her. Sie tragen Kopftücher, wie viele Nordafrikanerinnen in Grasse. Eine ältere Araberin huscht gar im Tschador über den Place des Aires. Der Anblick überrascht. Weil ich mir dieses Bild in der französischen Parfümhauptstadt nicht vorgestellt hatte. Ebenso wenig, wie die maghrebinischen Männer, die zwei Straßen weiter in einer windgeschützten, sonnigen Ecke an kleinen Tischen sitzen, rauchen, Karten spielen und Tee aus den für den Orient typischen kleinen Gläsern trinken. Fehlen eigentlich nur die Wasserpfeifen. „Ahlan wa sahlan!“ (Willkommen auf Arabisch) möchte ich Ihnen zurufen. Doch dann fällt mir ein, dass sie hier Zuhause sind, nicht ich. Gemeinsam mit den anderen Grassois, die seit Generationen hier auf irgendeine Weise von der Parfümherstellung existierten.
Grasse im Winter: Ein Bild wohltuend normalen Lebens. Dessen Schönheit in seiner Authentizität liegt. Die trotz des Touristentrubels im Sommer überlebt zu haben scheint.
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Ich weiss, es kommt mit dem Beruf: Bücher schleppen, Kataloge schmuggeln und in die Seitenfächer vom Koffer Magazine schieben – bis zum Gehtnichtmehr. Den Wintermantel beulen Kamera, iPad, Batterien und Kabel aus. Den Reissverschluss vom Handgepäck strapazieren Belegexemplare. Noch bin ich ruhig, kurz vor dem Check-in. Aber dann. „Vier Kilo Übergewicht“, sagt die uniformierte Frau. „Macht 80 Euro. Bar oder Karte?“
Ich bin ein leichter, ausgebeuteter Flieger: Penny Modra fotografierte mich in Melbourne von der Flanders Lane aus im Adelphi Hotel Pool. Aeroflot Anflug über dem Burgenland.
Hinter mir steht ein Deutscher, sicher über 100 kg, wenn nicht 120. Und der Ami vor mir bestimmt nicht unter 90. Und das Mädchen, gross, sportlich, mehr als ich, mehr als 67 Kilo. Und ich, mit meinen 178cm muss für 4000 Gramm extra zahlen? Normalgewichtige aller Länder vereinigt Euch! Kampf der Ausbeutung durch die Diktatur der Mega-Esser, die auf unsere Kosten billiger fliegen. Wehrt Euch gegen die unverantwortlichen Carbon-Footprint-Hinterlasser, die bei jedem Check-in ungeschoren davon kommen. Besteht auf Eure Bonuspunkte, wenn ein Bayer samt Gepäck 130 Kilo wiegt und Ihr nur 87!
Belegexemplare als Übergewicht: A&W Ausgabe Dezember 2013 mit Bericht über mein Architekturprojekt in Raiding, Burgenland.
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Der Reiseführer hatte gewarnt. „In the region is the Bavarian lookalike town of Leavenworth…People come from all over the country to see the spectacle“. Es klang nach einer Art Disneyland, nach Brezelbuden und Achterbahn mit Zwiebeltürmchen. Wenn man zum ersten Mal in Washington State unterwegs ist, muss man sich so einen Kitsch wirklich nicht antun, dachte ich. Aber dann war der Highway, den ich nehmen wollte, wegen eines Erdrutschs gesperrt, und so kam ich doch noch nach Leavenworth.
Es muss recht harmlos begonnen haben, in den 1960er Jahren, als sich die Kleinstadt zusätzliche Einnahmequellen jenseits von Holz- und Landwirtschaft erschließen wollte. Pauline und Owen Watson, die einen kleinen Laden an der Hauptstraße betrieben, hatten Solvang besucht, eine kalifornische Siedlung, die dänische Einwanderer zu einem Mini-Kopenhagen umgebaut haben. Das Modell leuchtete den Watsons ein. Flugs wurde ein Komitee gegründet namens LIFE – Leavenworth Improvement For Everyone – und die Umwidmung der Stadt erörtert. Dabei kam heraus, dass sich die Bergstadt Leavenworth viel besser mit Weißwurst und Fachwerk vermarkten lässt als mit kleiner Meerjungfrau und Andersens Märchen. Der Stadtumbau wurde begonnen.
Seit damals hat Leavenworth als bayerische Alpenstadt ein beachtliche Authentizität erreicht. Von wegen Achterbahn und Brezelbuden: Dies ist kein Vergnügungspark. Die komplette Innenstadt wurde als Kreuzung von Mittenwald und Berchtesgarden neu geboren, mit hölzernen Balkons, Fassadenmalerei, einschlägigen Restaurants, Biergärten, Kutschen und einem Nussknackermuseum. Viele Einwohner kleiden sich in Dirndl und Lederhosn. Auch einen Maibaum gibt es und im Herbst, natürlich, ein Oktoberfest.
Sogar die Lokalzeitung hat sich dem Stil angepasst: Sie heißt „The Leavenworth Echo“ und trägt im Logo ein Edelweiß sowie einen Alphornbläser in Lederhosn.
Es ist eine so perfekte Verwandlung, dass ich mich unwirklich fühlte, wie in einem Film. Ich wusste, dass ich mich im Nordwesten der USA befand, unweit von Seattle, in einem Ort, in dem ich nie zuvor gewesen war. Gleichzeitig wurde ich Opfer der Illusion; eine Stimme in meinem Inneren flüsterte mir unablässig zu: Du kennst das hier!
Kommerziell ist die Transformation von Leavenworth ein großer Erfolg. In dem 2000-Einwohner-Ort gibt es heute mehr als hundert Hotels und dutzende „uriger“ Gaststätten.
Die Transformation wirft Fragen von weitreichender Bedeutung auf. Ist bayerischer Kitsch weniger schlimm, wenn er in Mittenwald stattfindet als in Leavenworth? Kann die Kopie einer Lebensart besser sein als ihr Original? Sollte Bayern sein Kulturgut urheberrechtlich schützen lassen, und müsste Leavenworth dann Lizenzgebühren zahlen? Deutet sich hier womöglich sogar ein ganz neuer Ansatz zur Lösung der europäischen Krise an – ein Kompletttransfer der Akropolis ins Niemandsland von Nevada oder der spanischen Alhambra nach Idaho?
Fotos: Christine Mattauch
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Für Hobby-Linguisten auf Reisen immer unterhaltsam: wenn sich der ländliche Australier international gibt. Meist sind es Warnschilder rund ums Thema Krokodil, die die Fantasie in Schwung bringen. In diesem Fall (im Ort Agnes Water in Queensland) ging’s um bissige Quallentiere. Ich stell mir dann gern vor, wie eifrige Gemeindemitarbeiter über babelfish brüten und derlei herrliche Wortsalate zusammen rühren. Es ist rührend, zugleich irgendwie schade, dass ihnen die humorige Seite der interessanten Sprachschöpfungen komplett verborgen bleibt.
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Die Gilis – drei kleine Inseln im Nordwesten von Balis Nachbarinsel Lombok –waren vor 15 Jahren mein ultimatives Ziel. Ich reiste zum ersten Mal mit dem Rucksack durch Indonesien und nachdem ich bereits zwei Monate in den Millionenstädten auf der Hauptinsel Java verbracht hatte, war das abgeschiedene Inselparadies genau der richtige Kontrast. Es gab keine befestigten Straßen, keine motorisierten Fahrzeuge, keine Geldautomaten, keine Post, eigentlich überhaupt nichts, was wir aus unserer so genannten zivilisierten Welt alles so kannten. Stattdessen gab es vor allem Sonne, Strand und Palmen, darunter kleine Bambusbungalows und Hängematten, Korallen und ab und zu sogar mal Schildkröten. Um dieses lebendige gewordene Klischee erleben zu können, war ich zwei Tage lang mit öffentlichen Bussen und Fähren von Bali aus unterwegs, stapfte mit meinem Rucksack durch nassen Sand und matschige Inselwege, duschte mit Salzwasser und aß jeden Tag gegrillten Fisch mit Chilisauce. Ich fand es großartig.
Als ich letzte Woche von Bali auf die Gilis übersetzte, war ich darauf vorbereitet auf der inzwischen zur Party-Insel avancierten Gili Trawangan nicht mehr viel Robinson-Feeling zu finden. Dennoch war ich geschockt: Auch der einst so unversehrte Oststrand der als „Familieninsel“ bekannten Gili Air war komplett zugebaut. Restaurants, Hotels, Tauchschulen reihen sich aneinander – allesamt auf befestigten Ufermauern. Erosion soll der Grund sein. Die kleinen Pferdekutschen verlangten fast zehn Euro um einmal um das winzige Eiland zu fahren, in Indonesiens Hauptstadt Jakarta kostet eine einstündige Taxifahrt von der Innenstadt zum Flughafen genauso viel. Der Kutscher erklärte mir während der Fahrt, dass praktisch alle unbebauten Grundstücke auf der Insel bereits aufgekauft seien, fast alle von Ausländern.
Doch nicht nur die Inseln haben sich verändert, auch die Reisenden. Vor allem die mit den Rucksäcken. Auf der gerade mal etwas mehr als einstündigen Fahrt mit dem Schnellboot von Bali (inzwischen gibt es mindestens acht Unternehmen, die täglich Hunderte von Touristen mit Hochgeschwindigkeitsbooten über einen der tiefsten Meeresgräben Indonesiens befördern) saßen zwei Backpackerinnen aus dem Ruhrpott neben mir, die sich bei den ersten Salzwasserspritzern unter einer Regenplane verkrochen, um ihr Make-up zu schonen. Dabei hatten sie sich extra die einzigen Außensitzplätze geschnappt, um ihre in Badeschlappen steckenden Füße in der Sonne zu bräunen. Natürlich sprang bei der Ankunft auch kein Passagier ins seichte Wasser, sondern alle warteten schön der Reihe nach, bis sie über einen beweglichen Steg auf den trockenen Teil des Strandes balancieren konnten. Als in meiner Unterkunft, ein einfaches Ressort mit Bambusbungalows und Strandbar, die WLAN-Verbindung ausfiel, war das für ein französisches Pärchen Grund genug, seine Sachen zu packen und in ein Ressort auf der anderen Seite der Insel zu ziehen – wo es ganz abgesehen davon auch warmes Wasser und Klimaanlage gab. Und nicht zu vergessen: „richtiges Essen“. Drei Tage mit Reis, Fisch und Gemüsecurry seinen ja nun wirklich genug.
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“Während ich hier mit Ihnen sitze mache ich vermutlich 1500 Dollar mit dem Grundstück, das mein Großvater vor 70 Jahren für 1500 Dollar gekauft hat!” Der Mann, der das sagte ist Robert Anderson, Urenkel der ersten Managerin des Beverly Hills Hotels. Für ein Interview zu dessen hundertsten Geburtstag hat er mich in die Polo Lounge eingeladen, erzählt von großen Hollywood-Deals, die hier heute abgeschlossen werden, von Elizabeth Taylor, die in Bungalows des Hotels sechs von acht Flitterwochen verbrachte und von Marlene Dietrich, die an der Bar der Polo Lounge Hotelregeln brach: niemand konnte der deutschen Diva verbieten, Hosen zu tragen!
Am meisten beeindruckte mich allerdings die Geschichte von Andersons Urgroßmutter, der Gründerin des Hotelbetriebs.Margaret Anderson setzte in einer Zeit als Frauen noch nicht wählen konnten und Beverly Hills aus Feldwegen und Bohnenfeldern bestand auf Luxus. Die alleinstehende Mutter von zwei Kindern führte das Hotel zum Riesenerfolg. Ihr Sohn kaufte wenig später Immobilien in der aufstrebenden Stadt, unter anderem am Sunset Boulevard und dem heutigen Rodeo Drive. Daher das nette Einkommen von Margarets Urenkel Robert.
Nur wenige Tage nach meinem Mittagessen im Beverly Hills Hotel war ich einige Kilometer entfernt wieder am Sunset Boulevard, genauer gesagt an seinem Ostende, wo er Cesar Chavez Avenue heisst, benannt nach dem großen Kämpfer für Rechte der Landarbeiter in den USA. Im ältesten Viertel von Los Angeles, der heutigen Olvera Street traf ich den Nachkommen einer ganz anderen Familie:
Mike Mariscals Urgroßvater mietete einen der ersten Läden für mexikanische Souvenirs in der Fussgängerzone, die Touristen ins Pueblo anziehen sollte. Das Geschäft blieb in der Hand der selben Familie. Mike und seine Frau Rosa setzen sich von der Konkurrenz durch Poster, Postkarten, handbemalte Totenköpfe und handgeschnitzte Skulpturen von lokalen Künstlern ab. Die meisten Kunden sind Touristen ohne Blick für die Kunst. Sie kaufen Sombreros und Ponchos aus Massenproduktion. “Es ist schwer für uns, die Rechnungen zu bezahlen,” erzählt Mike. Die Häuser hier gehören der Stadt. Die hat vor einem Jahr angesichts von roten Haushaltszahlen die Miete um 300 Prozent erhöht.
Das Treffen dieser zwei Männer, die in vierter Generation an der selben Straße in Los Angeles wohnen, hat mir viel über die Geschichte der Stadt erzählt. Entscheidungen ihrer Urgroßeltern haben Los Angeles genauso wie die Leben von Robert Anderson und Mike Mariscal geprägt. Ihre Geschichten könnten kaum unterschiedlicher sein.
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Sollten Sie in Argentinien zum Grillen eingeladen werden:
– Auf keinen Fall ein eigenes Steak oder gar Würstchen mitbringen! Der Grillmeister (asador) kauft die Grillwaren für alle ein, beim Metzger seines Vertrauens. Die Gäste bringen Wein mit oder steuern ein paar Pesos bei.
– Finger weg vom Grill! Niemand außer dem Grillmeister darf das Fleisch wenden.
– Nicht gleich satt essen, egal wie lecker es ist! Denn: Das beste Stück kommt zuletzt! Die Speisenfolge ist streng. Zuerst gibt’s Blut- und Chorizo-Grillwürste, dann Innereien (wer’s mag…). Dann Rippchen und am Ende das Steak. Dann ist es an der Zeit, der Bewunderung für den Grillmeister Ausdruck zu verleihen: “Ein Applaus für den asador!”
Sollten Sie Vegetarier sein – keine Sorge! Selbst in einem Grillrestaurant werden Sie problemlos satt (ich esse auch so gut wie kein Fleisch):
Bestellen Sie eine provoleta – das ist ein extrem leckerer Grillkäse! Auch die typischen Beilagen sind meist fleischlos: Purée (Kartoffel oder Kürbis), Salate oder gegrilltes Gemüse.
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Argentinien ist ein Land mit eigenen Regeln: Hier fahren Krankenschwestern in der gleichen Kleidung, in der sie später in der Notaufnahme stehen, morgens im voll besetzten Bus zur Arbeit. Rechnungen (auch Gas, Strom, Wasser) haben einen Strichcode und man kann sie an der Supermarktkasse zahlen. Und um eine Wohnung zu mieten, muss man eigentlich schon eine haben.
Glücklich schlafen in Buenos Aires: Nur mit garantía!
In Argentinien braucht man eine garantía, um eine Mietwohnung zu bekommen. Eine garantía ist eine Bürgschaft in Form einer anderen Wohnung. Sollte der Mieter die Bude abfackeln oder Mietschulden haben, bekommt der Vermieter die Wohnung des Bürgen. Und das kann nicht irgendeine Wohnung sein: Der Wohnraum muss einen vergleichbaren Wert haben und in einer dem Vermieter genehmen Gegend liegen. Wenn dem die Immobilie des Bürgen nicht gefällt, wird der Vertrag nicht unterschrieben.
Wer also keine eigene (Erst-)Wohnung hat, braucht Freunde, die bereit sind, Haus und Hof zu verpfänden. Jemandem eine garantía zu geben ist der vielleicht grösste Freundschaftsbeweis, den ein Argentinier machen kann. Zum Grillen einladen kann man mehrere Großfamilien und das jeden Sonntag. Die Wohnung kann nur zweidrei Mal verbürgt werden.
Als Ausländer ohne garantía hat man drei Möglichkeiten: Zu meist absurd hohen Preisen zur Untermiete hausen (und wenn Besuch aus der Heimat kommt hat man Pech, denn in den möblierten Zimmern darf man oft keine Gäste haben). Eine gefälschte garantía auf dem Schwarzmarkt kaufen und hoffen, dass sie nicht auffliegt. Jemanden finden, der sein Haus für einen verpfändet.
Es wäre allerdings ungerecht, auf die Vermieter zu schimpfen, ohne die andere Seite zu sehen (1): Argentinische Mieter scheinen außer Rand und Band zu geraten, wenn sie irgendwann ausziehen. Als ich in meine jetzige Wohnung einzog, fehlte das Rohr vom Spülkasten zur Toilette und der Sicherungskasten war weg, die Stromkabel waren mit Klebeband direkt aneinander geklebt.
Inzwischen miete ich nun seit sechs Jahren die gleiche Wohnung. Ruhe habe ich aber immer noch nicht. Erstens kümmern sich Vermieter hier um nichts (immerhin – den neuen Durchlauferhitzer hat meiner zur Hälfte übernommen, weil der alte unkontrolliert Gas ausspuckte und eine echte Gefahr war). Und zweitens werden Mietverträge in Argentinien alle zwei Jahre erneuert. Dann kann sich nicht nur die Miete verdoppeln, sondern der Makler heimst jedes Mal neu zwei ganze Monatsmieten Provision ein. Eine Quittung gibt er mir dafür – natürlich! – nicht. Mieterrechte sind gesetzlich so gut wie nicht geregelt, sagte man mir übrigens beim Mieterschutzbund. Ich könne den Vermieter ja darauf hinweisen, dass das “gegen die guten Sitten verstoße”. Mach’ ich gleich morgen. Da wird er sicher nachts ins Kissen heulen.
(1) Liebe Vermieter mit Wohungseigentum in Argentinien. Bitte seht davon ab, mir Leserbriefe zu schreiben. Es tut mir sehr Leid für Euch, wenn Eure Mieter nicht auf Eure Wohnungen aufpassen. Gebt sie einfach mir! (allen, denen diese Fußnote absurd erscheint sei gesagt: Ist sie nicht! Ich habe tatsächlich schon böse Leserbriefe von Menschen bekommen, die in Argentinien Wohnungen vermieten und das System der garantía verteidigen. Dabei zweifele ich ja gar nicht daran, dass auch die Vermieter hier ein hartes Los treffen mag!)
Ein hilfreicher Link für wohnungssuchende Buenos Aires-Besucher: http://buenosaires.es.craigslist.org/
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Manche Geschichten lassen mein Reporterinnenherz besonders hoch schlagen. Dazu gehört die vom gigantischen Granitbrocken, der derzeit auf dem Weg vom Steinbruch ins LACMA Museum in Los Angeles ist und dabei jede Menge Neugierige und wunderbare Kommentare anzieht.
Der Fels ist über zwei Stockwerke hoch und wiegt 340 Tonnen. Das ist so schwer wie eine Boeing 747, vollgeladen und vollgetankt. Über 160 Kilometer legt die wertvolle Fracht zurück – in Plastik verpackt und in einem extra dafür angefertigten Transporter mit fast 200 Rädern und 40 individuell steuerbaren Achsen hängend. Höchstgeschwindigkeit: acht Stundenkilometer. Der Konvoi kann aus verkehrstechnischen Gründen nur nachts unterwegs sein und aus gewichtstechnischen Gründen nur auf auserwählten Straßen fahren. Sonst müssten nicht nur Ampeln, Straßenschilder und Äste entfernt werden sondern auch Brücken und Autobahnauffahrten. Der Sinn des Ganzen? Der Granitbrocken ist entscheidender Bestandteil der Skulptur ‘Levitated Mass’ des Künstlers Michael Heizer. Der hatte 1968 die Vision einer Betonspalte, die sich in den Boden gräbt und auf deren Mitte ein Riesenfels scheinbar schwebend zum Liegen kommt. Erst vor sechs Jahren hat er den richtigen Fels gefunden – im Steinbruch östlich von Los Angeles. Das LACMA Museum ist begeistert von der Skulptur. Private Spender haben zehn Millionen Dollar gegeben und dank Meisterleistungen von Ingenieuren und Stadtplanern bewegt sich nun der Fels in Richtung Museum.
Eine wahre Reporter-Schatzgrupe sind all die Neugierigen, die sich rund um den Fels versammeln. Die Diskussionen, die der Transport auslöst sind natürlich gewaltig: vor allem geht es dabei darum ob ein Riesengranitbrocken auf einer Betonspalte Kunst ist und ob die zehn Millionen Dollar nicht sinnvoller ausgegeben werden könnten, zum Beispiel um Obdach- und Arbeitslosen zu helfen. Ganz nebenbei ist eine riesige Fangemeinde entstanden. Der Granitbrocken löst Heiratsanträge, Fotowettbewerbe, Facebook- und Twitterseiten aus. Ist er nachts unterwegs, folgen Hunderte der Transport-Meisterleistung. Ist er tagsüber geparkt, gibt es Rockfestivals und Kunstunterricht am Wegesrand.
Ein wenig erinnert mich das alles an die Stimmung am Reichstag in Berlin, als der von Christo und Jean Claude verhüllt wurde. Ob das alles Kunst ist wird für mich dabei komplett nebensächlich. Der Granitblock verbindet die Stadt wie es wenige Ereignisse können. Viele, die den Transport verfolgen werden zum Museum kommen, um in der Betonspalte unter dem Brocken zu stehen. Dem wird man dann all die Arbeit nicht mehr ansehen. 340 Tonnen schwebend unter wolkenlosem blauen Himmel. Großartig!
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Willst Du das richtige Jakarta sehen? So lautete die Standardfrage von Ronny Poluan schon vor 14 Jahren. Er stellte sie immer, wenn er Ausländer traf, die es nach Jakarta verschlagen hatte – sei es um Geschäfte zu machen, als Künstler aufzutreten oder einfach, weil es keinen direkten Flug nach Bali mehr gab. Ich war damals Praktikantin beim Goethe-Institut Jakarta und platzte vor Entdeckungslust. Das einzige, was ich nicht wollte: eine typische Ausländerin sein. Also sagte ich natürlich sofort ja und der Theater- und Filmregisseur nahm mich auf unzählige Touren durch Jakarta mit, die in der Tat nichts mit den glitzernden Shopping Malls und riesigen Bürotürmen im Zentrum der Metropole zu tun hatten. Er führte mich zum ersten Mal in meinem Leben durch einen Slum, begleitete mich in ein Armenviertel am stinkenden Ciliwung- Fluss und brachte mich in Schulen für Straßenkinder. Er zeigte mir den Transvestitenstrich und stellte mich Müllsammlern vor, die in Löchern unter Autobahnbrücken hausten. Das Faszinierende war, dass all diese Leute in ihrer Armut immer offen und freundlich waren – niemals fühlte ich mich gefährdet oder unwillkommen. Diese Eindrücke waren Teil der Faszination, die dafür sorgten, dass ich vier Jahre später als freie Journalistin nach Indonesien zurückkam. Heute hat Ronny Poluan sein Hobby zum Beruf gemacht: Mit Jakarta Hidden Tours bietet er über das Internet Touren durch das „real Jakarta“ an, das nicht nur ausländische Geschäftsleute und Besucher selten zu Gesicht bekommen, sondern auch nur wenige besser gestellte Bewohner der indonesischen Hauptstadt. Den Erlös nutzt er, um die Schulausbildung der Kinder sowie die ärztliche Versorgung in einigen Armenvierteln zu unterstützen. Natürlich ist Slum-Tourismus immer ein kontroverses Unternehmen und seien die Ziele noch so wohltätig. Die Gegenargumente der Stadtregierung von Jakarta sorgen sich allerdings wenig um Voyeurismus oder das Zurschaustellen armer Leute – was sie stört: Ronny Poluan würde sein Land schlecht machen, indem er Ausländern immer nur die hässlichsten Orte Jakartas zeige. Ein guter Nationalist müsse Besuchern schöne Plätze präsentieren.
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Australien hat reichlich Potential für Dramen: Fluten, Brände, Dürren – immer, oft und gern. Vulkane gehörten bislang nicht dazu. Feuerspeiende Hügel gibt’s hier unten einfach nicht. Dass sie trotzdem gerade Medien-Thema Nr. Eins sind, verdanken wir Chiles Puyehue-Cordón Caulle. Richtig: Asche kann offenbar weiter als nur von Reikjavik bis Recklinghausen reisen. Sie fliegt bei Rückenwind erstaunliche 11061,49 Kilometer von Chile bis nach Adelaide. Das nenn ich mal Globalisierung im ganz großen Stil. Aber dies nur am Rande, denn natürlich geht es hier um Wichtigeres. Um Höhere Gewalt und menschliche Schicksale!
Denn abgesehen von den Reisenden, deren Beweglichkeit durch die wg Asche stornierten Flüge eingeschränkt ist, tun mir dieser Tage vor allem meine Kollegen vom TV leid (stimmt nicht, sie gehn mir kolossal auf die Nerven): Seit Queen’s Birthday hocken sie nun in Flughäfen und führen tagein tagaus die mit Abstand uninteressantesten Interviews der Welt: Sie sprechen mit Menschen, die in Melbourne “gestrandet” sind (es gibt in Melbourne keinen Strand!), mit Passagieren, die in Adelaide “festsitzen” (ps: auch Adelaide hat Bus und Bahn), oder, Schreck-schwere-Not! solchen, die gar Hobart nicht erreichen / verlassen können.
Da stehen sie nun, die Kollegen von Kanal 2 bis 10 und halten im Halbstundentakt Leuten mit Koffern ihre Mikros und Kameras ins Gesicht. Und diese sagen dann mit 150prozentiger Sicherheit – richtig: so rein überhaupt und gar nichts Wissenswertes. Bzw: “Tja, nach xz wollte ich heute nun, und guess what? das wird wohl nix.” Manche ergänzen noch persönliche Details zb welche Festivitäten/Anschlussflüge/Konferenzen/ sie nicht erreichen.
Gestern machte derlei öffentlich rechtlich über 8 Minuten der 15-minütigen Hauptnachrichten aus! Wirklich nicht Schuld der “Gestrandeten”, dass sie uns so endlos langweilen. Aber was um Himmels willen sollen diese armen Figuren nun auch Ergreifendes sagen? Welche Originalitäten erwarten die Kollegen Reporter und TV-Stationen eigentlich?
Befreiung von der Qual, fürchte ich, kann wieder mal nur von Ganz Oben kommen. Also: Bitte liebe Asche – Senke dich, falle nieder oder flieg zurück. Wir möchten wieder Nachrichten mit Inhalt!
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In Beirut hat die Badesaison begonnen. Seit dem Wochenende aalen sich die Bikinischönheiten in den Strandclubs,
eingeschmiert mit sonnenverstärkenden Ölen, denn die knackige Bräune muss ganz schnell her. Schließlich will Frau in den Nachtclubs und auch auf der Strasse bald viel Haut zeigen. Ich werde schon seit langem das unangenehme Gefühl nicht los, dass die Libanesinnen es zumindest zum Teil selbst Schuld sind, dass sie in den Augen dieser Macho-Gesellschaft weitgehend zum Objekt sexueller Begierde degradiert wurden. Viele Frauen identifizieren sich so sehr mit ihrer Rolle als verführerische Kätzchen, wenn sie nicht gerade als Hausfrau und Mutter eingespannt sind, dass sie zur zweiten Natur geworden ist.
Doch dass das Tourismusministerium in seiner neuesten Werbekampagne auf die Vermarktung der legendären libanesischen Schönheiten setzt, das geht zumindest für einige Libanesinnen nun doch zu weit. In dem Werbespot „Lebanon Blues“ für den US-Markt kann sich ein junger Amerikaner nicht mehr auf seine Arbeit im Büro konzentrieren, weil ihm die Libanesinnen, die ihm den letzten Urlaub versüßten, nicht mehr aus dem Kopf gehen.
Dieser Clip brachte das Fass zum Überlaufen, schimpft die 21jährige Leen Hashem. Eine Gruppe junger Feministinnen setzte sich zusammen und verfasste einen Protestbrief an den Minister. Es sei inakzeptabel, dass die libanesische Regierung versuche, die Körper der Libanesinnen zu verkaufen, damit viele Touristen ins Land kommen, heißt es darin. Wie könne das Ministerium es wagen, die Frauen feil zu bieten, die auf der anderen Seite vom Gesetz benachteiligt würden und die vor gewaltsamen Übergriffen durch Männer auf keine Weise geschützt seien?
Und was sagt darauf der Minister? Die jungen Aktivistinnen sollten sich schämen, so unpatriotisch zu sein! Das sei doch alles völlig übertrieben, der Spot zeige ine Frau im Bikini lediglich für 30 Sekunden. Aber er ist unmissverständlich anzüglich – ohne große Worte. Davon will Minister Aboud nichts wissen. Jedenfalls war ihm nicht nach einer Entschuldigung zumute. Die Feministinnen wollen nun selbst einen Videoclip veröffentlichen, in dem sie die Diskriminierung gegen libanesische Frauen zur Schau stellen. Sie würden diverse Werbekampagnen weiter kritisch beobachten, sagt Leen Hashem.
Man kann den Libanesinnen nur wünschen, dass sie langfristig mit ihrer Kritik Erfolg haben. Denn bald fallen sie wieder ein, die feisten Männer aus den arabischen Golfstaaten sowie die lüsternen Geschlechtsgenossen aus dem Westen. Ihr Blick spricht Bände – hier geht es nur um eines. Und es ist mit nur wenig Hülle aber viel Fülle zu haben im Zedernstaat.
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Die Fahrtbeschreibungen zu meinen Gesprächspartnern in Wyoming beinhaltet Ölbohrstationen, Heuhaufen, Warnungen vor Schneestürmen und den Tipp, einen guten Reservereifen mitzunehmen, weil es auf den 20 Meilen unbefestigter Straße keinen Handyempfang gibt und das Satellitentelefon auf der Rinderfarm, zu der ich fahre nur sporadisch funktioniert. Je nachdem, wie der Satellit steht. Ich kann es kaum erwarten, mich auf den Weg zu machen!
Ich fahre ewig entlang endloser Felder und roter Felsformationen. Kein Haus, kein Auto, keine Stromleitung, kein Mensch in Sicht. Am nächsten Morgen sitze ich nicht in meinem Cabrio im mehrspurigen Berufsverkehr von Los Angeles, sondern mit Mutter Gwen, ihren zwei Kindern Kody und Kiley bei Sonnenaufgang im Geländewagen. Wir fahren 45 Minuten auf einem unbefestigten Feldweg zur Haltestelle des Schulbusses, in dem die Kinder nochmal 25 Minuten zum Unterricht unterwegs sind. Statt sich Yoga, Meditation, Jogging oder anderen in Kalifornien beliebten Aktivitäten zu widmen steigt Gwen nach der Rückkehr auf den Heu-Laster, fährt mit Ehemann Reno zur Wiese, wo rund 1400 Kühe mit ihren Kälbern auf Futter warten.
Hier werden keine Sinnfragen gestellt. Es wird getan, was getan werden muss. Alle haben ihre Aufgaben. Auch die acht australischen Hütehunde, die im Sommer unverzichtbar sind, wenn mehr als 3000 Kühe auf höher liegende Bergwiesen getrieben werden. Kiley und Kody wissen: wenn sie sich über Langeweile beklagen, werden sie durch den eisigen Wind zur Scheune geschickt zum Sattel ölen, Kälber füttern oder Hundehaus säubern. Vater Reno fordert mich beim Abendessen mit Rinderbraten, Kartoffelbrei und Pekannuss-Pie auf, meinen Freunden in Kalifornien zu sagen, sie sollen Republikaner wählen und die verrückten Demokraten aus dem Amt scheuchen. Die würden Geld verschwenden an die angeblich Armen, die in Wirklichkeit nur zu faul zum Arbeiten seien. „Kaum jemand will so hart arbeiten, wie wir!“ sagt der Farmer und hat wahrscheinlich Recht. Er schiebt hinterher: „Nur die Latino-Immigranten! Die wollen auch nur ein besseres Leben für ihre Familien, wie wir alle! Die nehmen dafür jede Arbeit an!“ Für eine lange Diskussion bleibt keine Zeit. Reno schaut in den Stall. Sein Gespür hat den Bauern, der auf einer Rinderfarm ohne Strom aufgewachsen ist nicht getrogen: eine kranke Kuh kalbt, die Geburt ist kompliziert. Ich erlebe am nächsten Morgen den Höhepunkt meines Land-Ausflugs: Gwen drückt mir eine Flasche mit warmer Milch in die Hand und fordert mich auf, das frisch geborene Kalb zu füttern. Kaum angekommen, habe auch ich schon eine Aufgabe bekommen.
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Hart ist für Auslandsdeutsche in Australien in den letzten zehn Jahren vor allem eines gewesen: Sie durften nicht über Wetter meckern. Vor allem nicht über Regen, denn das gehört sich einfach nicht, wenn ein Kontinent die “schlimmste Dürre aller Zeiten” durchlebt.
Australier, die nebenbei gesagt auch ganz gern mal die Witterung besprechen (vor allem wenn Regen länger dauert als einen Nachmittag) mussten sich ebenfalls beherrschen. Schauer oder Güsse durften zehn Jahre lang bestenfalls mit “oh, how lovely!” oder “let’s hope it falls where the dams are /on farmland” (hoffe es regnet die Dämme voll / auf Farmland) kommentiert werden.
Nörgeln und Jammern indes: komplett Tabu!
Inzwischen ist alles anders. Die Dürre ist vorbei. Während ich bei sehr blauem Himmel (es regnet schließlich nicht überall und immer) in Sydney dem Laptop per Ventilator eine Extraration Luft zublase, schüttet es jenseits der blauen Berge. Seen, die jahrelang riesige Sandkästen waren sind wieder beschiffbar, unsere Trinkwasser-Dämme schwappen über, Pläne für neue, milliardenteure Entsalzungsanlagen sind den Politikern plötzlich insgeheim ein bisschen peinlich.
Denn es nässte stellenweise heftig. Farmer, die sich nach staubtrockenen Leidenszeiten auf die erste feiste Ernte freuten, strahlten uns knöcheltief im Wasser watend via TV an: Glückliche Gesichter unter tropfnassen Akubrahüten aus einstigen Krisenzonen in Neusüdwales, Erleichterung sogar bei Gemüsebauern in Victoria und im besonders gebeutelten Südaustralien.
Dann allerdings war Schluss mit lustig. Denn es hörte einfach nicht wieder auf, das heiß ersehnte Geregne. Die Farmer zogen Stiefel höher und Hüte tiefer ins Gesicht, das Wasser stieg zur Hüfte, die Ernte ersoff. Letzte Woche wurde in einem meiner Lieblingsorte, Wagga Wagga, der Parkplatz zum Schwimmbad, Gunnedah drohte Evakuierung.
“Drei Wochen Sonne und Wärme”, so Archie Kennedy, ein Landwirt in der Überschwemmungszone, bräuchte er nun, um seine Ernte retten zu können. Und dann sagte er das Unsagbare: Die Dürre sei ihm lieber.
Zum ersten Mal erlebe ich also den eigentümlichen Zustand, dass deutsche Weihnachtsferien-in-Australien-Touristen vom Niederrhein exakt das gleiche wollen wie australische Landwirte: Sonne satt. Über Regen nörgeln ist plötzlich nicht nur okay, sondern ein Akt der Solidarität und endlich erlaubt!
Ob Archies Wünsche erhört werden? Not sure. Das australische Bureau of Meteorology verspricht: Mit 75 % Wahrscheinichkeit wird Sydney dieses Jahr deutlich höhere Regenfälle als in anderen Sommern erleben.
Daher für alle Reisenden noch rasch der Expertentipp aus dem Strandbüro: Mückenspray nicht vergessen! 300 der weltweit 2700 Moskito-Arten sind in Australien heimisch, und die brüten derzeit um die Wette.
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Neulich hab‘ ich mich wieder total daneben benommen. Am 11. Oktober war’s, dem „Tag des Sports“ in Japan. Das Feiertagswetter war fantastisch, warme 26 Grad. Perfekt für eine Wanderung im Gebiet des Mt.Takao, Tokios Hausberg. Schweißtreibend war die Bergtour, Kalorien haben wir ordentlich verbrannt beim steten Auf und Ab.
Die Zeit haben wir auch ein wenig vergessen und daher den Zug zurück nach Tokio nur durch einen beherzten Sprint erreicht. Mir hat das den Rest gegeben. Hungrig und durstig kramte ich im Rucksack, holte eine Mandarine raus und begann sie zu schälen, in Gedanken noch im lichtdurchfluteten Bergwald. „Ich setz‘ mich gleich weg“, maulte da mein Mann und holte mich grob zurück in die japanische Wirklichkeit. Und da herrscht nun mal Zucht und Ordnung im Öffentlichen Nahverkehr. Will heißen: Lautes Unterhalten, Telefonieren oder Musikhören sind ein Tabu. Essen und Trinken ebenso.
Gosh, da saß ich nun tatsächlich in diesem Vorortzug, und hantierte mit der Mandarine so heimlich wie ein Pennäler bei der Klassenarbeit mit seinem Spickzettel. Schuldbewusst dachte ich daran, wie meine Japanisch-Lehrerin wenige Tage vor meinem Sündenfall empört auf den Verfall der Sitten in Tokios U-Bahnen zu sprechen gekommen war. „Seit einigen Jahren“ hatte sie geseufzt, „benehmen sich die Leute immer schlechter. Die jungen Mädchen schminken sich ungeniert oder quatschen laut. Und telefoniert wird auch immer öfter.“
Ich konnte da nur halbherzig zustimmen. Hatte ich im Sommerurlaub doch oft genug gedacht, wie super gesittet es in japanischen Zügen zugeht. Während sich in Frankfurt oder München jeder so benimmt, wie es ihm passt und manche U-Bahnen nach der Rushhour fahrenden Mülltonnen gleichen, sind Tokios Züge immer tipp topp sauber und 99 Prozent der Fahrgäste verhalten sich tadellos.
Und nun saß ich selber da, fühlte mich ertappt und steckte hastig das letzte Mandarinenstückchen in den Mund. Mein Mann hat sich zwar nicht weggesetzt. Aber die saftige Frucht, auf die ich mich so gefreut hatte, die hat irgendwie sauer geschmeckt.
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Natürlich konnte in all der Aufregung niemand widerstehen: Das Sydney Oprah House heißt Australiens Wahrzeichen Nr 2 demnächst. Jedenfalls im Dezember. Denn dann fliegt Oprah Winfrey, eine Talkshow-“Personality” aus Amerika, ein. Wir wissen das hier unten seit heute, und seit heute ist alles anders, alles! Auch für Oprah. Zum ersten Mal kommt sie nach Australien. Und sie ist soooo irre aufgeregt über das ‘absolute Abenteuer’. Verständlich, “The first cut is the deepest” wusste Yusuf Islam schon als er noch Cat Stevens hieß, und so ist Australiens Tourismusindustrie einfach ebenfalls irre nervös. Fast noch aufgeregter als OW. Heute auch nur von Irgendjemandem aus der Tourismusbranche einen nicht Oprah-relevanten Halbsatz zu bekommen war komplett unmöglich. “Das ganze Haus vibriert”, verriet mir hektisch eine Insiderin, die nur deshalb nicht-Oprah-bezogene Mails beantwortete, weil sie ab morgen Urlaub hat.
1 Millionen Australische Dollar gibt allein die Regierung in Neusüdwales aus, damit Oprah das Opernhaus sieht. Diverse weitere Mio schießen andere Länder und Sponsoren für Oprahs erstes Mal dazu. Man helfe bei der Unterbringung, hieß es erklärend. Mit Millionen? Ist Down Under so verflixt teuer geworden?
Nein, aber Oprah Winfrey bleibt ja ein bisschen (8 Tage), will Sydney und all das Outback rundum sehen, und nebenbei zwei Sendungen produzieren – Und sie kommt eben nicht allein: 450 Landsleute reisen mit. Denn zwar ist Oprah irgendwie irre positiv begeistert (was dann irre positiv für OZ ist, denn schließlich gucken massive amounts of people (Daily Telegraph) ihre Show, was dann massive für die Tourismusbranche ist). Und vermutlich auch für den Rest des Universums Folgen hat, denn wenige Stunden nach Bestätigung des welterschütternden Ereignisses meldete Google bereits 1299 Artikel, die sich mit “Oprah excitement visit Australia” befassten. Logisch, dass es längst eine Gesichtsbuchfreundegruppe gibt, in der sich “FB-Freunde von OW visits Australia” über ihre gemeinsame Vorfreude austauschen. Und einigen Medien schien kollektiv die Kinnlade runter gefallen zu sein, wobei ein Großteil des ohnehin beschränkten Vokabulars flöten gegangen sein musste und sich fortan auf einige wenige Adjektive reduzierte: Just massive, you know. It’s massive!
Doch kurz zurück zu Reisebegleitern und Publikum, denn da traut Oprah Winfrey den Australiern trotz Gratistrip und all der achselnassen Aufregung nun wohl doch nicht so ganz über den Weg: 300 US-Amerikaner ihres Stammpublikum fliegt sie mit ein, sicher ist sicher. Wahrscheinlich um Sprachbarrieren zu verhindern. Ihren eigenen Piloten bringt sie übrigens auch mit: Kein geringerer als John Travolta soll den Qantas-Jet sicher übers Meer steuern. Heißt es. Da fällt mir nur eins ein: massive, that’s just massive!
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Es ist Zeit für eine Enthüllung. Ich heiße gar nicht Christine Mattauch. Juristisch gesehen jedenfalls. Das hätte mich vergangenen Freitag fast die Einreise in die USA gekostet.
Schuld daran ist mein Eigensinn. Als vor vier Jahren der beste aller Männer um meine Hand anhielt, sagte ich nicht nur Ja, sondern beschloss zugleich, seinen Namen anzunehmen und damit alles Frauenrechtlertum über Bord zu werfen. Halt – nicht alles. Natürlich wollte ich weiter unter meinem Mädchennamen schreiben, der nach über 20 Jahren im Journalismus so etwas wie eine Marke geworden war. Das lieferte der Frauenrechtlerin in mir den perfekten Grund, den alten Namen irgendwie doch beizubehalten. Ich verfiel auf die Idee, ihn im neuen Pass als Künstlernamen eintragen zu lassen. Liebende Frauen müssen nicht logisch sein.
Der Beamte auf dem deutschen Konsulat in New York staunte nicht schlecht. „Den Mädchennamen als Künstlernamen? Wieso wollen Sie das denn, vorne wird ‚geborene Mattauch’ eingetragen, da sieht doch jeder, dass Sie mal so geheißen haben.“ Ich erklärte. Er verstand trotzdem nicht. Ich hatte keine Lust mehr zu erklären und wurde formal: „Aber es geht doch?“ – „Es geht. Allerdings nicht mehr lange.“ – „Aber jetzt geht es noch?“ Pause. Dann gab er auf: „Ja.“
Formal heiße ich also seit dreieinhalb Jahren Christine Piper, aber im Berufsalltag spielt der Name so gut wie keine Rolle. Viele Leute wissen überhaupt nicht, dass ich sozusagen doppelnamig bin. Im vergangenen Jahr saß ich bei einem festlichen Dinner an einem großen runden Tisch, an dem ein Platz unbesetzt blieb. Die Gastgeberin verteidigte ihn unverdrossen gegen Neuankömmlinge: Die Dame würde bestimmt kommen, das habe ihr der Ehemann heute noch versichert. Irgendwann wurde ich so neugierig auf die fehlende Person, dass ich mir die Platzkarte ansah. Da stand: Mrs. Piper.
Sonst sorgt mein heimliches Frauenrechtlertum für bemerkenswert wenig Turbulenzen, zumal Amerikaner in Namensangelegenheiten traditionell großzügig sind (wir hätten bei den Eheschließung sogar unsere Namen zusammenziehen können, etwa zu Pipermat, oder einen komplett neuen Namen beantragen können). Nur bei internationalen Flügen muss ich aufpassen, der strengen Sicherheitskontrollen wegen. Und da habe ich diesmal geschlafen und bei der Online-Flugbuchung meinen Mädchennamen eingegeben. Erst in der Subway zum Flughafen JFK fällt mir das auf. Mir schwant Böses.
Doch die amerikanische Bodenstewardess stutzt nur kurz und stellt umgehend die Bordkarte aus, auf Christine Mattauch. Ich interveniere: „Können Sie den Namen nicht ändern, ich heiße eigentlich Piper, und ich möchte nicht…“ – „Honey, das sieht doch jeder, dass das Dein Mädchenname ist“, unterbricht sie mich freundlich und wedelt mich in Richtung Sicherheitsausgang.
Sie kennt ja nicht das deutsche Bodenpersonal in Hamburg. Das Einchecken für den Rückflug läuft genauso alptraumartig ab, wie ich es mir vorgestellt habe. Die misstrauische Frage nach der Namensdifferenz. Das bedenkliche Gesicht nach meiner Erklärung. Der Griff zum Telefonhörer: „Ich habe hier einen Passagier, bei dem stimmen die Namen nicht überein…“ Ich schwitze. Ich bete. Ich verfluche die Frauenrechtlerin in mir. Die Bodenstewardess blättert in meinen Unterlagen und spricht in den Hörer: „Das Visum? Das ist auf den Mädchennamen ausgestellt…“ Endlich legt sie auf, sieht mich ernst an. Ich sehe mich bereits heimatlos in Hamburg. Dann sagt die Stewardess: „Das ist dann diesmal okay“, in einem Ton, der verrät, dass es natürlich ganz und gar nicht okay ist. Aber das ist mir egal. Auch, dass ich am Gate ganz besonders gründlich gecheckt werde.
Nochmal Panik, als ich beim Umsteigen in Düsseldorf ausgerufen werde. Ängstlich nähere ich mich dem Desk: „Es ist bestimmt wegen des Namens, nicht wahr? Mattauch ist mein Mädchenname und Piper…“ – „Das habe ich mir schon gedacht“, entgegnet ein vergnügter Rheinländer, blättert in meinen Papieren und entlässt mich mit einem Lächeln.
Den Künstlernamen hat in dem ganzen Kuddelmuddel kein Mensch beachtet, und ich war zugegebenermaßen froh drum. Vermutlich hätte der mich erst recht verdächtig gemacht. Denn wer kommt schon auf die absurde Idee, seinen Mädchennamen als Künstlernamen eintragen zu lassen?
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Oahu (Hawaii), Kamehameha Highway, gestern Nachmittag: Plötzlich stoppen Autos, einige steuern konfus den Straßenrand an, Leute springen raus mit gezückter Kamera. Ein Blick durchs Seitenfenster genügt, um zu wissen warum: Ein Segelschiff, offensichtlich mehrere hundert Jahre alt, liegt an einem kleinen Pier vor Anker. Ein Museumsschiff? Ein Restaurationsprojekt? Ein Nachbau a la Disneyland? Wir wenden. Parken am Pier, laufen zum Schiff, bis zu einer Absperrung, vor der zwei dutzend Menschen versammelt sind. Alle starren wie gebannt aufs Schiff, das aus der Nähe nicht weniger rätselhafter erscheint als aus der Ferne: Abgerissen, aber zugleich irgendwie gut in Schuss, und warum eigentlich wimmelt es hier vor Sicherheitsleuten?
Endlich macht einer den Mund auf. „Welcher Film?“ Der Security-Guy schiebt seinen Kaugummi von der rechten in die linke Backe und antwortet: „Fluch der Karibik.“ Die Menge erstarrt. Der Neugierige fragt ungerührt weiter: „Welcher Teil?“ – „Vier.“ Ein Teenager im Baskeballtrikot schreit hysterisch: „Ich habe Johnny Depp gesehen!“ Das ist aufgrund der Entfernung ganz unmöglich, und die Leute verdrehen die Augen. Aber später erzählen unsere netten Wirtsleute, dass auf der Insel ganze Horden von Paparazzi unterwegs sind, um den Star zu finden – bisher erfolglos. Kurz regt sich bei mir der Reporterinstinkt: Muss ich da nicht auch irgendwas machen? Ach nein – ich hab endlich mal Urlaub. Aber den Weltreporter-Blog will ich denn doch bestücken. Zumal sicher nicht jeder weiß, dass die “Pirates of the Caribbean” zumindest teilweise in der Südsee gedreht werden.
Foto: Christine Mattauch
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1.: Dem Land, in dem Rockstars wie Ex-Midnight-Oil-Sänger Peter Garrett Minister werden, fehlt das musikalische Talent. Eine gewagte Behauptung, zugegeben, wird aber gleich bewiesen: Hören Sie sich mal das neue ‘Aussie-Lied’ an. Nee, nee, halb anhören und dann wieder weg klicken gilt nicht! Schön den Regler auf laut und ganz bis zum Ende durchhalten. Und?
Eben, sag ich doch. Aber für derlei Treffsicherheit im Notenspektrum und für die dazugehörige Kampagne hat die Regierung hier unten grade 150 Millionen australische Dollar (102 Mio Euro) ausgegeben. Mein Tipp: keine douze points.
2.: Australien liegt nicht in Europa.
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Vor der israelischen Mittelmeerküste planscht in diesen Tagen ein Grauwal umher. Die israelische Öffentlichkeit ist berückt, die hiesigen Wissenschaftler fassungslos.
Aviad Scheinin, der Leiter des israelischen Meeressäugetierforschungszentrums, spricht von einem „unglaublichen Ereignis“ und „einer der bedeutendsten Beobachtungen von Meeressäugetieren überhaupt“. Im Nord-Atlantik sei die Population von Grauwalen schon seit dem 18. Jahrhundert ausgestorben. Im Mittelmeer seien noch nie Wale gesichtet worden.
Der Grauwal ist 12 Meter lang und 20 Tonnen schwer. Der Meeresriese scheint sich auf der Suche nach Futter vom kühlen Pazifik in das badewannenwarme Mittelmeer verirrt zu haben. Angeblich soll er sich im Oktober so langsam vom nordöstlichen Pazifik aus auf den Weg zum Golf von Kalifornien gemacht haben. Eigentlich hätte er dort links abbiegen sollen, erklärt das israelische Forschungszentrum. Stattdessen steuerte er auf die Straße von Gibraltar zu und bog dann ins Mittelmeer ab. Ein klarer Fall von Rechts-Links-Schwäche.
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An meiner Wahlheimat Holland habe ich nach 20 Jahren einiges auszusetzen und die rosarote Brille längst abgesetzt. Aber jedes Jahr im Frühling um diese Zeit verliebe ich mich wieder hemmungsvoll in dieses Land. Dazu reicht eine Zugfahrt vom Leiden nach Haarlem und ein Blick aus dem Fenster über die blühenden Felder der Blumenzwiebelregion: Die gesamte Landschaft gleicht einem gigantischen Mondriangemälde. Gelbe, rote und blaue Blumenbahnen aus Tulpen, Narzissen oder Hyazinthen so weit das Auge reicht….angesichts dieses hinreissenden Farbenrausches muss man einfach kapitulieren!
Als Korrespondentin habe ich es natürlich nicht beim Anschauen belassen, inzwischen weiss ich eine Menge über die Blumenzwiebelzucht, insbesondere über die Tulpe. Ist sie doch nicht nur Hollands Nationalsymbol, sondern auch noch eine erfolgreiche Immigrantin mit einer überaus steilen Karriere: Im botanischen Garten der alten Rembrandtstadt Leiden bohrte sie sich erstmals durch europäischen Boden, allerdings lange bevor Rembrandt geboren wurde, nämlich schon 1594.
Ursprünglich stammt die Tulpe aus Kazachstan. Über die Türkei gelangte sie nach Europa. Ihr Mäzen hiess Carolus Clusius, auch „Erasmus der Botanik“ genannt. Er war Ende des 16. Jahrhunderts in Leiden Aufseher des Hortus Botanicus. Clusius verkörperte das Idealbild des Gelehrten aus der Renaissance: hungrig nach Wissen, ein besessener Sammler, ständig kreuz und quer durch Europa auf Pflanzenjagd.
Die ersten Tulpenzwiebeln bestellte er beim Botschafter des österreichischen Kaisers in der Türkei, Ogier Ghislan de Busbec, einem Flamen. Der hatte sich in seinen Briefen immer wieder bewundernd über jene geheimnisvolle Blume ausgelassen, die von den Osmanen wie ein Kleinod behandelt wurde und auch den Sultan so bezauberte, dass er regelmässig rauschende Tulpenparties hielt.
Auch die ersten Tulpen im Leidener Hortus Botanicus wurden 1594 wie ein Weltwunder gefeiert und von den Schaulustigen fast zertrampelt. Aus der anfänglichen Begeisterung wurde schnell Besessenheit: Die so genannte Tulpenraserei begann, eine Zeit, in der ein einziger ‚bol’, wie die Zwiebel auf niederländisch heisst, bis zu 13.000 Gulden einbrachte, umgerechnet 6.000 Euro – genausoviel wie Rembrandt für sein Haus an der Jodenbreestraat gezahlt hatte, das heutige Rembrandthaus. Der Tulpenhandel wurde Big Business: Reiche-Leute-Söhne schmückten mit dem vergänglichen Juwel das Décolleté ihrer Geliebten. Es war teurer als ein Diamant. Da das Angebot bei weitem nicht der Nachfrage entsprach, wurden bollen zum beliebtesten Spekulationsobjekt. Einer der wenigen, der einen kühlen Kopf bewahrte, war der Maler Jan Brueghel der Jüngere: Auf seiner Persiflage einer Zwiebelauktion stellte er alle Beiteiligten als Affen dar.
Als der Markt am 6. Februar 1637 einstürzte, gehörte auch sein Kollege, der Landschaftsmaler Jan van Goyen zu den Opfern. Noch Jahre nach seinem Tod wurden seine Witwe und die Kinder von seinen Gläubigern verfolgt. Dieser 6. Februar 1637 ging als erster Börsenkrach der Welt in die Geschichte ein.
Der Beliebtheit der Tulpe allerdings konnte dies keinen Abbruch tun. Dafür sorgten der schon damals sprichwörtliche Handelsgeist der Niederländer – und der durchlässige Sandboden zwischen Haarlem und Leiden, auf dem es der Tulpe ausserordentlich gut gefiel. Wieder wurde sie big business – jetzt als Massenprodukt: Jedes Jahr überrollen die Niederländer die Welt mit 10 Milliarden bollen. Inzwischen taucht die Tulpe als Nationalsymbol im Logo niederländischer Banken und Fluggesellschaften auf. Firmen benennen sich nach ihr, und nicht umsonst bekam Altfussballer Ruud Gullit in Italien den Beinamen „Schwarze Tulpe“. Willig liess sie alles mit sich anstellen, sei es mit gefülltem Blütenkelch oder mehrfarbig gestreift im Fransenlook.
900 verschiedene Tulpensorten gibt es inzwischen, allein dieses Jahr werden rund 20 neue Sorten auf den Markt gebracht, darunter die Papageientulpe Irene Parrot, eine Wuschelkopf-“Punktulpe” mit fransigen Rändern. Den Tulpenzüchtern ist es sogar gelungen, die Zahl ihrer Chromosomen von 24 auf 48 zu verdoppeln. Bei diesen Sorten fällt alles doppelt so stark und kräftig aus.
Allerdings müssen Tulpenfreunde immer noch 25 Jahre warten, bis eine neue Sorte in der Blumenvase steht. Allein 20 Jahre dauert es, bis sie veredelt ist und einen Namen bekommen hat. Ausserdem hat die Tulpe im Gegensatz zu den meisten anderen Blumen eine Jugendphase von bis zu 5 Jahren. Erst dann blüht sie zum ersten Mal. In den ersten 5 Jahren sieht man überhaupt nichts, da wird die Geduld der Züchter auf eine harte Probe gestellt.
Auch der Name fällt am Ende meistens anders aus als erwartet: Von zehn fallen neun weg, weil sie schon besetzt sind oder zu ähnlich klingen. Dieses Jahr ist eine Tulpe auf den Markt gekommen, die eigentlich “Alexandra of Denmark” heissen sollte, doch das ging nicht, die Alexandra war schon besetzt. Jetzt heisst sie nur noch “Denmark”- obwohl sie rot-gelb ausgefallen ist und nicht rot-weiss.
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Der Gerechtigkeit wegen sei erzaehlt, dass Globalisierung nicht nur muerrisch (siehe Teil 1), sondern auch Spass machen kann. Naemlich dann, wenn die 23jaehrige Shari Chopra aus Duesseldorf nach einer Zwischenstation in Namibia im aegyptischen El Gouna am Roten Meer das kleine Restaurant ‘Le Garage – Gourmet Burger’ eroeffnet und mir heute dort den besten Burger meines Lebens servierte. Blauschimmelkaese, Walnuesse und Weintrauben auf einem Fleisch, das offensichtlich im Hamburger-Himmel gegrillt wurde. Dabei sind Burger ueberhaupt nicht mein Ding!
Das alles nebst Salat und French Fries war jeden einzelnen Piaster der umgerechnet 11 Euro wert. Leute, fuer die Hamburger ein Statussymbol sind, finden auf der Karte ‘The Golden One’ fuer umgerechnet 40 Euro: Wagyu-Rindfleisch, Foie Gras, Carpaccio aus schwarzen Sommertrueffeln plus obendrauf essbares 22-karaetiges Blattgold. Fuer den dekadenten Gesamteindruck bietet sich der Blick an auf die Luxusjachten im Hafenbecken zehn Meter vor den Tischen. Kellner, Koeche wie Chefin des ‘Le Garage’ tragen schwarze bzw. blaue Automechaniker-Overalls.
Vom Hafen zum Ortskern fuhr ich mit einem jener original pakistanischen Busse, die in El Gouna wegen ihres schrillen Bollywood-Designs angeschafft wurden, vorbei an einer Aussenstelle der Technischen Universitaet Berlin.
Nachtrag zu den Vulkan-Gestrandeten: Gestern auf der Promenade in Hurghada eine Szene der Verzweifelung. Ein deutsches Touristenpaar fuehlt sich von den aegyptischen Souvenirverkaeufern genervt, die einen dort auf Schritt & Tritt anquatschen. Ploetzlich schreit die Frau einem von ihnen auf deutsch ins Gesicht: ‘Wir warten hier nur auf unser Flugzeug! Wir wollen NICHTS … MEHR… KAUFEN!’ Offensichtlich gibt es Orte, die findet man nur ganz nett, solange man zu jeder Zeit auch weg koennte. (Liebe Esther, vielen Dank fuer den wunderbaren Thomas-Mann-Vergleich, zu hoeren auf RBB radioeins hier ab Sekunde 37.)
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Wenn man als Tourist seinen Beirutaufenthalt zwangsweise verlängern muss, dann denkt in Deutschland gleich jeder: Da ist wieder eine Bombe hochgegangen, der Bürgerkrieg ausgebrochen oder die Israelis haben sich an der Hisbollah gerächt. Doch weit gefehlt! Meine Freunde aus Deutschland, die mich für eine Woche besuchen wollten, verbringen nun schon den vierten Tag unfreuwillig im Zedernstaat und lernen ihn besser kennen, als sie gehofft hatten.
Neue Museen werden aufgetan, im Strandclub frischen sie nun schon den zweiten Tag lang ihre Bräune auf – und natürlich genießen sie die libanesische Küche. Nur die 85jährige Mutter in Deutschland, die sehnlich auf die Rückkehr ihrer beiden Töchter wartet und sich Sorgen macht, weil Beirut ja schließlich grundsätzlich so ein gefährliches Pflaster ist, kann es nicht begreifen: Es ist der Vulkanausbruch auf Island, der an allem Schuld ist. Und einmal nicht die chaotischen Araber oder moslemischen Terroristen, wie das Vorurteil im Westen nahe legen würde. Hier geht das Leben seinen gewohnten Gang und meine lieben Freunde erfahren von den gastfreundlichen Libanesen eine besonders aufmerksame Behandlung – sind sie doch schließlich Opfer einer unverschuldeten Notlage. Und mit so was kennen sich die Libanesen aus!
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Nun, mein Junge, es heisst Globalisierung, und Globalisierung ist, wenn in Island ein Vulkan ausbricht, und ich hier in Afrika kein Hotelzimmer finde, weil massenweise Urlauber nicht in ihre Heimatlaender reisen koennen. Deren Rueckfluege wurden naemlich gestrichen.
Die Hotelbetreiber in Hurghada, wo ich heute zwangsweise eintraf, weil ich was recherchieren muss, also diese Hotelbetreiber in dieser Pauschaltouristenhoelle sagen ihren Gaesten, sie sollten nun selber sehen, wo sie bleiben, weil man den Touristen, die aus Russland jetzt ankommen, ihre gebuchten Zimmer nicht verweigern koenne. Deren Fluege wurden ja nicht gestrichen.
So fuehrt der Vulkanausbruch auf Island zu einem Touristenstau in Afrika. Und zu einer Preisexplosion bei den Zimmerpreisen, denn dieselben Hotelbetreiber haben angesichts der zwangsgestiegenen Nachfrage flugs die Raten um schaetzungsweise 30 Prozent erhoeht, gepriesen seien die Naturgewalten. Man kann also sagen, dass mein Geldbeutel in Afrika duenner wird, wenn auf Island ein Vulkan ausbricht. Das ist Globalisierung – oder besser die noch etwas unausgereifte Beta-Version davon.
Ganz zu schweigen davon, dass ich diesen Blogeintrag hier im Internetcafe nahezu blind auf einem kyrillischen Keyboard schreibe.
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Vang Vieng ist eine südostasiatische Schönheit: Steile Karstberge ragen aus grünen Reisfeldern, es mäandert der Nam Song, Kinder fischen im Fluss, Reisfelder, Bambushütten, Wasserfälle. Schwer zu übertreffen der laotische Ort (Traum eines jeden Reisejournalisten) Wären da nicht die Besucher. Vor ein paar Jahren haben die 18- bis 28jährige “Traveller” aus aller Welt Vang Vieng entdeckt und zu ihrer Nr 1 Trink- und Partyzentrale gemacht.
Attraktionen: a) drinking b) tubing c) TVing.
Seither geht Vang Vieng so: Ein Veranstalter im Ort gibt Urlaubern in Badezeug gegen Mittag (bzw. nach dem Ausnüchtern) je einen aufgeblasenen Traktorreifenschlauch und bringt sie flussaufwärts. Dort werden sie in den Nam Song geworfen um im Reifen flussabwärts zu treiben. Das nennen sie tubing; tube: engl. = Schlauch, tubing = sich im Schlauch treibend die Kante geben. Denn weil im Fluss treiben durstig macht und weil Alkohol in Laos sehr billig ist, können sich die jungen Abenteurer unterwegs in Bucket-Bars erfrischen. Dort bekommen sie für 30 000 Kip (2,60 Euro) einen Eimer Hochprozentiges. Den trinken sie per Strohhalm. Wer 2 Eimer kauft, bekommt 1 umsonst, Whisky, bei 38 Grad im Schatten, nur dass es kaum Schatten gibt.
Wenn sie im Ort ankommen sind sie folglich nicht mehr so frisch. Daher lassen sie sich auf Party Island nieder, wo die Lautsprecheranlagen von fünf Bars einander open air beschallen und erholen sich bei ein paar Drinks. Dann geht es in die TV-Bars. Von denen gibt es an den 3 Haupt- und 2 Nebenstraßen etwa 50 bis 60 (nicht übertrieben): luftige Kneipen, in denen in Meditationspolster gelehnt alle Besucher tagein tagaus in die gleiche Richtung starren: auf einen der Fernseher (4 bis 5 pro Bar). Die zeigen in Endlosschleife Friends (Folgen einer amerikanische Vorabendserie mit Lachern aus der Dose). Besonders kecke Bars zeigen Zeichentrickserien, aber meist läuft Friends. Dazu trinken die verwegenen Weltentdecker Beerlao (0,65 Liter für 1 Euro), teilen noch ein paar buckets Whiskey und essen “happy” Pizzen.
Dann gehen sie ins Hostel. Und am nächsten Tag gleich in die TV-Bar, weil tubing waren sie ja nun schon. Nein, stopp, zwischendurch springen sie noch kurz ins Internetcafe und teilen ihren Facebookfriends mit, was sie so ‘erleben’, wichtig, dass alle Bescheid wissen. Oder sie skypen, weil sie leider (Beerlao) keine Fotos mehr hochladen können.
Dieses Gespräch einer jungen Irin durfte ich mitverfolgen (sie schrie so laut in den Schirm, dass schwer war diskret wegzuhören):
– “yea, so cool, so cheap – been tubing too”
– (Frage am anderen Ende)
– Not sure, called Vaengving or something like that.
– (Frage aus Dublin)
– Not sure, Asia somewhere. (Frage an den Computernachbarn): Hey, Sean, what’s this place called?
– (wieder in den Skype Schirm) Right, it’s called Laos, cool place, really, near Thailand, you better come over.
Am nächsten Tag bin ich weiter nach Norden gefahren. Der Rest von Laos ist nämlich weitgehend tubingfrei (schon dank der Dürre und der chinesischen Staudämme), und wirklich interressant, auch schön. Die Einheimischen in Vang Vieng allerdings taten mir noch länger leid. Sicher machen sie Geld, aber um welchen Preis? Und Tourismus war mir mal wieder peinlich. Aber wahrscheinlich werde ich nur alt und humorlos. Obwohl: Ich bin auch mit 21 nicht 9000 Kilometer geflogen und sehr lange Bus gefahren, nur um mich dann am Ziel vor einer amerikanischen Fersehserie mit billigem Bier zu betrinken. Glaube ich jedenfalls.
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Es geschieht schnell. Ich meine, das mit dem Blogschreiben. Oder mit dem Nicht-Schreiben des Blogs. Den ganzen Monat tickt es im Hinterkopf „Am 1. des Monats bist du dran“ und „mach was Witziges“ und „Achtung! Bald ist es so weit“. Und dann ist, oh Wunder, wieder das Ende des Monats da und die ultimative Meldung im Hirn heißt: „Scheiße, du hast es vergessen“. Dann bricht Panik aus, die Finger fliegen auf der Tastatur und es ist gerade noch geschafft. Und warum das menschliche Wesen (in diesem Falle ich) alles in letzter Sekunde erledigen muss, das wird mir in diesem Leben ein Rätsel bleiben.
In diesem Monat haben alle Warnsysteme versagt. Blogschreiben? Schlicht vergessen. Und wenn nicht Ruth aus Tel Aviv per E-Mail gemahnt hätte („Wo bleiben die Blogschreiber?“) hätte ich weiterhin sorglos die Ostertage mit meinen Freunden verlebt. Die aus allen Himmelsrichtungen nach Belgrad eingeschwebt sind.
Da war zuerst Bora Sajtinac aus Paris. Der geniale Zeichner, der jahrelang für DIE ZEIT und den STERN die deutsche Gegenwart beobachtet hat, bekam in Belgrad den Preis für sein Lebenswerk. Als wir über gestern und heute in einem Stadtcafé redeten, knipste ein Pressefotograf Boras verkehrte Welt: wir zwei Hübschen sind im Deckenspiegel zu sehen.
Dann kamen Emilija, Mirjana und Aaron und all die Tage haben wir viel gegessen, viel geredet, nett getrunken und Fotos vor der Kathedrale gemacht.
Meine Gäste waren genau das, was Belgrad suchte: Kurzreisende, die schön Geld in der Stadt lassen. Nur: als sie Belgrad von der Donau aus begucken wollten, immerhin 20 Euro pro Person hätten sie bezahlt, hieß es: Sorry, die Saison beginnt erst in einer Woche.
Wie clever. Dann sind alle Touristen weg.
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Normalerweise hätte ich an den Gedanken keine Sekunde verschwendet. Zumal das Angebot wohl auch nicht so ganz ernst gemeint war. Oder auf jeden Fall nicht selbstlos. Doch wenn man nach fast einem Jahr des Neuanfangs immer noch nicht viel mehr als zwei Dutzend Absagen und nicht eingelöste Versprechen in den Händen hält, könnte man glatt schwach werden. An Schönheit würde der potentielle Arbeitsplatz Berlin jedenfalls an nichts nachstehen, im Gegenteil. Bainbridge ist eine ruhige, grüne Insel vor den Toren Seattles, die Fähre über den Pudget Sound braucht gerade einmal 30 Minuten. Und wer so wohnt wie meine Schwiegereltern, der hat des Abends eine atemraubende Aussicht auf die Skyline der größten Stadt in Washington State (siehe Video für einen Blick aus dem Wohnzimmerfenster bei Dämmerung).
Die Arbeit selbst klang auch nicht allzu abstoßend. „In Uniform siehst Du bestimmt hinreißend aus“, flötete meine Schwiegermutter, die gerade zu Besuch ist, um Baby No. 2 endlich in die Arme zu schließen. „Der Aufenthaltsraum hat Kabelfernsehen – und das wirst Du auch brauchen“, sagte ihr Mann Bob mit einem schrägen Grinsen. Nix los sei schließlich auf der Insel, die vorwiegend von gesitteten Mittelständlern und betuchten Pensionären bewohnt wird. Ihm, der über 30 Jahre lang Verbrecher in den übelsten Gegenden Los Angeles´ jagte, wäre das viel zu langweilig. Aber den Mann seiner Tochter und Vater seiner Enkelkinder würde er natürlich nie einer echten Gefahr aussetzen. Also schwärmte Bob weiter: Ich könnte mich als Hundeführer ausbilden lassen. Oder als Fahrradpolizisten. Außerdem habe die Station gerade ein niegelnagelneues Boot bekommen, mit dem die Polizisten munter durch den Sound düsten: „Die Motoren voll aufgedreht.“
Wirklich hellhörig aber wurde ich, als meine lieben Schwiegereltern mit den nackten Zahlen rausrückten. Mit 75.000 Dollar Gehalt dürfte ich rechnen während der ersten fünf Monate auf der Polizeiakademie. Danach stiege es auf 85.000 Dollar und wenig später auf 100.000. Für meine Sprachkenntnisse gäbe es 5 Prozent obendrauf – und Überstunden zählen eh extra, wer will schon länger als von 8 bis 17 Uhr arbeiten. Nach 20 Jahren hätte ich Anspruch auf 40 Prozent meines Gehaltes als Rente, nach 25 immerhin auf 70. Selbst meinen Einwand, so alte Knacker wie mich (43) würden sie kaum noch nehmen, wiegelten beide im Chor ab: Vor nicht allzu langer Zeit sei jemand eingestellt worden, der genauso alt gewesen sei. No problem. Außerdem würden sie eh die richtigen Leute kennen. Connections, you know…
Meine Frau hörte sich unsere Konversation schweigend an und lächelte gequält. Sie kennt mich zu gut, um nicht zu merken, dass ich echtes Interesse an den Tag legte. Doch weder die Vorstellung, dass ich künftig als Polizist eine Zielscheibe für durchgeknallte amerikanische Waffenträger abgeben könnte behagte ihr, noch die langsam wachsende Hoffnung ihrer Eltern, die Familie bald ganz nahe bei sich zu haben. Also setzte ich dem Spuk mit einem übertriebenen Lachen ob der absurd paradiesischen Aussichten ein Ende und ging zurück an die Arbeit. Die dritte Fassung eines Interviews redigieren, an dem ich schon zwei Tage saß und das am Ende satte 100 Euro einbringen sollte. Vor Steuern und Rentenversicherung, versteht sich.
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Wir waren auf Abenteuer aus und wollten uns nach tagelanger Schreibtischarbeit noch mal so richtig austoben. Kein besserer Ort als das tief zerklüftete Kadisha-Tal im Norden des Libanon, wo einem die steilen Abstiege fast ebenso viel abverlangen wie die fast senkrechten Aufstiege. Dank sei dem Erfinder der Teleskopstöcke ohne die das – zumindest für mich – kaum zu
schaffen gewesen wäre. Im Talgrund rauschen kleine Gebirgsflüsse und an den teils felsigen, teils bewachsenen Steilhängen befinden sich so viele Höhlen und Klöster wie sonst nirgends in diesem Land.
„Kadisha“ kommt aus dem Aramäischen und heißt heilig. Heilig ist das Hochtal vor allem den Maroniten. Denn die haben hier, unterhalb der ehemaligen Zedernwälder, von denen jetzt nur noch eine Art Zedern-Disney-Park übrig ist, seit dem Ende des 7. Jahrhunderts Zuflucht gesucht. Noch heute bestehen hier wichtige Klöster: Das Kannubin-Kloster wurde im 15. Jahrhundert für 500 Jahre Sitz des maronitischen Patriarchen, der immer noch die Politik im Zedernstaat mitbestimmt. Das Sankt Antonius-Kloster schmückt sich unter anderem damit, die älteste Druckerpresse im Nahen Osten aus dem 16. Jahrhundert zu beherbergen.
Ausgestattet mit genügend Wasser und Proviant für ein ausgedehntes Picknick zogen wir frühmorgens zu unserer sechsstündigen Wanderung los. Georges, ein Sportlehrer und Wanderführer aus einem kleinen Bergdorf in der Nähe, zeigt uns den Weg, teils auf erkennbaren Pfaden, teils aber auch über Geröll oder quer durch die Büsche. Denn das ist eines der Charakteristika des Lebanon Mountain Trail, einem Höhenwanderweg vom äußersten Norden bis in den Süden des Libanon, dessen 7. Etappe wir vor uns hatten: Man muss die Wege schon kennen, sonst ist man verloren. Irgendwie wollen die lokalen Ortkundigen schließlich ihr Geld verdienen. Insofern hat man vom Ausbau der Wanderwege beziehungsweise ihrer genauen Markierung weitgehend Abstand genommen.
Die Bäche murmeln viel versprechend, ein leichter Wind rauscht durch die Bäume, Vögel zwitschern, auf dem Waldboden und in den Wiesen blühen wilde Annemonen, Veilchen und Kamillenblumen. Purer Genuss! Vor allem wenn man aus dem lauten und hektischen Beirut kommt. Die zahlreichen Mönche und Nonnen, die sich hier niedergelassen haben, haben eine gute Wahl getroffen. Daneben gibt es allerdings noch ein paar andere heilige Männer, die man in Europa eher selten antrifft: Eremiten.
Nach einem besonders steilen Anstieg treten wir durch ein eisernes Tor. Dahinter befinden sich auf dem Steilhang abgetrotzten Erdterrassen ein paar Obstbäume sowie Tomaten und Kartoffelpflanzen. Nur ein paar in den Fels gehauene Stufen trennen uns nun von der winzigen Wohnstätte des kolumbianischen Einsiedlers Paolo Escobar. An seiner Tür steht auf Arabisch: Bitte nicht stören, ich meditiere. Also treten wir durch ein knarrendes Tor in eine kleine Kapelle. Dass es hier nach Weihrauch riecht, hätte ich fast erwartet. Aber dass mir hier warme Heizungsluft entgegenschlägt, das hat mich dann doch überrascht.
Nun darf man natürlich fragen, warum sollte sich ein Eremit im Winter die Finger abfrieren, ist ja auch nur ein Mensch. Aber diese beiden elektrischen Heizkörper an jedem Ende der Kapelle haben mich doch verdutzt. In einer Ecke, nahe der Heizung versteht sich, steht Escobars Schreibtisch mit diversen Leselampen, zahlreichen Büchern und Notizblöcken. Hier studiert er also. Böse Zungen behaupten sogar, der 75jährige Kolumbianer habe in seiner Bleibe einen Laptop versteckt, von dem aus er ein kleines Drogenimperium leite. Aber das glaube ich nicht.
Der freundliche Mann in brauner Kutte, dessen langer Bart zittert, wenn er redet, schüttelt uns wenig später draußen die Hände und heißt uns willkommen. „Für mich ist dies das Paradies“, sagt er mit einem schelmischen Lächeln. Er sei hierher gekommen, um in Stille zu arbeiten und Gott nahe zu sein. „Normalerweise rede ich mit niemandem, aber heute mache ich eine Ausnahme.“ Wie oft er diese Ausnahme macht, möchte ich nicht wissen. Aber lieber ein freundlicher Eremit als ein verknöcherter. Angesichts der Tatsache, dass er da oben in den Bergen Strom und eine gut beheizte Höhle mit einer traumhaften Aussicht hat, könnte ich mir sogar einen (sehr) befristeten Wohnungstausch vorstellen. Bei den Büchern hätte ich wahrscheinlich andere Präferenzen. Aber ich habe mich nicht getraut, ihm das vorzuschlagen.
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„Grill und Schlemmerbuffet am Rosenthaler Platz“ ist nicht gerade ein Name für einen Ort, der romantisch-nostalgische Gedanken auslöst. Ein Imbiss halt, wie es ihn in Berlin zu hunderten gibt, ein bisschen größer als der Durchschnitt und ein wenig besser eingerichtet. Trotzdem löste der Verzehr eines Şiş Dürüm, einer Teigrolle gefüllt mit Salat und Kalbsfleisch, in meinem Kopf vor kurzem ein Feuerwerk der Erinnerungen aus. Vielleicht lag es an der perfekten Mischung von Soße und Salat, vielleicht an der überraschend liebevoll gegrillten Tomate, der scharfen grünen Paprika oder dem auf den Punkt gegarten Fleisch. Was da meine Geschmacksnerven kitzelte, erinnerte mich an meine Vorliebe für türkisches Essen, wie ich es in Berlin schätzen gelernt und in New York vermisst hatte. Was wiederum unweigerlich die Worte „spicy lamb burger“ auslöste und den Gedanken an „Chez Oskar“, eines meiner Lieblingsrestaurants in Fort Greene, einem Stadtteil in Brooklyn, in dem ich lebte, solange es mir die steigenden Mietpreise erlaubten.
„Spicy lamb burger“, das bedeutet auch ausgiebigen Brunch mit Freunden in der am Vormittag noch angenehmen New Yorker Sonne. Ein Luxus aus dem Leben vor der Geburt unseres ersten Sohnes. Was wiederum Erinnerungen an die Zeit wachruft, als wir noch nur wegen der „eggs benedict“ bei „Petite Abeille“ mit dem C-Train von Brooklyn nach Manhattan fuhren. Für die Eier, die eingelegten Tomaten und den Rüben-Kartoffelmix in Kombination mit einem kleinen Salat war uns kein Weg zu weit am Sonntag morgen. Entsprechend treu zogen wir den Belgiern hinterher, vom Meat Packing District in die 18th Street und von dort weiter in die 17th Street. Selbst für die kleine Spontanfeier nach unserer unglamourösen Hochzeit in der New Yorker City Hall fanden wir uns bei „Petite Abeille“ wieder.
Unvergessen auch ein Fondue-Abend im leider längst geschlossenen „A Table“ in Fort Greene. Ein paar zauberhafte Stunden an einem verschneiten Februarabend, die eine noch junge Liebe wachsen ließ. Nicht zum Fondue natürlich, sondern zu meiner heutigen Frau. Auf ewig eingebrannt haben sich auch die Tostadas (einer mit Schweinefleisch, einer mit Huhn), die es in dem winzigen mexikanischen Restaurant „Pequeña“ in Fort Greene gibt und die den Vergleich mit ihren Konkurrenten an der amerikanischen Westküste nicht zu scheuen brauchen, wie meine aus LA stammende Frau bis heute beteuert. Genauso schwört sie, dass unser Sohn Carlos deshalb so schlau ist, weil sie in der Schwangerschaft einen schier unstillbaren Heißhunger auf „fish tacos“ (Omega 3!) entwickelte, nur von „Pequeña“ natürlich…
Gerüche und Geschmäcker dienen eben als exzellente Erinnerungsverstärker. Fragt sich allerdings, was meine Frau einmal aus Berlin mitnehmen wird. Ihr erstes kulinarisches Erlebnis ging ziemlich daneben. Auf mein Drängen hin, sie müsse unbedingt einmal eine gute Currywurst probieren, erlitt sie einen Schock. Statt ein bisschen Wurst in einem vor Gemüse strotzenden asiatischen Curry vorzufinden, schwammen die Fleischstücke in diesem Ketschup-Haufen. Kurz danach wurde sie wieder zu einer mäßig-militanten Vegetarierin. Folglich wird sie leider nie mit mir diese Erinnerung teilen können an ein simples Şiş Dürüm am Rosenthaler Platz.
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Alle Jahre wieder rege ich mich auf, wenn in Indonesien nichts mehr läuft, sobald die Regenzeit einsetzt: Straßen sind gesperrt, Flughäfen außer Betrieb und keiner auf das allzu vorhersehbare Chaos vorbereitet. Dabei vergesse ich viel zu schnell, dass es in Deutschland kaum anders aussieht: Alle Jahre wieder bricht der gesamte Nah- und Fernverkehr zusammen, wenn der erste Schnee fällt – so als sei Schnellfall im Winter etwas absolut Unvorhersehbares. Wenn ich dann auf dem Weg zum Weihnachtsfest am Frankfurter Flughafen von mehreren hundert ausgefallenen Flügen in den letzten Tagen höre oder mal wieder in einem total verspäteten Zug der Deutschen Bahn sitze (Begründung: schlechte Witterungsverhältnisse), kann ich mich ganz beruhigt zurücklehnen, denn: Ich fühle mich ganz wie zu Hause, egal ob hier oder da.
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Nicht aber, wenn sie auf Reisen geht. Plötzlich schlagen die vereinigten Bürokraten aller Länder zu, sie existiert in Akten und Computern nur noch als „Haustier, hier Katze“. Falls sie die Mauern der Europäischen Union übersprungen hat, unterliegt sie ab sofort den „Einreisebestimmungen für Hunde und Katzen“. Falls sie aus der EU ins andere Ausland will, wird sie dort womöglich als „Ausländerin“ behandelt.
Trotzdem entscheide ich: Puderquaste und Maseltov sollen Hamburg verlassen und mit mir in Belgrad leben. Der Katzenumzug steht an.
Recherche in Belgrad: eineTollwut-Impfung, ein Katzenpass, eine ärztliche Beurteilung vor der Reise – da ist alles was eine Katze braucht, wenn sie nach Belgrad kommen will.
Der Veterinär in Hamburg kooperiert: „Impfen können wir“, sagt er, „prüfen Sie aber, wer die Gesundheitsbescheinigung unterschreibt, der Amtsarzt oder wir.“ Es ist der Amtsarzt.
Die Impfung wird kaum bemerkt, die Spritze sitzt. Nun sollen Beruhigungspillen zur Probe geschluckt werden, um zu sehen wie sie wirken. Sie helfen der gestressten Katzenseele die Reise gut zu überstehen. Leichter gesagt als getan: die Pillen werden verschmäht. Also, Goulaschfleisch gekauft, Pillen darin versteckt, meine süßeste Stimme hallt durch die Wohnung. Puderquaste, die Bunte, schluckt alles. Zehn Minuten später spuckt sie alles heraus. Maseltov, die Schwarze, riecht die Falle, rührt nichts an. Die Verlockung und die Operation Pille – fehlgeschlagen.
Der nächste Versuch ist eine Beruhigungsspritze. Die Nachbarn helfen, wir überrumpeln die scheuen Tiere, die Spritze sitzt schon wieder, aber niemand aus der Katzenwelt ist in dieser Wohnung benommen. Dafür haben sie gut gekratzt. Was tun? „Doppelte Dosis“, rät der Tierarzt.
In der Zwischenzeit telefoniere ich mit dem Amtsarzt: „Es sind zwei Katzen, die sollen nach Belgrad…“ „Wenn Sie nach Rumänien wollen….“ „Nein, ich will nicht nach Rumänien, ich will nach Serbien“. „Ja, liegt Belgrad nicht in Rumänien?“ „Nein, Belgrad liegt in Serbien, Bukarest ist die Hauptstadt von Rumänien.“ „Von mir aus, sie müssen trotzdem den blauen Heimtierpass haben und sie müssen gechipt werden“.
Nein, Herr Amtsarzt, sie müssen gar nichts. Denn, in Belgrad herrscht Balkan, und dort kennt jeder jeden und der Freund eines Freundes kennt einen Freund und der ist zufällig Amtsarzt am Flughafen. Also, die Viecher werden nicht gechipt. Dem deutschen Amtsarzt ist es am Ende egal, er kommt vorbei, beguckt kurz die in der Badewanne versteckten Damen, schreibt vier andersfarbige Formulare aus, stempelt sie ab, nimmt 10 Euro und geht.
Puderquaste und Maseltov bekommen eine fette Ladung Beruhigungsspritzen und kurz vor dem Abflug ist alles ruhig. Zwei lallende Katzen, selig umschlungen, liegen im engen Käfig.
Die Hiobsbotschaft aus Belgrad kommt eine Stunde vor dem Abflug: „Versuch schnell durch den Zoll zu kommen“, sagt Milena, „denn normalerweise bekommen die Katzen eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis, die man am Flughafen ausstellt. Die musst du dann bei der Ausländerpolizei verlängern. Vielleicht schaffst du es ohne.“ Na, ob da der Freund eines Freundes helfen kann?
Aber auch der Hamburger Zollbeamte will was. Der Käfig soll „geröntgt“ werden, die Katzen sollen vorher raus, wegen der Verstrahlung. Das aber geht nicht. Einmal draußen, da finde ich sie nie wieder, trotz Valiumspritze. Gut, sagt er, und so wird der Käfig samt Katzen mit sämtlichen Geräten gründlich durchleuchtet.
Keine Drogen, keine Waffen, nur zwei Angstkatzen gucken den großen Mann an.
Zwei Stunden später landen wir in Belgrad. Die Süßen haben am Sitz neben mir den ersten Flug ihres Lebens verschlafen. Mein Pashmina-Schal verdeckt den Käfig, die Passkontrolle will meine gelben Katzenpässe gar nicht sehen, von Zollbeamten keine Spur. Ich und die Katzen sind fast draußen, da zeigt sich ein junges Mädchen, mit Zollmützchen auf dem Kopf und sagt „Sind die aber süüüüsss“.
Ich atme tief durch, die Katzenodyssee ist zu Ende. Sie sind nicht gechipt worden, sie haben die Spritze und die Pille gut vertragen, sie leben. Maseltov und Puderquaste sind nicht zu Ausländerinnen deklariert worden, müssen nicht zur Ausländerpolizei. Jetzt dürfen sie mit mir bei sommerlichen 40 Grad in Belgrad schwitzen und im Winter, gut gerollt auf der Kommode vom hohen Norden träumen.
PS.Oder bei YOUTUBE gucken, was andere Katzen so machen.
http://www.youtube.com/simonscat?gl=DE&hl=de#p/u/3/s13dLaTIHSg
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Gestern Nachmittag stand unser Nachbar vor der Tür. Nicht dass das ungewöhnlich wäre, aber gestern kam Pak Marjo mit seinem Sohn, im besten Sonntagsstaat herausgeputzt. Er hielt mir eine Tüte mit Mangos hin: „Eigene Ernte“, sagte er schon fast entschuldigend. Es war klar, dass Marjo um einen Gefallen bitten wollte.
Mein erster Gedanke war, dass jemand in seiner Familie krank geworden war und er um Geld bitten will. Da kaum ein Indonesier auch nur irgendeine Versicherung besitzt, legt oft die ganze Nachbarschaft zusammen, wenn jemand bei schwerer Krankheit oder nach einem Unfall die Behandlungskosten nicht allein bezahlen kann.
Doch diesmal lag ich daneben. Pak Marjo hatte eine ganz andere Bitte: Sein Sohn brauchte Hilfe bei einer Hausaufgabe im Englischunterricht. Kein Problem, dachte ich. Einem Neuntklässler werde ich sicherlich noch helfen können. Es ging allerdings nicht um eine Übersetzung oder ein Grammatikproblem. Auch nicht darum, die Aussprache zu üben. Nein: Die Hausaufgabe bestand darin, sich mit einem westlichen Ausländer fotografieren zu lassen. Sozusagen als Beweis dafür, dass man sich getraut hat, jemand auf Englisch anzusprechen.
Nun würden sich weder der höfliche Pak Marjo noch sein schüchterner Sohn jemals wagen, einen fremden Ausländer auf der Straße anzusprechen. Ganz davon abgesehen besitzt die Familie gar keine Kamera. Dennoch hängt die Englischnote des Jungen von dieser dämlichen Aufgabe ab.
Leider spiegelt dies ein generelles Phänomen im indonesischen Englischunterricht wieder. Anstatt eine Sprache zu vermitteln, die viele Lehrer selbst kaum beherrschen, lassen sie die Schüler Texte auswendig lernen und überlassen es ihnen dann selbst, „Konversation“ zu üben.
Westliche Ausländer, die schon einmal einschlägige Touristenattraktionen in Indonesien besucht haben, können ein Lied davon singen: Am berühmten Borobudur-Tempel in Zentraljava zum Beispiel werden täglich mehrere Schulklassen mit Bussen herangekarrt, die sich mit einem Fragebogen und Handykamera auf jede Weißnase stürzen, die sich die steilen Treppen des pyramidenförmigen Monuments hoch quält.
In der Regel sage ich bei solchen Gelegenheiten auf Indonesisch, dass ich aus Deutschland komme und man dort kein Englisch spricht. Das endet meist in Verwirrung und hilft fast immer. Pak Marjo und seinem Sohn konnte ich das aber schlecht erzählen. Also habe ich mich meiner eigenen Kamera mit dem Jungen fotografieren lassen. Mit dem Foto will ich ihm einen Brief an seinen Englischlehrer mitgeben. Darin werde ich ihm anbieten, eine Konversationsstunde mit seiner Klasse zu machen, wenn er seine Schüler dafür nie wieder losschickt, um sich mit Ausländern fotografieren zu lassen.
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Wer kennt das nicht? Die KraWatte sitzt falsch, der Anzug ist zu warm, das Aufnahmegerät fällt aus. Schreckminuten in einem Interview. Je schlimmer, desto wichtiger der Gesprächspartner. Eine Toleranzbreite allerdings gibt es immer. Doch ohne Krawatte geht’s nun einfach nicht, wenn man als männlicher Vertreter des Gewerbes zu Friedenszeiten ein Interview mit der Macht anpeilt. In Polen half mir einmal der Fotograf mit seiner Zweitkrawatte aus der Patsche. Und die Sache blieb unter uns. Die Geschichte von Gennadis Jackett aber wird die abchasische Politszene wohl bis zum Präsidentschaftswahlkampf im Dezember beschäftigen.
Dabei begann alles ganz harmlos mit einem Hintergrundgespräch in einem verrauchten Cafe von Suchum (vor der einseitigen Unabhängigkeitserklärung von 1999 eher unter dem georgischen Namen Suchumi bekannt), der Hauptstadt Abchasiens (http://www.therepublicofabkhazia.org/). Ich traf dort einem der wichtigsten Oppositionspolitiker des ausser von Russland, Nicaragua und Venezuela von niemandem anerkannten Zwergstaates. Gennadi Alamia (http://abkhasia.kavkaz-uzel.ru/articles/82870) heisst der Mann, wie so viele Politiker in Abchasien eigentlich ein Dichter von Beruf. Alamia sitzt mir im schwarzen Anzug und weissem Hemd – aber ohne Krawatte – gegenüber, ich ihm in Jeans, T-Shirt und Reporterjacke. Einzig von der Statur her ähneln wir uns.
Als ich ihm zum Abschluss einer heftigen geopolitischen Diskussion erzähle, dass ich am nächsten Tag den Staatspräsidenten, Sergej Bagapsch (http://www.abkhaziagov.org), interviewe, beginnt der Intellektuelle sich auszuziehen. Zuerst das Handy, dann die schmale Brieftasche und schliesslich das ganze fein gewobene Jackett. „Hier nimm dieses und gibs mir bei Gelegenheit wieder zurück“, sagt Alamia, den ich gerade das erste Mal getroffen habe.
Das Präsidenten-Interview in den Kleidern seines schärfsten Kritikers lief übrigens hervorragend. Und tags darauf kannte schon halb Suchum die Geschichte von Gennadis Jackett im Präsidentenpalast. Wären wir Diplomaten statt Journalisten, wer würde solch hilfsbereiten Menschen das Recht auf Selbstbestimmung absprechen?
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Ich verbringe gerade mal wieder deutlich mehr Zeit auf Flughäfen und Bahnhöfen, als mir lieb ist. Irgendwann fand ich das ja mal spannend, dieses Rumgondeln zwischen den Welten. Inzwischen gilt: Augen zu und durch bzw. Augen auf und Laptop auf die Knie.
Daraus wurde diesmal nix. Emirates-Flug von Dubai nach London: Babygeschrei überall, hysterische Mütter – und ein herrenloser Koffer an Bord, der wieder rausgeräumt werden muss. Noch während des Steigflugs übergibt sich das nette kleine Kerlchen vom Schoß nebenan und tränkt meine Jeans mit angewärmter Milch. Sowas nimmt man als Frau im gebärfähigen Alter ja noch mit Fassung… Schwieriger wird es schon, als ich nach der Landung meine Laptoptasche aus dem Gepäckfach nehme, die sich mit Wasser aus der geplatzten Flasche des japanischen Geschäftsmanns von schräg gegenüber vollgesaugt hat. Well, auf zur Passkontrolle! – einer fensterlosen Halle, in der sich ein paar hundert Passagiere aus aller Welt im Laufe von ein, zwei Stunden mit Zähnen, Klauen und quengelnden Kindern an der Hand irgendwie an drei Schalter vorkämpfen und dabei besorgte Blicke auf die überall angebrachten Schweinegrippewarnungen werfen. (Es gibt noch andere und wahrscheinlich relevantere Plakate: Die warnen vor gewalttätigen Übergriffen auf die britischen Beamten…)
Einen Tag später dann auf dem Weg zum Billigflieger nach London Stansted. Am Bahnhof stellt sich heraus: Die Zugverbindung zum Flughafen ist unterbrochen, eine irgendwie koordinierte Alternative gibt es nicht. Am Check-In von AirBerlin angekommen darf ich für knapp zwei (!) Kg zu viel Übergepäck zahlen, dann bei der Sicherheitskontrolle noch brav die Schuhe ausziehen und mein Gepäck nach den ewig verdächtigen Mikrophonen durchwühlen lassen. Fünf Minuten vor Abflug habe ich nach einem beherzten Spurt zum Gate meine Bordkarte in der Hand.
Ein Wink mit dem Zaunpfahl, denke ich, die Götter wollen mich nicht da oben. Und Zugfahren ist ja auch viel umweltfreundlicher. Also buche ich für den Rückweg von Dresden nach London das “London-Special” der Deutschen Bahn. Bis Berlin läuft alles ganz wunderbar. Doch dort steht statt des ICE ein ausrangierter Interregio auf dem Bahnsteig, der trotz größter Anstrengungen pro Stunde eine Viertelstunde Verspätung einfährt. Dazu ein ungeplanter Zugwechsel in Hamm, und schwupps: Ab Köln sind alle Anschlusszüge weg. Mit zwei Stunden Verspätung sitze ich endlich, endlich im leise durch die Nacht schnurrenden Eurostar von Brüssel nach London. Aufatmen. Bis sich plötzlich draußen nichts mehr bewegt. Wir hätten gerade in Ashford unplanmäßig gehalten, verkündet die Zugchefin. Sie wisse auch nicht, warum. Kurz darauf wird klar: Im Londoner Bahnhof St. Pancras ist der Strom weg – und das kann dauern. Tief in der Nacht erreiche ich (stehend und in eher zombiehaftem Zustand) in einem Vorortszug London. Und bin, was künftige Reiseplanungen angeht, mit meinem Latein am Ende. Scotty, beam me up…!!
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Pakistan hat ja ein schlechtes Image. Terroristen, Taliban und so. Dabei steht der üble Leumund im seltsamen Kontrast zu dem was die meisten Leute denken, die das Land kennen. Weibliche Korrespondenten in Delhi schwärmen sehr zum Ärger der indischen Freunde regelmäßig von der Höflichkeit der pakistanischen Männer, männliche Besucher schätzen die gute Luft in Islamabad und die fleischreiche Küche. Selbst die Mullahs sind gar nicht so übel.
Aber seit gestern weiß ich wie es zu diesem Kontrast kommt. Ich will gar nicht den Medien die Schuld geben. Als ich mich von meinem Guesthouse in Islamabad auf den Weg zum “Jinnah Super Market” – einer Art offener Shopping Mall – machte, um mir eine neue Telefonkarte zu kaufen und etwas essen zu gehen, hörte ich auf einmal Geschrei. Als ich mich dem Ort des Geschehen näherte sah ich auch schon einen Haufen Männer, der Parolen skandierte und die vierspurige Straße mit Barrikaden blockiert hatte. “Sieht nach Ärger aus”, dachte ich und fürchtete bereits auf Telefonate und Abendessen verzichten zu müssen.
Doch dann fiel mein Blick auf einen Verkehrspolizisten, der seine Hauptaufgabe offenbar darin sah den herannahenden Autofahrern zu erklären, dass sie wieder umdrehen müssten. “Sie sehen ja”, so konnte man seine ausladende Handbewegung auf die brennenden Barrikaden deuten, “es geht hier nicht weiter”. Dass da Demonstranten gegen die Straßenverkehrsordnung verstießen und vermutlich auch gegen das Demonstrationsrecht und die Umweltschutzverordnung, indem sie unermüdlich neue Äste von den Bäumen rissen und diese anzündeten, schien ihn nicht weiter zu stören.
“Ist ja lässig dieser pakistanische Ordnungshüter”, dachte ich mir, “dann kann es ja wohl nicht so schlimm sein” und überquerte die Straße. Der Besitzer des Telefonkarten-Ladens versicherte mir, dass die Demo ganz harmlos sei. Der Manager des Bazaars sei aus unbekannten Gründen ins Gefängnis gekommen und die Ladenbesitzer solidarisierten sich mit einem Streik.
Streik? Nachdem ich eine Telefonkarte gekauft hatte ging ich in mein Lieblingsgeschäft, in dem ich mich immer mit gefakten DVDs eindecke. Ich kaufte zehn Stück für umgerechnet zehn Euro. Der Einkauf dauerte etwas länger, weil der Besitzer zwischendurch immer wieder das Licht abschaltete, damit man von außen nicht sehen konnte dass sein Laden voller Kunden war.
Merke: In Pakistan wird nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird. Aber darüber schreibt ja nie einer.
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Gerade ist die Sonne aufgegangen, hinter einer sehr weiten Steppe: Eukalyptus, Sand, Schafe. Himmel: Pink, Rosé und Orange vor Babyblau. Ich liege im Indian Pacific, einem Überlandzug, der Pazifik mit Indischem Ozean verbindet (sic!) und fahre von Ost nach West. Wie spät es ist? Keine Ahnung. Seit mehr als zwei Tagen habe ich keinerlei Schimmer, was die Stunde schlägt, und das liegt nicht an übermäßigem Weinprobieren in Barossa, McLaren und Clare Valley, in den letzten Tagen. Es liegt an Australiens Zeitzonen.
Normalerweise gibt es derer drei bis vier, dieses Land hat eben viele Längengrade, damit kann ich umgehen. Doch im Moment gibt es weit mehr als die. Ich tippe fünf bis sechs. Vielleicht mehr. Sicher bin ich nicht. Australien hat zwar kaum mehr Einwohner als eine brasilianische Großstadt, aber die leben in acht Bundesstaaten. Mit ausgeprägtem Staatenstolz. Daher können sie sich weder einigen, ob sie nun alle Sommer- und Winterzeit haben wollen oder nicht. Noch sind sie einer Meinung, wenn sie denn “daylight saven” wollen, wann sie das am besten tun sollten. Letztes Märzwochenende, hau ruck drehen wir alle zusammen am Zeiger? Wie andere Kontinente auch?
Pah. Zu einfach. Südaustralien dreht halbes Stündchen weiter und eine Woche später (oder zwei, wenn gerade ein wichtiges Radrennen ist). Was in Queensland läuft, weiß keiner so genau, weil sie da oben noch immer “Versuchsphasen” haben. Und in Westaustralien ist es eh ständig früher als irgendwo sonst. Und ich sitze in dieser Eisenbahn, und Damien, der wirklich herzensgute Zugbegleiter, klärt mich auf: “Breakfast is at 7.30”. – “Traintime” natürlich. Die ändert sich weitgehend unabhängig vom Überschreiten der Staatsgrenzen. Sie tickt nach Verfügbarkeit des Kochs und der Logistik des Reisefortschritts. Mein Handy piepst, Digitalziffern blinken: 12.30. “check your clock – Sie sind in eine neue Zeitzone gereist. Wollen sie die Uhr anpassen?” fragt mich Nokia zum xten Mal hämisch. Traintime ist sieben. Die am Fenster vorbeifliegende Bahnhofsuhr von Northam zeigt 8.30 Uhr. Ich gebe auf. Dem glücklich Reisenden schlägt bekanntlich keine Stunde.
Mein nächster Termin ist morgen um 8 Uhr früh, in Fremantle. Bis dahin hab ich mich eingependelt. Hoffe ich.
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Endlich. Heute abend ist es soweit: “Australia” (The Movie) feiert Weltpremiere in Sydneys George Street. Mit rotem Teppich, Nicole, Hugh, gesperrter Innenstadt etc. Die (wenn’s gut geht) breiteren Massen werden das 150 Millionen Dollar teure Werk erst nächste Woche sehen, der europäische Rest der Welt zu Weihnachten. Aber wir hier unten wenigstens, haben den Hype dann hinter uns, hopefully. Denn dieser arme Film muss Unglaubliches leisten, auf jeden Fall wenn man hiesigen Medien folgt, die seit Wochen über kaum anderes mehr berichten (ok, für Obama gab's eine kurze Unterbrechung). Wird der Film fertig? Stirbt Hugh am Ende? Wird der Film nicht fertig? Mag Oprah Winfrey ihn? (Antwort: ja) – es ist wie im Film… Vermutlich sind alle so aufgeregt, weil Baz Luhrman den Namen des kompletten Kontinents für sein 165-Minuten-Epos vereinnahmt hat. Aber der Streifen über Drama, Rinder und Liebe zu Zeiten des zweiten Weltkriegs im Outback müsste eigentlich schon vor Erstaufführung unter der Last der Verantwortung reißen. Ehrlich, dies ist nur eine kurze Liste der Dinge, die der Film leisten soll: Er muss neue Touristenströme nach Australien locken (die Tourismus-Behörde hat Regisseur Baz 50 große Scheine extra gegeben um auch noch einen Werbespot im Stil des Films zu drehen). Er soll die ‘müde australische Filmindustrie vor dem endgültigen Einschlafen bewahren’ (Sydney Morning Herald). Er muss über Australiens Rolle im Zweiten Weltkrieg aufklären (AP). Er muss Nicole Kidman eine Rolle geben, in der sie ausnahmsweise Leute sehen wollen (jj). Er muss Hugh Jackman richtig berühmt machen (mit und ohne Gesichtshaar). Und last but not least so der ‘Herald Sun’ muss der Film den “Australiern zeigen, wer sie sind… “ Au weia, that’s asking for a lot. Ich bin eigentlich schon froh, wenn er mich gut unterhält.
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Der trockenste (bewohnte) Kontinent und der flachste der Welt? Genau: Australien. Nicht gerade ein Snowboarder- und Ski-Paradies? Falsch.
Weil jeder Mensch können müssen darf, was jeder gerne will, kann auch der Australier im Winter auf Brettern Berge runter fahren. Koste es was es wolle (s.u.). Die Skisaison dauert offiziell von Anfang Juni bis Oktober, und in der Zeit fährt “man” in the snow. Ist keiner da, wird welcher gemacht. Hauptskigebiet sind, logisch, die Snowy Mountains zwischen Neusüdwales und Victoria mit Gipfeln um 1600 Meter. “LiveCams” sagen uns, die wir in T-Shirts in Strandnähe sitzen, wie’s dort um den Schnee bestellt ist. Für die nächsten Wochen versprechen sie Schnee-”Höhen” zwischen 7 und 19 Zentimetern. So richtig juckt das die Australier nicht. Sie fahren trotzdem ‘in den Schnee’, und zahlen dafür. Letztes Jahr verkauften Australiens zehn Ski-Resorts etwas mehr als zwei Millionen Tagespässe. Und die kosten mehr als in der Schweiz. Wer glaubt, St. Moritz sei teuer (Tageskarte Hauptsaison 67 CHF/ 41 €), sollte mal Perisher Blue ausprobieren. Das ist zwar weder so hoch noch so steil oder anspruchsvoll wie das Engadin, nimmt aber 98 australische Dollar (60 €) am Tag. In Thredbo, Falls Creek und Mount Hotham ist man ebenfalls mit knapp einem Hunderter dabei. Kein Wunder eigentlich, Perisher hat diesen Sommer 9,75 Mio $ (5,8 Mio €) für bessere Kunstschnee-Wasser-Anlagen und 34 neue Schneekanonen ausgegeben. Die müssen natürlich wieder reinkommen. Manchmal denke ich, wir haben hier unten eigentlich gar keine Wasserprobleme oder Dürren, Strom kommt sowieso aus der Steckdose und Öl kaltgepresst aus der Toskana.
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Gestern war in Paris der Tag des Tourismus. Die Aktionen richteten sich vor allem an Tourismusprofis und nicht an die Touristen, die davon ja nichts wussten. Das ist ja schon mal sehr zielgerichtet! In der Stadt tummelten sich ein paar, in Orange gekleidete Abgesandte (Die Farbe Orange macht gute Laune), die bei der Bevölkrung dafür warben, zu Touristen freundlicher zu sein. Eine gute Initiative, schließlich ist Paris eine der unfreundlichsten Städte der Welt. Nur, war soll diese Aktion? Nach einem Tag wird kein Pariser plötzlich lächeln und dem Touristen ein akzentfreies "'ello, 'au arrrr yuuuu?" zuflöten. Vor allem nicht, wenn es dabei aus Kübeln regnet und Gewitter Kurzschlüsse erzeugen. Seit nunmehr zwei Monaten leben die Pariser im Dauerregen, die Stimmung ist auf dem Nullpunkt, alle wollen nur noch eines: Flüchten aus der Stadt und diesem Sommer. Der erste Schwung ist in die Ferien bereits abgereist. Die Stadt leert sich und die Abreisenden rufen den orange gekleideten Tourismus-Propheten zum Abschied hinterher:"Sollen doch die anderen freundlich sein, wir hauen ab!" Die anderen, die Übriggebliebenen, das sind die armen Tröpfe ohne Villa an der Küste und die Touristen selbst. Okay, Touristen seid also freundlicher zueinander, wenn ihr in Paris Station macht. Ist es das, was die Stadt will? Fazit: Diese Aktion der Tourismusbehörde ist im wahrsten Sinne ins Wasser gefallen. Tomber à l'eau, sagt man dazu übrigens auch im Französischen.
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Zuerst die schlechte Nachricht. Belgien hat jetzt die internationalen Vorfahrtsregeln eingeführt. Bislang galt zwar auch in Belgien rechts vor links. Aber das Gesetz sagte auch, wer zögert, verliert die Vorfahrt. Diese etwas vage Regelung passte gut zum belgischen Gemüt: Die Entschlossenen sollen schon mal losfahren, die Zauderer brauchen sowieso noch etwas Zeit zum Überlegen. Viele Belgier fürchten, dass die kalte Rechts-vor-Links-Regel Unheil bringen wird.
Jetzt die gute Nachricht: Zwei von drei Belgiern finden, dass sie keine Ahnung vom Kochen haben. Auf den ersten Blick ist das kein Grund für Lob. Auf den zweiten schon. Denn die Umfrage wurde auch in Holland durchgeführt, und dort haben fast die Hälfte der Befragten behauptet, sie könnten lecker kochen. Dass nördlich der Schelde besser gekocht würde als im Gourmetparadies Belgien widerspricht nicht nur dem gesunden Menschenverstand, sondern auch meiner Erfahrung in den letzten 15 Jahren.
Die einfachste Erklärung wäre, dass die niederländischen Geschmacksnerven schlimmer degeneriert sind als wir alle bisher angenommen haben und den Unterschied nicht mehr erkennen. Oder es verhält sich so, dass die Niederländer, wenn sie leckere Matjesfilets auswickeln, das schon für Kochkunst halten.Weil ich aber auch nette Holländer kenne, weise ich solche Erklärungen zurück. Ich habe mir deshalb die Küchenumfrage noch einmal angeschaut. Und da steht, dass Belgier der Selbsteinschätzung zum Trotz am gesündesten kochen.
Im Gegensatz zu allen europäischen Nachbarn, Deutsche eingeschlossen, bringt der Durchschnittsbelgier mindestens dreimal die Woche frische Zutaten auf den Tisch. Außerdem kochen 86 Prozent der Belgier mit viel Olivenöl, was schon mal beweist, dass 86 Prozent tatsächlich kochen und nicht nur Fertigsuppen einrühren.
Die Auflösung kann deshalb nur heißen: Belgier stellen einfach höhere Anforderungen an ihr Können. Das wird auch durch Verkehrsumfragen gestützt: Belgier sind die einzigen Europäer, die zugeben, dass sie nicht gut Auto fahren können. Deshalb sind viele Belgier überzeugt, dass es Unheil bringt, wenn sie auf der Kreuzung keine Zeit mehr zum Nachdenken haben.
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Ab 31. März gibt es auch in Australien Terroristen. Nee, Unsinn, also nochmal: Ab 31. März kommen auch aus Australien keine Terroristen mehr raus. Oder wenn es dann welche gibt, finden wir sie am Flughafen. (“Äh, hallo, worum genau geht’s hier, genau?”) Ja, sorry, also es geht ums Fliegen mit Flüssigem. Darum, dass man ja seit dem vereitelten Anschlag in London im August fast nirgends mehr im Handgepäck haben darf außer organisches Felsquellwasser oder Wimperntusche. Das ist eben ab April auch down under Gesetz.
Wir haben eben spekuliert, wieso das in Känguruland etwas länger als anderswo gedauert hat. Mein Lieblings-Bayswim-Partner meint: “Unsere Terroristen hier sind eben nicht so clever, die hätten das gar nicht so schnell rausbekommen mit den Flüssigbomben.” Meine Nachbarin hat was von Zeitverschiebung gemurmelt. Mein Verdacht ist, es liegt an der Gründlichkeit, mit der die zuständige Behörde sich der Sache angenommen hat: Die Regierung musste nämlich erstmal Aufklärungs-Broschüren (“Was darf rein?”) drucken, und zwar 14 Millionen Stück (Australien hat knapp 21 Mio Einwohner). Und die mussten wiederum in fünf Sprachen verfasst werden: englisch, chinesisch, japanisch, koreanisch und malayisch. Das dauert dann vielleicht eben schon mal sieben Monate.
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Bürgermeister in Yunnan: Schamane, Parteimitglied und Unternehmer
VIDEO: Heisses Eisen lecken als Heilritual
Am Spätnachmittag erreichten wir ein Dorf an der tibetanischen Grenze. Der Bürgermeister begrüsste uns, rupfte ein paar Gräser vom Strassenabhang und stapfte auf einen Baumstumpf zu. Wir folgten ihm, Schweine folgten uns und Hühner liefen den Schweinen hinterher. Der Bürgermeister bückte sich, entzündete das Grasbüschel in seiner Hand. Der Rauch war süss, löste sich vom Hanf, der wie ein Wegelagerer an allen Strassenrändern in Yunnan lauert. Schnell hörten die Bienen auf zu fliegen, kletterten über die rissige Hand des Bürgermeisters. Keine stach. Alle torkelten. Der Dorfoberste griff tief in die Holzaushöhlung und zog ein paar triefende Honigklumpen heraus, die wir auf unseren Aluminiumtellern verteilten. Wir gingen damit zu einer der anliegenden Hütten, setzten uns ans Feuer und begannen die Waben – unser Abendessen – auszusaugen. Wie sich herausstellte, war der Bürgermeister auch ein Schamane, der die Gabe hatte, entweder Menschen zu heilen oder zu verfluchen – eine heikle Sache! Verwendet er die falschen Wörter, dann kann sich der Fluch gegen ihn richten. Einer seiner magischen Tricks bestand darin, ein Schwert ins Feuer zu stecken.
Als die Klinge glühte, zog er sie raus und legte sie vor aller Augen und vor meiner Kamera auf seine Zunge. Ich dachte, ich würde zumindest das Zischen von seinem verdampfenden Speichel hören, wenn nicht gar seine anbrennende Zunge. Aber ich hörte gar nichts. Wir wunderten uns, schüttelten die Köpfe und vergassen für einen Augenblick unseren Honig. Da man in China als Bürgermeister auch Mitlgied der Kommunistischen Partei sein muss, bewegte sich der Schamane wie auf glühenden Kohlen. Für Kameraden in benachbarten Bezirken oder in höheren Positionen ist Schamanismus eher konterrevolutionär als heilend. „Ich praktiziere deshalb nur noch gelegentlich und heimlich,“ erklärte der Bürgermeister.
Unser Expeditionsleiter schlug dann vor, den wilden Yunnan Honig für verwöhnte, japanische Konsumenten zu vermarkten – was der kommunistische Schamane (und angehende Unternehmer) eine tolle Idee fand. Mit fortgeschrittenem Abend wurden die Flammen kleiner. Der Bürgermeister warf den letzten Holzblock in die Glut und verbrannte sich dabei fast die Hand. „Ich denke, er ist besser mit der Zunge!“ sagte der Expeditionsleiter. Alle lachten und auch unser magischer Gastgeber. Wir kletterten dann wie Bienen aus der Rauch-gefüllten Hütte, wischten Tränen von unseren Augen und suchten den Weg zurück zu den Schlafsäcken. Irgendwo bellte ein Hund zum Mond. Ich lutschte an der letzten Wabe und erwartete meinen Absturz vom Sugar-High so um vier oder fünf in der Früh.
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Habe ein spannendes Erstlingswerk in die Hände bekommen: Von Peking nach Berlin – das druckfrische Tagebuch einer Motorradreise durch 11.000 Kilometer wüste Weite. Autor ist der ehemaligen Pekinger Stern-Korrespondent Matthias Schepp, der inzwischen für den Spiegel nach Moskau gewechselt ist, Gerd George fotografierte.
Schepp reiste stilecht mit dem legendären BMW-Motorrad R 71, bzw. auf einem chinesischen Nachbau mit dem Namen „Chang Jiang“. (Eine der letzten großen Geschichten, die Schepp für den Stern geschrieben hat, handelte übrigens von chinesischen Produktpiraten, dies nur am Rande.)
In 33 Tagen durchquerte das Team, zu dem als wohl wichtigster Mann auch ein chinesischer Mechaniker gehörte, die Mongolei, Sibirien und den Ural. Es war wohl ein bisschen ein Jungentraum, den sich Schepp und seine Motorradkollegen mit der Tour erfüllt haben. Herausgekommen ist ein spannender Abenteuerbericht, das Gegenteil der weichgespülten PR-Reisereportagen, die man beim Friseurbesuch in den meisten Magazinen überblättert.
Stern.de hat die Reise als kleinen Vorgeschmack in einem Onlinetagebuch dokumentiert.
Gerd George, Matthias Schepp: Von Peking nach Berlin. 11.000 km auf Nachbauten der legendären BMW R 71 – 39,95 Euro.
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Ein Eisenbahn-Ticket nach Tibet? Der Mann im Pekinger Reisebüro winkt ab. Nicht ohne Genehmigung des für Ausländer zuständigen Amtes in Lhasa. Dort fordert man von mir einen schriftlichen Antrag und lässt sich mit der Antwort dann 2 Wochen Zeit. Genehmigung ja, aber eine offizielle Begleitung ist für mich Pflicht.
Mein Hinweis, ich wolle lediglich eine private Reise unternehmen, lässt den "waiban" ungerührt. Privat oder beruflich – Chinas Kommunisten trauen uns Journalisten nicht über den Weg. Nach Tibet darf ich nur mit staatlichem Aufpasser.
Den soll ich übrigens auch bezahlen. "Service-Gebühren" nennt sich das, für Organisation, Begleitung und Transport. Allein für den Abhol-Service mit dem waiban-Auto könnte ich mir ein Flugticket von Peking nach Lhasa leisten. Ich will lieber Taxi fahren. Das komme nicht in Frage, heißt es sofort. Da könne man ja nicht für meine Sicherheit garantieren.
Ich verweigere mich den amtlichen Wucherpreisen, fahre trotzdem. Die Aufpasserin ist eine sehr nette Tibeterin in chinesischen Diensten, die täglich in der Hotellobby auf mich wartet. Nicht mal shoppen darf ich allein.
Und falls ich die Regeln doch kurz vergessen sollte, liegt im Hotelzimmer eine Warnung in radebrechendem Englisch: "Ausländische Reisende in China dürfen unter keinen Umständen Chinas nationale Sicherheit gefährden, indem sie an Aktivitäten teilnehmen, die die öffentliche Ordnung stören… Falls sie zufällig Zeugen einer Demonstration werden, ist es streng verboten, Fotos oder Videoaufnahmen davon zu machen." Das gilt als "Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten".
Ich frage mich mal wieder, wie das bei den Olympischen Spielen 2008 werden soll, wenn 20-tausend ausländische Journalisten amtliche Aufpasser zur Seite gestellt bekommen. Vermutlich hat es noch keiner durchschaut – das Ganze ist nur eine verkappte ABM-Maßnahme der chinesischen Regierung.