Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Die Corona-Krise hat noch wichtiger gemacht, was uns Weltreporter auszeichnet: Wir sind schon da, wohin andere erst reisen müssen – und genau das jetzt nicht mehr können. Quarantäne, geschlossene Grenzen, Reisebeschränkungen, Ausgangssperren – Reisen sind schwierig geworden, nicht nur ins Ausland, und auch für Journalisten. Wer zum Coronavirus jenseits der Landesgrenzen recherchieren will, schaut ins Internet, telefoniert – oder beauftragt einen Weltreporter. Wir wissen, wie die Situation in vielen Regionen der Welt ist, denn wir arbeiten und leben dort.
Fabian Kretschmer berichtet aus China zur Öffnung der Stadt Wuhan und beschreibt, welche Auswirkungen die Krise auf die Blase des chinesischen Profifussballs hat. Anke Richter hat mit Deutschen gesprochen, die in Neuseeland festsitzen.
Sarah Mersch beobachtet, wie die Tunesier daraf reagieren, wenn Ausgangssperren plötzlich mit Drohnen überwacht werden. Wolf-Dieter Vogel schreibt aus Mexiko, weshalb ein Essayband mit philosophischen Texten in der Coronakrise offenbar einen wichtigen Nerv trifft.
Vermutlich schon, schreibt Julia Macher, aus dem Brennpunkt-Land Spanien. Sie arbeitet in Barcelona und berichtet von dort unter anderem darüber, was sich Hotels einfallen lassen, wenn Touristen fehlen.
Bettina Rühl und Marc Engelhardt recherchieren im dem Kongo und in Genf, wie die Ebolakrise zu Ende geht – und was sich für die Corona-Pandemie daraus lernen lässt.
Bettina Ruehl weiß außerdem, wie ein gespensticher Flughafen aussieht, sie war im Terminal von Nairobis Airport, als dort die letzten internationalen Flüge landeten. Im Deutschlandfunk berichtet sie an diesem Wochenende gemeinsam mit Südafrika-Weltreporterin Leonie March und anderen Korrespondenten über die Situation in Afrika.
Wie sich das Virus in Townships und Slums in Südafrika ausbreitet, schildert Leonie March außerdem in einem Korrespondentengespräch mit dem SWR.
Warum die Australier derzeit nicht sonderlich gut auf Kreuzfahrer zu sprechen sind – und wie es aussieht wenn Strände geschlossen werden – habe ich in einem kurzen Länder-Update zusammengestellt. In Brüssel fragt sich Eric Bonse, wann die EU-Staaten den “Exit” aus der Coronakrise vorbereiten?
So aktuell wie es uns möglich ist, halten wir Weltreporter Sie aus mehr als 100 Ländern auch über unsere Weltreporter.net-Facebookseite und unseren Twitter-Kanal auf dem Laufenden.
Bleiben Sie gesund, bleiben Sie demokratisch, bleiben Sie informiert.
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Das Thema “Überwachen” ist mittlerweile so international wie unser Netzwerk. Im fünften Podcast der Weltreporter geht es deshalb diesmal um Überwachung und Datenschutz: um Blockwarte und Distriktpolizisten, um Facebook und soziale Medien. Aber auch um Toilettenrollen und Fernsehbildschirme. Wem sich dieser Zusammenhang nicht erschließt, sollte unbedingt hineinhören!
Über die digitale High-Tech-Überwachung wurde zuletzt endlich auch auf politischer Ebene breit diskutiert, in den USA und im deutschen Bundestag. Stichwort: Facebook, Google und co. Aber selbst in Weltgegenden, die noch Modem- und glasfaserfrei sind, werden Bürgerinnen und Bürger überwacht.
Im neuen WR-Podcast erzählen rund ein Dutzend Weltreporter von ihren Erfahrungen in “ihren” Ländern und beschreiben mehr oder weniger ausgefuchste Methoden der Schnüffelei, die in ihrer Plumpheit teils schon wieder amüsant sind. Stichwort Toilettenrolle, im Bericht von Birgit Kaspar. Geradezu sprachlos macht der Bericht von Weltreporterin Christina Schott aus Indonesien: ein derart gut organisiertes System von behördlich angeordneter, nachbarlicher Spitzelei hätte man dort wohl eher nicht erwartet. Aber sie nennt auch den tragenden Pfeiler dieser staatlich verordneten Bespitzelung: die Freude der Nachbarn daran, andere sozial zu kontrollieren und zu bevormunden.
Von ebenfalls ganz analogen Formen staatlicher Überwachung berichtet Bettina Rühl aus der Demokratischen Republik Kongo: Militärbarrikaden, an denen Soldaten eine Art Wegzoll verlangen sind fast alles, was die Bürgerinnen und Bürger beispielsweise in der Provinz Kasai von ihrem Staat erleben. Auf dem Land gibt es kaum staatliche Schulen oder Gesundheitszentren, keine Straßen, die den Namen verdienen. Das einzige was funktioniert ist das System der Überwachung, die Kontrolle der Bewegungen von Reisenden.
In der DR Kongo verdienen die Menschen ihr Geld mit Muskelkraft, und überwacht wird noch überwiegend analog.
Schwerer zu durchschauen ist die hochtechnisierte, vor allem die digitale Überwachung. Zur Einführung in das Thema diskutieren die Weltreporter des Podcast-Teams über die Tücken und Verführungen der sozialen Medien, über verräterische Likes und Klicks. In der Diskussion zwischen Leonie March in Südafrika, Birgit Kaspar in Frankreich, Jürgen Stryjak in Ägypten, Sascha Zastiral in London und Kerstin Zilm in Los Angeles wird deutlich, wie sehr die sozialen Medien auch unsere Arbeit als Journalisten beeinflussen. Und wie unterschiedlich wir Weltreporter mit dem digitalen Mitteilungsrausch umgehen (müssen), abhängig auch davon, in welchem Staat wir arbeiten. Ein Beispiel: Während Jürgen Stryjak Klicks und Likes meidet, um der ägyptischen Zensur nicht zusätzlich in die Hände zu spielen, macht Kerstin Zilm ihre private politische Haltung in den sozialen Medien durchaus transparent. Das sei in der Ära Trump fast ein Gebot der Stunde, meint sie. Mit ihrem Ärger darüber, dass die sozialen Netzwerke die gesammelten Daten weitergeben, sei sie in den USA allerdings ziemlich allein.
Noch selbstverständlicher ist das Daten-Sammeln in anderen Weltregionen. Zum Beispiel in China. Dort träumt man von einem Ende der chronischen Staus mit Hilfe von “Big Data” und “intelligenten Verkehrsleitsystemen”. Wie Christiane Kühl berichtet, beobachten und fotografieren deshalb in den Metropolen Kameras ständig den Verkehr. Angeblich, um Staus zu vermeiden. Wirklich nur deshalb? Aus Seoul berichtet Fabian Kretschmer von Technikfaszination und fehlendem Bewusstsein für die Risiken und Nebenwirkungen der großen Datensammelei. Ähnlich ist das in Kopenhagen, wo Clemens Bomsdorf als “paranoider Deutscher” – na ja, sagen wir mal: eingeordnet wird, wenn er Bedenken gegen das Datensammeln äußert.
Und Danja Antonovic erzählt, warum sie sich in der serbischen Belgrad immer wieder mit dem Handy auf ihrer eigenen Festnetzleitung anrufen muss.
Wer wissen will, ob wir Deutschen also wirklich paranoid sind, was den Umgang mit Daten angeht, und wie das Datensammeln und – jagen andernorts funktioniert, erfährt das alles im Weltreporter Podcast #5, zusammengestellt von unserem Podcast-Team: Birgit Kaspar, Leonie March, Jürgen Stryjak, Sascha Zastiral und Kerstin Zilm.
Und als Überraschungsgast tritt kurz vor Schluss auch noch ein Nashorn auf. Leonie March erklärt, was es damit auf sich hat.
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Ein leerer Stuhl, eine rotes Kleid, heruntergelassene Rollläden – so symbolisch wie 2010 war die Zeremonie zur Verleihung des Friedensnobelpreises wohl selten. Damals sollte der chinesische Dichter und Dissident Liu Xiaobo geehrt werden, vor Oslo in Oslo wurde deutlich, welche Bedeutung der aktuelle Tträger des Friedensnobelpreises für die internationale Politik hatte. Aus Anlass seines Todes mein damaliger Bericht aus Oslo (und hier geht es zu meinem damaligen Artikel für Die Welt):
“Wie jedes Jahr sind auch an diesem 10. Dezember internationale Persönlichkeiten und hochrangige Vertreter der mächtigsten Staaten in das Rathaus der norwegischen Hauptstadt gekommen. Vor dem monumentalen Backsteinbau dicht am Hafen liegt Schnee, die Luft ist trocken und kalt – das Thermometer zeigt minus 11 Grad. Die geladenen Gäste gehen seit 12 Uhr ins Rathaus rein, korrekt nach Zeitplan betritt 59 Minuten später das Königspaar den Mittelgang und setzt sich ganz nach vorne auf zwei dort platzierte Stühle, schräg dahinter Botschafter, Menschenrechtsaktivisten, Politiker – rund 1000 Menschen sind anwesend.
Doch ganz vorne auf dem Podium bleibt ein Stuhl leer. Die Hauptperson ist abwesend. Liu Xiaobo, der mit dem diesjährigen Friedensnobelpreis geehrt wurde, ist nur durch ein Foto vertreten. Lächelnd zeigt ihn das riesige Bild, das an der Wand hängt. Doch er selber sitzt gefangen in China.
Nicht einmal ein Familienmitglied durfte nach Nordeuropa kommen und statt seiner den Preis annehmen. Deshalb wird der Friedensnobelpreis dieses Jahr zum zweiten Mal in seiner Geschichte nicht ausgehändigt.
Und deshalb spricht Torbjørn Jagland, Vorsitzender des Nobelkomitees und norwegischer Parlamentarier, nur über, aber nicht zu Liu Xiaobo. Gleich zu Anfang seiner Rede sagt er den simplen Satz „Wir gratulieren Liu Xiaobo zum diesjährigen Friedensnobelpreis“. Kaum sind die Worte gefallen bricht heftiger Applaus aus, der schnell in stehende Ovationen übergeht. Diese Art der Unterstützung ist nicht üblich am 10. Dezember in Oslo. Natürlich wurde auch in den anderen Jahren applaudiert, aber es nicht aufgestanden.
Ganz vorne im Mittelgang steht Königin Sonja und klatscht in die Hände. Sie trägt ein rotes Kleid – obwohl die Heimat des Preisträgers die Zeremonie boykottiert und keinen Regierungsvertreter geschickt hat, ist die Nationalfarbe Chinas im Osloer Rathaus also unübersehbar.
Statt des Preisträgers hält Liv Ullmann eine Art Ersatzdankesrede und liest einen Text von Liu Xiaobo vor. Nicht irgendeinen, sondern seine Verteidigungsrede, gehalten vor einem Gericht in China im Dezember 2009. „Meinungsfreiheit ist die Grundlage der Menschenrechte, die Quelle der Humanität und die Mutter der Wahrheit. Freiheit zu strangulieren bedeutet die Menschenrechte mit Füßen zu treten, Menschlichkeit zu ersticken und die Wahrheit zu unterdrücken“, trägt Ullmann Liu Xiaobos Worte vor.
Liu Xiaobo hat sein Beharren darauf seine Meinung zu sagen bereits mehrfach ins Gefängnis gebracht. Derzeit sitzt er in Haft, weil vor zwei Jahren von ihm und etlichen anderen Intelektuellen die Charta 08 präsentiert wurde. Die Unterzeichner forderten in ihrem Land grundlegende Menschenrechte ein. Genug für die Machthaber Liu Xiaobo als zentrale Person im Jahr darauf zu einer elfjährigen Gefängnisstrafe zu verurteilen. Man habe an ihm ein Exempel statuieren wollen und durch die Verurteilung einer der zentralen Akteure andere abschrecken wollen ähnliches zu tun.
Liu Xiaobo hat sich gewünscht, dass diese seine Worte vom Prozess vor einem Jahr nun in Oslo nochmals verlesen werden, denn so wendet er sich an die Öffentlichkeit. Immerhin, diesen Wunsch nach draußen zu tragen, konnten die chinesischen Behörden nicht verhindern.
In Oslo gibt sich die Volksrepublik zugeknöpft. Zwar werden auf der Homepage der Botschaft jede Menge Statements gegen die Preisverleihung veröffentlicht, doch niemand geht in der Vertretung des Landes ans Telefon. Stünden nicht die Autos vor dem Botschaftsgebäude im noblen Westen der norwegischen Hauptstadt und wären da nicht die frischen Spuren im Schnee, man könnte meinen, China hätte sich aus Norwegen zurückgezogen.
An allen Fenstern sind die Rollläden heruntergelassen, kein Mensch ist zu sehen. Das sah am Vortag noch anders aus. Donnerstag waren immerhin die chinesischen Regimegegner zur Stelle und protestierten vor der Botschaft für Liu Xiaobo. Mit dabei war Leung Kwok-hung, regimekritischer linker Politiker aus Hong Kong. Am Tag der Zeremonie steht er vor dem Osloer Rathaus und ruft mit anderen Chinesen im Chor „Release Liu Xiaobo“ (Lasst Liu Xiaobo frei) und „Democracy for China“ (Demokratie für China). Sie halten ein Spruchband und ein Schild mit dem Foto des Preisträgers in den Händen. Es ist keine große Gruppe an Demonstranten, die sich da zusammengefunden hat, aber sie kriegen jede Menge Aufmerksamkeit von Polizei und Presse und die einflussreichen Geladenen, die keine hundert Meter entfernt zur Zeremonie ins Rathaus laufen, hören die Rufe noch. „Man darf niemals aufgeben“, sagt Leung Kwok-hung. Er glaubt nicht, dass Liu Xiaobo alsbald freikommt, aber ist zuversichtlich, dass seine Rufe nicht überhört werden. „Ich bin auch zur Zeremonie eingeladen, glaube aber, dass ich mehr bewirken kann, wenn ich hier draußen stehe und demonstriere“, sagt er.
Protestler Leung Kwok-hung und Preisträger Liu Xiaobo sind nicht die einzigen Geladenen, die nicht ins Osloer Rathaus gekommen sind. Selbstverständlich hat China keine offiziellen Vertreter geschickt. Das mächtige asiatische Land hat sich aber auch bemüht, möglichst viele andere Staaten dazu zu bringen, der Preiszeremonie fernzubleiben. Bei siebzehn weiteren war Liu Xiaobos Heimatland erfolgreich. Unter anderem kamen die Vertreter Russlands, Vietnams und Kasachstans nicht. Anders als Liu Xiaobo haben sie aber die Wahl gehabt, hätten kommen können. Doch statt durch Anwesenheit setzen sie lieber durch Abwesenheit ein Zeichen. Es ist ein stiller Protest, eine unsichtbare, aber wahrnehmbare Solidaritätserklärung mit der chinesischen Regierung. Wirtschaftliche Gründe dürften dabei eine große Rolle gespielt haben.
Auch Teile der norwegischen Wirtschaft hatten die Wahl Liu Xiaobos anfangs kritisiert. Wie für so viele andere Länder ist China auch für Norwegens Unternehmen in erster Linie ein großer Markt. Die Wirtschaftszeitung „Dagens Næringsliv“ stützte am gestrigen Tag der Preisverleihung in ihrem Leitartikel die Entscheidung des Nobelkomitees. Norwegen habe zwar schon eine Strafe zu spüren bekommen, nämlich den Aufschub eines Freihandelsabkommens. „Aber genau deshalb ist der diesjährige Friedenspreis so wichtig und so richtig. Wenn ökonomische und strategische Interessen die Wahl des Kandidaten diktieren, gibt es eine große Gefahr, dass der Friedenspreis seine Bedeutung verliert“, heißt es in dem Leitartikel. Der diesjährige Preis handle von so etwas grundlegendem wie, dass niemand wegen seiner Meinungen im Gefängnis sitzen solle. „Das ist ein Prinzip, das wir verteidigen müssen, unabhängig davon, wieviel es kostet“, so der Kommentator.
Bereits viermal zuvor hatte ein Geehrter nicht nach Oslo kommen können, um den Preis anzunehmen. Doch selbst die Diktaturen in Polen, der Sowjetunion und Burma konnten nicht verhindern, dass Verwandte von Andrej Sakharov, Lech Wales und Aung San Suu Kyi den Preis entgegennahmen.
Deshalb wird China dieser Tage immer wieder gleichzeitig mit der Nazidiktatur in Deutschland genannt. Denn Deutschland unter Hitler ist der andere Staat, der einen Preisträger nicht aus der Gefangenschaft entlassen wollte, um nach Norwegen zu reisen.
Carl von Ossietzky, der 1936 den ihm im Jahr zuvor anerkannten Nobelpreis entgegennehmen sollte, saß damals im Konzentrationslager. Wie China heute, so versuchte Deutschland damals, möglichst viele von der Teilnahme an der Zeremonie in Oslo abzuhalten. Diese Parallele wird von den Medien immer wieder aufgegriffen, das Nobelkomitee aber hält sich mit diesem Vergleich zurück. Chinas Gebahren mit dem Hitlers zu vergleichen könnte zu sehr danach aussehen die beiden Regime auch nur ansatzweise gleichzusetzen.
Dafür erinnert Jagland daran, dass selbst der Iran im Jahr 2003 die damalige Preisträgerin, die iranische Menschenrechtsaktivistin Shirin Ebadi, nicht daran gehindert habe, nach Oslo zu reisen, ja, damals sogar der iranische Botschafter in Norwegen zur Zeremonie gekommen sei. Solche Mahnungen müssen der chinesischen Führung, die international sonst besseres Ansehen genießt als die iranische, wehtun und – so hofft Jagland vermutlich – sollten ihr zu denken geben. Gleichzeitig lobte er China für die enorme wirtschaftliche Entwicklung, die das Land durchgemacht hat. Es müsse sich aber auch sonst öffnen, mahnt Jagland an.
China wird die Rollläden an der Botschaft in Oslo irgendwann wieder öffnen müssen, vielleicht darf dann auch Liu Xiaobo Medaille und Preisgeld abholen. Wenn er seiner Frau davon dann als erstes ein Kleid rot wie das der norwegischen Königin kauft, so wäre es nicht nur ein Liebesbeweis an seine langjährige Partnerin, sondern auch an China und die Freiheit.”
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Die Weltreporter im Gespräch – Ab sofort lassen wir Sie noch näher ran, an unsere Arbeit in aller Welt: Im WR-Podcast erzählen künftig alle drei Monate Korrespondenten von Jobs und Recherchen zwischen Durban und Dänemark, geben einen Einblick in den Korrespondentenalltag, live & lebendig. Wir schalten unsere Mikrophone für Sie auf Empfang und laden ein in unsere Schreib- und Tonbüros auf fünf Kontinenten. Der erste WR-Podcast führt hinter die Kulissen des größten Korrespondenten-Netzwerks freier Auslandsjournalisten, das über 47 deutschsprachige Reporter in fast ebenso vielen Ländern vereint.
Kerstin Zilm im per Wolldecke isolierten Studio.
Wer sind die Weltreporter-Journalisten und was bewegt sie? Erfahren Sie, unter welchen Bedingungen Geschichten entstehen, die Sie später gut gemischt online oder im deutschen Radio hören. Verbringen Sie 20 Minuten mit uns – jenseits der Schlagzeilen. In diesem ersten Podcast treffen Sie einen Weltreporter-Gründer, hören, welches amerikanische Geräusch unsere Kollegin in Los Angeles zuweilen von der Arbeit abhält und was Kollegen in Krisenregionen auch in schwierigen Zeiten zum Durchhalten motiviert.
Ganz nebenbei bekommen Sie Antworten auf eine Reihe von Fragen, die Sie sich vielleicht noch nie so gestellt haben 😉 Zum Beispiel:
Ägypten-Korrespondent Jürgen Stryjak während des Volksaufstandes 2011 auf dem Tahrir-Platz.
Der erste Weltreporter Podcast widmet sich aber auch ernsteren Themen: Im Interview berichtet Jürgen Stryjak, der seit 17 Jahren in Kairo arbeitet, vom Arbeit und Leben in einem Land, in dem Anschläge und Unterdrückung zum Alltag gehören. Er schildert, welche Spuren es hinterlässt, wenn man tagein tagaus über Menschen berichtet, die Gewalt oder Terror erleben, die desillusioniert oder hoffnungslos sind. Jürgen Stryjak erzählt auch, was ihn motiviert, sich von schwierigen Situationen nicht unterkriegen zu lassen. Er erzählt von einer Begegnung mit Amir Eid und seiner Indie-Band Cairokee, die er bei Proben in Kairo traf. Auch sie lassen sich nicht einschüchtern. Eines ihrer jüngeren Lieder heisst Akhr Oghniyya – zu deutsch: »Das letzte Lied«. Selbst wenn dies mein letztes Lied wäre, singt Amir Eid im Refrain, selbst dann würde ich noch von der Freiheit singen.
Janis Vougioukas nach der WR-Gründung im Jahr 2007 während einer Recherche über Folgen der Umweltverschmutzung in China.
Außerdem lernen Sie Janis Vougioukas kennen. Janis ist heute Stern-Reporter in Shanghai. Er war es, der im Jahr 2000 mit einer Handvoll anderer Journalistenschüler die Idee hatte, das Weltreporter-Netzwerk zu gründen. Im Gespräch erinnert sich Janis daran, wie damals auch die Einsamkeit als Freischaffender mit ein Motiv dafür war, das Abenteuer Weltreporter zu wagen. “Wir waren überrascht, wie viel man über Internet-Abstimmungen und Skype effizient, global und günstig organisieren konnte”, erzählt Janis Vouigoukas als ihn Kerstin Zilm über diverse Zeitzonen hinweg während einer Recherche in Hongkong erreicht. Damals begann die Medienkrise, und er und die 20 ersten Weltreporter waren begeistert, wie rasch sich die Existenz des weltweiten Reporternetzwerks in den Redaktionen herumsprach: “Es war toll zu sehen, wie dankbar die Redaktionen, die nicht mehr selbst schnell jemanden losschicken konnten oder wollten, unser Angebot angenommen haben.” Heute gehören zum Netzwerk 47 freie Korrespondenten in aller Welt und 27 Kollegen, die inzwischen nicht mehr als freie Journalisten arbeiten oder wieder von Deutschland aus berichten.
Leonie March interviewt einen Fährtenleser.
Zusammengestellt haben diese “20 Minuten Weltreporter persönlich” unser Podcast-Team in drei Kontinenten und diversen Zeitzonen. An Mikro und Mischpult agierten Kerstin Zilm in Los Angeles, Leonie March in Durban und Sascha Zastiral in London.
Viel Spaß beim Zuhören, und bis zum nächsten Podcast – in spätestens drei Monaten.
Im Helikopter über Durban
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Das Video zog riesige Kreise in Chinas Microblogs und auf Facebook: Eine chinesische Touristin an einem Strand von Phuket in Thailand, die ehrlich erbost mal so richtig vom Leder zog über ihre Landsleute – und sich dabei selber filmte. Die Ursache: Eine andere Reisende hatte ein Stück Treibholz mitnehmen wollen – obwohl die Reiseleiter sie gebeten hatten, das Stück liegenzulassen. Das gehe gar nicht, so die Lady: Chinas Touristen müssten sich über ihr mieses Image im Ausland nicht wundern, wenn sie überall nur darauf aus seien, alles mitzunehmen, laut herumredeten und sich nicht wirklich scheren um die Kultur und Realität der besuchten Länder. “Gut, dass es hier Regeln gibt. Sonst würden sie bald alles Holz, jedes Sandkorn mitgenommen haben!” Immer weiter redete sie sich auf dem Video in Rage – und postete es anschließend unter dem Namen “Große Schwester Bin” auf Facebook (Link zum Video mit Untertiteln hier).
Klar wird: Fremdschämen über eigene Landsleute können nicht nur wir Deutschen uns, wenn wir mal wieder lesen, dass “wir” gemeinsam mit den Briten in Italien durch aggressives frühmorgendliches Plätzebesetzen am Strand sogar die Polizei auf den Plan gerufen haben. Chinesische Touristen haben im Ausland ebenfalls keinen guten Ruf – ihnen wird in manchen Gastländern schlechtes Benehmen, Drängeln, Auf-den-Boden-Spucken oder Müll-irgendwohin-Werfen vorgeworfen. Doch mit zunehmender Bildung wird vielen Chinesen dies bewusst – und sie verlangen besseres Benehmen von ihren Landsleuten. Ungewöhnlich ist vor allem die offene Wut von “Große Schwester Bin”. Emotionen auf diese Weise öffentlich freien Lauf zu lassen ist in China nicht gerade üblich.
Noch ungewöhnlicher war dies lange Zeit für Chinas Sportler. Sie traten bei Olympia und anderen Wettkämpfen oft mit regloser Miene auf – egal, ob sie gerade ihre Medaille entgegennahmen oder einen Wettkampf verloren hatten. Auch das ist diesen Sommer in Rio anders. Chinas Internetnutzer feierten die Schwimmerin Fu Yuanhui als “Ur-Mädchen”, nachdem sie in einem TV-Interview erfuhr, eine neue persönliche Bestzeit geschwommen zu sein und laut ausrief: “So schnell war ich? Ich bin super zufrieden! Ich habe meine Ur-Kräfte ausgeweitet!”, wobei sie auch noch wild die Augen aufriss (hier ein link mit Video). Fu hatte da gerade Bronze im 100m Rückenschwimmen gewonnen. Später zog sie sogar bei der Medaillenzeremonie fröhliche Grimassen und erzählte nach der Heimkehr ungezwungen, wie sie auf dem Rückweg auf dem Flughafen Dubai ohne Englisch zu können allein durch Gestikulieren nach dem Weg gefragt habe, stellte die Gesten noch einmal nach und lachte sich dabei über sich selbst kaputt. Die Leute liebten es. Früher hatten Chinas Athleten bei Interviews stoisch ihre Führungskader und Trainer gepriesen. Heute antworten sie in Interviews letztlich genauso wie Athleten aller Länder: Wie schwierig oder wie toll es heute war, wie gut der Gegner, wie schwer die Beine, oder so. Chinas Volleyballererinnen kreischen bei jedem wichtigen Punkt – genauso wie die Damen aus Brasilien oder Serbien, gegen die sie spielten.
Ungewöhnlich selbst für westliche Standards indes war die Aktion des Kunstspringers Qin Kai: Direkt nach der Medaillenzeremonie, auf der seine Kollegin und Freundin He Zi mit Silber vom Dreimeterbrett geehrt wurde, kniete er sich vor laufender Kamera nieder und machte He Zi einen Heiratsantrag (link hier). Auch er bekam großen Applaus vom Publikum in ganz China. Liebe unter Athleten war in China lange tabu: Noch 2004 wurden vier Mitglieder des Tischtennisteams aus dem Olympia-Team geworfen wegen romantischer Beziehungen miteinander – darunter die damalige Nummer Eins der Welt, Ma Lin. Zum Glück hat He Zi übrigens genickt und ja gesagt. Man mag sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn sie abgelehnt hätte.
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Wenn es irgendjemanden gibt, der über Donald Trump’s Aufstieg feixt, dann ist es Chinas offizielle Presse. Zeigen die Exzesse der Kampagne des Milliardärs doch aus den Augen Pekings die Schwächen der Demokratie. Das Parteiorgan China Daily zeigt Trump (hier) als Baby, das der Freiheitsstatue aus dem Kinderwagen ins Gesicht spuckt. Solche Irren hätten in unserem sozialistischen System gar keine Chance, ist der Tenor der Kommentare. Während ja Adolf Hitler und Benito Mussolini damals durch Wahlen an die Macht gekommen seien. Trump, ein “narzisstischer und aufhetzender” Kandidat habe in den USA eine Büchse der Pandora geöffnet, schreibt etwa die als nationalistisch bekannte Global Times nach den Ausschreitungen bei der Trump-Kampagne in Chicago (hier). Er habe die Weißen der ehemaligen Mittelschicht angesprochen, denen es seit der Wirtschaftskrise ab 2008 immer schlechter gehe. “Großmäulig, antitraditionell und das Prinzip der Offenheit missbrauchend, ist er der perfekte Populist, der mit Leichtigkeit die Öffentlichkeit provozieren kann. Trotz der Versprechen der Kandidaten wissen die Amerikaner, dass Wahlen ihr Leben nicht wirklich verändern. Warum also nicht Trump unterstützen und Dampf ablassen?”, schreibt das Blatt. Dass Wahlen das Leben der Menschen nicht verändern, ist das Kernargument. Wenn das so ist, dann doch lieber gar keine Wahlen, so wie in China. Denn hier haben Populisten keine Chance. Der Kommentar endet mit der Warnung: “Die USA sollten auf sich selbst aufpassen, dass sie nicht zu einer Quelle destruktiver Kräfte gegen den Weltfrieden werden – anstatt immer mit den Fingern auf andere Länder zu zeigen wegen deren angeblichen Nationalismus und Tyrannei.” Letzteres ist übliches Parteizeitungs-Sprech. Ersteres verrät eine gewisse Genugtuung – teilt China damit doch Sorgen anderer Länder, auch der westlichen demokratischen Welt. Welcher Europäer würde Donald Trump schon gern im Weißen Haus sehen? Wohl eher wenige. Doch aus anderen Gründen.
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Das Jubiläumsjahr beginnt mit einer Farce: 2016 jährt sich Maos Todestag zum 40.Mal. Und dafür errichteten Dörfler in der zentralchinesischen Provinz Henan dem auch gerne als “Rote Sonne” verherrlichten Großen Vorsitzenden klammheimlich eine goldene Statue. Nicht irgendeine. Nein, die größte der Welt, 36,6 Meter hoch.
Plötzlich tauchten Fotos des goldenen Giganten, umgeben von brauner Erde und bräunlichem Smog, auf. Und sorgten für Unruhe. Im chinesischen Internet. Für das Geld hätte man doch lieber lokale Schulen bauen sollen, empörten sich Netizens. Und bei der Führung. Die ließ den sitzenden Riesenmao nur wenige Tage nach Auftauchen der Fotos wieder abreißen. Das Parteiorgan Volkszeitung bestätigte das und zitierte Offizielle, der Bau habe nicht den nötigen Genehmigungsweg durchlaufen. Wer auf welcher Ebene den Abriss beschloss, weiß niemand. Der britische Guardian zitiert einen Anwohner des betroffenen Dorfes Zhongshigang mit den Worten, er habe keine Ahnung, wer den Abriss befohlen habe, die Arbeiter habe er vorher noch nie gesehen (hier). Irgendwie typisch für China.
Die Mao-Verehrung auf dem Land nehme zu, schreibt die Zeitung Global Times. Demnach bauen Dörfler in mehreren Provinzen Schreine und Tempel für die “Rote Sonne” (hier). In der Unruhe über die verwirrenden und wechselhaften Zeiten der Gegenwart sehnen sich manche offenbar nach der kargen Einfachheit der Mao-Jahre – und verdrängen dabei den Irrsinn der Kulturrevolution oder die Hungersnot, die Maos “Großer Sprung nach Vorn” ausgelöst hat. Sie wollen etwa Maos Geburtstag, den 26. Dezember, zum Nationalfeiertag erheben. Nostalgie vermische sich mit Volksglauben, so die Global Times, und berichtet von der kürzlichen Einweihung einer bronzenen Mao-Statue für einen taoistischen Tempel, bei der in Jingyuan in der Nordostprovinz Gansu neben den Mönchen auch ein extatischer Schamane mitgewirkt habe. Bereits vor über zehn Jahren orderte die KP den Abriss eines Mao-Tempels in der Südprovinz Guangdong: Der Vorsitzende sei schließlich Atheist gewesen. Die Dörfler aber ignorierten das Verbot und errichteten den Tempel heimlich neu. Der Dorfparteichef ging sogar hin, um für seine Wiederwahl als lokaler KP-Vorsitzender zu beten. Selbst Parteichef Xi Jinping, dem vielfach eine Wiederbelebung maoistischer Kampagnenpolitik nachgesagt wird, sagte kürzlich, dass Revolutionsführer nicht wie Götter verehrt werden dürften. In Jingyuan aber beten die Dörfler nun in ihrem Tempel zu Mao um Babys, Gesundheit oder Reichtum – so wie ihre Vorfahren es zu den von Mao verbotenen Gottheiten wie dem Jadekaiser oder dem Reichtumsgott taten.
Beinahe drei Milliarden Yuan (419 Mio Euro) soll der goldbepinselte Riesenmao gekostet in Henan haben, bezahlt von lokalen Unternehmern und Anwohnern des Dorfes Zhushigang in der zentralchinesischen Provinz Henan. Laut Global Times fühlen sich viele solcher glühenden Mao-Verehrer zunehmend marginalisiert. Das ist wohl wahr. In den Metropolen dürfte sich die Trauer um den gefallenen Goldriesen in engen Grenzen halten.
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Eine Zwei-Fliegen-Politik gibt es in China schon lange – auf Pekings Toiletten. Nicht mehr als zwei Brummer dürfen auf einer Notdurfstation herumschwirren, damit diese als hygienisch einwandfrei gelten kann. Eine Politik, gegen die allerdings nonstop verstoßen wird. Nun gibt es die viel wichtigere Zwei-Kind-Politik. Lange erwartet, kam die Entscheidung am Ende doch überraschend: Das Plenum des Zentralkomitees schaffte – während es nebenbei den kommenden Fünfjahresplan entwarf – diese Woche die mehr als 35 Jahre geltende Einkind-Politik für sämtliche Paare in China ab.
Der Reuters-Fotograf Carlos Barria muss daher wohl seine Serie beenden: Seit 1979 fotografierte er Chinas Einzelkinder – und fragte sie ob sie gern Geschwister hätten (hier gehts zum Link), ein faszinierendes Zeugnis der gesellschaftlichen Veränderungen dieser Politik, die einerseits eine Bevölkerungsexplosion wie in Indien verhinderte. Aber zugleich zu einem verzerrten Verhältnis der Geschlechter führten – da viele Menschen nach wie vor Söhne präferieren und daher selektiv weibliche Föten abtreiben, obwohl dies mitsamt der dazu nötigen Ultaschalluntersuchungen seit vielen Jahren verboten ist. Zudem drohten ganze Gruppen von Verwandtschaftsbeziehungen auszusterben, zum Beispiel Cousins und Cousinen – von weiter verzweigten Verwandschaftsgraden ganz zu schweigen.
Rund 2,5 Millionen zusätzliche Neugeborene erwartet die Regierung nun – dringend nötiger Nachwuchs, denn Chinas Gesellschaft altert rapide – und das bevor das Land die Wohlstandsschwelle erreicht hat, ab derer die Staaten des Westens begannen zu altern. Schwellenländer haben normalerweise viele Kinder – in China waren es 2013 gerade einmal 1,24 pro Frau. 2010 lag die Zahl mit 1,18 sogar noch niedriger – seitdem wurde die strikte Politik bereits leicht gelockert. Bis jetzt dürfen Anghörige nationaler Minderheiten zwei Kinder bekommen, oder Bauern, deren erstes Kind ein Mädchen war. Auf dem Land sind noch immer die Söhne dafür verantwortlich, ihre Eltern im Alter zu versorgen. In den Städten durften miteinander verheiratete Einzelkinder zwei Kinder bekommen. Ansonsten war der einzig legale Weg zu zwei Kindern die Geburt von Zwillingen.
Ob die Fruchtbarkeitsrate nun wirklich stark steigt wird sich zeigen. Viele Städter wollen gar nicht mehr unbedingt mehr – das Land ist an Einzelkinder gewöhnt; viele Paare lassen die Kleinen unter der Woche von den Großeltern aufziehen, während sie selbst arbeiten. Wanderarbeiter lassen sie auf dem Dorf zurück, da sie wegen des strikten Haushaltsregistrierungssystems in den Städten nicht kostenlos zur Schule gehen dürfen. Um wirklich mehr Geburten zu fördern ist dies das nächste System, das abgeschafft werden müsste.
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In zwei Jahren haben Chinas Kommunisten die KPdSU eingeholt – dann regieren sie genauso lange wie die Kommunisten der einstigen Sowjetunion. In einer Größe sind sie bereits die Nummer Eins: Der Anzahl der erlassenen Fünfjahrespläne, bei den Russen unterbrochen etwa vom Zweiten Weltkrieg.
Diese Woche ist es nun wieder soweit: Das Zentralkomitee der KPCh trifft sich um den nächsten, nunmehr Dreizehnten Fünfjahresplan zu beschließen. Zwar sind diese Pläne heute mehr ökonomische Zielsetzungen als detailgenaue Vorschriften für die kommenden Jahre. Doch hält die KP gern an diesem zentralen Ritual ihres trotz aller Reformen leninistischen politischen Systems fest. Damit auch Ausländer verstehen, was es mit dem Plan – auf Chinesisch schlicht “shisan Wu” (Dreizehn-Fünf) genannt – auf sich hat, kreierte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua ein leicht psychedelisch angehauchtes Video auf Englisch, bei dem Cartoon-Figuren, inclusive Albert Einstein und einem Roboter mit (ähem) Exkrementen auf dem Kopf (link hier – Video ganz unten, unter den Fotos eingeschlafener Delegierter). Ohrwurmeffekt inclusive.
Was also ist von dem neuen Plan (2016-2020) wirklich zu erwarten? Die Zeitung Global Times wünscht sich vor allem mehr Urlaubstage, durch die Wiedereinführung der 2008 gestrichenen “Goldenen Woche” um den 1.Mai. Umweltschützer hoffen, dass die bereits begonnene Deckelung des Kohleverbrauchs verbindlich festgeschrieben wird. Ökonomen wiederum setzen darauf, dass Präsident und KP-Chef Xi Jinping endlich konkrete Maßnahmen zur schon vor zwei Jahren angekündigten Ausweitung der Wirtschaftsreformen festschreiben lässt – etwa zur Reform der riesigen Staatsunternehmen: Diese sollen künftig marktwirtschaftlicher arbeiten, mehr Dividende zahlen oder teilprivatisiert werden. Doch Konkretes weiß niemand. Ebensowenig, wie genau die Finanzreformen weitergeführt werden – so dass Privatunternehmen leichter an Kredite kommen, beispielsweise. Auch Pläne zum derzeit kriselnden Autosektor und dem Ausbau der Elektromobilität soll der Plan enthalten.
Wichtig sind diese Weichenstellungen allemal, denn Chinas Wirtschaft wächst nicht mehr hemmungslos, ohne weitere Reformen droht das Land in der “middle-income-trap” zu landen, der “Falle des Mittleren Einkommens”, in der schon so manches Schwellenland verharrt. Vor genau dieser Falle warnte am Montag das Parteiorgan “Volkszeitung.” Doch die Reformen durchzusetzen, ist schwierig für die Regierung, denn die KP soll intern zerstritten sein zwischen Reformern, Bremsern, Besitzstandswahrern – und sie ist zugleich zerrissen durch die weiterhin mit Härte durchgezogenen Korruptionsermittlungen.
Es gibt viel zu tun – was genau angepackt wird, das erahnen wir vielleicht am Ende der viertätigen Sitzung. Bis dahin einfach mitsingen: “If you wanna know what China’s gonna do, best pay attention to the shí sān wǔ.”
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Als ich heute früh mit unserem Hund unterwegs war, saßen in dem kleinen Park unserer Wohnanlage am Stadtrand von Peking ein halbes Dutzend alter Frauen, die sich lachend und gestikulierend unterhielten. Ein an sich typisches Bild, in den Grünanlagen der chinesischen Hauptstadt kommen morgens vor allem ältere Menschen zusammen, um ein Schwätzchen zu halten oder gemeinsam Tai Chi zu machen. Doch am heutigen Tag ist das Damenkränzchen im Freien etwas Besonderes. In der Stadt sind öffentliche Parks geschlossen, manche dürfen erst nächste Woche wieder öffnen.
Es ist eine von vielen Einschränkungen, mit denen Pekings Bewohner dieser Tage zu Recht kommen müssen. Die Hauptstadt hat sich seit Wochen auf ein Ereignis vorbereitet, das weltweit live übertragen wird: Mit einer gewaltigen Militärparade zelebrierte die chinesische Regierung das Ende des Zweiten Weltkriegs in Asien vor 70 Jahren. Oder besser: Die Kapitulation des Erzfeindes Japan. Vom Platz des Himmlischen Friedens aus rollten ab 10 Uhr vormittags die modernsten Waffen, die das Reich der Mitte aufzubieten hat, an den Tribünen der Ehrengäste und Veteranen vorbei. 12.000 Soldaten marschierten mit, der Himmel gehörte Kampfjets und Hubschraubern.
Eine pure Demonstration der Stärke und des Nationalismus, die in China auf allen Kanälen übertragen wurde. Bei der minutiösen Planung des Mega-Events wurde nichts dem Zufall überlassen: Damit das Säbelrasseln nicht durch den sonst üblichen Smog getrübt werden konnte, dürfen auf Pekings Straßen seit Tagen nur die Hälfte der Autos fahren, sind Hunderte Fabriken geschlossen. Eine erfolgreiche Maßnahme, über der Mega-Metropole scheint die Sonne ungetrübt von einem klaren blauen Himmel. Parade Blue nennen es die Pekinger, und atmen verwundert gute Luft ein.
Allerdings zwitschern deutlich weniger Vögel als sonst in den Bäumen – sie wurden durch abgerichtete Falken vertrieben, ihre Nester zerstört. Man fürchtete, die Piepmätze könnten eine Gefahr für die Militärflieger darstellen. Damit diese tatsächlich ungehindert über die Köpfe der handverlesenen Zuschauer hinweg düsen konnten, brauchten Fluggäste heute viel Geduld. Die beiden Flughäfen der Hauptstadt waren vormittags geschlossen. Keiner kam rein, keiner kam raus.
Auch Schulen, Büros, Restaurants und Geschäfte sind heute und morgen geschlossen. Im Innenstadtbereich durften Anwohner in den letzten Tagen zum Teil ihre Häuser nach 20 Uhr abends nicht mehr verlassen. Ein geradezu surrealer Maßnahmenkatalog, damit die Parade ja wie am Schnürchen läuft. Die Furcht der Machthaber vor aufmüpfigen Protestlern oder gar einem Anschlag schien groß zu sein.
Im Westen findet die Parade, mit der Präsident Xi Jinping sich innenpolitisch Schulter an Schulter mit dem mächtigen Militär präsentiert, wenig Anklang. Man hätte sich ein anderes Gedenken an das Ende des Weltkrieges gewünscht, heißt es in diplomatischen Kreisen. Auf der Ehrentribüne saßen einige Staats- und Regierungschefs osteuropäischer Länder, angeführt von Russlands starkem Mann Vladimir Putin, selbst bekanntlich ein Freund solch militärischer Spektakel. Flankiert wurden sie von einigen asiatischen Machthabern, doch mehr als 30 Länderchefs haben die Parade nicht verfolgt. Viele asiatische Nachbarn werden seit Jahren von Chinas Gebaren im südchinesischen Meer unter Druck gesetzt, die Spannungen in der Region sind groß. Die USA, Taiwan und natürlich Japan beobachteten die pompöse Machtdemonstration sicher mit größtem Unbehagen.
Die Pekinger hingegen können dem ganzen Trara auch etwas Gutes abgewinnen. Obgleich ihnen der Alltag durch die Fahrverbote und andere Einschränkungen erschwert wurde, freuen sie sich über die gute Luft und den blauen Himmel. „Das ist ein ganz anderes Leben, es fühlt sich so leicht an“, sagte mir ein Taxifahrer vor einigen Tagen. „Ich habe mit vielen Kunden gesprochen. Wir waren alle der Meinung, dass es so bleiben sollte.“
Das wird es aber leider nicht. Wenn die Inszenierung vorbei ist, und es nicht mehr um Glanz und Gloria geht, dürfen die Fabrikschlote wieder dicke Abgaswolken in die Umwelt blasen und Millionen Autos die Straßen verstopfen.
Bis zum nächsten großen Ereignis, mit dem China die Welt beeindrucken möchte.
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Und es gibt ihn doch: Den Himmel über Peking. Seit einigen Tagen gelten dieselben Regeln wie während der Olympischen Spiele 2008: Nur jedes zweite Auto darf fahren – je nachdem ob die letzte Ziffer des Nummernschildes gerade oder ungerade ist – die meisten Fabriken sind abgestellt. Derzeit läuft im Olympiastadion die Leichtathletik-WM, und am 3. September paradiert Chinas Militär über den Tiananmen-Platz um des Sieges über Japan am Ende des Zweiten Weltkriegs zu gedenken. Für beides muss die Luft rein sein. Am Wochenende übten Düsenjägerbattalions unter weißen Wattewölkchen ihre Formationsflüge.
Wölkchen sehen wir selten; sie verstecken sich meist über der Dunstglocke. Doch genau WIE schädlich die Luft denn nun eigentlich ist, das ist für uns Pekinger eher wenig fassbar. Gerade erst erregten Berichte über eine neue Studie aus den USA Besorgnis (Details hier): Demnach sind wir alle hier Zwei-Schachteln-am-Tag-Raucher: Ein Tag Pekinger Luft entspricht demnach 40 Zigaretten. Illustriert wurde diese Geschichte etwa im Economist mit einer China-Karte, auf der die Gegend um Peking tiefrot gefärbt ist, für die schlechteste Luft im Land. Alles “Pferdesch….”, antwortete nun ein lokales Stadtmagazin: Der Feinstaubgehalt der Pekinger Luft entspreche durchschnittlich nur etwa einer fünftel Zigarette am Tag. Die Autoren haben das einigermaßen plausibel nachgerechnet – auf Basis der Pekinger Feinstaubstatistik von Greenpeace sowie dem, was über den Feinstaubgehalt von Zigaretten bekannt ist. Nun denn. Man möchte ja gerne die zweite Story glauben (Details hier).
Dass ihre Stadt die lebenswerteste Chinas ist, glauben aber nicht einmal die Locals: Peking rangiert an der Spitze des “Liveability Index” des Economist Intelligence Unit für China. Lachhaft, bloggen die Pekinger: Soll das ein Aprilscherz sein? Über den Spott der Hauptstädter berichtet sogar die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua (Story hier). Auch wenn die Luft natürlich nur eines von vielen Kriterien ist. Die Unis sind ja gut in Peking, oder das kulinarische und kulturelle Angebot. Auf Nummer zwei des Rankings ist übrigens Tianjin platziert, die Hafenstadt neben Peking – die ebenfalls auf der China-Luftdreck-Karte tiefrot gefärbt ist. Und die dank des Infernos vor knapp zwei Wochen derzeit eher für negative Schlagzeilen sorgt. Die Zahl der Toten durch die Explosionen eines Lagerhauses für gefährliche Chemikalien ist auf 121 gestiegen, und noch immer werden mehr als 50 Menschen vermisst. Es qualmt immer noch am Unglücksort, mehrere Verantwortliche des Lagerhauses sind in Haft. Die Sache stinkt, physisch und im übertragenen Sinn.
Ich gehe dann mal raus und genieße den Himmel. Solange er noch da ist. Der Countdown läuft. Schon am 4. September wird alles wieder hochgefahren. Und wir werden wieder zu Zwangsrauchern.
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Am Anfang ging ein Video um auf dem chinesischen Chatforum WeChat, das von weitem die verheerenden Explosionen von Tianjin zeigt. Einen Tag später tauchte eines auf, das aus nächster Nähe geschossen wurde. Darin ist bei der zweiten Explosion nur noch Weiß zu sehen, der Filmer scheint mitten im Inferno. Am nächsten Morgen machte sich ein chinesischer Fotoreporter der Beijing News auf, um so nahe wie möglich an den Brandherd heranzukommen. Der war schon abgeriegelt – doch He Xiaoxin schlich sich vorbei an den Polizeikordons, durch ein Wäldchen, unter Hochstraßen entlang, bis zu einem beschädigten, leeren dreistöckigen Gebäude, von dem aus er einen riesigen Platz sah, voller ausgebrannter Autos, durch die ein einsamer Feuerwehrmann schlich. Von dort aus beobachtete He auch die gelbe Giftwolke, die am Nachmittag bei einer kleineren Explosion in den Himmel stieg – möglicherweise enthielt sie Natriumcyanid. Erst dann nahm auch er die Beine in die Hand. Später wurde er doch noch gestellt, viele Fotos musste er löschen. Die erhaltenen Fotos zeigen das Katatsrophengebiet aus nächster Nähe, was kaum jemandem gelungen ist. Hier der link: He Xiaoxin: How Far Can I Go? And How Much Can I Do?
Mindestens 114 Menschen starben bei der Katastrophe, deren Ursache immer noch im Dunklen liegt. 70 weitere werden noch vermisst. 68 befinden sich im kritischem Zusatand in Krankenhäusern, zusammen mit mehr als 600 weiteren Verletzten. Anwohner fordern bereits Kompensationen: Laut Chinas eigenen Verordnungen müssen Gefahrgutlager mindestens einen Kilometer von Wohnhäusern, öffentlichen Gebäuden oder Durchgangsstraßen entfernt sein. Online-Karten zeigen allerdings sowohl eine Straße als auch ein Wohnviertel innerhalb von 500 Metern Entfernung des zerstörten Ruihai International Logistics Warehouse. “Wir Opfer verlangen: Regierung, kauft unsere Wohnungen zurück”, forderten die Anwohner der Wohnanlage vor dem Hotel, in dem die Lokalregierung ihre täglichen Pressekonferenzen abhält. Diese hat Sicherheitschecks aller Lagerstätten gefährlicher Güter angeordnet. Die Zentralregierung will auch landesweit die Sicherheitsstandards prüfen lassen.
Der Hafenbetrieb läuft derzeit wieder langsam an. Autohersteller leiten ihre Autoimporte vorübergehend über andere Häfen. Viele Importwagen wurden auf den nahegelegenenen Stellplätzen beschädigt – darunter etwa 2700 Modelle des Volkswagen-Konzerns. Wie groß der Schaden für die lokale Wirtschaft, oder auch ausländische Unternehmen, insgesamt ist, lässt sich noch nicht absehen.
Transparenz kündigt die Regierung an – doch bislang läuft alles weitgehend wie gehabt: Die Unglücksstelle wird abgeriegelt, Medien dürfen nur die offiziellen Berichte der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua drucken, unabhängige Bilder werden gelöscht, Suchbegriffe wie “Tianjin” funktionieren nicht. Auch He Xiaoxins Bilder sind im Netz wohl nicht mehr zu sehen.
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Eigentlich ist Sommerloch. Trotzdem gibt es Nachrichten, die guten und die schlechten. China hat in den letzten drei Tagen Klimaziele für die UN-Klimakonferenz in Paris bekanntgegeben – das ist eine gute. Um 60-65 Prozent soll bis 2030 der Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber 2005 sinken – gemessen zwar pro Einheit Wirtschaftsleistung, aber da das chinesische Wachstum nachlässt, kann es sein, dass China den absoluten Emissionsgipfel bereits vor 2030 erreicht. Das war bisher das Ziel, ausgegeben im Winter beim Gipfel mit Barack Obama. Nicholas Stern und Fergus Green vom Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment an der London School of Economics and Political Science, dass China den Emissions-Gipfel bereits 2025 erreichen wird (siehe Studie). Den Optimismus ziehen die Autoren aus dem Rückgang des Kohlekonsums, der 2014 erstmals gefallen ist, um 2,9 Prozent. Selbst Greenpeace-Experten glauben, dass dieser Trend anhalten wird – mit positiven Folgen für das gesamte Weltklima. 2014 sind – erstmals ohne akute Wirtschaftskrise – die energie-bezogenen Treibhausgasemissionen nicht mehr gestiegen, schreibt die Internationale Energie-Agentur.
Praktisch zeitgleich, und das ist die weniger schöne Nachricht, verabschiedete China ein neues Sicherheitsgesetz, dass das Internet noch stärkerregulieren soll als bisher. Mögliche Vergehen wie die Gefährung der staatlichen Sicherheit bleiben wie immer vage – aber gerade darin liegt die Gefahr für kritische Blogger oder Chatter. Für Paranoia gibt es leider keine Emissions-Obergrenzen. Was sich teils in skurrilen Details zeigt: Als Freunde von uns vergangene Woche die Möbelpacker im Haus hatten, um in die USA überzusiedeln, weigerte sich das Team, einen Globus einzupacken. Warum? Auf dem Globus hatte Taiwan eine andere Farbe als China. Landkarten, die China und Taiwan nicht als EINEN Staat ausweisen, darf man offenbar nicht einmal aus dem Mutterland AUSführen. Als wären auf allen sonstigen Globen und Atlanten Amerikas China und Taiwan stets in derselben Farbe ausgezeichnet.
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Lesen wollte ich eine ganz harmlose Geschichte über das Champions League Halbfinale zwischen Barca und Bayern München, aber statt rauszufinden warum Trainer Guardiola Thomas Müller aus dem ZDF-Studio gepfiffen hat, lese ich nur “Server Not Found”. Gerne erscheint in diesen Fällen auch die Meldung “Error 404”. Chinas Internet ist langsam und wird immer langsamer. Schuld ist nicht das fehlende Breitband, auch wenn gelegentlich Arbeiten am Netzwerk die Geschwindigkeiten drosseln. Letzteres ist vorübergehend. Der Trend nicht: Chinas “Great Firewall”, welche die Bürger am Lesen unliebsamer Inhalte hindern soll, wird immer höher, ihre Löcher werden immer kleiner. Dabei ist die Zensur selbst schon ärgerlich genug. Noch lästiger ist aber, dass das ständige Durchwühlen aller Inhalte auf verdächtige Worte auch das Öffnen erlaubter Websites verlangsamt – nicht zuletzt weil fast jede Website irgendwo einen Link zu den gesperrten Facebook oder Twitter sitzen hat.
Seit einiger Zeit gehen Chinas Propagandazaren auch gegen VPN-Tunnel vor – “Virtual Private Networks”, die den Zensoren vorgaukeln, dass man etwa aus Los Angeles (“Best for North China”) oder Hong Kong auf eine Seite zugreift. Panik ergriff kürzlich vor allem Ausländer, als sie auf dem Smartphone ihren Facebook-Account nicht mehr öffnen konnten, da mehrere der großen VPN-Anbieter ins Visier der Internetpolizei geraten waren. Derzeit laufen die VPN wieder besser, allerdings unzuverlässig – und ihre Zukunft ist völlig offen.
Firmen klagen derweil immer lauter über das langsame Internet, das eine echte Geschäftsbremse zu werden droht. Laut dem jüngsten Geschäftsklimaindex der Deutschen Außenhandelskammer in China stören sich 59,1% aller deutschen Firmen an dem langsamen Internet. 2012 war es noch die Hälfte gewesen. Der Punkt ist nach drei Personalthemen der viertgrößte Kritikpunkt deutscher Unternehmen. Den 2014 erstmals eingeführten Problempunkt “Internet-Zensur” benannten in der Umfrage auch gleich 44% der Befragten als störend für die Geschäfte. Zumal nicht nur China, sondern auch Deutschland den freien Datenverkehr behindert. Der E-Mail-Provider GMX etwa sperrt Zugriffe aus China aus Sicherheitsgründen. Man weiß ja nie, ob der harmlose User in Peking nicht in Wirklichkeit ein Hacker ist. Manche Online-Dienste lassen sich in Deutschland nur abrufen, wenn der VPN-Tunnel via einem Server in Deutschland aktiviert ist.
Nach dem dritten Versuch zu Thomas Müller zu gelangen, gebe ich jetzt erstmal auf. Wenn es irgendwann gelungen sein sollte, diesen Blogbeitrag hochzuladen, werde ich aber auch die Story gelesen haben. Dann läufts wieder. Zumindest langsam.
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Klaus Bardenhagen ist ein Multi-Talent: schreibt für Print- und Onlinemedien, arbeitet für Radiosender und dreht Fernsehbeiträge als Videojournalist. Aus Taiwan und anderen Ländern der Region berichtet er seit 2008 – über Menschen, die Chinesisch sprechen und demokratisch wählen, über eine Gesellschaft, die vor vielen ähnlichen Herausforderungen steht wie Deutschland, und über ein Land, das vom Westen noch zu entdecken ist.
Seinen O-Ton für den Weltreporter-Adventskalender hat er vor der eigenen Haustür aufgenommen:
“Auch mein Stadtviertel in Taipeh war Ende November im Regionalwahl-Fieber. Kandidaten wie Hong Jian-yi trommelten um Stimmen und schickten solche Lautsprecherwagen durch die Straßen. Diese Botschaft kam wohl gut an – Hong wurde wieder in den Stadtrat von Taipeh gewählt. Und ich hatte einen schönen Ton für meinen Vorbericht zur Wahl.“
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Dass Peking nun durchatmen kann, kann man so nicht sagen. Durchgeatmet haben wir tagelang während des Mega-Gipfels der APEC Staaten (Asia Pacific Economic Conference) hier in der Stadt: Denn Verkehr, Fabriken und sogar Behörden und Schulen wurden drastisch runtergefahren. Heute sind die APEC-Delegierten fort, und noch bläst der Nordwind zwar frische Luft in die Stadt. Sobald Windstille herrscht, wird sich aber wieder die Smogglocke über uns senken. Also durchatmen eher nicht. Aber aufatmen. Dass die Schulen wieder geöffnet sind, dass wir wieder vier Tage in der Woche und am Wochenende Auto fahren können statt nur jeden zweiten Tag. Und dass der ganze Hype sich nun nach Naypyitaw verlagert hat, der Hauptstadt Myanmars. Dort steigt heute der Gipfel der südostasiatischen ASEAN-Staaten, und auch dort schweben wieder wichtigste Würdenträger ein: US-Präsident Barack Obama reist aus Peking nach Myanmar, ebenso Japans Ministerpräsident Shinzo Abe. Chinas Ministerpräsident Li Keqiang ist auch dabei – nachdem er die Show in Peking seinem Chef, Präsident Xi Jinping überlassen musste.
Und wozu sind diese Gipfel? Um über Handelsabkommen zu beraten, die regionale Sicherheitsstruktur. Um sich am Rande bilateral zu treffen um dort auch schwierige Themen zu debattieren, wenn die politische Lage offizielle Gipfel nicht zulässt. Siehe Xi und Abe. Siehe Obama und Russlands Wladimir Putin. Vom Rande des APEC-Gipfels gibt es Fotos von Xi und Abe, die sich sichtlich gequält die Hand gaben. Immerhin, man hat miteinander gesprochen, und sich geeinigt, nicht einig zu sein – über Territorialkonflikte und den Besuch Abes in einem Schrein, der Kriegstote, aber auch Kriegsverbrecher ehrt. Leichter war es für Xi mit Koreas Park Präsidentin Geun-hye, mit der er eine Rahmenvereinbarung für ein Freihandelsabkommen schloss. Oder mit Benigno Aquino, Präsident der Philippinen, mit denen sich China um einen Teil des Südchinesischen Meer streitet: Das Scarborough Shawl, das China 2012 besetzte. Aquino verglich einst die Reaktion der Welt auf Chinas Besetzung des Riffs mit Westeuropas Zaudern geegenüber Hitler in 1938, als dieser Teile der Tschchoslowakei besetzte. China war wenig begeistert. In Peking nun bescheinigte Aquino Xi Aufrichtigkeit und Wärme.
Obama und Putin sprachen laut Mitarbreitern hinter verschlossenen Türen ebenfalls miteinander, insgesamt etwa 15 Minuten. Nicht viel, aber doch mehr als in der Öffentlichkeit : “Schön nicht?” Soll Putin Obama mit Blick auf das güldene Dekor der Empfangshalle des Gipfels gefragt haben. Der antworte nur mit einem “ja” ins Leere. Einen Schulterklopfer von Putin ignorierte Obama ebenfalls.
Über zwei verschiedene Handelsabkommen wurde in Peking diskutiert, bei denen Experten noch streiten, ob sie in Konflikt miteinander stehen oder einander sogar ergänzen können. Das eine, die Free Trade Area of the Asia Pacific (FTAAP) für alle APEC-Mitglieder hatte China auf die offizielle Gipfel-Agenda gesetzt. Man beschloss, an der Planung zu arbeiten. Das andere, die bereits etwas konkretere Transpazifische Partnerschaft (TPP) von nur 12 Staaten besprach Obama mit ein paar anderen Staatslenkern lieber im Nebenzimmer. Kein Wunder, China ist bei dem geplanten Abkommen nämlich nicht dabei.
Zusammen waren sie am Ende alle wieder bei dem traditionellen APEC-Familienfoto in lokal angehauchter Kleidung. Diesmal in schlicht lila-schwarz gehaltenen, traditionellen Seidenjacken mit Stehkragen, die offenbar einige an Outfits von Raumschiff Enterprise erinnerten. Austaliens Tony Abbott spreizte die Finger zum traditionellen Spock-Gruß und sofort waren Fotos im Netz und auf dem sozialen Netzwerk WeChat unterwegs, die die APEC-Granden mit den Enterprise-Granden verschmolzen.
Benigno Aquino durfte übrigens auf dem Foto in der ersten Reihe stehen, Abe musste in die zweite. Zufall? Wohl kaum. Kopien der Seidenjacken sind derweil schon einen Tag nach der Konferenz ein Hit unter Online-Shoppern (Foto siehe hier).
Ebenfalls viral gingen am Gipfelabend Fotos von Putin, wie er beim Galadinner galant Chinas First Lady Peng Liyuan eine Decke umhängte, als diese froer. Freundliche Geste? Oder Flirt? Die User fandens lustig, manche Chinesen mögen Putins Macho-Image. Die Zensoren nicht – nach kurzer Zeit verschwanden die Fotos aus dem chinesischen Web-Universum.
Jetzt sind sie alle in Burmas Hauptstadt, wo vielleicht wieder einige merkwürdige Begegnungen warten. Oder eine merkwürdige Atmosphäre. Still soll es sein in Naypyitaw, das weit weg ist von allem, heimlich aus den Reisfeldern gestampft, als die Junta im Land noch das alleinige Sagen hatte. Um China wird es aber auch dort gehen, denn schließlich streiten sich außer Aquino auch noch andere Staaten mit Peking um Riffe im südchinesischen Meer.
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Gestern war der sechste Tag, an dem Peking unter einer fetten Smogglocke lag. Sechs Tage, an denen die Sonne wie in einem apokalyptischen Film nur als fahle Scheibe am braun-grauen Himmel klebte. Das sieht nicht nur schlimm aus, sondern fühlt sich auch so an. Wenn reine Luft zum Atmen fehlt, werden Menschen nervös, reizbar, depressiv oder krank.
Inzwischen auch wütend und aufmüpfig. Die chinesische Regierung hatte zwar viel versprochen, als sie im Oktober 2013 ein Aktionspaket gegen die Luftverschmutzung vorlegte. Doch passiert ist dieses Mal so gut wie nichts. Einige wenige Fabriken wurden geschlossen, das war’s. Regierungsautos blieben nicht in der Garage, Schulen wurden nicht geschlossen. Der Trick war einfach – die offiziell verkündeten Luftwerte lagen unter dem notwendigen Grenzwert. Die tatsächlichen freilich weit darüber.
Gestern Nachmittag erreichte mich eine SMS aus Deutschland. „Wie lange haltet ihr es da noch aus?“, lautete sie. Gute Frage. In Phasen, wo der AQI (Air Quality Index) permanent im tiefroten Bereich verharrt, will man natürlich nur eines: weg. Doch noch (!) gibt es sie, die Tage mit knallblauem Himmel, an denen die AQI-App auf meinem Handy dieses hübsche Froschgrün für gute Luft anzeigt. Und es sind gar nicht mal so wenige. Mit der aufgehenden Sonne steigt die Stimmung, alles geht einem leichter von der Hand. Heute ist so ein Tag. Über Nacht hat ein kräftiger Nordwind eingesetzt, der Peking von dem gesundheitsgefährdeten Feinstaub befreit hat.
Dann guckt man aus dem Fenster, und denkt, es war alles nur ein schlechter Traum. Leider kehren Albträume öfter wieder als einem lieb ist.
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Wenn man zehn Jahre in den Tropen gelebt hat, kann einem der Winter nach einem Umzug in ein Land der nördlichen Hemisphäre zu schaffen machen. Zumal, wenn es ein Winter in Peking ist. Denn zu den wochenlangen, lausig kalten Temperaturen, kommen dann noch jene Tage, an denen der Horizont getrübt ist von dieser berüchtigten, grau-braunen Dunstschicht, die „dicke Luft“ bedeutet.
Glücklicherweise war es bisher aber, jedenfalls wird uns Neulingen das so erzählt, eher mild (also nur rund 30 Grad kälter als wir es um diese Jahreszeit in unserer alten Heimat, den Philippinen, hätten). Auch Tage mit richtig mieser Luft hat es noch nicht so viele gegeben wie vergangenes Jahr im Januar.
Es gibt also keinen Grund, sich im Haus zu verbarrikadieren. Ganz im Gegenteil, dank Väterchen Frost weitet sich der Kanon der möglichen Outdoor-Aktivitäten aus. Sehr populär sind beispielsweise Wanderungen auf bis zum Grund vereisten Flüssen.
Einheimische machen es sich auf zugefrorenen Seen beim Picknick gemütlich, oder nehmen eine Abkürzung quer über die Eisfläche nach Hause.
Und dann ist da natürlich der Klassiker: Schlittschuhlaufen. Am Stadtrand von Peking geht es ganz ohne Massenandrang, entspannt und stundenlang.
Das einzige, was zum Glück dann noch fehlt, ist eine Bude, an der es Glühwein gibt. Aber das könnte ja ein Projekt für den nächsten langen Winter sein.
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Die Propagandaschlacht um die erweiterte chinesische Luftraumüberwachungszone ADIZ (Air Defence Identification Zone) haben letzte Woche Japan und die USA gewonnen. Die Entrüstung hätten sie sich aber sparen können. Denn die ADIZ kann als Frühwarnzone von jedem Staat individuell festgelegt werden und darf sich mit Frühwarnzonen anderer Länder sehr wohl überschneiden.
Katz und Maus im Gelben Meer: Wie lange kann Amerika mithalten?
Gelungen ist Amerika und seinem Protektorat Japan der Mediencoup deshalb, weil beide bewusst den Unterschied zwischen Warnzone und Hoheitsgebiet heruntergespielt haben. Auch in deutschen Berichterstattungen wirkte der chinesische Beschluss eher wie ein unverschämter Territorialraub als eine legale Vorgehensweise. Wie gesagt, die ADIZ ist kein Luftverteidigungsraum. Der darf nur 22 Kilometer über die Küste hinaus reichen. Und hier dürfen Unangemeldete, jene, die sich nicht zu erkennen gegeben haben, abgeschossen werden.
Genau das soll eine ADIZ verhindern: Zeit geben, um Missverständnisse aufzuklären.
Die Proteste Japans sind auch deshalb unangebracht, da das Kaiserreich über Jahrzehnte unilateral Schritt für Schritt seine eigene ADIZ erweitert hat. Der Abstand zum chinesischen Festland beträgt bisweilen nur noch 130 Kilometer. In diesem lautstarken Streit um Luftraum und verlassene Felseninseln (deren Besitzverhältnisse Japan als moralisch vorbelasteter Weltkriegsverlierer ebenfalls unilateral festnageln will), da kann die geopolitische Langfrist-Perspektive schnell aus dem Blickfeld geraten. Hier eine spekulative Einschätzung zum Thema China-Japan-USA:
1. In zwanzig, dreissig Jahren werden wir auf 2013 zurückblicken und sagen: „Damals hat offiziell das pazifische Jahrhundert der Chinesen begonnen“. Amerika kann sein Weltimperium nicht mehr finanzieren, beherrscht den Pazifik bis Hawaii – aber nicht darüber hinaus.
2. Die Erweiterung der ADIZ ist für China einer von vielen legalen Schachzügen, die nun folgen werden, um die USA-Japan Allianz zu testen und den Zugang vom Ostchinesischen Meer zum Pazifik zu sichern.
3. Der Masse China ist kein Staat gewachsen, und schon gar nicht, wenn Peking im Techno-Militärbereich aufgeholt hat. Japan bleiben dann nur zwei Optionen: Es wird die Schweiz Asiens – eine eigenwillige, kuriose und neutrale Insel im chinesischen Machtbereich. Oder ein Protektorat Chinas. In beiden Fällen ist es nicht ausgeschlossen, dass in Japan das demokratische System kippt und einem Überwachungsstaat weicht, der sich auf Notstandsgesetze beruft.
4. China und Japan sind nationalistisch gestimmt und versuchen Reformen durchzuboxen, von denen das wirtschaftliche Wohlergehen der kommenden Jahrzehnte abhängt. In China heissen die heissen Eisen „Korruption, Umweltvergiftung und Einkommensungleichheit“. In Japan sind es „Korruption, Atomverschmutzung, Altersversorgung und allgemeiner Wirtschaftsstillstand“. Laufen Reformen schief, könnten die Rivalen mit den alten Territorialansprüche ablenken, die Bevölkerung aufhetzen. Ein Kleingefecht würde dann China (vor)schneller riskieren als Japan – auch hier, um die Allianz zu testen.
5. Das Katz- und Mausspiel zwischen amerikanischen und chinesischen Kampffliegern findet schon seit Jahrzehnten statt – wobei sich amerikanische Piloten (in der chinesichen ADIZ) beschweren, dass sich die Konkurrenten bis auf drei Meter Flügelabstand nähern. Mit der erweiterten chinesischen ADIZ wird sich das nicht ändern. Unfälle gab es bisher fast keine – anzunehmen, dass es so bleibt. Ausser, man will bewusst eskalieren. Umgekehrte Frage: Wie nahe würden amerikanische Jets in der eigenen ADIZ, sagen wir vor der Küste Kaliforniens, an chinesische Shenyang Fighters heranfliegen, bzw. diese heranlassen?
6. Ein katastrophales Beben in Japan – wie zum Beispiel entlang des Nankai-Grabens (Wahrscheinlichkeit 70% in den nächsten dreissig Jahren mit 330,000 Toten) kann Abläufe in den Punkten 1 bis 5 beschleunigen oder verzögern. Vorab wird jedoch eine Propagandaschlacht einsetzen. Wer ist die bessere Weltmacht, die gute, die helfende? China oder Amerika?
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Seit wir vor ziemlich genau zwei Monaten nach Peking gezogen sind, ist ein ruhiges Plätzchen schwer zu finden. Das liegt zum einen an den großen Baustellen neben und hinter unserem Haus. Doch das Problem ist temporär und wird irgendwann verschwinden. Etwas anderes aber wird uns während unserer Zeit im Reich der Mitte begleiten: Die Freude der Chinesen am Lärmen, am geselligen und kakophonischen Beisammensein.
Was den normalen Mitteleuropäer zurückprallen lässt, ist für die Einheimischen normale Härte. Knallvolle Restaurants, dichtes Treiben vor Sehenswürdigkeiten, Schieben und Drängen an Bushaltestellen, und das alles mit möglichst lautstarker Untermalung (Nein, ich fange jetzt nicht an, mich über das deutlich hörbare, röchelnde Spucken auszulassen). Hier ist das Alltag und deswegen gibt es auch ein Wort dafür: Rè Nào nennen die Chinesen den Zustand der lärmenden Enge. Laut meiner Chinesischlehrerin ist der Begriff eine Zusammensetzung der Worte „heiß“ und „laut“. Das trifft’s genau.
Bei unserem ersten Trip in den Süden Chinas vor drei Wochen sammelten wir intensiv Erfahrung mit Rè Nào. Es war während der so genannten Golden Week, wenn sich ganz China und wenige, unerfahrene Ausländer (also wir) auf Reisen begeben. Egal, zu welcher Sehenswürdigkeit wir kamen, durch welche Gassen wir gingen, auf welchem Ausflugsdampfer wir fuhren – es gab kein Entkommen von den Massen, die sich freudig ihre Urlaubs-Eindrücke zubrüllten.
Inzwischen kann ich verstehen, dass eine chinesische Freundin, die vor Jahren als Krankenschwester nach Österreich ging, bei ihrer Ankunft in Wien dachte, es sei etwas Furchtbares geschehen. Ganz still und menschenleer wären die Straßen der Hauptstadt an jenem Sonntagmorgen gewesen. Das hätte ihr richtig Angst gemacht, und sie hätte gedacht, dass vielleicht ein Krieg bevorstünde und deswegen alle Menschen in ihren Häusern wären. Damals hatte ich diese Geschichte nicht verstanden, als eine übertriebene Anekdote abgehakt. Doch aus hiesiger Perspektive wird der Kulturschock begreifbar, den meine an Rè Nào gewöhnte Freundin erlitten hatte. So wie ich jetzt (eigentlich wollte ich immer im dünn besiedelten Schweden leben, aber das ist eine andere Geschichte). Egal, meine Freundin hat sich bestens mit ihrem ruhigeren Leben in Wien arrangiert. Das wird mir mit dem kakophonischen Alltag in China sicher auch gelingen. Irgendwann jedenfalls.
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Gerade letzte Woche habe ich sie wieder bekommen, die SMS: Lieber Kunde, leider haben Sie auch dieses Mal wieder nicht in der Lotterie gewonnen. Schade. Zwar gehts nicht um entgagene Millionen – sondern nur um ein entgagenes Nummernschild. Doch ohne Nummernschild gibts kein Auto in Peking. Seit einem Jahr landet mein Name jeden Monat mit Hunderttausenden anderer Führerscheinbesitzer der Hauptstadt in einem Topf, und nur 20.000 werden gezogen. Unbestreitbar eine nötige Maßnahme, auch wenn ich dadurch statistisch gesehen wohl noch ein paar Jahre warten muss. Mehr als fünf Milliionen Autos schieben sich durch Peking, es herrscht seit Jahren Dauerstau. Von der Luft ganz zu schweigen. Und das Los ist zumindest von der Idee her demokratisch. In Shanghai dagegen werden Nummernschilder versteigert und kosten mittlerweile umgerechnet 100.000 Euro. Mehr als viele Automobilmodelle.
Dass man aber auch in Peking Geld mit Nummernschildern verdienen konnte, zeigte “Tante Wang”, deren illegales Geschäft vor ein paar Tagen aufflog: Wang Xiuxia vermietete mehr als 1000 Nummernschilder, die sie allesamt vor Einführung der Nummernschild-Lotterie Ende 2010 erworben hatte. Offenbar hatte sie sie jahrelang gehortet. Die Dame aus Pekings Nachbarstadt Tianjin hatte schon 2005 zugeschlagen, nachdem ein Verbot für Nicht-Pekinger aufgehoben wurde, Autos in Peking zu registrieren. Die Schilder kosteten nichts, sondern waren wie in Deutschland mit der Anmeldung verbunden, und man zahlte dann eben Kfz-Steuer. Wie Frau Wang N 1000 Schilder kam, ist noch unbekannt. Aber als die Lotterie startete, witterte sie das große Geld. Und alles ging gut. Bis einer ihrer “Mieter” mit dem auf ihren Namen laufenden Fahrzeug einen Unfall verursachte und Fahrerflucht beging. Offenbar hatte aber der Geschädigte das Nummernschild aufgeschrieben. Clever – und Pech für Frau Wang, die angeblich bis dahin eine MIllion Euro mit dem Schilderbusiness verdient hatte. “Ich habe für 10.000 Yuan auf Lebenszeit ein Nummernschild gemietet”, erklärte ein namenloser Fahrer lokalen Medien (wo auch immer diese den Mann aufgetrieben haben).
Nun also ist Schluss mit lustig. Die Verkehrsbehörde erklärte alle 1000 Nummernschilder für ungültig. Parallel dazu gab die Stadtregierung diese Woche bekannt, weitere Restriktionen zu erlassen: Ein neuer Plan zur Luftreinhaltung für 2013-2017 sieht vor, ab 2017 eine Art “Verstopfungs-Abgabe” einzuführen. Außerdem will sie bis dahin die Parkgebühren deutlich anheben und mehr Gebiete für Fahrzeuge außerhalb Pekings sperren.
Erstmals ging Peking im Kampf gegen den Dreck diese Woche sogar gegen große Staatsfirmen vor: Das Umweltministerium stoppte je ein Projekt der Ölriesen SInopec und CNPC, da diese ihre Auflagen zur Emissionsreduktion nicht erfüllt hatten. Das ist mal eine gute Nachricht. Unter Druck stehen dieselben Firmen, da sie minderwertiges Benzin produzieren – auch die schlechte Qualität des Treibstoffs ist ein Grund für die urbane Luftverschmutzung. Es gibt viel zu tun.
Und 1000 Ex-Schilder-Mieter von Frau Wang müssen jetzt mit mir in den Lotterietopf. Viel Glück!
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Professor Zhang kennt inzwischen jeder in China. Das ist jener Irrsinnige, der auf dem Dach eines Wohnturms am Rande Pekings wie ein Superböser in Actionfilmen ein heimliches, unsichtbares Reich aufgebaut hat – in sechs Jahren harter Handarbeit, mit Blick auf den See nebenan. Professor Zhang strebt sicher nicht die Weltherrschaft an von seinem Penthouse aus Villa, Steingarten und Gemüseäckern. Doch er gefährdet Statik und Erdbebensicherheit des Turms, und hat keine Genehmigung – und so muss sein gerade erst von lokalen Journalisten entdecktes Reich weichen, sagen Baubehörde und Polizei. (Findige Fans flogen vor dem Abriss nochmal schnell mit dem Helikopter über Zhangs Bauwerk, HIER das Video und Fotos dazu)
Doch inzwischen ist klar, dass Zhang beileibe kein Einzelfall ist – Dachbebauung ist offenbar auch anderswo hip. Während in Tokio die Kaufhäuser im Sommer Biergärten auf dem Dach installieren, baute ein Einkaufscenter in der südchinesischen Stadt Zhuzhou dort vier illegale Villen mit Garten (Fotos HIER). Effizienter mit ihrem Platz ging die Yongxing Investment & Construction Group in der Stadt Hengyang um, die 2009 gleich 25 Einzelhäuser auf ihr Einkaufsparadies stellte (siehe FOTOS), die ebenfalls jetzt erst entdeckt wurden. Beide Städte liegen in der Provinz Hunan – dort legen die Menschen wahrscheinlich inzwischen beim Einkaufen den Kopf in den Nacken um zu sehen, ob sich über ihrem Einkaufsdorado nicht eine zweite Welt verbirgt. Denn wer nimmt schon an, dass es nicht noch weit mehr Beispiele gibt – deren Bauherren sich jetzt ganz still verhalten. Denn diese Bauten sind illegal und sollen allesamt abgerissen werden. Professor Zhang hat aber offenbar noch etwas Zeit zum Durchatmen: Nach lokalen Presseberichten brauchen die Behörden für den Abriss seines luftigen Kunstgebirges erst mal eine Genehmigung.
Völlig legal ist indes die Kopie des weltberühmten Pekinger Himmelstempels, welche ein paar Distriktpolitiker in der Yangtse-Metropole Wuhan bauen lassen: Das dreistöckige kreisrunde Gebäude (nicht ganz so hübsch wie das Original, nur FAST) steht inmitten eines gigantischen neuen Friedhofs, den sich die Distriktgenossen umgerechnet schlappe 100 Millionen Euro kosten lassen. Eine Sprecherin der Wuhan Jinhui Company of Cultural and Ecological Gardens betonte, bei Friedhof und Himmelstempel-Fake handele sich um ein “ökologisches Projekt”, das den Tourismus fördere. Na dann. Tourismus oder zumindest Besucherzahlen fördern wollten wohl auch die Verantwortlichen des Zoos der Kleinstadt Luohe. In Ermangelung eines echten Exemplars gaben sie einfach eine Tibetdogge als Löwen aus. Ging ein Weilchen gut, aber dann bemerkten Besucher, dass das Tier im Löwenkäfig bellte. Es folgte ein Aufschrei im Internet. Zoodirektor Liu betonte, man habe doch nur der Dogge eines Freundes Unterschlupf geben wollen, während dieser im Urlaub sei. Die Löwen kämen bald zurück, nie habe man daran gedacht, die Menschen zu betrügen. Klare Sache. Nur befindet sich laut der “Beijinger Jugendzeitung” ein weiterer Hund im Wolfskäfig, sowie Füchse im Leopardengehege und Biberratten in der Schlangenhöhle.
Seit heute morgen ist es kühl draußen, leichter Frühdunst lag in der Luft und es riecht irgendwie anders. Sprich, der Herbst kommt und damit verschwinden solche Themen in der Versenkung. Schade. Heute steht Bo Xilai wegen Korruption vor Gericht, ein einstiger Politstar und Provinzfürst, dessen Frau kürzlich wegen Mordes an einem britischen Geschäftsmann verurteilt worde. Bekommt Bo die Todesstrafe? Bricht die Wirtschaft ein, welche Reformen plant denn nun die Kommunistische Partei jetzt im Herbst? Alles wichtige Fragen. Aber es wäre doch auch gut zu wissen, wie lange Zhangs Haus noch stehen bleiben darf. Und was seine Nachbarn sagen. Und ob die Biberratten auch Lius Freunden gehören. Und wieviele Zhangs oder Löwendoggen es noch so gibt im Land. Doch dafür hat jetzt wohl erstmal keiner mehr Zeit.
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Es gibt einen neuen Geschenkehit zum chinesischen Neujahrsfest: Atemmasken. Wo sonst vor allem rote Umschläge mit Geld oder edle Früchte und andere Speisen verschenkt werden, gehts jetzt auch um Dinge zur Förderung der Gesundheit. Seit Wochen hängt eine dicke Smogwolke über dem Land, und darüber freuen sich ein paar gewitzte Unternehmer, die ihre Masken gezielt zum Neujahrsfest in zwei Wochen anpreisen. So stellen zum Beispiel Apotheken die Masken, sonst irgendwo hinten im Lager platziert, nun vorn ins Schaufenster – gleich mit Werbung: Speziell gegen PM2,5, also Feinstaub, seien die Masken. PM2,5 – was in Deutschland Feinstaub heißt – ist auch in China heute das Hauptreizwort im Zusammenhang mit dem Smog. Auch teure Lufreiniger werden angepriesen, die sich früher kaum ein Mensch gekauft hätte.
Schon immer seien chinesische Geschäftsleute gut darin gewesen, aus Krisen prima Geschäftsideen zu generieren, schreibt die staatliche Zeitung China Daily (link). Für die derzeit zig Millionen Wanderarbeitern bevorstehende beschwerliche Eisenbahnreise in ihre Heimatdörfer zum Neujahrsfest dachte sich ein Unternehmer eine Art Schlafhaube aus. Sie sieht aus wie ein Kesselwärmer mit einem Loch zum Atmen um die Nase und Löchern über dem Kopf, in die man die Arme stecken und verschränken kann. Keine Ahnung, wer so schlafen kann. Aber besser als nichts, so ist es wohl. Im Laufe eines Skandals um Babymilchpulver Ende 2008 stiegen viele Firmen ganz schnell in den Milchpulver-Import ein. Und als ein Skandal um recyceltes Speiseöl für Aufregung sorgte, erfanden Unternehmer ein angebliches “Schmutzöl-Testpapier” und verdienten einen Haufen Geld damit.
Leider hat noch keiner eine Windmaschine erfunden. Vor drei Tagen blies ein steifer Nordwind aus Sibirien, und die Feinstaub-Werte lagen zack auf unter 50, dem Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation. Doch seither herrscht wieder Windstille, und alles wieder auf Anfang; die Werte schrauben sich ohne Wind sofort unerbittlich hoch. Ab 250 werden Aktivitäten im Freien eingeschränkt – zB alle Sportveranstaltungen unserer Kinder abgesagt. Heute morgen haben wir 425. Fast schon Routine in diesen Tagen.
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Für das Buch “Echt Wahr! Wie Journalisten Wirklichkeit erzählen” haben Studenten der Hamburg Media School (inzwischen sind sie Absolventen!) auch Interviews mit Korrespondenten des Weltreporter-Netzwerks geführt. In diesem Werkstattgespräch erzählte Janis Vougioukas Christina Lachnitt von seiner – manchmal ganz schön schwierigen – Arbeit in China.
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Keine Transparente, keine Sprechchöre. Eine kleine Demonstration, kaum als solche erkennbar. Nur ein paar Dutzend Menschen, die im Regen stehen. Selbst das ist zu viel: Die Journalisten auf dem Platz, darunter Janis Vougioukas, werden von der Polizei „eingesammelt“, wie der Korrespondent es später ausdrückt. „Das zeigt, wie nervös das Regime ist.“ Vougioukas lebt seit 2002 in Shanghai, berichtet aus Südostasien für den Stern. Mit Christina Lachnitt sprach er über die schwierigen Arbeitsbedingungen für ausländische Korrespondenten, mutige chinesische Kollegen – und warum er trotz allem gerne aus China berichtet: „Probleme machen die Arbeit für mich erst interessant.“
Herr Vougioukas, Sie sind im März 2011 in Shanghai bei einer Demonstration festgenommen worden. Was war da los?
Wenn Sie die Szene als Passant gesehen hätten, würden Sie vielleicht sagen: nichts. Vor einem Kaufhaus hatten sich etwa 50 Menschen versammelt, ohne Transparente. Sie gingen in dem Trubel auf der Straße fast unter, es war eine getarnte Demonstration. Dazu aufgerufen hatte eine Handvoll Aktivisten, die die Proteste aus der arabischen Welt nach China bringen wollten. Sie nannten das Jasminrevolution.
Wie sind Sie auf eine so dezente Meinungsäußerung aufmerksam geworden?
Die Polizei hatte alle ausländischen Journalisten angerufen und davor gewarnt, an dem betreffenden Wochenende in die Innenstadt zu gehen. Ich habe mit Kollegen gesprochen: Eigentlich war diese winzige Demonstration kein Thema für uns, wir wollten gar nicht berichten. Aber wenn die Polizei uns extra anruft, ist es unsere journalistische Pflicht, hinzugehen und aufzuschreiben, was passiert.
Der große Bruder hat Sie also selbst darauf gestoßen?
Die Reaktionen auf die Jasminrevolution waren absurd. Die Polizei ging zu Tee- und Blumenhändlern und sagte: Ihr dürft keinen Jasmintee, keine Jasminsträucher verkaufen! Es war wie bei Orwell: Die Regierung versuchte das Wort Jasmin zu eliminieren, um den Menschen ihr revolutionäres Gedankengut auszutreiben. Schon lange kursierte im Internet ein lustiges Video von Premierminister Wen Jiabao, aufgenommen bei einer Afrikareise. Er sang ein Lied, in dem eine Jasminblume vorkam. Das wollte die Regierung dann löschen.
Wo haben die Polizisten Sie hingebracht?
In einen unterirdischen Bunker, der vermutlich extra für diesen Zweck eingerichtet wurde. Aber, in China festgenommen zu werden ist für uns Korrespondenten nicht so schlimm, wie es klingt. Mir wurden nicht mal Handschellen angelegt, ich bin auch noch nie gefoltert worden. Die Festnahme hatte auch keine spürbaren Konsequenzen. Ich kannte ja die meisten der Polizisten und mit mir wurden ein Dutzend andere Journalisten festgenommen.
Und die Demonstranten?
Einige sind zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Darunter auch ein Anfang 20-Jähriger, der mit Twitter-Posts zu dieser Demonstration aufgerufen hatte.
Das ist hart.
Die harsche Reaktion zeigt, wie überrascht und besorgt die Regierung war. Kurz zuvor war ein Bloomberg-Kameramann krankenhausreif geschlagen worden. Vermieter wurden gedrängt, keine Journalisten mehr einzuquartieren. Die Familie der Freundin eines Kollegen wurde unter Druck gesetzt, damit er nicht über diese Demonstration berichtet. Das sind doch schon Gestapo-Methoden. Es gibt zwar auch sonst immer wieder Demonstrationen, aber sie richten sich gegen ein Chemiewerk oder einen korrupten Beamten. Nie gegen das System generell, das hat es seit dem Massaker auf dem Tian’anmen-Platz nicht mehr gegeben.
In Ihrem Pass steht auf Chinesisch „Journalist“ – gelten Sie dadurch als Staatsfeind?
Nein, nicht automatisch. Aber jedes Hotel, in das man eincheckt, muss das Visum kopieren und an die Sicherheitsbehörden faxen. Wir müssen sogar den Pass vorzeigen, um ein Zugticket zu kaufen. Man kann kaum unentdeckt reisen, fällt überall sofort auf. Ausländische Fernsehteams schicken deshalb oft Chinesen mit Kameras los.
Trotzdem gibt es immer wieder Festnahmen.
Ja, das passiert regelmäßig. Aber uns Korrespondenten kann ja nicht viel passieren. Die größte Gefahr besteht für unsere chinesischen Interviewpartner. Um die muss man sich am meisten sorgen.
Wie schützen Sie Ihre Interviewpartner?
Viele ahnen gar nicht, in welcher Gefahr sie sich befinden, wenn sie mit ausländischen Journalisten sprechen. Bauern oder Enteignete, zum Beispiel. Da ändern wir die Namen. Wenn man aber Ai Weiwei spricht, ist das natürlich etwas anderes.
Bekommen Sie Auflagen vom Staat? Oder gibt es ungeschriebene Gesetze?
Es gibt geschriebene und ungeschriebene Gesetze, die sich mit der Zeit geändert haben. Früher mussten wir jede Inlandsreise genehmigen lassen. Das war absurd. Einmal wollte ich nach Südchina in einen Freizeitpark fahren, für eine Geschichte mit dem Arbeitstitel „Die Chinesen entdecken den Urlaub“. Nach zwei Wochen hatte ich noch immer keine Genehmigung. Damals habe ich beschlossen, diese Regel zu ignorieren. Doch genau das ist die Idee dahinter: Wer gegen Regeln verstößt, gegen den kann die Regierung jederzeit vorgehen. Seit den Olympischen Spielen brauchen wir für Inlandsreisen keine Zustimmung der Regierung mehr und auch keine Begleiter. Das ist allerdings die einzige Regel, die sich gebessert hat. Sonst ist vieles immer komplizierter geworden.
Was zum Beispiel?
Unsere chinesischen Mitarbeiter werden stärker unter Druck gesetzt, öfter als früher von der Geheimpolizei zu Gesprächen eingeladen. Wenn sie gegen Regeln verstoßen, kommen sie auf eine schwarze Liste und werden es schwer haben, einen anderen Job im Mediensektor zu finden. Und das Internet ist ohne Tricks für Recherchen eigentlich nicht mehr zu gebrauchen. Ohne Virtuelle Privatnetzwerke, sogenannte VPNs, mit denen man Firewalls umgehen kann, läuft gar nichts. Ausländische Webseiten wie Google oder Facebook hat China längst ausgehebelt, indem chinesische Plagiate gegründet wurden. Die haben eine moderne Webseite, zensieren sich aber selbst und stehen unter der Fuchtel der Regierung.
Werden Sie abgehört?
Manchmal bekommt man durch Zufall mit, wie viel die Sicherheitsbehörden über einen wissen. Ich bin vor ein paar Jahren in Shanghai umgezogen und habe deshalb mit zwei, drei Maklern gesprochen. Dann bekam ich einen Anruf von dem Herrn, der sonst mein Visum verlängert. Er sagte mir: „Ich nehme an Sie wissen, dass Sie uns das melden müssen, wenn Sie umziehen.“ Um das zu wissen, muss er meine Telefonate mitgehört haben.
Haben Sie denn das Gefühl, in einer Diktatur zu leben?
China ist das anarchistischste Land überhaupt. Ein Kollege hat mal geschrieben: „Es gibt in China nicht einen Diktator, sondern Zehntausende!“ Das beschreibt die Situation ganz gut. Denn jeder Straßenpolizist, jeder Dorfbürgermeister, jeder kleine Beamte hat eine ganz eigene Vorstellung von Gesetzen und Vorschriften. Viele denken vor allem an die eigene Tasche, nicht an das Wohl des Staates. Es gibt keine Rechtssicherheit. Man kann sich auf keine Vorschrift, auf kein Gesetz verlassen. Das hat wirklich anarchische Züge. Viele Europäer haben da ein ganz falsches Bild.
Sie beschreiben in Ihrem Buch „Wenn Mao das wüsste“ das neue China. Was darf Mao nicht wissen?
China ist aggressiver im Kapitalismus und in der Verfolgung von materiellen Zielen als die meisten anderen Länder der Welt. Mao wäre davon schockiert. Wobei er das wahre China ohnehin nicht kannte: Weil er Flugangst hatte, fuhr er mit dem Zug. Die Behörden sorgten dann gerne dafür, dass wohlgenährte Bauern und Bäuerinnen mit Ährenbüscheln neben den Gleisen standen. So wie wir es von Propagandapostern kennen.
Wenn Sie Berichte über China in Deutschland lesen: Wird die Wirklichkeit so abgebildet, wie Sie sie erleben?
Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe des Journalismus ist, die Wirklichkeit abzubilden. Nachrichten sind Abweichungen vom Alltag. Wenn ein Flugzeug abstürzt und wir berichten darüber, ist das nur ein Ausschnitt der Realität. Die meisten Flugzeuge kommen heil an. Als 2010 die Unruhen in Bangkok waren, haben wir über die Straßen berichtet, in denen geschossen wurde, in denen Menschen in ihrem Blut lagen. Gleichzeitig konnte man an 99 Prozent der thailändischen Strände völlig unbehelligt Urlaub machen. Den Lesern ist oft nicht klar, dass sie nur einen Ausschnitt betrachten. Das gilt auch für China.
Inwiefern?
Es stimmt, dass viele Menschen in China unzufrieden sind. Sie ärgern sich vielleicht über Korruption, teure Lebensmittel oder Inflation. Aber die meisten wollen keine andere Regierung. Nur wenige träumen von einem Systemwechsel, von so etwas wie Montagsdemonstrationen. Sie wollen keine Demokratie, sondern einfach nur Verbesserungen in der Partei. Sie haben Angst vor Unordnung. Die Partei ist für viele noch immer ein Garant für Stabilität. Nicht planen zu können, das ist für viele Chinesen eine Horrorvorstellung. Für mich ist aber wichtig, wie die Regierung die Menschen behandelt, die sich gegen sie stellen. Es die Aufgabe der Journalisten, auf diese ein oder zwei Prozent der Bevölkerung zu schauen.
China steht auf Platz 171 des Pressefreiheits-Index der Organisation Reporter ohne Grenzen. Noch schlechter werden nur sieben Länder eingestuft, unter anderem Nordkorea und Iran. Wie kommen Sie denn an Ihre Informationen?
Das ist oft unglaublich schwierig, selbst wenn es nur darum geht, wie viele T-Shirts oder Feuerwerkskörper in China hergestellt werden. Man muss immer noch Faxe schicken. Diese Beantragungsfaxe sind oft länger als der Text, der am Ende gedruckt wird. Es gibt meist keine Pressesprecher. Und wenn es sie gibt, sehen sie ihre Rolle nicht darin zu kommunizieren, sondern zu verhindern. Ich habe mich bewusst für Shanghai als Wohnort entschieden, obwohl die Stadt nicht das politische Zentrum Chinas ist. Aber das ist letztlich egal, weil man in Peking genauso weit von der Politik entfernt ist. Das ist wie früher die Kreml-Astrologie in Moskau. Wir könnten auch den Kaffee- oder in China vermutlich besser den Teesatz lesen und uns überlegen, was die Regierung entscheidet. Immerhin denken inzwischen nicht mehr alle Chinesen: Oh, ein ausländischer Journalist, der ist sicher ein Spion! Sie haben sich ein bisschen an Korrespondenten gewöhnt.
Worüber würden Sie gerne berichten, bekommen aber keinen Einblick?
Kein Journalist hat je einen echten Einblick in das chinesische Weltraumprogramm bekommen. Genauso ist es völlig unmöglich, eine Hintergrundgeschichte zur Volksbefreiungsarmee zu machen. Da kommt man einfach nicht weiter. Man merkt bei der journalistischen Arbeit, dass China noch ein Entwicklungsland ist. Das sehen viele deutsche Firmen oft nicht, die hierher kommen.
Wie ist die Lage für chinesische Journalisten?
Sie sind angehalten, positiv zu berichten. Das macht die Medien hier ziemlich langweilig, die Fernsehnachrichten sind unerträglich. Mir tun die Leute leid, die diesen Job machen müssen. Doch auch die chinesischen Medien müssen Gewinne erwirtschaften – und das geht nur mit gutem Journalismus. Es wird langsam besser.
Das heißt, die Kollegen trauen sich inzwischen mehr?
Es gibt immer mehr mutige Journalisten, die die Grenzen des Systems ausreizen, so weit es geht. Da gelten viele ungeschriebene Gesetze. Eins der wichtigsten ist: Wenn du einen Skandal aufdeckst, überlege gut, wen du angreifst. Je näher eine Person an der Zentralregierung ist, desto schwieriger wird es, über einen Skandal zu berichten. Ein echtes Problem ist auch der vorauseilende Gehorsam vieler Medien, die Selbstzensur. Weil die Regeln nicht klar sind, versuchen sie, vorwegzunehmen: Was könnte zensiert werden?
Gilt das für alle Themen – oder nur für die Politik?
Vor zwei Jahren hat in Shanghai ein Hochhaus gebrannt, Dutzende von Menschen starben. Ich dachte wirklich, dass über ein solches Thema offen berichtet werden kann. Doch dann kamen viele Missstände ans Licht: Die Feuerwehr hat, obwohl die Innenstadt hier längst aussieht wie ein Bambuswald aus Hochhäusern, keine Pumpen, mit denen sie über den 5. oder 6. Stock hinauskommt. Dann ist bekannt geworden, dass die ursprünglich vom Bauherrn beauftragte Firma den Auftrag an einen Subunternehmer weitergegeben hatte. Der wiederum an einen anderen. Das Ganze ist sechs Mal passiert. Viele der Firmen waren mit dem Staat verbandelt. Deshalb hat die Regierung das Thema dann strikt kontrolliert.
Trotz allem scheinen Sie gerne aus China zu berichten. Sie leben dort seit mehr als zehn Jahren. Warum?
Bevor ich nach China kam, habe ich in der politischen Berichterstattung in Bayern gearbeitet, das war oft frustrierend – und das genaue Gegenteil. Allein dieses Gefühl, an einem Ort zu sein, an dem Weltgeschichte geschrieben wird! Ich konnte in den letzten Jahren das größte Privatisierungsprogramm der Welt beobachten. Dabei zusehen, wie 250 Millionen Menschen aus der Armut gehoben wurden. Wie ein ganzes Land nach vorne drängt, an die Weltspitze. Und dabei versucht, seine Probleme in den Griff zu bekommen. Mir gefällt das dynamische Chaos in China und Probleme machen die Arbeit ja auch interessant. Ich habe mich hier noch keinen einzigen Tag gelangweilt.
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Alle wissen ja, dass in Amerika heute gewählt wird. Aber fast genau zeitgleich findet auch in China ein Machtwechsel statt. Von Wahl kann man hier zwar nicht sprechen. Ausgekungelt wurden die neuen Parteichefs in den Hinterzimmern der Kommunistischen Partei. Verkündet werden die neuen Miltglieder des engsten Machtzirkels – dem Ständigen Ausschuss des Politbüros der KPCh – auf dem am Donnerstag beginnenden Parteitag. Der findet nur alle fünf Jahre statt. Und deshalb ist es auch etwas Besonderes, dass die Großmacht USA und die Vielleicht-Bald-Großmacht China mit nur wenigen Tagen Abstand beide ihre politische Spitze zur Disposition stellen oder austauschen. Zum letzten Mal fanden US-Präsidentenwahl und KPCh-Parteitag im Jahr 1992 zeitgleich statt. Damals siegte in den USA Bill Clinton. In China war aber – drei Jahre nach der Niederschlagung der Tiananmen-Proteste – an einen Stabswechsel garnicht zu denken. Der damalige Parteichef und Präsident Jiang Zemin war gerade erst drei Jahre an der Macht und auf dem Parteitreffen eher dabei, diese zu konsolidieren. In den achtziger Jahren wechselten sich zwar einige Parteichefs ab, doch der starke Mann war der alte Reformpatriarch Deng Xiaoping. Und davor herrschten Mao und zumeist auch das Chaos.
Klar, der Spaß an einem solchen zeitlichen Zusammentreffen ist vor allem was für eingefleischte Politjunkies. Denn wahrscheinlich wird sich zwischen beiden Staaten gar nicht viel ändern – auch wenn der voraussichtliche neue KP-Chef und Präsident Xi Jinping am Ruder ist, und dann beim nächsten Gipfel entweder Obama oder Romney die Hand schüttelt. Die bilateralen Beziehungen der beiden Staaten gelten als die wichtigsten der Welt, und sie sind trotz regelmäßiger Spannungen und gelegentlichem Misstrauen eigentlich stabil.
Wie sehr die Amerikaner den chinesischen Stabwechsel in der Partei beobachten, ist von Peking aus schwer zu sagen. Aber die Chinesen schauen genau auf die USA. Die Debatten standen auf chinesischen Video-Plattformen. Obama sorgte auch hier 2008 für eine gewisse Aufregung. Seit damals gibt es auf Klamottenmärkten T-Shirts mit Obama im Mao-Käppi. Oder Autoaufkleber wie diesen hier:
Schickaniere mich nicht, steht da drauf: Mein Großer Bruder ist OBAMA.
Viele Chinese interessieren sich gar mehr für die US-Wahl als für den Generationswechsel daheim. Mehr Farbe, es fliegen die Fetzen in einem öffentlichen Wahlkampf, und ja überhaupt, man kann eben etwas auswählen. Zumindest Chinas Netizens haben dabei ähnliche Vorlieben wie die meisten Europäer Bei einer Umfrage des Microblogs Weibo führte Obama innerhalb von zwei Tagen mit 7:1.
Chinas Staatsmedien meckern derweil, denn beide Kandidaten prügeln auf China ein – das so genannte China-Bashing hat im US-Wahlkampf Tradition. Besonders kernig gibt sich Mitt Romney, der China gleich am ersten Amtstag als Präsident zum Währungsmanipulator abstempeln will. Angst vor Romney? Ach wo. Man müsse Romneys Parolen nicht beim Wort nehmen, glaubt Shen Dingli, Direktor des Zentrums für Amerikastudien an der Shanghaier Fudan-Universität. „Romney wird das gleiche tun wie Clinton, Bush oder Obama“, so Shen. Sprich: Nach dem Wahlkampfgetöse die Politik auf das übliche Lautstärke herunterfahren.
In den USA laufen jetzt die letzen Stunden vor der Wahl. In Peking ist die Stadt noch zwei Tage im Warte- und Ausnahmezustand. Patrouillen suchen die Stadt ab nach reaktionären Slogans, die Polizei lässt stadtbekannte Dissidenten nicht aus den Augen. Überhaupt stehen überall Polizisten. Und selbst Taxifahrer haben genaue Anweisungen: Weiträumig umfahren sollten sie den Tagungsort am Platz des Himmlischen Friedens, und darauf achten, dass Fahrgäste keine Anti-KP-Parolen an ihrem Auto befestigen. Auch dürfen sie niemanden mitnehmen, der irgendeine Art von Ball transportiert. Es könnte ja sein, dass der Fahrgast Tischtennisbälle mit subversiven Botschaften aus dem Auto wirft. Daher müssen die Fahrer die Fensterscheiben auf den Rücksitzen blockieren. In China wird eben nichts dem Zufall überlassen.
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Zensoren verstehen keinen Spaß. Oder lassen sich nicht vergackeiern. Was letztlich aufs Gleiche hinausläuft. Als jedenfalls der Künstler Ai Weiwei, derzeit Chinas bekanntester Regimekritiker, eine selbst gedrehte Persiflage des koreanischen Superhits Gangnam Style (link hier) ins Netz stellte, reagierten sie prompt. Binnen Stunden war das Video des Pferdetanzes a la Ai von der lokalen Filmwebsite Tudou verschwunden. Auf Youtube steht es noch (link hier), die Seite ist in China allerdings seit Jahren ohnehin blockiert.
Der Nachrichtenagentur AP sagte Ai, er habe das Video doch nur gemacht um einen Rockstar-Freund aufzuheitern, dessen Wohnhaus abgerissen werde um Platz für ein Naubaugebiet zu machen. Humor helfe gegen die Frustration der Menschen: “Ständig wird uns unsere Fröhlichkeit genommen, unsere Häuser abgerissen, wir werden dauernd kontrolliert, und all das hat Einfluss auf unsere Fröhlichkeit.” Im pinken T-Shirt reitet der vollschlanke Ai also mit Freunden durch seinen Hof, zwischen eingeblendeten Teilen aus dem Original des Südkoreaners PSY. Aber dann holt er während des Pferdetanzes irgendwann eine Handschelle aus der schwarzen Jacke und im Gangnam Style schwingt sie wie ein Lasso.
Klar, das ist mehr als nur Happiness. Das haben die Zensoren blitzschnell durchschaut. Wenn Ai Weiwei etwas macht, dann wittern sie ohnehin sofort Unbill.
Aber vielleicht sollten sie sich freuen, dass weder Ai noch andere bisher über ihren Präsidenten Hu Jintao etwas produzierten wie Kim Jong Style (link hier) – eine Gangnam-Parodie auf den jungen Diktator Nordkoreas: Darin tanzt ein Kim Jong Un-Impersonator mit Haarteil und Kommunistenanzug zwischen Pferden oder uniformierten Schönheiten herum, und hängt an einer gerade abgeschossenen Rakete: “Hey, unser einziger Export sind Atomtests”. Später sitzt “Kim” nackt mit Sonnenbrille in der Badewanne und lässt sich eine Dame bringen, die seine Zehen ablutschen soll.
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Da für viele Deutsche eine Nachricht ja kaum stattfindet, wenn sie nicht in der Tagesschau verkündet wird, freue ich mich natürlich immer besonders, wenn Taiwan mal den Weg ins Allerheiligste der ARD schafft, die 20-Uhr-Ausgabe.
Die Präsidentenwahlen im Januar waren wieder so ein Anlass. In einer 25-Sekündigen NiF (Nachricht im Film) wurde die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten gemeldet. Von dem Wahlkampf oder den unterschiedlichen Konzepten, die auf dem Spiel standen, konnte auch der treueste Tagesschau-Seher in den Wochen zuvor freilich nichts erfahren.
Hier lässt sich die Sendung online ansehen.
Und auch für diesen Kurzbeitrag ist kein ARD-Reporter nach Taiwan gekommen, hat kein deutscher Kameramann auch nur einen Finger rühren müssen. Sie wurde aus Feed-Material zusammengeschnitten, das allen Sender international zur Verfügung gestellt wird. Weder ARD noch ZDF waren vor Ort präsent, als die Menschen in der einzigen Demokratie der chinesisch-sprachigen Welt getan haben, was in China undenkbar ist: Ihre Regierung frei zu wählen. Bei den Wahlen vor vier Jahren war das anders, aber da hatten Unruhen in Tibet auch gerade für offene Brisanz gesorgt.
Weil sich in 25 Sekunden die Bedeutung dieser Wahlen nun mal nicht abhandeln lässt, habe ich kürzlich die Gelegenheit genutzt, bei einem Vortrag in Hamburg Taiwans Wahlkampf Revue passieren zu lassen, die bestimmenden Themen vorzustellen und einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. So läuft etwa in Sachen Taiwan derzeit fast alles im Sinne der erklärten Politik des scheidenden chinesischen Präsidenten Hu Jintao.
Meine Vortrags-Folien samt Videos von Wahlkampf-Kundgebungen und der Stimmabgabe stehen drüben bei mir im Blog: Wahlen 2012 in Taiwan
Was macht Taiwan so besonders, und wie lebt es sich in der einzigen Demokratie, in der Chinesisch Landessprache ist? Über meinen ungewöhnlichen Alltag habe ich ein kleines Buch geschrieben und mit vielen Fotos garniert.
Sie können einen Blick in mein Buch über das Leben in Taiwan werfen und es bestellen – gedruckt oder als e-Book im EPUB-Format für weniger als vier Euro.
Klaus Bardenhagen berichtet seit 2009 aus Taiwan. Erfahren Sie mehr unter taiwanreporter.de oder folgen Sie ihm per Facebook und Twitter.
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Als schlimmste Katastrophe in ihrer Geschichte sollen die Vereinten Nationen das Erdbeben in Haiti bezeichnet haben – zumindest meldeten das diverse deutsche Nachrichtensender. „Das Erdbeben von Haiti ist die schlimmste Katastrophe, die wir je hatten“, erklärte auch ein Unternehmer aus Süddeutschland publikumswirksam bei einer Fernsehbenefizveranstaltung vergangene Woche. „Deswegen müssen wir auch mehr spenden als bisher, viel mehr als zum Beispiel beim Tsunami.“
Das Erdebeben von Haiti ist eine schreckliche, erschütternde, folgenreiche Katastrophe. Aber woran lässt sich wohl messen, dass diese nun die schlimmste aller Zeiten sein soll? An den Zahlen der Toten? Zur Erinnerung: Bei dem verheerenden Tsunami, der vor fünf Jahren ganze Regionen von mindestens fünf Staaten zugleich verwüstet hatte, starben allein in der indonesischen Provinz Aceh mehr als 160.000 Menschen. Oder lässt sich eine Katastrophe an der Stärke der Zerstörung messen? Doch mit welchem Maß?
Während die Bilder aus Haiti uns ganze Städte als elende Trümmerfelder zeigen, gab es zum Beispiel aus Aceh in der ersten Woche nach dem Tsunami so gut wie keine Aufnahmen. Weil weder Technik noch Menschen da waren, diese Bilder zu liefern. Und als sie dann endlich bei uns ankamen, sahen wir häufig vor allem eines: gähnende Leere. Denn in vielen Dörfern, die vom Tsunami zerstört wurden, existierte einfach gar nichts mehr. Keine Häuser, keine Bäume, keine Menschen. Die wenigen Überlebenden sammelten sich traumatisiert in Lagern. Was ist also schlimmer – ein Trümmerfeld oder das Nichts?
Wenn Medien Katastrophen in dieser Weise kategorisieren, prägen sie das Denken (und den Spendenwillen!) von Millionen von Menschen – oft ohne die Realitäten vor Ort wirklich vergleichen zu können. Das ist unverantwortlich. Was ist mit den Erdbeben, bei dem 2005 in Pakistan mehr als 50.000 Menschen ihr Leben verloren und 2,5 Millionen Obdachlose im eisigen Winter überleben mussten? Was mit dem schlimmen Beben in der chinesischen Provinz Sichuan im Jahr 2008, bei dem 80.000 Menschen umkamen und 5,8 Millionen obdachlos wurden? Warum gab es für diese Katastrophen weniger aufwändige Spendengalen als für Haiti oder die Tsunamiopfer? Nun, die Opfer in Pakistan waren Muslime und die Chinesen sind uns sowieso irgendwie fremd – könnte man nun frotzeln. Die Medienrealität dürfte sich allerdings auch danach gerichtet haben, dass das Erdbebengebiet in Pakistan, weil im verschneiten Bergland, nur sehr schwer zugänglich war – und dass die Behörden in China die Arbeit ausländischer Journalisten nicht gerade unterstützt haben.
Natürlich gönne ich den Haitianern den Spendensegen, der sie hoffentlich auch irgendwann einmal in vollem Umfang erreichen wird. Aber irgendwie lässt mich der Gedanke nicht los, dass die globale Aufmerksamkeit für den kleinen Inselstaat sehr viel mit den politischen Interessen diverser Großmächte zu tun hat – und damit, dass sich Medien und NGOs in dem so gut wir führungslosen Staat vermutlich mit weniger Restriktionen und Vorurteilen herumschlagen müssen als etwa in China, Indonesien oder Pakistan. Eines muss man den Vereinten Nationen aber wohl zugestehen: Vermutlich haben sie bisher bei keiner Katastrophe in ihrer Geschichte so viele Opfer aus den eigenen Reihen beklagen müssen wie auf Haiti.
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Zwei Tage lang sah es so aus, als käme Taifun Megi nach Hongkong. Die Prognosen auf den Wetterkarten ließen keinen Zweifel zu. Den Hongkongern wurde das Herz schwer.
Ein Super-Taifun, hieß es in der Presse. Der schlimmste seit vielen Jahren. Mit seinem Auge direkt über der Stadt! Hongkongs Katrina!! 225 km/h!!! Zeitungen zeigten Verwüstungsfotos vom letzten „direct hit“ eines Taifuns 1979 und vom ganz schlimmen 1962, als über 100 Menschen starben.
Irgendwann begriff ich, dass das wohl berichtenswert wäre. Eine freudige Erregung machte sich breit. Nicht dass ich den Hongkongern eine Katrina wünschen würde. Aber ich sah mich schon in meiner wind- und sinftlutumtosten Wohnung souverän Live-Gespräche mit Radio- und TV-Sendern führen, nebenbei mit einer Hand das Fenster gegen den Druck von außen zuhaltend. Ich sah mich mit Mikrofon durch menschenleere Straßenfluchten hechten, immer im letzten Moment den umherfliegenden Objekten ausweichend. Ich sah mich am Tag danach bei der Pressekonferenz der Stadtregierung kritische Fragen zum Katastrophenschutz stellen. Ich sah mich schon ganz groß rauskommen. Und dann das:
Und DAS!!!
Megi bog ab. Stunde für Stunde wurden die Verlaufsprognosen korrigiert. Stunde für Stunde rückte Megi weiter nach Osten, weg von Hongkong. Da saßen wir nun mit unserer aufgeputschten Katastrophenstimmung und sahen die Katastrophe davonziehen! Das war eine Art Enttäuschung, wie ein Advent ohne Weihnachten, nur in Gruselform. Während ich hier schreibe, hätte Megi draußen wüten sollen. Ich habe heute keine journalistischen Heldentaten vollbracht, sondern im Sonnenschein Kaffee getrunken.
Am Ende hat Megi dann in Fujian und Taiwan gewütet. Dort sind mehrere Menschen bei Erdrutschen ums Leben gekommen. Taifune sind nichts zum Drauffreuen.
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Ich bin umgezogen. Die alte Wohnung hatte zu viele Busse vor dem Fenster (Radioaufnahmen im Kleiderschrank), keinen Blick, lag in der falschen Gegend. Die neue Wohnung ist ruhig, mit Hongkong-Blick, liegt in einer schönen Gegend. Ein guter Tausch. Doch wie immer im Leben zahlt man für alles einen Preis: Die neue Wohnung ist nur noch halb so groß wie die alte. Deshalb brauche ich jetzt zusätzlich ein Büro, weil ich sonst zu Hause die Wände hochgehe oder in den schönen Ausblick hineinspringe.
Bürosuche in Hongkong ist kein schönes Unterfangen. Die Stadt kennt die teuersten Büromieten der Welt. Wenn ich die Preise sehe, quält mich wieder der Verdacht, dass Hongkong vielleicht doch kein guter Standort für einen freiberuflichen Journalisten ist.
Ein Schreibtisch in einem Gemeinschaftsbüro: 420 Euro im Monat
Ein 8qm-Raum ohne Fenster: 600 Euro
Ein 40qm-Raum, hell und schön: 2000 Euro
Es geht auch billiger. Doch die erschwinglichen Büros haben zu viele Busse vor dem Fenster, keinen Blick, liegen in der falschen Gegend. Hmm!
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China stellt wieder mal einen neuen Rekord auf. Nein, es geht weder darum der schnellstwachsende Markt für Autos zu werden, die meisten Jasmintee-Trinker zu haben oder die größte Zahl unter den Top 20 der dreckigsten Städte der Welt. Nein, China is dabei, den größten Stau der Welt zu bilden (Fotos hier).
Auf der Nationalen Landstraße G110 von Tibet über die Innere Mongolei Richtung Peking stauen sich zwischen den Städten Jining und Huai’an seit Mitte August wegen Bauarbeiten Zigtausende Laster und Autos. Tempo: Rund ein Kilometer pro Stunde. Nichts geht mehr, und der Stau soll bereits mehr als 100 Kilometer lang sein. Wann er sich auflöst weiß niemand. Das Parteiorgan Volkszeitung zitiert Verkehrsbeamte mit der Vermutung, bis Mitte September werde es wohl schon noch dauern.
Einen Monat lang im Stau? Das würde wohl jeden guten deutschen Autofahrer zum Steinewerfer werden lassen oder ihn in den Herzinfarkt treiben. Heiß ist es an der Strecke – der Stau befindet sich in der Halbwüste kurz vor den Toren der Hauptstadt Peking.
Die Landschaft dort ist spektakulär, aber es ist trocken und staubig. Schatten gibt es kaum. Über die Landstraße G 110 sowie die parallele Autobahn quälen sich seit Jahren Laster, voll bis zum Rand mit Kohle für die Hauptstadt. Derzeit kommen viele Obstlaster hinzu. Die Straße, die unter all den – teils deutlich überladenen – Lastern Dellen bildete, muss repariert werden – und das erzeugte nun das Chaos.
Doch Gewaltausbrüche oder Schreiduelle bleiben in der Staubwüste bisher aus. Während das Fahren auf vollen Autobahnen ebenso wie Anstehen an Ticketschaltern oder das Besteigen eines Busses in der Rush-Hour in China oftmals irgendwo zwischen Drängelwettbewerb und Nahkampf anzusiedeln ist, üben sich die meisten Chinesen in Krisensituationen in beeindruckendem Gleichmut. Was nicht zu ändern ist, ist nicht zu ändern. Also finden die Trucker neue Freunde im Stau. Sie spielen zusammen Karten auf dem Asphalt. Sie halten Mittagschläfchen – unter ihren Lastern, weil es dort kühler ist. Sie waschen sich am Straßenrand. Klagen hagelt es nur über die Bauern der Gegend, die einen Reibach machen, indem sie den Fahrern Wasser, Reisgerichte oder Instant-Nudeln verkaufen, viermal so teuer wie im Supermarkt. Umwege fahren wollen die meisten nicht. Das kostet Benzin und zusätzliche Mautgebühren, sagen sie. Also lieber abwarten und Tee oder ein Bierchen trinken.
Ob es ihnen hilft, dass sie alle gemeinsam an einem Weltrekord arbeiten? Ob sie das überhaupt wissen? Das Guiness-Buch der Rekorde verzeichnet bisher einen 176 Kilometer langen Stau zwischen Paris und Lyon als längsten der Welt. Doch das wird der Stau von Jining doch locker aushebeln können. Und einen Monat lang Stau ist für sich schon ein Rekord. Also weiter so! Augen zu und durch!
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Schnöselige Hongkong-Bewohner aus dem westlichen Ausland (=Expats) bezeichnen Hongkong immer mal wieder gern als „cultural desert“, als Kulturwüste, wo allein – pfui – das Geld regiere und die künsterlischen Darbietungen nicht einmal europäisches Kleinstadtniveau erreichten. Ich muss zugeben, selbst ohne schnöselig zu sein, bereitet einem das Hongkonger Kulturleben Kopfschmerzen, etwa wenn man angestrengt nachdenkt, was man denn abends unternehmen könnte. Das Kinoprogramm beschränkt sich nahezu auf US- oder chinesische Blockbuster. Klassische Konzerte sind, sofern keine internationalen Stars eingeflogen werden, ziemlich schlecht und trotzdem teuer. Die Ballett-Truppe au weia. Kunstausstellungen sind rar oder irrelevant. Und die Subkultur steckt noch in den Babyschuhen. Hongkong ist nicht Tokio.
Doch das soll jetzt alles anders werden, auf einen Schlag. Hongkong baut den West Kowloon Cultural District und will sich damit auf die Weltkarte der Kulturstädte hieven. Das Projekt ist ehrgeizig: Zwei Milliarden Euro für ein ganzes Kulturviertel mit einem Museum für zeitgenössische Kunst, mehreren Theatern, Konzertsälen und sonstigen Bühnen. Die Stadt hat den früheren künstlerischen Direktor des Londoner Barbican, Graham Sheffield, eingekauft. Er soll das Ganze leiten. Hongkong klotzt, zunächst einmal auch baulich.
Das neue Kulturviertel entsteht auf aufgeschüttetem Land an der Einfahrt zum Victoria Harbour, der Wasserstraße zwischen den beiden Stadthälften Hong Kong Island und Kowloon. Exponierter geht es kaum:
Dieser Bauplatz schreit geradezu nach Spektakel-Architektur à la Sydney-Oper. Jetzt haben die drei Finalisten ihre Entwürfe vorgestellt: Norman Foster, Rem Koolhaas und der Hongkonger Rocco Yim Sen-kee. Entschieden wird Anfang des kommenden Jahres.
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In periodischen Abständen überkommt mich plötzlich das Gefühl, mein Mandarin verbessern zu müssen. Das sind die Momente, in denen ich einen Flug nach Shijiazhuang (Genau! Eine von diesen chinesischen Millionenstädten, von denen man noch nicht mal den Namen kennt) buche. In Shijiazhuang gibt es eine kleine Sprachschule, die ausschließlich im Einzelunterricht Ausländern Chinesisch beibringt. Sie ist so etwas wie ein Geheimtipp, weil die meisten Ausländer nicht über Peking und Shanghai hinausdenken, wo es eine große Sprachschulindustrie gibt.
Das Beste an der Schule ist natürlich, dass ich dort immer viel lerne. Das Zweitbeste sind die anderen Sprachschüler. Wer in Shijiazhuang lernt, der will es wirklich wissen, der will leiden. Hier ein paar Beispiele von meinem jüngsten Aufenthalt.
Der Doktor: Schräger, in sich gekehrter Arzt aus den USA. Er bleibt ein ganzes Jahr in Shijiazhuang, also ein Jahr Einzelunterricht, und wiederholt 400 Schriftzeichen pro Tag. Alle im Aufenthaltsraum raunen bewundernd. Sein gesprochenes Mandarin ist dafür eigentümlich holperig. Nach dem Jahr will er zurück in seinen Job nach Amerika. Wozu er Chinesisch lernt, weiß niemand, auch er nicht.
Der Chilene: Ein 27-jähriger im Hongkonger Büro einer US-Kanzlei arbeitender Junganwalt (Finanzbranche) mit 250.000 US-Dollar Monatsgehalt. Temporär freigestellt. Auch er will ein Jahr in Shijiazhuang bleiben. Ein netter Kerl, der allerdings mit seiner Entscheidung hadert. Er findet die Frauen dort so furchtbar hässlich. Ohne Frauen geht es aber auch nicht. Also fliegt er regelmäßig übers Wochenende nach Hongkong. Chinesisch wird ihm bei der Karriere helfen, hofft er.
Der Krisengeschüttelte: Ein Mittfünfziger aus Miami, der alles verloren hat: Job, Frau, Vermögen, Lebensmut. Erst wurde er Alkoholiker, dann beschloss er, lieber schnell Mandarin zu lernen, um sich was Neues als Einkäufer in China aufzubauen. Er bleibt drei Wochen und hat es gern sauber. Bei seiner Gastfamilie putzt er nachts heimlich die Toilette.
Der Grönländer: Ein 24-jähriger Wonneproppen. Kräftig, gut genährt, lacht viel. Für ihn musste in der Schulküche der „Nachschlag“ eingeführt werden. Der erste Grönländer in meinem Leben. Mandarin-Anfänger. Er bleibt auch ein Jahr, einfach um mal was anderes zu sehen als Grönland. Danach will er zurückgehen und wieder im Fisch-Export arbeiten. Trägt einen Eisbärzahn um den Hals.
Und natürlich Shijiazhuang: Die Stadt, die man nicht kennen muss, die mich nie vom Chinesischlernen ablenkt, weil es nichts Ablenkendes gibt. Perfekte Lernnachmittage unterm Smoghimmel im Park. Vergesst Shanghai. China ist hier.
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Die Weltmeisterschaft ist vorbei, wir werden das Vuvuzela-Getute aus dem Fernseher vermissen – aber noch gibt es aufregende Neuigkeiten im Nachklapp des Geschehens. Nicht nur, dass Thomas Müller bester Jungkicker des Turniers wurde. Auch aus China gibt es News: Das Land war zwar selbst nicht bei der WM dabei – jedenfalls nicht mit einem Team – aber irgendwie doch. Heute durften wir erfahren, dass das Land für die WM 100 Millionen Kondome nach Südafrika verschifft hat, wie die Beijing Evening News berichtet. Also hat China wenigstens ein bisschen dran verdient. Oder auch ein bisschen mehr.
Auch der WM-Ball Jabulani stammt, wen wunderts letztlich, aus einer Fabrik in China, die der Hongkonger Firma Longway gehört. Noch weniger überrascht es da, dass auch die allseits beliebten Vuvuzelas aus China stammen. Einfache Plastikwannen made in China finden sich in der ganzen Welt, und eine Vuvuzela ist ja irgendwie nichts anders als eine langgezogene Plastikwanne. 90 Prozent aller WM-Tröten kamen aus China, schreiben chinesiche Zeitungen, die meisten davon aus der Küstenprovinz Zhejiang, einer Hochburg privater Leichtindustriefabriken. Die Guangda Toy Factory – sonst ein harmloser Trillerpfeifenproduzent – etwa produzierte mehr als eine Million der Plastiktrompeten; und die Chefin glaubt fest an einen Post-WM-Boom. Ebenfalls über eine Million vertickte Jiying Plastic Products. Verdient haben daran aber vor allem Händler und Importeure, wenn man dem Chef, Wu Yijun, Glauben schenkt: Fabriken wie seine kriegten pro Tröte umgerechnet nur sieben bis 30 Cents. ‘Unsere Marge liegt bei unter 5 Prozent.’ Auch die Chinesen selbst rissen sich um die Vuvuzelas: Mehr als 400 Tröten-Shops gingen während der WM auf Chinas E-Bay-Pendant Taobao.com an den Start.
Sichtbar für alle war während der WM aber eine ganz andere Firma, und das bei jedem Match für volle acht Minuten: Yingli Solar – und das auch noch prominent platziert direkt neben ‘I’m loving it’ und dem großen gelben M. Der Solarzellenproduzent aus dem nordchinesischen Baoding ist die erste chinesische Firma, die jemals zum WM-Sponsor aufstieg. ‘Die WM ist eine sehr gute Plattform, die sofort unsere Marke in jedem potenziellen Markt weltweit bekannt macht’, freute sich Yingli-Vizepräsident Jason Liu. Womit er vielleicht sogar recht hat.
Wen stört es da schon, dass Chinas eigene Mannschaft da in der Qualifikation schmählich versagt hatte – sollte man denken. Doch weit gefehlt. In China möchte man kein männlicher Kicker sein. Die Fußball-Liga ist korrupt bis ins Mark, das Nationalteam nur selten beim Asien-Cup halbwegs erfolgreich. Chinesen betonen bei jeder Gelegenheit wie wenig das eigene Team tauge. Und das erst recht jetzt, wo sogar Nordkorea dabei war. Während der WM geisterten daher auch Vorschläge durchs Netz, die Mannschaft doch am besten gleich aufzulösen. Aber die nächste Chance kommt bestimmt: Nach der WM ist vor der WM.
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Deutschlands Mann in Hongkong, Generalkonsul Frank Burbach, ist ein doppelt begabter Mensch. Er kann seinen diplomatischen Pflichten nachkommen, und er kann Bilder malen. Nach Ansicht des Hongkonger Goethe-Instituts malt Herr Burbach sogar so gute Bilder, dass dieser jüngst seine Werke in den Goethe-eigenen Ausstellungsräumen zeigen durfte. „Transition“ hieß die Ausstellung – weil sich Herr Burbach gerade in einem Übergang befinde, schreibt die Goethe-Webseite. Sein Hongkonger Posten geht nämlich gerade zu Ende und er selbst in Pension.
Über die Qualität der Burbachschen Kunstproduktion möchte ich mir kein Urteil erlauben (böse Zungen sprechen von „Sonntagsmalerei“). Ich weiß nur, dass es für andere in Hongkong ansässige deutsche Kunstschaffende äußerst schwer ist, in der durchaus renommierten Goethe-Galerie ausstellen zu dürfen. Ich weiß auch, dass das Goethe-Institut die „Präsentation deutscher Kultur im Ausland und interkulturellen Austausch“ (Goethe-Webseite) betreiben will. Ich wusste bislang nicht, dass sich das öffentlich finanzierte Goethe-Institut auch als Plattform für die Kunstaspirationen von Mitarbeitern in befreundeten Einrichtungen vor Ort versteht.
Übrigens ist auch die Frau des scheidenden Generalkonsuls, Eva Meier, eine Künstlerin. Sie tritt verschiedentlich als Brecht-Interpretin auf, gerne auch in deutschen Botschaftsräumen in Asien.
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Da wir demnächst umziehen, sehe ich auf den Straßen Shanghais nur noch Immobilienmakler. Überall stehen sie, teilen an der Straße Broschüren an vorbeihastende Passanten aus. Oder geleiten junge Paare, Familien, Singles in Apartmentblöcke, alte Villen oder umzäunte, begrünte Wohnanlagen. Junge Typen meist, mit dunklem Anzug, Schlips und weißem Hemd, und einer Klemmmappe unterm Arm. Ich bilde mir ein, selbst bei jungen Männern auf einem Moped zu erkennen, wer ein Makler ist und wer nicht.
Tolle Sachen haben die Wohnungsmakler hier in Shanghai im Angebot. Alte Villen ausländischer Diplomaten oder einstiger Shanghaier Drogenbarone in verwunschenen Gärten zum Beispiel – die sind inzwischen gerne mal für sagenhafte 100 Millionen Yuan zu haben: Gut 10 Millionen Euro. Unrenoviert auch mal für 5 Millionen. Ein echtes Schnäppchen. Sanierte Reihenhäuser in den alten Gassen, Lilongs genannt, kosten mindestens eine halbe Million Euro. Dieses Hochpreissegment zieht auch ganz gewöhnliche Wohnungen in guten Lagen mit. Vier kleine Zimmer in einem weiß gekachelten, 15 Jahre alten Hochhausturm für 480.000 Euro? Gar kein Problem. Irgendwas in Innenstadtlage für 4 Personen, so für 200.000 Euro? Stirnrunzeln. Vielleicht in einem der alten grauen Arbeiterblöcke noch zu haben. Günstige Wohnungen – das war einmal. Wer vor acht Jahren gekauft hat, war klug und ist heute reich.
In vielen Städten Chinas sind die Wohnungspreise allein im vergangenen Jahr um 50 Prozent oder sogar mehr gestiegen. Eigentlich müsste das ein Fest für die Makler sein. Ist es aber nicht. Denn die Preise sind zwar hoch, aber kaum einer kauft. Eine Maklerin schleust grade jede Woche 30 Interessenten durch ein saniertes Altstadthaus. Vergeblich.”Nur wer wirklich eine Wohnung braucht, kauft heute”, sagt ein Kollege und nestelt an seiner Krawatte. ” Alle anderen, Investoren zum Beispiel, warten ab.” Nur worauf warten sie? Dass die Preise einbrechen? Das erwartet nichtmal der junge Makler. “Zum Jahresende werden die Preise trotz allem noch etwas höher liegen”, ist er sich sicher.
Und wer kann das alles noch bezahlen? Für normale chinesische Mittelstandsfamilien wird der Wohnungskauf immer schwieriger. Ein Drama, für die von Wohneigentum besessenen Shanghaier. Junge Männer, die keine Wohnung besitzen, bekommen keine Frau. “Sie mögen noch das Mädchen rumkriegen, die Schwiegermutter aber auf keinen Fall!” sagt Cindy Su. Sie hat Glück. Sie hat eine Wohnung und einen Mann. Ein Freund von ihr hat aus Verzweiflung gerade eine Wohnung in Kunshan gekauft, einer staubigen Industriestadt vor den Toren Shanghais. Wohnen will er da nicht. Aber es ist billiger, 700 Euro kostet der Quadratmeter. Und er hat den begehrten Trumpf in der Hand: Eine eigene Wohnung, die er zumindest vermieten kann.
Schon geht unter Experten und Politikern die Angst um, dass Chinas Immobilienmarkt eine Blase ist, die bald platzt – so wie 2008 in den USA. In Peking stürzten die Kaufpreise im Frühjahr um 800 Euro pro Monat ab, nachdem die Zentralregierung zuvor Hypothekenkredite verteuert und andere Hindernisse für Wohnungskäufer eingeführt hatte – vor allem für Investoren, die zwei oder mehr Apartments besitzen. Ganz abwürgen will das Land den Sektor aber nicht. Es braucht ihn für die wirtschaftliche Erholung. Und der Bausektor schafft viele Arbeitsplätze. Aber er ist auch anfällig für Korruption. Gerade verbot daher die Kommunistische Partei ihren Kadern, sich “in Bauangelegenheiten einzumischen”.
Wir mieten unsere neue Wohnung, genau wie die alte. Wurden wir dafür früher belächelt, liegen wir dank der Mondkaufpreise heute zunehmend im Trend. Die Mieten immerhin waren in der Krise gesunken. Und auch wenn sie wieder steigen, liegt das Niveau bisher nicht höher als vor der Krise. Und so sind die vielen jungen Makler wohl heutzutage vor allem mit potenziellen Mietern statt Käufern unterwegs. Auch wenn das natürlich viel weniger Kommission bringt. Besser als nichts. “Ich bin doch nicht verrückt und kaufe eine Wohnung”, sagt Jia Kan und lacht sich kaputt. “Bei den jetzigen Preisen bekommt man da nie vernünftige Erträge. Und mit einer Mietwohnung hat man viel mehr Freiheit, wenn man mal umziehen will.”
Seine Freundin hat ihn trotzdem kürzlich geheiratet.
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Manche Leute glauben ja tatsächlich, Journalisten hätten ein aufregendes Leben.Die haben vermutlich noch keinen Staatsbesuch erlebt. Horst Köhler in China zum Beispiel. Im chinesischen Radio wird über Ba La Ke diskutiert, Michael Ballacks Verletzung. Wir Korrespondenten stehen vor der Großen Halle des Volkes und schauen zu wie der rote Teppich geputzt wird.
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Mindestens 1700 Menschen sind vergangene Woche beim Erdbeben in der westchinesischen Provinz Qinghai ums Leben gekommen. Die Hoffnungen, dass man jetzt in den Trümmern der Stadt Jiegu noch Überlebende finden könnte, schwinden rapide.
Die Region um Jiegu ist überwiegend von Tibetern bewohnt – die Rettungs- und Bergungsarbeiten seitens des chinesischen Militärs und der Zentralregierung sind daher ein sensibles Thema. In der New York Times tauchten am Sonntag Vorwürfen auf, China würde den Einsatz seiner Soldaten zu Propagandazwecken mißbrauchen. Bei Bergungsarbeiten seien buddhistische Mönche von Soldaten zur Seite gedrängt worden, damit man die Uniformierten TV-wirksam filmen konnten, wie sie Überlebende aus den Trümmern ziehen. Mönche klagten, dass sie von Soldaten sogar abgehalten wurden, bei den Bergungsarbeiten zu helfen. In den chinesischen Medien sind sowieso vor allem PLA-Soldaten zu sehen. Die Rolle der Mönche kommt so gut wie nicht vor.
Wie es tatsächlich vor Ort aussieht, ist schwer abzuschätzen. Vielleicht will man mit der Propaganda-Offensive auch nur der Kritik von 2008 zuvorkommen. Nach dem Erdbeben von Sichuan hatte es Vorwürfe gehagelt, die Rettungsarbeiten seien zu schleppend angelaufen und zu schlecht organisiert gewesen.
Diemal kam nicht nur Ministerpräsident Wen Jiabao. Sogar Präsident Hu Jintao brach seine Lateinamerika-Reise ab und besuchte am Sonntag das Katastrophengebiet. Vor allem ein Bild soll offenbar in Erinnerung bleiben: Wie Hu in einem provisorischen Zelt-Krankenhaus ein verletztes Mädchen umarmt.
Auf der anderen Seite der Propaganda verheddern sich Tibet-Aktivisten im Begriffsdschungel. Man solle doch endlich aufhören, das Erdbebengebiet als „West-China“ oder „Qinghai“ zu bezeichnen, appelliert „Students for a Free Tibet“ an internationale Medien. Es handele sich in Wirklichkeit um Teile der einstigen tibetischen Provinz Kham. Ob das hilft?
Bei aller berechtigten Kritik an China und seiner Tibet-Politik. Namensstreitigkeiten sind derzeit sicherlich das letzte, woran die Menschen in Jiegu denken. Für differenziertere Kommentare zur politischen Bedeutung der Erdbebenhilfe sei daher das Interview mit Tibet-Experte Robbie Barnett in Le Monde empfohlen. Auch er sieht großes Konfliktpotential. Aber, sagt er, die Menschen in Jiegu hatten in den vergangenen Jahren relativ gute Beziehungen zu den chinesischen Behoerden. Jetzt kommt es darauf an, ob man beim Wiederaufbau auf die kulturellen Eigenheiten der Region eingehen wird.
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Das chinesische Neujahrsfest heißt auf Chinesisch \\\’Chunjie\\\’: Frühlingsfest. Denn danach, so glauben viele Chinesen, beginnt unmittelbar der Frühling. Eine recht optimistische Annahme, denn das Fest liegt zwischen Ende Januar und Mitte Februar. Dieses Jahr aber scheinen zumindest die Shanghaier den Frühling herbeigeböllert zu haben. Noch bevor am Wochenende auf dem Laternenfest mit erneutem Großfeuerwerk die zweiwöchige Neujahrsperiode zu Ende geht, ist es warm geworden. Ganz plötzlich. Von 1 auf 22 Grad. Darauf reagieren die Shanghaier in den vielen Nebengassen und Wohnquartieren sofort: Sie stellen ihre Bettdecken und ihre traditionellen gestrickten Pantoffeln zum Lüften und Durchtrocknen auf die Straße, und reißen die Fenster auf. Ältere schieben Stühle in die Gassen und wärmen sich lächelnd in der Vorfrühlingssonne.
Denn der Winter hat es in sich: Nicht wegen der arktischen Temperaturen draußen, die selten unter den Gefrierpunkt fallen. Sondern weil Shanghai grade mal eben südlich des Yangtse-Stromes liegt, und südlich des Yangtse gibt es in China keine Heizung. Die Menschen wärmen sich also mit auf Heizbetrieb umgestellten Klimaanlagen oder Elektro-Radiatoren, die regelmäßig alle Sicherungen rausknallen lassen. Oder sie heizen gar nicht – und tragen auch zuhause Schichten aus langer Unterwäsche, Leggings, Pullovern und wattierter Kleidung. Auch die im Sommer von älteren Shanghaiern gern auf der Straße getragenen Schlafanzüge gibt es aus wattiertem Feincord für den Winter. Viele Kleinkinder stapfen als kleine Michelin-Männchen herum. Das Ende der feuchten Kälte ist für alle also auch ein Ende des ständigen Frierens. Insofern ist es höchst verständlich, dass die Menschen den Frühling mit größtmöglichem Getöse, Raketen in Hunderter-Batterien und 3 Meter langen Peepmanscher-Ketten begrüßen. Feuerwerk in Deutschland und D-Böller sind Kinderfasching dagegen.
Natürlich haben wir mitgemacht, wir wollen ja auch nicht mehr frieren. Ich habe im letzten Jahr die langen Unterhosen zuhause verweigert – und immer gefröstelt. In diesem, noch etwas kälteren Winter, habe ich klein beigegeben und sie schließlich angezogen – aber nun mit Freuden in den hintersten Winkel des Kleiderschranks verbannt. In der Hoffnung, sie nicht doch nochmal herausholen zu müssen.
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Da ist es also fast: das Jahr des Tigers, und wie in meiner Wahlheimat üblich wird es RIESIG. Wir haben in Australien nämlich Superlative gern, größte Spinnen, giftigste Schlangen, längste gerade Bahnstrecken etc. Also, there we go: “Die g r ö ß t e n chinesischen Neujahrsfestivitäten außerhalb von Asien” feiert Sydney ab morgen, und wenn das Clover Moore, unsere Bürgermeisterin sagt, dann wird das wohl so stimmen. Ich hab mich immer gefragt, wie man derlei misst, zumal die Neujahrsfeierei zur Begrüßung des Tigers keine Veranstaltung mit Kartenverkauf und Drehkreuz ist, sondern eher eine Serie von Ereignissen und Möglichkeiten zu staunen und/oder Geld auszugeben. Das ganze dauert bis 28. Februar und es kommen auch echte Chinesen aus China: 300 “performer” aus Chongqing City zum Beispiel. Und dann sind natürlich unsere hiesigen chinesisch stämmigen Australier sowie ortsansässige Vietnamesen und Koreaner geladen. Groß und viel eben, größer geht’s nimmer.
Nebenbei macht sich Sydney im Jahr des Tigers um das Wohlergehen der Großkatze Sorgen: Laut World Wildlife Fund gibt es nämliche nur noch 3500 wilde Tiger, Tendenz rapide schwindend. Und das ist ja nun mal keine gute Sache. Wer also im Jahr des Tigers wilden Tigern Gutes tun will, so animiert Clover Moore, soll bitte einen Bengalischen Tiger adoptieren. Also nicht richtig echt jetzt, das gäb dann mit der Quarantäne wieder Ärger und mit der hiesigen Fauna auch. Eben mehr so ideell adoptieren. Kostet um die 60 Euro, first come, first serve-Basis. Besuchsrechte werden glaube ich nicht gewährt. Aber wie gesagt: es sind nicht mehr viele da, und ich bin überzeugt, dass die Sydneysider zum größten Neujahrsfest auch die meisten Tiger adoptieren.
Ps: aber nicht traurig sein, falls nachher keine Tiger mehr frei sind, man kann via wwf auch prima Orang Utans oder Schildkröten adoptieren. Denen gehts schließlich auch nicht so blendend.
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Derzeit wird viel diskutiert über das Internet in China – das viele inzwischen Chinternet nennen, weil es sich dank der Paranoia gestrenger Propagandazaren zusehends abkapselt gegen geistige Verschmutzung aus dem Ausland. Youtube und Twitter müssen draußen bleiben. Doch Google bleibt vielleicht drin im Chinternet, sie verhandeln gerade mit der Regierung – und immer noch kann man bei der chinesischen Version der Suchmaschine google.cn auch Fotos vom Tiananmen-Massker 1989 finden. Wir wissen also nicht, wie es weitergeht.
Aber, ein kleiner Trost vielleicht, auch im Chinternet tauchen immer mal wieder interessante Blogs auf, die etwas bewegen und nicht sofort von den Zensoren getilgt werden. Blogger und Tausende aufgebrachte User bewirkten etwa kürzlich den Freispruch einer jungen Hostess in einem Provinzstädchen, die vor ein paar Monaten in Notwehr einen zudringlichen Parteifunktionär erstochen hatte. Derzeit aber findet mal ein ganz anderer Blog überraschende Aufmerksamkeit. Durch die chinesischen Medien geistern Berichte über einen Blog der 22-jährigen Wu Fangyi aus der Kleinstadt Shaoying in der Provinz Hunan. In den “Halt durch, Papa!” betitelten Einträgen verteidigt sie ihren Vater, ehemaliger Parteichef eines ländlichen Kreises von Shaoyang. Der steht wegen Korruption und Machtmissbrauch vor Gericht. Er sei aber unschuldig, sagt die Tochter. Er gehe nie in teure Restaurants oder zur Fußmassage und lebe in einer bescheidenen Beamtenwohnung. Um das zu beweisen, zeigt Wu Bilder ärmlicher Behausungen, die der Familie gehören sollen. Und sagt: “Ich habe immer wieder seine Tasche untersucht, und nie was anderes als Dokumente und Notizbücher darin gefunden.” Ihr eigenes Handy koste nur 200 Yuan, gut 20 Euro. So weit so gut. Das verblüffende: Nicht nur lasen bereits 830.000 User den Blog. Viele davon drückten der jungen Frau auch ihre Unterstützung aus, wie die lokalen Zeitungen schreiben. Dabei hassen die meisten Chinesen korrupte Offizielle. Es ist wohl mehr der Familiensinn, der Mitgefühl auslöst, die Sorge einer Tochter um ihren Papa kann jeder irgendwie verstehen.
Genauso viele andere sind laut den Berichten aber skeptisch: Die Fotos seien Fakes, der Mann wäre ja wohl kaum verhaftet worden, wenn es keine Beweise gebe. Das gleiche sagen auch Offizielle, bei denen die Parteizeitung China Daily nachgefragt hatte. Auch die Mutter der 22-Jährigen, eine Dorflehrerin, saß sechs Monate hinter Gittern und konnte sich mit 185.000 Yuan freikaufen. Die seien aus Familienersparnissen sagte sie der China Daily. Aha.
Keiner der Zeitungsberichte schreibt, auf welcher der tausenden chinesischen Bloghosts Wu Fangyi ihren Papa verteidigt. Den Blog selbst habe ich also nicht gefunden und kann daher seine Existenz nicht verifizieren und auch nicht sagen, ob ich Wu Fangyi glaubwürdig finde oder nicht. Was sagt uns das ganze also? Dass Korruption eines Familienvaters die ganze Familie korrumpiert? Dass es eigentlich nichts bringt, korrupt zu sein, wenn man das ganze schöne Geld versteckt und trotzdem in einer kleinen Butze haust? Oder dass Korruptionsvorwürfe im heutigen China ein prima Mittel für Denunzianten sind, unschuldige Familienväter hinter Gitter zu bringen? Wir wissen auch das nicht. Aber interessant wars.
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…..gar keine, denken die meisten von uns. Und deshalb freuen wir uns alle über Googles Ankündigung, die chinesischen Zensurspielchen nicht mehr mitmachen zu wollen. Endlich sei Google auf „der richtigen Seite der Geschichte“, jubelt die China- und Internetexpertin Rebecca MacKinnon heute im Wall Street Journal.
Aber natürlich heißt das nicht, dass Internetnutzer in China jetzt auf einmal alles über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens von 1989 lesen können. Oder über den Dalai Lama. Oder über die Charter 08.
Einen Tag nach der großen Google-News kann man bei „Gu Ge“ (das heisst so viel wie Korn- oder Erntelied und ist der chinesische Name von Google) unter google.cn zwar vielleicht mehr Suchergebnisse finden als früher – zum Beispiel Links zu den blutigen Bilder vom Juni 89. Aber die Seiten kann man innerhalb Chinas noch immer nicht öffnen. Denn die Filter, die die chinesischen Behörden in die Internet-Infrastruktur in China eingebaut haben – sowohl in die Hard- als auch in die Software -, bleiben ja bestehen.
Und bestimmte Suchbegriffe bringen nach wie vor seltsame Ergebnisse. Ich habe das heute morgen ausprobiert. Auf der englisch-sprachige Seite von google.com werde ich unter dem Begriff „Human Rights in China“ sofort auf die Website der New Yorker Menschenrechtsorganisation verwiesen. Nicht so bei google.cn. Dort taucht die Website der Organisation in den Suchergebnissen gar nicht erst auf. Oder zumindest nicht auf den ersten drei oder vier Seiten.
Mmmh. Dabei steht doch selbst in der „Global Times“ heute drin, dass „die Informationsautobahn nicht nur sichere Fahrer braucht, sondern auch freie Fahrt.“ Und weiter: „Der freie Fluß von Informationen sollte in einer Zivilgesellschaft Vorrang haben.“ Wow, ausgerechnet die „Global Times“, die doch zur „Volkszeitung“ gehört, die wiederum direkt der Kommunistischen Partei untersteht.
Aber natürlich ist die GT noch längst nicht zum Vorkämpfer der Meinungsfreiheit mutiert. Wäre ja zu schön. Weiter unten heisst es nämlich, „in einer Übergangsgesellschaft wie China ist Zensur gerechtfertigt.“ Nur wie viel, das ist offenbar strittig. Die Regierung müsse die „Vision“ haben, die „richtigen“ Kontrollmechanismen zur „richtigen“ Zeit aufzustellen. Was das in der Realität bedeuten soll, verrät das Blatt nicht. Schade. Man hätte doch zu gerne gewußt, was das Maß an „richtiger“ Zensur sein sollte. Immerhin gesteht die GT noch ein, dass ein Rückzug von Google ein Riesenverlust für China wäre.
Ob Google.cn nun bleibt oder nicht, uns internationalen Pekingern bleibt auf jeden Fall noch der englische Google-Dienst. Nur, auf die blockierten Seiten kommen wir damit auch nicht. Als da sind, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen: http://googleblog.blogspot.com/ (dort findet man das Statement von Google), Human Rights in China, Human Rights Watch, Amnesty International, Reporters Without Borders, Deutsche Welle, BBC Chinese Service, Voice of American, Radio Free Asia, China Digital Times, Uighur World Congress, China Labour Bulletin, International Campaign for Tibet, Students for a Free Tibet…..ach ja, und Facebook und Twitter und YouTube, und und und …..
Ist das das ‘richtige’ Maß an Zensur? Global Times, discuss!
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Es gibt keinen so rohen Ort wie Chinas Straßen. Dort gilt uneingeschränkt das Recht des Stärkeren (und Größeren und Teureren). Ganz oben in der Hackordnung stehen die Autos mit den weißen Nummernschilden, denn die sind vom Militär. Oder sollten es zumindest sei
Die weißen Kennzeichen beginnen mit einem roten Schriftzeichen je nach Zulassungsort und Militärdistrikt. Es folgt ein roter Buchstabe, ein Gedankenstrich und eine fünfstellige Zahl, die das Fahrzeug identifiziert.
Mit einem weißen Nummernschild darf man auf Chinas Straßen: alles. Denn nie würde sich ein Verkehrs-Polizist trauen, einem möglicherweise einflussreichen Offizier einen Strafzettel auszustellen. Früher habe ich mich in Peking immer über die Militärfahrzeuge und Polizeiautos amüsiert, die man an Wochenenden beim Familienausflug beobachten konnte. Oder die Umzüge im Krankenwagen.
Jetzt haben chinesische Internetnutzer die Militär-Nummern miteinander verglichen.
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Jetzt ist er also wieder weg. Barack Obama. Zweieinhalb Tage China, jetzt ab nach Südkorea. „Was, hast du ihn wirklich gesehen`?“ Ungläubig schaute mich heute Vormittag einer der jungen Klamottenhändler auf dem Fake-Markt an. „Ehrlich?“ Die Chinesen mögen den US-Präsidenten. So lässig ist hier nämlich kein Politiker. Nie.
Auf dem Markt wollte ich eigentlich nur schnell ein „Oba Mao“-T-shirt kaufen. Eines, das Obama mit chinesischer Armeemütze zeigt. Und den Mao-Worten: “Dem Volke Dienen”.
Aber die Händler sind offenbar angewiesen worden, die despektierlichen Bekleidungsstücke nicht mehr anzubieten. Zumindest nicht jetzt. Also muß ich noch ein paar Tage warten. Dann ist Obama in weiter Ferne und die T-shirts sicher wieder in den Shops.
Ich zeige dem Händler das Foto, das ich gestern mit der Handy-Kamera gemacht habe. Obama bei der Pressekonferenz in der Großen Halle des Volkes. Hunderte von Journalisten. Irgendwo ganz weit weg der Präsident. Aber, ich habe ihn gesehen. In echt. Das zählt. „Toll!“, sagt der Händler.
In China, wo Politikern jegliches Charisma abgeht, hätte man auch gerne mehr Obama. Er ist cool. Und natürlich „shuai ge“, gutaussehend.
Doch ausser bei der steifen Pressekonferenz gab es nur wenig echten Obama zu sehen. Und eine PK war es ja eigentlich gar nicht. Mehrfach waren wir vorher ermahnt worden, auch ja keine Fragen zu stellen. Hu Jintao stand ja auch auf der Bühne und starrte ausdruckslos ins Publikum. Er mag sichtlich keine Fragen.
Den „echten“, lockeren Obama bekamen die meisten Chinesen erst gar nicht zu sehen. Sein „town hall meeting“ mit Studenten in Schanghai wurde auf den landesweiten Fernsehsendern nicht gezeigt. Xinhua wollte erst live online übertragen und tat es dann doch nicht. Welcher Chinese wusste schon, dass man sich das Ganze auf der Website des Weißen Hauses hätte ansehen können? Und überhaupt, die Hälfte der handverlesenen Studenten waren Mitglieder der Kommunistischen Jugendliga, schreibt die New York Times. Vier Tage lang seien die Studenten auf die Begegnung mit Obama eingeschworen worden. Keine Fragen zu Tibet oder den Menschenrechten, hieß die Vorgabe. Und bitte, schön höflich bleiben. Genauso langweilig waren dann auch die meisten Fragen. „Town hall meetings“ oder Bürgerversammlungen sind anders. Lauter und unordentlicher.
Aber dennoch. Obama was here. Jetzt bleiben uns nur wieder die blutleeren Topkader der KP. Schade eigentlich.
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Im Mai kommenden Jahres beginnt die Expo 2010 in Chinas Boomstadt Shanghai. Seit Monaten wird die ganze Stadt geschminkt und verschönert. Selbst die hässlichen alten Bürobauten in der Straße neben meinem Haus sind renoviert worden. Die alte Fassade aus grauen Kacheln ist durch Spiegelglas ausgetauscht worden, allerdings nur auf der Gebäudeseite zur Straße.
Jetzt sollen sich auch die Einwohner schön machen: Die Shanghaier Regierung will ihren Einwohnern endlich das Tragen von Schlafanzügen in der Öffentlichkeit austreiben.
Seit 30 Jahren boomt die chinesische Wirtschaft. Viele Chinesen haben seitdem viel Geld verdient. Und gerade die luxusverliebten Shanghaier geben es auch mit großer Freude wieder aus. Längst haben sämtliche westliche Luxus-Modehersteller ihre flagship stores in Shanghai eröffnet. Und in kaum einem anderen Land begegnet man auf der Straße so vielen Handtaschen von Louis Vuitton wie in Shanghai. Trotzdem ziehen Zehntausende Shanghaier jeden Tag nach der Arbeit die Anzüge und Business-Kostüme aus, schlüpfen in ihre Schlafanzüge und gehen Einkaufen oder Spazieren, gerne auch in Stöckelschuhen. Bei ausländischen Touristen sind die Shanghaier Schlafanzüge das beliebteste Fotomotiv.
Die Shanghaier selbst erklären ihre Liebe zum Pyjama übrigens mit ihrem ausgeprägten Modebewusstsein. Als die Kulturrevolution 1976 endlich vorbei war und ein frischer Wind durchs Land wehte, sehnten sich die Menschen zuerst nach bunten Farben und individueller Kleidung. Doch in ihren Kleiderschränken hingen nur die blauen Mao-Uniformen. Es heißt, dass die ersten Shanghaier damals ihre Schlafanzüge auf den Straßen anzogen, es waren die einzigen bunten Kleidungsstücke, die den Kommunismus überstanden hatten. Und sie lieben ihre Pyjamas bis heute.
Seit Jahren versucht die Regierung, die Shanghaier die Schlafanzüge von den Straßen zu verbannen. Pyjamas in der Öffentlichkeit zu tragen „verstößt gegen internationale Praktiken und soziale Rituale“, zitierte die amtliche Tageszeitung Global Times einen Pressesprecher der Stadtverwaltung. Leuchtreklamen in der Innenstadt ermahnen die Menschen, ihr Nachtgewand nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Es gibt sogar Beamten, die extra dafür abgestellt wurden, die Shanghaier Abendmode zu modernisieren. Alles Teil der Kampagne mit dem schlimmen Namen „Die Schlafanzüge zu Hause lassen und ein zivilisierter Gastgeber der Weltausstellung werden“.
Ich habe die Schlafanzüge eigentlich immer sehr sympathisch gefunden. Wenn man weiß, was seine Nachbarn abends im Bett tragen, fühlt man sich ihnen automatisch näher. Die Kampagne finde ich albern. Bisher habe ich immer in Unterwäsche geschlafen. Vielleicht ist jetzt die richtig Zeit, um wieder auf Schlafanzüge umzusteigen.
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Wer als Journalist in China arbeitet, wird regelmäßig dezent vom Staat daran erinnert, dass man hier nie wirklich alleine ist – irgendjemand hört immer zu, schaut zu, guckt rein, weiß Bescheid.
Vor ein paar Tagen schickte der Shanghaier Foreign Correspondent’s Club eine Warnmail an seine Mitglieder. Etliche ausländische Medien hatten gleichzeitig verdächtige E-Mails erhalten, die zunächst wie Anfragen aus dem heimischen Hauptquartier aussahen. In der angehängten PDF-Datei war ein kleines Java-Programm eingebettet.
Niemand hat bisher rausgefunden, was der Trojaner macht. Genauso unbekannt ist, wer hinter der Attacke steckt. War das der „chinesische Bundestrojaner“? Patriotische chinesische Hacker? Sicher ist nur, dass solche Cyberattacken in den letzten Monaten zugenommen haben. Mit der Digitalisierung ist die chinesische Stasi deutlich unsympathischer geworden.
Als ich 2000 in Peking studierte, haben wir uns noch über die Bespitzelung totgelacht. Damals bezahlte die Uni unsere chinesischen Mitstundenten, um unsere Telefongespräche abzuhören und zu übersetzten.
In meiner ersten China-Woche saß ich beim meinem Freund Robert, als das Telefon klingelte. „Du hast Post“, sagte der Anrufer, „ein Paket von deiner Mutter.“ Robert freute sich natürlich. Und wahrscheinlich wollte der Herr von der Campusverwaltung seine Vorfreude auch nur noch etwas weiter anstacheln. Er sagte: „Es sind Kekse drin.“ – „Oh“, sagte Robert, „danke für die Information“. Jedes Paket wurde geöffnet und überprüft. Und wenn Kekse aus dem Ausland drin waren, konnte die Spione manchmal nicht widerstehen, auch davon zu probieren.
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Es passiert nicht oft, dass Chinas Blogger und Bürgerrechtsaktivisten Grund zum Feiern haben. Im Land mit der schärfsten Internetnetzensur der Welt, rechnet man schon gar nicht mehr damit, dass die Regierung auch mal klein beigeben könnte. Aber genau das ist jetzt passiert. Nur Stunden bevor am 1. Juli neue Vorschriften in Kraft treten sollten, wonach alle neuen Computer in China mit einer speziellen Filter-Software ausgestattet werden müssen, wurde das Vorhaben auf unbestimmte Zeit verschoben.
Die neue Software sollte eigentlich die chinesischen Internetnutzer vor Pornografie schützen – das zumindest behauptete die Regierung. Aber Chinas 300 Millionen Internet-User witterten – zu Recht – einen Angriff auf ihre Privatssphäre.
Der Plan der Regierung wurde seit Wochen im Reich der der Mitte heiss diskutiert. Und das obwohl die Regierung die staatlichen Medien offenbar angewiesen hatte, der Debatte nicht allzuviel Raum zu geben. Aber selbst in den ansonsten regierungstreuen Blättern erschienen teilweise erstaunlich kritische Berichte über das Vorhaben.
Auf dem Netz hatte sich der Widerstand schon früh formiert. In dem Land, wo man ohne Proxy-Server keine einzige Webseite von Tibet- oder Menschenrechtsgruppen aufrufen kann, hatte es gegen die Filtersoftware „Grüner Damm“ eine wahre Protestflut gegeben.
Der ungewohnte Widerstand mutiger Blogger mag ein Grund gewesen sein, warum das Ministerium für Informationstechnologie in buchstäblich letzter Minute dann doch eingeknickt ist. Oder es war die Aussicht auf zermürbende Auseinandersetzungen mit den USA, die den freien Welthandel durch die zwangsweise Einführung der Software bedroht sahen.
Aber der Sieg von Chinas Netizens über die Zensoren könnte nur von kurzer Dauer sein. Denn die „Grüner Damm“-Software ist nur ein Teil einer groß angelegten Kampagne zur Internetkontrolle. So musste sich Google erst in den vergangenen Wochen wiederholt vorwerfen lassen, „ungesunde“ und pornografische Inhalte zu verbreiten. Googles Suchmaschhine in China und andere Google-Dienste waren zweitweise nicht mehr nutzbar.
Dennoch haben Chinas Bloggers für heute erst einmal Grund zum Feiern. Der Künstler Ai Weiwei, der wegen der Filtersoftware für den 1. Juli zu einem eintägigen Internet-Boykott aufgerufen hatte, kann nun statt seiner ursprünglich geplanten Protest-Grillparty eine Siegesparty für die Zivilcourage feiern.
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„Den Pass bitte!“ Die junge Polizistin streckt fordernd die Hand mit dem weissen Handschuh aus. Neben mir strömen die Menschen durch die Sicherheitskontrolle auf den Platz des Himmlischen Friedens im Herzen Pekings. Nur der Mann vor mir in der Schlange darf auch nicht weiter. Aus seiner Aktentasche fischen die Beamten engbeschriebene Papiere. Ob er die auf dem Platz etwa verteilen wollte, fragt der Polizist barsch. Der Mann schüttelt irritiert den Kopf.
Der 4. Juni ist in China ein heikler Tag. Weil sich die Niederschlagung der Demokratiebewegung heute zum 20. Mal jährt, sind die Sicherheitsbehörden besonders nervös. Die junge Polizistin entdeckt das Journalistenvisum in meinem Pass. „Guck mal“, sagt sie triumphierend und reicht das Dokument an ihren Vorgesetzten weiter. Der studiert minutenlang meinen Pass, schreibt sorgfältig alle Details in eine große Liste und schickt mich dann zurück. Ohne Sondergenehmigung dürfen Journalisten heute nicht auf den Platz, heißt es.
Ein Begründung gibt es nicht. Denn der 4. Juni ist ja kein offizieller Gedenktag. Eigentlich ist es ein Tag wie jeder andere, behaupten die Behörden. Dass man vor 20 Jahren den „konterrevolutionären Aufstand“ der Studenten mit Panzern und scharfer Munition niederschlug, soll das Land am liebsten vergessen. Dennoch ist man überall in der Stadt in Alarmbereitschaft. Besonders am Tiananmen. Keiner soll demonstrieren oder versuchen, in irgendeiner Form der hunderten, vielleicht tausenden von Toten vor 20 Jahren zu gedenken.
Ich mache mich auf ins „Verwaltungsbüro für den Platz des Himmlischen Friedens“ und bitte dort um eine Genehmigung, um den Platz als ausländische Journalistin betreten zu drüfen. „Gar nicht nötig“, lacht der Beamte dort. „Du hast ja gar keine Fernsehkamera dabei.“ Und dann der Rat, es doch am besten an einem anderen Eingang zu versuchen. Dort seien die Beamten freundlicher.
Diesmal halten mich an der Sicherheitsschleuse, wo alle Taschen wie am Flughafen durchleuchtet werden, nicht drei, sondern zehn Polizisten auf. „Wo ist Deine Sondergenehmigung“, kommt schon wieder die Frage. Wieder wird der Pass studiert, diesmal auch mein Mikrofon und Aufnahmegerät gefilzt. Erst als ich verspreche, dass ich auf dem Platz mit niemandem sprechen werde, darf ich passieren.
Interviews hätte man heute sowieso nicht machen können. Auf dem Platz sind vor allem Sicherheitsleute unterwegs: Gruppen von Polizisten, Soldaten der Nationalen Volksbefreiungsarmee und junge Männer in Zivil. Viele tragen einen Knopf im Ohr und ein Mikro am T-Shirtkragen. Fast alle haben Anstecknadeln mit der chinesischen Flagge dabei – und gleichfarbige Sonnenschirme. Die sollen offenbar vor der brutalen Hitze schützen, können aber auch jederzeit vor die Linsen der Fernsehkameras (mit Genehmigung, versteht sich) gehalten werden. Man spaziert über den Platz und gibt sich gelassen. 4. Juni. War da was? Ist doch ein Tag wie jeder andere auch.
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Der frühe Morgen ist für mich die schwierigste Tageszeit in China, zumindest wenn man tausende Kilometer von der heimischen Kaffeemaschine entfernt in einem Hotel übernachtet. Schon das Betreten des Frühstücksraums kostet meist ein wenig Überwindung – nicht der Geruch von frischem Milchkaffee und Brötchen begrüßt den Gast, sondern Gemüse, Öl und Knoblauch.
Ein stiller Schrei nach Kaffee. Aber ein schneller Blick zum Bufett bestätigt alle Befürchtungen: Sojamilch, knallgelber Saft undefinierbarer Herkunft, dünner Milchtee.
Für viele Chinesen ist das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages. Nur Kaffee gehört nicht dazu. Und man isst, was man auch mittags oder abends zu sich nimmt – darunter gebratene Nudeln, Baozi, also gedämpfte Teigtaschen mit Fleischfüllung, Unmengen hartgekochter Eier und scharfes, eingelegtes Gemüse.
Mein deutscher Magen zieht sich beim Anblick der Speisen ängstlich zusammen. Am frühen Morgen sehnt man sich nach Vertrautem. Eine Scheibe Toast und ein bißchen Marmelade, das wär’s jetzt.
Stattdessen Congee, Reissuppe. Der Reis wird über Nacht in Wasser gelegt und morgens eine Stunde lang gekocht. Die Körner zerfallen fast zur Unkenntlichkeit. Es entsteht eine schleimige, weiße Suppe, die nach nichts schmeckt.
Und die man zum Frühstück in China schlürfend zu sich nimmt. Essen ist hier auch ein akustischer Vorgang. Meine Kinder finden das toll – es darf geschmatzt werden.
Aber ich will nur Kaffee. Die Kellnerin schüttelt freundlich den Kopf. „Mei you“. „Haben wir nicht.“ Der Tag fängt ja wieder einmal gut an.
Um dem Kaffeenotstand zu entgehen, reise ich seit einiger Zeit mit meinen eigenen Päckchen Instant-Pulver im Gepäck. Der Fertigkaffee schmeckte zwar nicht besonders gut, aber man wird ja bescheiden.
Auf meiner inneren China-Landkarte haben sich zudem einige Orte besonders tief eingebrannt. Ein Hotel in Yuanyang ganz im Süden von Yunnan, wo der Milchtee leicht ranzig schmeckte. Der Flughafen von Yinchuan im nordwestchinesischen Ningxia, wo das Cafe im Terminal zwar Cappuccino für umgerechnet sechs Euro anbot, aber nicht einmal eine Kaffeemaschine hatte.
Aber auch Städte wie Datong in Shanxi. Die Industrie-Stadt im Norden ist schwarz vom Kohlestaub. Die Reissuppe geschmacklos wie überall. Aber der Espresso im Hotel hätte auch aus Italien kommen können. China ist halt immer für Überraschungen gut. Manchmal sogar schon am frühen Morgen.
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Wir beginnen in Österreich. Ein Geheimtipp, heißt es, ein Ruhepol, Mitten in der chinesischen Hauptstadt. Das österreichische Haus liegt im weitläufigen Garten eines Fünf-Sterne-Hotels im Pekinger Botschaftsviertel. Die Tische sind festlich eingedeckt, dekoriert mit kleinen Vasen, in denen weiße Rosenblüten schwimmen. Das österreichische Olympische Komitee hat ein Kaffeehaus in einem traditionellen chinesischen Pavillon aufgebaut. Chinesische Kellnerinnen im Dirndl servieren Leberkäse, der hier in mundgerechten Happen mit Zahnstochern gereicht wird, dazu Ketchup in kleinen Gläschen. Leichte Musik weht durch den Garten über die Tische. Es gibt Fernseher, auf denen noch einmal die Wettbewerbe des Tages zusammengefasst werden. Doch kaum jemand schaut hin. Vielleicht ist der ganze Olympische Trubel entspannter, wenn ohnehin klar ist, dass man kein Gold gewinnt.
Viel größere Aufmerksamkeit erfährt das Buffet in dem Restaurant. Es ist genau so angenehm still, vornehm und entspannt wie überall in Österreich. Und der einzige Hinweis, dass wir hier noch in China sind, sind die Insektenlampen, die ihr bläuliches Licht von der Decke verbreiten. Man kennt diese Lampen auch aus dem Urlaub in Italien. Wenn eine Mücke zu dem Licht fliegen will, bleibt sie in dünnen Drähten hängen, der elektrisch geladen sind. Dann zerplatzen die Insekten jedes Mal mit einem kleinen Knall.
Es geht bei den Olympischen Spielen nie nur um Sport. Über 200 Länder nehmen an den Pekinger Sommerspielen teil, es ist die größte internationale Veranstaltung der Welt. Und das größte Medien- und Marketingevent. Jedes Teilnehmerland versucht dabei, für sich zu werben. Für die Zeit der Spiele haben viele dafür eigene Niederlassungen in der chinesischen Hauptstadt eröffnet – als Treffpunkt für Fans, Sponsoren und Journalisten, als Schaufenster für die Einheimischen und als Basislager für die Athleten. Einrichtung und Aufmachung der Häuser sagen viel über das Selbstbild der Länder aus – und über die Bedeutung des Sports. Ein Rundgang.
Das Deutsche Haus liegt gleich um die Ecke im Kempinski Hotel. Gerade kommt eine Gruppe deutscher Athleten an. Man erkennt sie an den schwarzen Rucksäcken mit dem Bundesadler hinten drauf. Alle deutschen Sportler wurden vor den Spielen von einer Kaserne in Mainz eingekleidet. Dirk Nowitzki ist dabei, er trägt eine Kochmütze und wirkt damit noch größer als sonst.
Am Ende der Hotellobby steht ein Anmeldeschalter. Man muss sich zunächst mit Foto und Fingerabdrücken registrieren. Jeder Besucher bekommt dann eine Chipkarte, die persönlichen Daten werden in einem Computer gespeichert. Der Eingang mit den Drehkreuzen und befindet sich dann gleich hinter den Fahrstühlen. Im Deutschen Haus sind die Sicherheitsvorschriften am strengsten. Doch das scheint niemanden zu stören. „Wenn die Chinesen eine Karte mit ihrem Foto drauf bekommen, sind sie total glücklich“, versichert ein Mitarbeiter. Wir glauben ihm das mal so.
Das erste Deutsche Haus eröffnete bei den Olympischen Winterspielen 1988 in Calgary, organisiert von der Deutschen Sport-Marketing, eine gemeinsame Tochterfirma des Deutschen Olympischen Sportbundes und der Stiftung Deutsche Sporthilfe. ARD und ZDF übertragen ihre Interviews und Talksshows von hier. Es gibt deutsches Essen. Und alles ist ganz anders als in Österreich.
Zunächst fällt auf, dass alles viel bunter ist, selbst das Licht. Vielleicht weil die rund 50 Sponsoren auf die Verwendung ihrer Firmenfarben bestehen – überhaupt scheinen die Sponsoren beim Deutschen Haus im Mittelpunkt zu stehen. Die Drehkreuze und Fingerabdruckscanner wurden von der Bundesdruckerei aufgestellt, die ihr System gerne auch an Grenzübergängen installieren würde. Ein Geldautomat der Sparkasse steht hier, ein Glücksrad einer Schweizer Versicherung, ein Karbonhersteller stellt seine Produkte aus und überall stehen extra groß die Markennamen drauf. Es soll sogar einen offiziellen Fußbodensponsor des Deutschen Hauses geben. Auch die Atmosphäre ist anders als nebenan in Österreich. Es ist voller, lauter, doch alle schauen angespannt auf die Bildschirme und verfolgen die Wettkämpfe. Trotzdem geht es offenbar nur nebenbei um Sport, es ist die gleiche Atmosphäre wie bei einer Verkaufsveranstaltung mit Freibier. Die Olympischen Spiele als Rettung für den Standort Deutschland. Fans und Touristen trifft man in Deutschen Haus übrigens gar nicht. Den meisten ist der Eintrittspreis von 200 Euro schlicht zu teuer. Schnell weiter.
Die kleinste Länder haben oft die interessantesten Häuser aufgebaut. Das holländische Heineken Haus lockt mit Freibier, jeder darf rein. Die Schweizer haben sich gleich in dem Galerie- und Ausstellungsviertel 798 eingemietet, jeder soll kommen und gucken – und gleich am ersten Tag kamen 7000 Besucher.
Das englische Haus heißt London House. In vier Jahren sollen die Sommerspiele in der englischen Hauptstadt stattfinden. Das Königreich will schon mal Vorfreude wecken. Auch hier gibt es Sicherheitskontrollen. Am Eingang liegen Gästelisten und es gibt einen Gepäckscanner wie am Flughafen. Doch offenbar ist es egal, was man aufs Band legt. Die Engländer haben einen Mittelweg zwischen Business und Party gefunden. „Bis 17 Uhr finden hier Seminare und Vorträge statt. Danach feiern wir“, sagt Gastgeber David Adam von der London Development Agency. Gleichzeitig haben Museen aus der Englischen Hauptstadt Ausstellungen in Peking organisiert. Viele Chinesen kommen zum afternoon tea.
Neben dem London House liegt ein kleiner See und auf der anderen Seite das russische Haus . Und schon von Weitem hört man die laute Party, die russische Fahne weht über einer Terrasse. Es heißt, die Russen betreiben in Peking das Haus mit der strengsten Tür, die sich nur für handverlesene geladene Gäste öffnet. Doch die Party soll legendär sein. Früher wollten alle raus aus Russland, jetzt wollen alle rein. Am Eingang steht eine streng aussehende Russin in einem chinesischen Seidenkostüm. „Wir haben leider schon geschlossen, die Party ist vorbei“, sagt sie. Durch den Türspalt sieht man wogende Menschenmassen, Gelächter und laute Musik dringt heraus. Die Frau wirkt nicht so, als ob man mit ihr verhandeln könnte. Ist es vielleicht wegen der Nato und Georgien?
Die Casa Brazil hatte sich bereits wenige Tage nach der Eröffnungszeremonie einen legendären Status verdient: als beste Party der Stadt, der Samba in Peking. Wir hatten bis zuletzt gewartet. Und waren sicher, dass hier sowieso bis zum Morgen gefeiert wird. Doch die Rolltreppe ist bereits abgeschaltet, der Rollladen runtergelassen. Es ist ein Uhr nachts. Sind wir vielleicht zu früh?
Schließlich tauchen in der Hotellobby doch noch zwei Brasilianer auf. Einer sagt: „Wir sind schon lange zu. Seit wir beim Fußball gegen Argentinien verloren haben, will niemand mehr feiern. Kommen Sie morgen früh wieder.“ Morgen früh? Schade. Aber gut zu wissen, dass es auch in Peking noch Orte gibt, wo es offenbar in erster Linie um den Sport geht.
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Ich arbeite inzwischen seit sechs Jahren als Autor in China. Ich bin ein wenig stolz darauf, dass ich in der ganzen Zeit in keinem einzigen meiner Artikel die Phrase „Reich der Mitte“ geschrieben habe.
Trotzdem taucht sie in fast jedem meiner Artikel auf – denn offenbar glauben viele Redakteure in Deutschland, dass ein Chinatext sonst unvollständig ist. Überhaupt ist deutsche China-Berichterstattung wahnsinnig redundant und deshalb leider oft wahnsinnig langweilig.
In den nächsten Wochen werden wir in den deutschen Zeitungen mehr über China lesen als im ganzen Jahr davor.
20 000 Reporter aus der ganzen Welt sollen kommen. An euch, liebe Kollegen, ein große Bitte: Schreibt nicht schon wieder alle das Gleiche. Denkt euch eigene Bilder aus, ganz neue Sätze, sucht euch eigene Interviewpartner.
Als kleine Hilfestellung deshalb hier eine Liste der zehn dümmsten China-Phrasen – so könnt ihr einfach nachschlagen, wenn ihr unsicher seid:
– Reich der Mitte
– Chinas Langer Marsch
– Chinas Großer Sprung nach vorne
– Maos Enkelkinder
– China süßsauer
– Land des Lächelns
– Große Mauer (es sei denn, man schreibt tatsächlich über eine Mauer)
– Chinas Neue Reiche
– die „Kleinen Kaiser“ oder die „Roten Kaiser“
– sämtliche Kombinationen mit aufwachenden, aufstehenden oder sich erhebenden Drachen
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Ich habe gerade eine irritierende Email vom Tibetan Centre for Human Rights and Democracy erhalten. Sie ist mit den Worten überschrieben: Warnung: Extrem verstörende Fotos. Und dann gibt sie eine Telefonnummer an, wo man diese Fotos in höherer Auflösung erhalten kann. Die Bilder sind nach einer Demonstration in Ngaba in der Provinz Sichuan am 16. März entstanden. Sie zeigen Tibeter, die wie der Mann links offenbar per Genickschuss hingerichtet oder aber regelrecht abgeschlachtet wurden. Man mag die Email sensationalistisch finden, angesichts der von der chinesischen Regierung verhängten Nachrichtensperre vermögen sie aber einen Eindruck zu geben von dem, was derzeit auf dem Dach der Welt wirklich geschieht. Jeder, der in Zukunft noch von Menschenrechten sprechen will, muss seine China-Politik daran messen lassen.
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Die Schanghai Bibliothek freut sich über eine Bücherspende des deutschen Spülmittel- und Shampooherstellers Henkel, meldet Shanghai Daily. In einer feierlichen Zeremonie überreichte Faruk Arig, Präsident von Henkel China die gesammelten Werke von Karl Marx.
Insgesamt will Henkel Bücher im Wert von 150 000 Yuan spenden, umgerechnet etwa 15 000 Euro. Die Bücher werden den Chinesen helfen, die deutsche Gesellschaft besser zu verstehen, sagte Bibliothekschef Wu Jianzhong. Was der Henkel-Manager darauf geantwortet hat, stand nicht in der Zeitung.
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Der 5. März ist in Peking Beginn des Karnevals chinesischer Prägung. Chinas Minderheiten müssen nämlich in ihren Kostümen in der Großen Halle des Volkes antreten, um im Parlament die Einheit des Landes zu demonstrieren. Der jährliche Volkskongress hat begonnen, wie immer mit dem vom Premier vorgetragenen Rechenschaftsbericht, diesmal 35 eng geschriebene Seiten, und er endet damit, dass die Delegierten selbigen brav abnicken. Fragen sind nicht erlaubt, mit einer Ausnahme: nach Abschluß stellt sich der Premier den in- und ausländischen Journalisten auf einer Pressekonferenz.
Weil aber Chinas KP nichts dem Zufall überläßt, bekommen viele meiner Kollegen und Kolleginnen in diesen Tagen Anrufe aus dem Außenministerium. Meist beginnen sie so ähnlich:
„Sie haben doch den Bericht des Premiers verfolgt – wahrscheinlich haben Sie noch Fragen dazu?“
„Ja, durchaus…..“
„Die könnten Sie ja auf der Pressekonferenz stellen. Was wollen Sie denn fragen?“
„???“
Klar ist, dass sich die chinesische Presse an solche Absprachen hält. Klar ist auch, dass sich kaum ein ausländischer Korrespondent zum Büttel der chinesischen Zensur machen will. Er/sie hat also zwei Möglichkeiten:
1) er/sie lehnt das Ansinnen entrüstet ab und wird vom Chef der Informationsabteilung, der die Fragesteller aussucht, garantiert nicht aufgerufen
2) er/sie geht zum Schein darauf ein, stellt aber auf der Pressekonferenz eine ganz andere, natürlich kritische Frage.
Im zweiten Fall wird man zwar Chinas Premier kaum in Verlegenheit bringen, der auch auf kritische Fragen ausweichende Antworten parat hat, kann aber sicher sein, sich einen kleinen Beamten im Außenministerium zum Feind gemacht zu haben. Den Anrufer nämlich, der die mißglückte Absprache dann ausbaden muß. Das ist es kaum wert – noch dazu für eine Antwort, die nur selten Nachrichtenwert hat.
Also verzichtet man auf die Offenlegung seiner Frage und hofft, trotzdem aufgerufen zu werden. Schließlich muss auch das chinesische Staatsfernsehen seinen Zuschauern die Beteiligung der westlichen Presse dokumentieren.
Leider gehen aber doch immer wieder einige Kollegen und Kolleginnen auf die Absprache ein … und sorgen mit dafür, dass die Pressekonferenz des Premiers genau so spannend verläuft wie vorher der Volkskongress.
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Bürgermeister in Yunnan: Schamane, Parteimitglied und Unternehmer
VIDEO: Heisses Eisen lecken als Heilritual
Am Spätnachmittag erreichten wir ein Dorf an der tibetanischen Grenze. Der Bürgermeister begrüsste uns, rupfte ein paar Gräser vom Strassenabhang und stapfte auf einen Baumstumpf zu. Wir folgten ihm, Schweine folgten uns und Hühner liefen den Schweinen hinterher. Der Bürgermeister bückte sich, entzündete das Grasbüschel in seiner Hand. Der Rauch war süss, löste sich vom Hanf, der wie ein Wegelagerer an allen Strassenrändern in Yunnan lauert. Schnell hörten die Bienen auf zu fliegen, kletterten über die rissige Hand des Bürgermeisters. Keine stach. Alle torkelten. Der Dorfoberste griff tief in die Holzaushöhlung und zog ein paar triefende Honigklumpen heraus, die wir auf unseren Aluminiumtellern verteilten. Wir gingen damit zu einer der anliegenden Hütten, setzten uns ans Feuer und begannen die Waben – unser Abendessen – auszusaugen. Wie sich herausstellte, war der Bürgermeister auch ein Schamane, der die Gabe hatte, entweder Menschen zu heilen oder zu verfluchen – eine heikle Sache! Verwendet er die falschen Wörter, dann kann sich der Fluch gegen ihn richten. Einer seiner magischen Tricks bestand darin, ein Schwert ins Feuer zu stecken.
Als die Klinge glühte, zog er sie raus und legte sie vor aller Augen und vor meiner Kamera auf seine Zunge. Ich dachte, ich würde zumindest das Zischen von seinem verdampfenden Speichel hören, wenn nicht gar seine anbrennende Zunge. Aber ich hörte gar nichts. Wir wunderten uns, schüttelten die Köpfe und vergassen für einen Augenblick unseren Honig. Da man in China als Bürgermeister auch Mitlgied der Kommunistischen Partei sein muss, bewegte sich der Schamane wie auf glühenden Kohlen. Für Kameraden in benachbarten Bezirken oder in höheren Positionen ist Schamanismus eher konterrevolutionär als heilend. „Ich praktiziere deshalb nur noch gelegentlich und heimlich,“ erklärte der Bürgermeister.
Unser Expeditionsleiter schlug dann vor, den wilden Yunnan Honig für verwöhnte, japanische Konsumenten zu vermarkten – was der kommunistische Schamane (und angehende Unternehmer) eine tolle Idee fand. Mit fortgeschrittenem Abend wurden die Flammen kleiner. Der Bürgermeister warf den letzten Holzblock in die Glut und verbrannte sich dabei fast die Hand. „Ich denke, er ist besser mit der Zunge!“ sagte der Expeditionsleiter. Alle lachten und auch unser magischer Gastgeber. Wir kletterten dann wie Bienen aus der Rauch-gefüllten Hütte, wischten Tränen von unseren Augen und suchten den Weg zurück zu den Schlafsäcken. Irgendwo bellte ein Hund zum Mond. Ich lutschte an der letzten Wabe und erwartete meinen Absturz vom Sugar-High so um vier oder fünf in der Früh.
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Vor ein paar Tagen schickte mir eine Freundin eine SMS mit einer Warnung: Ich solle derzeit lieber kein Schweinefleisch essen. Sie habe gehört, dass in Peking verseuchtes Fleisch im Umlauf sei, das beim Menschen Gehirnhautentzündung auslösen könne. Ich war nicht die einzige Adressatin, die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, per SMS und auch übers Internet.
Dort folgte dann auch das Dementi, zuerst von der Pekinger Polizeibehörde, dann vom Chef des Pekinger Gesundheitsamtes. Die Meldung sei ein Gerücht und wer es weiter verbreite, dem drohten zwischen 2 und 5 Jahre Haft. Doch solche Gerüchte nähren sich in China immer von dem Verdacht, dass die Behörden sowieso lügen, immerhin erkranken jährlich 300 Millionen Chinesen durch verdorbene Nahrungsmittel, aber nur selten werden solche Skandale aufgedeckt. Kein Wunder also, dass dem Dementi niemand so recht Glauben schenkte.
Lebhafte Diskussion auf sina.com, wo nicht wenige an die SARS-Krise erinnerten: auch da habe die Regierung erst spät eine Gesundheitsgefahr eingeräumt. Da gehen die Pekinger lieber auf Nummer Sicher: ein Supermarkt-Verkäufer klagt, er habe seit 3 Tagen kein einziges Stück Schweinefleisch verkauft.
Chinas Internet-Polizei zog eine beliebte Notbremse: die Diskussion wurde zensiert, über Nacht sind von mehreren tausend Kommentaren nur noch eine Handvoll sichtbar. Sina.com wagte immerhin so etwas wie gewaltlosen Widerstand und berichtete, dass ein Mann verhaftet wurde, weil er einen Internet-Artikel über korrupte Kader weiterleitete. Acht Monate später wurden die Kader tatsächlich bestraft, doch der Mann sitzt für das angebliche Gerücht noch immer im Gefängnis.
Chinas Staatssender CCTV hatte übrigens am Montag einen Bericht gebracht über illegale Händler, die verdorbenes Fleisch in Umlauf brachten, 30 Tonnen konnte die Polizei beschlagnahmen.
Glück für mich: ich mag kein Schweinefleisch.
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So sehen sie aus – die ersten fast fertigen Olympiabauten in Peking. Das Schwimmstadion, "Eiswürfel" genannt, mit einer Kunststoffhülle aus deutscher Produktion und das "Vogelnest", das Nationalstadion, wo die Eröffnungsfeier stattfinden soll.
Alles im Griff, so lautete gestern die Botschaft des Olympischen Komitees, das stolz seine ersten Prestigeprojekte vorführte. Ausnahmsweise war sogar der Himmel blau, ein Rätsel, wie sie das immer so termingerecht zu den Pressetouren hinkriegen. Stunden später hing dort wieder der altbekannte Smog. Für Pekings Verkehrsprobleme scheint noch keine Lösung in Sicht, aber die Bauten für Olympia sollen alle bis Ende 2007 fertig sein.
Die gute Nachricht für die Medien hatte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Liu Jianchao, bereits eine Woche früher verkündet. Ab 1.Januar 2007 genießen ausländische Korrespondenten in China Pressefreiheit, theoretisch zumindest. Dann müssen Interviews nicht mehr angemeldet werden, auf Reisen brauchen Journalisten keine Aufpasser mehr, nur noch die Zustimmung des Interviewpartners. Zu schön, um wahr zu sein, und es bleibt abzuwarten, ob sich diese Regeln auch bis zu den zuständigen Beamten herumsprechen. Vor allem aber nur eine Freiheit auf Zeit: sie endet mit den Olympischen Spielen im Oktober 2008. Regierungssprecher Liu machte allen Enttäuschten Hoffnung: bis dahin werde sich in China noch vieles ändern, "nichts bleibt ewig, wie es ist".
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Zitat des Shanghaier Finanzamtes: "Wenn Sie die Verzugszinsen vermeiden wollen, müssen Sie eine 'Gebühr' bezahlen."
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Komme gerade aus Peking zurück, wo DaimlerChrysler am Freitag das erstes Mercedes-Werk in China eröffnet hat, im Detail hier nachzulesen.
Konzernchef und Ex-Werbestar Dieter „Dr. Z.“ Zetsche war extra aus Deutschland eingeflogen und begrüßte die versammelten Arbeiter und Ehrengäste auf Chinesisch. Zetsche bemühte sich, in seiner Rede so oft wie möglich zu betonen, welch großen Beitrag DaimlerChrysler mit der Werkseröffnung zum Aufbau der chinesischen Volkswirtschaft leistet.
Der Pekinger KP-Parteisekretär war gekommen. Es gab chinesische Trommler, Feuerwerk und eine Bühnendarbietung im Stil kommunistischer Propagandafolklore. Das war die Oberfläche.
Nun ist in China bekanntlich vieles anders, und wir alle sind hier nur Gäste. Aber es entbehrt nicht einer gewissen traurigen Komik, wenn man beobachtet, wie deutsche Konzerne versuchen, sich in China wie die besseren Chinesen zu präsentieren.
Für uns Journalisten fängt das fühlbar bei der Informationspolitik an. Es wäre interessant gewesen, zu erfahren, wie DaimlerChrysler mit der Fabrik Geld verdienen will, welche Folgen die neue Luxussteuer von 20 Prozent für den Automarkt hat und welche technologischen Geheimnisse DaimlerChrysler verraten musste, um die Genehmigung für das Joint-Venture-Werk zu bekommen. Doch ein Hintergrundgespräch mit dem Management wurde „aus Zeitmangel“ per SMS abgesagt.
„Sorry, Buddy“, sagte der Pressesprecher, ein sehr amerikanischer Amerikaner und bot alternativ ein Abendessen an, "leider ohne das Management". Chinesische Firmen und Behörden verfahren nach der gleichen Strategie: Beschäftigt die unangenehmen Medienmenschen mit Dauerbanketten und opulenten Saufgelagen, sonst könnten sie aus Langeweile recherchieren.
DaimlerChrysler verhält sich wie die meisten deutschen Firmen. Die Kommunikationschefin von Siemens in Peking ruft grundsätzlich nicht zurück. Wenn man sie in einem seltenen Fall von Glück oder Versehen doch einmal am Telefon erwischt, bemüht sie sich um Informationsverhinderung. Fast alle internationalen Konzerne verteilen bei Pressekonferenzen rote Umschläge mit „taxi money“ an die chinesischen Journalisten, die kritischen Fragen dafür gerne runterschlucken. Der Pressesprecher eines Münchner Halbleiterherstellers hat mich einmal aufgefordert, ihm meinen Artikel vor der Veröffentlichung vorzulegen.
Ich habe den Eindruck, dass das chinesische Verständnis von Presse- und Meinungs- und Informationsfreiheit vielen ausländischen Konzernen gut gefällt. Und nicht nur das. Wenn man in Peking oder Schanghai mit deutschen Unternehmern zusammensitzt und über Politik plaudert, fällt nicht selten der Satz: „Demokratie passt nicht zu China.“ Viele Manager sind zu Freunden der Diktatur geworden.
Westliche Werte gelten den Geschäftsleuten beim Verkauf von Maschinen und Autos in China als geschäftsschädigender Ballast. Als der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau bei einer Chinareise vor drei Jahren mit milden Worten die Durchsetzung von Menschenrechten einforderte, klagten die verärgerten Statthalter der deutschen Industrie über den wirtschaftlichen Schaden, den Raus Rede der deutschen Wirtschaft angeblich bereitet habe. Die Firmen zeigen sich lieber als die untertänigen Freunde der Regierung. Ein deutscher Ingenieur soll vor ein paar Jahren sogar versucht haben, Mitglied der Kommunistischen Partei zu werden. Sein Antrag wurde abgelehnt.
Lange hielt sich im Westen die These, dass der Handel mit China das Land langfristig demokratisieren werde. Das kann heute nur noch behauten, wer Gucci-Brillen und Louis-Vuitton-Handtaschen für eine politische Aussage hält. Chinas Wirtschaftsboom, der sich auch auf Außenhandel und Direktinvestitionen stützt, hat die Kommunistische Partei so stark wie nie zuvor gemacht. Statt die Idee der Demokratie nach China zu tragen, sind ausländischen Firmen aus Angst um Marktanteile zu Gehilfen der KP geworden.
Auf Computermessen in Schanghai und Peking preisen amerikanische IT-Konzerne ohne erkennbaren Scham die Vorzüge ihrer Überwachungssysteme für das Internet. Google zensiert sich gleich selbst und Yahoo gibt Nutzerdaten an die chinesische Stasi, und verantwortet damit die Verhaftung des kritischen Journalisten Shi Tao. „Wir müssen die chinesischen Gesetze respektieren“, sagten die Yahoo-Sprecher.
„Jeder hat [das Apartheidsregime in] Südafrika verurteilt, aber jeder kooperiert mit China“, sagt der Dissident Xiao Qiang, der inzwischen in den USA lebt. „Warum sollte China anders behandelt werden?“, fragt auch die Financial Times.
In den USA wird bereits diskutiert, amerikanische Firmen zu bestrafen, die in China zur Verletzung der Menschenrechte beitragen.
China ist anders aber mehr als nur ein Absatzmarkt. Deutschland hat Grundwerte, die bis nach Asien reichen. Wir können sie China nicht aufzwingen. Aber wir dürfen sie auch nicht vergessen. Das gilt besonders im Zeitalter der Globalisierung.
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Ein Eisenbahn-Ticket nach Tibet? Der Mann im Pekinger Reisebüro winkt ab. Nicht ohne Genehmigung des für Ausländer zuständigen Amtes in Lhasa. Dort fordert man von mir einen schriftlichen Antrag und lässt sich mit der Antwort dann 2 Wochen Zeit. Genehmigung ja, aber eine offizielle Begleitung ist für mich Pflicht.
Mein Hinweis, ich wolle lediglich eine private Reise unternehmen, lässt den "waiban" ungerührt. Privat oder beruflich – Chinas Kommunisten trauen uns Journalisten nicht über den Weg. Nach Tibet darf ich nur mit staatlichem Aufpasser.
Den soll ich übrigens auch bezahlen. "Service-Gebühren" nennt sich das, für Organisation, Begleitung und Transport. Allein für den Abhol-Service mit dem waiban-Auto könnte ich mir ein Flugticket von Peking nach Lhasa leisten. Ich will lieber Taxi fahren. Das komme nicht in Frage, heißt es sofort. Da könne man ja nicht für meine Sicherheit garantieren.
Ich verweigere mich den amtlichen Wucherpreisen, fahre trotzdem. Die Aufpasserin ist eine sehr nette Tibeterin in chinesischen Diensten, die täglich in der Hotellobby auf mich wartet. Nicht mal shoppen darf ich allein.
Und falls ich die Regeln doch kurz vergessen sollte, liegt im Hotelzimmer eine Warnung in radebrechendem Englisch: "Ausländische Reisende in China dürfen unter keinen Umständen Chinas nationale Sicherheit gefährden, indem sie an Aktivitäten teilnehmen, die die öffentliche Ordnung stören… Falls sie zufällig Zeugen einer Demonstration werden, ist es streng verboten, Fotos oder Videoaufnahmen davon zu machen." Das gilt als "Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten".
Ich frage mich mal wieder, wie das bei den Olympischen Spielen 2008 werden soll, wenn 20-tausend ausländische Journalisten amtliche Aufpasser zur Seite gestellt bekommen. Vermutlich hat es noch keiner durchschaut – das Ganze ist nur eine verkappte ABM-Maßnahme der chinesischen Regierung.
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Die Hälfte aller in China verkauften Bücher, DVDs und Computerprogramme sind gefälscht, berichtete die Nachrichtenagentur Xinhua. Die Meldung stützt sich auf einen Regierungsbericht, nach dem 45,5 Prozent aller im vergangenen Jahr verkauften Medienprodukte Raubkopien seien.
Nur 45,5 Prozent? Das kann nicht sein! Es ist in China leichter, Fälschungen zu kaufen als Originale. Gefälschte DVDs bekomme ich in Shanghai rund um die Uhr für 70 Cent an jeder Straßenecke. Echte DVDs – ich muss sagen: keine Ahnung, wo man die kaufen kann. Habe ich in vier Jahren noch nicht gesehen.
Die Xinhua-Meldung erwähnt nicht, dass in China auch die Hälfte aller Regierungsberichte gefälscht sind. Mindestens.
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Ein chinesisches Gericht hat den Hongkonger Journalisten Ching Cheong zu fünf Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Ching war Korrespondent der in Singapur erscheinenden Tageszeitung The Straits Times.
In der Urteilsbegründung heißt es, Ching habe im Auftrag Taiwans in China eine Spionageorganisation aufgebaut und Militärgeheimnisse an Taiwan verkauft, berichten chinesische Medien.
Nicht erwähnt wird in den Beiträgen jedoch, dass sowohl seine Frau als auch seine Kollegen und Vorgesetzte die Vorwürfe bestreiten.
Chings Festnahme im vergangenen Jahr erfolgte nach Abgaben der Familie vor einem anderen Hintergrund: Der angesehene Journalist habe versucht, verbotene Interviewmitschriften von dem in Ungnade gefallenen Parteichef Zhao Ziyang zu bekommen.
In den vergangenen Monaten erhöhte die Regierung den Druck auf chinesische und ausländische Journalisten. Seitdem stehen auf den Medienseiten der internationalen Tageszeitungen fast wöchentlich neue Meldungen über inhaftierte Journalisten in China.
Eine neue Vorschrift droht uns Geldstrafen an, wenn wir bei Unglücken und Katastrophen selber recherchieren und nicht die Propagandameldungen der Nachrichtenagentur Xinhua übernehmen oder eine Genehmigung der Behörden einholen.
China Digital Times hat im vergangenen Jahr eine Liste zusammengestellt, was in China immer noch als Staatsgeheimnis gilt. Nur der Wetterbericht gehört nicht dazu.
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Wer kennt diese Brille nicht? 98 Prozent der Deutschen, so heißt es auf Heinos Webseite, kennen den berühmtesten singenden Bäcker der Bundesrepublik. Aber nur die Hälfte davon schätzt ihn, und die andere Hälfte hat er offenbar aufgegeben. Es gibt ja ein Publikum jenseits von Bad Münstereifel, noch dazu zahlreicher, in China nämlich.
So nahm er die Einladung gerne an, zur Abwechslung mal im chinesischen Staatsfernsehen zu singen. Auf CCTV-3 läuft die chinesische Version von "Wetten, dass…" und erreicht, wenn auch kein Quotenhit (2-3 Prozent Einschaltquote), bis zu 30 Millionen Zuschauer – seine eigene Jubiläumsshow kam nur auf 6 Millionen.
Potentielle Fans? Wohl kaum. Von "Hei-Nuo" hat kaum ein Chinese je gehört, und auch das Echo auf seinen Auftritt in der chinesischen Presse blieb verhalten, oder eher: gleich Null. Stattdessen mußte der Sänger aus Deutschland erfahren, wie hier Stars behandelt werden, die im Reich der Mitte keiner kennt. In der Sporthalle im Westen Pekings, wo die Show aufgezeichnet wurde, herrschten Temperaturen um die 40 Grad, notdürftig gekühlt von ein paar winzigen Klimaanlagen. Überall lagen Müllhaufen herum, die Bühnentreppe ächzte altersschwach, und Heino mußte 20 Minuten in einer dunklen Ecke auf seinen Auftritt warten.
So auch der Tenor meines Fernsehberichts, doch das war offenbar nicht Fan-tauglich. Auf der Webseite der ausstrahlenden Anstalt, des MDR, wurde daraus jedenfalls ein Jubelchor. "Heino begeistert die Chinesen für Volksmusik". Mir scheint, ich war im falschen Film.
Ein kleiner Trost für Heino-Fans: Anderen deutschen Stars in China ging es nicht besser. Auch Udo Lindenberg, Peter Maffay und Thomas Gottschalk blieben bei ihren Auftritten ohne großen Widerhall. Als die Moderatorin Gottschalk fragte, auf wie viele Zuschauer er mit seiner Samstagabendshow komme (max. 15 Millionen), meinte sie ungerührt: "Dafür würden Sie in China entlassen."
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Heute Nachmittag ist im Transrapid in Shanghai ein Feuer ausgebrochen. Kurz nach dem Verlassen der Station Longyang Lu Richtung Flughafen entwickelte sich Rauch im zweiten Wagen. Augenzeugen berichteten auch von Flammen. Verletzte gab es offenbar nicht.
Eigentlich nichts Großes. Aber sobald in deutschen Redaktionen das Wort "Transrapid" aus den Tickern purzelt, klingelt mein Telefon die ganze Nacht.
Ich wollte vorbereitet sein und habe sofort bei der chinesischen Betreiberfirma angerufen. Man kennt mich dort, denn alle zwei bis vier Wochen beantrage ich ein Interview mit dem inzwischen zum internationalen Medienstar aufgestiegenen chinesischen Transrapid-Chef Commander Wu. Jedes Mal bekomme ich die gleiche Absage: "Keine Zeit."
Unser Telefonat heute lief so:
„Was war denn da heute los mit dem Feuer?“
„Das sind ganz schlechte Nachrichten – für Deutschland und für China. Schreiben Sie über das Thema?“
„Ja, wahrscheinlich, ich muss noch mit meiner Zeitung sprechen.“
„Machen Sie das lieber nicht. Das ist ganz schlecht. Dann sehen Sie Commander Wu nie wieder.“
„Ach so! Heißt das etwa, wenn ich nichts schreibe, kriege ich das Interview endlich?“
„Nun ja, wahrscheinlich auch nicht…“
Endlich Ehrlichkeit. Ich werde weiter meine Antragsfaxe schicken, alle zwei bis vier Wochen. Schon aus Gewohnheit.
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Habe zufällig die lustige Webseite Hanzi Smatter entdeckt, die sich mit der Verwendung chinesischer Schriftzeichen in der westlichen Kulturwelt beschäftigt.
Justin Timberlake, zum Beispiel, spielt in dem sonsten nicht weiter beachtenswerten Film "Alpha Dog" einen bedrohlich tätowierten Drogendealer. Auf seinem linken Oberarm prangt ein Kreuz und die zwei Zeichen „liu bing“ – übersetzt bedeutet das Schlittschuhfahren. Das klingt niedlich und lustig, was sicher ungewollt ist, da es in Hollywood sogar eine Firma mit dem Namen Tinsley Transfers gibt, die sich professionell um Filmtätowierungen kümmert. Chinesische Schriftzeichen werden auf der Firmenwebseite übrigens unter "Stammessymbole" geführt.
Hanzi Smatters lustige kleine Fehlersammlung zeigt auch, wie wenig wir im Westen über China wissen. Die Asiaten sind übrigens nicht besser.
Engrish.com dokumentiert, was die Menschen im Osten mit der Verwendung westlicher Buchstaben alles zubereiten können. Schlimmer waren nur die Bedienungsanleitungen japanischer Firmen, die in den frühen 90ern in Europa große Verwirrung auslösten: "Mussen du drucken Schraube A in Lochholz X7 damit schieben die Leiter…."
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Heute – am 8.August – in genau 2 Jahren werden in Peking die Olympischen Spiele beginnen.
Aus diesem Anlass mussten die Pekinger heute staatlich verordneten Frühsport betreiben. Die städtischen Behörden hatten Tausende von Bürgern in den Parks aufmarschieren lassen, um der ausländischen Presse unter Beweis zu stellen, wie fit die hiesige Bevölkerung ist. Ein Pressetermin, so ganz nach dem Geschmack der Propagandazaren, geschickt inszeniert und kontrolliert.
Wenig Grund zum Feiern dagegen sieht der „Foreign Correspondents' Club in China" – ein Verband, der sozusagen halblegal die Interessen der hier akkreditierten Korrespondenten vertritt, Peking erkennt ihn nämlich nicht an.
Die Art und Weise, wie Peking die Arbeit ausländischer Berichterstatter behindere, entspreche nicht dem olympischen Geist, beklagte FCCC-Präsidentin Melinda Liu in einem offenen Brief an die chinesischen Behörden. China habe versprochen, den Medien völlige Freiheit zu gewähren. Davon kann bis heute nicht die Rede sein.
Im Gegenteil: gerade in den letzten Wochen und Monaten sind besonders viele Journalisten in China bei der Ausübung ihres Berufs verhaftet worden. Darunter auch mein Kollege Georg Blume von der ZEIT, der Bauern in Yünnan – ohne vorherige Genehmigung – über ihre Umsiedlung für ein Staudammprojekt befragte. Einer unserer chinesischen Gesprächspartner wurde nach einem ARD-Interview zum Krüppel geschlagen.
Nur unter Aufsicht sind Recherchen möglich, oder vielmehr: unmöglich. Denn natürlich werden kritische Interviews niemals genehmigt, sondern unter den fadenscheinigsten Gründen abgesagt.
Und was den olympischen Pressetermin betrifft: dafür musste man sich auch anmelden. Ohne Genehmigung keine Interviews. Weil wir die Regeln kennen, haben wir uns angemeldet, für den Frühsport im Park am Himmelstempel, eine der schönsten Kulissen Pekings. Da wollten wir sowieso filmen heute. Denkste! Abgelehnt. Fürs Filmen wollen die Pekinger Behörden nämlich Geld, selbst wenn es um Werbung für Olympia geht.
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Beim Blick in das Schlüsselloch der Geschichte kann ich nicht widerstehen. Zeugen vergangener Zeiten, deren Leben rätselhaft und faszinierend erscheint, ziehen mich magisch an. Leider ist das in China oft schwierig, weil die offizielle Geschichtsschreibung die Wirklichkeit gern retuschiert.
Lange haben wir um eine Genehmigung gekämpft, nach Yunnan fahren zu dürfen, in ein Dorf, wo noch etliche Frauen mit gebundenen Füßen leben – eine grausame Sitte, mit der in China zu Beginn des letzten Jahrhunderts die Frauen verstümmelt und für ihre Ehemänner gefügig gemacht wurden. Nach einigen Ablehnungen (das Thema ist der chinesischen Propaganda zu "rückständig") kam uns die rettende Idee. In einem der Dörfer haben diese Frauen eine Tanzgruppe gegründet und es damit bis ins Staatsfernsehen geschafft. Das gefällt der Propaganda, nach dem Motto "wie Chinas Kommunistische Partei selbst den Opfern des Feudalismus zu neuem Lebensmut verhilft"…
Die Genehmigung war damit kein Problem mehr, ausgestellt vom offiziellen Ausländer-Begleitdienst der Provinz. Der diktierte noch den Termin: am 19.Juli würde die Tanztruppe beim "Huobajie" (Fackelfestival) auftreten.
Als wir im Dorf eintrafen – einen Tag früher – kamen wir gerade rechtzeitig zum Ende der Tanzvorführung. Eine Übung, beruhigte man uns. Trotzdem traute ich meinen Augen kaum: die Tanzenden waren zwar alle im gesetzten Alter, doch keine einzige von ihnen hatte gebundene Füße!
Herr Huang, der Tanzlehrer, hatte dafür eine einleuchtende Erklärung: die Frauen seien mit fast 90 Jahren zu alt, um noch auf ihren verkrüppelten Füßen zu tanzen, die letzte habe vor etwa 5 Jahren damit aufgehört. Jetzt seien ihre Töchter nachgerückt. Verständlich – und ein typisch chinesischer Etikettenschwindel. Denn Chinas Staatsfernsehen vermarktet die Truppe natürlich als Drachentänzerinnen auf "Lotusfüßen". Ob das keinem Zuschauer aufgefallen ist?
Auch der angebliche Auftritt war eine Fehlinformation: am 19.Juli feiert man in Yunann zwar das Fackelfestival, aber nur unter den dort lebenden Minderheiten. Die Han-Chinesen, und dazu gehörten auch unsere Tänzerinnen, interessiert das nicht.
Übrigens war die Reise dann doch kein Reinfall. Denn die Frauen mit den verkrüppelten Füßen tanzen zwar nicht mehr, aber einige sind trotz hohen Alters (die älteste war 95) noch sehr munter und freuen sich über jeden, der sich für sie und ihr Leben interessiert. Es wurde dann doch noch eine sehr spannende Geschichte……
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Vor zwei Jahren war in China der kritische Journalist Shi Tao verhaftet worden, weil Yahoo China seine Nutzerdaten an die chinesische Polizei weitergegeben hatte. Die Behörden warfen Shi die Verbreitung von Staatsgeheimnissen vor, nachdem Im April wurde Shi zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Als Journalist der Wirtschaftszeitung Dangdai Shang Bao soll der Verurteilte eine Mitteilung der Behörden an ausländische Websites weitergeleitet haben, schreibt Reporter ohne Grenzen. In der Mitteilung sei angesichts des 15. Jahrestags des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni vor "sozialen Risiken" gewarnt worden. Shi hatte die Weiterleitung der E-Mail eingeräumt, aber der Behauptung der Behörden widersprochen, die Mitteilung sei als "streng geheim" gekennzeichnet gewesen.
Bisher entschuldige sich Yahoo immer mit dem Argument: „Wir müssen die chinesischen Gesetze respektieren. Vergangene Woche habe ich den neuen China-CEO Jack Ma interviewt. Erstmals hat Yahoo dabei angekündigt, aus seinen Fehlern gelernt zu haben. Doch nach wie vor begrüßt Ma die Zensur des Internets in China.
Hier der Auszug aus dem Interview:
Glauben Sie, dass das Internet für Ihr Land eine Gefahr ist?
Ich glaube, dass es den Menschen hilft. Es schafft viel Transparenz, man hat das besonders zur Zeit der Sars-Epidemie gesehen. Die Menschen bekommen mehr und mehr Informationen – eine große Verbesserung.
Gerade das macht der Regierung doch große Sorge. Sollte der Staat das Internet zensieren?
Ja. Ich habe ein 14-jähriges Kind. Es gibt so viel Müll im Internet…
…wir meinten die vielen Nachrichtenquellen und kritischen Webseiten, die blockiert werden. Themen wie Menschenrechte, Tibet…
Das ist der Unterschied zwischen dem Westen und China. Die chinesische Regierung wird offener. Wenn man nur kritisiert, werden sie nur noch verschlossener. Wir sollten ermutigend wirken. Es wird besser. Chinas Kultur unterscheidet sich vom Westen, besonders von der amerikanischen Kultur, wo schon die Kinder seit Generationen lernen, was Freiheit und Demokratie bedeutet und wie man diese Werte schützt.
Man kann das nur schlecht lernen, wenn man im Internet nicht einmal nach dem Wort „Demokratie“ suchen kann.
Das ist eine politische Diskussion. Aber zu schnelle Veränderungen – das könnte in einer Katastrophe enden.
Im vergangenen Jahr haben Menschenrechtsorganisationen Yahoo vorgeworfen, den chinesischen Behörden Informationen übermittelt zu haben, die zu der Verhaftung des Journalisten Shi Tao geführt haben. Der Fall liegt zwei Jahre zurück – bevor Sie Yahoo China übernommen haben. Was werden Sie tun, wenn die chinesische Polizei das nächste Mal die Herausgabe von Nutzerdaten verlangt?
Ich arbeite seit vielen Jahren in China und die Polizei ist noch nie zu mir gekommen. Es gibt wirklich unterschiedliche Situationen. In einem Mordfall – wenn wir im Besitz wichtiger Dokumente wären – da würden wir kooperieren. Ebenso bei Fragen, die die nationale Sicherheit betreffen, Terroristen,…
… und im Fall kritischer Journalisten?
Das wird nicht noch einmal passieren, natürlich nicht. Wir betreiben unsere Firma in Übereinstimmung mit der chinesischen Gesetzgebung.
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Ich teile mein Büro mit der Korrespondentenkollegin Christina Boutrup, die für die dänische Zeitung Berlingske Tidende berichtet.
Christina will schon lange ihre Chinesischkenntnisse verbessern. Letzte Woche hat sie alle ihre guten Vorsätze zusammengenommen und sich bei der Jiaotong Universität, einer der führenden Unis in China, für einen Sprachkurs angemeldet.
Doch am nächsten Tag kam die Ablehnung. Begründung: Ausländische Journalisten dürfen keine normalen Sprachkurse besuchen.
Die Regierung würde ausländische Journalisten am Liebsten völlig von der chinesischen Alltagswelt verbannen. Als ich vor sechs Jahren zum ersten Mal nach Peking kam, mussten wir noch in speziellen „Diplomatencompounds“ wohnen. Das waren hässliche Betonbunker im Stil sowjetischer Gefängnisarchitektur. Dort klickte es ständig in den Telefonleitungen und die bewaffneten Uniformierten haben selbst den Pizzaboten den Zutritt verweigert.
Inlandsreisen und Interviews müssen nach den Richtlinien für ausländische Korrespondenten bei den Überwachungsbehörden angemeldet werden.
Früher hieß es, die Vorschriften seien zu unserem Schutz. Das wir keine normalen Sprachkurse besuchen dürfen ist neu. Offenbar ist auch das nun „zu gefährlich“.
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Es ging ganz schnell, eine Revolution, die uns überraschte. Die düsteren Bars mit Dartscheiben an den Wänden verschwanden zuerst. Es kamen Friseure und Nagelstudios. Wo früher Fußball gespielt wurde, treten heute Boygroups auf. Autohändler verwandelten sich über Nacht in Spa-Paläste. Was Männer mochten verschwand. Was Frauen mögen entstand. Es hat nur wenige Monate gedauert.
Seit 15 Jahren boomt Shanghai. Seitdem arbeiten die Männer jedes Jahr mehr. Wirtschaftsreformen und Rekordboom haben Shanghai zu einer wohlhabenden Stadt gemacht. Den Menschen geht es gut. Doch die Männer haben sich in Fabrik- oder Büroroboter verwandelt.
Auch die Frauen machen in Shanghai Karriere. Aber sie haben den Spaß nicht vergessen. Und während die Männer immer beschäftigter und immer grauer wurden, nehmen sich die Frauen immer mehr Freizeit – und haben in kurzer Zeit die ganze Stadt für sich erobert. Weil die Frauen die einzigen sind, die noch Zeit zum Geldausgeben haben, hat sich das komplette öffentliche Leben inzwischen ihren Bedürfnissen angepasst. Wir Männer wurden versklavt und die meisten merken es nicht einmal.
Als Mann muss man inzwischen die verrücktesten Sachen machen, wenn man einer von diesen Frauen gefallen will. Wir tragen ihnen beim Einkaufen die Handtaschen hinterher, sitzen geduldig wartend in Schuhgeschäften herum und schälen ihnen vor dem Fernseher die Weintrauben, weil sie es so am liebsten mögen. Man kann sich an sehr vieles gewöhnen. Seit der Machtübernahme der Frauen ist Shanghai entspannter geworden, schöner auch und vor allem bunter.
Shanghai ist die Stadt der Frauen. Das ist – und das sage ich hier nicht nur um zu gefallen – gar nicht mal so schlecht.
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Jungfernfahrt der höchsten Eisenbahn der Welt – kaum ein Pekinger Korrespondent, der dabei fehlen wollte. Am 1.Juli sollte sie starten, bis drei Tage vorher hieß es in der Pressestelle des Eisenbahn-Ministeriums: "kein Kommentar".
Dann, zwei Tage vorher, die erlösende Nachricht: 40 ausländische Korrespondenten seien auserwählt. Am 2.Juli abends Einstieg in Peking, 48 Stunden später Ankunft in Lhasa.
Eine Jungfernfahrt? mitnichten. Der erste Zug war einen Tag vorher gestartet, termingerecht, aber unter Ausschluß der Weltpresse. An Bord waren kommunistische Prominenz und das chinesische Staatsfernsehen. Ein fröhliches Fest für Chinas Propaganda – mit Tanzgruppen auf dem Bahnsteig und Lobeshymnen des Staatspräsidenten.
Zudem hatte man die westliche Presse während der Bahnfahrt von der Kommunikation weitgehend abgeschnitten: sie musste mit der 2.Klasse vorlieb nehmen, wo es weder Strom noch Internet-Zugang gibt.
Ist diese Land wirklich reif für Olympia 2008?