Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Neuer Vorstand, neuer Status

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

WR starts 2020 with a new board

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Schöner schenken mit den Weltreportern

Weihnachten steht vor der Tür und Sie brauchen dringend noch ein Geschenk? Die Weltreporter bieten Abhilfe! Auf unserem Twitteraccount finden Sie unter #WeltreporterGeschenke nachhaltige Geschenkideen aus allen Weltregionen. Von kenianischen Laufschuhen (auch gut geeignet, um die Vorsätze fürs nächste Jahr sofort in die Tat umzusetzen) über leckere Kleinigkeiten aus Tunesien bis hin zu frischgedrucktem Lesestoff der Weltreporter. Oder wollen sie dieses Jahr weniger konsumieren? Dann verschenken Sie doch eine Patenschaft, zum Beispiel für Elefanten, Nashörner oder Bäume im indonesischen Regenwald. Die können Sie auch auf den letzten Drücker noch erwerben, ohne sich in den hektischen Einkaufstrubel stürzen zu müssen. Schöne Feiertage wünschen Ihnen die Weltreporterinnen und Weltreporter.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

The impending disappearance of the world

The German-speaking global freelance journalism network weltreporter.net celebrated its 15th anniversary in Berlin with a panel discussion about foreign journalism. In the sold-out Grüne Salon of the Volksbühne more than 120 guests took part in the discussion with the theme “The impending disappearance of the world”. High quality foreign journalism is struggling due to the media crisis in Germany, where a lack of resources means risks are often outsourced to foreign correspondents. What does the future hold then in this situation?

The future of foreign journalism discussed (l-r) Bettina Rühl (Weltreporter Nairobi), Lutz Mükke (Reporter und media scientist), Marcus Bensmann (Correctiv) Jochen Wegner (editor Zeit online). © Rainer Stosberg

The world became so complicated and confusing that even long standing foreign correspondents are finding it harder to understand it, said Jochen Wegner, editor in chief of Zeit online. Bettina Ruehl, weltreporter.net spokesperson and freelance correspondent in Nairobi, had a different view: in fact, correspondents often foresee crises, but media are reluctant to publish or broadcast the reports as long as there is no major ‘bang’. Christina Schott (weltreporter in Indonesia) confirmed this assessment: the creeping Islamicisation in Southeast Asia, for example, is largely ignored, despite the threatening escalation.

Marcus Bensmann © Rainer Stosberg

Marcus Bensmann (Correctiv) pleaded for the increased use of social media: classical media use is being replaced by social and electronic media, and ultimately everyone could now be journalist and reader – provided they know how journalism works.
As an example, Bensmann cited the reporter factory of the foundation-financed research network Correctiv.

Full house in the Salon of the Volksbühne Berlin ©Rainer Stosberg

For reporter and media scientist Lutz Mükke, the classic correspondents remain indispensable. Only they could assume the bridging function needed to mediate events abroad to the public back home.

A young journalist asked in the debate: should I still become a foreign correspondent? The reporters’ advice: absolutely! There is hardly a more exciting job than reporting from abroad. With this in mind, reporters and audience raised champagne glasses at the end of the debate: “To the next 15 years!”

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Audio #2: Weltfremd oder inspirierend?

Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare und Kritik gab es seither reichlich und diese Reaktionen waren so spannend wie vielseitig. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.

[soundcloud url=”https://api.soundcloud.com/tracks/294049452″ params=”color=ff9900&auto_play=false&hide_related=false&show_comments=true&show_user=true&show_reposts=false” width=”100%” height=”166″ iframe=”true” /]

Manche Zeitungen wie die FAZ haben unser Buch gleich zweimal rezensiert


Viele Zeitungen berichten von den Lesungen, zu denen auch Philip Hedemann von Buchläden, Bücherein auber auch von vielen Schulen eingeladen wird. Auch viele Radiostationen rezensierten das Buch bereits, zum Beispiel Bayern 2

Autorinnen und Autoren haben auf Dutzenden von Lesungen in ganz Deutschland (hier ein Bericht aus dem oberpfälzischen Pressath) diskutiert, sich Kritik gestellt und Fragen beantwortet.

Bei der offiziellen Buch-Vorstellung im taz-Café saß auch Ameena auf dem Podium, die junge Syrerin die Philip Hedemann auf ihrem Weg begleitete und die einen Prolog zu unserem Buch geschrieben hat. Im Audio-Spezial 2 hören Sie Sie mehr darüber, wie das Leben der jungen Frau seither weitergegangen ist und lernen zwei ihrer Kinder kennen. Philipp erzählt, warum Ameena unbedingt das Kanzleramt kennenlernen wollte. Und warum sie – trotz ihres Glücks darüber in Deutschland zu leben – während einer Lesung in Tränen ausbrach.

Im Audio hören Sie, was Kerstin Zilms Interviewpartnerin Lidia Nunez empfand, als sie ihren Sohn nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder umarmen konnte. Von einem anderen Weltende schaltet sich Bettina Rühl  ins Audio, sie läßt die Somalierin Haibo Abdirahman Muse zu Wort kommen, die 25 Jahre in einem kenianischen Flüchtlingslager lebt und trotzdem noch Angst hat.

Birgit Kaspar in Toulouse spricht  mit ihrer Interviewpartnerin Chantal Pulé, die ihr erzählt, ob sie nach Jahren in Paris, bereut aus dem Libaon geflohen zu sein.

Zu weit weg?

Herausgeber Marc Engelhardt erzählt im Audio #2 welche Inhalte auf Lesungen am häufigsten diskutiert werden und wie sehr viele deutsche Leser überrascht, das Fluchten auf der ganzen Welt passieren. Viele Gespräche nach den Lesungen drehen sich darum, was der Begriff ‘Revolution’ bedeuten soll. Engelhard hat außer vielen positiven Rückmeldungen natürlich auch kritische bekommen. Ein Leser wirft uns vor, als Auslandskorrespondenten zu weit entfernt von der deutschen Problematik zu sein. Marc Engelhardt: “Den Blick aus dem Ausland sehen wir eher als Qualität des Buches. Sicher kann man das kritisieren, ich glaube aber nicht, dass man das sollte. Wir sagen ja nicht, dass sich eine Lösung aus Südafrika oder anderem Land 1 zu 1 auf Deutschland übertragen lässt. Aber es hilft vielleicht, den Horizont zu erweitern und mit anderen Augen auf Situation in Deutschland zu blicken.”

Denn eines ist gewiss: Flucht wird als Phänomen zunehmen, Die Frage ist: wie gehen wir damit um.

In Lesbos bleiben die Tische leer

Im Audio #2 hören Sie von Alkyone Karamanolis, Weltreporterin in Athen, die sich gefragt hat: Wie geht es den Rettern heute? Fischer Konstantinos Pinderis, erzählt wie sein Leben auf der Insel Lesbos sich komplett verändert hat. In Skala Sikamineas gleich am idyllischen Hafen bleiben die Tische leer. Zwar kommen dort keine Flüchtlinge mehr an wie 2015, doch die Touristen kommen ebenfalls nicht mehr, sie scheinen ihre früheren Lieblingsinseln vergessen zu haben – zum Leid der Einheimischen, denen die Arbeit ausgeht.

Vergessen würden in meinem eigenen Berichtsgebiet Australien viele Politiker am liebsten die Situation der Flüchtlinge, die nach wie vor auf den Inseln Manus und in Nauru die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage aussitzen. Menschen müssen dort seit Jahren als Abschreckung für künftige Boots-Migranten herhalten. Ich erzähle im Audio #2 darüber, wie schwer geschädigt die dort gestrandeten Männer, Frauen und Kinder durch die Inhaftierung sind, und dass ihre Zukunft trotz heftiger Proteste nicht nur von Menschenrechtsorganisationen noch immer unklar ist.

Hören Sie rein, ich bin sicher, unser Audio Spezial # 2 macht Sie neugierig auf unser Buch Die Flüchtlingsrevolution, erschienen im August im Pantheon Verlag.

Auch wenn sie es bereits gelesen haben, erfahren Sie im Podcast noch einiges Neues.Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare und Kritik gab es seither reichlich und diese Reaktionen waren so spannend wie vielseitig. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.

[soundcloud url=”https://api.soundcloud.com/tracks/294049452″ params=”color=ff9900&auto_play=false&hide_related=false&show_comments=true&show_user=true&show_reposts=false” width=”100%” height=”166″ iframe=”true” /][pods pods_page=”Downloads”]

Manche Zeitungen wie die FAZ haben unser Buch gleich zweimal rezensiert

Viele Zeitungen berichten von den Lesungen, zu denen auch Philip Hedemann von Buchläden, Bücherein auber auch von vielen Schulen eingeladen wird. Auch viele Radiostationen rezensierten das Buch bereits, zum Beispiel Bayern 2

Autorinnen und Autoren haben auf Dutzenden von Lesungen in ganz Deutschland (hier ein Bericht aus dem oberpfälzischen Pressath) diskutiert, sich Kritik gestellt und Fragen beantwortet.

Bei der offiziellen Buch-Vorstellung im taz-Café saß auch Ameena auf dem Podium, die junge Syrerin die Philip Hedemann auf ihrem Weg begleitete und die einen Prolog zu unserem Buch geschrieben hat. Im Audio-Spezial 2 hören Sie Sie mehr darüber, wie das Leben der jungen Frau seither weitergegangen ist und lernen zwei ihrer Kinder kennen. Philipp erzählt, warum Ameena unbedingt das Kanzleramt kennenlernen wollte. Und warum sie – trotz ihres Glücks darüber in Deutschland zu leben – während einer Lesung in Tränen ausbrach.

Im Audio hören Sie, was Kerstin Zilms Interviewpartnerin Lidia Nunez empfand, als sie ihren Sohn nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder umarmen konnte. Von einem anderen Weltende schaltet sich Bettina Rühl  ins Audio, sie läßt die Somalierin Haibo Abdirahman Muse zu Wort kommen, die 25 Jahre in einem kenianischen Flüchtlingslager lebt und trotzdem noch Angst hat.

Birgit Kaspar in Toulouse spricht  mit ihrer Interviewpartnerin Chantal Pulé, die ihr erzählt, ob sie nach Jahren in Paris, bereut aus dem Libaon geflohen zu sein.

Zu weit weg?

Herausgeber Marc Engelhardt erzählt im Audio #2 welche Inhalte auf Lesungen am häufigsten diskutiert werden und wie sehr viele deutsche Leser überrascht, das Fluchten auf der ganzen Welt passieren. Viele Gespräche nach den Lesungen drehen sich darum, was der Begriff ‘Revolution’ bedeuten soll. Engelhard hat außer vielen positiven Rückmeldungen natürlich auch kritische bekommen. Ein Leser wirft uns vor, als Auslandskorrespondenten zu weit entfernt von der deutschen Problematik zu sein. Marc Engelhardt: “Den Blick aus dem Ausland sehen wir eher als Qualität des Buches. Sicher kann man das kritisieren, ich glaube aber nicht, dass man das sollte. Wir sagen ja nicht, dass sich eine Lösung aus Südafrika oder anderem Land 1 zu 1 auf Deutschland übertragen lässt. Aber es hilft vielleicht, den Horizont zu erweitern und mit anderen Augen auf Situation in Deutschland zu blicken.”

Denn eines ist gewiss: Flucht wird als Phänomen zunehmen, Die Frage ist: wie gehen wir damit um.

In Lesbos bleiben die Tische leer

Im Audio #2 hören Sie von Alkyone Karamanolis, Weltreporterin in Athen, die sich gefragt hat: Wie geht es den Rettern heute? Fischer Konstantinos Pinderis, erzählt wie sein Leben auf der Insel Lesbos sich komplett verändert hat. In Skala Sikamineas gleich am idyllischen Hafen bleiben die Tische leer. Zwar kommen dort keine Flüchtlinge mehr an wie 2015, doch die Touristen kommen ebenfalls nicht mehr, sie scheinen ihre früheren Lieblingsinseln vergessen zu haben – zum Leid der Einheimischen, denen die Arbeit ausgeht.

Vergessen würden in meinem eigenen Berichtsgebiet Australien viele Politiker am liebsten die Situation der Flüchtlinge, die nach wie vor auf den Inseln Manus und in Nauru die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage aussitzen. Menschen müssen dort seit Jahren als Abschreckung für künftige Boots-Migranten herhalten. Ich erzähle im Audio #2 darüber, wie schwer geschädigt die dort gestrandeten Männer, Frauen und Kinder durch die Inhaftierung sind, und dass ihre Zukunft trotz heftiger Proteste nicht nur von Menschenrechtsorganisationen noch immer unklar ist.

Hören Sie rein, ich bin sicher, unser Audio Spezial # 2 macht Sie neugierig auf unser Buch Die Flüchtlingsrevolution, erschienen im August im Pantheon Verlag.

Auch wenn sie es bereits gelesen haben, erfahren Sie im Podcast noch einiges Neues.Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare und Kritik gab es seither reichlich und diese Reaktionen waren so spannend wie vielseitig. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.

[soundcloud url=”https://api.soundcloud.com/tracks/294049452″ params=”color=ff9900&auto_play=false&hide_related=false&show_comments=true&show_user=true&show_reposts=false” width=”100%” height=”166″ iframe=”true” /][pods pods_page=”Downloads”]

Manche Zeitungen wie die FAZ haben unser Buch gleich zweimal rezensiert

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Weltreporter-Forum 2016 – hier ist das Programm!

Das Programm des Weltreporter-Forums 2016 in Raiding/Burgenland steht!

Wir freuen uns mit unseren internationalen Gästen auf einen spannenden Sommer-Nachmittag auf dem Land. Das Programm des Weltreporter-Forums 2016 in Raiding/Burgenland steht!

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Pluralism live on stage

Imagine the head of a radical Muslim organisation standing on a stage together with 99 other people from his hometown – among them human rights activists, members of the LGBT community and a former political prisoner once accused of being a communist. And this self-declared extremist is saying: “We are one body with one hundred heads.”

Only a week ago, I would have thought this a rather unrealistic scenario. But then “100% Yogyakarta” premiered, a collaboration of the German theatre directors’ trio Rimini Protokoll and the Indonesian collective Teater Garasi.

Rimini Protokoll took their 100%-concept already to 26 other cities, before they came to Yogyakarta on invitation by the Goethe-Institut as part of the German Season currently running in several Indonesian cities. Teater Garasi was their local co-direction partner and was among others responsible for the casting process: For five months the casting team interviewed people on a snow-ball-principle always seeking to fulfil the criteria of the city’s population statistics.

“You think statistics is boring?” asked “Mr. 1%”, Istato Hudayana, a civil servant at the statistics office before giving the stage to his co-citizens to introduce themselves one-by-one – from a rickshaw driver to an art collector, from a little baby to a 90-year-old grandma.

The main criteria during the casting were age, gender, religion, family composition and residential location. The additional filters applied were ethnicity, cultural and linguistic diversity, education, profession, income and mixed abilities.

The result was not only very entertaining, but also very moving: Since probably almost everybody in the audience started after a while projecting her- or himself onto the stage as well, it felt very touching, when people started to confess their deepest fears and brightest hopes in front of everybody.

It seemed that the stage suddenly offered a chance to the participants to gather enough self-confidence to stand-up for their ideals without blaming others for their contrasting views.

Politicians and activists nowadays struggle hard to keep up the pluralism and tolerance in their hometown Yogyakarta as well as in other parts of Indonesia, once so famous for its diversity on all levels. These hundred people on the stage demonstrated, how much tolerance and mutual respect could be improved by simply discussing controversial issues in an open way.

“I felt myself very much represented”, confirmed a viewer after the show. “It changed my view of this city. And I am sure that the whole process must have even a lot more changed the people involved in the project.”

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Piep, piep, piep

Um es als Tier in deutsche Nachrichten zu schaffen, muss man sich als Giraffe im Zoo verfüttern lassen oder zumindest Knut und Eisbär sein. Entweder niedlich oder gefährlich – Hai geht auch. In Neuseeland ist das anders. Wir werden flächendeckend über den langweiligsten Vogel der Welt informiert, der nicht mal fliegen oder trällern kann, aber dicke Eier legt. Scheu ist er auch und nachtaktiv, daher bekommt man ihn außer auf Briefmarken und Souvenir-Tassen fast nie zu sehen. Für so viel Abwesenheit produziert der Kiwi aber verdammt viele Schlagzeilen.

Es vergeht keine Woche ohne brandheiße Vogel-Meldung. Ich trage aus meinem zoologischen Archiv zusammen: Die Kiwis im Willowbank-Park von Christchurch mussten auf Diät gesetzt werden, allen voran das 13jährige Weibchen Merekara. Tatsache. Zwei Kiwi-Eier wurden dort für ein neues Züchtungsprogramm angeliefert. Das war eine eigene Meldung. Darüber stand was über vier lästige Bergpapageien, die von einem Campingplatz flogen, weil sie die Gäste nervten. Dann der Hammer: Neun Kiwis starben im Zoo von Wellington, weil sie eine Wurmkur nicht vertrugen. Mannomann. Tierotier.

Investigatives gibt’s auch. Unsere Sonntagszeitung brachte einen Skandal über Plüsch-Kiwivögel, die in den Touristen-Läden der Naturschutzbehörde DOC verkauft werden. Sie kommen nicht mehr aus Rotorua, wo sie aus ökofreundlichem Possum-Fell hergestellt werden, sondern werden in China produziert. Aus Synthetik. Da tröstet doch die Nachricht, dass es seit kurzem ein Kiwi-App als Spiel fürs Smartphone gibt. Der gefeierte Wappenvogel liefert sich einen Kampf mit „Zombie-Possums“. Vierspaltiger Artikel. War aber auch der 2. Januar, da war die Nachrichtenlage eher dünn. Fast übersah ich später die Überschrift „naked Kiwi“, so vogelgesättigt war ich. Aber es handelte sich diesmal um „naked Kiwi woman surfer“, eine nacktsurfende Neuseeländerin in Australien. Schöne Abwechslung, wenn auch das Foto dazu deutlich kleiner war als das all der Tiere, wie Gott sie schuf.

Die letzten Wochen waren eine mediale Vogelschwemme. Eine Nachricht tragischer als die andere. Heather One, ein abgemagertes Kakapo-Küken, wurde von Auckland 1600 Kilometer gen Süden geflogen. Dort sollte es im Zuge der Genesung  zwei Gefährten im Zoo von Invercargill treffen. Heather hatte Schlimmes durchgemacht: Erst einen Zyklon, dann eine Lungenentzündung. Ihr Schicksal wurde zwei Tage später von der halbseitigen Exklusiv-Geschichte über Sharkey, den „tapfersten Pinguin der Welt“, übertroffen. Die reinste Seifenoper: einem Hai entkommen, geschieden, dann verwitwet und um ein Haar verhungert, aber mit 17 noch immer „gut drauf“.

Unter die Haut ging die letzte Schlagzeile: „Hund killt jungen Kiwi“. Der Unglückliche hieß Otautahi, wie der Maori-Name Christchurchs, denn er wurde dort kurz nach dem schweren Erdbeben von vor drei Jahren geboren. „Hätte er sein ganzes Leben gelebt, hätte er 20 Junge zeugen können“, hieß es in seinem Nachruf. Piep piep piep, wir haben sie alle lieb.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Verurteilte Korrespondenten in Ägypten sofort freilassen!

In Kairo sind heute drei Korrespondenten des englischsprachigen Programms des Fernsehsenders Al Jazeera zu sieben bzw. zehn Jahren Haft verurteilt worden. Die Weltreporter fordern: Die verurteilten Korrespondenten müssen umgehend freigelassen werden!

Die Bundesregierung muss massiven Druck auf die Regierung Ägyptens ausüben, damit dieses ungeheuerliche Urteil zurückgenommen wird – die verurteilten Journalisten haben nichts anderes getan, als ihren Beruf auszuüben und damit ein fundamentales Menschenrecht zu verwirklichen.

Sie muss das Urteil alleine deshalb mit aller Schärfe verurteilen, um auch in Zukunft eine kritische Berichterstattung über Ägypten zu ermöglichen. Wenn die Bundesregierung nicht ihr ganzes Gewicht für die Freilassung unserer Kollegen einsetzt, müssen in Zukunft auch deutsche Korrespondenten fürchten, ohne Grund verhaftet und verurteilt zu werden – ein unhaltbarer Zustand!

Nach Ansicht von Menschenrechtlern und anderen unabhängigen Prozessbeobachtern wurde zur Rechtfertigung des Urteils kein einziger plausibler Beweis vorgelegt. Das am Montag gesprochene Urteil hat offenbar vor allem ein Ziel: die Einschüchterung von Korrespondenten. Vor Ort ist bereits zu sehen, wie bei manchen Berichterstattern die Schere im Kopf ansetzt. Auch deshalb ist es so wichtig, von politischer Seite Druck auf die ägyptische Regierung auszuüben.

Weltreporter.net gehören derzeit 66 Mitglieder an, die aus 160 Ländern für verschiedene deutschsprachige Medien berichten, darunter auch aus Ägypten. Das Netzwerk gibt es seit 2004. Ziel des eingetragenen Vereins ist die Förderung eines hochwertigen Auslandsjournalismus, zu dem sich alle Mitglieder bekennen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

L´Energiewende in Frankreich

Mit großer Aufmerksamkeit beobachten die Franzosen, wie der Nachbar Deutschland seine Energiewende meistern will. Vielleicht schafft es das deutsche Wort ja noch in den französischen Wortschatz: „L’Energiewende“ taucht oft in französischen Zeitungsartikeln auf. Die Medien berichten vor allem über steigende Energiepreise und Entlassungen bei Stromkonzernen. Die Bürger in Deutschland zahlten einen hohen Preis für den Atomausstieg, heißt es immer wieder. Die sozialistische Regierung weiß: Viel höhere Strompreise sind in dem krisengeschüttelten Frankreich zurzeit kaum durchzusetzen. Entlassungen im Nuklearsektor auch nicht. Das Thema Energiewende ist also ein höchst sensibles in dem Land, das derzeit 75 Prozent seines Stroms aus seinen 58 Atomkraftwerken bezieht.

Kein Wunder also, dass die Präsentation des Gesetzentwurfs zur Energiewende ein Jahr länger dauerte als geplant. Nach langen Beratungen hat nun Umweltministerin Ségolène Royal die großen Linien dem Kabinett vorgestellt. Die „Transition énergétique“ (Energieübergang) werde Frankreich helfen, aus der Krise zu kommen, sagte sie.

Präsident François Hollande hatte mehrmals betont, dass dieser Gesetzestext einer der wichtigsten seiner fünfjährigen Amtszeit sein werde. Schon während seines Wahlkampfs hatte er eine für Frankreich kleine Revolution angekündigt: Denn der Anteil der Kernenergie an der Stromversorgung soll bis 2025 um 25 Prozent reduziert werden.

Der Entwurf umfasst nun 80 Artikel. Fünf große Punkte prägen ihn: Neben der oben genannten Reduktion des Anteils der Atomenergie im Strommix soll der Ausstoß der Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent gesenkt werden (im Vergleich zu 1990). Im selben Jahr sollen 40 Prozent der Energieproduktion in Frankreich aus erneuerbaren Quellen stammen. 2012 lag der Anteil bei knapp 14 Prozent. Der Verbrauch fossiler Energien wie Erdöl und Kohle soll bis 2030 um 30 Prozent gesenkt werden.

 Geplant ist auch das Ziel, den Energieverbrauch in Frankreich bis 2050 zu halbieren (Vergleich zu 2012).

Kritiker werfen Royal bereits vor, eingeknickt zu sein – vor allem gegenüber der Atomlobby. Denn die Grünen hatten gefordert, dass in dem Gesetz das Recht des Staates festgeschrieben wird, aus energiepolitischen Gründen Atomreaktoren stilllegen zu können. Das ist nun nicht der Fall. Auch eine maximale Laufzeit von 40 Jahren  für Frankreichs Reaktoren ist nicht im Text verankert. Welche Reaktoren und wie viele abgeschaltet werden – keine Angabe. Gerade im Elsass hatten viele Atomkraftgegner gefordert, dass die Abschaltung von Fessenheim Schwarz auf Weiß festgehalten wird. Präsident Hollande hatte die Stilllegung bis Ende 2016  angekündigt. Doch der Name Fessenheim taucht nicht auf.  „Das ist ein Versprechen des Präsidenten“, sagte Ségolène Royal nun der Zeitung Le Monde. Vermutlich befürchtet die Regierung enorme  Entschädigungsforderungen von Seiten des börsennotierten Konzerns EDF, würde man die Stilllegung ins Gesetz schreiben.

Die Regierung verfolgt eine andere Strategie. Festgeschrieben in dem Entwurf wird nun eine Kapazitätsobergrenze bei der Atomenergie von 63,2 Gigawatt – das entspricht dem Stand von heute. EDF als Betreiber der Atomkraftwerke und Vermarkter des Stroms soll in Zukunft einen mehrjährigen, nach Energiequellen gegliederten Stromplan vorlegen, der mit dem Gesetz in Einklang stehen muss. Diesen werde dann der Staat (größter Aktionär von EDF mit einem Anteil von 85 Prozent) prüfen. Der erste Plan betrifft den Zeitraum von 2015 bis 2018. In dieser Periode soll der neue Europäische Druckwasserreaktor in Flamanville am Ärmelkanal in Betrieb gehen.  Will die EDF dafür vom Staat die Starterlaubnis, wird sie wohl mit Blick auf die Obergrenze ein anderes Kraftwerk stilllegen müssen – etwa Fessenheim.

Royal bezeichnet die Energiewende als wichtigen Hebel Frankreichs zum Ausstieg aus der Krise. Ziel sei es, in den kommenden drei Jahren 100.000 Arbeitsplätze mit Hilfe der Ökologie- und Energiewende zu schaffen. So soll es zum Beispiel für energetische Sanierungen Steuererleichterungen bis zu 30 Prozent geben. Haus- und Wohnungsbesitzer sollen künftig verpflichtet werden, bei Dach- oder Fassadearbeiten solche Sanierungen vorzunehmen. Haushalte mit geringem Einkommen sollen Energieschecks erhalten, die Regionen Eigentümern Kredite geben können, Biogasanlagen gefördert werden. Bis 2030 werden zudem sieben Millionen Aufladestationen für Elektroautos errichtet.

Die Transition énergétique kostet vermutlich 20 bis 30 Milliarden Euro jährlich: Wie das genau in Zeiten leerer Kassen finanziert werden soll, ist noch unklar. Im Herbst 2014 soll das Parlament über den Entwurf debattieren. Im Jahr 2015, wenn in Paris die UN-Klimakonferenz stattfindet, soll das Gesetz spätestens Wirklichkeit werden.

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Kompost eisgekühlt

In der New York Times stand, die Teilnahme sei freiwillig. Ich glaube, das war ein Missverständnis. Uns hat jedenfalls keiner gefragt. Eines schönen Frühlingsmorgens stand der kleine Henkelmann vor der Tür. Hellbrauner Plastikkörper mit schneeweißem Griff, überraschenderweise nicht in China gefertigt, sondern in Kanada.

Foto 1-1

Ein paar Tage später kam der große Bruder, braun mit orangefarbenem Schnappverschluss, und der Aufschrift „NYC Organic Collection“.

Foto 2

Sie ahnen es: New York probt den Einsatz der Biotonne.

Dass in den Pilotversuch mit 70 000 Haushalten unser Viertel Park Slope einbezogen wurde, könnte mit dem von mir bereits in einem früheren Blog erwähnten Umstand zu tun haben, dass Bill de Blasio in der Nachbarschaft wohnt, seit Januar Bürgermeister von New York City. Nach monatelangen Zögern ringt sich die Familie de Blasio jetzt allerdings doch zum Umzug nach Gracie Mansion durch, der traditionellen Bürgermeistervilla an der Upper East Side. Dass es dort besser sein soll als hier, können wir stolzen Brooklynites uns nun gar nicht vorstellen.

De Blasio zieht also weg und wir behalten die Biotonne. Ich finde, das ist kein schlechter Tausch. Es war zwar nicht ganz einfach, die empfohlenen kompostierbaren Beutel aufzutreiben, obwohl die Stadt dem Henkelmann vier Coupons unterschiedlicher Hersteller beigelegt hatte. Und es ist wohl auch noch wenig Preisdruck auf dem neuen Markt, denn 25 Beutelchen kosteten 5.49 Dollar. Trotzdem freue ich mich, dass meine Küchenabfälle nun eine sinnvolle Nutzung erfahren.

Mit meiner Zufriedenheit bin ich allerdings ziemlich allein. Die Nachbarn stört ein ganz banaler Umstand: Der Küchen-Kompost stinkt. Für etliche Großstädter ist dies offenbar eine neue Erkenntnis. Und so werden Tipps ausgetauscht, wie sich die Geruchsbelästigung verhindern lässt. Bei einer Umfrage der New York Times empfahlen die einen ein Duftspray der Marke Febreze, aber nur mit Zimtaroma – Vanille verschärfe das Problem. Ob die mit Chemieduft besprühten Abfälle wohl genauso gut rotten wie unbehandelte? Andere Mitbürger verstauen den Henkelmann in der Eistruhe – Kompost eisgekühlt. Bei allem Umweltbewusstsein, wir sind immer noch in Amerika.

Fotos: Christine Mattauch

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Psssssst! Der König ist…

Spaniens König dankt ab – und kurz darauf kündigen acht spanische Karrikaturisten ihren Job. Nicht, weil ihnen ihr Lieblingssujet und somit die Inspiration abhanden gekommen ist, sondern aus Protest: Ihr Arbeitgeber, der Verlag RBA, hatte 60.000 frisch gedruckte Exemplare der Satire-Zeitschrift El Jueves einstampfen lassen, weil auf dem Cover der royale Rentner zu sehen war, wie er seinem Sohn eine ramponierte Krone überreicht.

 

El Jueves Rey

Gemessen am Skandalpotenzial des Königshauses (Elefantenjagd, Corinna-Affäre, Steuerhinterziehung, Korruptionsverdacht und derzeitige Sympathie-Werte von 3,72 auf eine Skala von 1 bis 10)  eigentlich ziemlich harmlos. Dem Verlag aber stank die Karrikatur gewaltig. “Setzt auf keinen Fall den König auf den Titel”, soll die Verlagsleitung die Redaktion angewiesen haben. Die leistete Folge – und fast alle Stammautoren des Blattes gingen.

Schon erstaunlich: Jeder journalistische Instinkt gebietet, das Top-Ereignis der Woche an herausragender Stelle zu würdigen. Dem Verlag RBA aber galt es als Faux-Pas. Und nicht nur dem. In Spaniens Medienlandschaft greift dieser Tage ein Reflex, der schon überwunden schien: Bloss nix Schlechtes über JuanCa, bloss nix gegens Könighaus…

Dass bereits am Abend der Abdankung  in allen grösseren spanischen Städten Zehntausende Spanier die Abschaffung der Monarchie forderten, war den grossen (Print-)Tageszeitungen und staatlichen Rundfunkanstalten nur eine Randnotiz wert. Ein Königshaus-Experte hatte in einer der vielen Talkrunden schon einmal vorausschauend geurteilt, es gäbe jetzt bestimmt viele Bürger, die im Überschwang der Gefühle Dinge sagten (z. B. “España mañana será republicana”  “Morgen ist Spanien republikanisch”) und täten (z. B. demonstrieren und oben genannten Sprechchor anstimmen), die sie eigentlich gar nicht dächten oder wollten. Wer so allwissende Analysten hat, braucht auch keinen Beichtvater mehr.

Ach ja, schon einmal war ein königliches El-Jueves-Cover zensiert worden. 2007 waren auf dem Titel Kronprinz Felipe und Letizia beim Zeugungsakt zu sehen, es ging um das frisch eingeführte (und längst wieder abgeschaffte) Kindergeld. Damals hatte ein Richter darin eine “Ehrverletzung” gesehen und die Auflage beschlagnahmen lassen. So viel Brimborium war diesmal gar nicht nötig. Selbstzensur ist ja so effektiv. Und dazu noch Kosten sparend.

 

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Vom Führer und siine Fru

Rebellierende Rockstars, Rassisten und ein phillipinisches Pin-up: Es ist High Noon in Kimdotcomland. Das bedeutet verschärftes Fremdschämrisiko. Bisher fühlten wir Deutschen uns am schönsten Arsch der Welt vor peinlicher Polit-Prominenz sicher. Doch wenn Kim Schmitzens Supersize-Skandale weiter eskalieren, muss ich mir ein sicheres Drittland suchen. Oder meine Herkunft verleugnen.

Ausgerechnet mein lokaler Lieblingsmusiker Aaron Tokona steigt als Kämpfer gegen den Gründer der neuen Internet-Partei in den Ring. Der Jimi Hendrix Neuseelands ließ sich wie andere Kollegen von Mr. Mega-Upload für gutes Geld anheuern, um dessen schlechte Musik aufzumöbeln. Die Wochen im Tonstudio waren nicht nur künstlerisch eine Qual, sondern eine bizarre Reise ins Reich Kim des Bösen. Tokona, der den vom FBI gejagten Internet-Krösus vorher als eine Art Robin Hood geschätzt hatte, verlor in kürzester Zeit jeden Respekt vor dem „narzisstischen Megalomaniac“. Der habe angeblich keinen Gang zum Klo ohne Bodyguards bewältigen können, werfe obszön mit Geld um sich und behandele Menschen wie Dreck. So weit, so schlecht, so normal im Showbusiness. Wenn da nicht das unheimliche Deutsche wäre: Narziss oder Nazi?

Das Image klebt an Dotkom, seit er prahlte, Hitlers „Mein Kampf“ zu besitzen und sich als „War of the Worlds“-Fan in SS-Helm ablichten ließ. Letzte Woche dann Tokonas Enthüllung: Im Tonstudio habe Kim fröhlich bei einem von den afro-amerikanischen Produzenten ausgerufenen „Rassistentag“ mitgemacht. Ein Insider-Scherz, der vielleicht ohne Folgen geblieben wäre, wenn der Boss die Musiker – darunter Printz Board von den Black Eyed Peas – nicht mit politisch unkorrekten „Golliwogs“ überrascht hätte. Das sind zu Recht geächtete „Negerpuppen“ aus Kolonialzeiten.

In den USA sind darüber noch keine Proteste entbrannt. Aber der linken Mana-Partei hier im Lande, die hauptsächlich aus Maori besteht, dürfte der Golliwog-Gag aufstoßen. Ausgerechnet mit der bodenständigen Proletarier-Truppe will Dotcoms Partei koalieren, um über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen – ein Duett, in etwa so stimmig wie Conchita Wurst singend mit dem Papst.

Kaum wurde die braune Wäsche im Wahlkampf gewaschen, da erreichte uns diese Nachricht aus „Coatesville Reichstag“, wie Kims Feinde seine protzige Villa außerhalb Aucklands nennen. „Mona und ich haben uns getrennt“, twitterte Dotcom an seine Fans. Eine „Familienangelegenheit“, er bitte um „Privatsphäre“. Die Mutter seiner fünf Kinder hatte er in einer Bar in Manila kennengelernt. Im Internet kursierten zuletzt Monas voreheliche Nacktfotos aus einem Herrenmagazin. Jetzt wird über die Finanzlage der Internet-Partei spekuliert. Denn Mona, die Handtaschen in der Preisklasse von Kleinwagen liebt, hat Anteile am Dotcom-Vermögen.

Zwei Tage später dann die Schock-Schlagzeile: „Kims exekutierte Freundin tritt im Fernsehen auf“. Was hat unser Big Bad Boy noch alles in petto? Welche Frauenleichen lagern im Party-Keller? War aber diesmal nur Nordkorea. Der kleine Kim.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Schlaglöcher in New York

 

Diese Woche wurde unsere Straße geteert.

Sie fragen sich, wo da der Nachrichtenwert liegen soll? Dann waren Sie noch nie in New York.

Eine anständige New Yorker Straße hat ungefähr alle zwei Meter ein Schlagloch, einen Riss oder einen Buckel. Sie ist bereits 32mal notdürftig repariert worden, was man ihr auch ansieht. Diese Fotos habe ich gestern mal eben auf dem Weg zum Supermarkt gemacht.

1-CIMG8255 1-CIMG8257 1-CIMG8259 1-CIMG8264

Dabei lebe ich in einem respektablen Brooklyner Viertel namens Park Slope, in dem auch Bill de Blasio zuhause ist, seit Januar neuer Bürgermeister von New York. Es ist nicht ganz abwegig, einen Zusammenhang zwischen seiner Wahl und den plötzlichen intensiven Straßenreparaturarbeiten in Park Slope zu vermuten. Unser Viertel erfreut sich seit der Bürgermeisterwahl gesteigerter Aufmerksamkeit. Seit Januar ist Park Slope auf der Wetterkarte des populären Fernsehsenders NY1 verzeichnet. Auf den Avenuen wurden neue saubere Recycling-Eimer aufgestellt, und wir sind jetzt Pilotbezirk für die Biotonne.

Doch zurück zu den Schlaglöchern. David Letterman, Moderator der Kult-Fernsehsendung Late Night Show, witzelte mal, in New York seien die „potholes“ so tief, dass einige ihre eigenen Andenkenläden hätte. Warum die Straßen so schlecht sind, ist ein auf Stehempfängen gern diskutiertes Thema. Die Republikaner machen die Gewerkschaften verantwortlich und die Demokraten zu niedrige Steuern. In der deutschen Expat-Gemeinde herrscht wie stets die Ansicht vor, dass die Amerikaner „es“ einfach nicht können. Ich halte das schon deshalb für eine Unterstellung, weil ich beispielsweise im Mittleren Westen und sogar im Bergland von Montana ganz ausgezeichnete Straßen befahren habe.

Was immer die Ursache, die Konsequenzen sind eindrucksvoll. Im vergangenen Jahr zahlte New York City wegen schlaglochinduzierter Schäden 5,5 Millionen Dollar Schadenersatz an Autofahrer, enthüllte kürzlich die New York Times. Dafür könnte man eine ganze Menge Straßen reparieren. Tatsächlich sind die Schäden noch viel größer, denn die Stadt haftet erst, wenn sie von der Existenz eines Schlaglochs schriftlich unterrichtet wurde und nachgewiesenermaßen mehr als 15 Tage untätig blieb.

1-CIMG8274

 

Der Bundesstaat New York vermeidet solche komplexen Statuten. Dort gilt ein Gesetz, das den Staat von der Haftung durch kaputte Landstraßen komplett freistellt, sofern sich Achsbrüche und Unterbodenschäden von Mitte November bis Ende April ereignen. Das ist sehr wirkungsvoll. 2013 zahlte der Staat New York lediglich 13 386 Dollar an Autofahrer.

Jetzt gibt es eine Initiative, das Gesetz abzuschaffen. Ergriffen hat sie Thomas Abinanti, ein demokratischer Abgeordneter aus Westchester County, einem Bezirk nördlich von New York City. Es ergab sich nämlich, dass Herr Abinanti im Januar auf dem Taconic State Parkway unterwegs war und derart über ein Schlagloch bretterte, dass ein Reifen ersetzt werden musste. Kurze Zeit später passierte ihm das gleiche auf der Interstate 95. Die beiden neuen Reifen kosteten ihn rund 700 Dollar. Das ärgert den Politiker. „Ich verstehe nicht, wie der Staat sich aus der Haftung stehlen kann“, findet er. „Das Gesetz ist unfair.“

Bis sich das notorisch zerstrittene und phlegmatische Parlament in Albany auf eine Revision geeinigt hat, werden aber vermutlich Jahre vergehen. Dann dürfte auch unsere Straße in Park Slope erneut reparaturbedürftig sein, denn der schöne neue Belag fängt an den Rändern bereits an auszufransen. Hoffen wir, dass Bill de Blasio dann noch Bürgermeister ist.

Fotos: Christine Mattauch

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Freedom Rocks – Berliner Mauer Fragmente in Los Angeles

Berliner Mauer Los Angeles

Der längste zusammenhängende Mauerstreifen außerhalb von Deutschland ist – in Los Angeles, auf einer Wiese neben dem Wilshire Boulevard, einer Hauptverkehrsstrecke zwischen West und Ost, gegenüber vom Los Angeles County Museum of Art. Mittags parken hier ein halbes Dutzend Food Trucks, oft sind einer mit Bratwurst und die Currywurst-Konkurrenz dabei.
Die zehn Originalsegmente aus Berlin hat das Wende Museum zum 20. Jahrestag des Mauerfalls nach Los Angeles gebracht. Inzwischen gab es davor Demonstrationen und Picknicks, Konzerte und Hochzeiten.
Viele Fragmente der Berliner Mauer sind in Nordamerika gelandet. Zwei kanadische Künstler haben es sich zur Aufgabe gemacht, zumindest einen Teil von deren Geschichte aufzuspüren und zu dokumentieren. Ihr Projekt heißt Freedom Rocks. Letzte Woche haben Vid Ingelevics und Blake Fitzpatrick dafür Station im Goethe Institut von Los Angeles gemacht.
Vor schlichter Kulisse von Klappstuhl und Tisch mit schwarzer Decke stellten sie Kamera und Scheinwerfer auf. Dann kamen die Besitzer von Mauerfragmenten und erzählten ihre Geschichten.
Die Künstler stellen immer dieselben Fragen: Wie heißt Du? Wo wohnst Du? Woher hast Du die Mauerstücke? Wo bewahrst Du sie auf? Was bedeuten sie heute für Dich?
Sie filmen nur Hände, die die Fragmente halten und haben festgestellt, dass die meisten Geschichten weniger mit dem Kalten Krieg als mit persönlichen Erinnerungen zu tun haben.
fragment rebecca
In Los Angeles erzählt ein Deutschprofessor, wie er 1990 mit Studienkollegen in einer Regennacht Stücke selbst abklopfte. Ein Künstler berichtet, wie er einen Teil der Mauer in Kreuzberg 1987 bemalte, ganau zwei Jahre bevor die Grenze geöffnet wurde. Eine Teilnehmerin ist nicht sicher ob ihre Teile echt sind. Sie hat sie in einem Baumarkt für 20 Dollar gekauft. Einer Germanistin aus Dresden steigen Tränen in die Augen, als sie erzählt wie sie eine Woche nach dem Fall der Mauer zum ersten Mal im Leben durch das Brandenburger Tor ging und von dort Mauerstücke mit nach Los Angeles nahm.

“Solange die Fragmente in Bewegung ist wird sich ihre Geschichte verändern,” fassen die Künstler zusammen. “Wie wir uns an Geschichte erinnern und ihr Denkmale setzen bleibt nie gleich.”

Meine Geschichte für den Deutschlandfunk können Sie hier nachhören: Freedom Rocks

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Kiffer fliegt, Nigella landet

Ich lebe im Land der langen, weißen Rauchwolke. Das ist keine Übertreibung: Die Hälfte aller erwachsenen Neuseeländer hat schon mal einen Joint gepafft. Ist sogar statistisch belegt. Für das Rollen einer stinknormalen Zigarette wird man hier eher sozial geächtet als für das Stopfen seines Pfeifchens. Ja, das sind fast jamaikanische Zustände „down under“ – vor allem an der wilden Westküste, wo die eigene Hanfplantage so systemimmanent ist ist wie der Schrebergarten im Ruhrpott. Nur nicht ganz so legal.

Letzten Samstag, am „J Day“, rauchten daher Tausende von Kiwis in öffentlichen Parks Cannabis, verkauften Gras in Tütchen und demonstrierten für die Legalisierung von Marihuana. Es ist Wahlkampf, und das „Smoke-In“ war der Kampagnenauftakt der Aotearoa Cannabis Partei. Falls sie nicht zu bedröhnt ist, kann sie sich gleich ihres ersten Falles annehmen, der womöglich gar die bilateralen Verhältnisse zwischen Neuseeland und Deutschland belastet: Ein deutscher Austauschschüler versuchte sich in seiner Freizeit unter größter Anstrengung den nationalen Rauchgepflogenheiten anzupassen und soll dafür aus dem Lande fliegen.

Von der Schule flog der arme Kerl bereits. Der 17jährige, der lieber anonym bleiben möchte, war bis vor kurzem internationaler Schüler am Tauranga Boys College. Am 7. März schnappte er sich sein Motorrad und kaufte für 80 Dollar Dope, das er sich mit vier anderen deutschen Jugendlichen in einem Park teilte. Angeblich nahm er nur einen Zug und spürte nichts davon, als er nach Hause fuhr: „Ich konnte nicht richtig inhalieren und musste husten, weil es weh tat. Es war nichts für mich.“

Doch der Schulleiter bekam Wind von den Möchtegern-Kiffern und knöpfte sie sich vor. Dem 17jährigen wurde gesagt, ihm drohten keinerlei Konsequenzen, solange er die Wahrheit sage. Kaum hatte er gebeichtet, flog er jedoch 24 Stunden später von der Schule. Damit droht ihm auch die Abschiebung aus dem Lande, falls er nicht eine neue Schule findet.

Seine Familie argumentiert, dass der Junge bereits in seiner Gastfamilie in Tauranga mit Marihuana in Kontakt gekommen sei. Seine Unterstützer sind empört, dass an ihm ein Exempel statuiert und mit zweierlei Maß gemessen würde: Kein Kiwi-Kid fliege wegen eines Joints von der Schule, falls er außerhalb der Schule geraucht würde und niemand Schuluniform trüge. Das sei allein Sache der Polizei.

Am Wochenende reiste übrigens Fernsehköchin Nigella Lawson unbehellingt in Neuseeland ein. In die USA lässt man die Britin dagegen nicht mehr, seit sie gestand, die ein oder andere Nase Koks und ein paar Lungenzüge Gras genommen zu haben, als es ihr schlecht ging. Wer woanders nicht einreisen darf, bekommt auch kein Visum für Neuseeland. In ihrem Fall machten die Behörden jedoch eine Ausnahme – Nigella muss in Aotearoa einen Werbespot für eine Schokoladenfirma drehen. Solange sie keine Haschkekse backt, ist alles im grünen Bereich. Neue Hoffnung für den Abschiebe-Schüler?

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Conchita ist es Wurst

Wieder einmal findet der European Song Contest in Nordeuropa statt und wie letztes Jahr kümmere ich mich ein paar Tage nur am Rande um Wirtschaft und Hochkultur, sondern widme mich vor allem Europas größter Fernsehshow und allem, was drumherum so passiert. Besonders telegen ist die Österreichische Teilnehmerin Conchita Wurst. Groß, Wespentaille und Riesenwimpern – da spielt jemand mit dem Klischee des (Barbie-)Püppchens.

Wurst ist die weibliche Rolle von Tom Neuwirth und nicht nur in Kopenhagen, um zu singen, sondern auch, um für Toleranz zu werben – eigentlich seit langem ESC-Tradition. Einigen Osteuropäern missfällt das und womöglich auch einigen Westeuropäern. Es kam zu Boykottaufrufen, weil die sexuelle Orientierung als nicht telegen angesehen wurde.

Conchita Wurst lässt sich davon nicht allzu sehr berühren. Morgen tritt sie im zweiten Halbfinale auf. Ich habe Conchita Wurst schon einmal in Kopenhagen getroffen und für The Wall Street Journal interviewt. Den Text und sogar ein Video gibt es hier. In dem Film erklärt sie übrigens, was es mit ihrem Namen auf sich hat und was ihr Wurst ist.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

“We want Jürgen!” US-Fußball-Fans in Klinsmann-Euphorie

Klinsi-Ultra-Fan

Seit Juli 2011 ist Jürgen Klinsmann Coach der US-Nationalmannschaft. Sein Anfang war etwas holprig, voller Experimente und deshalb auch mit einigen schwachen Spielen. Doch im Gegensatz zum Rest der Welt, wo das zur Ruck-Zuck-Entlassung des Trainers geführt hätte, bekam in den USA kaum jemand was mit vom schwachen Start. Die Stadien waren halb leer, nur eine Handvoll Reporter – davon mehr als die Hälfte von hispanischen Medien – berichtete darüber und die raren Fernsehübertragungen der Spiele schaltete sowieso kaum jemand ein. Trotzdem gab es einen Spieleraufstand – die alteingesessenen Profis fühlten sich übergangen und US-Spieler insgesamt ungerecht benachteiligt gegenüber Neuzugängen mit doppelter Staatsbürgerschaft aus Zentralamerika und Europa.

Doch jetzt ist alles anders und viel besser im US-Fußball, der hier ‘soccer’ genannt wird. 16 Mal haben die USA während der WM-Qualifikation gewonnen, davon zwölf sogar in Serie am Stück. Das gab’s noch nie in der Verbandsgeschichte. Sie haben den Gold Cup gewonnen und sich frühzeitig für die WM qualifiziert. Halb leere Stadien gibt es nicht mehr. Dafür sorgen die ‘American Outlaws’ – eine Fanorganisation, die vor ein paar Jahren von 40 Fans in Nebraska gegründet wurde. Ländlicher als Nebraska geht’s eigentlich nicht mehr. Football mag man da und NASCAR-Autorennen. Fußball? Das ist was für Weicheier! Deshalb auch der Name ‘Outlaws’ – Außenseiter ja! Weicheier nein! Zu jedem Spiel der Nationalelf reisen sie, inzwischen zu Tausenden. Insgesamt haben sie über 17 tausend Mitglieder in rund 150 Ortsverbänden. Gemeinsam marschieren sie von der Vor-Party auf dem Parkplatz in die Stadien, singen stehend 90 Minuten lang patriotische Fußballsongs – und LIEBEN Jürgen Klinsmann.

https://soundcloud.com/soundslikerstin/we-want-j-rgen-us-soccer-coach

Beim ausverkauften Freundschaftsspiel gegen Süd Korea hab ich das selber miterlebt. Mehr Stimmung gibt’s auch in deutschen Stadien nicht. Von den Fans, die ich dort getroffen habe, werden mehr als 600 nach Brasilien reisen, um das Team bei der WM anzufeuern. Die Outlaws haben Flugzeuge gechartert und Hotelzimmer reserviert, um der Nationalelf gemeinsam zu folgen. Auch das ist eine absolute Neuheit für den US-Sport. Das gab’s noch nie im Fußball und gibt es in keiner anderen Disziplin. Football, Basketball, Baseball, Eishockey haben starke lokale Fanclubs. Bei Olympischen Spielen können Basketball und Eishockey Patriotismus wecken, aber rund ums Jahr einer Nationalmannschaft hinterherreisen? Das gibt’s sonst nirgendwo.

Klinsi Fans

Dass es so gut aufwärts geht mit dem US-Fußball hat auch viel mit dem Trainer zu tun, da sind die Fans sicher. Klinsmann öffnet Türen – zu Spielen auf höchstem internationalem Niveau, zu Spielern im Ausland, die ins US-Nationalteam wollen und zu Veränderungen im System, die Nachwuchs fördern. Deshalb lieben sie ihn.

Am 26. Juni trifft Klinsmanns Elf auf die von seinem ehemaligen Ko-Trainer Joachim Löw. Klinsi sagt: er wird beide Hymnen singen aber danach ist für 90 Minuten Schluß mit der Freundschaft. Er will nichts lieber, als an dem Tag Deutschland besiegen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Safety in Paradise

Seit die Malaysia-Maschine vom Radar verschwand, macht man sich vor dem Fliegen so seine Gedanken. Ich bin in den in den nächsten Wochen viel im Lande unterwegs. Meine Vorkehrung heißt:  Spruchbänder und Megafon ins Handgepäck. Vielleicht noch  Proviant, falls wir gar nicht abheben. Denn in den ersten Minuten an Bord könnte es zu Tumulten kommen. Von Menschen, die aus Protest aufstehen und demonstrativ den Rücken zu den Bildschirmen drehen. Dann ist Solidarität gefragt. Denn dann zeigt Air New Zealand sein neuestes Sicherheitsvideo.

Normalerweise sind diese Bordfilmchen kulturelle Großereignisse. Kiwis sind immer sehr happy, ihr schönes Land beworben zu sehen. Unsere nationale Fluglinie lässt sich stets was Feines einfallen: Stewards in Bodypaint oder Rugby-Stars. Doch diesmal bin ich aufs Schärfste vorgewarnt. Das neue Air-New-Zealand Video ist ein Eklat. Es ist sexistisch. Es ist der diesjährige Aufreger der antipodischen Luftfahrt. Ein Schocker, der die Titelseiten dominierte, während Kim Dotcom kurze Verschnaufpause machte. Dazu Schlagzeilen von Sydney bis CNN: „Turbulenzen für Air New Zealand“!

Ich bin aufs Schlimmste gefasst, als ich endlich in die nächste Maschine steige. Mit internationaler Frauenpower gewappnet schnalle ich mich an. Vielleicht sollte ich aus weiter Ferne live an #aufschrei tweeten? Davon muss die Welt erfahren. Das Video springt an: „Safety in Paradise“. Polynesische Musik erklingt. Ich traue mich kaum, hinzugucken. Vier Schönheiten aus dem „Sports Illustrated“-Sortiment flanieren auf dem Sand der Südseeinsel Rarotonga. Eine Unverschämtheit: Auf den Cook-Inseln sieht es nicht überall so paradiesisch aus! Aber um Postkartenklischee contra polynesische Realität geht es jetzt nicht. Also doch hingeschaut. Tut auch kaum weh. Die Models werfen verführerisch die Haare zurück, schlürfen aus Strohhalmen Kokossaft und demonstrieren nebenbei, wie der Anschnallgurt zwischen Tanga und Blumenkette straff sitzt. Vier Minuten lang weichgespülte Bikini-Posen. Ich hab’s überlebt. Die Langnese-Spots früher waren auch nicht schlimmer.

Ginge es nach Deborah Russell, Dozentin an der Massey Universität, wäre mir dieser Affront besser erspart geblieben. „Safety in Paradise“ schade der Sicherheit der Frau, so die feministische Streiterin. Leider hat sie wohl übersehen, dass in dem hirn- und harmlosen Filmchen auch ein paar Island Boys vorkommen – knackig, dumpfbackig und natürlich nackt bis zur Hüfte. Sie bestechen auch nicht gerade nur durch ihr Hirn. Aber egal. Wollen wir nicht kleinlich sein, wenn’s ums Große geht.

Der Sturm über den Wolken schlug Wellen: 1,2 Millionen Klicks des Videos auf YouToube in nur fünf Tagen. Vielleicht bleibt neben der knappen Bademode auch die wichtigere Botschaft hängen: Notausgänge, Atemmaske, Schwimmweste! Noch ist die Nacktfleisch-Kalkulation nicht ganz aufgegangen. Ein früherer Air-New-Zealand-Spot mit „Golden Girl“-Star Betty White erzielte weit mehr Zuschauer. Die alte Dame ist 92 und komplett bekleidet.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Basteln an Frankreichs Karte

 

Frankreichs Landkarte war in den vergangenen Wochen oft in den Zeitungen und im Fernsehen zu sehen. Sie war unterlegt mit Farben für die Regionen, versehen mit Pfeilen, die in verschiedene Richtungen zeigten. Der Grund: Staatspräsident François Hollande hätte die Karte gerne ein wenig anders.

Der Präsident kritisiert die Verwaltungsstruktur im Land mit ihren drei Gebietskörperschaften: Im Mutterland existieren 22 Regionen, 96 Departements und über 36700 Gemeinden. „Die Organisation der Verwaltung ist zu kompliziert, zu schwer, zu teuer“, sagte der Präsident. Seine Kritik ist nicht neu. Immer wieder verweisen Experten auf den aufgeblähten Verwaltungsapparat. Die Bürger wüssten längst nicht mehr, wer für was zuständig sei. Nicht selten kommt es vor, dass sich Kommune, Departement und Region um dasselbe kümmern – etwa beim Tourismus oder bei der Wirtschafts- und Kulturförderung.

Ziel der französischen Regierung ist es nicht nur, das Wirrwarr an Kompetenzen zu beenden. Die Krise, in der das Land steckt, verlangt auch, bei den öffentlichen Ausgaben zu sparen. Fusionieren die Regionen, gibt es weniger Abgeordnete und weniger Beamte. Gleichzeitig geht es aber auch darum, die Regionen fit zu machen. Sie bräuchten mehr Gewicht in Europa, heißt es immer wieder. Sie litten an Kompetenzschwäche und an zu wenig Mitteln, um ihre wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben zu können. Frankreich brauche eine Art „Deutsche Bundesländer à la française“.

Tatsächlich haben die französischen Regionen viel weniger Kompetenzen als die deutschen Länder. Sie sind zum Beispiel verantwortlich für Raumplanung, Berufsausbildung, den regionalen öffentlichen Schienenverkehr oder für die Finanzierung, den Bau und den Unterhalt der Gymnasien. Für die Collèges (Sekundarstufe I) allerdings sind die Departements zuständig, für die Grundschulen die Kommunen. Ein verwirrender Unsinn, sagen Kritiker.

Noch ist kein konkretes Datum für Fusionen gefallen, und vor den Regionalratswahlen im kommenden Jahr wird man sowieso noch abwarten mit genauen Plänen. Allerdings ist eine Zahl im Gespräch: Aus den 22 Mutterland-Regionen könnten 15 werden.  Auch diese Zahl ist nicht neu. Immer wieder gab es Berichte und Arbeitsgruppen. Bereits Präsident Nicolas Sarkozy wollte Änderungen bei den Gebietskörperschaften und beauftragte Edouard Balladur im Jahr 2009, Vorschläge zu unterbreiten. Die Planer skizzierten eine Landkarte, die unter anderem so aussah: Eins wurden die beiden Regionen der Normandie (Haute-Normandie  und Basse-Normandie), die Bourgogne und Franche-Comté sowie die Departement Loire-Atlantique und die Bretagne. Auch das Elsass und Lothringen sollten zusammengehen wie Aquitaine mit Poitou-Charentes. Zudem war eine Aufspaltung der Picardie in der Diskussion. 600 Millionen Euro sollten dadurch jährlich gespart werden.

Viele Franzosen haben Vorbehalte gegenüber diesen Gebietsehen – nicht nur wegen der Mentalitätsunterschiede. Eine Fusion der Bretagne und des Departements Loire-Atlantique dürfte einen Hauptstadtstreit zwischen Rennes und Nantes auslösen, eine Fusion der beiden Normandien eine Debatte, ob die Präfektur in Rouen oder Caen sitzen soll. Und natürlich werden Abgeordnete um ihre Posten kämpfen: „Die Barone halten an ihren Hochburgen fest“, kommentierte die Zeitung Le Parisien. Deswegen soll das Prinzip der Freiwilligenheirat gelten. Allerdings wird überlegt, fusionswillige Regionen mit Boni zu belohnen.

Eine Fusion kann nicht einfach von oben entschieden werden: Ein Gesetz zur Dezentralisierung von 2010 verlangt, dass die Bürger befragt werden. Mindestens 25 Prozent der im Wahlverzeichnis eingetragenen Wahlberechtigten in beiden Gebietskörperschaften müssen an dem Referendum teilnehmen. Damit es zur Fusion kommt, braucht es mehr als 50 Prozent der Stimmen.

Manche fordern inzwischen, die Departements ganz abzuschaffen und mit den Regionen zusammenzulegen – so der Vorsitzende der konservativen Partei UMP, Jean-Francois Copé. Statt 6000 Abgeordnete für die General- und Regionalräte zu bestimmen, könnten es in Zukunft dann nur noch 4000 Regionalräte sein. Mit diesem Schritt könne man Milliarden sparen, behauptet Copé.

Präsident Hollande sprach sich bereits gegen die Abschaffung der Departements aus: Die Departements, vergleichbar mit den Kreisen in Deutschland, dienten dem sozialen Zusammenhalt, sagte er. Tatsächlich haben sie die Gesamtverantwortung für die Gewährleistung staatlicher sozialer Hilfen. Gerade für die ländlichen Gebiete sind sie wichtig, denn sie unterstützen die Gegenden, die weit entfernt sind von den Wirtschaftszentren.

„Eine Abschaffung der Departements wäre ein großer historischer Fehler“, sagt der Demograph Hervé Le Bras. Sie seien sehr sorgfältig und wohl überlegt bereits in den Jahren der Französischen Revolution zugeschnitten worden. „Fährt man raus aus der Region Ile-de-France, sind die Departements Teil dessen, wie die Franzosen ihr Land verstehen“, sagt Le Bras. Dass die Franzosen an ihnen mehr hängen als an den Regionen, hätte die Einführung der neuen Autokennzeichen gezeigt. Als bekannt wurde, dass die Departement-Nummer in Zukunft fehlen würde, gab es fast einen Aufstand. Daraufhin wurde beschlossen, dass auf dem Schild ein Eck für das Departement bleiben durfte.

 

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Neue Heroinwelle erfasst Amerika

Es begann damit, dass ein Nachbar 311 wählte und sich über Lärm beschwerte.

Zwei Polizisten klingelten darauf hin an der Haustür von Frank Giardina. Der Mann empfing sie freundlich, eine schmauchende Pfeife in der Hand. Den Gesetzeshütern kam der Geruch verdächtig vor. Was in der Pfeife drin sei, wollten sie wissen. Die freimütige Antwort: „Ach, das ist Gras“ – Marihuana. Nun fanden es die Uniformierten an der Zeit, die Personalien des Mannes festzustellen. Der blieb ein Gentleman und bat die Polizisten in die Wohnung, während er seine Papiere suchte. Auf dem Küchentisch: ein Berg von Heroin. Über fünf Pfund waren es, wie die Wägung später ergab, mit einem Marktwert von mehr als 400 000 Dollar. Mr. Giardina war offenbar so high, dass er geglaubt hatte, die Polizisten würden das Pulver höflich übersehen.

Als Szene in einer Kriminalkomödie ließe sich über den tumben Drogenhändler kräftig lachen. Doch die Geschichte hat sich nach einem Bericht der New York Times vergangenen Woche tatsächlich zugetragen, im New Yorker Stadtteil Queens, in einem Viertel, das die Polizei bis dato für drogenfrei gehalten hatte. Sie steht, leider, für einen beunruhigenden Trend: Heroin ist in den USA wieder auf dem Vormarsch. Und das, nachdem es lange Zeit so schien, als seien die Gefahren der Droge so bekannt, dass sie dauerhaft zur Randerscheinung würde.

Als am 2. Februar der Schauspieler und Oscar-Preisträger Philip Seymour Hoffman an einer Überdosis starb, nachdem er über 25 Jahre clean gewesen war, machte das Schlagzeilen. Doch für den steigenden Konsum von Heroin sind weniger rückfällige Alt-Junkies verantwortlich. Vielmehr sind es junge Leute, die die 1970er und 1980er Jahre höchstens noch aus Filmen kennen und verheerende Suchtfolgen wie Verelendung, Prostitution und Tod verdrängen. Das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft hat, was den Konsum harter Drogen angeht, nachgelassen.

Ein Bericht des Weißen Hauses von diesem Februar nennt alarmierende Zahlen: 2006 gaben Amerikaner für Heroin schätzungsweise 21 Milliarden Dollar aus, 2010 bereits 27 Milliarden (neuere Zahlen liegen nicht vor). Die Zahl der Junkies wuchs im gleichen Zeitraum von 1,2 auf 1,5 Millionen. Auch die Menge des – vor allem an den südwestlichen Grenzen der USA – beschlagnahmten Heroins stieg steil an, von 1867 Kilogramm im Jahr 2007 auf 3291 Kilogramm 2010.

Es ist nicht nur ein Problem der Großstadt. In  ländlichen Gebieten ist Heroin auf dem besten Weg, die illegalen Schmerzmittel abzulösen, die die dortige Drogenszene lange dominiert haben. Der Gouverneur des Bundesstaats Vermont, Peter Shumlin, widmete dem Problem Anfang Januar seine komplette Neujahrsansprache. Er sprach von einer „ausgewachsenen Heroin-Krise“, die Einwohner „in jeder Ecke des Bundesstaats“ bedrohe. Die Zahl der Drogentoten steige kontinuierlich und habe sich 2013 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Fast 80 Prozent aller Gefängnisinsassen seien süchtig. Jede Woche werde Heroin im Wert von zwei Millionen Dollar nach Vermont geschleust.

Es kommt vor allem aus Mexiko und wird zu Preisen gedealt, bei denen der Einstieg leicht fällt: In Großstädten kostet ein Beutelchen rund sechs Dollar. Auf dem Land lässt sich mehr verlangen, weshalb ein regelrechter Dealer-Tourismus nach Neuengland eingesetzt hat. Dass die Droge billig ist, ist freilich nicht der einzige Grund für ihre Renaissance. „Wer Drogenabhängigen zuhört, weiß, was viele in die Sucht treibt: Hoffnungslosigkeit und ein Mangel an Chancen“, sagt Gouverneur Shumlin. Die zunehmende Ungleichheit und die Rezession der vergangenen Jahre, für viele mit Arbeitslosigkeit und Zwangsversteigerung verbunden, haben der Drogenmafia neue Kundschaft beschert.

In Vermont will der Gouverneur nun mehr Geld für Prävention und frühzeitige Behandlung von Abhängigen zur Verfügung stellen. Vor allem aber rief er seine Mitbürger auf, Drogenkonsum nicht in erster Linie als Verbrechen, sondern als Krankheit zu sehen. Eine neue Erkenntnis ist das eigentlich nicht, doch vielleicht gilt auch hier, dass das kollektive Gedächtnis nach Jahrzehnten eine Auffrischung braucht. Für Frank Giardina allerdings, den Gentleman-Dealer aus Queens, kommt sie wohl zu spät.

Christine Mattauch

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Panik vor Iren im Suff

Morgen steht uns der Tag des heiligen Patrizius ins Haus. Oh dear – oh Danny boy! Mangels Töchtern schließe ich wohl besser die Hündin weg. St. Patrick’s Day, der Nationalfeiertag der Iren, ist weltweit eine karnevaleske Ausgeburt an froschgrünen Hüten, Gnomen-Bärten, Kleeblättern und Fideln. Diese feucht-folkloristischen Umtriebe kleiner Immigranten-Gemeinden konnte man bisher getrost ignorieren. Aber seit dem Erdbeben, das letzten Monat seinen Dreijährigen feierte, ist das Volk komplett iritisiert – also von Iren irritiert. Statt mit all den Paddys fröhlich ein Ale zu trinken, schieben wir lieber Panik. „Hibernophobie“ heißt das korrekt – Angst vor den Auswanderern von der grünen Insel.

Anti-irische Stimmung weltweit gibt es schon seit dem Mittelalter, denn die Iren waren stets ein Immigrantenvolk. Hunderte von keltischen Bauarbeitern lockte auch der Wiederaufbau Christchurchs. Oft teilen sie sich zu mehreren eine Bude. Das stößt Vermietern auf, die Spuren exzessiven Alkoholkonsums auf ihrer Auslegeware befürchten. Auf der größten Baustelle der südlichen Hemisphäre sind die zugereisten Handwerker als harte Arbeiter beliebt, aber nach Feierabend vor allem für eines berüchtigt: Spaß, Suff und Sex.

Letztes Jahr kam es nach einem Rugbyspiel zum Eklat. Die irischen Zuschauer im AMI-Stadion seien die größten „trouble maker“ gewesen: fünf Verhaftungen, 16 Rausschmisse und 30 Fans, die wegen ihres Alk-Pegels erst gar nicht reingelassen wurden. Der Polizeikommissar tönte danach öffentlich, Christchurchs Iren hätten „große Probleme“ mit Alkohol. Welch ein Schock, welch ein Affront in Aotearoa, dem Land der konsequenten Abstinenz, wo besonders in jungen Jahren das als „binge drinking“ bekannte Kampftrinken schärfstens verpönt ist! Kiwis sind auch im Ausland für ihre vorbildliche Nüchternheit bekannt. Davon kann man sich besonders beim Münchner Oktoberfest, bei den Anzac-Feiern in der Türkei und beim Londoner „pub crawl“ am Waitangi Day überzeugen. Oder hat man sie dort immer mit den Australiern verwechselt?

Seit dem Rugby-Krawall wehren die Iren sich gegen ihr schlechtes Image. Anfangs wurden sie nur mit Klischee-Sprüchen genervt – „sag doch mal ‚fiddle-dee-dee potatoes‘ mit deinem lustigen Akzent, haha!“ -, und Christchurchs Single-Frauen sind den gut verdienenden und gut gelaunten Kerle trotz oder wegen ihrer Aussprache durchaus zugeneigt. Aber seit Monaten hat sich das Stereotyp gewandelt. Das ging so weit, dass ein irischer Zimmermann sich an die Behörden wandte, weil er auf seiner Arbeitsstelle ständig angepöbelt wurde. Man sprach ihm schließlich 13.000 Dollar Schmerzensgeld zu.

Geld allein wird jedoch nicht reichen, um die größte Gefahr zu bannen, die angeblich von den Söhnen Irlands ausgeht: Geschlechtskrankheiten. Laut Gesundheitsamt explodiert gerade die Zahl der irischen Patienten, die wegen Chlamydien und Gonorrhoea in Behandlung sind. Hilfe! Nächste Woche besser nichts Grünes tragen und Beine fest zusammen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Im Ausland ist alles so anders…

Au weia, erst können die Russen kein Englisch und dann ist auch alles noch “ganz anders als in Deutschland”. “Verloren” fühlten sich die eingeflogenen Reporter! Das muss ein Schock für die Kollegen vom Spiegel gewesen sein. Einer, der immerhin die erste Seite wert war.

IMG_2332Hoffentlich konnte Kollege Bidder aus Moskau den eingeflogenen Reportern ein bisschen unter die Arme greifen, eventuell gar in der Landessprache das Fremdeln erleichtern.

Um künftige traumatische Erlebnisse in der Fremde zu vermeiden empfehlen wir: Freie Korrespondenten im Lande (wie sie zB über das Weltreporternetzwerk leicht zu finden sind), kennen sich gut aus, sprechen die örtliche Mundart und haben bereits funktionierende Internetanschlüsse.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Sama Wareh – Hoffnung und Kunst für syrische Kinder

Sama liest Brief der Flüchtlingskinder

Sama liest Brief der Flüchtlingskinder

Ich fahre durch die Dunkelheit in ein schmales Tal in den Bergen südlich von Los Angeles: Silverado Canyon. Die Wegbeschreibung endete mit einem Hinweis auf eine große rote Scheune. Ohne Straßenbeleuchtung sind Größe und Farbe der wenigen Gebäude am Straßenrand kaum zu erkennen. Endlich finde ich die Scheune, im Haus gegenüber leuchtet hinter einem Fenster warmes Licht. Ich bin bei Sama Wareh angekommen: Künstlerin und Aktivistin, Kalifornierin mit Wurzeln in Syrien. Bis zum Kriegsausbruch hat sie regelmäßig Familie und Freunde in Damaskus besucht.
Der Krieg hat sie so beschäftigt, dass sie einmal auf eigene Faust an die türkische Grenze reiste, um Flüchtlingen mit Decken, Heizkörpern, Medizin und Mietzahlungen zu helfen. Ein Jahr später machte sie sich wieder auf den Weg, diesmal mit der Mission, ein nachhaltiges Projekt zu initiieren und dabei ihre Stärken zu nutzen: Kunst und Pädagogik. Sie entwickelte ein Curriculum: “Kunsttherapie für Kinder in Kriegsgebieten” und zog los. Vor ein paar Wochen kam sie zurück und erzählt mir nun, was sie erlebt hat.

“Möchtest Du Linsensuppe?” fragt sie mich zur Begrüßung. Die köchelt vor sich hin, füllt die kleine Wohnung mit Wärme und dem Duft einer starken Gewürzmischung. Wir setzen uns auf ein niedriges Sofa und Sama beginnt zu erzählen.
Im November reiste sie zu einer Schule im Libanon, nördlich von Tripolis. Dort hatte sie nach langer Recherche einen Direktor gefunden, der Schülern die selben Werte vermitteln wollte wie sie: Teamwork, Kreativität und Gleichberechtigung über Religion, Geschlecht, Herkunft, Alter und Rasse hinweg – ein Vorbild für die Zukunft Syriens. Die Schüler hatten den Namen der Schule selbst gewählt: Vögel der Hoffnung.
Sama kaufte von Spenden, die sie in Kalifornien gesammelt hatte und vom Einkommen aus dem Verkauf ihrer Bilder Material und begann ihr Kunstprogramm: Sie ließ die Kinder ihre Träume und Hoffnungen malen und gestaltete mit allen Schülern, Lehrern und dem Direktor ein Wandgemälde. Die steckten der kalifornischen Künstlerin jeden Morgen Briefe und Zeichnungen zu: Blumen und Herzen, Monster, Bomben, blutende Bäume und zerstörte Städte.
“In Kunst drücken Kinder aus, worüber sie nicht sprechen können,” erzählt Sama von ihrer Zeit mit den 350 ‘Vögeln der Hoffnung’. Ein Junge sang jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn auf der Schultreppe ein Lied von der Schönheit Syriens und von Trauer um die Zerstörung des Landes. Der Abschied fiel ihr schwer, weinend ermutigte sie die Kinder, weiter zusammen zu arbeiten, zu reden und Konflikte ohne Gewalt zu lösen.
Die gesammelten Spenden finanzieren nun einen Kunstlehrer, der ihr Projekt fortführt. Er schickt ihr Videos von den Fortschritten. Sie zeigt mir eines auf dem Computer und holt aus ihrem Schlafzimmer Briefe und Zeichnungen der Kinder. Sie erinnern sie an traurige und glückliche Momente in der Schule. “Nichts kann mich mit so viel Glück und Freude füllen, wie das Lächeln der Flüchtlingskinder und die Konzentration und Ruhe auf ihren Gesichtern während sie zeichnen.”
Aus Videoaufnahmen ihres Abenteuers an der Schule produziert sie einen Dokumentarfilm. Einnahmen aus Vorführungen werden direkt zu den ‘Vögeln der Hoffnung’ geschickt. “Jeder kann etwas Positives bewirken in der Welt,” sagt sie während wir Linsensuppe löffeln. “Ich bin Künstlerin, ich hab nicht viel Geld aber jetzt haben die Kinder diese neue Freude im Leben, nur weil ich mich angestrengt habe. Das ist das beste Gefühl der Welt!”

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Nicht nur ein schlechter Traum

Gestern war der sechste Tag, an dem Peking unter einer fetten Smogglocke lag. Sechs Tage, an denen die Sonne wie in einem apokalyptischen Film nur als fahle Scheibe am braun-grauen Himmel klebte. Das sieht nicht nur schlimm aus, sondern fühlt sich auch so an. Wenn reine Luft zum Atmen fehlt, werden Menschen nervös, reizbar, depressiv oder krank.

20140226_105233

20140226_112116

 

Inzwischen auch wütend und aufmüpfig. Die chinesische Regierung hatte zwar viel versprochen, als sie im Oktober 2013 ein Aktionspaket gegen die Luftverschmutzung vorlegte. Doch passiert ist dieses Mal so gut wie nichts. Einige wenige Fabriken wurden geschlossen, das war’s. Regierungsautos blieben nicht in der Garage, Schulen wurden nicht geschlossen. Der Trick war einfach – die offiziell verkündeten Luftwerte lagen unter dem notwendigen Grenzwert. Die tatsächlichen freilich weit darüber.

Gestern Nachmittag erreichte mich eine SMS aus Deutschland. „Wie lange haltet ihr es da noch aus?“, lautete sie. Gute Frage. In Phasen, wo der AQI (Air Quality Index) permanent im tiefroten Bereich verharrt, will man natürlich nur eines: weg. Doch noch (!) gibt es sie, die Tage mit knallblauem Himmel, an denen die AQI-App auf meinem Handy dieses hübsche Froschgrün für gute Luft anzeigt. Und es sind gar nicht mal so wenige. Mit der aufgehenden Sonne steigt die Stimmung, alles geht einem leichter von der Hand. Heute ist so ein Tag. Über Nacht hat ein kräftiger Nordwind eingesetzt, der Peking von dem gesundheitsgefährdeten Feinstaub befreit hat.

20140227_075620

Dann guckt man aus dem Fenster, und denkt, es war alles nur ein schlechter Traum. Leider kehren Albträume öfter wieder als einem lieb ist.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Im Netz von Kim dem Großen

Ich lebe nicht mehr in Neuseeland, sondern in Kimdotcomland. Es vergeht keine Woche, in der der berühmteste Deutsche im Lande mich nicht auf Trab hält. Seit dem algerischen Flüchtling und vermeintlichen Terroristen Ahmed Zaoui hat kein Fremder mehr diese Nation so aufgemischt, und das ist zehn Jahre her. Keiner außer Kim Dotcom, geboren Kim Schmitz. Kein Grund mehr zum Schämen, sondern Trittbrettfahren. Vielleicht sollte ich „embedded journalist“ in der Schlacht um das Reich Kim des Großen werden?

Es gehört zu meiner Korrespondentenpflicht, Schmitzens alte Heimat – voran die demnächst als Pilgerstätte geplante Wiege Kiel-Mettenhof – an dieser Stelle regelmäßig über den Wirbel zu unterrichten, den Mr. Mega-Upload inszeniert. In den Buchläden steht seine Biographie, „The Secret Life of Kim Dotcom“, mit einem Cover, das einen von Supermächten gejagten Weltall-Messias suggeriert. Auch von Aucklands Bussen grinst er breit, neben dem Titel „Good Times“: Kims neuer Song, dem Musikkritiker halbe Seiten gewidment haben, wenn auch nicht nur anbetend. „Ansteckend wie ein Tripper“ seien die Beats, der Text so „dumpf wie ein Eimer Sand“.

Bei so viel dubioser Promi-Präsenz bitte nicht angewidert wegklicken, sondern mit mir den Platz in der ersten Reihe einnehmen. Die Show geht jetzt erst richtig los. Wann jemals wieder wird es diese transkontinentale Achse der Internet-Befreiungsfront geben? Welcher Landsmann wurde je im Exil mit solchem Tamtam gefeiert und gleichzeitig vom FBI gejagt? Also: hinsetzen und megamäßig staunen, was man mit Chuzpe, Bullshit, dickem Polster und schlauen PR-Beratern alles aus sich machen kann. Oder zu deichseln versucht, um seine Auslieferung in die USA zu verhindern.

Sollte ich plötzlich nicht mehr auftauchen, dann gibt es dafür nur einen Grund: Auch ich bin plötzlich in „Dotcoms Netz“ gefangen. So nennen es hier die Zeitungen. Gerade kam heraus, dass Grünen-Chef Russel Norman Meetings mit dem digitalen Sonnenkönig hatte, um ihm die Gründung seiner Internet-Partei auszureden. Für die würde laut Umfrage jeder Fünfte im Lande stimmen. Dafür versichert die Opposition dem jetsettenden Anti-Öko, der dicke Wagen im PS-Rausch liebt, Unterstützung im Kampf gegen Hollywood. Auch der ehemalige Außenminister Winston Peters war mehrfach in Kims Villa. Über die Treffen schwieg er sich aus, es sei „Vertraulichkeit“ vereinbart worden. Er wiederum behauptet, von offizieller Seite beschattet worden zu sein. Der reinste Politthriller. Ende offen, in jeder Hinsicht.

Sollte dieser Blog plötzlich Aussetzer haben, was so tief embedded im Jahr des Großen Kim wahrscheinlich ist, dann steckt der neuseeländische Geheimdienst SIS hinter der Störung. Die Spionage-Firma ist zwar ab sofort in den Händen einer kompetenten und menschlich astreinen Frau. Aber trotz neuer Chefin traue ich den Agenten, die Dotcom illegal abhörten, alles zu. Wenn Menschen oder Texte verschwinden, liebe Whistleblower: Ich habe an dieser Stelle gewarnt. Bis dahin „Good Times“!

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Alltag am pazifischen Feuerring

Es rieselt so leise wie Schnee und sieht in der ersten Morgendämmerung auch fast so aus, wenn die Blätter von Bananenstauden und Hibiskusbüschen schwer beladen unter einer hellgrauen Ascheschicht tief hinunterhängen. Leider hören da die Ähnlichkeiten auch schon auf. Schnee verteilt sich nicht bei jedem Luftzug in jeder Ritze des Hauses, zwischen Autositzen und auf dem Spielzeug meiner Kinder. Auch brennt Schnee nicht so in Nase und Augen wie die warme Vulkanasche, die uns heute über Nacht komplett zugedeckt hat. Dabei wohnen wir in der zentraljavanischen Stadt Yogyakarta 200 Kilometer entfernt vom wenig bekannten Vulkan Kelud, der gestern allerdings explodierte wie ein ganz Großer. Der Knall sei auch bis hierher zu hören gewesen, behaupten die Nachtwächter. Dem Dreck zu entkommen, ist gar nicht so einfach – alle Flüge sind bis auf Weiteres gecancelt, Zugtickets aus der Stadt waren am Mittag bereits ausgebucht und über Land fahren ist keine gute Idee: selbst im Schritttempo wirbelt jedes Fahrzeug so viel Staub auf, dass man nur noch wenige Meter weit sieht. Schule fiel heute aus, viele Büros waren geschlossen und die sonst so überfüllten Straßen beängstigend leer – Weltuntergangsstimmung. Bleibt zu hoffen, dass der Vulkan sich bald wieder beruhigt, der Wind dreht und ein großer Regen alles wieder sauber wäscht. Sonst müssen wir bald Animateure für unsere quengelnden Kinder engagieren, die sich momentan rund um die Uhr im klimatisierten Schlafzimmer verschanzen müssen. Noch ein Gegensatz zum Neuschnee, bei dem selbst jeder Stubenhocker hinausrennt.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Krawall im Sperrbezirk

Alice Schwarzer ist zwar weit weg, aber Nuttenalarm haben Neuseeländer auch – wenn frau das so salopp sagen darf. Unsere Probleme mit der Prostitution sind jedoch anderer Natur. Genauer, seismischen Ursprungs. Seit wir keine richtige Stadt mehr haben, weil vor drei Jahren ein Erdbeben Christchurch platt machte, haben auch die Sexarbeiterinnen ihren sicheren Arbeitsplatz verloren.

Kurze historische Nachhilfe: Neuseeland hat vor elf Jahren die Prostitution entkriminalisiert und ist seit der Reform schwer fortschrittlich, was das älteste Gewerbe der Welt betrifft. Fürsorglich geradezu. Aber wo seit dem Beben keine richtige Straße, da auch kein Strich:  In der dunklen, halbabgerissenen Geisterstadt, der unbewohnten „Roten Zone“ von Christchurchs Zentrum, will sich nachts keine Straßenschwalbe mehr einnisten. Zu unheimlich. Der Stadtrat will jetzt darüber entscheiden, wo die Frauen flanieren dürfen – und muss für ausreichende Beleuchtung und Sanitäranlagen sorgen.

In der Zwischenzeit jedoch hat sich der Strich von der Innenstadt in ein Wohnviertel an der nördlichen Manchester Street verlagert. Und da flogen die Fetzen, als das horizontale Treiben unter freiem Himmel letztens einer Anwohnerin zu bunt wurde: Die Frau, in ihren 50ern, schlug eine Prostituierte in ihrem Vorgarten nieder. Dort fand sie immer öfter Kondome und Fäkalien, von der Geräuschkulisse ganz abgesehen. Sie hatte ihr Opfer und deren Kollegin zuvor konfrontiert, worauf die beiden auf die Hausbesitzerin losgingen. Die Prostituierte zog den Kürzeren und musste ins Krankenhaus.

Seitdem wird an allen Fronten vermittelt. Aber das Problem besteht, solange der Wiederaufbau läuft. Berühmt ist mittlerweile der Fall der Straßenarbeiterin, die sich mit ihrem Hund, ihrer Matratze und einem Stapel Liebesroman-Heftchen auf den interkonfessionellen Friedhof an der Barbadoes Street verzog. Das Stöhnen ihrer Kunden störte jedoch die Bewohner des Nachbargrundstücks, die die Polizei riefen.  Sie konnte jedoch nichts ausrichten, da der Friedhof öffentlich ist – siehe progressives Prostitutionsgesetz. Erst als Tierschützer alarmiert wurden, um sich um den angeblich verwahrlosten Hund zu kümmern, räumte die Dame das Feld. Oder das Grab.

Anna Reed, Sprecherin des Prostituierten-Kollektivs, hat inzwischen neue Sorgen: Durch die vielen ausländischen Bauarbeiter in der Stadt aus „anderen Kulturen“ würden ihre Kolleginnen schlechter behandelt, öfter bedroht oder betuppt – „weil sie glauben, dass wir als ‚gemeine Nutten‘ nicht zur Polizei gehen würden, wie in so vielen anderen Ländern.“ Da haben die fiesen Freier aber nicht mit Christchurchs Beamten gerechnet. Das Gesundheitsamt gab prompt eine Broschüre heraus, die erklärt, wie das in Neuseeland korrekt läuft mit dem bezahlten Sex und wo es entsprechend Rat und Hilfe gibt. Sie wird in Backpacker-Hostels, Herbergen und auf Baustellen verteilt. Damit auch niemand zu kurz kommt, liegt jedem Heftchen ein Kondom bei. Nur bloß nicht in den Vorgärten entsorgen!

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Cornelia Funke spukt im Getty Museum

Es begann bei einer Party, erzählt mir Cornelia Funke bei einem Espresso im Büro von Thomas Gaehtgens, dem Leiter des Getty Research Centers. Einer Party, zu der sie eigentlich gar nicht gehen wollte, weil die super erfolgreiche Schriftstellerin gar nicht auf Hollywood-Partys steht. Aber sie ließ sich überreden.
“Und wen sehe ich als Erstes kaum komme ich zur Tür rein?” Der Ton legt nahe, dass es sich um ein dreiköpfiges, schielendes, sabberndes Monster am Buffet handeln muss. Wenn nicht schlimmer!
“Brad Pitt!”
“Aha!” denke ich, ich habe Cornelia missverstanden. Sie war dann doch froh, dass sie zur Party gegangen ist. “Nein!” widerspricht sie und verdreht die Augen. Dieser Anblick bestätigte nur dass es eine Feier genau der Sorte sein würde, der sie möglichst aus dem Weg geht. “Aber Brad Pitt sieht ja auch tatsächlich von Nahem sehr gut aus und ist auch sehr nett!” fügt sie dann noch hinzu.

Cornelia Funke und Thomas Gaehtgens

Cornelia Funke und Thomas Gaehtgens

Viel wichtiger war aber die Begegnung mit Gaehtgens. Mit dem sprach sie über ihre Bücher und deren Charaktere aus verschiedenen Jahrhunderten, über Projekte, Inspirationen und Schwierigkeiten beim Schreiben. Der Leiter des Research Institutes lud sie sofort ein, das Getty-Archiv zu nutzen. Das Institut ist offen für jede Form der Recherche.
Mehrere Notizbücher hat sie inzwischen gefüllt mit Fotos von Charakteren des Getty-Archivs: furchterregend, verführerisch, geheimnisvoll, bucklig, zart, klein, kostümiert, nackt… Sie alle erweckt sie in ihren Büchern zu neuem Leben. Wann immer Funke ins Institut kommt, liegen da schon neue Bücher bereit. Als Dank für Offenheit und Hilfe des Instituts erfand Cornelia Funke den Piraten William Dampier. Genauer gesagt: Dampier lebte tatsächlich von 1651 bis 1715. Dank Funke spukt er jetzt als Geist durch die weiße Getty-Festung über dem Pazifik. Sie hat eine Piraten-Geschichte erfunden rund um Landkarten, Sternenkarten, Silbermünzen, Muscheln und Mumien für die jungen Besucher der neusten Ausstellung des Instituts: ‘Connecting Seas – A Visual History of Discoveries and Encounters’. Die folgt Reisenden, Neugierigen, Abenteurern, Erfindern, Aufschneidern, Wissenschaftlern, Kolonialisten und Ausbeutern über die Weltmeere vom 17. Jahrhundert bis heute.
Mir gaben die beiden eine Tour durch die Ausstellung. Ziemlich beeindruckend! Nicht nur, was ich da zu sehen bekam sondern auch, wie die beiden ganz unkompliziert und unbürokratisch mit Hilfe von mehreren Kuratoren das Projekt auf die Beine gestellt haben.
Der Geist von Pirat Dampier soll auch in Zukunft durch Austellungen spuken und Kinder in den Bann von Forschung und Geschichte ziehen. Die Broschüre mit seiner Geschichte liegt kostenlos aus und auch Erwachsene nehmen sie gerne mit.
Die Show zur Erkundung des Globus über die Weltmeere ist noch bis zum 13. April offen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Trauertag für Australiens Great Barrier Riff

coalreefEinen Funken Hoffnung gab’s noch für Australiens Great Barrier Reef, den löschte die Great Barrier Reef Marine Park Authority (GBRMPA) heute aus. Die konservative Regierung unter Tony Abbott hatte schon im Dezember beschlossen, drei neue Kohlehäfen in unmittelbarer Nähe des Weltkulturerbes zu genehmigen, dafür drei Millionen Kubikmeter Meeresboden auszubuddeln und über den Korallen zu verschlammen. Die GBRMPA musste jedoch auch noch zustimmen. Das wollte sie eigentlich bis 24.Dezember tun, hielt ihre Entscheidung dann aber wohl für kein passendes Weihnachtsgeschenk und vertagte auf heute.

Fischer, Anwohner, Menschen die gern tauchen und/oder die Natur schätzen und viele Umweltschutzorganisationen hatten eine heiße und verzweifelte Kampagne geführt. Erfolglos. Heute gab die GBRMPA  ihre Entscheidung bekannt und die heißt: JA zu Kohle, ‘Dredging & Dumping’ und NEIN zum Schutz des Welterbes. In ihrer Begründung sagt die Behörde (deren Job eigentlich ist, das Riff zu erhalten und zu schützen): die strengen Umwelt-Auflagen für das Projekt würden die Biodiversität, sowie das Erbe und die soziale Bedeutung des Riffs gar noch verbessern. Das liest sich fast schon orwellianisch zynisch. Außerdem, so ein GBRMPA-Sprecher, sei das Riff ja viel größer als die Oma aus Wagga Wagga sich vorstelle, kurz, das falle gar nicht so auf und man solle sich mal nicht so anstellen.

Der größte Kohlehafen der Welt ensteht – mitten im größten Korallenriff der Erde.

Seit Antritt der neuen Regierung ist dies nicht die erste schlechte Nachricht für die Zukunft von Australiens Umwelt: Tasmaniens Tarkine Wildnis, gerade erst zum Schutzgebiet erklärt, ist dabei hunderttausende Quadratkilometer bisher geschützen Regenwaldes zu verlieren, das Wissenschaftsministerium wurde als aller erstes nach dem Wahlsieg abgeschafft. Tourismusbeschäftigte und Naturinteressierte sehen fassungslos und entsetzt zu.

Aber offenbar ist der Regierung wichtiger, noch mehr Bodenschätze so schnell und lukrativ wie möglich aus der Erde zu buddeln. Australien ist der weltgrößte Kohle-Exporteur. 2010 exportierte der Kontinent knapp 300 Millionen Tonnen Steinkohle. Hauptabnehmer sind Japan und China. Was wir Australiens Kohle rundum noch so verdanken, hat Bill McKibben im Monthly aufgeschrieben.

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Frostige Zeiten

Wenn man zehn Jahre in den Tropen gelebt hat, kann einem der Winter nach einem Umzug in ein Land der nördlichen Hemisphäre zu schaffen machen. Zumal, wenn es ein Winter in Peking ist. Denn zu den wochenlangen, lausig kalten Temperaturen, kommen dann noch jene Tage, an denen der Horizont getrübt ist von dieser berüchtigten, grau-braunen Dunstschicht, die „dicke Luft“ bedeutet.

Glücklicherweise war es bisher aber, jedenfalls wird uns Neulingen das so erzählt, eher mild (also nur rund 30 Grad kälter als wir es um diese Jahreszeit in unserer alten Heimat, den Philippinen, hätten). Auch Tage mit richtig mieser Luft hat es noch nicht so viele gegeben wie vergangenes Jahr im Januar.

Es gibt also keinen Grund, sich im Haus zu verbarrikadieren. Ganz im Gegenteil, dank Väterchen Frost weitet sich der Kanon der möglichen Outdoor-Aktivitäten aus. Sehr populär sind beispielsweise Wanderungen auf bis zum Grund vereisten Flüssen.

2014 01 19 Ice River Hike 077 klein

Einheimische machen es sich auf zugefrorenen Seen beim Picknick gemütlich, oder nehmen eine Abkürzung quer über die Eisfläche nach Hause.

2014 01 19 Ice River Hike 141 klein20140126_103058

 

 

 

 

 

 

 

Und dann ist da natürlich der Klassiker: Schlittschuhlaufen. Am Stadtrand von Peking geht es ganz ohne Massenandrang, entspannt und stundenlang.

2014 01 19 Ice River Hike 078 klein

Das einzige, was zum Glück dann noch fehlt, ist eine Bude, an der es Glühwein gibt. Aber das könnte ja ein Projekt für den nächsten langen Winter sein.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Lars von Triers Nymphomaniac, Henrik Ibsens Nora oder im Körper von Charlotte Gainsbourg, Stacy Martin, Joe und Elvira Friis

Im Kino gewesen. Auf der Leinwand gesehen wie Charlotte Gainsbourg sich auspeitschen lässt. In einer anderen Szene hat sie Sex mit Shia LaBeouf, der später mit Mia Goth schlafen wird – aber erst nachdem sie mit Gainsbourg im Bett war.

„Nymphomaniac“, der neue Film von Lars von Trier, hat jede Menge Sex-Szenen. Kaum ein Charakter, gespielt von oben genannten Schauspielern und anderen wie Stellan Skarsgård und Sophie Kennedy Clark, der mehr als ein paar Minuten auftaucht, hat nicht irgendwann in dem Vierstundenfilm Sex.

Eine ersten Blick habe ich für The Wall Street Journal‘s Speakeasy schon im Dezember auf „Nymphomaniac“ geworfen, der Kurztext (auf Englisch) steht hier, unten eine ausführlichere deutsche Fassung. In den vielen mehr oder weniger expliziten Szenen sind die Körper der internationalen Stars durch Double ersetzt, die ähnlich Stuntmen dort einspringen, wo die Berühmtheit nicht mag. Über Elvira Friis, das dänische Körperdouble von Stacy Martin und Charlotte Gainsbourg, gibt es hier meinen Text bei The Wall Street Journal (ebenfalls auf Englisch).

Monate-, wenn nicht jahrelang haben die Medien verrückt gespielt wenn es um den „Filmporno“, das „Sex-Epos“, den „Sexfilm“ oder das „Porno-Drama“ ging.

Allerdings, nach Besuch einer der ersten vorab Filmvorführungen in Kopenhagen, weiß man: „Nymphomaniac“ wegen der Sex-Szenen zum Porno zu küren wäre wie „On the road“ der Kategorie Action zu zuordnen, nur weil Autofahren ein essentieller Part ist.

Natürlich geht es in dem Film um Sex; unter anderem. Sex ist Teil der Handlung, aber nicht alles.

In einem klassischen Pornofilm gibt es die Handlung, die alle Szenen verbindet, vermutlich nur, um dem Zuschauer auch einmal eine Pause zu gönnen.

„Nymphomaniac“ dagegen zeigt, wie die Hauptperson Joe (in ihren jungen Jahren gespielt von Stacy Martin, im Alter von Charlotte Gainsbourg) versucht, zwischen dem ganzen Sex nicht zu lange Pausen zu haben.

Anfangs streunt die junge Joe zusammen mit ihrer Freundin B. (Sophie Kennedy Clark) in einem Zug umher und jagt die Männer in den Abteilen mit ihren Blicken. Die zwei Mädchen haben einen recht ausgefallenen Wettbewerb: Diejenige, die während der Zugfahrt am meisten Männer erlegt, gewinnt eine Tüte Schokoladenbonbons.

Es wird nur angedeutet oder in Soft-Porn-Versionen gezeigt, wie Joe ihre Männer niederstreckt, wie sie durch ein Fellatio gewinnt, ist hingegen komplett zu sehen. Allerdings recht kurz.

Den Zuschauer zu erregen ist die Kernidee eines traditionellen Pornofilmes, aber wie von Trier in „Nymphomaniac“ den Geschlechtsakt zeigt und in welcher Kürze, deutet darauf hin, dass er dem Zuschauer nicht einmal die Möglichkeit geben möchte, erregt zu werden.

Statt langsam und gefühlvoll oder zumindest mit erotischen Bildern sich dem Höhepunkt zu nähern, zeigt von Trier Sex als einen mechanischen Akt. In manchen Szenen sind Nummern eingeblendet, die zählen, wie oft der Mann auf der Leinwand Joe stößt – das unterstreicht wie wenige Emotionen involviert sind.

B. entdeckt kurz nach der Zugfahrt für sich, dass Liebe Sex noch genussreicher machte – und taucht dann nicht mehr in dem Film auf. Joe jagt weiter.

Sie kommt nie zur Ruhe. Während in einem klassischen Porno Sex zumindest dem Anschein nach, die Menschen glücklich macht, ist dies für die Nymphomanin nicht der Fall.

Joe wirkt nie glücklich, sondern stets einsam und auf beinahe romantische Art auf der Suche. Sex scheint sie nicht länger als für die Dauer des Aktes zu befriedigen.

Dreimal ist sie nah dran, ihren Wunsch erfüllt zu bekommen, aber jedes Mal entfaltet der Sex-Drang zerstörerische Kraft. In „Nymphomaniac“ sind Menschen nur glücklich und friedlich, wenn sie keine sexuellen Begierden haben – wie der Buch-Liebhaber Seligman, dem Joe ihre Geschichte erzählt, und vielleicht auch zeitweilig ihre Partner Jerome und Mia.

Von Trier zeigt, dass Sex-Lust menschlich ist, aber auch, dass sie dazu führen kann, dass die Menschen sich unmenschlich verhalten, ihr Kind verlassen und dessen Tod riskieren oder den einzigen wirklichen Freund verletzen. Traditionelle Porno-Filme klammern so etwas aus und fokussieren darauf, wie erfüllend Sex sein kann. Dunkle Seiten haben dann keine wirklichen negativen Auswirkungen, sondern sind nur luststeigernd.

Trotz allem, ist „Nymphomaniac“ einer der leichteren, unterhaltsameren, phasenweise lustigen Filme von Triers. So sollte das Ende auch nicht allzu düster gesehen werden, auch wenn wie in anderen Filmen des dänischen Regisseurs, „Antichrist“, „Dogville“ oder „The Kingdom“ etwa, alles gegen Ende hin immer schlimmer wird.

Die letzte „Nymphomaniac“-Szene ist eine radikale Version von Ibsens Schauspiel „Nora“.

Während Nora sich selbst befreit und mit dem Stigma ihre Ehe zerstört zu haben, gehen kann, ist der Preis den Joe zahlt, erheblich höher.

Nachdem die Lust sie jahrelang verfolgt hat, trägt sie eine andere Bürde und der Film endet mit einer Ambiguität, wie sie dem klassischen Porno-Genre unbekannt ist.

Bild: Elvira Friis – Foto: Lasse Egeberg

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Willkommen bei McAufruhr

Da mag Barack Obama eine große Rede zur Abhörpraxis der NSA halten und Yahoo-Chefin Marissa Mayer ihren Vizechef feuern – Tagesgespräch in New York ist eine kleine McDonalds-Filiale im Stadtteil Queens. Genauer gesagt in Flushing, einem Viertel mit vielen Einwanderern aus Korea. Über die Jahre hat er sich zum Treffpunkt von Senioren entwickelt. Die ersten kommen schon am frühen Morgen. Sie kaufen einen Kaffee für 1,09 Dollar, setzen sich und klönen. Neuankömmlinge werden freudig begrüßt. Das geht so bis zum Abend.

McCafe-Premium-Roast-Coffee

Was in dem Cafè eines Altenheims ein liebenswertes Ritual wäre, hat sich für McDonalds-Filialbetreiber Jack Bert zu einem echten Problem entwickelt. Denn die netten alten Herren verzehren nicht nur wenig, sondern blockieren die Tische angeblich in solcher Zahl, dass andere Burger-Fans oft keine Plätze finden. „Sie können sich wohl vorstellen, dass es für jedes Unternehmen eine schwierige Situation wäre, wenn einige Kunden andere behindern“, sagt Bert. Er hat versucht, sich zu wehren – bat die Herren zu gehen, erst höflich, dann harsch. Er hängte Schilder auf, wonach eine Mahlzeit innerhalb von 20 Minuten verzehrt sein muss. Als alles nichts half, wählte er die Notrufnummer 911. Und dann kam die Polizei.

Die richtete zwar auch nicht viel aus gegen den Stammtisch. Die Senioren verließen das Lokal, drehten eine Runde um den Block und kehrten in den McDonalds zurück, sobald die Luft rein war. Aber Angehörige und Nachbarn reagierten empört: Wie konnte es der Filialchef wagen, die Großväter mit Staatshilfe zu vertreiben? „Ältere Bürger sollten nicht wie Kriminelle behandelt werden“, sagt Christine Colligan von der Korean Parents Association von New York.

Der Konflikt ist auch ein Kampf der Kulturen: Für die meisten Amerikaner ist die aushäusige Nahrungsaufnahme eine kurze und zweckgebundene Angelegenheit. Nach dem Essen gemütlich sitzen zu bleiben, ist selbst in normalen Restaurants nicht üblich – die Rechnung wird nicht selten schon während des Essens gebracht. Das hat seitens der Gäste mit Effizienzdenken zu tun – weshalb sitzen blieben, wenn die Mahlzeit beendet ist – und seitens der Restaurantbetreiber mit hohen Mieten, die es erfordern, die Tische möglichst schnell wieder zu besetzen.

In Korea geht es, wie Einwanderer erzählen, wesentlich entspannter zu beim Essen. Vor allem aber ist, wie in allen asiatischen Kulturen, die Achtung vor dem Alter stark ausgeprägt. Es ist eine Selbstverständlichkeit – mehr noch: eine Pflicht –, Senioren respektvoll und freundlich zu behandeln. Die Polizei zu holen, weil einer seinen Kaffee nicht schnell genug austrinkt – undenkbar. Christine Colligan und ihre Freunde haben deshalb zum Boykott von McDonalds aufgerufen – weltweit.

Dem Fast-Food-Konzern droht Imageschaden. Nachdem zunächst nur koreanische Zeitungen über das gestörte Sit-In berichteten, brachte diese Woche auch die New York Times eine große Geschichte, und jetzt hat die Boulevardpresse das Thema entdeckt. „This is McMayhem“, schrieb die Daily News, was sich ungefähr mit „Willkommen bei McAufruhr“ übersetzen lässt. Ein Lokalpolitiker namens Ron Kim hat sich eingeschaltet und versucht zu vermitteln. Spätestens im Frühling allerdings dürfte sich die Situation von selbst beruhigen. Der Margaret Carman Park mit vielen Bänken ist gleich um die Ecke. Und weitaus schöner als ein steriles Fast-Food-Restaurant.

Foto: McDonalds

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Gayet-Gate: Alle reden drüber aber kaum jemand ist beeindruckt

Seit Tagen berichten alle Medien drüber: Präsident Hollandes angebliche Affaire mit der Schauspielerin Julie Gayet. Derzeit ist sie eines der beliebtesten Klatsch-Themen in Frankreich. Nicht, dass sich jemand wirklich darüber aufregte. Denn eine gelegentliche Affaire gehört für den französischen Mann eigentlich zum guten Ton. Zumindest ist sie nichts moralisch Verwerfliches. Aber es ist eben eine „histoire de cul“. Darüber tratscht man gerne. Drum konnte das People-Magazin „Closer“ mit der Geschichte seine verkaufte Auflage seit vergangenen Freitag glatt verdoppeln.

Hollande hat sich entrüstet über die Einmischung der Medien in sein Privatleben, dementiert hat er die Affaire nicht. Einer Umfrage des „Journal du Dimanche“ zufolge hat die mutmaßliche Affaire für 84% der Befragten ihre Meinung über den Präsidenten nicht verändert. 77% der Franzosen halten es für seine Privatangelegenheit. Damit würde die Story vermutlich schnell im Sande verlaufen. Hätten wir nicht bald Kommunalwahlen in Frankreich. Und natürlich versuchen die Opposition und die ihr nahestehenden Medien die Nummer auszuschlachten. Hat der Präsident für seine sexuellen Begierden seine Sicherheit aufs Spiel gesetzt? Oder hat er sich mit einer Bande von Mafiosi eingelassen, weil er deren Wohnung als Liebesnest benutzt hat?

Während sich die regimetreuen Medien Gedanken machen, ob es sich hier nicht um ein politisches Komplott gegen François Hollande handeln könnte. Hat vielleicht ein immer noch Sarkozy-treuer Sicherheitsmann des Elysée die Geschichte durchsickern lassen?

Eigentlich leid tun kann einem nur Valérie Trierweiler, Hollandes offizielle Partnerin. Sie wird in einem Pariser Krankenhaus wegen eines nervösen Schocks behandelt. Ihr Pech ist es, dass sie nie eine große Sympathie-Trägerin war. Sonst würden sich jetzt zumindest ihre Fans aufregen. So erhält sie von nur wenigen sehr verhaltenes Mitleid. Dass ihr diese ganze Medienkampagne sehr viel mehr zusetzt als Mr. Le Président, darüber scheint sich niemand Gedanken zu machen. Ob man sie nun mag oder nicht, ich stelle es mir schrecklich vor, wenn man erst als gestandene Journalistin plötzlich „première dame“ wird und sich deshalb vom Protokoll und den Pressekollegen gründlich zurecht stutzen lassen muss. Und nachdem sie das mit mehr oder weniger Haltung überlebt hat, erfährt sie nun eine öffentliche Degradierung und Schmach, weil „le président normal“ eben ganz normal war und sie betrogen hat.

Schon zerreißen sich die Klatschspalten die Mäuler darüber, ob sie jetzt auch ganz normal sein darf und ihn in den Hintern treten darf. Oder ob sie staatsfraulich mit Hollande nach Washington reisen muss, um sich beim Damenprogramm von Michelle Obama bemitleiden zu lassen.

Während die französischen Medien weiter schmutzige Wäsche waschen, hat die Mehrzahl der Franzosen ganz andere Sorgen. Um die sollte sich der Präsident kümmern. Nicht um Croissants für seine Geliebte, wenn es sie denn wirklich gibt (und vieles deutet darauf hin). Oder um die Verteidigung seiner Privatsphäre. Da darf man sich nicht wundern, dass das jüngste Stimmungsbarometer des Forschungszentrums Cevipof herausfand: 87 % der Franzosen sind der Ansicht, die politischen Verantwortlichen kümmerten sich nicht um sie und ihre Belange. Und 69 % der Franzosen meinen, die Demokratie funktioniere nicht mehr richtig.

Das sollte den Politikern und den Medien in Frankreich zu denken geben. Wenn sie es ernst nähmen, hätten sie vermutlich gar keine Zeit mehr für Affairen dieser Art.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Hollande / Gayet: Eine Maitresse ist total normal

In Frankreich beherrscht gerade ein Thema die Medien: Francois Hollande angebliches Liebesverhältnis zur Schauspielerin Julie Gayet. Das Gerücht, Ende letzter Woche vom People-Magazin Closer aufgeworfen, aber bereits seit Monaten ein Thema auf Blogs in Frankreich, hat zum Rauschen im Blätterwald geführt.

Was immer auch dran sein mag am Gerücht, interessant ist, wie die Diskussion in den Medien geführt wird. Denn das ist schon sehr französisch. Das recht angesehene Magazin Le Nouvel Obs hat die People-Expertin Viginie Spies zu Wort kommen lassen, die in einem nicht ausdrücklich gekennzeichneten Kommentar ihre ganz persönliche Meinung zum Besten gibt unter der Überschrift: “Francois Hollande, Julie Gayet und Closer: jetzt prominent, der Präsident endlich normal”. Weiter unten heißt es dann: “Francois Hollande ist ein normaler Mann, der Präsident der Küsschen.” He? Soll das heißen, dass es völlig normal für französische Männer ist, eine Maitresse zu haben. Oder heißt das, dass es völlig normal ist für den französischen Staatspräsidenten, eine Maitresse zu haben?

Bildschirmfoto 2014-01-13 um 12.14.58

Blicken wir kurz zurück: Über Nicolas Sarkozy und Carla Bruni braucht man kein Wort mehr zu verlieren. Jacques Chirac hat ein uneheliches Kind in Japan. Am Grab von Mitterand poppte auch plötzlich eine neue Tochter auf. Selbst dem immer sehr distinguierte Giscard d’Estaing wird eine recht eigenartige Beziehung zu Lady Di nachgesagt und bei den Pompidous ging nbicht er, sondern sie fremd – im Porsche des Mannes, der nur mit seinen Autos fremd ging und sich weigerte, ein französisches Automobil zu fahren.

Also alles ganz normal im Hexagon. Business as usal. Warum regt sich eigentlich noch irgendjemand darüber auf? Das ist halt so in Frankreich.

Besonders gerne nimmt man sich in der Präsidentenetage Damen aus dem Showbiz: Gayet, Bruni, Sagan, etc. Wie kommt’s? Valérie Trierweiler, inzwischen aufgrund einer Depression rund um das Skandalgerücht  im Krankenhaus, konnte nie wirklich die Herzen der Franzosen gewinnen. Zu streng, zu intelligent. Auch Madame Chirac trat eher auf wie eine eiserne und meist eher schlecht gelaunte Lady an der Seite eines geborenen Charmeurs. Im Vergleich dazu dann Carla Bruni: Das Ex-Top in ihren schicken Dior-Kostümchen und den Louboutin-Kitten-Heels-Sonderanfertigungen für große Frauen an der Seite kleiner Männer: Sie plapperte in fünf Sprachen und gab auf Fragen wie “Was steht denn bei dem Weltwirtschaftgipfel gleich auf dem Programm? so hinreizend banale Antworten wie “Oh, ein Cocktail!”. Sprachs, lachte ihr 10 Mio.-Euro-Top-Model-Lächeln und winkte, bevor sie zum Cocktail entschwand. Frage ist: Wollen das die Franzosen? Vielleicht.

Julie Gayet ist keine Carla Bruni. Die Schauspielerin, die eigentlich nur im französischen Kino eine Rolle spielt, aber gerne ab und an bei dem Chanels Show in der ersten Reihe glänzt, hat inzwischen Klage eingereicht. Closer musste das Gerücht von der Website nehmen, was das Ganze aber nicht mehr ungeschehen macht. Der PR-Effekt ist längst erledigt: Der Präsident gilt nun als “normal” gilt, was er vorher scheinbar nicht war, und reiht sich ein die Reihe seiner Vorgänger. Kein Grund zur Sorge. Sie alle blieben im Amt. Die medialen Wellen werden sich legen und irgendwann beim nächsten Staatsempfang ist dann eben eine Neue am Arm des Präsidenten.

Foto; Screenshot Le Nouvel Obs

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Wut und Ehre: Yasukuni-Schrein spaltet Asien

Vor drei Wochen der Premier. Vor zwei Wochen der Innenminister. Und nun ich. Alle privat – versteht sich. Wir haben den umstrittenen Yasukuni-Schrein besucht: Shinzo Abe, weil er für den Frieden betet. Shindo Yoshitaka, weil er Neujahr feiert. Und ich, weil mich Zero Jagdbomber an meine Kindheit erinnern – ich war fanatischer Papiermodellbauer.

zero fighter yasukuni DSC07387

Selfie mit Mitsubishi:  Der A6M Zero hatte eine Kill-Rate von 1:12. 

Der Yasukuni-Schrein ist ein schintoistisches Heiligtum in dem 2,466,532 „Seelen“ geehrt werden – die Gefallenen aller Kriege und 14 verurteilte “Klasse A” Kriegsverbrecher. Neben dem Schrein steht das  „Yushu“ Museum. 100,000 Kriegsartifakte sind dort ausgestellt. Yasukuni-Besuche von japanischen Politikern bringen Anrainerstaaten zur Weissglut. Verständlich,  denn sie waren Opfer von Japans Expansionspolitik und ihren Folgen: Massaker, Zwangsprostitution und biologische Experimente an lebenden Menschen.

Umgemünzt auf deutsche Verhältnisse, würde der Schreinbesuch des japanischen Premierministers so aussehen:

Merkel betet vor laufenden Fernsehkameras im Kölner Dom für den Frieden, gedenkt aller Gefallenen, die für Kaiser und Hitler ihr Leben liessen. Auch die „Opfer“ vom Nürnberger Prozess schliesst sie in ihr Gebet mit ein:  Göring, Hess, Bormann, Kaltenbrunner und Konsorten. Gleich neben dem Dom ist Kriegsgerät ausgestellt, darunter eine  Messerschmitt, zwei Vergeltungswaffen (V1 und V2) sowie ein Typ XVI U-Boot mit dem Spitznamen „Milchkuh“. Die Beschilderung schwärmt vom germanischen Heldentod neben Insignien der SS.  Die Überfälle auf Polen und Russland werden als „Geschehnis Polen”  und „Geschehnis Russland“ bezeichnet. Kaum ist Merkel in ihre Audi-Dienstlimousine gestiegen, treffen die ersten Protestschreiben ein, unter anderem aus Polen, Russland und Frankreich. Amerika ermahnt den Verbündeten zur Mässigung. Merkel betont, dass sie nur für den Weltfrieden gebetet habe.

SONY DSC

Schrein des Anstosses: Jährlich besuchen hunderttausende Japaner den Yasukuni-Schrein, ehren gefallene Verwandte. Die Trennung von Kirche und Staat ist in Japan zwar strikter als in Deutschland und Österreich – hat aber die Kontroverse um den Yasukuni-Schrein nicht verhindern können. 

SONY DSC

Geschütz mit Einschusslöchern im Yushu Museum.

washing ritual lr DSC07367

 Symbolische Reinigung vor dem Schrein: Hände waschen, Mund spülen.

dragon biting my head lr DSC07374

Der Drache garantiert Aufstieg, bringt Glück: Für 100 Yen lasse ich mir vor dem Shinto-Heiligtum in den Kopf beissen.

SONY DSC

Softdrinks als Opfergabe: Neben dem Schrein steht ein lebensgrosser Kamikaze-Pilot aus Bronze. Die japanischen Selbstmordkommandos heissen offiziell immer noch : „Spezialangriffstruppe“.

SONY DSC

Früh übt sich: Schiessbude vor dem Schrein.

SONY DSC

Das macht auch der japanische Premierminister: Geld in die Truhe werfen, zwei mal verbeugen, zwei mal klatschen, dann beten.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Los Angeles – soviel mehr als Hollywood

IMG_2049
Jedes Jahr am 31. Dezember wandere ich mit Freunden auf eine Hügelkuppe in den Bergen von Los Angeles. Von dort schauen wir beim Picknick vom glitzernden Pazifik im Westen über Wolkenkratzer von Downtown bis zu schneebedeckten Bergen im Osten. Es ist immer eine gute Gelegenheit, mich an Menschen und Orte zu erinnern, die ich im vergangenen Jahr getroffen und entdeckt habe. Wieviel ich selbst nach zehn Jahren in Los Angeles noch zu entdecken habe wurde mir bei meinem letzten Interview im Jahr 2013 mal wieder sehr bewusst. Für Reporter Corps, ein Projekt der USC Journalismus Schule ging ich mit einer Studentin durch das Viertel, in dem sie aufgewachsen ist: Watts. Im Süden der Wolkenkratzer gelegen, ist es vor allem bekannt für die Rassenunruhen, die dort 1965 ausbrachen, Bandenkriege und Schießereien über die die Abendnachrichten berichten. In alternativen Reiseführern werden außerdem die Watts Towers erwähnt, das Kunstwerk eines italienischen Einwanderers, der in jahrelanger Arbeit aus Fundstücken Türme schuf, die sich bis heute dem blauen Himmel entgegen strecken.
Shanice, die Studentin, zeigte mir ein anderes Watts: einen Park, in dem Pärchen auf Bänken sitzen, Mütter ihre Kinder auf Schaukeln und Rutschen beobachten und Teenager Baseball spielen; daneben eine Bibliothek und ein Beratungszentrum für Jugendliche, zwei Künstler, IMG_3708 die eine Wand des Jugendzentrums mit bunten Symbolen für Freundschaft und Verständigung verschönern und ein stolzer hispanischer Vater, dessen Kinder in Watts aufgewachsen sind und ihren Uniabschluß gemacht haben.
“Ich lebe gerne in Watts” sagt die 22 jahre alte Shanice. “Hier ist immer etwas los, die Leute sind meistens freundlich und helfen einander. Viele hier haben es nicht leicht und erreichen trotzdem viel! Viele starke Menschen leben in Watts!”
Shanice über das Leben in Watts

Es gibt so viele Geschichten zu erzählen, die zeigen: Los Angeles hat unendlich mehr zu bieten als Hollywood. Ich freu mich schon auf die Entdeckungsreisen im neuen Jahr!

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Japan Haushalt 2014: Angst fressen Seele auf

Das japanische Budget für 2014 liegt vor. Ich bin Optimist und kein Miesmacher (obwohl Wiener). Und so habe ich zum Thema Haushalt beide Seiten zu Wort kommen lassen.

Zunächst aber: Happy New Year und danke an alle, die Weltreporter „verfolgen“. Egal was wir uns 2013 vorgenommen hatten, erreichen konnten, auf die lange Bank schieben mussten oder fallen liessen – eins hat ermutigt: Die Aufdeckung der NSA-Affäre unter Beteiligung von Glenn Greenwald. Warum dem freien Journalisten der Coup gelungen ist? Snowden vertraute ihm. Glenn sollte Ehrenmitglied unseres Netzwerks werden.

2014 card hagenberg

Ein Jahr ohne „eyes in the skies“? Für meine Neujahrskarte hat mich Gerhild Nieberg in Raiding fotografiert.

Und nun zum japanischen Haushalt.

Nippon steht mit 15 Nullen in der Kreide: Eine Billiarde Yen. Das sind fast 250% des Bruttoninlandsprodukts. Die höchste Staatsverschuldung der Welt. (Zum Vergleich: Griechenland „nur“ 180%, USA 112%, Deutschland 82%). Um diesen Schuldenberg abzubauen, müssten sämtliche Japaner 2500 Jahre lang ihren gesamten Verdienst an die Gläubiger abliefern.

Für 2014 sind die Staatsausgaben der drittgrössten Weltwirtschaft mit 95 Billionen Yen veranschlagt (12 Nullen). 43% davon decken neue Kredite ab, Steuereinnahmen allein reichen nicht aus. Der Wahnsinn: Ein Viertel vom Haushalt fressen Zinsen weg – und da könnte man wie Rainer Werner Fassbinder sagen „Angst fressen Seele auf“. Was bleibt sind 32% für Sozialausgaben, 5% für die Armee und 6% für Ausbildung und Forschung (Zahlen abgerundet) –der Rest dient der Systemerhaltung.

Fassbinder Berlin poster hagenberg event 1979

Budget-Angst fressen Seele auf: Rainer Werner Fassbinder mit Einladung zu meinem Japan Event, Berlin 1980.

Der Budget-Optimist sagt:

Bis 2020 (rechtzeitig zur Olympiade in Tokio) sind alle Schulden abbezahlt – wie die Regierung verkündet. Japan hat sich neu erfunden, erobert die Welt mit Exporten zurück. Reissend Absatz finden Roboter für Katastrophendienst, Alten- und Krankenpflege. AKWs stehen in Japan still, werden deshalb umso mehr im Ausland verkauft. Wundersam schrumpfen weltweit die Energiekosten (Japan importiert 80% seines Bedarfs). Investitionen in Alternativenergien tragen Früchte, angespornt durch die Stilllegung der AKWs. In der Aufschwungeuphorie strömt ausländisches Investitionskapital in den Inselstaat. Die angehobene Mehrwertsteuer (im April 2014 von 5 auf 8 Prozent) hat die Wirtschaft nicht gedrosselt, wie befürchtet. Die Zahl von derzeit einer Million ausländischer Touristen vervielfacht sich. (Zum Vergleich: Österreich hat jährlich 23 Millionen Besucher aus dem Ausland). Die meisten Reisenden kommen dann aus China, Korea und Taiwan. Denn Japan hat sich ein für allemal für seine Weltkriegsgreuel entschuldigt (allerdings nicht unter Abes rechtslastiger Regierung). Das Arbeitsalter wurde auf 75 Jahre angehoben, um die Sozialausgaben in den Griff zu bekommen. (Ein Viertel der Bevölkerung ist derzeit über 65 Jahre alt. Bis 2060 werden es 40 Prozent sein).

Der Wiener sagt:

Die Regierung Abe druckt Geld wie verrückt. Bis 2020 verfällt der Wechselkurs auf den Stand von 1985: 250 Yen für einen Dollar. (2012 kostete der Greenback nur 76 Yen, ein Jahr später bereits 105 Yen). Energieimporte werden unerschwinglich. Eine „export-driven-economy“ materialisiert sich nicht, denn die von Abe angekündigten Reformen und Innovationen bleiben aus. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer 2015 auf 10% (von derzeit 5%) drosselt den Konsum. Atomkraftwerke werden dazugebaut und laufen auf Hochtouren. Das wiederum reduziert Forschungsinvestitionen für Alternativenergien und deren Spin-offs). Mit der rasant alternden Bevölkerung explodieren die Sozialkosten. Die bisher pazifistisch ausgerichtete Konstitution hat die Regierung umgeschrieben, die Armee darf nun ausserhalb Japans operieren. Das Land sitzt weiterhin auf einem Vorrat von 44 Tonnen Plutonium – genug für 5000 Atombomben. Territorialstreitereien mit Nachbarländern intensivieren sich und das Verteidigungsbudget steigt (dieses Jahr um 2.1 Prozent). Am Ende kann Japan seine Schulden nicht mehr finanzieren, macht bankrott und reisst die Weltwirtschaft mit sich.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Der Früh-Weihnachtsbaum

Der Weihnachtsbaum beim Nachbarn steht schon und leuchtet. Seit Anfang Dezember. Das Paar auf der anderen Straßenseite schaltet die Elektro-Baumkerzen immer abends zum Fernsehen ein. Ich muss zugeben, dass dieser Früh-Weihnachtsbaum auf mich seit Wochen einen subtilen Druck ausübt. Immer abends, beim Blick in die Gasse vor dem Haus, strahlt mich der hübsche Baum von gegenüber an mit der Botschaft: Du Deutscher, wenn Du nicht bald auch Deinen Baum kaufst, kriegst Du keinen mehr.

Viele Franzosen stellen den Baum schon Wochen vor Weihnachten auf. Ich dagegen habe mal wieder mit dem Kauf bis heute gewartet und ahne nun, dass ich bestraft werde mit einer Baumqualität minus fünf. Mein Wecker klingelt früh. Ich will bald dran sein und fahre zum großen Supermarkt vor den Toren der Stadt, weil es dort sicher noch Bäume gibt. Auf dem Parkplatz kommen mir Franzosen mit prall gefüllten Einkaufswägen entgegen: Wein- und Champagnerflaschen, Gänseleberpastete, Geflügel, Lachs und Packungen voller Muscheln und Austern. Trotz der Krise wird beim Weihnachtsschmaus nicht gespart: Durchschnittlich gibt eine französische Familie dafür zwei Prozent mehr aus als im vergangenen Jahr, nämlich 175 Euro.

Es gibt noch Bäume. Aber sie schauen mich traurig an und ich weiß sofort: Ihr Armen seid übrig geblieben. Habt Lücken, die keine Christbaumkugel füllen kann. Seid verwachsen, als ob Euch jemand die Äste verknotet hätte. Dabei sind meine Baumansprüche enorm hoch, auch weil ich Wachskerzen statt elektrische habe. “Ah, Sie sind bestimmt Deutscher, wenn Sie echte Kerzen haben”, sagt der Verkäufer. “Echte Kerzen und spät den Baum kaufen – das sind die Deutschen.”

Während ich kritisch auf die Nordmann-Tannen schaue, frage ich ihn, warum viele Franzosen eigentlich solche Früh-Baumaufsteller sind. “Isch weiß, isch weiß”, sagt er auf Deutsch. Seine Schwester lebt bei Köln und er weiß, dass dort der Weihnachtsbaum erst an Heiligabend seinen großen Auftritt hat. “Bei uns ist das Weihnachtsfest einfach kommerzieller, nicht so besinnlich”, meint er. Seit Wochen sei Weihnachten in der Werbung, da wolle man halt auch seinen Baum schon genießen. Andere fahren an Weihnachten in die Skigebiete, dann kann man zu Hause den Baum ja gar nicht mehr anschauen – also tut man das vorher. Die Kassiererin schaltet sich ins Gespräch ein und meint, bei ihr zu Hause achte man sehr wohl auf den Unterschied zwischen Vorweihnachtszeit und Heiligabend. “Wir stellen unseren Baum zwar auch schon Mitte Dezember im Wohnzimmer auf und schmücken ihn, aber meine Mutter hängt erst am Heiligabend den großen Strohstern an die Baumspitze.”

Apropos Heiligabend (Réveillon de Noël). In Frankreich ist der noch ein normaler Arbeitstag, die Geschäfte haben vielerorts bis 19 Uhr auf, man kriegt für 18 Uhr sogar noch einen Arzttermin. Nach Geschäftsschluss aber rasen alle in ihre Familien, dann kann das mehrgängige, stundenlange Festessen (Réveillon) beginnen, manche gehen noch in die Christmette. Geschenke gibt es meistens erst am 25. Dezember. Einen zweiten Weihnachtsfeiertag gibt es hierzulande leider nicht. Der Umtauschtrubel geht hier also früher los als in deutschen Landen…

So, jetzt wird der Baum geschmückt. Schon am 22. Dezember? Naja, mal sehen. Joyeuses fêtes!

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Mitleid mit Santa

IMG_0634Generell wird Santa (australisch kurz für: Weihnachtsmann) hier auch bei derzeit 26 ºC in seine traditionelle Kluft gesteckt: langer Mantel, Mütze und Fellstiefel. Er muss hinterm Bart in Filz und Fell vor Shoppingzeilen schwitzen und legt sogar volle Montur an, wenn er im Lifesaver-Boot übers blaue Meer zum jährlichen “HoHoHo” an den Strand gefahren wird. Um so erleichterter war ich, eben im Frisörladen ums Eck zu sehen, dass jemand Mitleid mit dem Herrn der Geschenke hatte und ihm eine jahreszeitlich etwas passendere Uniform erlaubt. Steht ihm gut finde ich.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Trauerspiel um Mandela

Wir befinden uns bei Nelson Mandelas Gedenkfeier. Die ganze Welt trauert um den größten Held Afrikas. Die ganze? Nein. Ein von unbedeutenden Sübhalbkugelinsulanern bewohntes kleines Land leistet Widerstand. Oder hat es sich gedrückt? Falsch. Es fiel nur einfach niemandem auf, schon gar nicht der „New York Daily News“. Auf den Aufnahmen der Tageszeitung aus dem FNB-Stadion in Johannesburg ist Englands Premierminister David Cameron zu sehen, der bei der gewichtigen Veranstaltung – 91 Staatsoberhäupter! Bill Clinton! Bono! Wo war Naomi Campbell? – mit einem „nicht identifizierten Gast“ scherzte. So steht’s in der Bildunterschrift. Doch wir haben den unbekannten Nebenmann sofort entlarvt. Es war Neuseelands Premierminister John Key. Hoffentlich wusste zumindest Cameron, mit wem er da fröhlich plauderte.
Den Slogan „Unidentified Guest“ über dem Grinsefisch-Konterfei John Keys kann man sich seit gestern auch als T-Shirt drucken lassen. Die Häme hat er allemal verdient, wenn nicht gar einen Arschtritt. Denn seit Tagen gab es eine unschöne Rangelei darum, welchem Kiwi denn die Ehre gebühre, offiziell nach Südafrika reisen zu dürfen.
Was der Rest der Welt kaum weiß, da man ja nicht mal unseren Obersten in New York erkennt: 1981 flogen in Aotearoa wegen der Apartheid die Fetzen. Es ging um die Tournee der Springboks. Die weiße südafrikanische Rugby-Mannschaft stieß damals im bikulturellen Neuseeland auf heftigste Proteste. Das ganze Land, sonst eher im friedlichen Dauerschlaf, war plötzlich gespalten. Eine Hälfte ging auf die Barrikaden, warf Steine, brüllte in Megaphone. Die andere Hälfte wollte einfach nur in Ruhe Rugby gucken. Oder schwang Polizeiknüppel.
Eine historische Zäsur, so wie den Deutschen ihre 68. Jeder weiß bis heute, auf welcher Seite er oder sie stand – auch wenn man jetzt so tut, als sei man schon immer ANC-Unterstützer gewesen. John Key war damals 20jähriger Student, aber zu „Studentenprotesten“ kein bisschen aufgelegt. Als er danach gefragt wurde, was er 1981 vertrat, winkte er unwirsch ab: „Das interessiert mich jetzt nicht.“
Nelson Mandela interessierte es jedoch sehr. Er hat Neuseeland nie vergessen, dass es sich gegen die Apartheid in die Bresche warf. Das habe ihm im Gefängnis Kraft gegeben, sagte er, als er 1995 Aotearoa besuchte. Damals bedankte er sich persönlich bei den Anführern der Proteste. Besonders tatkräftig kämpfte John Minto, ein linker Aktivist, der auch zu Mugabes Untaten nie schwieg. Minto hätte in den Trauerzug nach Johannesburg gehört, weit vor John Key. Doch der stellte sich eine fünfköpfige Delegation zusammen, in der bis auf den Chef der Maori-Partei kein einziger der Aktivisten von 1981 dabei war.
Damit war das Trauerspiel noch nicht zu Ende. In Südafrika angekommen, hieß es plötzlich, dass der neuseeländische Besucher nur einen einzigen Gast mit zur Zeremonie nehmen dürfe. Welch eine Schmach. Kanada allein rückte mit 13 Leuten an. Am Ende gab’s dann doch Einlass für alle. Daher das Grinsen von John Key auf den Fotos.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Das Parfüm von Grasse im Winter

IMG_5545Der Duft von Jasmin, Orangenblüten und Rosen ist längst verflogen. Die Nächte sind kalt, die sonnigen Tage hingegen noch wohltuend warm im winterlichen Grasse. Ein Hauch von Normalität weht durch die engen Gassen, durch die sich im Sommer schwitzende Touristen schieben. Sie alle wollen die Geheimnisse der Parfümherstellung entschlüsseln. Oder auch einfach nur ein paar kleine Duft-Flacons als Mitbringsel für die Lieben daheim erstehen. Davon lebt Grasse von April bis November. Auch wenn die Blumenfelder deutlich geschrumpft sind und die Blüten nicht mehr von den Grassois selbst gepflückt werden sondern vor allem von Gastarbeitern aus Osteuropa. Das Zentrum der französischen Parfümindustrie sowie das Herz der traditionellen Kunst, ein Parfum zu kreieren, ist die Kleinstadt in den Seealpen oberhalb von Cannes mit Blick auf das Mittelmeer geblieben.

IMG_5547Hinter der silbern und azurblau glitzernden Weihnachtsschmuck-Fassade kauern vier bis fünfstöckige Altbauten eng zusammen in den typischen Farben der Provence: Orange oder gelblich-ockerfarben. Mit zum Teil schwer verwittertem Putz. Auf schmalen Balkonen sonnen sich kleine Stechpalmen, Kletterpflanzen recken ihre Blüten gen Himmel. Frisch gewaschene Hemden, Socken und Unterhosen baumeln vor den Fenstern im Wind. Die Bescheidenheit einer südfranzösischen Kleinstadt. Wo Metzger und Bäcker die Vorlieben ihrer Klientel kennen. Wo man sich mittags zum Zweigänge Menu für 12 Euro mit einer Freundin trifft, weil dies die kleinen Freuden sind, die man sich ab und zu gönnt.

Vom Flair einer lukrativen Luxusindustrie ist in diesen Dezember-Tagen wenig zu spüren. Mal abgesehen von einer relativ hohen Konzentration an Parfümläden und den Parfümmuseen. Der elegante Jet-Set ist in Cannes abgestiegen und kommt höchsten zur Besichtigung einer der traditionellen Parfümfabriken hinauf in die 51.000-Einwohner-Stadt. Die Reichen und Schönen von Grasse leben in ihren Traumvillen, die auf den benachbarten Hügeln das Mittelmeer überblicken.

In der Rue Fragonard – ein Maler übrigens, die bekannte Parfümerie hat seinen Namen nur zu seinen Ehren angenommen – schieben zwei junge Marokkanerinnen ihre Dreijährigen im Kinderwagen vor sich her. Sie tragen Kopftücher, wie viele Nordafrikanerinnen in Grasse. Eine ältere Araberin huscht gar im Tschador über den Place des Aires. Der Anblick überrascht. Weil ich mir dieses Bild in der französischen Parfümhauptstadt nicht vorgestellt hatte. Ebenso wenig, wie die maghrebinischen Männer, die zwei Straßen weiter in einer windgeschützten, sonnigen Ecke an kleinen Tischen sitzen, rauchen, Karten spielen und Tee aus den für den Orient typischen kleinen Gläsern trinken. Fehlen eigentlich nur die Wasserpfeifen. „Ahlan wa sahlan!“ (Willkommen auf Arabisch) möchte ich Ihnen zurufen. Doch dann fällt mir ein, dass sie hier Zuhause sind, nicht ich. Gemeinsam mit den anderen Grassois, die seit Generationen hier auf irgendeine Weise von der Parfümherstellung existierten.

Grasse im Winter: Ein Bild wohltuend normalen Lebens. Dessen Schönheit in seiner Authentizität liegt. Die trotz des Touristentrubels im Sommer überlebt zu haben scheint.

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Nach dem “Selfie” mit Obama: Helle Thorning-Schmidt greift durch

Der “Selfie” von Helle Thorning-Schmidt hat die danische Premierministerin im Ausland bekannt gemacht. Mittlerweile weiss sogar die AFP, wer die Frau zwischen Cameron und Obama ist. Dass sie daheim in ziemlichen Problemen steckt, ist hingegen womoglich noch nicht uberall angekommen (genauso wenig wie die Umlaute hier – Dank amerikanischer Tastatur/Systemsprache). Die Sozialdemokratin hat namlich gleich eine ganze Reihe Regierungsmitglieder durch Rucktritte verloren.

Heute nun prasentierte sie ihr neues Kabinett. Das, so Thorning-Schmidt, solle in dieser Konstellation bis zu den Wahlen bestehen bleiben. Entweder gibt sie sich selbstbewusst. Oder lasst durchblicken, dass weitere Fehltritte vorgezogene Neuwahl bedeuten.

Mehr zum politischen Chaos in Danemark und wie die Regierungschefin dem Herr zu werden versucht gibt es in zwei meinen Artikeln bei The Wall Street Journal zu lesen (gestern und heute und stets auf Englisch).

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Snowden-Affäre im Südpazifik

Edward Snowdens Enthüllungen bringen auch im Asia-Pazifik-Raum so manch unangenehme Spitzelaktion ans Licht: Die Australier wollten offensichtlich den Amerikanern nacheifern und haben es sich nicht nehmen lassen, das Handy des indonesischen Präsidenten abhören zu lassen. Und – was viele Indonesier noch viel mehr empört – auch noch das seiner Frau. Während Angela Merkel sich den Amerikanern gegenüber lediglich etwas verschnupft zeigte, hat Präsident Susilo Bambang Yudhoyono nicht nur gleich nach dem Bekanntwerden der Affäre seinen Botschafter aus Canberra abziehen, sondern auch noch jede militärische und Teile der wirtschaftlichen Zusammenarbeit einstellen lassen. Diese Reaktion begründete er vor allem mit dem undiplomatischen Vorgehen des australischen Premierministers Tony Abbott, der das Ausspionieren seines nächsten Nachbarn quasi als selbstverständliche politische Handlung hinstellte.

Das mag ja tatsächlich so sein, darf aber so nicht ausgesprochen werden – schon gar nicht im harmoniesüchtigen Java. Yudhoyono verlangte also eine Entschuldigung. Der Mob in Jakarta verbrannte daraufhin australische Fahnen vor selbiger Botschaft und die indonesischen Medien machten mobil. Außenministerin Julie Bishop glättete die Wogen wenige Tage später wieder etwas mit einer indirekten Entschuldigung für das Abhören des Präsidententelefons, schob aber gleich hinterher, dass Australien aus Gründen des Selbstschutzes nicht aufhören könne zu spionieren.

Genau in diesen Tagen kam die Nachricht, dass Osttimor Australien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Spionage angeklagt hat – dabei geht es um einen milliardenschweren Vertrag um Förderrechte von Erdgasvorkommen in der timoresischen See. Die australische Regierung ließ darauf kurzerhand das Anwaltsbüro in Canberra durchsuchen, das den Fall für Osttimor vertritt, und beschlagnahmte auch gleich noch den Pass eines wichtigen Zeugen, einem pensionierten australischen Nachrichtendienstler, um dessen Aussage in Den Haag zu verhindern. Premierminister Tony Abbott verteidigte diesen Schritt wiederum mit dem Schutz der nationalen Sicherheit.

Wie gut, dass das Schwergewicht Indonesien zu viele andere Probleme hat, um für die – aus asiatischer Sicht – täglichen Fettnapflandungen der frisch gewählten australischen Regierung jedes Mal eine Entschuldigung zu erbitten. Bleibt allerdings abzuwarten, wie Den Haag die Spitzelaffäre in Osttimor bewerten wird: Dabei geht es nämlich um nichts weniger als die wirtschaftliche Zukunft des ärmsten Landes in Asien.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Mandelas Erbe

Es ist beeindruckend, wie die Südafrikaner in ihrer Trauer um Nelson Mandela zusammenstehen. Hautfarbe oder Herkunft spielen in diesen Tagen keine Rolle. Das Land ist sich selten einig in seiner Dankbarkeit und Würdigung des Lebenswerks ihres „Vaters der Nation“.

Menschen, die sich sonst keines Blickes würdigen, umarmen sich spontan. Sie kommen in den langen Schlangen vor den vielen improvisierten Gedenkstätten und vor öffentlichen Gebäuden, in denen Kondolenzbücher ausliegen, ins Gespräch. Sie bekennen sich zu ihrer Verantwortung, indem sie auf Plakate schreiben „Jetzt liegt es an uns, den langen Weg zur Freiheit weiterzugehen.“.

Es sind diese vielen kleinen, berührenden Szenen und Gesten, die Nelson Mandela wahrscheinlich mehr freuen würden, als all die salbungsvollen Worte von Politikern und Würdenträgern. Südafrika demonstriert wieder einmal, dass es das Potenzial zur Regenbogennation hat. Auch wenn es im Alltag noch längst nicht ausgeschöpft wird.

Die gemeinsame Trauer, so scheint es momentan, könnte den Südafrikanern Kraft geben, sich wieder darauf zu besinnen, was sie eint, statt darauf, was sie trennt. Viele sind sich dessen bewusst, dass nun eine neue Ära beginnt. Sie haben die Symbolfigur des Freiheitskampfes verloren und damit in gewisser Weise auch den moralischen Kompass.

Das kann verunsichern und verängstigen. Aber es kann auch motivieren, engagiert für eine bessere Zukunft einzutreten, untereinander mehr Menschlichkeit zu zeigen und die mühsam errungenen demokratischen Werte zu verteidigen; auch gegen die ehemalige Befreiungsbewegung und heutige Regierungspartei ANC.

Zwar scheinen die Probleme des Landes manchmal unüberwindbar – die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich, die weiterhin bestehenden rassistischen Stereotype, die Verrohung der Gesellschaft, Gewaltkriminalität, Arbeitslosigkeit, Aids und die ausufernde Korruption – doch Südafrika ist das scheinbar Unmögliche schon einmal gelungen; der friedliche Übergang von der Apartheid zur Demokratie.

Wenn nur ein wenig von Mandelas Geist, der momentan überall im Land spürbar ist, auch nach der Trauerzeit erhalten bleibt, dann gibt es am Kap weiterhin Grund zur Hoffnung.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Presseurop adé?

Wir Journalisten in Brüssel treffen uns jeden Tag im Pressesaal der EU-Kommission, zum “Midday Briefing” um 12 Uhr. Oder auf der Seite von “Presseurop” – einem Internet-Portal mit den besten Artikeln aus der europäischen Presse.

Doch damit dürfte es bald vorbei sein. Denn die Kommission dreht den Geldhahn für “Presseurop” zu. Schon am 22. Dezember läuft die Finanzierung aus, kurz vor Weihnachten wäre dann Schluss.

Das wäre nicht nur schade für die EU-Korrespondenten, die “Presseurop” für ihre tägliche Arbeit nutzen. Ich habe es sogar auf meinem eigenen Blog “Lost in EUrope” integriert, und zwar hier (Seite 2)

Es wäre vor allem schlecht für die vielen Leser außerhalb des “Raumschiffs Brüssel”, die da draußen im wirklichen Leben. Denn nur auf “Presseurop” können sie sich einen Überblick über die wichtigsten Presseartikel verschaffen – in ihrer eigenen Sprache.

Besonders empörend ist, dass dieser wichtige Dienst ausgerechnet jetzt platt gemacht wird, kurz vor der Europawahl im Mai. Die Redaktion hat daher einen Aufruf zur Rettung gestartet. Wer mithelfen will, findet ihn hier

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Leichenfledderei bei Audi

„How bizarre“, dachte sich Kristine Fuemana, als sie nichtsahnend den Fernseher einschaltete. Aber sie meinte nicht den gleichnamigen Hit ihres verstorbenen Gatten. Zu sehen war der neueste Werbespot von Audi: „Land of Plenty. Land of Quattro“. Ein schnittiger Wagen, der durch die schönsten Landschaften Aotearoas saust, dazu eine poppige Melodie, die irgendwie vertraut klingt – ein Akt geschäftstüchtiger Leichenfledderei des deutschen Auto-Konzerns?

Auch Fuemanas Kinder vor der Glotze waren baff. „Hey, Mum, sie spielen Papas Lied!“, riefen sie aus, sechs Stück an der Zahl. Die füttert die Witwe alleine durch, seit OMC-Sänger Pauly Fuemana vor drei Jahren plötzlich starb. Der polynesische Rapper war schwer krank, hatte Schulden und Drogenprobleme. Vom plötzlichen Ruhm hatte er sich nie erholt. „How Bizarre“ war 1995 ein Riesenhit und ist bis heute der meistverkaufte neuseeländische Tonträger aller Zeiten. Ein Jahr später folgte die Single „Land of Plenty“. Und die soll Audi angeblich im neuen TV-Spot verwurstet haben, behaupten Kristine Fuemanas Anwälte und die Plattenfirma Universal Music.

Auch dem Co-Autoren des OMC-Songs wurde „übel“, sagt er, als er das hörte, was er für ein klares Plagiat hielt. Denn Audi hatte weder die Rechte für „Land of Plenty“ gekauft noch das Original verwendet, sondern einen ausgewanderten neuseeländischen Musiker in Kalifornien beauftragt, den Soundtrack beizusteuern. Dass der erstaunlich ähnlich klänge, streiten Komponist und Audi New Zealand kategorisch ab. Man darf auf den Prozess gespannt sein. 2006 gewann Sänger Tom Waits eine Klage gegen Audi in Spanien, weil man seinen Sound treffend imitiert hatte.

In Fuemanas Fall ist es jedoch nicht so, dass die Hinterbliebenen was gegen Werbung hätten – nur gegen’s Bescheißen. Denn zum TV-Spot des Müsli-Riegel „Tasti“ läuft munter „How Bizarre“. Aber dafür floß eine sechsstellige Summe. Einen kleinen Obolus würden sich auch die Südseeinsulaner wünschen, deren traditionellen Designs auf den Kleidern der New Yorker Designerin Nanette Lepore auftauchen. Die Promi-Schneiderin, die Michelle Obama und Scarlett Johansson zu ihren Kundinnen zählt, hatte die Motive als „aztekisch“ verkauft, was geschickt ist, denn die Azteken können nicht mehr klagen. Samoaner, Tonganer und Fidschianer sehr wohl.

„Passport to Style“ hatte die Modeschöpferin als Slogan über ihre Kleider geschrieben. „Passport to stealing“ nannte dagegen Künstlerin Vaimoana Niumeitolu aus den USA die Werke. Immerhin erklärte Nanette Lepore: „Es tut mir sehr leid, das Azteken-Kleid falsch benannt zu haben. Ich respektiere örtliche Künstler.“ Damit ist sie in guter bis schlechter Gesellschaft. Ein neues Sport-Trikot von Nike für Frauen sieht genauso aus wie ein Pe’a – die traditionelle Halbkörper-Tätowierung samoanischer Männer. Der kulturelle Fauxpas sorgte für Ärger von Auckland bis Apia, Nike hat sich entschuldigt. Damit dürfte die Botschaft auch für Audi klar sein: Nicht mit Polynesiern anlegen!

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Hilfe, die Chinesen kommen!

Die Propagandaschlacht um die erweiterte chinesische Luftraumüberwachungszone ADIZ (Air Defence Identification Zone) haben letzte Woche Japan und die USA gewonnen. Die Entrüstung hätten sie sich aber sparen können. Denn die ADIZ kann als Frühwarnzone von jedem Staat individuell festgelegt werden und darf sich mit Frühwarnzonen anderer Länder sehr wohl überschneiden.

ADIZ

Katz und Maus im Gelben Meer: Wie lange kann Amerika mithalten?

Gelungen ist Amerika und seinem Protektorat Japan der Mediencoup deshalb, weil beide bewusst den Unterschied zwischen Warnzone und Hoheitsgebiet heruntergespielt haben. Auch in deutschen Berichterstattungen wirkte der chinesische Beschluss eher wie ein unverschämter Territorialraub als eine legale Vorgehensweise. Wie gesagt, die ADIZ ist kein Luftverteidigungsraum. Der darf nur 22 Kilometer über die Küste hinaus reichen. Und hier dürfen Unangemeldete, jene, die sich nicht zu erkennen gegeben haben, abgeschossen werden.

Genau das soll eine ADIZ verhindern: Zeit geben, um Missverständnisse aufzuklären.

Die Proteste Japans sind auch deshalb unangebracht, da das Kaiserreich über Jahrzehnte unilateral Schritt für Schritt seine eigene ADIZ erweitert hat. Der Abstand zum chinesischen Festland beträgt bisweilen nur noch 130 Kilometer. In diesem lautstarken Streit um Luftraum und verlassene Felseninseln (deren Besitzverhältnisse Japan als moralisch vorbelasteter Weltkriegsverlierer ebenfalls unilateral festnageln will), da kann die geopolitische Langfrist-Perspektive schnell aus dem Blickfeld geraten. Hier eine spekulative Einschätzung zum Thema China-Japan-USA:

1. In zwanzig, dreissig Jahren werden wir auf 2013 zurückblicken und sagen: „Damals hat offiziell das pazifische Jahrhundert der Chinesen begonnen“. Amerika kann sein Weltimperium nicht mehr finanzieren, beherrscht den Pazifik bis Hawaii – aber nicht darüber hinaus.

2. Die Erweiterung der ADIZ ist für China einer von vielen legalen Schachzügen, die nun folgen werden, um die USA-Japan Allianz zu testen und den Zugang vom Ostchinesischen Meer zum Pazifik zu sichern.

3. Der Masse China ist kein Staat gewachsen, und schon gar nicht, wenn Peking im Techno-Militärbereich aufgeholt hat. Japan bleiben dann nur zwei Optionen: Es wird die Schweiz Asiens – eine eigenwillige, kuriose und neutrale Insel im chinesischen Machtbereich. Oder ein Protektorat Chinas. In beiden Fällen ist es nicht ausgeschlossen, dass in Japan das demokratische System kippt und einem Überwachungsstaat weicht, der sich auf Notstandsgesetze beruft.

4. China und Japan sind nationalistisch gestimmt und versuchen Reformen durchzuboxen, von denen das wirtschaftliche Wohlergehen der kommenden Jahrzehnte abhängt. In China heissen die heissen Eisen „Korruption, Umweltvergiftung und Einkommensungleichheit“. In Japan sind es „Korruption, Atomverschmutzung, Altersversorgung und allgemeiner Wirtschaftsstillstand“. Laufen Reformen schief, könnten die Rivalen mit den alten Territorialansprüche ablenken, die Bevölkerung aufhetzen. Ein Kleingefecht würde dann China (vor)schneller riskieren als Japan – auch hier, um die Allianz zu testen.

5. Das Katz- und Mausspiel zwischen amerikanischen und chinesischen Kampffliegern findet schon seit Jahrzehnten statt – wobei sich amerikanische Piloten (in der chinesichen ADIZ) beschweren, dass sich die Konkurrenten bis auf drei Meter Flügelabstand nähern. Mit der erweiterten chinesischen ADIZ wird sich das nicht ändern. Unfälle gab es bisher fast keine – anzunehmen, dass es so bleibt. Ausser, man will bewusst eskalieren. Umgekehrte Frage: Wie nahe würden amerikanische Jets in der eigenen ADIZ, sagen wir vor der Küste Kaliforniens, an chinesische Shenyang Fighters heranfliegen, bzw. diese heranlassen?

6. Ein katastrophales Beben in Japan – wie zum Beispiel entlang des Nankai-Grabens (Wahrscheinlichkeit 70% in den nächsten dreissig Jahren mit 330,000 Toten) kann Abläufe in den Punkten 1 bis 5 beschleunigen oder verzögern. Vorab wird jedoch eine Propagandaschlacht einsetzen. Wer ist die bessere Weltmacht, die gute, die helfende? China oder Amerika?

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Advent, Advent…

Im Supermarkt habe ich neulich eine spanische Adaption des Adventskalender entdeckt. Der hilft wie das deutsche Pendant beim Überbrücken der Wartezeit, allerdings nicht auf Christkind respektive Weihnachtsmann, sondern auf die heiligen drei Könige, die in Spanien traditionell die Geschenke bringen – und hat folgedessen nur 12 Türchen: von Heiligabend bis zum 6. Januar.

 

20131113_155333 advent-jpg

 

Gefüllt ist er nicht mit Süssigkeiten, sondern – thematisch zu den morgenländischen Weihrauch- und Myrrhe-Überbringern passend – mit Parfümproben und “andere Überraschungen”. Jede Wette, dass die auch so augenschmerzend genderspezifisch ausfallen wie die Verpackungen. A propos: Nach was duftet eigentlich Hulk?

 

 

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Stadt der Mauerblümchen

Auch deshalb liebe ich Tokio: Begehbare Dächer im zehnten, zwölften oder fünfzehnten Stock. Umgeben von Wolkenkratzern, Himmelsfetzen, Neonblitzen. Mit einem Horizont, wie er sonst in überregulierten, zivilisierten Metropolen unerlebbar ist: Mittendrin im Lebens-Canyon einer wuchernden Stadt.

SONY DSC

Stadterlebnis auf halber Höhe: Privater Wohnbau “Garden and House” von Ryue Nishizawa.

Aus Platzmangel sind Treppenaufgänge oft seitlich an Gebäuden montiert – führen von der Strasse direkt zum Rooftop. Ohne Tür und Gitter dient der Zugang auch als Fluchtweg bei Feuer und Beben. Das Betreten ist nur Bewohnern gestattet, aber man kann sich ja auch verlaufen haben. Und so entdecke ich Tokio von oben immer wieder aufs Neue, wie es sich – trotz widersprüchlicher Unordnung, als Einheit präsentiert. In Ritzen und Nischen jedoch blüht die Rebellion der Details.

rooftop azabu SONY DSC

Schwindelerregender Treppenaufgang vor der Azabu Kreuzung. “Garden and House” eingezwängt zwischen Büro- und Wohntürmen. Im Hintergrund ein Ausläufer vom Sumida Fluss.

SONY DSC

Mein Aussichtsposten gegenüber „Garden and House“ in Hachobori.

Vom eleganten Ginza Viertel spazierte ich letzte Woche hinüber zur Hachobori Station, wollte mir immer schon „Garden and House“ von Pritzker Preisträger Ryue Nishizawa ansehen, vor allem das Umfeld. Angrenzendes Chaos filtern Magazine bei Architekturfotos ja meistens raus. Gegenüber dem weltbekannten Kleinbau finde ich einen Treppenaufgang. Der Rooftop im zehnten Stock ist abgesperrt, doch der Ausblick auf der Treppenplattform reicht aus – und reicht bis zu einem Seitenkanal vom Sumida Fluss.

10 garden house back view with rh DSC06922

Versteckte Rückenansicht von “Garden and House”.

SONY DSC

Den Drink auf der Kühlanlage abstellen: Tokio Rooftops bieten ungewöhnliche Settings für Spontanparties und Stelldicheins – zum Beispiel vor Kisho Kurokawas legendärem Nakagin Capsule Tower. Jean Nouvels Dentsu Wolkenkratzer zwischen den Rostfassaden zählt 48 Stockwerke.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Taifun Haiyan – war da was?

Als Taifun Haiyan vor zwei Wochen mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 300km/h auf die Philippinen zuraste, war ich für Recherchen in Japan. Weit weg vom Geschehen und von meinem Arbeitsplatz in Peking. Fast zehn Jahre habe ich auf den Philippinen gelebt und über das Land berichtet. Abnehmer für Geschichten zu finden war oft schwierig. Die Philippinen sind kein Touristenziel für Deutsche wie Thailand, sie haben wirtschaftlich nicht das Potenzial wie Japan oder China und überhaupt, da gibt’s doch dauernd Ärger. Kriminalität, islamistische Terroristen, Naturkatastrophen. Genau, Naturkatastrophen. So wie jetzt Haiyan, der auf einigen Inseln der Visayas-Gruppe alles umsäbelte, was sich ihm in den Weg stellte. Den Rest erledigte die Sturmflut.

Und nach dem Sturm und der Flut kamen sie in Scharen, die Fallschirm-Journalisten. Rasch eingeflogen aus New York, Singapur oder London. Auf dem Weg zum Unglücksort noch schnell einige Länderinformationen studieren und dann geht’s los mit der Berichterstattung, als hätte man schon immer auf einer philippinischen Insel gelebt. So wie im März 2011 in Japan, als der CNN-Korrespondent Anderson Cooper nach dem großen Erdbeben gemeinsam mit meinem Mann in der ersten Maschine aus New York saß, die den vorübergehen gesperrten Flughafen in Tokio anfliegen konnte. Kaum gelandet, erzählte er Millionen Zuschauern, wie katastrophal die Situation in Japan war und wie eigenartig ruhig die Japaner damit umgingen.

Die Großen der Branche können es sich leisten, jeweils einen ganzen Tross aus Journalisten, Fotografen, Kameraleuten und Technikern zu den Brennpunkten der Erde zu schicken. Über Nacht war Tacloban, die Hauptstadt der Insel Leyte, ein solcher Brennpunkt geworden. Cooper & Co. machten sich hastig auf ins Epizentrum der Zerstörung. Eine Woche lang gehörten die Schlagzeilen den philippinischen Taifunopfern und ihrem verzweifelten Warten auf Hilfslieferungen. Auch bei mir fragten Zeitungen und Sender an, ob ich nicht rasch nach Tacloban fliegen könnte.

Nein, ich konnte nicht, mit zwei Kindern ist man nicht super-flexibel. Aber ich wollte auch nicht. Ich sah‘ keinen Sinn darin, mich diesem Medienhype anzuschließen. Auf allen Kanälen, in sämtlichen Zeitungen wurde berichtet, was die Leitungen hergaben. Welchen wichtigen Beitrag kann man in einer solchen Situation noch beisteuern? Muss man wichtige Ressourcen (Lebensmittel, Wasser, Helikopter, Ansprechpartner vor Ort) verbrauchen, nur um eine Geschichte zu schreiben, die so wie alle anderen das Grauen der Zerstörung und das Elend der Überlebenden ausleuchtet?

Ich will lieber nachschauen, wie es in Tacloban ausschaut, wenn der Medientross weitergezogen ist. Wenn die Welt nicht mehr auf die zertrümmerten Orte schaut, weil niemand mehr von dort berichtet. Es ist keine Überraschung, dass diese Idee auf wenig Resonanz bei den Redaktionen stößt. Ein netter Kollege vom Nachrichtensender N24 sagte ganz offen: „Die Leute wollen das doch nicht mehr sehen.“

So ist das. Eine Woche hieß es „Spot on“. Nun liegen die Taifungebiete wieder im tiefen Dunkel (buchstäblich, denn Strom soll es erst um Weihnachten wieder geben). Wie es dort weitergeht, ob die von der Regierung versprochenen neuen Behausungen gebaut werden, was mit den vielen Millionen Spenden passiert, wie die Menschen ihr Leben wieder in den Griff bekommen – wer will das wissen? Die Fallschirm-Journalisten jedenfalls nicht. Sie sitzen bereits wieder im Flieger zum nächsten Krisengebiet und lesen sich rasch an, worüber sie eigentlich berichten sollen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Vom Parken und von vollen Gläsern

Täglich verschwinden viele Dinge auf mysteriöse Weise. Ist es ein Socken, kann man sich damit abfinden. Ist es das Auto, dann nicht.

Es ist ein seltsamer Moment, wenn man an die Stelle kommt, wo man das Auto geparkt hat. Ist der Platz leer, erfasst einen selbst eine unheimliche Leere. Irre ich mich? Stand das Auto vielleicht doch in der Parallelstraße? Weiter unten? Weiter oben? Filmt hier gerade eine versteckte Kamera mein Erschrecken für eine Ulksendung? Nein, der Wagen ist weg.

Gestern noch kam im Fernsehen, dass die Zahl der Autodiebstähle um zwei Prozent zugenommen hat. Favoriten der in Frankreich geklauten Wagen: Renault Twingo, Smart Fortwo, BMW X6. Meine Marke ist eine andere.

Ich muss die Police municipale anrufen, laufe weiter und stehe plötzlich vor einem Schild. Es ist das Schild, das einem in Frankreich immer wieder begegnet. Es ist ein Schild, das man beachten sollte. Aufschrift: Stationnement unilatéral alterné.

Langer Begriff, der der Welt sagen will: Hier in der Straße darf nur auf einer Straßenseite geparkt werden – und das im halbmonatlichen Wechsel. Etwas versetzt steht ein weiteres Schild, ein eingeschränktes Halteverbotsschild mit kleinen weißen Zahlen darauf: 16-31.

Na klar, Paragraph 37-3 der Straßenverkehrsordnung. Vom 1. bis zum 15. des Monats wird auf der Seite mit den ungeraden Hausnummern geparkt. Ab dem 16. des Monats bis zum 31. auf der Seite mit den geraden Nummern. Am letzten Tag der jeweiligen Zeitspanne muss zwischen 20.30 und 21 Uhr umgeparkt werden. Heute ist schon der 18. November. Mein Auto hat also den Seitenwechsel verpennt und den Verkehr behindert.

Der Polizist von der Police municipale ist freundlich. Er habe mein Kennzeichen im Rechner, sagt er am Telefon. „Ihr Auto wurde heute Morgen abgeschleppt.” Ich solle mit Fahrzeugschein und Personalausweis vorbeikommen, einen Bon de sortie abholen und dann könne ich in der Fourrière intercommunale den Wagen abholen, das ist der Abstellplatz für die abgeschleppten Autos. „Viel Glück“, wünscht er noch.

Bei der Polizei sitzen Leute und warten. Eine Oma ist eingenickt, Kopf zur Seite. Was ihr wohl passiert ist? Die Handtasche geraubt? Auf dem Zebrastreifen eingeschlafen und den Verkehr behindert? Sie schläft weiter, während der Beamte mir den Abholschein ausstellt.

Der Abschleppplatz für die Fahrzeuge befindet sich am Ende der Welt. Ich klage dem Taxifahrer mein Leid. „Seien Sie doch froh, dass der Wagen nicht gestohlen wurde“, sagt er. Oder angezündet, was einem in Frankreich ja auch passieren kann. Der Taxifahrer ist ein Mensch, bei dem das Glas immer halb voll, nie halb leer ist. Und dann erklärt er mir, warum es dieses Stationnement unilateral alterné gibt: Man wolle damit gegen die Dauerparker vorgehen.

Bei der Fourrière sieht es trostlos aus. Ein Platz voller kaputter Autos. Mit kaputten Reifen, zerbeulten Türen, zersplitterten Fensterscheiben. Viele Campingautos. Ein Ort trauriger Fahrzeuge. Und ganz vorne steht mein Auto.

Ich werde begrüßt von Hundegebell. Denn fourrière ist im Französischen nicht nur das Wort für den Platz, auf dem die amtlich abgeschleppten Autos auf ihre Besitzer warten. Fourrière heißt auch Tierheim. In vergitterten Boxen stehen Hunde und schauen mich an. Sie hoffen, dass ich ihr neues Herrchen werde.

Es gibt ein Büro. Ich fürchte, dass man mir nur das Auto zurückgibt, wenn ich einen Hund mitnehme oder zwei Katzen. Der Mann hinter der Scheibe spricht nicht viel. Gibt mir eine Abschlepprechnung von 115 Euro. Ich muss Gott sei Dank keine Tiere mitnehmen. Ich wünsche aber insgeheim den französischen Bellos alles Gute. Am Wochenende ist in Paris zum 50. Mal eine Veranstaltung, bei der man Tiere adoptieren kann: „Weihnachten für ausgesetze Tiere“ heißt es in den Anzeigen. Hoffentlich habt ihr Glück und seid dabei und findet ein Frauchen oder Herrchen.

„Sie dürfen Ihr Fahrzeug jetzt mitnehmen“, sagt der Mann. Hallo Auto. An der Scheibe hängen noch mal zwei Strafzettel, Kategorie 2 zu je 35 Euro. Wenn doch heute Morgen nur einfach ein Socken verschwunden gewesen wäre. Andererseits: Frankreich ist in der Krise. Ich habe dem Land Geld gespendet. Und das Glas ist halb voll.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Der neue erste Mann von New York

New York kennt in diesen Wochen vor allem ein Thema: den Wechsel im Bürgermeisteramt, der am 1. Januar stattfinden wird. Nach zwölf Jahren tritt der konservative, parteilose Milliardär Michael Bloomberg ab, der für einen Dollar Jahreslohn arbeitete. Sein Nachfolger ist der linke Demokrat Bill de Blasio, der noch im Sommer als chancenloser Außenseiter galt. Vor zwei Wochen aber wurde der 52jährige, fast zwei Meter große Weiße mit einer spektakulären Mehrheit von 73 Prozent der Stimmen gewählt. Das lag nicht zuletzt daran, dass de Blasio seine ungewöhnliche Familie – Ehefrau Chirlane McCray trat in jungen Jahren öffentlich als schwarze Lesbe auf – in genialen Fernsehspots vermarktete. Besonders populär war ein Spot mit Sohn Dante, der einen riesigen Afro trägt.

Anders als Bürgermeister-Milliardär Bloomberg, der an der vornehmen Upper East Side zuhause ist, lebt de Blasio in Brooklyn. Genauer gesagt, fünf Blocks von uns entfernt, im Stadtteil Park Slope. Mein Mann traf ihn mal im Weinladen, vor einigen Jahren. Da musste Bill noch persönlich Geschäfte abklappern, um für seine Wahl zum Bürgerbeauftragten („Public Advocate“) zu werben. Heute hat fast jeder Laden ein rotes „Bill de Blasio“-Schild unübersehbar aufgehängt – klar doch, wenn „einer von uns“ Bürgermeister wird. Atemberaubende 89 Prozent der Wähler von Park Slope haben für Bill gestimmt. Bei der Viertels-Halloween-Parade schritten er und Chirlane dem Zug voran und wurden mit Applaus und Jubelrufen begrüßt, als seien sie König und Königin.

Dabei weiß eigentlich keiner so recht, was Bill in seinem Amt als Bürgerbeauftragter bewegt hat. Davor saß er im Stadtrat. Das ist in seinem Heimatviertel schon deshalb unvergessen, weil er dafür sorgte, dass an einigen Straßenecken öffentliche Mülltonnen aufgestellt wurden.

1-CIMG7915

Er führte auch einmal einen Wahlkampf für Hillary Clinton. Dabei scheint er eine Menge gelernt zu haben. Trotzdem fragen sich viele, wie dieser Mann es schaffen soll, die schwierige Acht-Millionen-Metropole New York in den Griff zu bekommen. Seine Wahl erinnert an die von Obama, der ebenfalls von einer Woge persönlicher Sympathie ins Amt katapultiert wurde und dem sein Mangel an Erfahrung bis heute zu schaffen macht.

Einige unserer alteingesessene New Yorker Freunde befürchten eine Wiederkehr der Zustände in den berüchtigten 70er und 80er Jahren, als Korruption und Drogenkriminalität die Stadt fast lahmlegte. Andere prophezeien einen Auszug der Wohlhabenden, weil de Blasio New Yorkern mit einem Jahreseinkommen von mehr als 500 000 Dollar eine Zusatzsteuer abknöpfen möchte (bezeichnenderweise kann er das gar nicht selbst beschließen, sondern ist auf das Parlament des Bundesstaates New York angewiesen). Solche Ängste sind wahrscheinlich übertrieben. Klar ist indes, dass eine neue Ära in der Stadt anbrechen wird; es wird spannend sein zu sehen, wie „unser“ Bill sich schlägt. Vielleicht sorgt er ja dafür, dass auch der Hausmüll in ordentlichen Tonnen gesammelt wird anstatt in schwarzen Plastiksäcken, die über Nacht auf den Gehwegen gammeln und von Ratten angefressen werden. Das wäre ein echter Gewinn.

Foto: Christine Mattauch

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Diktatur der Mega-Esser

Ich weiss, es kommt mit dem Beruf: Bücher schleppen, Kataloge schmuggeln und in die Seitenfächer vom Koffer Magazine schieben – bis zum Gehtnichtmehr. Den Wintermantel beulen Kamera, iPad, Batterien und Kabel aus. Den Reissverschluss vom Handgepäck strapazieren Belegexemplare. Noch bin ich ruhig, kurz vor dem Check-in. Aber dann. „Vier Kilo Übergewicht“, sagt die uniformierte Frau. „Macht 80 Euro. Bar oder Karte?“

Roland-swimming-in-sky-Melbourne-feb-07-200dpiaeroflot approaching vienna IMG_0349

Ich bin ein leichter, ausgebeuteter Flieger: Penny Modra fotografierte mich in Melbourne von der Flanders Lane aus im Adelphi Hotel Pool. Aeroflot Anflug über dem Burgenland.

Hinter mir steht ein Deutscher, sicher über 100 kg, wenn nicht 120. Und der Ami vor mir bestimmt nicht unter 90. Und das Mädchen, gross, sportlich, mehr als ich, mehr als 67 Kilo. Und ich, mit meinen 178cm muss für 4000 Gramm extra zahlen? Normalgewichtige aller Länder vereinigt Euch! Kampf der Ausbeutung durch die Diktatur der Mega-Esser, die auf unsere Kosten billiger fliegen. Wehrt Euch gegen die unverantwortlichen Carbon-Footprint-Hinterlasser, die bei jedem Check-in ungeschoren davon kommen. Besteht auf Eure Bonuspunkte, wenn ein Bayer samt Gepäck 130 Kilo wiegt und Ihr nur 87!

2013-11-4 A&W - 0 Cover 2013-11-4 A&W-1

Belegexemplare als Übergewicht: A&W Ausgabe Dezember 2013 mit Bericht über mein Architekturprojekt in Raiding, Burgenland.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Clowns im Parlament

Sich lächerlich machen können brasilianische Abgeordnete gut. Sei es, indem sie sich mit Geldschein-Päckchen in der Unterhose erwischen lassen, oder indem sie niedliche Freudentänze in der Parlamentssitzung aufführen, wenn ihnen wieder ein Korruptionsstück gut gelungen ist.

Als allerdings 1,3 Millionen einen echten Clown ins Parlament wählten, dessen Wahlversprechen hieß: “Wählt Tiririca, schlimmer als es ist, kann es nicht mehr werden!”, da wollten sich die Abgeordneten doch dringend abgrenzen. Politik sollte Politik und Clown sollte Clown bleiben. Sie suchten nach einem Weg, um ihn loszuwerden und fanden ein Gesetz, das Analphabeten verbietet, Politiker zu werden. Lesen und Schreiben sind in Brasilien so unwichtig, dass heute noch fast ein Drittel der Bevölkerung ohne auskommt.

Tiririca, erfolgreicher Geschäftsmann, verdiente als Clown besser als die meisten Abgeordneten, beschäftigte seine Ehefrau als Assistentin und diktierte ihr alles Wesentliche. Es wird gemunkelt, dass auch die krakeligen Zeilen zu Tiriricas Ehrenrettung aus ihrer Hand stammen sollen. Jedenfalls: der Clown blieb im Amt. Und die anderen Parteien wurden neidisch – weil die Wähler neben Tiririca drei weitere Parteigenossen ins Parlament hievten. “Tiririca-Effekt” heißt das inzwischen. Den hätten jetzt alle gerne. Aber weil es nicht genug gute Clowns im Land gibt treten nun reihenweise Schönheitschirurgen, Sänger, Schwimmer, Ex-Fußballtrainer oder Ex-Big-Brother-Teilnehmer politischen Parteien bei.

Klare Favoriten unter den neuen Promi-Kandidaten sind: Sula, Ex-Sängerin und Muse der Brummi-Fahrer, Bambam-Kleber, Muskelmann und Ex-Big-Brother-Sieger sowie Narcisa, Ex-Ex-Millionärsgattin. Mit Sula hat eine Partei in einem Land ohne nennenswerten Schienenverkehr Zigtausende Brummi-Fahrer auf ihrer Seite. Und seit die Frau im Cowboyhut sich zum Glauben bekannt hat, können die harten Jungs ihre CDs sogar zuhause bei Mama hören. Vielleicht wählt die gleich mit.

Bambam überzeugt mit Muskeln – und die Politik braucht starke Männer. Die Wirtschaft hingegen braucht Bambams inniges Verhältnis zum Konsum: diese Woche kauft er einen Mercedes, nächste Woche eine Honda – wenn sich genug Leute daran ein Beispiel nehmen, wird Brasilien zum Top-Standort für die Automobilindustrie.

Narcisa Tamborindeguy ist reich geboren, zweimal reich geschieden und erzählt gern von sich: etwa wie sie sich früher Drogen frei Haus liefern ließ oder sich heute mit ihrem neuen Lover vergnügt. Oder davon, dass sie in ihrer Freizeit Eier aus ihrem Wohnzimmerfenster wirft und Wasser auf Passanten an der Copacabana gießt.

Wahlprogramme haben solche Kandidaten nicht nötig. Slogans auch nicht. Narcisa hatte zwischendrin sogar vergessen, welcher Partei sie beitreten wollte. Hochoffiziell war sie Mitglied der PSD geworden. Bis man sie daran erinnerte, dass sie ursprünglich der PSDB zugesagt hatte. Kein Problem: Schnell wieder aus- und der anderen beigetreten. Es gibt schließlich kein Gesetz, dass Politiker denken müssen. Hauptsache, sie können lesen und schreiben.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Offene Wunden

Die Sieger schreiben die Geschichte. Dieser Satz gilt in Spaniens Hauptstadt Madrid mehr denn je. Die in Stadt und Region regierenden Konser­vativen vom Partido Popular (PP) von Premier Mariano Rajoy versuchen, ein Denkmal zu Ehren der Internationalen Brigaden, die im Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) halfen, die verfassungsmässige Ordnung gegen den Putsch der faschistischen Militärs von General Francisco Franco zu verteidigen, entfernen zu lassen. Die schlichte Säule aus Metall steht in der Universität Complutense, und damit am Schauplatz der härtesten Schlachten um die Hauptstadt.

Das von Bürgern und der Vereinigung der Freunde der Internationalen Brigaden finanzierte und von Studenten der Complutense entworfene Denkmal, habe «keine Baugenehmigung» und störe «das kulturell wertvolle Umfeld des Universitätsgeländes», befand das Madrider Landesgericht vor der Sommerpause. Die Säule müsse deshalb binnen zweier Monate abgerissen werden. Das Verfahren geht auf eine Anzeige eines Anwaltes aus dem Umfeld der ultrarechten Franco-Stiftung zurück. Konservative Presse und Politiker nutzen das Urteil, um ebenfalls den Abriss der Gedenkstätte zu fordern. «In diesem Land gibt es Leute, die noch nicht einmal im 20., geschweige denn im 21. Jahrhundert angekommen sind», erklärt der Rektor der Universität Complutense, José Carrillo. Er hat, wie bei anderen Denkmälern auf dem Universitätsgelände ebenfalls üblich, den Antrag auf eine Baugenehmigung erst eingereicht, nachdem die Gedenksäule errichtet und eingeweiht worden war. So verfuhren etwa auch die Initia­toren eines Denkmals für die Opfer der islamistischen Bombenanschläge auf die Pendlerzüge in Madrid am 11. März 2004.

Doch dieses Mal soll alles anders sein. Die Baubehörde der konservativen Stadtverwaltung von Bürgermeisterin Ana Botella, der Ehefrau des ehemaligen spanischen Premiers José María Aznar, antwortete auf das Gesuch ganz einfach nicht. Das Gericht nutze diese Lücke, um den Abriss anzuordnen. Stadt- und Landesregierung nahmen dies wohlwollend zur Kenntnis. Denn ihnen sind die als fortschrittlich verschriene Complutense und ihr Rektor Carrillo ein Dorn im Auge. Der vor zwei Jahren ins Amt gewählte Mathematikprofessor ist der Sohn des historischen Führers der spanischen Kommunisten in den Jahren des Widerstands gegen die 40-jährige Franco-Diktatur, die dem Bürgerkrieg folgte, Santiago Carrillo.

«Die Rechte in diesem Land ist starrsinnig. Sie will die klaren Tatsachen nicht anerkennen. Die Internationalen Brigaden kamen, um die Freiheit zu verteidigen», sagt Rektor Carrillo. Das Thälmann-Bataillon aus Deutschland, das Bataillon 12. Februar aus Österreich, das André-Marty-Bataillon und Commune-de-Paris-Bataillon aus Frankreich, das Lincoln Bataillon aus den USA oder auch das jüdische Palafox-Bataillon aus Palästina – insgesamt unterstützten knapp 60 000 Antifaschisten aus aller Welt die Verteidigung der spanischen Republik.

«Wir werden das Denkmal verteidigen. Es bleibt hier», erklärt der Rektor und legte Widerspruch vor Gericht ein. José Carrillo findet breite Unterstützung. «Wir protestieren gegen die Ungleichbehandlung, die in Madrid stattfindet», heisst es in einem Manifest eines Bündnisses aus Künstlern und Intellektuellen.

Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Bewahrung historischer Erinnerung des früheren sozialistischen Premiers José Luis Rodríguez Zapatero, das spanienweit faschistische Namen und Denkmäler aus dem Stadtbild verbannen soll, sei der Stadtplan in Madrid noch immer voller Strassen und Plätze im Gedenken an Francos Diktatur, während das Denkmal an die Verteidiger der verfassungsmässigen Ordnung abgerissen werden solle. Unter dem Manifest für den Erhalt des Denkmals der Internationalen Brigaden finden sich Namen wie der des wegen Ermittlungen zu Verbrechen der Franco-Diktatur aus dem Amt entfernte Richter Baltasar Garzón, der Schauspieler Juan Diego Botto sowie Pilar und Carlos Bardem – Mutter und Bruder von Javier Bardem. Selbst aus dem Ausland kommt Unterstützung, etwa von Abgeordneten der britischen Labour Party und von der spanischstämmigen stellvertretenden Bürgermeisterin von Paris.

Eines der bekanntesten faschistischen Denkmäler steht nur unweit von Carrillos Rektorat: Der Triumphbogen. Dem berühmten Pariser Denkmal nachempfunden, steht er an der Strasse, auf der die siegreichen Truppen Francos im April 1939 in die Hauptstadt einzogen. Der Bürgerkrieg kostete mehr als 500000 Menschen das Leben, unter ihnen waren 15 000 Kämpfer der Internationalen Brigaden. In den Jahren nach dem Sieg der Putschisten fielen mindestens 400 000 Menschen der willkürlichen Repression zum Opfer, rund eine Million der damals 23 Millionen Spanier floh ins Ausland.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Flanke statt Hocke

Die vorolympische Idee, in der Metro Fahrscheine gegen Kniebeugen auszugeben, wird die Fitness der Moskauer nicht nachhaltig steigern.

Sotschi wirft seine Schatten voraus. Keine 3 Monate vor dem Beginn der Winterspiele bietet die Moskauer U-Bahn ihren Fahrgästen neue sportliche Perspektiven. Gemeinsam mit dem Nationalen Olympischen Komitee stellte sie den ersten Zahlautomaten der Welt auf, an dem man sein Ticket mit Leibesübungen erwerben kann. Statt 30 Rubel (knapp 70 Cent) einzuwerfen, muss man vor einem Sichtfenster mit automatischer Kamera 30 Kniebeugen absolvieren, damit der Apparat einen Einzelfahrschein herausgibt. „Eine Geste der Gesundheit, die jeder Passagier vor der Olympiade in Sotschi zeigen kann“, sagt Jekaterina Beljajewa, die Pressesprecherin der Moskauer Metro. Die Kniebeugen-Tickets gehören zum Projekt „Olympische Veränderungen“, das den Alltag der Russen durch neue sportliche Elemente bereichern soll.

Kunstturnolympiasiegerin Jelena Samolodtschikowa weihte die unterirdische Trimm-Dich-Station am 8. November ein, danach standen vor allem Mädchen und junge Frauen Schlange, um in maximal 2 Minuten ihre Kniegelenke 30 mal zu beugen und zu strecken. Auch die Partielöwin und Ex-Primaballerina des Bolschoi Theaters Anastasija Wolotschkowa tauchte auf, legte vor laufenden TV-Kameras 30 saubere Grand Plie hin, verschwand danach freilich nicht in der U-Bahn, sondern im eigenem Lexus.

http://video.yandex.ru/search?filmId=_xwC6Nm7UXI&where=all&text=%D0%B2%D0%BE%D0%BB%D0%BE%D1%87%D0%BA%D0%BE%D0%B2%D0%B0%20%D0%BC%D0%B5%D1%82%D1%80%D0%BE%2030%20%D0%BF%D1%80%D0%B8%D1%81%D0%B5%D0%B4%D0%B0%D0%BD%D0%B8%D0%B9&id=

Der kritische Radiosender Echo Moskwy aber veranstaltete eine Zuhörerdebatte, ob 30 Kniebeugen für ein U-Bahnticket keine menschenrechtswidrige Demütigung darstelle. Vor allem für arme Moskauer, die aus Sparsamkeit öffentlich in die Hocke gehen müssen.

Solche Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Denn es wurde nur ein einziger „olympischer“ Zahlautomat aufgestellt, in der Station „Wystawotschnaja“. Die liegt unweit des neuen Wolkenkratzerviertels Moskwa-City, wird von vergleichsweise wenigen Fahrgästen frequentiert, meist gut betuchten Yuppies, die den Apparat glatt ignorieren. „Wozu soll ich Kniebeugen machen?“, fragt die Personalmanagerin Olga Kriwoschlykowa, 29, unsere Zeitung. „Das ist eher was für Schulmädchen.“

Zudem soll der Automat, der von 9 bis 20 Uhr arbeitet, und neben dem ständig Wachmänner und ein Sanitäter Dienst tun, am 4 Dezember wieder abgebaut werden. Dann bleibt Moskauern, die sich das U-Bahn-Ticket sparen wollen, nur altbewährte sportliche Frechheit: Mit einer sauberen Flanke über die Drehkreuze an den U-Bahn-Eingängen springen und das ohnmächtige Trillergepfeife der betagten Wächterinnen ignorieren.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Satans Braten statt Milchbar

Vor einem Monat hatten wir Aucklands Bürgermeister mit heruntergelassenenHosen – gesegnete Zeiten! Die haben sich rasant geändert. Keiner spricht mehr von Len Browns Affäre. Alle reden von den „Roast Busters“. Ja, die klingen lustig, wie ein Filmtitel. Zeigen sich auch in spaßigen Posen, samt Basecaps und Pickeln. Sie sind aber Vergewaltiger.

Immer öfter tauchen in Neuseeland Facebook-Seiten auf, die „root and rate“ oder „Goon Rigs and Scrags“ heißen: Junge Männer bewerten aufs Übelste Frauen, mit denen sie Sex hatten – mit Namen und Fotos. Dafür gibt es dann schon mal tausend „Likes“– und etliche zutiefst gedemütigte Internet-Opfer. Doch das ist alles Kinderkram im Vergleich zu den „Roast Busters“. Ein „roast“ ist laut „Urban Dictionary“ eine Frau, die von zwei Männern penetriert wird und damit einem Braten am Spieß ähnelt. Weiß ich auch erst seit kurzem und würde es gerne wieder vergessen. Soviel zur Linguistik.

Die „Roast Buster“ sind eine Gruppe 17- bis 18jähriger aus Auckland, zwei davon mittlerweile namentlich bekannt. Sie prahlten auf Facebook mit ihren „Eroberungen“. In Wirklichkeit waren das Gruppenvergewaltigungen von jungen Mädchen, die auf Parties schwerst betrunken waren. Sie wurden gefilmt, die Videos ins Netz gestellt. Eines ihrer Opfer, eine 13jährige, ging danach zur Polizei. Ihre Anzeige vor zwei Jahren, sagte sie jetzt, sei jedoch schlimmer gewesen, als von den „Roast Busters“ entjungfert worden zu sein. Seitdem dümpelte der Fall vor sich hin. Was vielleicht daran liegt, dass einer der Täter der Sohn eines Polizisten ist.

Nur zögerlich melden sich jetzt weitere Opfer. Eine Freundin von ihnen wurde von zwei Radiomoderatoren so sexistisch befragt, dass die anschließenden Proteste die Herren bis auf Weiteres vom Sender vertrieben. Gut so. Aotearoa – Speerspitze der Frauenrechte und angeblich heile Welt – hat damit nicht nur einen Skandal, sondern ein Problem. Gewalt gegen Frauen ist das eine, das Internet das andere, Porno sowieso. Das ganze Land sorgt sich um die Moral seiner Teenager. Vielleicht sollte es sich parallel auch über seine Polizei Gedanken machen.

1954 gab es einen ähnlichen Aufschrei. Damals waren es die „Milk Bar Cowboys“, die sich in einer Milchbar in Lower Hutt mit Gleichaltrigen trafen, um sich in die Büsche zu schlagen. Es folte eine offizielle Untersuchung. Sie enthüllte „einen schockierender Grad unmoralischen Betragens, das sich zu sexuellen Orgien ausweitet“. Verrottete Jugend, schon damals – oh heilige Unschuld.

Dass die Welt hier unten doch noch in Ordnung ist, haben uns dann am Samstag Jill Jeffries und James Dobinson gezeigt. Das junge Paar aus Lyttelton, beide mit Down-Syndrom und seit fünf Jahren liiert, haben als erste in der neuen Papp-Kathedrale von Christchurch geheiratet. Der ganze Hafenort half bei der Hochzeit, brachte Essen und Blumen, lieh einen Bentley, vergoss Freudentränen. Monatelang hatten Jill und James auf dem Wochenmarkt getanzt, um Geld für ihr Fest zu sammeln. Es lebe die Liebe.

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

War mein Vater im Geheimdienst?

Seit der NSA-Snowden Affaire denke ich oft an meinen Vater. Er ist vor ein paar Jahren verstorben, hatte ein abenteuerliches Leben hinter sich – zumindest in seinen jungen Jahren als Fremdenlegionär in Afrika und Vietnam, zumindest, wenn ich ihm Glauben schenken darf, was er erzählte (als Beamter im österreichischen Innenministerium).

Reading time crp

Mein Vater liest uns vor: Zumindest könnten die Geschichten wahr sein

„Zumindest“ begleitet alle Erinnerungen an ihn. Es ist ein Schlüsselwort, auch von Geheimdiensten, wenn sie Zweifel sähen wollen, wenn Tatsachen ans Licht kommen, die angeblich nicht für uns, die Öffentlichkeit, bestimmt sind. Wir haben ja gewusst, dass unsere E-Mails gelesen und Telefonate abgehört werden – zumindest, so dachten wir, besteht die Möglichkeit dazu. Und wenn Julian Assange als Sexverbrecher dargestellt wird, könnte das eine Rache der NSA an Wikileaks sein – aber andererseits und zumindest könnte sich Julian auch wirklich vergangen haben. Rufmord im gleichen Stil funktioniert nicht zwei mal hintereinander. Aber hey, der Snowden-Affairen-Aufdecker Journalist Glenn Greenwald hat doch einen schwulen Partner. Präsentieren wir doch den der breiten Öffentlichkeit – zumindest könnte mit ihm was faul sein.

Legionnaire 23 LR

Algerien, 1946: Mein Vater in der Fremdenlegion

Erzählungen von meinem Vater damals erklären heute, warum kein Politiker gegen Praktiken wie die der NSA vorgeht. („Nicht einmal faule Eier fliegen“ kommentiert ein Leser vom österreichischen Der Standard.)

„Alle Volksvertreter sind von diesen zwielichtigen Institutionen erpressbar,“ sagte mein Vater. „Die Agenten bezahlt das Volk, aber kontrollieren, zur Rechenschaft ziehen, kann es sie nicht. Im Innenministerium liegen von allen Politikern Geheimakte auf. Die Staatspolizei (Anmerkung: heute heisst dieser Geheimdienst Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) lanziert Informationen nach Gutdünken und politischer Gesonnenheit. Sie sind nur einem kleinen, inneren Kreis vorbehalten, der keiner Aufsichtsbehörde untersteht. Sie dienen zum Selbstschutz der Geheimdienstler, zur Erpressung und für Geschäfte. Gibst du zum Beispiel den Israelis eine Information, bekommst du zwei gute zurück. Deshalb wird der Mossad geschätzt.“

110 Legionsbesuch crp

Pensioniert und vom Staat ausgezeichnet: Mein Vater beim Kasernenbesuch in den 90er Jahren

Ich weiss bis heute nicht, welche Funktion mein Vater im Innenministerium wirklich einnahm. Er tat geheimnisvoll, wissend, gewichtig und immer so, dass er zumindest auch ein Wichtigmacher hätte sein können, was wiederum auch nicht Sinn machte, da er ja zumindest einen der höchsten Orden der Republik erhalten hatte. Kurz vor seinem Tod erwähnte er, dass er aus seiner umfangreichen Büchersammlung noch ein paar Dokumente entfernen wollte, die er dort “zur Sicherheit” versteckt hatte. “Es wäre besser, wenn ich sie nicht finde.” Er kam nicht mehr dazu – und ich auch nicht, das heisst, tausende Seiten durchblättern, denn, zumindest könnte zwischen den Buchdeckeln ja wirklich etwas Interessantes zum Vorschein kommen.

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Schlechter Partner Onkel Sam

free clinic small

Es wartete eine große Überraschung auf mich in der Los Angeles Sports Arena. Diese war für ein paar Tage verwandelt in ein improvisiertes Krankenhaus mit Zahnarzttischen auf dem Basketballfeld und Augentests in den Katakomben. Die Ärzte behandelten mehr als 4000 Patienten innerhalb von vier Tagen. Ich wollte herausfinden, warum sie mehrere Stunden – oft über Nacht – Schlange gestanden hatten, um Zahnfüllungen zu bekommen oder eine Brille. Für mich schien das Prozedere entwürdigend und ich war sicher: die Mehrheit dieser Patienten konnte es nicht erwarten, sich für ‘Obamacare’ einzuschreiben.
Weit gefehlt! Die meisten, mit denen ich sprach hatten noch nicht einmal angefangen, sich über das neue Gesundheitsgesetz zu informieren. Sie trauen dem System aus improvisierten kostenlosen Behandlungen und Notaufnahmen mehr als Regierungsprogrammen. Eine alleinerziehende Mutter, die mit Zug und Bus zur Klinik gekommen war, erzählte: die staatliche Krankenversicherung habe ihrem asthmakranken Sohn jahrelang nicht die richtige Behandlung gegeben und sie endlos für ein Inhalationsgerät kämpfen lassen. Außerdem: “Präsident Obama hat doch nicht alles unter Kontrolle, mal ehrlich! Das hier ist besser als Obamacare!”
Kriegsveteran Cornel berichtete von schlechten Erfahrungen mit seiner staatlichen Krankenversicherung nach Ausscheiden aus dem Militärdienst: “Ewiges Warten, Tonnen Papierkram und endlose Hürden bevor es Service gibt”
Cornel spricht über Regierungsprogramme
Der Hausmeister bekommt Basis-Versorgung vom Staat, dazu gehören aber weder Zahnbehandlungen noch Augenuntersuchungen. Er war in die Sporthalle gekommen, weil ihm beim Basketballspielen zwei Backenzähne ausgeschlagen wurden. Der Zahnarzt wollte 5000 Dollar für eine Brücke. Cornel zahlt jetzt noch an den 1200 Dollar dafür, dass er ihm die abgebrochenen Zähne zog. In der kostenlosen Klinik bekam er nicht die erhoffte Brücke. Der Zahnarzt versorgte ihn stattdessen mit Füllungen, Zahnreinigung und einer Liste von Ärzten, die Zahnersatz zu niedrigen Kosten anbieten. Cornel wird auch für die nächste kostenlose Behandlung wieder über Nacht Schlange stehen. Er braucht eine Brille. Den Klapptisch mit Informationen über Gesundheitsreform würdigte er keines Blickes.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Nackt und nass im Nirgendwo

Japaner sind schlank, sehen fünfzehn Jahre jünger aus und werden älter als alle anderen Erdbewohner. Nicht Fisch, Reis und Gene allein sind das Geheimnis ihrer Langlebigkeit, sondern Wasser. 43 Grad. Täglich. Mittlerweile hat es sich auch im Westen herumgesprochen, dass die Badewanne in Japan nicht zum Einseifen und Shampoonieren da ist, sondern zur Entspannung. Waschen tut man sich auf dem Schemel vor der Wanne. Erst danach taucht die ganze Familie ein, ins selbe Wasser, einer nach dem anderen.

Onsen shadows 2

Gedanken gedämpft im Dampf: Ferne Erinnerung an mein Embryonaldasein

Zurück zum langen Leben: Jedes Strassenviertel in Japans Metropolen hat heute noch ein Sento, ein öffentliches Bad, geöffnet bis Mitternacht oder länger. Suchte man es in alten Zeiten auf, fehlte zu Hause die Waschgelegenheit. Geht man heute hin, will man sich entspannen, praktiziert Hausputz im Kopf (bei mir drei, vier mal die Woche). Der Eintritt kostet 450 Yen (3.50 Euro). Den kassiert die „Sento-Mama“. Sie sitzt auf einem überhöhten Stuhl und hat Einblick sowohl in die Männer- als auch Frauenabteilung. (Getrenntes Baden hatten die Amerikaner nach dem zweiten Weltkrieg verordnet.)

sento dress room crp 2

Im Blickfang der Sento-Mama: Umkleiden mit klassischer Musik

Mitunter ruft die Chefin des Familienbetriebs zu den Frauen rüber: „Nakamura-san, der werte Ehemann ist bereits angezogen!“ Oder umgekehrt. „Nakamura-san, lassen Sie doch die werte Ehefrau nicht warten!“ Meine Sento-Mama kennt die Familien der Umgebung, hört alles, weiss alles. Sie liebt klassische Musik und manchmal fragt sie mich nach einer Melodie, während ich mich vor ihr ausziehe. Ich lege die Kleidung in eine Box und gehe mit Seife, Zahnbürste und Handtuch in die Badehalle. Ich schnappe mir einen Plastikschemel und setze mich vor einen der dutzenden Wandspiegel. Und dann beginnt mein Ritual, mit dem ich seit zwanzig Jahren in der 35-Millionen-Metropole Tokio den Stress loswerde – und mein Leben um 15 Jahre verlängere.

Sento-Locker crp

Schuhbox mit Holzschlüssel

Ich fülle einen Kübel mit Wasser, übergiesse meinen Kopf, seife mich ein. Ringsum Plätschern und Glucksen, gedämpft vom Dampf – wie eine ferne Erinnerung an mein Embryonaldasein. Ich werde langsamer. Ich stehe auf, steige in eines der Becken mit Digitalanzeige: 39 Grad. Ich seufze, wie alle Japaner, wenn sie ins heisse Wasser steigen mit diesem langgezogenen, kehlige „Ahhhhhh“. Dabei öffnet sich der Mund wie beim Gähnen. Nun wissen die anderen Sento-Mitverschworenen, dass man „heimgekommen“ ist und mit der Welt draussen nichts mehr zu tun hat. Sie nicken zustimmend und sagen „Ii neeee! Wunderbar!“ Ich setze mich zu ihnen. Meine Füsse schwimmen oben und mein Nacken ruht auf einer eisgekühlten Röhre. Dann das zweite Einseifen. Die Haut ist nun aufgewärmt und die alte Schicht lässt sich leicht mit einem Tuch abreiben. Rauh ist es wie Sandpapier. Väter, Kinder, Brüder, Freunde schrubben sich abwechselnd den Rücken.

Sento - crp

Füsse schwimmen oben. Der Nacken ruht auf einer eisgekühlten Röhre

Anschliessend ins Becken mit 43 Grad. Sollten noch Restbestände der Aussenwelt im Kopf herumschwirren – nun werden auch die eliminiert, wobei das kehlige „Ahhhhhh!“ diesmal Ausdruck des Schmerzes ist. Ich halte es im Becken länger aus, als die meisten Japaner. Dabei hilft mir ein Trick, den ich durch Zufall vor Jahren entdeckt hatte: Ich lege die flachen Hände auf die Nierenseiten. Damit sinkt die Temperaturempfindlichkeit. Zumindest bilde ich mir das ein. Danach sitze ich – der Körper krebsrot – wieder auf dem Hocker vor dem Spiegel. Diesmal sind die Augen geschlossen und ich wasche mir den Kopf innen, das heisst, ich tauche in ein Gedanken- und Bildernichts ein und verliere das Zeitgefühl. Abschliessend probiere ich es mit einer alten Übung, die mir noch nie gelungen ist: in Gedanken einen Salto schlagen. Es klappt einfach nicht, aber ich bin nicht enttäuscht. Ich bin über alles erhaben. Ich habe die Ärgernisse des Tages vergessen und bin mit dem Leben im Reinen. Die Sento-Mama hat Schubert aufgelegt. Ich trete hinaus in die Nacht und finde die hässliche, fünfstöckige Strassenkreuzung eigentlich recht interessant.

11A-Hatsudai crossing

Meine Kreuzung nebenan

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Wir sind so sexy

Kiwis haben gerade den totalen Sex-Flash, und das ganz ohne Schafe. Die 17jährige Lorde ist mit „Royal“ an der Spitze der YouTube-Charts; nicht lange davor war die wunderhübsche Kimbra schwer im Rennen. Musikalisch was drauf, genug Sex-Appeal, um Miley Cyrus locker von ihrer Kanonenkugel zu schubsen UND aus Neuseeland – wann gab’s jemals sowas? Wir können es selber noch nicht ganz fassen. Wir haben Hormonschübe, wir reißen uns vor Exstase fast die Kleider vom Leibe, und als größtes Aphrodisiakum haben wir jetzt auch noch ein waschechtes Polit-Luder, das Aucklands Bürgermeister zu Fall brachte. Voll Hollwyood!

Aber erst mal Kiwis und Stars: Einen Russell Brand können wir nicht bieten, nicht mal eine Fehlpressung von One Direction oder Justin Bieber. Okay, Fat Freddie’s Drop touren gerade durch Deutschland, und ihr Sound ist vom Feinsten. Aber sexy? Nee, sorry, abwink, so sind wir nicht. Aber dann plötzlich: Lorde! Oh my fucking god.

Das gleiche Phänomen bei den Dichtern und Denkern. Wer gewinnt den elitären Man-Booker-Preis? Eleanor Catton. Nicht nur 26 und hochbegabt, sondern auch noch so hübsch, was natürlich gar keine Rolle zu spielen hat, aber natürlich bemerkt wird. Das kannten wir bislang nicht. Denn Kerri Hulme, die bis dato einzige Booker-Preisträgerin aus dem literarischen Kiwi-Kanon, ist eine sperrige Gestalt. Nicht nur charakterlich, auch leiblich. Ihr öffentliches Auftreten jenseits von Angelstellen ist eher deftig: Saufen, fluchen, Pfeife rauchen. So gar nicht Pin-Up.

Auch unsere Politiker, mal abgesehen von der transsexuellen Schönheit Georgina Beyer, sind eher von der unglamourösen Sorte. Ganz besonders Len Brown, Bürgermeister von Auckland. Wer hätte daher gedacht, dass ausgerechnet dieser brave Schlipssträger mit Halbglatze in den größten Schmuddelskandal gerät, den das Land je gesehen hat. Man müsste sich mit ihm schämen, wenn man sich nicht so wunderbar daran aufgeilen könnte.

Brown, verheiratet mit drei Töchtern , hat zwei Jahre lang eine Affäre mit einer jungen Chinesin gehabt, die angeblich auf einen Posten im Stadtrat scharf war. Heiß für ihn, lauwarm für sie, denn der schnelle Len – das wissen wir jetzt alles im Detail – kam immer schon nach wenigen Minuten. Bevan Chuang, nur halb so alt und nebenbei mit einem Mitarbeiter von Browns politischem Gegner liiert, wurde von ihrem Sugardaddy wie eine Prostituierte behandelt, „nur ohne Bezahlung“. Telefonsex im Amtszimmer – ja, mit Hose runter – und Wham-Bam-Thank-You-Ma‘am in den würdigen Hallen, wo die Maori-Ältesten tagten. Ein Pförtner überraschte sie dort in flagranti. Der schwieg, Miss Chuang jedoch nicht, und so kommt es, das wir jetzt ihre intimen SMS-Nachrichten kennen und man ihr Rollen in Pornos anbietet, weil ihre Karriere vorerst zuende ist. Len Browns noch nicht, denn Bill Clinton hat das mit Monica Lewinsky damals ja auch hingebogen. Ausdenken kann man sich das alles nicht. Nur wundern, wohin es noch führen soll. Sodom und Aotearorrha! Und jetzt: kalt duschen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Mein Nationalfeiertag

Am 26. Oktober war ich nicht in Japan, besuchte mit Architekt Terunobu Fujimori Raiding. Der Geburtsort von Franz Liszt befindet sich im Burgenland – unweit vom ehemaligen Eisernen Vorhang. Die Vortragsscheune war alt, das Architekturthema modern. Zur gleichen Zeit feierte Österreich – wie jedes Jahr, seine wiederhergestellte Souverenität: mit Panzerparaden und Rekruten auf der Wiener Ringstrasse. Und deshalb fiel mir folgende Geschichte mit meinem Armeepullover ein.

roland bundesheer 1974

Sturmgewehr vorn. Pullover nach hinten: Auch ich war einmal Rekrut.

1973 diente ich meiner Heimat, wie man so schön sagt. Während der sechs Monate als Wehrpflichtiger in der Kaserne Leobersdorf bei Wien lernte ich, dass eine Handgranate aus 3000 Splittern besteht und über den Kopf geworfen werden muss – damit sie nicht in den eigenen Reihen explodiert. Das Sturmgewehr konnte ich in stockdunkler Nacht zerlegen, putzen und wieder zusammenbauen. Panzer eleminierte ich mit einem langen Brett, einer Schnur und einer Mine. Kurz vor Eintreffen des „Russen“ zog ich das Brett vom Versteck aus über die Fahrbahn. Bummmm! Heute heisst sowas IED – Improvised Explosive Devise, und die Taliban verwenden statt der Schnur ein Handy. Ausserdem lernte ich, dass es besser ist, den olivgrünen Pullover mit dem V-Ausschnitt nach hinten zu tragen. Das schützt den Hals besser vor Gegenwind. Nach dem Abrüsten durfte ich diesen Pullover, sowie eine Hose – und ich glaube, auch eine lange Unterhose in Tarnfarbe, behalten – für den Ernstfall, sollte der Russe doch noch kommen. Ich nehme an, dass es bei einer Mobilisierung Zeit spart: Kein Armeeunterhosenanziehen in der Kaserne, sondern schon auf dem Weg dorthin. Der Schnitt und die Farbe des Pullovers passte perfekt zu meinen Jeans, und so war er noch Jahre nach meinem aktiven Heimatdienst fester Bestandteil von Disko- und Ausstellungseröffnungsbesuchen – bis er sich irgendwann von selber auflöste.

Bundesheer Army-Austria-release-form-sep-2003

Pullover und Unterhose, 30 Jahre alt, für €36.34

Wie gross meine Überraschung, als ich dreissig Jahre später vom Militärkommando eine eingeschriebene Drohung erhalte – getarnt als Grosszügigkeit. Wird der Pullover samt Unterhose nicht retourniert, geht’s vor’s Gericht. Die Grosszügigkeit bestand darin, dass „in Anerkennung meiner geleisteten Dienste“ die Möglichkeit besteht, den dreissigjährigen Pullover und die Unterhose für €36.34 zu erwerben.

SONY DSC

Dank an die Sovietunion für die Befreiung von der Naziherrschaft: Das „Russendenkmal“ auf dem Schwarzenbergplatz in Wien. Heute dient es als Kulisse für russische Musikvideos.

Ob die Betriebsversorgungsstelle des österreichischen Militärkommandos mit der Armeebekleidung immer noch so umgeht, das heisst, im Jahr 2043 zurückverlangt? Wer ist heute der imaginäre Feind? Es muss ihn geben, denn sonst würden am Nationalfeiertag in Wien keine Panzer rollen. Oder ist der Feind unsichtbar, die Militärparade ein Ausdruck der Hilf- und Nutzlosigkeit? Ist der Feind vielleicht sogar einer, der aus meinem Blog Schlüsselwörter wie IDE, Taliban und Handgranate filtert?

SONY DSC

Verfallener Schweinestall im Burgenland: Bauern versteckten hier ihre Frauen während der zehnjährigen russischen Besatzungszeit.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Im Zentrum der Macht

Unterirdische Gänge führen vom japanischen Parlament zu den Büros der 480 Abgeordneten . Einer von ihnen ist Hideki Miyauchi (52). Er vertritt die Anliegen von 350,000 Einwohnern und ist Mitglied der Liberal Democratic Party (LPD). Ich besuche den konservativen Politiker, passiere dabei unbedrohlich wirkende Sicherheitszonen.

underground entance to rep house lr DSC06493

Anzug zurechtrücken im Granittunnel: Sauber und steril ist der Zugang und unscheinbar die Videoüberwachung.

miyauchi and abe lr DSC06559

Unterstützung vom Boss: Mit dem Wahlsieg von Premierminister Shinzo Abe (rechts) ist Hideki Miyauchi im Dezember 2012 zum ersten Mal ins Parlament eingezogen. 25 Jahre hat er sich darauf vorbereitet – als Mitarbeiter von einem Abgeordneten. „Ich fliege jedes Wochenende in meine Heimatstadt Fukuoka, besuche Bauern und Geschäftsleute. Wir müssen auf Biegen und Brechen die japanische Wirtschaft ankurbeln!“ sagt Miyauchi.

offices of representatives lr DSC06579

Bürogebäude der Abgeordneten: Ich passiere einen Metalldetektor. Die Wachen tragen hellblaue Uniformen, sind zuvorkommend, Waffen erkenne ich auf den ersten Blick nicht. Die Atmosphäre ist kühl, geschäftsmässig. Keine Spur von Überheblickeit, wie ich sie sonst bei Sicherheitskontrollen an deutschen oder österreichischen Flughäfen erlebe. Eine uniformierte Dame kontrolliert hinter Panzerglas meinen Ausweis. Vor mir ist eine kleine Kamerakugel aufgebaut, davor das Schild: „Sie werden nun im Büro, das Sie besuchen wollen, identifiziert“.

house of representatives entrance desinfectant lr DSC06575

Nach dem Security Check Hände desinfizieren: Ich besprühe meine Hände mit antiseptischer Flüssigkeit, hänge mir eine Magnetkarte um den Hals, passiere die zweite Absperrung. Sie sieht aus wie eine Fahrkartenschranke.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Delegationen in Schwarz: Ich folge dunklen Anzügen zum Aufzug. Miyauchis Büro hat die Nummer 604 und liegt gleich neben dem des LDP-Granden Ichiro Ozawa.

office roalnd miyauchi lr DSC06526

Abenomics: Mit Deficit spending und strukturpolitischen Reformen will Premierminister Abe dem Land auf die Beine Helfen. Seine LDP hat die absolute Mehrheit. Gefolgsleute wie Miyauchi predigen Verzicht (niedrigere Renten), Zusammenarbeit (Freiwilligenarbeit unterJugendlichen im Sozialbereich) und Mut (mehr Investitionen für Forschung und Ausbildung). Kritiker bezeichen den Abenomics-Kurs als leichtsinnig. Der Geldumlauf soll sich innerhalb von zwei Jahren verdoppeln.

promotion fukuoka lr DSC06562

Marmelade und Nudeln: In seinem Büro hat Miyauchi Produkte aus seiner Heimat ausgelegt. „Die Leute aus meinem Wahlkreis sagen nicht direkt ‚wir wollen höhere Löhne‘. Sie sprechen indirekt, sagen zum Beispiel ‚Die Wirtschaft soll besser werden!‘ Als Abgeordneter muss ich die Wünsche herausfiltern, interpretieren. Meine Heimatstadt Fukuoka war immer schon Japans Tor zu Asien. Diesen Standortsvorteil sollten wir nützen.“

miyauchi office lr DSC06556

Kühlen Kopf bewahren: „Militärisch gesehen bereitet uns die Nähe zu China keine Sorge,“ sagt Miyauchi. „Was immer in Zukunft passiert, Amerika bleibt unser Partner. Wir wollen einen sachlichen, konstruktiven Dialog mit unseren Nachbarländern.“

house of representatives view to outside lr DSC06571

Room with a view: Die Begrünung rund um das Abgeordentenhaus gleicht Wehranlagen aus alten Samurai-Zeiten.

Miyauchi - Roland oct 16 2013 lr DSC06560

Auf Wiedersehen und alles Gute! Miyauchi empfängt Besucher und Delegationen im 30-Minuten-Rhythmus.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Hauptsache, LAUT!

Seit wir vor ziemlich genau zwei Monaten nach Peking gezogen sind, ist ein ruhiges Plätzchen schwer zu finden. Das liegt zum einen an den großen Baustellen neben und hinter unserem Haus. Doch das Problem ist temporär und wird irgendwann verschwinden. Etwas anderes aber wird uns während unserer Zeit im Reich der Mitte begleiten: Die Freude der Chinesen am Lärmen, am geselligen und kakophonischen Beisammensein.

Was den normalen Mitteleuropäer zurückprallen lässt, ist für die Einheimischen normale Härte. Knallvolle Restaurants, dichtes Treiben vor Sehenswürdigkeiten, Schieben und Drängen an Bushaltestellen, und das alles mit möglichst lautstarker Untermalung (Nein, ich fange jetzt nicht an, mich über das deutlich hörbare, röchelnde Spucken auszulassen). Hier ist das Alltag und deswegen gibt es auch ein Wort dafür: Rè Nào nennen die Chinesen den Zustand der lärmenden Enge. Laut meiner Chinesischlehrerin ist der Begriff eine Zusammensetzung der Worte „heiß“ und „laut“. Das trifft’s genau.

Re Nao

Bei unserem ersten Trip in den Süden Chinas vor drei Wochen sammelten wir intensiv Erfahrung mit Rè Nào. Es war während der so genannten Golden Week, wenn sich ganz China und wenige, unerfahrene Ausländer (also wir) auf Reisen begeben. Egal, zu welcher Sehenswürdigkeit wir kamen, durch welche Gassen wir gingen, auf welchem Ausflugsdampfer wir fuhren – es gab kein Entkommen von den Massen, die sich freudig ihre Urlaubs-Eindrücke zubrüllten.

 

Inzwischen kann ich verstehen, dass eine chinesische Freundin, die vor Jahren als Krankenschwester nach Österreich ging, bei ihrer Ankunft in Wien dachte, es sei etwas Furchtbares geschehen. Ganz still und menschenleer wären die Straßen der Hauptstadt an jenem Sonntagmorgen gewesen. Das hätte ihr richtig Angst gemacht, und sie hätte gedacht, dass vielleicht ein Krieg bevorstünde und deswegen alle Menschen in ihren Häusern wären. Damals hatte ich diese Geschichte nicht verstanden, als eine übertriebene Anekdote abgehakt. Doch aus hiesiger Perspektive wird der Kulturschock begreifbar, den meine an Rè Nào gewöhnte Freundin erlitten hatte. So wie ich jetzt (eigentlich wollte ich immer im dünn besiedelten Schweden leben, aber das ist eine andere Geschichte). Egal, meine Freundin hat sich bestens mit ihrem ruhigeren Leben in Wien arrangiert. Das wird mir mit dem kakophonischen Alltag in China sicher auch gelingen. Irgendwann jedenfalls.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Buchhimmel, Buchhölle, Buchmesse

Als ich gestern begann, diese trauerumflorten Zeilen zu schreiben, gewann doch glatt Eleonar Catton den Man-Booker-Preis. Ja, eine Neuseeländerin sackte den begehrtesten Literaturpokal ein. Als Jüngste überhaupt, und für den dicksten Booker-Schmöker aller Zeiten: „The Luminaries“ hat 832 Seiten. So viele Superlative, so toll! Das erinnert mich ans letzte Jahr, als ich von der Buchmesse wiederkam und jeder fragte, wie wir waren. Denn Neuseeland, das ja alle so schätzen, sich nach ihm sehnen, aber selten was von ihm lesen, war damals Ehrengast gewesen. Ein Riesen-Tamtam.

Die gefühlte Häfte aller einheimischen Autoren wurde nach Frankfurt verschifft, wo sie etwas ratlos rumstand. Es war wie auf Klassenfahrt. Radio New Zealand machte eine Live-Schaltung, man feierte sich ab, dazu Pinot Noir aus Central Otago – wer kann da meckern? Ich hielt mich eher an die Freigetränke meines Verlages als bei Maori-Tänzen auf und konnte die ganze Pazifik-Pracht kaum aufnehmen. Aber eines war klar: So viel Beachtung wie in jener Woche hat die kleine, feine Verlagszene Aotearoas noch nie bekommen. Und ein Jahr später ist klar: So beschissen wie jetzt ist es ihr auch noch nie ergangen. Während die Frankfurter letzte Woche mit Brasilien anstießen und unsere neue Star-Autorin in London geehrt wurde, herrscht daheim beim ehemaligen Ehrengast Krise.

Kevin Chapman lief damals als kiwianischer Wichtigmann von Halle zu Halle. Das deutsche Messe-Essen war ihm suspekt, er hielt sich an Hot Dogs. Im Mai diesen Jahres tönte er als Präsident der Verlegervereinigung Neuseelands noch: „Dies ist eine Branche, die über ein Jahrhundert lang bemerkenswerte Widerstandskraft bewiesen hat.“ Zwei Monate später war er seinen Posten los. Der Verlag Hachette, dessen neuseeländischer Direktor er war, machte sein Auckland-Büro dicht und strich 15 Stellen, auch seine.

Zuvor hatte sich bereits HarperCollins aus Neuseeland zurückgezogen – die Geschäfte werden jetzt von Sydney aus geregelt. Random House und Penguin haben sich im Juli global vereinigt, was ein paar Druckmöglichkeiten weniger für Kiwi-Autoren bedeutet. Und dann schloss noch Pearson seine Tore, der größte Schulbuchverleger. Von den 2000 Büchern, die pro Jahr in Neuseeland erschienen, waren allein 1200 Lese-Heftchen für Grundschüler.

Was in den letzten fünf Jahren weltweit den Buchmarkt umkrempelte, erlebten die Kiwis in nur 12 Monaten: Mehr selbstverlegte E-Books im Netz, weniger echte Verlage. Es ist in Aotearoa billiger, sich was von Amazon schicken zu lassen, als es im Buchladen zu kaufen. „Book shop“ bedeutet in vielen Fällen Schreibwarenladen mit Sportzeitschriften, in dem als literarisches Beiwerk Dan Browns Schinken und ‚Fifty Shades of Grey‘ stehen, aber selten ein im Lande produziertes Buch. Zum Beispiel von Awa Press. Mary Varnham ist dort Verlegerin und sagt: „Wer weiß, ob es uns in fünf Jahren noch geben wird.“ Mit einem Caipirinha allein lässt sich das nicht runterspülen. Prost, Eleanor!

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Zu wenig Platz für guten Auslandsjournalismus

weltreporter.net ist der größte Zusammenschluss freier deutscher Auslandskorrespondenten. Da ist es wenig überraschend, dass wir meinen, dass unser Berufsstand dringend gebraucht wird. Das gleiche sollte man von den Herausgebern deutscher Tageszeitungen denken, die ihr Geld damit verdienen, eine möglichst gute Zeitung zu machen, die den Leser täglich aufs Neue begeistert. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Ein Medienkonzern wie Madsack (HAZ, Lübecker Nachrichten, OZ, LVZ) hat bisher über 18 überregional arbeitende Redaktionen – bald soll es nur noch eine sein. Mit der hochwertigen Berichterstattung, für die wir Weltreporter uns mit unserer täglichen Arbeit einsetzen, ist das kaum vereinbar. Deshalb betonen wir das Selbstverständliche: die Notwendigkeit einer publizistischen Vielfalt, zu der ortskundige Korrespondenten kritisch und kompetent mit Inhalten und Hintergründen beitragen.

Madsack ist kein Einzelfall. Die jüngsten Spardiktate etwa bei DuMont (Kölner Stadtanzeiger, Berliner Zeitung) lassen Schlimmes befürchten. Wir sehen, wie ganze Weltregionen ausgeblendet werden – auf Kosten der Korrespondenten, deren Rahmenverträge gekündigt werden, aber auch der Leser, die immer oberflächlicher informiert werden.

Tageszeitungen können nur überleben, wenn sie sich durch tiefergehende, überraschende und spannende Geschichten vom bunten Allerlei im Internet absetzten. Dafür braucht man Journalisten, die in ihrem Berichtsgebiet leben – keine Fallschirmreporter, die zu Krisenzeiten für ein paar Tage eingeflogen werden und dann voneinander abschreiben.

Guter Journalismus muss außerdem auch in Zukunft bezahlt werden. Ausbeutungsportale wie die Huffington Post, die ihre Autoren nicht bezahlen, nutzen letztlich nur einem: dem Herausgeber, der mit den unbezahlten Leistungen anderer Profit macht.

Weltreporter.net gehören derzeit 66 Mitglieder an, die aus 160 Ländern für ebenso viele verschiedene deutschsprachige Medien berichten. Ziel unseres eingetragenen Vereins ist die Förderung eines hochwertigen Auslandsjournalismus, zu dem sich alle Mitglieder bekennen.

Im kommenden Jahr feiern wir unseren zehnten Geburtstag. Diesen Anlass werden wir nutzen, um besonders engagiert und lautstark für guten Auslandsjournalismus auch in den Tageszeitungen zu streiten!

Dafür haben die Weltreporter einen neuen Vorstand gewählt. Neue zweite Vorsitzende ist die ehemalige ARD-Nahost-Korrespondentin Birgit Kaspar, die nach langer Zeit als Freie in Beirut nun für Hörfunk und Print aus Toulouse berichtet. Das globale Vorstandsteam vervollständigen Schatzmeisterin Julica Jungehülsing (Sydney), Klaus Bardenhagen (Taipei) und Kerstin Zilm (Los Angeles). Geschäftsführerin Barbara Heine leitet die Hamburger Geschäftsstelle von weltreporter.net.

Ich – Marc Engelhardt, nach sieben Jahren in Afrika inzwischen UN- und Schweiz-Korrespondent in Genf – darf in den kommenden zwei Jahren als erster Vorsitzender unser streitbares und kompetentes Netzwerk vertreten. Darauf freue ich mich – wie über jeden Tag, an dem Leserinnen und Leser in ihrer Tageszeitung noch lesenswerte Geschichten aus dem Ausland finden.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Eine tierische Angelegenheit

Hammel, überall blöken die Hammel. Die Autobahnen und Landstraßen sind voller Pick Up Trucks auf deren Ladenflächen sich Dutzende Tiere quetschen. Auf den Plätzen vor den Städten sind sie zu Hunderten zu sehen. Männer laufen herum und suchen sich ein Tier aus. Bündel von Geldscheinen wechseln den Besitzer. Der Grund: Das Islamische Opferfest steht bevor. Am heutigen 15. Oktober feiern die Muslime überall auf der Welt Aid al Adha oder Aid el Kebir, wie der Tag im Maghreb genannt wird. Jedes Familienoberhaupt ist angehalten ein Tier zu schlachten. In den meisten Länder sind es Hammel.

Das Tier wird einige Tage zuvor gekauf, denn Last-Minute ist teuerer. Stellt sich vor allem in der Stadt die Frage: Wohin mit dem Vieh? In Algerien erlebte ich das Opferfest vor einigen Jahren mit und konnte mir vom Einfallsreichtum der Städter selbst ein Bild machen. Wer zu den wenigen gehört, die in einem Ein- oder Zweifamilienhaus leben, hält das Tier in der Garage oder im Innenhof. Wer unweit eines Parks lebt, markiert seinen Hammel und lagert ihn dort zwischen. Die Tiere fressen die Parkvegetation, während ein Wächter aufpasst, dass sie nicht gestohlen werden. Schwieriger wird es da schon in den monotonen Wohnblocks der Vororte mit ihren viel zu engen Wohnungen. Hier bevölkern die Hammel die Balkone und selbst die Absätze im Treppenhaus. Es riecht entsprechend.

Am Opferfest dann, werden die Tiere auf die Straße geführt, um ihnen – den Blick gen Mekka gerichtet – mit einem Messer die Gurgel durchzuschneiden. Überall in der Stadt fließt das Blut. Nicht jeder Mann in der Familie ist geeignet das Opfer darzubringen. Er muss ein guter Muslim sein. Viele meiner Freunde haben deshalb noch nie das Messer geführt und wollen das auch nicht. “Ich trinke doch Bier”, heißt die Entschuldigung, um sich vor dieser Aufgabe zu drücken.

Es ist kein billiges Fest. Dieses Jahr kosten die Tiere in Algerien um die 450 Euro. Das ist das dreifache des Mindestlohnes. Viele Tiere müssen importiert werden, da Algeriens Viehwirtschaft nicht ausreicht, das gesamte Land zu versorgen. Wer sich einen Hammel leisten kann, und einem Armen Nachbarn hat, ist angehalten, ein Stück Fleisch abzugeben.

Das Opferfest geht übrigens auf das Alte Testament zurück. Der Koran hat die Geschichte des Propheten Ibrahim (Abraham) übernommen. Das Hammelopfer gedenkt der Bereitschaft Ibrahims seinen Sohn Ismael (Isaak) aus Furcht vor Gott, soll heißen Allah, zu opfern. Als Allah – Gott – seine Bereitschaft und sein Gottvertrauen sah, gebot er ihm Einhalt und Ibrahim und Ismail opferten daraufhin voller Dankbarkeit im Kreis von Freunden und Bedürftigen einen Widder. Die Geschichte wird im Koran in Sure 37,99-113 erzählt. Ihr biblisches Pendant ist die Erzählung von der Opferung Isaaks (Gen 22,1-19 EU).

Am Festtag selbst, werden die Innereien zubereitet. Sie verderben am schnellsten und das Hammelfleisch an sich muss einige Zeit abhängen, um genießbar zu sein. Wer an so einem Opfertag eingeladen wird, bekommt das beste Stück aufgetischt. In meinem Falle waren es die Hoden. Unter dem aufmerksamen Blicken meiner Gastfamilie verzehrte ich den Leckerbissen und spülte mit amerikanischer Brause nach. Probe bestanden!

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Zerstörte Träume und schlaflose Nächte – die US-Haushaltsblockade

Gerade habe ich im Radio gehört, dass weltweit kein großes Interesse am schlechten Schauspiel der Haushaltsblockade von Washington besteht. Kein Wunder. Ich kann auch kaum noch die Stimmen der üblichen Verdächtigen ertragen, die sich gegenseitig die Schuld zu schieben. Die müssen doch mindestens genausoviele Geschichten von Betroffenen gehört haben wie ich!

Ich habe Touristen am Flughafen von Los Angeles getroffen, die ihren gesamten Ferienplan umstellen mussten weil sie nicht in Nationalparks kommen. Eine Rentnerin war auf dem Weg zum Trip ihres Lebens mit Schulfreundinnen – Wildwasserrafting im Grand Canyon. Aus der Traum!
Ich traf einen Vater, der die Hypothek für sein Haus und Studiengebühren für seine Töchter nicht bezahlen kann, weil er im Zwangsurlaub ist. Irgendwann soll er sein Gehalt bekommen. Bis dahin stapeln sich unbezahlte Rechnungen und Verzugsgebühren. Er schläft nicht gut.

Am meisten beeindruckt aber hat mich die Geschichte von Shanice, einer Studentin aus dem nicht gerade idyllischen Viertel Watts in Los Angeles. Das ist berühmt vor allem für Rassenunruhen in den 60ern und für die Türme aus Recycle-Material. “Ich weiss nicht, was derzeit unser größtes Problem ist – Gangs oder Teen-Mütter,” erzählte sie mir. Shanice will den Kreislauf durchbrechen und hat ein Studium angefangen. Sie schrieb sich ein für Soziologie und Kommunikation an einem relativ preiswerten College. 1000 Dollar zahlt sie im Jahr für Studium und Studienmaterial. Das stieß bei Freundinnen auf großes Unverständnis. “Warum wirst du nicht einfach schwanger, dann bekommst Du Geld für Essen und Wohnung?” haben die gefragt.
Die 21 jährige lebt bei ihrer Großmutter. Sie hat sechs Geschwister. Die leben bei der Mutter. Der Vater hat sich nie um sie gekümmert. Shanice bekommt etwa 10 tausend Dollar im Jahr aus verschiedenen Töpfen des Bundeshaushalts. Mir ist es ein Rätsel, wie man mit so wenig Geld in Los Angeles leben und studieren kann! “Ich bin total von finanzieller Hilfe abhängig. Ich zahle alles davon – das Busticket, die Bücher, mein Essen, die Gebühren, meine Kleidung, Zuschuss zur Miete.” erzählte sie mir. Und das ist die Verbindung zur Haushaltsblockade.
Vor gut acht Wochen wäre eine Zahlung an Shanice fällig gewesen, etwa 1500 Dollar. Wegen Kürzungen an den Unis noch vor der Blockade hat sich die Zahlung verzögert. Wegen der Streits in Washington wurden nun zusätzlich Stellen am College gestrichen und Shanice fürchtet, dass sie das Geld gar nicht mehr bekommt. Bei der Beratungsstelle sind die Schlangen endlos. Dort arbeiteten einmal drei Angestellte, nur eine Stelle ist geblieben. “Wenn ich am Ende des Monats keine Überweisung bekomme, kann ich mir den Bus nicht mehr leisten. Wenn ich nicht zur Schule komme, kriege ich schlechte Noten. Mit schlechten Noten bekomme ich keine finanzielle Förderung mehr.” Shanice will ein Vorbild sein, ihren Geschwistern zeigen, dass auch Kinder aus Watts einen Collegeabschluss machen können. Momentan fürchtet sie, dass die Schulfreundinnen recht behalten und es einfacher ist, eine Teen-Mutter zu sein als zu studieren.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Olympiade 2020: Kampf der greisen Giganten

Schon jetzt fliegen die Fetzen. Zwar bekrittelt niemand öffentlich (noch nicht), dass die gebürtige Irakerin „Dame“ Zaha Hadid das Stadion in Tokio bauen wird (siehe Blog 9. September 2013), doch Unmut über Grösse und Location wird lauter.

Befürworter des protzigen Projekts ist der ehemalige Boxer, Pritzker Preisträger und Beton-Purist Tadao Ando,72. Er hat als Jurymitglied die Entscheidung massgeblich beeinflusst und letzten November Hadids Sieg verkündet. Sein Gegenspieler, Fumihiko Maki, 85, sieht in dem Projekt Geldverschwendung und Umweltzerstörung. Deshalb schart der suave Harvard Absolvent – ebenfalls ein Pritzker Preisträger – eine Protestgruppe japanischer Architekten um sich. Unter anderem gehören ihr Toyo Ito, Kengo Kuma, Taro Igarashi und Sou Fujimoto an.

Am Wochenende bin ich durch das zuküftige Olympia-Viertel spaziert.

SONY DSC

Last Tange: Für die olympischen Spiele 1964 baute Kenzo Tange (1913-2005) zwei Stadien im Yoyogi Park. Auch 2020 sollen sie zum Einsatz kommen. Doch der Hadid Bau wird sie erdrücken.

4 - olympics towers couple lr DSC06435

Lachend in die Zukunft? Yoyogi ist eine der wenigen grünen Lungen Tokios und mit seinen angrenzenden Vierteln Harajuku, Aoyama und Shibuya Freizeitspielplatz der Jugend. Grünanlagen werden dem Hadid-Bau zum Opfer fallen. Die Skyline hinter den beiden Gebäudespitzen von Kenzo Tange dominiert dann das neue Stadion.

2 - Maki and Roland lr IMG_6988

Der Kritiker: Fumihiko Maki will retten was zu retten ist. Er prangert Grösse, Umweltbelastung und fehlendes Einfühlungsvermögen an. Hadids Stadion wird ca. eine Milliarde Euro kosten (Umrechnungskurs 130 Yen) und drei mal so gross werden, wie das Hauptstadion bei den Spielen in Londen. „Viel können wir nicht mehr ändern“, gesteht Maki, „aber zumindest verkleinern. 85,000 Sitzplätze sind nicht notwendig.“ In der Yomiuri Shinbun warnt ein Beamter davor, dass die Kosten explodieren würden. Korruption ist aber nicht auf Japan beschränkt, wie wir das bei den Flughäfen Berlin und Wien gesehen haben.

olympic stadion hadid

Fahrradhelm im CG-Grün: Hadids Olympia Stadion täuscht vor, friedlich in der Natur eingebettet zu sein. Zu sehen sind aber weder die geopferten Grünflächen, noch die breitspurigen Auswirkungen auf das Gesamtstadtbild. Hadid hat 400 Angestellte und Projekte in 55 Ländern, einige davon Diktaturen. (Einen interessanten Fotobericht von Hadids Heydar Aliyev Center in Baku, Aserbaidschan, gab es am 11. Oktober 2013 in der New York Times. Heydar Aliyev war der ehemalige KGB-Chef des Landes. Am Ende des Artikels betont die Times, dass die Fotos von Hadid zwar beauftragt, aber nicht von ihr vor Veröffentlichung abgesegnet wurden.)

SONY DSC

Habt acht beim Strippenzieher: Tadao Ando findet, dass Hadids Design Japans Zukunft interpretiert. Er war in Osaka immer schon ein kompromissloser Einzelkämpfer gewesen, dem die Elite in Tokio suspekt erschien. Die internationale Olympia-Ausschreibung für 2020, wo hochkarätige japanische Architekten aus Tokio teilgenommen haben (Toyo Ito und das SANAA Team), wirkt unter diesem Blickwinkel unglaubwürdig. Zudem hätte der Wettbewerb – meiner Meinung nach, ohnehin nur unter japanischen Architekten stattfinden sollen. Japan ist nicht China, dass mit Leuten wie Koolhaas und Co. Anerkennung im Ausland erheischen muss.

5 - olympics homeless lr DSC06438

Obdachlosen-Architektur: Die bisher stillschweigend geduldeten Zeltlager im Yoyogi Park werden ebenfalls dem Hadid Stadion weichen müssen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Universum im Abflussrohr

In Spanien über Handwerker zu schimpfen ist ungefähr so originell wie sich in Deutschland über die Verspätungen der Bahn zu echauffieren. Zeit also für eine Ehrenrettung: Spanischen Handwerkern verdanke ich wesentliche Erkenntnisse über Sprache und Weltanschauung.

Die Sachlage: Wir haben seit einem Jahr ein Zimmer mit einer feuchten Wand. Seit genau so langer Zeit bemühen wir uns, unsere Vermieterin zur Lösung dieses Problems zu bewegen. Neulich tropfte es auch im Supermarkt unter uns auf die Kasse. Und so hatten wir innerhalb weniger Wochen das Vergnügen mit gleich vier (4!) Handwerkern.

Die ersten schickte die Vermieterin. “Son de confianza”, Vertrauensleute also. Ich interpretierte das als “Denen kannst du vertrauen”. Meine Vermieterin wollte damit aber lediglich zu erkennen geben, dass es ihre Vertrauten waren: vermutlich Kumpel ihres erwachsenen Sohnes, die sich ein Zubrot verdienen wollten. Hochmotiviert klopften die beiden im Bad Kacheln ab, wickelten etwas um die tropfende Kupferleitung und begannen am gleichen Nachmittag im Nebenzimmer Gips auf die feuchte Wand zu spachteln und dann darüber zu pinseln.

Auf mein schüchtern hervorgebrachtes “Sollte das nicht zuerst trocknen? Und was ist mit der Grundierung?” entgegnete man mir, die “Señora” solle sich keine Sorgen machen, man werde das Zimmer “to’ guapo, to’ guapo” hinterlassen (was mit “tip-top” nur unzureichend übersetzt ist). Tatsächlich hatte ich am nächsten Tag eine originell gestaltete Wand, reliefartig weissgelb, hellbraun gesprengelt. Glatt weiss ist für Spiesser!

Da das Wandrelief in den nächsten Wochen wieder in Bewegung geriet und sich schliesslich auf Rohrhöhe auflöste, riefen wir wieder an, diesmal nicht bei der Vermieterin, sondern bei der Hausverwaltung, die uns den “offiziellen Handwerker des Gebäudes” schickte. Der machte uns mit einem der schönsten Worte der spanischen Sprache bekannt: “Esto es una chapuza”. Das heisst so viel Schlamperei, Murks, Pfusch, ist aber weniger negativ behaftet, da “chapuza” streng genommen nichts weiter ist als eine zwangsläufige Transformation von “arreglo” (so viel wie “schnelle Reparatur”), und einen “arreglo” hatte der erste Handwerker gemacht. Da half jetzt nur eine gründliche Reparatur, und die kostete ihre Zeit. Wir lebten tagelang in einer offenen WG mit Handwerkern, die Farbe abspachtelten, Kacheln abklopfen, Rohre verschweissten. Manchmal sang ich leise “cha-pu-za, cha-pu-za” vor mich hin – das Wort tröstete mich als melodiöser Ohrenschmeichler über den Dreck und das zu Unzeiten abgestellte Wasser hinweg.

Diesmal wurde auch nicht sofort gestrichen, da aber auch nichts trocknete, kam drei Wochen später ein anderer, von Hausverwaltung und Vermieterin gemeinsam bestellter Handwerker vorbei. Er sei der Chef, wurde uns gesagt. Der Chef ging ins Bad, klopfte drei Mal melancholisch gegen die Kacheln, ging in das Zimmer mit der feuchten Wand, seufzte tief, ging dann in den Innenhof, wo er den Kopf in den Nacken legte und den Blick das Rohrgewirr im Lichschacht emporwandern liess. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: “Esto es un universo” – “Das ist ein Universum!”. Er packte seinen Werkzeugkoffer zusammen, drückte uns die Hand und ging. Für immer.

Ich war erschüttert: Ein Universum im Abflussrohr! Die Welt als Rohrsystem! Auf so eine Metapher muss man erst einmal kommen. Und dann dieser Abgang! Würdevoller kann man vor der Ausweglosigkeit des Lebens nicht kapitulieren.Spanische Handwerker sind die letzten grossen Poeten der Post-Postmoderne.

Ach ja, das Problem mit der tropfenden Wasserleitung haben dann keine spanischen Handwerker, sondern “manitas”, wörtlich “Händchen”, gelöst: zwei Ecuadorianer ohne “offiziellen Titel”, die das defekte Rohrstück durch ein neues ersetzten. Prosaisch, aber effizient.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Weckruf mit der Nobel-Nachricht

Aus dem Schlaf gerissen, verstand Alice Munro zunächst nicht die Nachricht, die ihr ihre Tochter telefonisch übermittelte: „Mama, Du hast gewonnen.“ Es war heute morgen, kurz nach 4 Uhr in Victoria in Kanadas Pazifikprovinz British Columbia. Dann aber dämmerte es ihr: Sie, die 82 Jahre alte Grand Old Lady der kanadischen Literatur, war für ihr Lebenswerk mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden.

 

Als sie wenige Minuten später die ersten Interviews gab, hatte sie immer noch Mühe, die richtigen Worte zu finden. „Es ist mitten in der Nacht hier“, sagte sie fast entschuldigend in einem Gespräch mit dem kanadischen Rundfunk CBC. „ich kann es nicht beschreiben. Was soll ich sagen?“ antwortet sie auf die Frage, wie sie die Nachricht aufnahm. „Meine Tochter weckte mich und zunächst verstand ich nicht warum“, erzählt die „Meisterin der zeitgenössischen Kurzgeschichte“, wie das Nobelkomitee in Stockholm sie bezeichnet. Erst „kürzlich“ sei sie darauf aufmerksam gemacht worden, dass sie wieder eine Kandidatin für den Nobelpreis sei. „Ich hatte daran nicht gedacht. Ich bin hier für Familienangelegenheiten.“ Ja, sie weiss, dass sie schon öfter als Kandidatin im Gespräch war. Aber den Nobelpreis zu erhalten, das sei „eines dieser Hirngespinste, die passieren könnten, aber wahrscheinlich doch nicht“.

 

Nun hat sie ihn doch bekommen. Alice Munro, die erste Kanadierin, die mit Literaturnobelpreis ausgezeichnet wird, die 110. in der langen Reihe der Geehrten, aber erst die dreizehnte Frau. Als sie damit konfrontiert wird, reagiert sie schlagfertig. Es sei „haarsträubend“, dass erst dreizehn Frauen den Preis erhalten haben. Ob sie auch der erste kanadische Preisträger in Literatur ist, ist eine Frage der Definition: Kanadische Medien verweisen darauf, dass der in Kanada geborene, aber in den USA aufgewachsene Saul Bellow den Preis 1976 erhielt.

 

Alice Munro, die grauhaarige Dame, ist in Kanada hoch angesehen. Ihre nicht minder bekannte kanadische Kollegin Margret Atwood nennt sie eine „internationale Literatur-Heiligkeit“. “Hurra, Alice Munro erhält den Literaturnobelpreis”, gab sie ihrer Freude auf Twitter Ausdruck. Die US-amerikanische Schriftstellerin Cynthia Ozick nannte Munro Kanadas „Tschechov“ und verglich sie damit mit dem russischen Schriftsteller Anton Tschechov. Ihr langjähriger Publizist Doug Gibson nennt die Preisverleihung „eine wunderbare Nachricht für uns alle. Kanada hat den Literatzurnobelpreis gewonnen.“ Er sei über die Auszeichnung für Munro „nicht überrascht. Sie verdient es. Es ist an der Zeit.“

 

Ihr Ansehen in Kanada wird durch mehrere Preise unterstrichen. Für ihr Debutwerk „Dance of the Happy Shades“ (Tanz der seligen geister) erhielt sie den Literaturpreis des kanadischen Generalgouverneurs, ebenso für ihre 1978 erschienene Sammlung „Who Do You Think You Are?“ (Das Bettlermädchen). Für „The Love of a Good Woman“ (Die Liebe einer Frau) und „Runaway“ (Tricks) wurde sie mit dem Giller-Preis ausgezeichnet, und 2009 gewann sie den renommierten Man Booker International Prize für ihr Lebenswerk.

 

Alice Laidlaw, am 10. Juli 1931 in Wingham in Ontario geboren, wuchs auf der elterlichen Farm auf, studierte an der University of Western Ontario in London Journalismus, brach das Studium aber aus Geldmangel ab. Sie heiratete James Munro, mit dem sie drei Töchter hat. Die Ehe wurde 1972 geschieden und sie heiratete den Geografen Gerold Fremlin, der vor wenigen Monaten starb. Einige Jahre lebte sie in British Columbia, jetzt lebt sie zeitweise in Ontario und in British Columbia, wo sie am Donnerstag die Nachricht vom Nobelpreis erreichte.

 

Im vergangenen Jahr veröffentlichte Alice Munro ihre Sammlung „Dear Life“, für die sie ihren dritten Trillium Book Award erhielt, den Literaturpreis ihrer Heimatprovinz Ontario. Erst vor wenigen Wochen hatte sie in einem Interview mit der kanadischen Zeitung National Post erklärt, dass sie „wahrscheinlich nicht mehr schreiben wird“. Jetzt gefragt, ob sie diese Aussage nach dem Nobelpreis revidieren wolle, meinte sie lachend, dass sie das nicht glaube. „Ich werde ziemlich alt.“

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Gangster, Gelder, Gammastrahlen

Nach meiner Konfrontation mit einem Yakuza bin ich sicher: An der Fukushima-Katastrophe bereichern sich Verbrechersyndikate.

Was ist passiert?

Drei markante Gebäude markieren die Yoyogi-koen Kreuzung im Herzen Tokios: Ein Glaskubus von Mode-Shogun Issey Miyake, ein Family Mart Convenience-Store und ein koban. Das Polizeihäuschen ist 24 Stunden geöffnet. Manchmal sitzt dort ein Polizist, manchmal stehen dort drei. In Japan gibt es weder Strassennamen noch Strassennummern. Deshalb liegen im koban Stadtkarten auf, wo Häuser des Viertels mit Familiennamen eingezeichnet sind. Die Polizei gibt Auskunft, besucht zudem einmal im Jahr alle Bewohner im Revier. Sie fragt, wie’s geht oder warnt Omas vor „ore-Telefonaten. Das sind Anrufe von angeblichen Enkelkindern in Not, die um eine Banküberweisung bitten. Jährlich erschwindeln Banden wie die Yakuza auf diese Art Milliarden.

yakuza manga

Yakuza im Manga: “Sorry. Ich habe kein Geld!”

Unweit vom Yoyogi-koban, beim Family Mart, will ich mein Fahrrad abstellen. Neben dem Eingang aber schreit ein bulliger, kurzbeiniger Typ. Vor ihm – zwei Teenager. Sie nicken reumütig. Hinter ihm – eine junge Frau. Der Rock ist kurz, die Absätze lang, der Blick trüb.

„Mit den Scheiss-Fahrrädern habt ihr der Frau das Knie verletzt!“

Mein Seitenblick streift ihre Beine. Schlank sind sie und weiss und unverletzt.

„Was ist? Zahlt ihr? Habt ihr Geld ? Einen Ausweis? Wo wohnt ihr?“

koban crp bw DSC00817

Koban bei der Yoyogi Kreuzung

Einkäufer gehen an uns vorbei. Nur keinem Yakusa in die Augen schauen! Mir reicht’s, laufe rüber zur koban. „Da drüben werden Jugendliche attackiert!“ Drei Polizisten springen los, halten Pistolentasche, Stahlrute, Funkgerät und Schellen am Gürtel fest, damit sie nicht klappern. Wie ein kleiner Bruder, der Geschwister zur Verstärkung mitbringt, stelle ich mich vor den Ganoven.

„Das ist er!“ sage ich. Der Yakuza baut sich vor den Polizisten auf: „Dreckskerle. Habt ihr nichts besseres zu tun? Arschlöcher! Verschwindet!“

Die Polizisten verziehen keine Miene, fragen höflich, was das Problem sei.

„Geht euch einen Scheiss an. Erzähle ich eurem Boss. Verpisst euch,“ sagt der Wegelagerer.

„Ist doch klar, dass er die Teenager erpresst,“ sage ich.

„Alles OK,“ sagt ein Polizist.

koban wanted lr crp  bwDSC00821

Fahndungsposter bei der koban

Der Yakusa tritt an mich heran und ich rieche seinen ranzigen Sake-Atem. Er brüllt und bellt und lässt das „R“ rollen, wie es sich nur unter seinesgleichen geziemt. Er zieht sein Handy. Er fotografiert mich. Er fotografiert die Polizisten. Er hält die Faust mit den Goldringen vor meine Nase. Und erst dann stellen sich die Polizisten dazwischen.

„Ich kriege euch alle. Eure Familien. Eure Kinder!“ In seiner Stimme – keine Spur von Heiserkeit. Auf der Strasse – keine Schaulustigen. Im Family Mart – kein Aufruhr – der Laden könnte nächstes Opfer sein. Hinter dem Rücken des Gelegenheitsparasiten deutet die schlanke Frau den Jungen, sie sollen weglaufen – doch sie rühren sich nicht vom Fleck. Denken sie, nun sei Hilfe gekommen? Denken sie, sie müssten sich dem Polizisten erklären? Denken sie, bei einem Yakusa hat auch die Polizei keine Chance?

Und dann sagt der ranghöchste Uniformierte: „Das hier ist eine Privatunterhaltung.“

“Wo ist die Verletzung am Knie?” wiederhole ich.

Die Polizisten drehen sich um und spazieren zurück zum koban. „Scheisskerle! Wird Zeit!“ schreit ihnen das Bronsongesicht nach und wendet sich zu mir und ich ergreife die Flucht und die Jungen tun mir deshalb heute noch leid.

Und was hat das mit Fukushima zu tun?

1000-Tonnen-Tanks mit radioaktivem Wasser sind miserabel zusammengeschraubt. Viele davon stehen schief. Arbeiter pumpen von einer Seite Wasser hinein, auf der anderen läufte es ab. Die Dummheiten werden auch in Zukunft nicht aufhören und ich habe dafür eine Erklärungen. Das Arbeiterfussvolk im AKW ist nicht geschult. Niemand will den Laden freiwillig aufräumen, sein Leben riskieren. Deshalb ist die Yakuza nun Job-Vermittler für den Energiebetreiber, rekrutiert Obdachlose, Arbeitslose, Hilflose. Das munkeln Japaner. Ich glaube es. Ich habe die Polizisten weggehen gesehen.

110324_125727

Roland in Fukushima

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Pharmaindustrie, Würmer und anderes Ungeziefer

Ausgerechnet im sauberen Deutschland hat sich mein Sohn Würmer eingefangen. Im Sandkasten, auf dem Spielplatz oder im Kindergarten, keiner weiß es so genau. Es fing an mit einem leichten Jucken am Popo und endete mit einem mehrwöchigen Drama durchwachter Nächte, wiederholtem Waschen sämtlicher Bettwäsche, Schlafanzüge, Unterhosen und Stofftiere sowie diversen Kinderarztbesuchen. Durchaus auch in gemäßigten Breitengraden nichts Ungewöhnliches, wie ich während der Prozedur gelernt habe, meist durch Übertragung von Tieren. Zwar hatte im Kindergarten angeblich sonst niemand Würmer, praktisch gesehen allerdings ein Ding der Unmöglichkeit bei der hohen Übertragbarkeit. Aber über so etwas reden Eltern – zumindest in Deutschland – wohl lieber nicht. So ähnlich wie bei Läusen: Während in Frankreich die bewährten Läusemittel in der Apotheke gleich vorne im Regal stehen, muss man sie sich in Deutschland mit gesenkter Stimme aus den Tiefen des Lagers holen lassen.

Wie auch immer: Bei der dritten Behandlung hat die verabreichte Wurmkur endlich gewirkt und der Spuk war mit einem Schlag beendet. Bei den ersten beiden Versuchen musste der dreijährige Patient ein widerlich riechendes, giftrotes Medikament hinunterwürgen, das ihm zwei Stunden später (also bereits nach Wirkungseintritt) wieder hochkam. Leider bekämpfte das Zeug nur den gemeinen Madenwurm und hat die Viecher im Darm meines Sohnes offensichtlich nicht beeindruckt. Erst beim dritten Wurmalarm bekamen wir ein Rezept für das verschreibungspflichtige Medikament Helmex, das gegen diverses Gewürm wirkt. Besonders lecker roch die schleimige Suspension ebenfalls nicht. Um Wiederansteckung vorzubeugen, hat die ganze Familie inklusive Oma mitgeschluckt. Und musste selbst bezahlen: 24 Euro pro Person.

Als wir wenig später wieder nach Indonesien reisten und der Kinderpopo dort schon wieder juckte, rannte ich sofort panisch in die nächste Apotheke. Mitten im Raum, nicht zu übersehen, stand in allen möglichen Packungsgrößten und Verabreichungsformen das Medikament Combantrin. Jedes Kind in Indonesien kennt die kleinen Plastikfläschchen, die idealerweise alle halbe Jahr vorbeugend verabreicht werden sollten. Der Sirup schmeckt in etwa wie flüssige Gummibärchen und kaum ein Kind weigert sich, dies zu trinken. Kosten für eine Erwachsenendosis: umgerechnet 70 Cent. Für die gleiche Menge desselben Wirkstoffs wie bei den in Deutschland verkauften Medikamenten.

Die vermeintliche, erneute Wurmattacke stellte sich glücklicherweise als Fehlalarm heraus. Stattdessen habe ich mich nun vor der nächsten Heimreise mit billigen, rezeptfreiem Wurmmittel eingedeckt.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Die Deutschen und die Spanier

Wolfgang Maier erregt die Gemüter. Der Deutsche berichtet für FTL-Fernsehen aus Spanien. Seine Beiträge werden dort vom spanischen Fernsehsender La Sexta aufgegriffen und direkt nach dem Mittagessen ausgestrahlt. «Así nos va» – «So geht es uns» – heisst das Programm. Je nach Tonfall hat dieser einfache Satz die Bedeutung von: «Wir haben es so verdient.»

«Schaut, was wir im deutschen Fernsehen gefunden haben», kündigen die beiden Sprecher von La Sexta mit empörter Stimme die jeweiligen Kurzbeiträge an. Im Trenchcoat, Mikrofon in der Hand, berichtet der hoch gewachsene Reporter über den spanischen Alltag. Maiers Ton ist überheblich, besserwisserisch, hart an der Grenze zur Ausländerfeindlichkeit. Er fragt auf Spanisch und kommentiert auf Deutsch – La Sexta untertitelt nicht immer wortgetreu, aber immer provokant. «Sie haben mehr gebaut, als sie konnten. Sie haben spekuliert, bis sie in die grösste Krise ihrer Geschichte fielen …», eröffnet Maier seine Moderation. Bauruinen und Arbeitslose werden gezeigt. In reicheren Teilen Madrids geben die Menschen auf der Strasse offen zu, dass sie sich in Zeiten der Spekulationsblase eine goldene Nase verdient haben.

Maier berichtet aus den Madrider Bars: «Während Spanien um Rettung nachfragt, sind sie voll, keine Spur von Krise. Acht Millionen Spanier gehen täglich in die Bar, woher nehmen sie nur das Geld?» Er berichtet über den Müll auf dem Boden in den Bars («wenn das das Gesundheitsamt sehen würde») – die Osterwoche in Sevilla («sie verletzten sich beim Tragen der Statuen und liessen sich dann krankschreiben». Er besucht Volksfeste wie «Las Fallas» in Valencia, wo riesige Skulpturen, die Politik und Gesellschaft auf die Schippe nehmen, abgebrannt werden: «240 000 Euro stehen in Rauch und Flammen (…) Umweltverschmutzung, Ausgelassenheit und Ekstase (…) unglaublich!»

Maier zerpflückt alles, was den Spaniern heilig ist. Er lässt sich abschätzig über deren kulinarische Genüsse aus. Er interviewt Fussballfans, die vor der Kamera so richtig aufleben, grölen, saufen. Und natürlich darf der Stierkampf nicht fehlen. Maier starrt mit schockiertem Gesicht in die Kamera und hat die Gabe, immer diejenigen für Interviews auszusuchen, die am wenigsten zu sagen haben. Es entsteht das Bild eines Volkes von Ignoranten und Säufern.

Nur einmal bedient Maier nicht die Vorurteile der Deutschen, sondern beobachtet seine Landsleute aus spanischer Sicht. Er fährt nach Mallorca und zeigt junge Männer im Sangriarausch, die nicht in der Lage sind, auf einer Landkarte die Urlaubs­insel zu zeigen. Er spricht mit Rentnern in weissen Socken und Sandalen; das sind die Klischeetouristen, wie sie die Spanier Sommer für Sommer erleben. Und da ist sie auch wieder – die Überheblichkeit. Arm sei Spanien, Hungerlöhne würden sie bekommen, nuschelt ein sturzbesoffener Teutone seine Sicht der Dinge in die Kamera.

In seiner am meisten kommentierten Folge berichtet Wolfgang Maier für FTL über die spanische Arbeitsmoral. Er stellt sich vors Gesundheitsministerium und passt die Handvoll Beamten ab, die zu spät kommen und mehr oder weniger plausible Entschuldigungen in die Kamera stammeln. Maiers Schlussfolgerung: «Wir Deutschen sollen die Wirtschaft Spaniens retten. Wenn wir ihre Arbeitsmoral sehen (…), werden sie fähig sein, uns dieses Geld zurückzugeben?»

Die Kommentare im Internet sind alles andere als freundlich. Sie gehen von «neidisch auf unseren Lebensstil», über «Hurensohn», «Scheissdeutscher» bis hin zu «Rassist im klassischen Stile ­Hitlers». Nur wenige fragen sich, ob nicht ein ­bisschen Wahrheit hinter dem steckt, was Maier aus dem spanischen Alltag zeigt.

Und noch weniger Zuschauer stellen sich die Frage, was für ein Sender FTL eigentlich ist. Das Logo erinnert stark an RTL. Doch wer im Netz sucht, findet keine Homepage von FTL. Und wer nach Wolfgang Maier sucht, dem liefert Google einen Sprachwissenschaftler an der Universität in Düsseldorf, den Direktor des Deutschen Ski­verbandes, einen Geschäftsführer eines grossen Hotels in Abu Dhabi; doch von einem Starreporter fehlt jede Spur.

Nur eine Bloggerin ist La Sexta auf die Schliche gekommen: «Diese Reportagen sind unechter als eine Euromünze mit dem Gesicht Popeyes.» Wolfgang Maier und seine Reportagen sind ein Fake. Es ist ein weiterer Sketch, wie der Rest des Programmes auf La Sexta auch. Die meisten Zuschauer werden Maier dennoch weiterhin für bare Münze nehmen und sich aufregen. Das von La Sexta kreierte FTL-Fernsehen trifft perfekt den Nerv in einem Europa der Merkelherrschaft und der Krise.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Zen und die Kunst der Zigarettenverpackung

Camel White ist in Japan angekommen – mit der schönsten Zigerattenpackung der Welt. Ich musste sie gleich fotografieren. Vorweggenommen: Ich bin Trockenraucher. Die Marke ist mir egal. Der Look ist wichtig, schlicht soll er sein und nicht schreien. Sackt die Schreiblust vor Redaktionsschluss ab, öffne ich eine Zigarettenschachtel und nuckle am Filter so lange herum, bis er flach und aufgeweicht ist. Anschliessend werfe ich die unverbrannte Zigarette weg. Mit vierzehen habe ich mir zum ersten Mal eine angezündet, eine A3. Ich sass unter Kastanienbäumen bei der Lainzer Tiergargartenmauer mit Blick auf Wien und dachte, dass ich von nun an mein Leben für immer im Griff haben würde. Die Zigarettenpackung war ausgehungert-graugrün mit einer schmutzig-violetten Schrift. A3 stand darauf. Das schlichte Design faszinierte mich, obwohl ich „Minimalismus“ noch nicht kannte. Instinktiv fragte ich, warum sich mit einer A3 in Österreich nur Proleten, Maurer und Arbeitslose sehen lassen konnten.

A3- Zigaretten 1969 SONY DSC

Meine bewunderte A3 (1969) und meine Hand mit Camel White (2013);

Beim Anblick der Camel White in Tokio dachte ich sofort an die A3. Mattes Weiss hat Graugrün ersetzt, Silberbuchstaben die violette Schrift. Entstanden ist ein Architekturmodell, ein Miniaturwolkenkratzer, eine Skulptur – geschaffen wie für New Yorker Galerien. Als würde die Verpackungsevolution nun sagen, „liebe österreichische Proleten und Maurer, ihr ward damals blind, habt den Designwert nicht erkannt, denn sonst würde es die A3 heute noch geben.“

SONY DSC SONY DSC

SONY DSC SONY DSC

Camel Crushed: Wie eine John Chamberlain Autowrack -Skulptur – aber immer noch schön.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Gott und Amerikas Klimawaffen

Russland rätselt über chronisches Sauwetter

Wettermäßig ist Russland verwöhnt. Im Sommer strahlt der Himmel monatelang wolkenlos, Weihnachten ist garantiert weiß, die trockenen Winterfröste fühlen sich milder als das scheußliche norditalienische Nieselwetter dieser Jahreszeit. Der vergangene Sommer aber war auch in Kontinentalrussland nasskalt, nach Dauerregen mit 700 Millimetern Niederschlag versank die ostsibirische Amurregion über einen Monat in Hochwasser. In Komsomolsk am Amur ist das Grundwasser so gestiegen, dass es aus den Brunnenschächten schwappt. Jetzt ist Moskau dran, binnen eineinhalb Wochen ergoss sich über der Hauptstadtregion das Vierfache der Regennorm für den ganzen September, dann kippten die Temperaturen Richtung November, seit Tagen gibt es Schneeschauer. Wolkenbrüche haben auch die Olympiastadt Sotschi überschwemmt, schon witzeln die Einwohner, die Taxifahrer sollten sich zu den Winterspielen im Februar Gondeln kaufen.

Vaterländische Meteorologen erklären das Sauwetter mit einem massiven Antizyklon. Der orthodoxe Blogger Dimitri Enteo sieht das anders: Der Herrgott warne mit den Wolkenbrüchen über Sotschi vor dem Entzünden des olympischen Feuers, einem Kult zur Ehren von heidnischen Götzen wie Apoll oder Zeus.

Die Russen, bei denen Glaube und Aberglaube oft fusionieren, erfühlen hinter Naturkatastrophen gern Gottes strafende Hand. Der Geistliche Sergi Karamyschew erklärte die Überschwemmung des südrussischen Städtchens Krymsk im Juli 2012 mit der „Sauferei und Hurerei“ der Badegäste an der nahen Schwarzmeerküste. Und nicht ohne Häme verkündete Filmregisseur Nikita Michalkow anlässlich der Erdbeben und Zunami, die Japan 2011 heimsuchten, Gott bestrafe damit Nippons Hochmut.

Jetzt aber hat der nationalpopulistische Duma-Altstar Wladimir Schirinowski ganz andere Verursacher ausgemacht. Er sagte Radio RSN, die USA hätten klimatische Geheimwaffen gegen Russland eingesetzt, um seine Investitionen im Amurgebiet zu vernichten und die Olympiade in Sotschi platzen zu lassen. Offenbar habe man aus einem Zentrum zur angeblichen Erforschung der Jonosphäre in Alaska das Magnetfeld über Russland unter Beschuss genommen. Laut Schirinowski besitzt Russland ähnliche Waffensysteme, vor dessen Einsatz es bisher abgesehen habe. „Aber wir sind jederzeit in der Lage, klimatisch zurückzuschlagen“, sagte er. „Sobald der Befehl kommt, können wir Erdbeben und Sturmfluten provozieren.“ Die Einwohner der Nato-Staaten sollten sich schon einmal auf einen sibirischen Winter einstellen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Ein Herz für tote Städte

”Wellington stirbt“, hat unser Premierminister letztens getönt. Oh, das saß. Das wollte dort niemand hören. Bis auf Peter Jacksons Filmstudios sähe es wirtschaflich mau aus in der Kapitale, so John Key. Der Finanzsektor habe seinen Hauptsitz längst in Auckland. Im lauten, vulgären, verstopften Auckland, wohlbemerkt. Schön für die Menschen dort. Die haben ganz viel davon, wenn sie nett ausgehen oder Besuchern was Tolles zeigen wollen, dass da ein paar Firmenlogos mehr vom Skytower blinken. Das zeugt von Vitalität.

Für einen wie Key bemisst sich Lebenswertes nach Dollarzeichen. Wellington, das nur Kunst und Kultur statt Kommerz und Casino zu bieten hat, zeigte nach der Beleidigung, dass in ihm noch Saft steckt. Es bebte, und wie. Menschen flohen aus der Stadt, es rüttelte über Tage und Wochen, die Nächte wurden kurz – aber niemand starb. Und der Wind blies weiter, der gemeine und berüchtigte Wind Wellingtons. Schlechteres kann man über die kleine, feine Hauptstadt nicht sagen, die man schon deshalb mögen muss, weil sie sich gegen den aufgeblasenen Bruder im Norden behaupten muss.

Auckland hat zwar wärmeres Klima und schöne Strände, aber an sowas will man bei uns in Christchurch lieber gar nicht denken, während man um diese Jahreszeit durch Pfützen und Baustellen stapft. Irgendwo müssen die teuer erarbeiteten Spray-Tans, Wadentattoos und nachgearbeiteten Brüste da oben in den Subtropen ja auch zur Geltung kommen. Es kann sich doch nicht nur alles ums Dichten und Denken drehen. Oder ums Renovieren.

Andere Städte haben andere Sorgen. Palmerston North zum Beispiel will sich in Manawatu City umbenennen. Denn Lord Palmerston selig, nach dem das Großkaff einst benannt wurde, hat es nie von England bis dorthin geschafft. Monty-Python-Star John Cleese hatte zudem eine „zutiefst miserable Zeit“ im unspektakulären ‚Palmy‘ verlebt. Da gilt es einiges wettzumachen. Und dann gibt es da noch ein fast unbekanntes Palmerston auf der Südinsel, das ständig mit dem nördlichen verwechselt wird. Manawatu bedeutet jedoch „Das Herz steht still“, was in der Debatte um Leben und Sterben der Städte problematisch sein könnte.

Überhaupt, diese Ortsnamen! Die schöne Gegend namens Poverty Bay („Bucht der Armut“) nahe Gisborne wollen Lokalpolitiker lieber in Oneroa oder Long Bay umtaufen. Ein PR-Desaster sei der jetzige Zustand, denn der Blick auf die Landkarte suggeriere Not und Elend. Das haben sie in der hübsch klingenden Golden Bay besser hingekriegt. Der Norden der Südinsel hieß anfangs „Murderers Bay“, weil Entdecker Abel Tasman sich dort 1642 ein kleines Gemetzel mit den Maori lieferte. Kaum vorzustellen, wie verheerend sich die Mord-Bucht heute auf das Backpacker-Geschäft auswirken würde.

Wenn wir schon bei Worten sind, die kleine Städte in Verruf bringen können, dann sollte man unbedingt über Städteslogans reden. Also die peinlichen. Aber die sind ein Kapitel für sich. Das dann ein anderes Mal, wenn ich bis dahin nicht an Standortschwäche gestorben bin.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Die Informationsverhinderer

Es soll in dem Artikel nur um Spirituosen gehen, nicht um nukleares Material. Ich will kein Interview mit dem französischen Präsidenten, sondern nur ein paar Informationen über Schnäpse und Märkte. Zehn Minuten Telefongespräch würden reichen, um meine Fragen klären zu können.

Tag eins, vormittags am Telefon. „Allô?“, sagt die Mitarbeiterin in der Pressestelle des internationalen Spirituosenkonzerns mit Hauptsitz in Paris. Ich stelle mich vor und erkläre, worum es geht. Es folgt die übliche erste Hürde: Ich solle mein Anliegen per Mail an die Pressechefin senden. Die würde sich dann melden. Ich ahne, dass die Presseabteilung und ich in den kommenden Tagen eine spannende Zeit miteinander haben werden.

Die Zeit vergeht. Journalisten sind leider anstrengende Leute. Denn sie wollen Informationen meistens recht schnell. Aber es gibt nun mal Redaktionsschlüsse, Abgabefristen und Arbeitsdruck. Journalisten müssen recht schnell wissen, welche Quellen ihnen zur Verfügung stehen – denn davon hängt es ab, ob der Artikel geschrieben werden kann.

Am Nachmittag rufe ich noch mal an. „Allô?“ Eine andere Dame, die weder den Namen des Unternehmens sagt, noch ihren. Ich erkläre, dass ich schon einmal angerufen habe und dass es um Informationen für einen Artikel geht. Sie fragt, ob ich den Artikel schicken wolle, damit die Pressestelle ihn gegenliest. Ich bin sprachlos – sage, dass das nicht üblich ist. „Ihre Pressesprecherin wollte mich zurückrufen“, sage ich. „Sagen Sie mir Ihren Namen, ich werde ihr Bescheid geben“, sagt sie.

Tag zwei. Ich warte bis zum späten Vormittag. Kein Rückruf, nirgends. Also rufe ich an. Jetzt ist die Sprecherin selbst am Telefon. Oui, pardon, sagt sie, sie sei im Stress, sie habe noch mit der Jahresbilanz zu tun. (Die ist bereits vor einer Woche bei einer Pressekonferenz veröffentlicht worden.) Sie sucht meine Mail. Es dauert. Sie liest mir meine Mail vor. Ob ich für meine Fragen einen Ansprechpartner oder von ihr die Informationen bekommen könnte. „Ich werde Sie per Mail auf dem Laufenden halten“, sagt sie. Sie sagt nicht: Wir melden uns so schnell wie möglich. Das ist immerhin ehrlich. Denn diese Phrase würde übersetzt bedeuten: Wir melden uns, wann wir wollen. Und wenn wir wissen, was wir sagen wollen und was nicht.

Tatsächlich kommt eine Stunde später eine Mail. Inhalt: Nichts anderes als ein Link zum Jahresbilanz-Vortrag vor einer Woche. Den kenne ich schon von der Homepage des Unternehmens. Ein Gespräch? Fehlanzeige. So schön Mails in dieser Welt oft sind – hier sind sie ein perfides Werkzeug, um Journalisten auf der Jagd nach Informationen auf Abstand zu halten. In einem Gespräch könnte man ja Fragen gestellt bekommen, die man nicht gleich beantworten kann oder gar welche, die kritisch sind. Dann doch lieber einfach einen Link schicken. Will heißen: Such, Journalist, such selber! Such in den 88 Seiten, ob da drin ist, was Du brauchst! Wenn es nicht drin ist, hast Du Pech gehabt. Am Ende der Mail schließlich noch der Hinweis, dass ich mich für Fragen zum deutschen Markt an die Kollegin in Deutschland wenden solle.

Ich gebe nicht auf und antworte der Dame. Bedanke mich, aber bitte noch um Auskunft zu ein paar Fragen, deren Antwort nicht in dem Online-Pressematerial steht. Zwei Stunden später der karge Hinweis per Mail: Wie sie doch bereits geschrieben habe, solle ich mich an die deutschen Kollegen wenden. Am Ende ein höfliches „bien cordialement“. Man wahrt die Form statt ehrlich zu schreiben: Journalist, lass mich in Ruhe.

Tage später erreiche ich die deutsche Kollegin des Konzerns, die wegen einer Jahrestagung mehrere Tage nicht erreichbar war. „Ja, ich wollte sie auch gerade anrufen“, sagt sie. Wir reden zehn Minuten, in denen sich schon einige meiner Fragen klären lassen. Und einen Tag später habe ich dann schriftliche Antworten auf meine gestellten Fragen. Es geht eben auch anders. Bei einer letzten Nachfrage zum französischen Markt werde ich höflich an die Kollegin in Paris verwiesen. Das stimmt mich heiter.

„Service de presse“ heißen in Frankreich die Presseabteilungen. Bei Service darf man nicht an Service, Bedienung oder Auskunftshilfe denken, oft ist das Gegenteil der Fall. Die Franzosen, sonst Meister der Unterhaltung und Rhetorik, sind in Pressestellen sehr oft nicht mehr wiederzuerkennen: abweisend, hierarchieängstlich, arrogant. Wenn man Pressesprecher nicht schon mal vorher auf einem Pressetermin getroffen hat, mit ihnen vielleicht ein Glas getrunken hat, dann prallt man oft an ihnen ab wie ein Tropfen an einer Scheibe. Dabei könnte man vermuten, dass Pressestellen von Unternehmen Medienanfragen aufmerksam bearbeiten oder gar schätzen: Zum einen müssten sie interessiert sein, dass keine falschen Daten veröffentlicht werden. Zum anderen könnte es ja sein, dass der Artikel über ihre Produkte indirekt auch einen positiven Werbeeffekt für sie hat.

Das ist Alltag für viele Journalisten in Frankreich. Französische Pressestellen sind leider oft professionelle Informationsverhinderungsstellen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Mindestlohn Japan: Hello Work, Robot Cafe und Tepco

First Lady Eleanor Roosevelt hatte recht: Verdammt, wenn du’s tust, verdammt, wenn nicht. Bleibt der Mindestlohn gleich, fressen ihn nächstes Jahr Mehrwertsteuererhöhung, steigende Energie- und Sozialkosten auf. Verteilt Premierminister Shinzo Abe die Brosamen am Ende der Nahrungskette zu grosszügig, riskiert er den Verlust seiner Power Base – Japans Wirtschaftskapitäne. Nun sind 2 Prozent Erhöhung angedacht. Der landesweite Durchschnitt (es gibt regionale Unterschiede) beträgt dann 763 Yen/5.80 Euro pro Stunde (Umrechnungskurs 1€=130Yen).

Wie lebt man in der Welt des Minimums? Yumi Kimura, 32, (Name gändert) erzählt:

Robot Cafe Tokyo

VIDEO: Roland besucht Robot Cafe (nicht ganz am Ende der Nahrungskette)

Ich bin ausgebildete Grafikerin, ledig und seit zwei Jahren arbeitslos. Der Boss meiner Firma war eines Tages verschwunden. Seitdem gehe ich regelmässig zu „Hello Work“, so heisst in Japan das Arbeitsamt. Dort sitzen viele, die selber einmal arbeitslos waren und zu Hello Work gegangen sind. Sie arbeiten für die Stadt und deshalb nur von acht bis fünf. Sind sie krank, können sie zu Hause bleiben. Bei Privatfirmen ist das schwierig. Zudem arbeitest du dort jeden Tag unbezahlt vier, fünf Überstunden. Fahrkosten übernimmt der Betrieb.

Nach jeder Jobvermittlung von Hello Work gibt es ein Vorstellungsgespräch. Die Fragen sind immer gleich. Was haben Sie studiert, wer sind Ihre Eltern, was haben Sie vorher gemacht, was ist Ihr Lieblingshobby? Nur einmal war ich überrascht, als der Personalchef fragte: „Was würden Sie tun, wenn neben Ihnen im Büro jemand ausflippt, agressiv wird, attackiert?“ Ich habe gesagt, ich war noch nie in so einer Situation, gehe aber oft zu Parties mit Ausländern, und mit denen komme ich immer klar.“ Der Personalchef hat wissend genickt. „Ach so, wenn Sie mit Ausländern umgehen können, ja dann…“

Die meisten Hello Work Berater engagieren sich, sind freundlich. Es gibt aber immer welche, die werfen dir ein Magazin mit Jobangeboten auf den Tisch. Und das war‘s. Die vermittelten Jobs zahlen etwas mehr als den Mindestlohn, dauern zwei, drei Monate. Für diese Teilzeitarbeit sagen wir alubaito, haben das Wort aus dem Deutschen übernommen. Eine Statistik behauptet, dass 40 Prozent der Japaner von arubaito leben. Ich denke dann an meine Freundinnen. Sie wohnen bei den Eltern oder bei den Eltern vom Mann und leben von deren Ersparnissen. Hello Work bietet auch Ausbildingskurse an: Massage, Kosmetik, Haarbehandlung, Blumenarrangieren – kannst du alles nicht brauchen, ausser zum Zeittotschlagen.

Einmal fragten sie mich bei Hello Work, wo ich die letzten drei Monate war. Und ich habe geantwortet, ich wollte über mein Leben nachdenken, wollte Ruhe. Die Beraterin hat geschwiegen, was sollte sie auch sagen, war sicher selber mit dieser Frage beschäftigt. Dass ich im Robot Cafe im Rotlichtviertel von Shinjuku aufgetreten bin, habe ich verschwiegen, obwohl das kein Sexklub ist, sondern ein Theater mit Manga-inspirierten Shows – für Angestellte nach der Arbeit, für Männer, Frauen und Touristen. Jeden Abend gibt es drei Vorstellungen, dauern insgesamt drei Stunden. Ich musste winken, tanzen, lachen, schlank sein – das war alles. Ich habe einen schillernden Bikini getragen, bin mit riesigen Robotern herumspaziert, auf einem Panzer gesessen und habe 76€ die Stunde erhalten. Gäste durften uns nicht berühren, Hande schütteln war Ok. Zum Abschluss sassen wir immer auf einem Sessellift und schwebten über den Köpfen der Besucher. Das hat mich etwas an eine Fleischfabrik erinnert, mit Haken am Fliessband. Nach drei Monaten kam ein jüngeres, schlankeres Girl, und so bin ich wieder zu Hello Work.

Für meine 20 Quadratmeter-Wohnung mit Dusche, Toilette und Kochnische zahle ich 650€. Ein ehemaliger Arbeitskollege übernachtet dagegen seit Monaten im Internet-Cafe. Es gibt dort Duschen, Computerkojen und du darfst unter dem Tisch schlafen. Sex ist aber nicht erlaubt.

Einmal vermittelte mir eine Privatagentur einen streng geheimen Job. Als er zu Ende war, ging ich zu Hello Work. Wie immer wollte die Beraterin wissen, wie das Arbeitsklima gewesen sei. „Streng geheim,“ habe ich gesagt. „ Ich musste im Regierungsviertel eine Geheimhaltungspflicht unterschreiben!“ Die Hello Workerin hat nicht weiter nachgefragt. Der Geheimjob war im Abrechnungszentrum der Tokyo Electric Power Corporation, wo ich Belege für Schadensansprüche überprüfte. 8 Uhr abends bis 6 Uhr früh. In der Halle sassen tausend Menschen. Unsere Mobiltelefone mussten wir in Schliessfächern deponieren, Privatsachen durften wir zum Arbeitsplatz mitnehmen – in durchsichtigen Plastiktüten. Die tausend Mindestlohnmenschen haben alle nicht gesprochen. Es war totenstill. Und wenn ich auf die Toilette wollte, bin ich aufgestanden, habe den Arm nach oben gestreckt und gewartet, bis der Grupplenleiter kam. Ich teilte ihm den Wunsch mit und durfte zur Toilette. Wir mussten Zahlungsquittungen der Atomflüchtlinge prüfen und speichern. Kühlschrank, Futon, Staubsauger, Decken, Kinderspielzeug – das war alles Ok, wurde rückerstattet, aber nicht 55-Zoll-Bildschirme.

Mein Gruppenleiter hiess Murata. Bei Fragen setzte er sich zu mir, mit einem abstehenden kleinen Finger, was mir zunächst nicht auffiel. Wenn er sich aber zum Bildschirm vorbeugte, drückte der Finger gegen meine Hüfte. Ich dachte, vielleicht ist er gelähmt oder so. Am nächsten Tag sass Murata wieder neben mir und legte die Hand auf meinen Oberschenkel. Ich habe ganz laut gesagt: „Murata-san!“ In der totstillen Halle haben alle tausend Menschen auf mich gestarrt. Murata ist aufgestanden und kam nie wieder.

Ein paar Monate später, ich war schon wieder woanders beschäftigt, bekam ich morgens einen Anruf von der Polizei. „Sind Sie Yumi-san?“ Das hat mich irritiert, denn in Japan wirst du nur mit Familiennamen angesprochen. Der Mann stellte sich als Inspektor vor. „Wir haben Ihren Vornamen gefunden mit Telfonnummer, im Notizbuch von einem Herrn Murata. Kennen Sie Herrn Murata? Und warum hat er Ihre Telefonnummer?“ Wieder habe ich gezögert. Wer ist Murata? Und dann fiel mir der Gruppenleiter ein. „Ja, er war mein Vorgesetzter bei Tepco. Für den Notfall haben dort alle die Telefonnummern der Angestellten“, habe ich gesagt, und dabei vergessen, dass die Sache streng geheim ist. Der Inspektor erklärte, dass Herr Murata in der U-Bahn verhaftet worden sei. „Hat er sich Ihnen gegenüber auffällig verhalten?“ wollte er wissen. „Chotto, ein wenig“, habe ich gesagt. „Sonst noch etwas?“ „Nein, sonst nichts“, habe ich geantwortet und dann hat er aufgelegt.

 

Newsletter

Es gibt Post!