Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Bettina Rühl bekommt das Bundesverdienstkreuz
Die Korrespondentin wird damit für ihre „unabhängige, überdurchschnittlich engagierte und bemerkenswerte Recherche-Arbeit” in Afrika und ihre Berichterstattung über Afrika ausgezeichnet. Vorgeschlagen hatte sie Bundesaußenminister Heiko Maas, mutmaßlich höchstpersönlich Fan von Bettinas Reportagen, Hintergründen und Analysen.
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Maßnahmen lockern? Anders forschen? Alte Menschen isolieren? – Debatten, die in Deutschland geführt werden, beschäftigen auch andere Länder. Aber es gibt dort auch völlig andere Lösungen, Ansätze und Konflikte. Die Weltreporter berichten in diesen Wochen von allen Kontinenten fast ausschließlich über Situationen, Menschen und Ereignisse, die irgendwie mit Covid-19 zu tun haben.
Falls Sie eine C-Verschnaufpause brauchen: Manche Themen – wie Cornelia Funkes neuer Roman, über den Kerstin Zilm im Deutschlandfunk Kultur spricht – haben weniger inhaltlich als vielmehr anlässlich mit Corona zu tun: Die Bestsellerautorin Funke lässt in den kommenden Wochen live auf Instagram und YouTube aus dem vierten Buch ihrer Tintenwelt-Serie lesen. Das Buch ist noch gar nicht veröffentlicht. Funke erzählte Kerstin Zilm, warum sie die ersten 14 Kapitel von ‘Die Farbe der Rache’ trotzdem schon aus ihrer Schublade geholt hat.
In Taiwan wurden die ersten Coronavirus-Infektionen noch vor jenen in Deutschland gemeldet, doch bis heute gibt es in dem asiatischen Land weniger als 450 Infektionen und sechs Tote – Wie gelingt eine so beeindruckende Bilanz? Nicht ohne Einschränkungen, aber mit raschen, wirksamen Maßnahmen hat der Inselstaat vor der Küste Chinas geschafft, die Ausbreitung des Virus unter den 23 Millionen Einwohnern stark einzudämmen. Einen spannenden Bericht dazu hat Klaus Bardenhagen für die Umschau des MDR gefilmt.
Klaus Bardenhagen berichtet aus Taipei Foto: Screenshot mdr
Dort erklärt er – diesmal auch vor der Kamera – warum Taiwan in diesen Tagen so eine Art Insel der Seligen ist. Über die strenge Heimquarantäne und die besondere Rolle der Taxifahrer in Taiwan hatte Klaus Bardenhagen zuvor bereits mit dem ARD Studio Tokio für das Mittagsmagazin einen Beitrag gedreht.
Knapp 10.000 Kilometer weiter südwestlich arbeitet Anke Richter, die sich in den vergangenen drei Wochen kaum wie Kollege Bardenhagen auf einem vor Menschen wimmelnden Markt getummelt haben dürfte. In Christchurch wurde der Lockdown mit deutlich härteren Sanktionen durchgesetzt als in vielen deutschen Städten. Und Neuseeland liegt jetzt im weltweiten Kampf gegen das Coronavirus mit einem Reproduktionsfaktor von 0,5 vorne. Als sonderlich harsch wurden die Maßnahmen dort jedoch von vielen nicht empfunden. “Nett und schlau” nennt Anke in ihrer Story für Zeit Online die Strategie, mit der der Pazifikstaat bisher offenbar gut fährt. Regierungschefin Jacinda Ardern sitzt dort im Sweatshirt zu Hause und beantwortet im Livechat auf Facebook Fragen ihrer Landsleute – unprätentiös, herzlich, sachkundig.
Während anderswo Mediziner fehlen, schickt Kuba Doktoren in die Welt: 596 Ärztinnen und Ärzte habe man in insgesamt 14 Länder entsandt, um sie zu unterstützen, hieß es aus dem kubanischen Gesundheitsministerium. Wie es dazu kam, dass sich der sozialistische Inselstaat in der medizinischen Kooperation derzeit so profiliert, hat Wolf-Dieter Vogel analysiert.
Singapur hatte die Krise fast im Griff. Doch jetzt schockiert ein massiver Ausbruch in den Wohnheimen für ausländische Arbeiter den reichen Stadtstaat, schreibt Mathias Peer im Handelsblatt. Zwar gehört Singapur zu den reichsten Ländern der Welt, doch bei ihren Gastarbeitern sparen viele Unternehmen wo es geht – das rächt sich nun offenbar.
Ein Straßenhändler in Kenia verkauft Desinfektionsmittel © Bettina Rühl
Den afrikanischen Kontinent hat das Coronavirus mit Verzögerung erreicht. Inzwischen steigen die Infektionszahlen deutlich an. In Kenia, Uganda, Simbabwe und Südafrika greifen Polizei und Militär hart durch, um Ausgangsbeschränkungen durchzusetzen. Im Deutschlandfunk berichten Bettina Rühl und Leonie March über die Situation in Slums der kenianischen Hauptstadt und über das zum Teil drastische Krisenmanagement Südafrikas.
Julia Macher erzählt in ihrer Hörfunk-Reportage auf Deutschlandfunk Kultur wie Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in Barcelona mit der Corona-Krise umgehen. Das war für die Weltreporterin in Spanien auch eine erzählerische Herausforderung: Wie bleibt man trotz Ausgangssperre und „social distancing“ nah dran an den Protagonisten?
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Die Corona-Krise hat noch wichtiger gemacht, was uns Weltreporter auszeichnet: Wir sind schon da, wohin andere erst reisen müssen – und genau das jetzt nicht mehr können. Quarantäne, geschlossene Grenzen, Reisebeschränkungen, Ausgangssperren – Reisen sind schwierig geworden, nicht nur ins Ausland, und auch für Journalisten. Wer zum Coronavirus jenseits der Landesgrenzen recherchieren will, schaut ins Internet, telefoniert – oder beauftragt einen Weltreporter. Wir wissen, wie die Situation in vielen Regionen der Welt ist, denn wir arbeiten und leben dort.
Fabian Kretschmer berichtet aus China zur Öffnung der Stadt Wuhan und beschreibt, welche Auswirkungen die Krise auf die Blase des chinesischen Profifussballs hat. Anke Richter hat mit Deutschen gesprochen, die in Neuseeland festsitzen.
Sarah Mersch beobachtet, wie die Tunesier daraf reagieren, wenn Ausgangssperren plötzlich mit Drohnen überwacht werden. Wolf-Dieter Vogel schreibt aus Mexiko, weshalb ein Essayband mit philosophischen Texten in der Coronakrise offenbar einen wichtigen Nerv trifft.
Vermutlich schon, schreibt Julia Macher, aus dem Brennpunkt-Land Spanien. Sie arbeitet in Barcelona und berichtet von dort unter anderem darüber, was sich Hotels einfallen lassen, wenn Touristen fehlen.
Bettina Rühl und Marc Engelhardt recherchieren im dem Kongo und in Genf, wie die Ebolakrise zu Ende geht – und was sich für die Corona-Pandemie daraus lernen lässt.
Bettina Ruehl weiß außerdem, wie ein gespensticher Flughafen aussieht, sie war im Terminal von Nairobis Airport, als dort die letzten internationalen Flüge landeten. Im Deutschlandfunk berichtet sie an diesem Wochenende gemeinsam mit Südafrika-Weltreporterin Leonie March und anderen Korrespondenten über die Situation in Afrika.
Wie sich das Virus in Townships und Slums in Südafrika ausbreitet, schildert Leonie March außerdem in einem Korrespondentengespräch mit dem SWR.
Warum die Australier derzeit nicht sonderlich gut auf Kreuzfahrer zu sprechen sind – und wie es aussieht wenn Strände geschlossen werden – habe ich in einem kurzen Länder-Update zusammengestellt. In Brüssel fragt sich Eric Bonse, wann die EU-Staaten den “Exit” aus der Coronakrise vorbereiten?
So aktuell wie es uns möglich ist, halten wir Weltreporter Sie aus mehr als 100 Ländern auch über unsere Weltreporter.net-Facebookseite und unseren Twitter-Kanal auf dem Laufenden.
Bleiben Sie gesund, bleiben Sie demokratisch, bleiben Sie informiert.
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Wir sind rund 50 Korrespondenten, die aus 160 Ländern berichten. Uns trennen tausende Kilometer und sämtliche Zeitzonen: Wenn Seoul schlafen geht, steht Los Angeles gerade auf. Um die zeitliche und räumliche Distanz zu überwinden, treffen wir uns einmal im Jahr in Deutschland, um die wichtigsten Themen zu besprechen und vor allem um den gemeinsamen Geist zu spüren, der uns verbindet – ganz real und ohne virtuelle Schranken.
Dieses Jahr fand das Treffen vom 14. bis 16. September in Köln statt. Ein Höhepunkt war die Vorstellung unseres neuen Buches „Ausgeschlossen“ mit anschließendem Empfang im Excelsior Hotel Ernst – zu dem wir gemeinsam mit dem Kölner Presseclub und dem Kölner Stadtanzeiger eingeladen hatten. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, die Reaktionen überwältigend, die Bücher ausverkauft. Herzlichen Dank an das tolle kölsche Publikum!
Foto: Christian Ahrens
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Kerstin Zilm mit den anderen Preisträgern und RIAS-Kollegen in Berlin.
“Die Preisträger sollen keine Dankesrede halten. Das wird schnell zu langweilig. Ich werde Euch einfach ein paar Fragen stellen.” Ich war sehr froh, als Petra Gute, die Moderatorin der Preisverleihung mir das sagte.
Dankesreden sind Landminen. Nicht dass ich schon viele gehalten hätte, aber von jahrelanger Berichterstattung über die Oscars weiss ich, dass selbst die erfahrensten Redner vergessen, Menschen zu danken, ohne die sie niemals einen Preis erhalten hätten. Oder dass Musik angespielt wird, bevor sie es tun können.
Ein paar Fragen also, das sollte nicht schwierig sein.
Ich war bei der Verleihung der RIAS Medienpreise in Berlin, in genau dem Funkhaus, in dem alles, was echtes Radio angeht, für mich angefangen hat, mit einem Volontariat kurz nach dem Mauerfall. Aufregende Zeiten waren das für das ‘Radio In the American Sector’ und deshalb auch für mich. Bis dahin wollte ich Hitparaden DJ werden, beim Radio Platten auflegen und in Wunschsendungen mit Hörerinnen und Hörern reden. Kaum war ich einmal mit Mikrofon und Aufnahmegerät unterwegs in Berlin, wusste ich: was ich wirklich will, ist Reporterin werden.
“And the rest” – wie man so schön in meiner neuen Heimat sagt, “is history.”
Ausgezeichnet wurden an dem Abend JP Burgard aus dem ARD-Fernsehstudio in Washington DC, Lara Wiedeking vom ZDF in Washington DC, Arndt Peltner, freier Korrespondent und Radioshow-Moderator aus Oakland, Ainara Tiefenthäler und Shane O’Neill von der New York Times, und ich. Die ausgezeichneten Werke befassen sich mit Themen vom Verschwinden der Gletscher in Alaska bis zur Geschichte des Stacheldrahts und dessen Bedeutung für die US-Gesellschaft.
Ich bekam den Preis für eine Serie von Beiträgen darüber, wie sich die US-Gesellschaft mit der Präsidentschaft von Donald Trump geändert hat, und wie die Menschen in Kalifornien darauf reagieren.
Weltreporterin Zilm mit RIAS Berlin Geschäftsführer Erik Kirschbaum und Moderatorin Petra Gute
Nach einer leidenschaftlichen Rede des CBS-Reporters Bill Whitaker und einem Appell an alle Journalisten, alles daran zu setzen, akkurat und ehrlich über aktuelle Ereignisse zu berichten, war es endlich so weit. Die Preise wurden vergeben.
Ich überlegte, wie ich in das Gespräch mit der Moderatorin irgendwie einbauen kann, welche Bedeutung der RIAS für mich hat und auch dass die RIAS Berlin Kommission buchstäblich mein Leben veränderte.
Dank der Kommission war ich 1994 acht Wochen in den USA, bei Politikern, Universitäten, Fernseh- und Radiostationen. Dort entdeckte ich meine Faszination für das Land und die Menschen, die dort wohnen. Über mehrere Stationen bekam ich 2003 den Posten der ARD-Korrespondentin in Los Angeles. 1998 in Washington als Juniorkorrespondentin für das Deutschlandradio lernte ich einen netten Mann kennen. Mit dem bin ich inzwischen verheiratet. Das wäre alles nicht passiert ohne die RIAS Berlin Kommission! Und ich wäre sicher nicht ARD-Westküstenkorrespondentin geworden. Irgendwie wollte ich das alles unterbringen ohne eine Dankesrede zu halten.
Na endlich! Moderatorin Petra Gute und Kerstin Zilm
Ja, und dann stellte Petra Gute mir die erste Frage: “Was haben Sie gedacht, als Sie hörten, dass Sie den Preis bekommen?” Kurz dachte ich an all die diplomatischen Dinge, die ich sagen könnte/sollte. Aber es platzte ehrlich aus mir heraus:
“Na endlich!”
Seit zehn Jahren nämlich reiche ich Beiträge ein für den Preis. Ich hatte schon fast aufgegeben.
Zum Glück lachte der ganze Saal. Und irgendwie hab ich in den nächsten Antworten dann auch all die Sachen untergebracht, die ich auch noch sagen wollte.
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Weltreporter sind in fast allen Zeitzonen zu Hause. Das hilft uns bei der Arbeit, sorgt für Aufträge, kann aber auch für Verwirrung sorgen. Welche das sind, erzählen unsere Reporter auf einer 20-minütigen Reise um die Welt, aus Regionen, in denen die Uhren oft gründlich anders ticken als in Berlin oder in Bremen. Im vierten Podcast der Weltreporter geht es um Zeit – um Rhythmus, Ungeduld und Warten, um Verschiebung der Zeit und ihren Wert. Ein Dutzend Reporter nehmen Sie mit auf einen sehr persönlichen Ausflug in ihren Alltag und an Orte, von denen wir sonst für Sie – Leser und Hörer – in deutschen Medien berichten.
Weltreporter schreiben und recherchieren nicht nur auf sechs Kontinenten, einige von uns nutzen die Zeitverschiebung, die diese Arbeit mit sich bringt auch für Jobs, die es vor fünf Jahren noch gar nicht gab. Christina Schott hätte, als sie als Journalistin nach Indonesien zog, nie gedacht, dass ausgerechnet die Zeitverschiebung ihr mal eine familienfreundliche Arbeitszeit verschaffen würde. Wie viele Kollegen in der Region sorgt sie mehrere Tage im Monat an einem online Newsdesk dafür, dass die Webseiten großer deutscher Tageszeitungen 24 Stunden aktuell bleiben. Und wenn dann kurz vor ihrem Feierabend ein Vulkan spuckt, bricht bei ihr kein Stress aus – dann übergibt sie an die Frühschicht in Berlin oder Frankfurt.
Zug verpasst? Das kann in den Niederlanden Folgen haben…
“Meine Arbeitstage in Seoul sind oft endlos lang”, sagt hingegen Fabian Kretschmer, und er sagt auch, warum das so ist und er eigentlich nichts dagegen hat. Der Südkoreakorrespondent erinnert außerdem an einen historischen Moment, in dem in seiner Region die Uhr zum politischen Theater wurde, und eine halbe Stunde kurzfristig die Weltpolitik durcheinander brachte.
Möge dir Zeit übrig bleiben
Kerstin Zilms Großmutter wünschte der Enkelin in Kalifornien einst, ihr möge Zeit übrig bleiben. Auf Kerstins “Auf Wiedersehen” reagierte die alte Dame gerne mit einem “so Gott will und die Heiligen einstimmen.” Ein Spruch, den Jürgen Stryjak in Kairo in ähnlicher Variante fast häufiger hört als ein “Guten Morgen”; denn zur präzisen Zeiteinschätzung gehört in Ägypten das Inschallah إن شاء الله – so Gott will. Ob beim Schraubeneinkauf oder im Kebab-Restaurant – der Herrgott hat bei der Verwirklichung von Wünschen offenbar seine Hände im Spiel. In Stryjaks Wahlheimatstadt, die den Korrespondenten zuweilen an eine Science-Fiction-Vision aus dem Filmklassiker “Blade Runner” erinnert, kann die Formel “In schā’a llāh” sogar Einfluss auf das Tragen eines Sicherheitsgurtes haben…
Benjamin Wamocho studiert Tiermedizin und unterrichtet Musik in Nairobi
Gott hat den Europäern die Uhren gegeben und den Afrikanern die Zeit – diesen Spruch zitieren Afrikaner gerne, wenn mal wieder ein Europäer ausflippt, weil jemand Stunden nach dem vereinbarten Termin kommt. Bettina Rühl, die auch nach 30 Jahren Arbeit in Afrika noch zuweilen mit dem dortigen Zeitverständnis hadert, hat in Kenia einen Experten für Zeit und Rhythmus befragt: einen Musiker. Benjamin Wamocho erklärt ihr wunderbar, warum nicht immer schlecht sein muss, wenn man eher spürt, wann es Zeit für etwas ist, als ständig die Zeiger eines Geräts bestimmen zu lassen.
Ungeduld ist die Tugend des Korrespondenten
Marc Engelhardt, der von der Schweiz aus die Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates verfolgt, muss bei der Arbeit mit einem anderen Aspekt der Zeit zurechtkommen: “In der in Diplomatie ist Zeit auch Macht”, weiß er. Je länger etwa in New York über Syrien-Sanktionen verhandelt wird, um so mehr Menschen sterben im Bombenahgel in Ostgutha. “Warten können mag eine Tugend der Diplomaten sein – Ungeduld ist die Tugend des Korrespondenten”, sagt Marc Engelhard.
Bei Kerstin Zilm in Los Angeles ticken die Uhren anders, erst recht zur Oscar-Zeit
Folgen Sie uns auf dieser akustischen Reise, und freuen Sie sich auf einige überraschende Erkenntnisse:
Wie tickt Los Angeles und wann ist der richtige Moment für eine Hochzeitsparty in Tunesien? Wie unterscheiden sich die südafrikanischen Gummizeiten right now von just now und now now? Weshalb schüttelt Christine Wollowski in Brasilien immer noch den Kopf und verabredet sich Tina Schott längst nicht mehr an Straßenecken? Welche Folgen kann ein verspäteter Zug im superpünktlichen Holland haben, und wie genau klingt die Schafszeit in einem südfranzösischen Dorf? – Antworten auf all diese Fragen und einiges mehr hören Sie im Weltreporter Podcast #4, zusammengestellt von unserem Podcast-Team in fünf Zeitzonen: Kerstin Zilm, Birgit Kaspar, Jürgen Stryjak, Sascha Zastiral und Leonie March.
PS: Sie haben unsere ersten Podcast-Ausgaben über Licht und Identität verpasst? Sie finden Sie nach wie vor in der Soundcloud und natürlich auf unsere Homepage.
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„Gone bush“ heißt es in meiner Abwesenheitsnotiz, denn ich verbringe den Sommerurlaub wie jedes Jahr in unserem Hauslaster-Domizil an der wilden Westküste. Der steht hoch oben auf einem dicht bewachsenen Hang über tosendem Meer. Solarstrom, Plumpsklo, kein Internet, kein Handyempfang. Das ist Segen und Fluch, mal wieder.
Es war vor exakt sechs Jahren, als ich mich auf dem Fahrrad die steile Küstenstraße entlang bis zum nächsten Café in Punakaiki quälte, um dort einen Blick auf die Zeitung vom Vortag zu erhaschen. So aktuell sind dort die Auslieferungszeiten. Dafür kann man immer mit Sandfliegen rechnen. Solch kleine Mankos machen sie dort mit einmaliger Whitebait-Pizza und singenden Einheimischen wett, die jeden Freitag bis in die Puppen musizieren.
So kam es, dass ich als Letzte im Lande erfuhr, was dem bekanntesten wie dicksten Deutschen in Aotearoa widerfahren war: Kim Dotcoms Villa außerhalb Aucklands war in einer Großrazzia, wie sie das Land noch nie gesehen hatte, gestürmt worden. Der Hausherr saß im Knast – und die Auslandskorrespondentin am schönsten Arsch der Welt, weit von jedem Flughafen oder WLAN-Anschluss entfernt. Tage verbrachte ich telefonierend in dem Café, sah viele Touristen kommen und gehen und bekam am Ende eine halbwegs seriöse Geschichte zustande.
Jedes Mal, wenn ich das Pancake Rocks Café betrete, fällt mir kurz der von Dotcom versaute Urlaub ein. Und jedes Mal schwöre ich, dass sich solche Tiefpunkte statistisch nicht wiederholen können. Denn Januar ist Sommerpause, da ruht das kiwianische Leben komplett. Nicht ganz. Ein Leben begann längst woanders – im Bauch unserer neuen Premierministerin. Jacinda Ardern, keine drei Monate im Amt, und zack-bumm, schwanger. Ja, Wahnsinn! Eine Weltnachricht. Und ich mal wieder in seliger Unerreichbarkeit im Busch.
Darüber lachten wir dann alle beim letzten Grillen vor dem Hauslaster. Stießen auf unsere coole PM an, die das babytechnisch sicher alles gewuppt kriegt. Sonnten uns als eingewanderte Spät-Kiwis in dem Glanz, mit Jacinda ein bisschen internationalen Eindruck gemacht zu haben, auch wenn mein medialer Beitrag dazu bis dato noch fehlte. Bis unser frisch angereister Gast, der früher an dem Tag Empfang hatte, einen Schluck vom Bier nahm und beiläufig sagte: „Aber dass Kim Dotcom gerade wieder geheiratet hat und den neuseeländischen Staat in Milliardenhöhe verklagen will, das weißt du?“
Der MegaUpload-Krösus, dessen schillernde Laufbahn gerade in einem dollen Dokumentarfilm beleuchtet wurde, hatte ausgerechnet den Jahrestag seiner Verhaftung für die zweite Hochzeit gewählt – um, wie er twitterte, etwas Schlechtes in Gutes verwandeln. Nach wie vor schlecht für mich. Welch ein Sommer. Schlagzeilen sprudeln in die Welt, die zusammen eine halbe „Bunte“ füllen könnten, und ich habe nichts als eine Buschtrommel. Ich bin dann mal Wellenreiten.
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Fehlt Ihnen im Nordhalbkugel-Winter zuweilen eine Dosis Licht? Australien wird mit Sonne und Hitze derzeit reichlich versorgt, vorgestern war es in Sydneys Westen gut beleuchtete 47 Grad. Die kann ich Ihnen nicht um die Welt schicken, aber etwas deutlich Besseres: Nehmen Sie sich etwas Zeit und reisen Sie mit uns in zwanzig Minuten um die Welt: Mit dem Weltreporter-Podast #3. In der dritten Audio-Reise des Journalisten-Netzwerks geht es um Licht. Begleiten Sie Weltreporter an Orte, an denen Licht verzaubert, wo Lichter aufgehen und dorthin, wo ein ganzes Land das Licht am Ende eines Tunnels feiert.
Aber Vorsicht, die erleuchtete Welt der Reporter hat ein paar Überraschungen für Sie parat: Unsere Kollegin in Südosteuropa hat ein besonderes Lichtspektakel sogar richtig sauer gemacht. Denn dort gehen die Uhren anders – sagt eine, die es wissen muss: Weltreporterin Danja Antonovic aus Belgrad. Sie erklärt Ihnen, warum dort die Weihnachtsbeleuchtung im September an- und erst im Februar wieder ausgeschaltet wird. Sie weiß auch, was über diese Lichterflut jene Belgrader denken, die selbst kaum genug Geld für die eigene Stromrechnung haben.
Belgrads winterliches Lichtermeer
Die meisten Momente, die das Podcast-Team der Weltreporter – Kerstin Zilm, Sascha Zastiral, Jürgen Stryjak, Birgit Kaspar und Leonie March – zusammengetragen hat, sind aber auf eher positive Art erhellend.
Auf der Audio-Reise zu den Einsatz- und Arbeitsorten von Weltreporter-Kollegen in aller Welt erfahren Sie von ungewöhnlichen Augenblicken in Tschechien, Australien und Kairo. Außerdem erleben Sie einen eiskalten Sonnenaufgang im Zelt über den Wolken in den Pyrenäen.
In Kenia, drei Autostunden von Nairobi entfernt, rennt Bettina Rühl vor Sonnenaufgang durch die Savanne. Warum sie dabei von Massai bewacht wird, erfahren Sie ebenfalls im Weltreporter Podcast #3.
Über den Wolken in den Pyrenäen
Von ganz persönlichen und manchmal sogar magischen Momente, die mit Licht und Schatten zusammenhängen, berichten Weltreporter aus dem nächtlichen Paris und einem Delfter Museum, aus Kairos Straßen und vom Strand in Lombok.
Wir haben Licht am Ende des sprichwörtlichen Tunnels in Tschechien gefunden und schauen in Chile vorbei, wo endlich neue, günstige Solaranlagen gebaut werden. Im Podcast erzählt unser neuer WR-Kollege in Südkorea, welche Hoffnungsschimmer die Einwohner von Seoul haben, angesichts der eher düstern Angst vor einem drohendem Atomkrieg. Sie erfahren, weshalb nicht mehr viele serbische Mädchen Svetlana (“Tochter des Lichts”) genannt werden und folgen Marc Engelhardt 175 Meter unter die Schweizer Erde, in die Tunnel des Europäischen Kernforschungszentrums. Auch dort funkelt ein besonderes Licht.
Gamelan-Musiker in Indonesien
Zu einem Klang- und Licht Erlebnis der historischen Art nimmt Christina Schott Sie in die Sultansstadt Jogjakarta mit. Dort wird seit Jahrhunderten die Kunst des Schattentheaters zelebriert, ein Meisterwerk des Kulturerbes, an dem heute auch Touristen teilnehmen können. Lauschen Sie dem Klingklong der indonesischen Gamelan, deren fünf- oder siebentönige Tonskalen vielleicht Geister vertreiben, mit Sicherheit aber die Zuhörer in eine ganz andere Welt versetzen.
An einem wiederum anderen Ende des Globus trifft sich die größte indische Bevölkerungsgruppe außerhalb Indiens zu einer Prozession, in der mit Lampen, Gesang und Farben der Sieg des Lichts über die Dunkelheit gefeiert wird. Auf welchem Kontinent diese Zeremonie die Straßen in ein spirituelles Volksfest verwandelt, erfahren Sie ebenfalls im Weltreporter-Podcast #3.
Sonnenaufgang in Kenia
PS: Alle drei Monate erzählen Weltreporter von Jobs und Recherchen zwischen Durban und Dänemark und laden ein zum Blick hinter die Kulissen, nehmen Sie mit in den Korrespondentenalltag oder teilen persönliche Eindrücke.
Sie haben die ersten WR-Podcast verpasst? Hören Sie sie in der Soundcloud an. Sie treffen einen Weltreporter-Gründer, hören, welches Geräusch unsere Kollegin in Los Angeles zuweilen von der Arbeit abhält, welche Eigenschaften zum Job gehören und was Kollegen in Krisenregionen auch in schwierigen Zeiten zum Durchhalten motiviert. Im zweiten Podcast geht es um Identität.
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Ja, heiß ist es auch, ist schließlich Sommer in Australien. Vor allem aber ist es derzeit rauchig um mich rum. Seit zwei Wochen fackeln in der Nähe Naturschutzgebiete ab, nicht groß genug für die Weltschlagzeilen, (“Waldbrände? Ich dachte, es brennt nur in Kalifornien?”), aber schon einigermaßen bedrohlich.
Wir husten, die Feuerwehren und Hubschrauber löschen, und die heimische Tierwelt versucht, sich in Sicherheit zu bringen. Nicht immer mit Erfolg,
Koalas beispielsweise sind auf der Flucht vor Flammen eher langsam. Ein Team von Rangern und Tierschützern päppelt überlebende Beutler nach solchen Ereignissen wieder auf. Wenn sie zu retten sind. Der “Busch” – wie Australier die waldigen und eher ungezähmten Ecken der Natur jenseits der Großstädte nennen – regeniert sich. Beuteltiere, Reptilien und Vögel meist nicht. Das erinnert mich dran, dass mein Rauch-Gejammer ein Elitär-Problem ist: Die Augen sind rot, der Brandgeruch nervt, und die Hubschrauber über dem Office lassen die Tastatur vibrieren. Aber immerhin hat’s mir nicht das Fell versengt.
Zumal die “Bushfire Season” – ja, das heisst in Australien wirklich so – noch gar nicht richtig angefangen hat. Von Mai bis Oktober gab es in vielen Regionen die höchsten Temperaturen seit eh und je, Klimaleute veröffentlichen Aussichten auf einen besonders heißen Sommer, und damit geht die brandgefährliche Jahreszeit in den meisten Teilen des Kontinent jetzt erst richtig los. Na dann,…
Wir machen jedenfalls dieses Jahr zu Weihnachten kein Lagerfeuer. Etwas Regen wäre auch schön, falls jemand eine Wolke übrig hat…
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Hamburg, 15.11.2017 – weltreporter.net, das größte Netzwerk freier deutschsprachiger Auslandskorrespondenten hat einen neuen Vorstand.
Bettina Rühl wurde zur neuen 1. Vorsitzenden von Weltreporter.net gewählt. Sie arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten über Afrika, seit 2011 von Kenia aus. Für ihre Features, Reportagen und Berichte wurde Bettina Rühl vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Medienpreis der Kindernothilfe„ dem Medienpreis Entwicklungspolitik und dem Preis der Leipziger Medienstiftung. Die Auszeichnung ehrt Journalisten, Verleger und Institutionen, die sich mit hohem persönlichem Einsatz für die Freiheit und Zukunft der Medien engagieren.
Neue 2. Vorsitzende ist Sarah Mersch. Sie lebt und arbeitet seit 2010 in Tunesien, wo sie seit 2011 den politischen Umbruch, erste demokratische Gehversuche und Rückschläge beschreibt. Neben ihrer journalistischen Arbeit trainiert sie für die DW Akademie junge Journalisten in Nordafrika und im Nahen Osten.
Zum neu gewählten globalen Vorstandsteam gehören außerdem Christina Schott (Jogjakarta) als Schatzmeisterin sowie Kilian Kirchgeßner (Prag) und Mathias Peer (Bangkok) als Beisitzer.
Bettina Rühl dankt dem scheidenden Vorstand unter Kerstin Schweighöfer (Den Haag) für seine Arbeit: „Mit dem neuen Vorstand wird das Netzwerk Weltreporter weiterhin für qualitativ hochwertige Auslandberichterstattung stehen.“
Auch wenn Journalisten in den vergangenen Jahren unter Konkurrenzdruck der kostenlosen sozialen Medien geraten sind – für den mancherorts bereits angestimmten Abgesang auf die klassischen Medien sei es zu früh, sagt Rühl: „Das Bewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung einer redaktionellen Qualitätskontrolle wächst wieder. Wir wollen das Neue mit gestalten um sicher zu stellen, dass auch in einem neuen Umfeld gut recherchierte und spannend erzählte journalistische Inhalte möglich sind.“
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Kennen Sie das: Wenn die Fremde vertraut wird, und die Heimat eher befremdlich? Wir Weltreporter erleben dieses seltsame Spannungsverhältnis häufig, privat ebenso wie während Recherchen für Reportagen. Identität – was macht uns aus, was ist wo vertraut? Wie funktioniert dieses Phänomen “Heimat”, wenn man sich an vielen Orten zuhause fühlt – oder nirgends so richtig? Im Weltreporter-Podcast #2 ist das Podcast-Team für Sie diesen Fragen nachgegangen.
Die Idee entstand durch eine Geschichte, die Afrika-Weltreporterin Bettina Rühl aus Somalia mitbrachte. Bettina hatte in Mogadischu Menschen getroffen, die trotz Krieg in die somalische Hauptstadt zurückgekehrt sind: Von sicheren Orten, an die sie geflüchtet waren, zurück an einen sehr riskanten.
Abdullahi Muse Hassan in seiner Druckerei in Mogadischu.
Warum geht man in die Heimat zurück, auch wenn es gefährlich ist? Warum gehen andere nicht zurück – wie viele Weltreporter?
In Skype-Gesprächen über das Thema Identität zwischen London, Kairo, Durban, Südfrankreich und Kalifornien kamen die WR-Podcaster auch schnell darauf, warum sie genau dort sind, wo sie sind – und was sie manchmal dort vermissen. Und sie haben andere Reporter gefragt, was ihnen – außer Vollkornbrot – fehlt: einen richtig schönen deutschen Streit, Gemütlichkeit, Biergärten, deutsche Buchläden, Schnee und Radwege spielten in den Statements aus aller Welt ihre Rollen.
Birgit Kaspar, Weltreporterin in Frankreich, hat schon an vielen Orten gelebt. Für sie ist “Identiät” auch ein Spannungsfeld zwischen Polen. “Identität” schmeckt für sie manchmal orientalisch oder klingt Kölsch, zuweilen ist sie auf ewig “l’Allemande” und zugleich französische Nachbarin. Außerdem hat Birgit Kaspar mit Youssouf gesprochen – er gehört zu denen, die nicht zurück wollen.
Kirstin Ubesleja und ihre drei Pässe
Youssouf ist einer von einem Dutzend Somaliern, die in Saint Martory auf ihre Papiere warten und Französisch lernen, damit sie sich im Gastland integrieren können. Was er trotz einiger Hürden an der Fremde liebt, hören Sie im Podcast.
Wer Gespräche über die doppelte Staatsbürgerschaft knifflig findet, sollte Kerstin Zilm zuhören. Die Reporterin hat in Los Angeles Kirstine Upesleja interviewt, eine Frau, die staatenlos geboren ist und heute gleich drei Pässe hat. Kirstine Upeslejas Eltern stammen aus Lettland, sie ist in Münster aufs lettische Gymnasium gegangen und hat eine “emotionale Beziehung” zu dem Land, das sie oft besucht, in dem sie aber nie gelebt hat. Sie lebt in Amerika, spricht aber (ihrer Ansicht nach) nur deutsch perfekt. Im Podcast erzählt sie, wie die mit einem derartigen Identitätenmix klarkommt.
Jürgen Stryjak isst echt deutsch: Original German Döner Kebab.
Seit über 25 Jahren ist Jürgen Stryjak Korrespondent in Kairo, und für den Podcast hat er sich mit dem wichtigsten aller Themen der Heimatferne beschäftigt: Mit dem Essen. Er verrät, was Ägypter meinen, wenn sie so richtig ägyptisch (zum Beispiel KFC) essen gehen wollen. Und er lädt ein zum ersten “echt deutschen Döner Kebab” in Kairo. “Überfremdung” im Doppeltwist, oder upside down würde ich sagen – aber hier unten auf meiner Globushälfte fließt das Wasser ja eh andersrum ab, heißt es.
Viel Spaß mit dem zweiten Podcast der Weltreporter, diesmal zusammengestellt von Kerstin Zilm, Jürgen Stryjak, Birgit Kaspar, Leonie March und Sascha Zastiral.
PS: Sie haben den ersten WR-Podcast verpasst? Hören Sie ihn in der Soundcloud an. Alle drei Monate erzählen weltreporter von Jobs und Recherchen zwischen Durban und Dänemark und laden ein zum Blick hinter die Kulissen, mitten in den Korrespondentenalltag.
Im Podcast #1 treffen Sie einen Weltreporter-Gründer, hören, welches Geräusch unsere Kollegin in Los Angeles zuweilen von der Arbeit abhält, welche Eigenschaften zum Job gehören und was Kollegen in Krisenregionen auch in schwierigen Zeiten zum Durchhalten motiviert.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Ein schönes Gefühl, es nun auch selbst in der Hand zu halten: Vor kurzem ist mein Buch „Ein Jahr in Frankreich“ im Herder-Verlag erschienen. Nun hat die Bücherkiste auch den Weg ins ferne Belloc gefunden. Das haben wir gefeiert! Kater Mishmish hat sogleich den leeren Karton zu seinem neuen Schlafplatz erkoren, seine Form der Liebeserklärung. Das Lesen überläßt er anderen. Denn was interessieren ihn die Geschichten über das Alltagsleben im französischen Südwesten, über die sehr erträgliche Leichtigkeit und Gemächlichkeit des Seins, über schwindelerregende Höhenpfade in den Pyrenäen, über die Hauptstadt des Parfums und französische Kommunalpolitik… Mir hat es sehr viel Freude gemacht, diesmal meine sehr persönlichen Erlebnisse aufzuschreiben statt wie sonst die Geschichten anderer Menschen zu erzählen. Hoffentlich haben meine LeserInnen genauso viel Spaß.
Birgit Kaspar, „Ein Jahr in Frankreich“, Herder-Verlag
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Die Weltreporter im Gespräch – Ab sofort lassen wir Sie noch näher ran, an unsere Arbeit in aller Welt: Im WR-Podcast erzählen künftig alle drei Monate Korrespondenten von Jobs und Recherchen zwischen Durban und Dänemark, geben einen Einblick in den Korrespondentenalltag, live & lebendig. Wir schalten unsere Mikrophone für Sie auf Empfang und laden ein in unsere Schreib- und Tonbüros auf fünf Kontinenten. Der erste WR-Podcast führt hinter die Kulissen des größten Korrespondenten-Netzwerks freier Auslandsjournalisten, das über 47 deutschsprachige Reporter in fast ebenso vielen Ländern vereint.
Kerstin Zilm im per Wolldecke isolierten Studio.
Wer sind die Weltreporter-Journalisten und was bewegt sie? Erfahren Sie, unter welchen Bedingungen Geschichten entstehen, die Sie später gut gemischt online oder im deutschen Radio hören. Verbringen Sie 20 Minuten mit uns – jenseits der Schlagzeilen. In diesem ersten Podcast treffen Sie einen Weltreporter-Gründer, hören, welches amerikanische Geräusch unsere Kollegin in Los Angeles zuweilen von der Arbeit abhält und was Kollegen in Krisenregionen auch in schwierigen Zeiten zum Durchhalten motiviert.
Ganz nebenbei bekommen Sie Antworten auf eine Reihe von Fragen, die Sie sich vielleicht noch nie so gestellt haben 😉 Zum Beispiel:
Ägypten-Korrespondent Jürgen Stryjak während des Volksaufstandes 2011 auf dem Tahrir-Platz.
Der erste Weltreporter Podcast widmet sich aber auch ernsteren Themen: Im Interview berichtet Jürgen Stryjak, der seit 17 Jahren in Kairo arbeitet, vom Arbeit und Leben in einem Land, in dem Anschläge und Unterdrückung zum Alltag gehören. Er schildert, welche Spuren es hinterlässt, wenn man tagein tagaus über Menschen berichtet, die Gewalt oder Terror erleben, die desillusioniert oder hoffnungslos sind. Jürgen Stryjak erzählt auch, was ihn motiviert, sich von schwierigen Situationen nicht unterkriegen zu lassen. Er erzählt von einer Begegnung mit Amir Eid und seiner Indie-Band Cairokee, die er bei Proben in Kairo traf. Auch sie lassen sich nicht einschüchtern. Eines ihrer jüngeren Lieder heisst Akhr Oghniyya – zu deutsch: »Das letzte Lied«. Selbst wenn dies mein letztes Lied wäre, singt Amir Eid im Refrain, selbst dann würde ich noch von der Freiheit singen.
Janis Vougioukas nach der WR-Gründung im Jahr 2007 während einer Recherche über Folgen der Umweltverschmutzung in China.
Außerdem lernen Sie Janis Vougioukas kennen. Janis ist heute Stern-Reporter in Shanghai. Er war es, der im Jahr 2000 mit einer Handvoll anderer Journalistenschüler die Idee hatte, das Weltreporter-Netzwerk zu gründen. Im Gespräch erinnert sich Janis daran, wie damals auch die Einsamkeit als Freischaffender mit ein Motiv dafür war, das Abenteuer Weltreporter zu wagen. “Wir waren überrascht, wie viel man über Internet-Abstimmungen und Skype effizient, global und günstig organisieren konnte”, erzählt Janis Vouigoukas als ihn Kerstin Zilm über diverse Zeitzonen hinweg während einer Recherche in Hongkong erreicht. Damals begann die Medienkrise, und er und die 20 ersten Weltreporter waren begeistert, wie rasch sich die Existenz des weltweiten Reporternetzwerks in den Redaktionen herumsprach: “Es war toll zu sehen, wie dankbar die Redaktionen, die nicht mehr selbst schnell jemanden losschicken konnten oder wollten, unser Angebot angenommen haben.” Heute gehören zum Netzwerk 47 freie Korrespondenten in aller Welt und 27 Kollegen, die inzwischen nicht mehr als freie Journalisten arbeiten oder wieder von Deutschland aus berichten.
Leonie March interviewt einen Fährtenleser.
Zusammengestellt haben diese “20 Minuten Weltreporter persönlich” unser Podcast-Team in drei Kontinenten und diversen Zeitzonen. An Mikro und Mischpult agierten Kerstin Zilm in Los Angeles, Leonie March in Durban und Sascha Zastiral in London.
Viel Spaß beim Zuhören, und bis zum nächsten Podcast – in spätestens drei Monaten.
Im Helikopter über Durban
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Ein Abend mit den Weltreportern in Hamburg am Freitag, 30. Juni 2017, 19 Uhr
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Naiv und weltfremd? Oder berührend und inspirierend? Seit drei Monaten ist unser Buch “Die Füchtlingsrevolution” im Handel. Kommentare, Lob und Kritik gab es seither reichlich, Reaktionen, die so spannend wie vielseitig waren. In unserem neuen Audio-Spezial hören Sie mehr dazu.
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Manche Zeitungen wie die FAZ haben unser Buch gleich zweimal rezensiert. Wir freuen uns auch darüber…
Viele Medien berichteten von den Lesungen, zu denen wir von Buchläden, Bibliotheken aber auch von vielen Schulen eingeladen wurden. Radiostationen rezensierten das Buch, zum Beispiel ‘B5 aktuell’, Deutschlandradio und Bayern 2. Autorinnen und Autoren haben auf Lesungen in ganz Deutschland diskutiert, (hier ein Bericht von einer Lesung mit Philip Hedemann aus dem oberpfälzischen Pressath) und Fragen beantwortet.
Bei der offiziellen Buch-Vorstellung im taz-Café saß auch Ameena auf dem Podium, die junge Syrerin die Philip Hedemann auf ihrem Weg begleitete und die einen Prolog zu unserem Buch geschrieben hat. Im neuen Audio-Spezial 2 hören Sie Sie mehr darüber, wie das Leben der jungen Frau seither weiterging und lernen zwei ihrer Kinder kennen. Philip erzählt, warum Ameena unbedingt das Kanzleramt kennenlernen wollte. Und warum sie – trotz ihres Glücks darüber in Deutschland zu leben – während einer Lesung in Tränen ausbrach.
Angst auch nach 25 Jahren
Im Audio erfahren Sie, was Kerstin Zilms Interviewpartnerin Lidia Nunez empfand, als sie ihren Sohn nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder umarmen konnte. Von einem anderen Weltende schaltet sich Bettina Rühl zu, sie läßt die Somalierin Haibo Abdirahman Muse zu Wort kommen, die schon 25 Jahre in einem kenianischen Flüchtlingslager lebt und trotzdem noch Angst hat.
Birgit Kaspar in Toulouse spricht mit ihrer Interviewpartnerin Chantal Pulé, die ihr erzählt, ob sie nach all den Jahren in Paris, heute bereut aus dem Libaon geflohen zu sein.
Birgit Kaspar und Marc Engelhardt lesen in Herne Foto: Claudia Korbik
Zu weit weg?
Herausgeber Marc Engelhardt erzählt im Audio #2 welche Inhalte auf Lesungen am häufigsten diskutiert werden und wie sehr viele deutsche Leser überrascht, das Fluchten auf der ganzen Welt passieren. Viele Gespräche nach den Lesungen drehen sich darum, was der Begriff ‘Revolution’ bedeuten soll. Marc Engelhard hat außer positivem Feedback natürlich auch kritische Meinungen gehört. Ein Leser wirft uns vor, als Auslandskorrespondenten zu weit entfernt von der deutschen Problematik zu sein. Marc Engelhardt: “Den Blick aus dem Ausland sehen wir eher als Qualität des Buches. Sicher kann man das kritisieren, ich glaube aber nicht, dass man das sollte. Wir sagen ja nicht, dass sich eine Lösung aus Südafrika oder anderen Ländern 1 zu 1 auf Deutschland übertragen lässt. Aber es hilft vielleicht, den Horizont zu erweitern und mit anderen Augen auf Situation in Deutschland zu blicken.”
Denn eines ist gewiss: Flucht wird als Phänomen zunehmen, Die Frage ist: wie gehen wir damit um.
In Lesbos bleiben die Tische leer
Lesbos: Die Urlauber bleiben aus.
Im Audio #2 hören Sie auch von Alkyone Karamanolis, Weltreporterin in Athen, die sich gefragt hat: Wie geht es den Rettern heute? Fischer Konstantinos Pinderis, erzählt wie sich sein Leben auf der Insel Lesbos komplett verändert hat. Am idyllischen Hafen von Skala Sikamineas bleiben die Tische leer. Zwar landen dort keine Flüchtlingsscharen mehr wie 2015, doch die Touristen kommen ebenfalls nicht mehr. Sie scheinen ihre früheren Lieblingsinseln vergessen zu haben – zum Leid der Einheimischen, denen die Arbeit ausgeht.
Vergessen würden in meinem eigenen Berichtsgebiet Australien viele Politiker am liebsten die Situation der Flüchtlinge, die nach wie vor auf den Inseln Manus und in Nauru die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage erdulden. Menschen müssen dort seit Jahren als Abschreckung für künftige Boots-Migranten herhalten. Ich erzähle im Audio #2 darüber, wie schwer geschädigt die dort gestrandeten Männer, Frauen und Kinder durch die Inhaftierung sind, und dass ihre Zukunft trotz heftiger Proteste von Menschenrechtsorganisationen und anderen noch immer unklar ist.
Hören Sie rein, ich bin sicher, unser Audio Spezial # 2 macht Sie neugierig auf unser Buch Die Flüchtlingsrevolution, erschienen im August im Pantheon Verlag.
Auch wenn sie es bereits gelesen haben, erfahren Sie im Podcast einiges Neues. Zusammengestellt haben es die Weltreporter Kerstin Zilm, Leonie March, Randi Hauser und Sascha Zastiral.
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Erleben Sie das neue Buch der Weltreporter live und diskutieren Sie mit den Autorinnen und Autoren! Wir lesen Passagen aus dem Buch, berichten von unseren Recherchen und Erfahrungen und stellen uns Ihren Fragen.
13. März 2017, 18:30 Uhr – WILHELMSHAVEN, Volkshochschule
Lesung und Diskussion mit Marc Engelhardt.
19. März 2017, 19:00 Uhr – THEDINGHAUSEN, Haus auf der Wurth
Lesung und Diskussion mit Marc Engelhardt.
21. März 2017, 19:30 Uhr – DÖRVERDEN, Aller-Weser-Oberschule
Lesung und Diskussion mit Marc Engelhardt.
Marc Engelhardt liest am 29.10.16 beim Alumni-Kongress der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin (Foto: Stephan Röhl)
Weitere Termine sind in Planung.
Weltreporter Philipp Hedemann, einer von 26 Autoren der «Flüchtlingsrevolution», spricht mit Flüchtlingen an der mazedonisch-serbischen Grenze im Herbst 2015.
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Ich bin ja jetzt schon eine ganze Weile in Kalifornien, angekommen 2003 als ARD-Radio-Korrespondentin und inzwischen als selbständige rasende Reporterin unterwegs mit allen Höhen und Tiefen, die das freischaffende Leben so mit sich bringt.
Zu den Höhen zählt eindeutig, dass es nun das erste Buch von mir gibt. Ein Jahr in Kalifornien!
Als der Herder-Verlag mich fragte, ob ich Lust auf das Projekt hatte, war ich sofort neugierig. Schon lange träumte ich davon, ein Buch zu schreiben. In der Grundschule habe ich das sogar schon mal gemacht. Selbst gebundene und illustrierte Abenteuer eines Mädchens, frei erfunden mit starken autobiographischen Zügen. Der Dackel meiner Freundin hat das Werk leider vernichtet bevor es zum Bestseller werden konnte.
Jetzt also ein neuer Versuch. “Ich finde das Jahr, in dem ich mich selbständig gemacht habe spannender als mein erstes Jahr in Kalifornien”, sagte ich beim Treffen mit dem Lektor. Der antwortete diplomatisch, das sei sicher auch sehr interessant, aber in der Serie gehe es mehr darum, wie das so ist, wenn man in einem neuen Land ankommt. “Die Bürokratie ist überwältigend, die Menschen sind fremd und das Wetter ganz anders.”
Ja, wie war das damals eigentlich? Ich versuchte mich zu erinnern und mir fiel einiges ein: wie meine Ikea-Möbel in Bubble-Wrap ewig auf einem Containerschiff durch den Panama-Kanal schipperten und ich deshalb auf der Luftmatratze schlief. Wie am roten Teppich die Prominenz einfach an mir vorbei ging, weil die internationale Radiojournaille in Hollywood nicht die Anerkennung bekommt, die sie verdient. Wie ich wegen zu großer Vorsicht durch die erste Führerscheinprüfung gefallen bin. Wie ich den ersten prall gefüllten Waffenschrank gesehen habe. Wie ich Wasserkanister in die Grenzwüste geschleppt habe. Wie ich staunend in der Gischt der Wasserfälle vom Yosemite-Nationalpark stand. Und natürlich wie wunderbar es nach 14 Jahren Berliner Winter war, dass so oft die Sonne scheint. Das ist übrigens immer noch wunderbar!
Jetzt ist es raus in der Welt, mein erstes Buch. Bei mir ist allerdings noch keins angekommen, obwohl der Verlag das Paket mit Belegexemplaren schon vor einer Weile abgeschickt hat. Auch das ist so eine kalifornische Erfahrung: transatlantische Post kostet zwar ein Vermögen, bewegt sich aber im Tempo der Postkutschen-Zeit.
Ob das ins nächste Buch passt? Eher nicht. Das wird eine erfundene Geschichte mit nur ein paar autobiographischen Zügen.
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Er sieht sich bereits als nächster Ministerpräsident der Niederlande. Um die Grenzen hermetisch zu schliessen, den Bau von Moscheen samt Koran zu verbieten und mit einem Referendum dafür zu sorgen, dass dem Brexit möglichst schnell ein Nexit folgt: Geert Wilders, 52 Jahre alt, erklärter Feind von Islam und Europa.
“Jetzt sind wir an der Reihe!” frohlockte der blondierte Populist nach dem Brexit. Schon seit Jahren warnt Wilders ebenso unermüdlich wie erfolgreich vor einem Asyltsunami, schimpft über die Milliarden, die an Brüssel verschwendet werden, und plädiert auf einen Nexit.
Im europäischen Parlament hat er genügend Bündnispartner für eine eigene Fraktion gefunden. Im Sommer 2014 präsentierte er sie zusammen mit Marine LePen vom Front National erstmals den anderen Abgeordneten. Er sprach von einem neuen D-Day, “einem Befreiungstag für Europa – von Europa”.
Auf nationaler Ebene musste Wilders bei den letzten Wahlen ein paar Niederlagen einstecken. Aber dank sei Flüchtlings- und Europakrise liegt er in den Umfragen nun so weit vorne wie nie zuvor in seiner Karriere: Seine “Partei für die Freiheit” PVV könnte bei den nächsten Parlamentswahlen im März 2017 stärkste Fraktion werden und die Zahl ihrer Sitze fast verdreifachen auf 36 der insgesamt 150 Mandate.
Dabei ist sie innerlich zerissen und keine richtige Partei, denn sie hat nur ein einziges Mitglied: Wilders. In Deutschland würde die PVV nicht zu Wahlen zugelassen, die niederländischen Gesetze sind weniger streng. Auf diese Weise will Wilders die Kontrolle und alles fest im Griff behalten. Auf staatliche Zuschüsse muss er verzichten; wie sich die PVV finanziert, ist nicht transparent.
Aber selbst wenn Wilders 2017 tatsächlich der neue Ministerpräsident der Niederlande werden sollte: Von einem Nexit ist er weit entfernt. Zwar tendieren einer jüngsten Umfrage zufolge 48 % der Niederländer zu einem EU- Austritt. Aber dazu bräuchte Wilders eine Mehrheit im Parlament – und so weit will es bis auf seine PVV keine andere niederländische Partei kommen lassen.
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Das Programm des Weltreporter-Forums 2016 in Raiding/Burgenland steht:
Wir freuen uns mit unseren internationalen Gästen auf einen spannenden Sommer-Nachmittag auf dem Land. Und auf Sie!
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Noch nie schien die Welt so instabil und aus den Fugen geraten wie jetzt – zumindest aus europäischer Sicht. Globalisierung, Terror, Kriege und blutige Konflikte. Migranten, Flüchtlinge und Finanzströme: Die Ratlosigkeit ist bei Wählern wie Politikern gleichermaßen groß.
Transparenz herzustellen und Zusammenhänge aufzuweisen gehört zu den Hauptaufgaben von Journalisten im Allgemeinen und Auslandskorrespondenten im Besonderen. Denn sie sind die Experten vor Ort, sie erleben die Wirklichkeit jenseits der Grenzen hautnah. Lösen lassen sich die Probleme der Welt an einem Nachmittag nicht. Aber gemeinsam einen Blick hinter die Kulissen werfen, das können wir:
Beim WELTREPORTER-FORUM am 23. Juli berichten die Weltreporter und ihre Gäste von dem, was in ihren Welten gerade in Bewegung ist.
WELTREPORTER-FORUM
»Welt in Bewegung«
Keynotes, Kurzvorträge im Pecha-Kucha-Format + eine Podiumsdiskussion
mit Alexandra Föderl-Schmid (Chefredakteurin Der Standard), Karim El Gawhary (Weltreporter + ORF-Korrespondent), Hasnain Kazim (Spiegel), Florian Klenk (Chefredakteur Falter), Wieland Schneider (stellv. Auslandschef Die Presse), Cornelia Vospernik (Moderatorin ORF), Autor & Bruno-Kreisky-Preisträger Najem Wali & Weltreportern von allen Kontinenten
Samstag, 23. Juli 2016
14:00 – 18.30 Uhr
Franz Liszt-Konzerthaus
A-7321 Raiding
Eintritt frei
ANFAHRT:
Für Interessenten steht ein Bus-Service von Wien nach Raiding zur Verfügung:
Abfahrt Wien am Karlsplatz am 23. Juli ist um 12:00 hinter dem Musikverein, Bösendorferstr. 12
Abfahrt Raiding zurück nach Wien um 20:00.
Kosten: 12 Euro
Anmeldung unter raiding@weltreporter.net
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Tim Kukral, derzeit Volontär beim NDR und vorher Student in Hamburg, hat eine Arbeit über freie Auslandskorrespondenten geschrieben. Grundlage des Werks, das jetzt beim Herbert von Halem Verlag erschienen ist waren Interviews mit 14 Weltreportern.
Aus dem Blurb: ‘Durch eine qualitative Befragung von Mitgliedern des renommierten Journalistennetzwerks Weltreporter liefert dieser Band erstmals umfangreiche Erkenntnisse über die Arbeit der freien Auslandskorrespondenten.’
Kukrals Buch ‘Arbeitsbedingungen freier Auslandskorrespondenten’ ist Band 8 der Reihe “Journalismus International” und auch online bestellbar.
Zu Kukrals Fragen gehörten: Im Vergleich zu ihren festangestellten Kollegen haben die „Freien“ eher den Blick und die Zeit für Geschichten, die abseits liegen von den starren Themenplänen der Redaktionen in der Heimat. Aber (wie) kann man davon leben? Wie sieht der Alltag der freien Korrespondenten aus? Und wie sind sie überhaupt zu diesem Beruf gekommen?
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Es muss einer der imposantesten Flugrouten der Erde sein. Wenn freie Sicht herrscht, sind aus dem Kabinenfenster des Jets riesige Schneelandschaften oder der dunkelblaue Nordatlantik zu sehen. Manchmal gar beides.
Doch die gute Aussicht hat ihren Preis: Um mit dem Flieger nach Spitzbergen – immerhin 2000 Kilometer nördlich von Oslo und nur noch rund 1300 Kilometer vom Nordpol entfernt – und zurück zu reisen und dort internationale Klimaforscher zu treffen, wird pro Person laut Emissionsrechner MyClimate ab Berlin über eine Tonne CO2 ausgestoßen. Das ist mehr als die Hälfte des akzeptablen Jahresverbrauchs. Ziel der Reise: UNIS, das Universitätszentrum Spitzbergen, in Longyearbyen sowie Kingsbay, die internationale Forschungsstation eine halbe Flugstunde weiter nördlich. „Hier oben ist ein guter Ort, um Auswirkungen des Klimawandels zu studieren“, so Kim Holmén, internationaler Direktor des Norwegischen Polarinstituts.
Dass Forscher, Politiker und Journalisten, die sich mit dem Klimawandel beschäftigen, wohl oder übel fliegen müssen, um ans Ende der Welt zu kommen und die Konsequenzen menschlichen Konsums zu untersuchen, zu diskutieren und zu beschreiben, mag noch einleuchten. Schließlich ist das Aufklärung in unser aller Interesse. Oder ist das nur eine schlechte Entschuldigung? Wo hört die Notwendigkeit auf? Kognitive Dissonanz nennen Psychologen es, wenn man wider besseren Wissens und gegen seine Überzeugungen handelt.
Dass jegliche Form von CO2-Ausstoß schlecht fürs Klima ist, ist seit langem bekannt. Ebenso, dass Fliegen besonders schädlich ist. Genauso wie die Stromerzeugung mittels Kohle, die deswegen häufig als „Klimakiller Nummer 1“ bezeichnet wird.
Dennoch lässt der norwegische Staat sich nicht nehmen, auf Spitzbergen die Klimaforschung und die Erderwärmung gleichermaßen zu unterstützen. Die Regierung fördert nämlich nicht nur die internationale Forscherbasis in Ny Ålesund, sondern subventioniert auch den Kohlebergbau auf der Inselgruppe. „Das ist ein Paradox, das wir wirklich nicht brauchen“, urteilt Lars Haltbrekken, Chef von Naturvernforbundet, dem norwegischen Pendant zum Bund für Umwelt- und Naturschutz, der sie Jahrzehnten gegen Kolhleabbau auf Spitzbergen kämpft. „Und eine ziemliche Doppelmoral ist, dass Norwegen international gegen die Kohle kämpft, aber auf Spitzbergen selber welche gewinnt“, sagt Haltbrekken. So hat der norwegische Staatsfonds erst in diesem Jahr beschlossen, nicht mehr in Unternehmen, die sich zu stark in Kohle engagieren, zu investieren. „Das war ein großer Sieg. Dass wir den Rohstoff aber selber weiter nutzen, zeigt, dass es viel einfacher ist, anderen zu sagen, was sie ändern sollen, als selber etwas zu tun“, sagt Haltbrekken.
Mehr steht in meinem aktuellen Artikel für Zeit online.
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Selbstverständlich kann man in der Caffetteria delle Oblate, Via dell’Oriuolo 26, tagsüber in Ruhe einen Cappuccino oder gegen Abend einen Aperitivo trinken. Doch stört sich niemand daran, wenn ich mich in der offenen Dachloggia des ehemaligen Frauenklosters einfach nur an einen Tisch setze, um den prachtvollen Blick auf die nahe Domkuppel zu genießen und dabei gratis im Internet surfe. An Sommerabenden gibt es, allerdings nicht kostenfrei, zudem Konzerte, Vorträge oder Lesungen.
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Seit Monaten spricht Südkalifornien von El Nino. Das Wetterphänomen soll endlich Regen bringen, nach vier Jahren Dürre haben wir den bitter nötig.
Vor Kurzem gab es dann auch richtig tolle Wolken am Horizont und ich hatte vor einem Termin kurz Zeit für einen Spaziergang am Meer um mir das genauer anzuschauen.
GROSSARTIG!
Regen gab es leider trotzdem nicht. Aber am Ende von meinem Termin sah ich einen goldenen Schimmer über den Häusern. Eigentlich wollte ich nur noch schnell nach Hause und hab dann doch einen Abstecher Richtung Pazifik gemacht.
Hat der sich gelohnt! Auch wenn ich irgendwann tierisch gefroren habe, konnte ich einfach nicht wegschauen, geschweige denn umdrehen!
Das Schauspiel, das ich von der Natur geboten bekam, will ich doch niemandem vorenthalten.
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Eigentlich wollte ich an dieser Stelle schon längst über die zum Quasi-Referendum erklärten, katalanischen Wahlen geschrieben haben, aber ich kam bisher nicht dazu, weil ich mit den Nachwehen eines zum Politikum gewordenen Interviews beschäftigt war. Ein ARD-Kollege und ich haben uns am Freitag vor der Wahl mit Oriol Amat, Wirtschaftsprofessor und Nummer 7 der separatistischen Junts pel Si-Liste getroffen. Ursprünglich sollte es um mögliche wirtschaftliche Konsequenzen einer Sezession gehen, das Interview mit dem Experten der Gegenseite war bereits geführt. Aber schon bald sprachen wir von möglichen Szenarien nach einem Regierungswechsel in Spanien. Als ein sehr wahrscheinliches Szenario schien Amat ein Madrider Angebot zu Verhandlungen um ein neues Autonomiestatut. Dass eine solche Offerte von den Katalanen angenommen würde, schien ihm wahrscheinlich. Ich war überrascht: Seit Jahren demonstrieren regelmäßig Hunderttausende für einen „eigenen Staat“, die „In-, Inde-, Independència“-Rufe sind fester Bestandteil der politischen Folklore und in jedem zweiten Interview beschwören Politiker, „es gebe keinen Weg zurück“. Zwei Tage vor der „plebiszitären“ Wahl ein Autonomiestatut als mögliche Lösung zu präsentieren, ist etwa so, als lasse man Sprinter monatelang im Hochland für Olympia trainieren, nur um sie dann zur Bushaltestelle joggen zu lassen. Ich fragte nach. Amat blieb dabei.
Was der Wirtschaftsprofessor da sagte, bestätigte, was viele langjährige Korrespondenten vermuten: dass es innerhalb der heterogenen Junts pel Sí-Liste Differenzen über Weg und Ziel gibt, dass der Minimalkonsens nicht Unabhängigkeit um jeden Preis, sondern Verhandlungen mit Madrid und Brüssel sind. Vom Gezerre um Freigabe des Gesamtinterviews (einen Tweet hatte ich unmittelbar nach Interview abgesetzt), vom Druck und den widersprüchlichen Gedanken, die mir dabei durch den Kopf gingen, von der Unterstützung durch die Kollegen vor Ort und vom Círculo de corresponsales, erzähle ich gern mal an anderer Stelle. Samstag Nachmittag packte ich jedenfalls einen Ausschnitt aus dem Interview auf Soundcloud, die Online-Zeitung Eldiario.es brachte die Geschichte, El País, La Vanguardia, Antena 3 und ein halbes Dutzend anderer Medien nahmen das Thema auf, die beiden Unabhängigkeitslisten veröffentlichten Kommuniqués. Natürlich schmeicheln solche 15 Minuten Ruhm dem journalistischen Ego, wesentlicher ist für mich eine andere Erkenntnis: Freie Korrespondenten haben einen Standortvorteil. Wir sind meist lange genug in einem Land, um auch die Zwischentöne einer Debatte zu verstehen. Botschaften und Sender wechseln ihre Mitarbeiter gerne aus, um einen “frischen Blick von außen” zu garantieren oder – weniger nett gesagt – “Verbuschung” zu vermeiden. Aber genau diese Expertise ist unser großes Kapital. Und unverzichtbar, wenn es um Analyse, Interpretation, um Hintergrund geht. Das hoffe ich zumindest.
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Skandinavien-Korrespondent Clemens Bomsdorf vertritt auf der netzwerk recherche Jahreskonferenz in Hamburg (3./4. Juli) am Samstag die Weltreporter. Mit Daniel Jahn (Chefredakteur AFP) und Sonja Volkmann-Schluck (Redakteurin n-ost) diskutiert Weltreporter Bomsdorf am 4.7. ab 10.30 Uhr über Auslandsjournalismus:
“Auslandsreporter unter Druck – Wie berichten über Krisen und Kriege wenn an der Ausstattung gespart wird?” Moderiert wird die Veranstaltung beim NDR Fernsehen in Hamburg von der freien Journalistin Gemma Pörzgen.
Die These: Gerade im Ausland machen viele Journalisten die Erfahrung, dass ihre Medien sich zwar gerne mit guten Geschichten aus aller Welt schmücken, aber immer seltener für entstehende Kosten aufkommen. Honorare sinken und Reisekosten werden selten übernommen. Besonders gravierend ist das, wenn in Krisengebieten an Versicherungsschutz, Sicherheitswesten und moderner Ausrüstung gespart wird. In den Redaktionen fehlt es häufig an Ansprechpartnern unter den Redakteuren, die aus eigener Erfahrung wissen, wie es ist, im Ausland zu arbeiten. Haben fundierte Berichterstattung, eigene Recherche und Qualität dennoch eine Zukunft?
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Mittendrin dann plötzlich die heikelste Frage von allen. Zuvor hatten wir den Umbruch in Ägypten diskutiert, die zunehmend repressiven Verhältnisse, die zerstörten Hoffnungen und den Wunsch vieler Ägypter nach Stabilität. Wir hatten versucht, etwas Klarheit in den Schlamassel zu bringen, so gut es eben ging. Wir beschäftigten uns mit Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt.
Aber länger überlegen musste ich erst, als der langjährige ARD-Korrespondent Jörg Armbruster von mir wissen wollte, ob ich mir vorstellen könnte, in Schwäbisch Gmünd zu leben. Was antwortet man auf solch eine Frage, wenn vor einem knapp hundert stolze Schwäbisch Gmünder sitzen, deren Stuhlreihen so angeordnet sind, dass sie den Fluchtweg versperren?
Natürlich kann ich mir vorstellen, dort zu leben. Schwäbisch Gmünd ist eine feine, mittelkleine Stadt mit herausgeputztem historischen Stadtkern, eine Idylle, die für jeden, der gerade aus Kairo kommt, einen Anblick bietet wie mit Photoshop bildbearbeitet. Außerdem hängt es ja von Tausendundeinem Grund ab, ob man an einem Ort zurechtkommt, allen voran von der Arbeit. (Und da ist Schwäbisch Gmünd für einen Nahostkorrespondenten leider eher weniger geeignet, auch wenn es in Nah-Ostwürttemberg liegt.)
Zusammen mit Jörg Armbruster und Suleman Taufiq, den Herausgebern des Stadtlesebuches »Mein Kairo – My Cairo«, war ich an einem Abend in der Stadtbibliothek des Ortes zu Gast und am darauffolgenden Abend dann im Buchhaus Wittwer in Stuttgart. Der großformatige, edel gestaltete Band mit Texten von rund 50 Autoren ist eine Liebeserklärung an die Millionenmetropole am Nil – der vermutlich einzige Kairo-Bildband, in dem die Pyramiden kein einziges Mal auftauchen, jedenfalls nicht in den 140 spannenden Photographien von Barbara Armbruster und Hala Elkoussy.
In meinem Text erzähle ich von meiner Zeit im ärmlichen, traditionellen Altstadtviertel Bab al-Shaariyya. Unter anderem berichte ich vom benachbarten Tischler, der mal ein geborstenes Wasserrohr in meiner Wohnung mit den Worten reparierte: »Wenn Gott will, dass dein Wasserrohr am Ende wieder ganz ist, dann kriege sogar ich das hin. Wenn Gott dies nicht will, dann schafft das auch kein richtiger Klempner.«
Besser kann man die Entspanntheit gar nicht beschreiben, mit der die Kairoer ihren Alltag am Ende doch immer irgendwie bewältigen. Gleichzeitig ist dieser Ansatz beunruhigend. Man stelle sich vor, der Tischler hätte mich mit denselben Worten am Blinddarm operiert: »Wenn Gott will, dass du den Eingriff überlebst, dann kriege sogar ich das hin. Wenn Gott dies nicht will, dann schafft das auch kein echter Chirurg.«
Infos zu dem dreisprachigen Stadtlesebuch/Bildband (deutsch, englisch, arabisch) auf der Webseite der edition esefeld & traub. Und so fand die Lokalpresse unseren Abend in Schwäbisch Gmünd.
Lesung und Diskussion im Buchhaus Wittwer in Stuttgart: Jörg Armbruster, Jürgen Stryjak, Suleman Taufiq
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Verstörende Bilder und Töne vom Erschießen eines Obdachlosen mitten in Los Angeles erinnern mich an die Stunden, die ich erst vor Kurzem dort verbracht habe – bei der alle zwei Jahre stattfindenden Obdachlosenzählung.
Auf dem Weg vom Parkplatz zu der Unterkunft, an der der Zählung beginnen sollte fielen mir natürlich die Zelte, die aus Planen und Tüchern improvisierten Lager, der Müll und der Gestank auf. Marihuanaschwaden waren eine willkommene Abwechslung zu Wolken aus Urin und saurem Schweiß. Bilder, die mich bis heute verfolgen sind die von Kleiderbündeln, die ich auf der Straße sah und nicht wusste, ob darin ein Mensch verborgen ist, plötzliche Schreie, die scharfe Warnung eines Vorbeigehenden, vorsichtig zu sein, der fast zahnlose Mann, der aus einer zerrissenen Plastiktüte Socken verkaufen wollte und die vielen mutlosen, verzweifelten und leeren Augen.
Die Gruppe, die ich bei der Zählung begleitete, begann mit der Befragung von S., einer 49 jahre alten Frau, die sich im Wartesaal der Unterkunft ausruhte.
Hier können Sie nachhören, was S. gesagt hat.
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Kerstin Zilm hat für den WELTREPORTER-Adventskalender diese begeisterten Klinsmann-Fans in Los Angeles bei einem Freundschaftsspiel des US-Teams gegen Korea aufgenommen:
“Ich bin großer Klinsi-Fan und hab mich sehr gefreut, wie die Fans am Rand des Trainingscamps den deutschen Trainer gefeiert haben. Ich habe einige Male über das US-Team berichtet und bin dabei selbst zum Fan der US-Mannschaft geworden. Zu den Spielen reisen inzwischen tausende von Fans an. Sie nennen sich die “American Outlaws” weil Fußball in den USA ja noch immer ein wenig eine Außenseiterrolle spielt.
Als Deutschland gegen die USA gespielt hat, hab ich gemerkt, dass die Liebe zum Team meiner Wahlheimat doch lange nicht an meine Begeisterumng für die Deutschen herankommt. Ich hab das Spiel in einer Kneipe mit deutschen und US Fans gesehen und hab nur den Deutschen die Daumen gedrückt. Das Finale hab ich in einer überfüllten Kneipe geschaut und hinterher mit Freunden die Meisterschaft riesig gefeiert.”
Meine Töne von den Fans sind unter anderem in ein Feature für die Sendung ‘Nachspiel’ vom Deutschlandradio eingeflossen.
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Am Mittwoch, 24. September, stellen wir ab 17.30 mit dem Schauspieler Benno Fürmann in der GLS-Bank in Berlin-Mitte unseren Reportage-Band „Völlig utopisch“ vor. Marc Engelhardt, Philipp Hedemann, Julia Macher und Kerstin Zilm präsentieren das neue Weltreporter-Buch, Schauspieler Benno Fürmann (u.a. „Anatomie“, „Tom Sawyer“) liest.
„Für die Gestaltung der Zukunft ist Utopie die entscheidende Qualität“, schreibt Ilija Trojanow im Vorwort zum Reportage-Band. – Die Korrespondenten haben Orte und Menschen mit Zukunftspotential besucht: ein Dorf in Namibia, das sich seine eigene Währung geschaffen hat. Einen Ort in Äthiopien, der Karl Marx gefallen hätte. Eine Künstlersiedlung in der Colorado-Wüste. Eine Hacker-Community im katalonischen Hinterland.
Das Zeitmagazin fand: Ein Buch, das „heiter bis glücklich“ macht!
Die Veranstaltung ist gratis, unterhaltsam und garantiert spannend! Treffen Sie WELTREPORTER.NET – Menschen, die dort sind, wo die Nachrichten entstehen. Die Geschichten erzählen, die unter die Haut gehen – und durch die wir unsere Welt ein bisschen besser verstehen.
24. September, 17.30 Uhr, „Völlig Utopisch“
GLS-Bank Berlin, Schumannstraße 10, 10117 Berlin
Gratis, Anmeldung bitte unter berlin-aktuell@gls.de
WR danken der der GLS-Bank und der Buchhandlung Ocelot.
Foto von Benno Fürmann © Anja Limbrunner
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„Auf diesem dunkelnden Stern, den wir bewohnen, am Verstummen, im Zurückweichen vor zunehmendem Wahnsinn, beim Räumen von Herzländern, vor dem Abgang aus Gedanken und bei der Verabschiedung so vieler Gefühle, wer würde da – wenn sie noch einmal erklingt, wenn sie für ihn erklingt! – nicht plötzlich inne, was das ist: Eine menschliche Stimme.“
Ingeborg Bachmann in „Musik und Dichtung“
Gestern haben wir sie gehört, diese Stimme. Was sage ich denn! Viele Stimmen waren es, aber auf wunderbare Weise verschmolzen zu einer. Sie sangen Barekhou, Khorshat Haekalyptus, Hitrag’out und vieles mehr. Hebräische Lieder erklangen in der mehr als nüchternen Mehrzeweckhalle in Balma. Aber es waren nicht nur die Lieder selbst, es waren die Stimmen, die anrührten.
Avner Soudry, Leiter und Erfinder der europäischen Chorbewegung „Rénanim“ ermuntert immer wieder: „Hören sie nicht nur auf die Melodien, hören sie auf die Stimmen dahinter“. Die Stimmen dieser rund 100 Laiensänger tragen die Melodien. Und sie tragen ihre Botschaft weit über die Balma nahe Toulouse hinaus. Sie lautet: Frieden und Austausch über einen interkulturellen Dialog durch gemeinsames Singen. Soudry wünscht sich, die hebräisch-jüdische Kultur mit anderen zu teilen. Es geht ihm ausdrücklich nicht um zionistische Propaganda, es geht nicht um die jüdische Religion wiewohl auch religiöse Lieder gesunden werden. „Uns interessiert das gesamte jüdische Repertoire, was unsere Großmütter gesungen haben, was in der Synagoge gesungen wird, was auf der Straße gesungen wird. Wir wollen nicht eine Seite der jüdischen Kultur gegen die andere ausspielen. Was jüdisch ist, der Judaismus, ist ja glüclicherweise nicht auf die Religion, auf die Synagoge beschränkt.“
Soudry weiß, dass er sich mit diesem Grundgedanken zwischen alle Stühle setzt. Jüdische Autoritäten rümpfen die Nase, weil Rénanim beispielsweise auch in Kirchen singt. Einige Nicht-Juden verstehen auch nicht so recht, was das soll. Aber der Israeli Soudry, der in Nizza lebt und dort zwei Orchester leitet, setzt genau auf diese kontroverse Offenheit.
So singen sie zusammen, Juden und Nicht-Juden, aus Frankreich, Belgien, Holland und zum ersten Mal auch aus Deutschland. Denn der Chor „Rénanim Toulouse“ hat seine Schwesterchöre eingeladen, beim Jahrestreffen das zehnjährige Bestehen der südwestfranzösischen Sektion zu feiern. Es ist ein besonders freudiges Wiedersehen, nicht zuletzt für mich persönlich. Als ich vom Parkplatz zum Halleneingang gehe, winkt Claude mir freundlich mit ihrem roten Schal zu. „Brigitte, wie geht es Ihnen?“ Im März 2013 hatte ich eine Chorprobe in Toulouse besucht, um eine Reportage zu schreiben. Leider ging es dabei nicht nur um den Chor, sondern auch um die veränderten Lebensbedingungen und das sich wandelnde Lebensgefühl der Juden in Toulouse nach dem Anschlag des Terroristen Mohammed Merah gegen eine jüdische Schule im Jahr zuvor.
Es wurde ein bewegender Abend für mich. Nicht nur lernte ich sehr viel über hebräische Lieder und die Rénanim-Chorbewegung. Avner Soudry, der extra aus Nizza gekommen war, und die 19 Toulouser Choristen, öffneten sich mir zudem in einer Weise, die ich nicht erwartet hatte. Sie teilten die Musik, den Spaß an der Probe aber auch ihre Gedanken und Gefühle angesichts einer Zunahme von verbaler und physischer Gewalt gegen Juden in Frankreich. Mit der gleichen Wärme, mit der sie mich an jenem Schnee-kalten März-Abend 2013 verabschiedeten, begrüßen sie mich nun in Balma wieder. Besonders freut mich zu hören, dass es inzwischen einen deutschen Rénanim-Chor in Berlin gibt. Damit hat sich ein großer Wunsch Avner Soudrys erfüllt. Für ihn ist dies der Versuch, über die schmerzhafte Vergangenheit hinauszugehen. Gleichzeitig ist in seinen Augen eine europäisch-jüdische Chrobewegung unvollständig, wenn sie nicht eine deutsche Komponente hat. Denn in Soudrys Augen waren es die deutschen Juden, die nach ihrer Flucht vor den Nazis die israelische musikalische Tradition begründet haben, mit der er aufgewachsen ist.
Es hagelt und donnert, als die Frauen in schwarzen Kleidern, geschmückt mit roten Schals, und die Männer in weissen Hemden mit schwarzer Fliege zum Abschluß des Konzerts mit Leib und Seele „Shir Lashalom“ sangen – ein Lied für den Frieden, das zur Hymne für die israelische Friedensbewegung wurde. Jede Stimme spricht für sich und hat sicherlich eine ganz individuelle Botschaft. Und doch verschmelzen sie zu eben dieser menschlichen Stimme, die Ingeborg Bachmann meint. Eine Stimme die laut erklingt, die Grenzen überschreitet, die dort anrührt, wo wir noch erreichbar sind.
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Birgit Svensson lebt und arbeitet seit Jahren in Bagdad. Als freie Journalistin an einem der aktuell gefährlichsten Orte schreibt und berichtet sie u.a. für DIE ZEIT, die WELT, den Deutschlandfunk, den Schweizer Rundfunk und die Deutsche Welle. Sie ist eine der ganz wenigen Frauen, die vor Ort das aktuelle Chaos , die dramatischen Veränderungen erleben. Noch im letzten Jahr musste sie um ihren Verbleib in Bagdad kämpfen, für viele Medien schien der Irak uninteressant. Jetzt sind sie alle wieder interessiert, wollen Berichte und Reportagen.
Wie Birgit Svensson das alles erlebt. wie sie mit dem Problem Sicherheit umgeht, wie dieser Bürgerkrieg auch sie verändert – darüber redet sie auf dieser Veranstaltung. Und stellt sich all den Fragen derer, die Bagdad und den Irak nur vom Fernseher oder den Zeitungen kennen.
Mit Christoph Reuter, Spiegel.
Heute, Freitag, 4. Juli, 14.15 Uhr Netzwerk Recherche-Tagung, NDR Gelände Lokstedt, Hugh-Greene-Weg.
BIRGIT SVENSSON noch einmal HEUTE um 15.30 Uhr: Lasst uns über Geld reden. Neue Modelle für Freie im Ausland. Moderation: Gemma Pörzgen, Freischreiber.
BITTE AKTUELLE RAUM-HINWEISE BEACHTEN!
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Ich kann’s noch immer kaum glauben – Sportfans in den USA sind Fußballfanatiker geworden. Public Viewing an jeder Ecke, alle Fernseher in den Sportsbars auf WM programmiert, jedes Spiel LIVE im Fernsehen, auf Spanisch und Englisch. US-Mannschaftstrikots ausverkauft. Twitter, facebook und Instagram leuchten auf mit Fußball-posts! Wir können uns aussuchen, wo wir Spiele anschauen und die Bars sind proppevoll mit Fans aus allen Ländern – inklusive denen aus den USA!
Den letzten Beweis, dass Fußball in den USA in Siebenmeilenstiefeln forangeschritten ist seit ich 2003 in Los Angeles angekommen bin liefert mir der Ehemann. Der kennt sämtliche Statistiken des anderen Football (der Sport mit dem Lederei und der martialischen Ausrüstung) auswendig und hat sich bisher nicht sehr für Fußball interessiert. Jetzt kommt er von der Arbeit nach Hause und fragt zuerst: “Wer hat heute gespielt und wie ist es ausgegangen?” Dann schaltet er den Fernseher ein, schaut sich Wiederholungen und Kommentare aus Brasilien an.
Vor acht Jahren war ich mit anderen Fußballfreunden wie eine kleine Untergrundorganisation auf der Suche nach legalen Zuschaumöglichkeiten. Meistens mussten wir zu Hause die hispanischen Kanäle einschalten, um Spiele in voller Länge live zu sehen. Das tun wir auch heute noch, aber freiwillig. Es ist einfach spaßiger, den leidenschaftlichen Kommentatoren zuzuhören, wie sie auf spanisch jubeln, fluchen und verzweifeln. Im US-Fernsehen hört sich Fußballkommentar meist an wie die Analyse eines Golftourniers. Schnarch!
Klinsi hat noch jede Menge Arbeit vor sich, wenn er das Team bis zur nächsten WM auf Weltklasseniveau etablieren will. Das ist seine Aufgabe, die ihm der Verband gegeben hat und das hat er versprochen. In seinen ersten Jahren als US-Nationaltrainer hatte er den Luxus, von der Öffentlichkeit vorwiegend ignoriert experimentieren zu können. Jetzt ist mehr Interesse da und damit auch mehr Druck. Hoffentlich! Es ist ein gutes Zeichen für die Zukunft von Fußball in den USA, wenn Trainer und Spieler kritisch unter die Lupe genommen werden.
2018 heißt der Sport dann vielleicht auch hier sogar endlich Football!
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Au weia, erst können die Russen kein Englisch und dann ist auch alles noch “ganz anders als in Deutschland”. “Verloren” fühlten sich die eingeflogenen Reporter! Das muss ein Schock für die Kollegen vom Spiegel gewesen sein. Einer, der immerhin die erste Seite wert war.
Hoffentlich konnte Kollege Bidder aus Moskau den eingeflogenen Reportern ein bisschen unter die Arme greifen, eventuell gar in der Landessprache das Fremdeln erleichtern.
Um künftige traumatische Erlebnisse in der Fremde zu vermeiden empfehlen wir: Freie Korrespondenten im Lande (wie sie zB über das Weltreporternetzwerk leicht zu finden sind), kennen sich gut aus, sprechen die örtliche Mundart und haben bereits funktionierende Internetanschlüsse.
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Jedes Jahr am 31. Dezember wandere ich mit Freunden auf eine Hügelkuppe in den Bergen von Los Angeles. Von dort schauen wir beim Picknick vom glitzernden Pazifik im Westen über Wolkenkratzer von Downtown bis zu schneebedeckten Bergen im Osten. Es ist immer eine gute Gelegenheit, mich an Menschen und Orte zu erinnern, die ich im vergangenen Jahr getroffen und entdeckt habe. Wieviel ich selbst nach zehn Jahren in Los Angeles noch zu entdecken habe wurde mir bei meinem letzten Interview im Jahr 2013 mal wieder sehr bewusst. Für Reporter Corps, ein Projekt der USC Journalismus Schule ging ich mit einer Studentin durch das Viertel, in dem sie aufgewachsen ist: Watts. Im Süden der Wolkenkratzer gelegen, ist es vor allem bekannt für die Rassenunruhen, die dort 1965 ausbrachen, Bandenkriege und Schießereien über die die Abendnachrichten berichten. In alternativen Reiseführern werden außerdem die Watts Towers erwähnt, das Kunstwerk eines italienischen Einwanderers, der in jahrelanger Arbeit aus Fundstücken Türme schuf, die sich bis heute dem blauen Himmel entgegen strecken.
Shanice, die Studentin, zeigte mir ein anderes Watts: einen Park, in dem Pärchen auf Bänken sitzen, Mütter ihre Kinder auf Schaukeln und Rutschen beobachten und Teenager Baseball spielen; daneben eine Bibliothek und ein Beratungszentrum für Jugendliche, zwei Künstler, die eine Wand des Jugendzentrums mit bunten Symbolen für Freundschaft und Verständigung verschönern und ein stolzer hispanischer Vater, dessen Kinder in Watts aufgewachsen sind und ihren Uniabschluß gemacht haben.
“Ich lebe gerne in Watts” sagt die 22 jahre alte Shanice. “Hier ist immer etwas los, die Leute sind meistens freundlich und helfen einander. Viele hier haben es nicht leicht und erreichen trotzdem viel! Viele starke Menschen leben in Watts!”
Shanice über das Leben in Watts
Es gibt so viele Geschichten zu erzählen, die zeigen: Los Angeles hat unendlich mehr zu bieten als Hollywood. Ich freu mich schon auf die Entdeckungsreisen im neuen Jahr!
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Der Duft von Jasmin, Orangenblüten und Rosen ist längst verflogen. Die Nächte sind kalt, die sonnigen Tage hingegen noch wohltuend warm im winterlichen Grasse. Ein Hauch von Normalität weht durch die engen Gassen, durch die sich im Sommer schwitzende Touristen schieben. Sie alle wollen die Geheimnisse der Parfümherstellung entschlüsseln. Oder auch einfach nur ein paar kleine Duft-Flacons als Mitbringsel für die Lieben daheim erstehen. Davon lebt Grasse von April bis November. Auch wenn die Blumenfelder deutlich geschrumpft sind und die Blüten nicht mehr von den Grassois selbst gepflückt werden sondern vor allem von Gastarbeitern aus Osteuropa. Das Zentrum der französischen Parfümindustrie sowie das Herz der traditionellen Kunst, ein Parfum zu kreieren, ist die Kleinstadt in den Seealpen oberhalb von Cannes mit Blick auf das Mittelmeer geblieben.
Hinter der silbern und azurblau glitzernden Weihnachtsschmuck-Fassade kauern vier bis fünfstöckige Altbauten eng zusammen in den typischen Farben der Provence: Orange oder gelblich-ockerfarben. Mit zum Teil schwer verwittertem Putz. Auf schmalen Balkonen sonnen sich kleine Stechpalmen, Kletterpflanzen recken ihre Blüten gen Himmel. Frisch gewaschene Hemden, Socken und Unterhosen baumeln vor den Fenstern im Wind. Die Bescheidenheit einer südfranzösischen Kleinstadt. Wo Metzger und Bäcker die Vorlieben ihrer Klientel kennen. Wo man sich mittags zum Zweigänge Menu für 12 Euro mit einer Freundin trifft, weil dies die kleinen Freuden sind, die man sich ab und zu gönnt.
Vom Flair einer lukrativen Luxusindustrie ist in diesen Dezember-Tagen wenig zu spüren. Mal abgesehen von einer relativ hohen Konzentration an Parfümläden und den Parfümmuseen. Der elegante Jet-Set ist in Cannes abgestiegen und kommt höchsten zur Besichtigung einer der traditionellen Parfümfabriken hinauf in die 51.000-Einwohner-Stadt. Die Reichen und Schönen von Grasse leben in ihren Traumvillen, die auf den benachbarten Hügeln das Mittelmeer überblicken.
In der Rue Fragonard – ein Maler übrigens, die bekannte Parfümerie hat seinen Namen nur zu seinen Ehren angenommen – schieben zwei junge Marokkanerinnen ihre Dreijährigen im Kinderwagen vor sich her. Sie tragen Kopftücher, wie viele Nordafrikanerinnen in Grasse. Eine ältere Araberin huscht gar im Tschador über den Place des Aires. Der Anblick überrascht. Weil ich mir dieses Bild in der französischen Parfümhauptstadt nicht vorgestellt hatte. Ebenso wenig, wie die maghrebinischen Männer, die zwei Straßen weiter in einer windgeschützten, sonnigen Ecke an kleinen Tischen sitzen, rauchen, Karten spielen und Tee aus den für den Orient typischen kleinen Gläsern trinken. Fehlen eigentlich nur die Wasserpfeifen. „Ahlan wa sahlan!“ (Willkommen auf Arabisch) möchte ich Ihnen zurufen. Doch dann fällt mir ein, dass sie hier Zuhause sind, nicht ich. Gemeinsam mit den anderen Grassois, die seit Generationen hier auf irgendeine Weise von der Parfümherstellung existierten.
Grasse im Winter: Ein Bild wohltuend normalen Lebens. Dessen Schönheit in seiner Authentizität liegt. Die trotz des Touristentrubels im Sommer überlebt zu haben scheint.
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Wir Journalisten in Brüssel treffen uns jeden Tag im Pressesaal der EU-Kommission, zum “Midday Briefing” um 12 Uhr. Oder auf der Seite von “Presseurop” – einem Internet-Portal mit den besten Artikeln aus der europäischen Presse.
Doch damit dürfte es bald vorbei sein. Denn die Kommission dreht den Geldhahn für “Presseurop” zu. Schon am 22. Dezember läuft die Finanzierung aus, kurz vor Weihnachten wäre dann Schluss.
Das wäre nicht nur schade für die EU-Korrespondenten, die “Presseurop” für ihre tägliche Arbeit nutzen. Ich habe es sogar auf meinem eigenen Blog “Lost in EUrope” integriert, und zwar hier (Seite 2)
Es wäre vor allem schlecht für die vielen Leser außerhalb des “Raumschiffs Brüssel”, die da draußen im wirklichen Leben. Denn nur auf “Presseurop” können sie sich einen Überblick über die wichtigsten Presseartikel verschaffen – in ihrer eigenen Sprache.
Besonders empörend ist, dass dieser wichtige Dienst ausgerechnet jetzt platt gemacht wird, kurz vor der Europawahl im Mai. Die Redaktion hat daher einen Aufruf zur Rettung gestartet. Wer mithelfen will, findet ihn hier
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Seit der NSA-Snowden Affaire denke ich oft an meinen Vater. Er ist vor ein paar Jahren verstorben, hatte ein abenteuerliches Leben hinter sich – zumindest in seinen jungen Jahren als Fremdenlegionär in Afrika und Vietnam, zumindest, wenn ich ihm Glauben schenken darf, was er erzählte (als Beamter im österreichischen Innenministerium).
Mein Vater liest uns vor: Zumindest könnten die Geschichten wahr sein
„Zumindest“ begleitet alle Erinnerungen an ihn. Es ist ein Schlüsselwort, auch von Geheimdiensten, wenn sie Zweifel sähen wollen, wenn Tatsachen ans Licht kommen, die angeblich nicht für uns, die Öffentlichkeit, bestimmt sind. Wir haben ja gewusst, dass unsere E-Mails gelesen und Telefonate abgehört werden – zumindest, so dachten wir, besteht die Möglichkeit dazu. Und wenn Julian Assange als Sexverbrecher dargestellt wird, könnte das eine Rache der NSA an Wikileaks sein – aber andererseits und zumindest könnte sich Julian auch wirklich vergangen haben. Rufmord im gleichen Stil funktioniert nicht zwei mal hintereinander. Aber hey, der Snowden-Affairen-Aufdecker Journalist Glenn Greenwald hat doch einen schwulen Partner. Präsentieren wir doch den der breiten Öffentlichkeit – zumindest könnte mit ihm was faul sein.
Algerien, 1946: Mein Vater in der Fremdenlegion
Erzählungen von meinem Vater damals erklären heute, warum kein Politiker gegen Praktiken wie die der NSA vorgeht. („Nicht einmal faule Eier fliegen“ kommentiert ein Leser vom österreichischen Der Standard.)
„Alle Volksvertreter sind von diesen zwielichtigen Institutionen erpressbar,“ sagte mein Vater. „Die Agenten bezahlt das Volk, aber kontrollieren, zur Rechenschaft ziehen, kann es sie nicht. Im Innenministerium liegen von allen Politikern Geheimakte auf. Die Staatspolizei (Anmerkung: heute heisst dieser Geheimdienst Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) lanziert Informationen nach Gutdünken und politischer Gesonnenheit. Sie sind nur einem kleinen, inneren Kreis vorbehalten, der keiner Aufsichtsbehörde untersteht. Sie dienen zum Selbstschutz der Geheimdienstler, zur Erpressung und für Geschäfte. Gibst du zum Beispiel den Israelis eine Information, bekommst du zwei gute zurück. Deshalb wird der Mossad geschätzt.“
Pensioniert und vom Staat ausgezeichnet: Mein Vater beim Kasernenbesuch in den 90er Jahren
Ich weiss bis heute nicht, welche Funktion mein Vater im Innenministerium wirklich einnahm. Er tat geheimnisvoll, wissend, gewichtig und immer so, dass er zumindest auch ein Wichtigmacher hätte sein können, was wiederum auch nicht Sinn machte, da er ja zumindest einen der höchsten Orden der Republik erhalten hatte. Kurz vor seinem Tod erwähnte er, dass er aus seiner umfangreichen Büchersammlung noch ein paar Dokumente entfernen wollte, die er dort “zur Sicherheit” versteckt hatte. “Es wäre besser, wenn ich sie nicht finde.” Er kam nicht mehr dazu – und ich auch nicht, das heisst, tausende Seiten durchblättern, denn, zumindest könnte zwischen den Buchdeckeln ja wirklich etwas Interessantes zum Vorschein kommen.
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Japaner sind schlank, sehen fünfzehn Jahre jünger aus und werden älter als alle anderen Erdbewohner. Nicht Fisch, Reis und Gene allein sind das Geheimnis ihrer Langlebigkeit, sondern Wasser. 43 Grad. Täglich. Mittlerweile hat es sich auch im Westen herumgesprochen, dass die Badewanne in Japan nicht zum Einseifen und Shampoonieren da ist, sondern zur Entspannung. Waschen tut man sich auf dem Schemel vor der Wanne. Erst danach taucht die ganze Familie ein, ins selbe Wasser, einer nach dem anderen.
Gedanken gedämpft im Dampf: Ferne Erinnerung an mein Embryonaldasein
Zurück zum langen Leben: Jedes Strassenviertel in Japans Metropolen hat heute noch ein Sento, ein öffentliches Bad, geöffnet bis Mitternacht oder länger. Suchte man es in alten Zeiten auf, fehlte zu Hause die Waschgelegenheit. Geht man heute hin, will man sich entspannen, praktiziert Hausputz im Kopf (bei mir drei, vier mal die Woche). Der Eintritt kostet 450 Yen (3.50 Euro). Den kassiert die „Sento-Mama“. Sie sitzt auf einem überhöhten Stuhl und hat Einblick sowohl in die Männer- als auch Frauenabteilung. (Getrenntes Baden hatten die Amerikaner nach dem zweiten Weltkrieg verordnet.)
Im Blickfang der Sento-Mama: Umkleiden mit klassischer Musik
Mitunter ruft die Chefin des Familienbetriebs zu den Frauen rüber: „Nakamura-san, der werte Ehemann ist bereits angezogen!“ Oder umgekehrt. „Nakamura-san, lassen Sie doch die werte Ehefrau nicht warten!“ Meine Sento-Mama kennt die Familien der Umgebung, hört alles, weiss alles. Sie liebt klassische Musik und manchmal fragt sie mich nach einer Melodie, während ich mich vor ihr ausziehe. Ich lege die Kleidung in eine Box und gehe mit Seife, Zahnbürste und Handtuch in die Badehalle. Ich schnappe mir einen Plastikschemel und setze mich vor einen der dutzenden Wandspiegel. Und dann beginnt mein Ritual, mit dem ich seit zwanzig Jahren in der 35-Millionen-Metropole Tokio den Stress loswerde – und mein Leben um 15 Jahre verlängere.
Schuhbox mit Holzschlüssel
Ich fülle einen Kübel mit Wasser, übergiesse meinen Kopf, seife mich ein. Ringsum Plätschern und Glucksen, gedämpft vom Dampf – wie eine ferne Erinnerung an mein Embryonaldasein. Ich werde langsamer. Ich stehe auf, steige in eines der Becken mit Digitalanzeige: 39 Grad. Ich seufze, wie alle Japaner, wenn sie ins heisse Wasser steigen mit diesem langgezogenen, kehlige „Ahhhhhh“. Dabei öffnet sich der Mund wie beim Gähnen. Nun wissen die anderen Sento-Mitverschworenen, dass man „heimgekommen“ ist und mit der Welt draussen nichts mehr zu tun hat. Sie nicken zustimmend und sagen „Ii neeee! Wunderbar!“ Ich setze mich zu ihnen. Meine Füsse schwimmen oben und mein Nacken ruht auf einer eisgekühlten Röhre. Dann das zweite Einseifen. Die Haut ist nun aufgewärmt und die alte Schicht lässt sich leicht mit einem Tuch abreiben. Rauh ist es wie Sandpapier. Väter, Kinder, Brüder, Freunde schrubben sich abwechselnd den Rücken.
Füsse schwimmen oben. Der Nacken ruht auf einer eisgekühlten Röhre
Anschliessend ins Becken mit 43 Grad. Sollten noch Restbestände der Aussenwelt im Kopf herumschwirren – nun werden auch die eliminiert, wobei das kehlige „Ahhhhhh!“ diesmal Ausdruck des Schmerzes ist. Ich halte es im Becken länger aus, als die meisten Japaner. Dabei hilft mir ein Trick, den ich durch Zufall vor Jahren entdeckt hatte: Ich lege die flachen Hände auf die Nierenseiten. Damit sinkt die Temperaturempfindlichkeit. Zumindest bilde ich mir das ein. Danach sitze ich – der Körper krebsrot – wieder auf dem Hocker vor dem Spiegel. Diesmal sind die Augen geschlossen und ich wasche mir den Kopf innen, das heisst, ich tauche in ein Gedanken- und Bildernichts ein und verliere das Zeitgefühl. Abschliessend probiere ich es mit einer alten Übung, die mir noch nie gelungen ist: in Gedanken einen Salto schlagen. Es klappt einfach nicht, aber ich bin nicht enttäuscht. Ich bin über alles erhaben. Ich habe die Ärgernisse des Tages vergessen und bin mit dem Leben im Reinen. Die Sento-Mama hat Schubert aufgelegt. Ich trete hinaus in die Nacht und finde die hässliche, fünfstöckige Strassenkreuzung eigentlich recht interessant.
Meine Kreuzung nebenan
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Gerade habe ich im Radio gehört, dass weltweit kein großes Interesse am schlechten Schauspiel der Haushaltsblockade von Washington besteht. Kein Wunder. Ich kann auch kaum noch die Stimmen der üblichen Verdächtigen ertragen, die sich gegenseitig die Schuld zu schieben. Die müssen doch mindestens genausoviele Geschichten von Betroffenen gehört haben wie ich!
Ich habe Touristen am Flughafen von Los Angeles getroffen, die ihren gesamten Ferienplan umstellen mussten weil sie nicht in Nationalparks kommen. Eine Rentnerin war auf dem Weg zum Trip ihres Lebens mit Schulfreundinnen – Wildwasserrafting im Grand Canyon. Aus der Traum!
Ich traf einen Vater, der die Hypothek für sein Haus und Studiengebühren für seine Töchter nicht bezahlen kann, weil er im Zwangsurlaub ist. Irgendwann soll er sein Gehalt bekommen. Bis dahin stapeln sich unbezahlte Rechnungen und Verzugsgebühren. Er schläft nicht gut.
Am meisten beeindruckt aber hat mich die Geschichte von Shanice, einer Studentin aus dem nicht gerade idyllischen Viertel Watts in Los Angeles. Das ist berühmt vor allem für Rassenunruhen in den 60ern und für die Türme aus Recycle-Material. “Ich weiss nicht, was derzeit unser größtes Problem ist – Gangs oder Teen-Mütter,” erzählte sie mir. Shanice will den Kreislauf durchbrechen und hat ein Studium angefangen. Sie schrieb sich ein für Soziologie und Kommunikation an einem relativ preiswerten College. 1000 Dollar zahlt sie im Jahr für Studium und Studienmaterial. Das stieß bei Freundinnen auf großes Unverständnis. “Warum wirst du nicht einfach schwanger, dann bekommst Du Geld für Essen und Wohnung?” haben die gefragt.
Die 21 jährige lebt bei ihrer Großmutter. Sie hat sechs Geschwister. Die leben bei der Mutter. Der Vater hat sich nie um sie gekümmert. Shanice bekommt etwa 10 tausend Dollar im Jahr aus verschiedenen Töpfen des Bundeshaushalts. Mir ist es ein Rätsel, wie man mit so wenig Geld in Los Angeles leben und studieren kann! “Ich bin total von finanzieller Hilfe abhängig. Ich zahle alles davon – das Busticket, die Bücher, mein Essen, die Gebühren, meine Kleidung, Zuschuss zur Miete.” erzählte sie mir. Und das ist die Verbindung zur Haushaltsblockade.
Vor gut acht Wochen wäre eine Zahlung an Shanice fällig gewesen, etwa 1500 Dollar. Wegen Kürzungen an den Unis noch vor der Blockade hat sich die Zahlung verzögert. Wegen der Streits in Washington wurden nun zusätzlich Stellen am College gestrichen und Shanice fürchtet, dass sie das Geld gar nicht mehr bekommt. Bei der Beratungsstelle sind die Schlangen endlos. Dort arbeiteten einmal drei Angestellte, nur eine Stelle ist geblieben. “Wenn ich am Ende des Monats keine Überweisung bekomme, kann ich mir den Bus nicht mehr leisten. Wenn ich nicht zur Schule komme, kriege ich schlechte Noten. Mit schlechten Noten bekomme ich keine finanzielle Förderung mehr.” Shanice will ein Vorbild sein, ihren Geschwistern zeigen, dass auch Kinder aus Watts einen Collegeabschluss machen können. Momentan fürchtet sie, dass die Schulfreundinnen recht behalten und es einfacher ist, eine Teen-Mutter zu sein als zu studieren.
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Nach meiner Konfrontation mit einem Yakuza bin ich sicher: An der Fukushima-Katastrophe bereichern sich Verbrechersyndikate.
Was ist passiert?
Drei markante Gebäude markieren die Yoyogi-koen Kreuzung im Herzen Tokios: Ein Glaskubus von Mode-Shogun Issey Miyake, ein Family Mart Convenience-Store und ein koban. Das Polizeihäuschen ist 24 Stunden geöffnet. Manchmal sitzt dort ein Polizist, manchmal stehen dort drei. In Japan gibt es weder Strassennamen noch Strassennummern. Deshalb liegen im koban Stadtkarten auf, wo Häuser des Viertels mit Familiennamen eingezeichnet sind. Die Polizei gibt Auskunft, besucht zudem einmal im Jahr alle Bewohner im Revier. Sie fragt, wie’s geht oder warnt Omas vor „ore-Telefonaten. Das sind Anrufe von angeblichen Enkelkindern in Not, die um eine Banküberweisung bitten. Jährlich erschwindeln Banden wie die Yakuza auf diese Art Milliarden.
Yakuza im Manga: “Sorry. Ich habe kein Geld!”
Unweit vom Yoyogi-koban, beim Family Mart, will ich mein Fahrrad abstellen. Neben dem Eingang aber schreit ein bulliger, kurzbeiniger Typ. Vor ihm – zwei Teenager. Sie nicken reumütig. Hinter ihm – eine junge Frau. Der Rock ist kurz, die Absätze lang, der Blick trüb.
„Mit den Scheiss-Fahrrädern habt ihr der Frau das Knie verletzt!“
Mein Seitenblick streift ihre Beine. Schlank sind sie und weiss und unverletzt.
„Was ist? Zahlt ihr? Habt ihr Geld ? Einen Ausweis? Wo wohnt ihr?“
Koban bei der Yoyogi Kreuzung
Einkäufer gehen an uns vorbei. Nur keinem Yakusa in die Augen schauen! Mir reicht’s, laufe rüber zur koban. „Da drüben werden Jugendliche attackiert!“ Drei Polizisten springen los, halten Pistolentasche, Stahlrute, Funkgerät und Schellen am Gürtel fest, damit sie nicht klappern. Wie ein kleiner Bruder, der Geschwister zur Verstärkung mitbringt, stelle ich mich vor den Ganoven.
„Das ist er!“ sage ich. Der Yakuza baut sich vor den Polizisten auf: „Dreckskerle. Habt ihr nichts besseres zu tun? Arschlöcher! Verschwindet!“
Die Polizisten verziehen keine Miene, fragen höflich, was das Problem sei.
„Geht euch einen Scheiss an. Erzähle ich eurem Boss. Verpisst euch,“ sagt der Wegelagerer.
„Ist doch klar, dass er die Teenager erpresst,“ sage ich.
„Alles OK,“ sagt ein Polizist.
Fahndungsposter bei der koban
Der Yakusa tritt an mich heran und ich rieche seinen ranzigen Sake-Atem. Er brüllt und bellt und lässt das „R“ rollen, wie es sich nur unter seinesgleichen geziemt. Er zieht sein Handy. Er fotografiert mich. Er fotografiert die Polizisten. Er hält die Faust mit den Goldringen vor meine Nase. Und erst dann stellen sich die Polizisten dazwischen.
„Ich kriege euch alle. Eure Familien. Eure Kinder!“ In seiner Stimme – keine Spur von Heiserkeit. Auf der Strasse – keine Schaulustigen. Im Family Mart – kein Aufruhr – der Laden könnte nächstes Opfer sein. Hinter dem Rücken des Gelegenheitsparasiten deutet die schlanke Frau den Jungen, sie sollen weglaufen – doch sie rühren sich nicht vom Fleck. Denken sie, nun sei Hilfe gekommen? Denken sie, sie müssten sich dem Polizisten erklären? Denken sie, bei einem Yakusa hat auch die Polizei keine Chance?
Und dann sagt der ranghöchste Uniformierte: „Das hier ist eine Privatunterhaltung.“
“Wo ist die Verletzung am Knie?” wiederhole ich.
Die Polizisten drehen sich um und spazieren zurück zum koban. „Scheisskerle! Wird Zeit!“ schreit ihnen das Bronsongesicht nach und wendet sich zu mir und ich ergreife die Flucht und die Jungen tun mir deshalb heute noch leid.
Und was hat das mit Fukushima zu tun?
1000-Tonnen-Tanks mit radioaktivem Wasser sind miserabel zusammengeschraubt. Viele davon stehen schief. Arbeiter pumpen von einer Seite Wasser hinein, auf der anderen läufte es ab. Die Dummheiten werden auch in Zukunft nicht aufhören und ich habe dafür eine Erklärungen. Das Arbeiterfussvolk im AKW ist nicht geschult. Niemand will den Laden freiwillig aufräumen, sein Leben riskieren. Deshalb ist die Yakuza nun Job-Vermittler für den Energiebetreiber, rekrutiert Obdachlose, Arbeitslose, Hilflose. Das munkeln Japaner. Ich glaube es. Ich habe die Polizisten weggehen gesehen.
Roland in Fukushima
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Camel White ist in Japan angekommen – mit der schönsten Zigerattenpackung der Welt. Ich musste sie gleich fotografieren. Vorweggenommen: Ich bin Trockenraucher. Die Marke ist mir egal. Der Look ist wichtig, schlicht soll er sein und nicht schreien. Sackt die Schreiblust vor Redaktionsschluss ab, öffne ich eine Zigarettenschachtel und nuckle am Filter so lange herum, bis er flach und aufgeweicht ist. Anschliessend werfe ich die unverbrannte Zigarette weg. Mit vierzehen habe ich mir zum ersten Mal eine angezündet, eine A3. Ich sass unter Kastanienbäumen bei der Lainzer Tiergargartenmauer mit Blick auf Wien und dachte, dass ich von nun an mein Leben für immer im Griff haben würde. Die Zigarettenpackung war ausgehungert-graugrün mit einer schmutzig-violetten Schrift. A3 stand darauf. Das schlichte Design faszinierte mich, obwohl ich „Minimalismus“ noch nicht kannte. Instinktiv fragte ich, warum sich mit einer A3 in Österreich nur Proleten, Maurer und Arbeitslose sehen lassen konnten.
Meine bewunderte A3 (1969) und meine Hand mit Camel White (2013);
Beim Anblick der Camel White in Tokio dachte ich sofort an die A3. Mattes Weiss hat Graugrün ersetzt, Silberbuchstaben die violette Schrift. Entstanden ist ein Architekturmodell, ein Miniaturwolkenkratzer, eine Skulptur – geschaffen wie für New Yorker Galerien. Als würde die Verpackungsevolution nun sagen, „liebe österreichische Proleten und Maurer, ihr ward damals blind, habt den Designwert nicht erkannt, denn sonst würde es die A3 heute noch geben.“
Camel Crushed: Wie eine John Chamberlain Autowrack -Skulptur – aber immer noch schön.
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Es soll in dem Artikel nur um Spirituosen gehen, nicht um nukleares Material. Ich will kein Interview mit dem französischen Präsidenten, sondern nur ein paar Informationen über Schnäpse und Märkte. Zehn Minuten Telefongespräch würden reichen, um meine Fragen klären zu können.
Tag eins, vormittags am Telefon. „Allô?“, sagt die Mitarbeiterin in der Pressestelle des internationalen Spirituosenkonzerns mit Hauptsitz in Paris. Ich stelle mich vor und erkläre, worum es geht. Es folgt die übliche erste Hürde: Ich solle mein Anliegen per Mail an die Pressechefin senden. Die würde sich dann melden. Ich ahne, dass die Presseabteilung und ich in den kommenden Tagen eine spannende Zeit miteinander haben werden.
Die Zeit vergeht. Journalisten sind leider anstrengende Leute. Denn sie wollen Informationen meistens recht schnell. Aber es gibt nun mal Redaktionsschlüsse, Abgabefristen und Arbeitsdruck. Journalisten müssen recht schnell wissen, welche Quellen ihnen zur Verfügung stehen – denn davon hängt es ab, ob der Artikel geschrieben werden kann.
Am Nachmittag rufe ich noch mal an. „Allô?“ Eine andere Dame, die weder den Namen des Unternehmens sagt, noch ihren. Ich erkläre, dass ich schon einmal angerufen habe und dass es um Informationen für einen Artikel geht. Sie fragt, ob ich den Artikel schicken wolle, damit die Pressestelle ihn gegenliest. Ich bin sprachlos – sage, dass das nicht üblich ist. „Ihre Pressesprecherin wollte mich zurückrufen“, sage ich. „Sagen Sie mir Ihren Namen, ich werde ihr Bescheid geben“, sagt sie.
Tag zwei. Ich warte bis zum späten Vormittag. Kein Rückruf, nirgends. Also rufe ich an. Jetzt ist die Sprecherin selbst am Telefon. Oui, pardon, sagt sie, sie sei im Stress, sie habe noch mit der Jahresbilanz zu tun. (Die ist bereits vor einer Woche bei einer Pressekonferenz veröffentlicht worden.) Sie sucht meine Mail. Es dauert. Sie liest mir meine Mail vor. Ob ich für meine Fragen einen Ansprechpartner oder von ihr die Informationen bekommen könnte. „Ich werde Sie per Mail auf dem Laufenden halten“, sagt sie. Sie sagt nicht: Wir melden uns so schnell wie möglich. Das ist immerhin ehrlich. Denn diese Phrase würde übersetzt bedeuten: Wir melden uns, wann wir wollen. Und wenn wir wissen, was wir sagen wollen und was nicht.
Tatsächlich kommt eine Stunde später eine Mail. Inhalt: Nichts anderes als ein Link zum Jahresbilanz-Vortrag vor einer Woche. Den kenne ich schon von der Homepage des Unternehmens. Ein Gespräch? Fehlanzeige. So schön Mails in dieser Welt oft sind – hier sind sie ein perfides Werkzeug, um Journalisten auf der Jagd nach Informationen auf Abstand zu halten. In einem Gespräch könnte man ja Fragen gestellt bekommen, die man nicht gleich beantworten kann oder gar welche, die kritisch sind. Dann doch lieber einfach einen Link schicken. Will heißen: Such, Journalist, such selber! Such in den 88 Seiten, ob da drin ist, was Du brauchst! Wenn es nicht drin ist, hast Du Pech gehabt. Am Ende der Mail schließlich noch der Hinweis, dass ich mich für Fragen zum deutschen Markt an die Kollegin in Deutschland wenden solle.
Ich gebe nicht auf und antworte der Dame. Bedanke mich, aber bitte noch um Auskunft zu ein paar Fragen, deren Antwort nicht in dem Online-Pressematerial steht. Zwei Stunden später der karge Hinweis per Mail: Wie sie doch bereits geschrieben habe, solle ich mich an die deutschen Kollegen wenden. Am Ende ein höfliches „bien cordialement“. Man wahrt die Form statt ehrlich zu schreiben: Journalist, lass mich in Ruhe.
Tage später erreiche ich die deutsche Kollegin des Konzerns, die wegen einer Jahrestagung mehrere Tage nicht erreichbar war. „Ja, ich wollte sie auch gerade anrufen“, sagt sie. Wir reden zehn Minuten, in denen sich schon einige meiner Fragen klären lassen. Und einen Tag später habe ich dann schriftliche Antworten auf meine gestellten Fragen. Es geht eben auch anders. Bei einer letzten Nachfrage zum französischen Markt werde ich höflich an die Kollegin in Paris verwiesen. Das stimmt mich heiter.
„Service de presse“ heißen in Frankreich die Presseabteilungen. Bei Service darf man nicht an Service, Bedienung oder Auskunftshilfe denken, oft ist das Gegenteil der Fall. Die Franzosen, sonst Meister der Unterhaltung und Rhetorik, sind in Pressestellen sehr oft nicht mehr wiederzuerkennen: abweisend, hierarchieängstlich, arrogant. Wenn man Pressesprecher nicht schon mal vorher auf einem Pressetermin getroffen hat, mit ihnen vielleicht ein Glas getrunken hat, dann prallt man oft an ihnen ab wie ein Tropfen an einer Scheibe. Dabei könnte man vermuten, dass Pressestellen von Unternehmen Medienanfragen aufmerksam bearbeiten oder gar schätzen: Zum einen müssten sie interessiert sein, dass keine falschen Daten veröffentlicht werden. Zum anderen könnte es ja sein, dass der Artikel über ihre Produkte indirekt auch einen positiven Werbeeffekt für sie hat.
Das ist Alltag für viele Journalisten in Frankreich. Französische Pressestellen sind leider oft professionelle Informationsverhinderungsstellen.
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Die Wegbeschreibung von Sama Wareh hörte sich nach einem wunderbaren Abenteuer an. Schon die Adresse klang verlockend: Silverado Canyon. Ich sollte über eine kleine Brücke fahren, vorbei an einem Fels mit vier Streifen und schließlich gegenüber einer großen rotgestrichenen Scheune parken. Ich verfuhr mich nur einmal auf dem Weg gen Süden von Los Angeles und wurde am Ziel mit einer warmherzigen Umarmung und einem wunderbaren Frühstück empfangen: Sama hatte einen Tomaten-Bohnensalat, Knoblauchkäse mit Minze und Olivenöl, Pitabrot und andere Leckereien zu einem kleinen Festmahl im Schatten einer großen Eiche ausgebreitet. Dazu servierte sie gesüßten Tee aus Glastassen. Die in Kalifornien geborene Tochter von syrischen Einwanderern erklärte mir, warum es so wichtig ist, den Tee zu sehen, das gehöre zum Genuss dazu. Ich konnte mich nicht gut konzentrieren: Samas brauner Cowboyhut über einem locker um Kopf und Hals gebundenen lila Palästinenserschal mit angehängter Feder und Perlen, ihre hohen Schnürstiefel über engen lila Jeans entsprachen nicht den Erwartungen, mit denen ich zu diesem Interview einer Künstlerin mit Familie in Damaskus gefahren war. Bis ich Sama sah war mir nicht einmal bewusst, dass ich Erwartungen hatte. Ich wusste nur, dass sie auf eigene Faust mit Rucksack, Erspartem und Erlösen aus dem Verkauf ihres Motorrads und ihrer Kunst in die Türkei geflogen war um dort Flüchtlingen aus Syrien zu helfen. Tränen treten der 30 Jahre alten Künstlerin in die Augen, wenn sie von den Begegnungen erzählt: vom Leben der Familien ohne Möbel und Heizung in Kellern ohne Fenster und von Gastfreundschaft unter ärmsten Umständen. Am stärksten ist ihr ein Fahrer in Erinnerung, der sie in ein Lager an der Grenze brachte. “Er hat seine tote Tochter aus den Ruinen seines Hauses geholt und pendelt nun zwischen Syrien und der Türkei, um Verletzte und Obdachlose über die Grenze zu bringen.” Das Foto seiner Tochter ist auf dem Handy immer dabei.
Samas Kunst beschäftigte sich bis zur Reise an die Grenze nicht mit Politik. Sie findet Gemeinsamkeiten zwischen alten Kulturen, zum Beispiel in ihrer Serie “Beduine trifft Indianer”. Jetzt ruft sie in Gemälden zu Frieden, Menschlichkeit und Vergebung auf. In Nachrichten auf facebook warnt sie Freunde und Verwandte in Syrien davor, in Hass, Rachelust und Animosität gegenüber anderen Sekten, Religionen oder Kulturen zu verfallen. Sie weiß, dass das aus der Entfernung leichter gesagt als vor Ort getan ist. Die aktuelle Politik macht sie ratlos und misstrauisch. Deshalb wird sie sich im November wieder selbständig auf den Weg machen, den Cowboyhut über dem Kopftuch, mit Rucksack und hohen Stiefeln. Um Spenden für die Reise zu sammeln wird sie im Gemeindehaus ihres Canyondorfes bei syrischem Frühstück ihre Kunst verkaufen. “Ich möchte den Flüchtlingen zeigen, dass sie nicht vergessen sind.”
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Dass die Wahrheit in Konflikten auf der Strecke bleibt, ist eine Binsenweisheit, ebenso wie die Tatsache, dass mit Informationen Politik gemacht wird. Geschenkt. Es gibt nichts, das ein Journalist nicht kritisch abklopfen muss.
Am 26. Januar 2011, dem zweiten Tag des ägyptischen Volksaufstandes gegen Mubarak, bin ich tagsüber zu drei Orten in der Nähe des ARD-Studios gegangen, für die Regimegegner Demos mit mehreren Tausend Menschen über Twitter und auf Facebook vermeldet hatten. An nicht einem der drei Orte traf ich auch nur einen einzigen Demonstranten an.
Bei Opferzahlen sieht’s nicht anders aus. Wem hohe Zahlen nutzen, der vermeldet hohe Zahlen, wem nicht, der nicht. Fotos von Kindern, die das ägyptische Militär angeblich bei ihren brutalen Angriffen gegen Mursi-Anhänger in Kairo tötete, erwiesen sich später als Bilder von Kinderleichen aus Syrien.
Diese Bilder waren auf Webseiten aufgetaucht, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Andere Webseiten fanden die Quelle und stellten die Screenshots der ägyptischen sowie der syrischen Webseite nebeneinander –beide zeigen dasselbe Massakerfoto, nur mit einer anderen Bildunterschrift.
Ich habe aber auch schon Webseiten mit solchen Gegenüberstellungen gesehen, bei denen der »Beweis«, also der Screenshot von der Webseite mit dem angeblichen Originalfoto, eine Fälschung war – und das angeblich »entlarvte« Foto aber echt. Alles ziemlich verworren.
Gestern tauchten in Ägypten Fotos von Männern in Zivil auf, die mit Maschinengewehren bewaffnet am Rande von Demonstrationen durch Kairos Straßen liefen. Angeblich soll es sich um bewaffnete Mursi-Anhänger gehandelt haben. Das kann stimmen, ich habe selber in den letzten Wochen Mursi-Anhänger mit Waffen gesehen. Die Behauptung kann aber auch falsch sein. Andere Fotos von gestern zeigen Männer in Zivil und mit Maschinengewehren, die mit Polizisten in der Sonne stehen, plaudern und ganz offensichtlich zu ihnen gehören.
Zu welcher ‘Seite’ gehören Männer in Zivil, die in der Nähe von Protesten mit Waffen rumlaufen? Das Publikum entscheidet sich für die Antwort, die es hören will. Das ist der Hauptpunkt. Nur wenige der vielen Falschinformationen und Behauptungen dienen noch dazu, einen Beweis zu suggerieren. Sie sollen einfach nur Stimmungen beeinflussen, bei Leuten, die ohnehin schon in einer bestimmten Weise gestimmt sind.
Es ist inzwischen völlig egal, wie plausibel diese Behauptungen sind. Sie tauchen auf, sie putschen auf. Sie sind ein paar Stunden später schon wieder aus der Wahrnehmung verschwunden und haben ihren Zweck erfüllt. Im Zeitalter von Social Media und von Fernsehbildschirmen, die rund um die Uhr flimmern, erwartet niemand mehr, das irgendwas von dieser Informationsflut später dementiert oder entlarvt wird. Es guckt sich alles einfach so weg.
Seit Mittwoch wurden in Ägypten landesweit mehrere Dutzend Kirchen gestürmt, verwüstet und/oder in Brand gesteckt. Ich habe in Videoaufnahmen Täter gesehen, bei denen es sich mit ziemlicher Sicherheit um Sympathisanten von Mursi und der Muslimbruderschaft handelte – zur ‘Rache’ womöglich angefeuert durch die Reden, die wochenlang von der Protestcamp-Bühne an der Rabaa-al-Adawiyya-Moschee hallten und in denen aufs Übelste immer wieder auch gegen Christen gehetzt wurde.
Auf Aufnahmen von anderen der attackierten Kirchen sah ich Angreifer, die mit Pick-up-Trucks kamen und bei denen es sich unverkennbar um Baltagiyya-Schlägertrupps handelte, um jene meist jungen, verrohten Männer aus Armenvierteln, die seit Jahrzehnten für Funktionäre der Mubarak-Nomenklatura die Drecksarbeit machen, nicht selten vollgepumpt mit Bango (Marihuana), und die ein paar ägyptische Pfund für ihren Einsatz erhalten.
Eine ägyptische Koptin aus Beni Suef (die ich nicht kenne und für deren Äußerungen ich nicht bürgen kann) schrieb auf ihrer Facebook-Seite (mehrere Tausend Abonnenten): »Glaubt mir! Die, die bei uns im Ort die Kirchen anzündeten, waren Geheimdienstleute in Zivil und Männer von der NDP (Mubaraks 2011 aufgelöster Regierungspartei).« In einem Fernsehinterview an jenem Mittwoch erzählt ein koptischer Kirchenfunktionär aus Al-Minya, dass die Angriffe auf alle Kirchen im Ort exakt zur selben Zeit nach demselben Muster abliefen und vor allem in jenem Moment im Morgengrauen stattfanden, als in Kairo die brutale Räumung der Protestcamps der Mursi-Anhänger gerade begonnen hatte. Die Kopten riefen die Polizei an und baten um Schutz und Hilfe, aber bei keiner der überfallenen Kirchen habe sich die Polizei blicken lassen, bis zum Schluss nicht.
Es bleibt einem nichts weiter übrig, als sich auf all das irgendwie selber einen Reim zu machen – indem man so aufwändig und so kritisch wie möglich recherchiert und indem man die eigenen, Jahre langen Erfahrungen bei der Beurteilung hinzuzieht. Nach dem, was ich von den Überfällen auf die Kirchen gesehen habe, würde ich sagen: sowohl radikale, aufgehetzte Mursi-Sympathisanten als auch koordiniert agierende Angreifer, die Überfälle orchestrierten, die den Islamisten in die Schuhe geschoben werden können.
Vorfälle dieser und ähnlicher Art müssten von offizieller Seite untersucht werden. Nach jedem Blutbad der letzten zweieinhalb Jahre wurde schonungslose Aufklärung versprochen, aber ich kann mich an keinen einzigen Untersuchungsbericht erinnern. Und wenn es Pressekonferenzen gab, auf denen »Untersuchungsergebnisse« präsentiert wurden, waren sie keine einzige der Minuten wert, die man für sie opferte.
Im Oktober 2011 habe ich sechs Stunden lang aus nächster Nähe mit ansehen müssen (ich konnte den Ort nicht verlassen), wie das ägyptische Militär vor dem TV-Gebäude Maspero ein Massaker unter Teilnehmern einer Christendemonstration verübte. Ich sah Soldaten, die auf Menschen schossen (die dann getroffen zusammensackten), ich sah, wie gepanzerte Militärfahrzeuge über Demonstranten fuhren. Am Ende waren mindestens 27 Menschen tot.
Ein paar Tage später gaben Armeeoffiziere auf einer Pressekonferenz die offizielle Version der Militärs bekannt. Fast alles, was sie sagten, war praktisch das Gegenteil von dem, was ich selber gesehen hatte. Ähnliche Erfahrungen macht man immer wieder auch mit Erklärungen anderer Behörden. Es ist leider so, dass die Informationen offizieller Stellen in Ägypten keinen Wert haben. Sie können stimmen (und tun das womöglich hin und wieder auch), aber sie können ebenso gut auch komplett dem Reich der Phantasie entstammen. Man könnte sie eigentlich ignorieren. Sie helfen einem bei der Suche nach dem Hergang der Ereignisse keinen einzigen Millimeter weiter. ■
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Da Barcelona ja immer noch der Ruf als stilprägende Metropole vorauseilt, fragen mich meine Redaktionen gerne nach neuen Trends. Bitte, hier kommt einer: Die katalanische Trendsportart des Sommers heisst Ringelpietz mit Anfassen.
Für den 11. September, den katalanischen Nationalfeiertag plant die Bürgerbewegung Assamblea Nacional Catalana eine 400 Kilometer lange Menschenkette entlang der Via Augusta. Mit der “Via Catalana” soll ein Zeichen gesetzt werden, für die Unabhängigkeit Kataloniens, natürlich. Die Organisation läuft auf Hochtouren. In Sportreportermanier werden triumphierend die letzten zu füllenden Meter getwittert, Exil-Katalanen posten Fotos von Soli-Ketten aus Rom und Wien und seit ein paar Tagen gibt es jetzt auch ein offizielles Lied, den Via-Catalana-Road-Song quasi.
Wer etwas auf sich hält, kleidet sich zum Ringelreigen ganz mit nationalen Emblemen ein: Die gelb-rot gestreifte katalanische Fahne wird als eine Art Superman-Umhang über die Schulter geworfen, dazu gibt es passend die Unterhose für Freiheit liebende Geschlechter und Sandalen, mit denen man dann in Riesenschritten Richtung Unabhängigkeit schlappen kann. Die Merchandising-Industrie boomt, von wegen Krise.
An diesem Wochenende wird landesweit geprobt. Also, liebe Touristen, wundern Sie sich nicht, wenn Sie auf Ihrem Weg von den Pyrenäen ans Mittelmeer von glücklich strahlenden, sich an den Händen haltenden Menschen im gelb-roten Dress begrüsst werden. Es handelt sich nicht um einen PR-Gag eines verzweifelt um Besucher buhlenden Tourismusamtes, sondern um den Testlauf für eine politische Demonstration.
P.S: Und bevor ich jetzt wieder bitterböse E-Mails bekomme, in der mir mangelndes Verständnis für katalanische Befindlichkeiten oder gar bezahlte Maulwurftätigkeiten für die Zentralregierung in Madrid unterstellt werden: Ich masse es mir nicht an, in irgendeiner Art und Weise ein Urteil über Sinn oder Legitimität der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu fällen… aber, déu n’hi do, so ein ganz klein bisschen karnevalesk ist dieser Sommerreigen doch schon…
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„Lettermaaaaan“ – mit diesem Urschrei beginnt an jedem Wochentag die Late Show auf CBS. Sie ist eine Institution in den USA, ein Kult: Die erste Spätsendung mit David Letterman, die Tagesrückblick mit Comedy verbindet, lief am 30. August 1993, und noch immer schalten durchschnittlich vier Millionen Amerikaner ein. Auch viele Deutsche kennen sie, zumindest indirekt, denn sie stand Pate für die Harald Schmidt Show. Wie genau die deutsche Version vom amerikanischen Vorbild kopiert ist, wurde mir erst hier in den USA richtig klar: Bis in kleinste Gesten hinein ahmt Schmidt sein Alter Ego nach. Was die interessante Frage aufwirft, ob auch Letterman seine Rolle nur spielt oder er authentisch ist.
Die Show wird im Ed Sullivan Theater in Midtown Manhattan produziert. Vor Jahren entdeckte ich zufällig, dass, wer sie live sehen möchte, sich via Internet bewerben kann. Die Teilnehmer würden „zufällig ausgewählt“, heißt es nebulös, was bei mir den Verdacht entstehen ließ, dass das Publikum hauptsächlich aus Freunden und Bekannten des Showpersonals besteht. Deshalb wunderte es mich auch nicht, dass ich nie eine Antwort bekam, wenn ich gelegentlich, mehr aus Jux, das Formular ausfüllte.
Eines schönen Junimorgens jedoch fand ich eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter: Ich möge „John“ von der Late Show anrufen und mein Wunschdatum bestätigen. Ich glaubte erst an einen Witz, oder an Abzocke. Aber schließlich wusste außer mir keiner von der Bewerbung. Also rief ich zurück, derartig nervös, dass mein Englisch ungefähr dem Niveau einer Vierjährigen entsprach. John klärte ein paar Formalien und sagte dann, ich müsse eine Frage beantworten, um zu beweisen, dass ich ein echter Fan sei: „Wer ist Tony Mendez?“
Mein Kopf raste. In meiner Panik fiel mir überhaupt nur ein Mitwirkender ein, ein junger Mann, der zur Gedächtnisstütze des Moderators Stichwortkarten hochhält. Stotternd versuchte ich dessen Funktion zu erklären. John lachte. Es klang so, als sei ich auf dem richtigen Weg. Ich atmete tief durch und versuchte es mit „The teleprompter guy“ John lachte noch mehr und sagte dann: „Oh nein, so leicht kommst du mir nicht davon. Du musst schon den richtigen Begriff sagen.“ Das fand ich ungerecht. „Ich bin Deutsche, wie kannst du erwarten, dass ich so eine ausgefallene Vokabel kenne?“ „Weil der Ausdruck in jeder Sendung fällt“, antwortete John streng. Dann hatte er ein Einsehen. Oder Mitleid. „Bleib in der Leitung, ich rede mal mit meinem Vorgesetzten.“
Was nun geschah, wird die technikaffine jüngere Generation nie verstehen. Weil mir schien, dass die Verbindung unterbrochen sei, versuchte ich, die Lautstärke hochzustellen. Und erwischte dabei den „Aus“-Knopf. Noch nie war ich so wütend auf mich selbst. Denn natürlich würde John diese radebrechende, ungeschickte Deutsche nicht noch einmal anrufen. Bestimmt hatte er Tausende von enthusiastischen, echten Fans auf seiner Liste, die nicht nur den richtigen Begriff aus dem Effeff wüssten, sondern auch noch beschreiben könnten, welche Farbe das T-Shirt von Tony Mendez in der Show von vor drei Wochen gehabt hatte. Während ich halblaut vor mich hinschimpfte, klingelte das Telefon. John. „Alles klar, du kannst kommen. Sag einfach, dass du auf meiner ‚Gold List’ stehst.“ Ich konnte mein Glück kaum fassen und bedankte mich überschwänglich. John wehrte ab. „Tony Mendez ist übrigens unser ‚cue card boy’“, sagte er noch. „Der Ausdruck ist mir unbekannt“, sagte ich aufrichtig. Es entstand eine Pause. Dann sagte John spitz: „Dass die Sendung auf Englisch ist, weißt du aber schon?“
Was es mit Johns „Gold List“ auf sich hatte und wie viele Regieassistenten bei Letterman auf der Bühne stehen, erfahren Sie in meinem nächsten Blog.
Fotos: Christine Mattauch
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In Tiflis im Taxi 1
Ein Taxi reiht sich ans andere.
Flugplatz.
Ein Schild: „Die Fahrt in die Stadt kostet 25 Lari.“
Kurze Kontrollfrage.
Bei ihm koste es 35. Das Schild sei nicht für ihn. Sein Auto sei besser, deshalb teurer.
Also alles wieder ausladen, es geht ja irgendwie auch ums Prinzip.
Der nächste Fahrer (gleicher Autotyp). Ja. 25 Lari.
Ich freue mich. Ein ehrlicher Taxifahrer! Ich werde ihm 5 Lari Trinkgeld geben.
15 Minuten später im Zentrum. Er sagt: 30 Lari. 25 koste es nur bis da vorn. Hierher sei etwas anderes.
In Tiflis im Taxi 2
Sonntag Morgen. 8 Uhr. „Die Fahrt zum Flugplatz kostet 25 Lari.“ Feststellung vor Fahrtantritt! Der Fahrer schweigt irgendwie apathisch.
Ich steige hinten ein.
Wir fahren.
Er ist unsympathisch.
Er fährt langsam. Ein bisschen.
Das ist sympathisch.
Wenn die Ampeln bald umspringen, bremst er ab. Anfahren etwas verzögert.
Die Straßen sind leer. Klar, Sonntag Morgen.
Aber ist das ein Tifliser Taxifahrer?
Er fährt über eine unwichtige rote Ampel. Ja, er ist ein Tifliser Taxifahrer.
Wir schweigen weiter.
Ab und zu schlingert das Auto ein wenig. Ganz normal bei Tifliser Taxifahrern.
Die Schnellstraße. Es geht geradeaus. 3 Spuren. Er fährt zwischen zweien. Ganz normal bei Tifliser Taxifahrern. Es ist ja Sonntag Morgen und nichts los. Dann fährt er in der Mitte. 60 Km/h, 50, 40…
Hier fahren die Autos 100, Taxis 120. Und es ist Sonntag Morgen.
Ich sehe in den Spiegel.
Seine Augen.
Sind zu.
Sie bleiben zu.
Hallo!
Die Augen sind auf.
Fallen zu.
Ich stoße ihn an.
Augen auf.
Fallen zu.
Ich stoße ihn an.
Augen halb auf, fallen zu. Ich stoße ihn an. Auf, zu. Soll ich fahren?
Keine Reaktion, offene Augen.
Der Abzweig zum Flugplatz.
Seine Augen sind weit offen. Er pfeift was.
Ich schaue in den Spiegel, permanent. Beobachte seine Augen. Es kann nicht mehr weit sein.
Warum sitze ich hinten, vorn hätte ich mehr Einfluss.
Endlich, der Flugplatz.
Er gibt kein Wechselgeld. Bei ihm kostet die Fahrt in die Stadt 30 Lari.
In Tiflis im Taxi 3
Wieder Flugplatz. Ankunft. Die Schilder sind weg: „Die Fahrt in die Stadt kostet 25 Lari.“
Wo wollen Sie hin?
Ins Zentrum.
Wo dort?
Das ist die falsche Frage. Was kostet es?
Wieder: Wo dort?
Nein, das ist die falsche Frage. Die Frage ist: Was kostet die Fahrt mit Ihnen in die Stadt?
Wo wollen Sie hin?
Das ist die falsche Frage: Was kostet es?
Gewonnen: „Die Fahrt in die Stadt kostet 25 Lari.“
Dafür fährt er 140.
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Tourismuswerbung will vor allem die schönen Seiten des Lebens zeigen, logisch. Reportagejournalismus zeigt zuweilen auch andere: Nachdenkliche oder gar unattraktive Aspekte. Das müsste sich eigentlich auch bis Sydney rumgesprochen haben. Doch dort überlappen sich im Moment so viele Events, dass die Touristiker von Destination NSW offenbar den Überblick verloren. Lieblingsevent der Stadtwerber ist derzeit Vivid, das Festival der Lichtspektakel. Und in das bezogen sie diesmal ein hochkarätiges Fototreffen ein, das Reportage Photography Festival. Nur irgendwie übersah dabei jemand, dass die Arbeit von Fotografen namhafter Agenturen wie Magnum, Noor und Contact nicht ausschließlich hübsch ausgeleuchtete Lichtbilder von glücklichen Momenten darstellt. Manchmal lichten sie auch Überschwemmungen ab, oder weinende Frauen in Ägypten. Oh, hm nö, das wollen wir aber lieber nicht so gerne, fanden die Stadtbeleuchter, und noch ehe die Bilder Samstag auf die Open Air Leinwand geworfen wurden, waren sie auch schon zensiert. “Too distressing” – zu bedrückend. Nur 14 der ursprünglich 37 Bilder durften bleiben.
Unter den angeblich nicht familien-freundlichen Exponaten waren auch legendäre Bilder wie David Burnett’s Iranfotos von 1970 oder Andrew Quiltys Aufnahmen von Landschaften nach Waldbränden. Die Fotofestival-Organisatoren finden die Entscheidung peinlich, der Sydney Morning Herald schuf eine Online-Galerie “Reportage uncensored”, der Rest wundert sich: Womit hatten die Tourismuswerber wohl gerechnet, als sie eine Schau mit Arbeiten von Reportage- und Kriegsfotografen sponserten? Vielleicht sollten sie nächstes Mal gleich auch das Thema vorgeben, etwa “Stimmungsvolle Naturbilder”. Dann aber nur von Flora und Fauna, die noch nicht bedroht ist, das könnte ja sonst auch wieder bedrücken.
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„Bereiten Sie Ihr Haus für die Wirbelsturmsaison 2013 vor“, lautet die Überschrift über der Pressemitteilung. Darunter steht der Hinweis auf eine „National Hurricane Preparedness Week“ vom 26. Mai bis 1. Juni. So etwas liest man als Journalist, zumal nach dem Tornado in Oklahoma am vorvergangenen Wochenende, der 24 Menschen tötete und mehr als 12 000 Häuser zerstörte.
Es fängt ganz interessant an. Eine Metereologin namens Jill Hasling vom Weather Research Center in Houstin (Texas) prognostiziert für dieses Jahr eine 70prozentige Chance für einen großen tropischen Sturm an der Küste zwischen Lousiana und Alabama. In der Region von Georgia und North Carolina beträgt die Wahrscheinlichkeit immerhin noch 60 Prozent. „Unser Rat an Hausbesitzer ist, sich während der National Hurricane Preparedness Week Zeit zu nehmen um ihr Haus sturmfest zu machen“, ist Frau Halsing zitiert.
Wie das geschehen kann, darüber informiert anschließend Mark Clement, Moderator einer Radiosendung mit dem denkwürdigen Titel „MyFixitUpLife“. Ich lese, dass es sich bei Herrn Clement um einen professionellen Handwerker handelt. Und zwar um einen mit ausgeprägten Produktvorlieben, wie sofort klar wird. In den nächsten zehn Absätzen der Pressemitteilung preist er das Kunststoffschieferdach Da Vinci Roofscapes, das er für sein eigenes Haus verwendet habe, Fensterglas der Firma Simonton („extrem energieeffizient“) und Eingangstüren von Therma-Tru („ein hervorragender Schutz“). Spätestens jetzt ist klar: Die fürsorglich warnende Pressemitteilung ist in Wirklichkeit eine Gemeinschaftswerbung, geschickt zusammengerührt von einer PR-Dame namens Kathy Ziprik. Ein Foto hat sie auch beigefügt, es sieht so aus:
Ob das Wetterinstitut, der Handwerker-Moderator oder eine der Firmen es zur Verfügung gestellt haben, bleibt unklar.
Es interessiert mich, ob es Medien gibt, die auf diesen dreisten PR-Trick hereingefallen sind, und ich google ein paar Schlüsselbegriffe aus dem Presseinfo. Beruhigenderweise wird nur ein Blog der Fensterfirma Simonton ausgeworfen, die an dem Projekt selbst beteiligt ist. Scheint so, als hielte sich der Nutzen für die Werbepartner in Grenzen. Frau Ziprik freilich wird sich ihre Dienstleistung mit einem schönen Honorar vergütet haben lassen.
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Interressant: Frauen haben im vermeintlichen Kumpel-Kontinent Australien politisch zwar die Top-Jobs, in den Medien allerdings sind sie eher still. Staatsoberhaupt ist nach wie vor Her Majesty Queen Elisabeth II, daneben lenken Premierministerin Julia Gillard, Generalgouverneurin Quentin Bryce ( das ist die Stellvertreterin, wenn QEII in England gebraucht wird) und Sydneys Bürgermeisterin Clover Moore. Selbst die Staatsfinanzen regelt eine Lady, Penny Wong, und falls Macho-Stralja noch einen braucht, selbst Penny’s Partner ist eine Frau. Von Gina Rinehart, der mit Milliarden Abstand reichsten Frau des Landes mal ganz zu schweigen.
In der Medienwelt, hält sich die Stimmkraft der Frauen indes seltsamerweise in Grenzen. Die Kollegen vom online-Magazin New Matilda haben gezählt, gepunktet und gewertet und eine extrem umfangreiche Studie über Frauen als Meinungsmacher in den Medien zusammengestellt. Ein paar Ergebnisse sind auch jenseits Australiens interessant: Von 26 Tages- und Wochenzeitungen (stattliche 17 davon gehören übrigens Herrn Murdoch) hat nicht eine einzige eine Chefin. Den Sydney Morning Herald leitete mit Amanda Wilson bis letztes Jahr eine Chefredakteurin, die erste in 180 Jahren auf vergleichbarem Posten. Seit sie ging, herrscht wieder Kerle-Country. In der Meinungsecke sieht’s wenig anders aus, laut new-matilda-Studie stammen nur ein Drittel aller Kommentare in den 26 Zeitungen von Frauen, Wirtschaft und Sport wo sie noch deutlich geringer punkten nicht mal mitgezählt.
Die deutsche Frauen-in-die-Medien-Initiative Pro Quote hätte auf der Südhalbkugel also noch gut zu tun.
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“Rund 5000 Kinder leben in den USA ohne Eltern, weil die ohne Papiere ins Land gekommen sind und abgeschoben wurden.” Dieser Satz eines Aktivisten für Immigrationsrechte veranlasste mich, eine Familie zu suchen, auf die diese Beschreibung zutrifft. Sie zu finden war schwieriger als erwartet. Niemand wollte reden.
Der Pressesprecher einer Bürgerrechtsorganisation schlug mir schließlich vor, Norma und ihre Tochter Jessica zu treffen. Die Familie passe zwar nicht ganz in mein Konzept, Norma sei legal im Land, doch ihr Mann Jose seit mehr als einem Jahr im Gefängnis. Die drohende Abschiebung reisse die Familie auseinander, besonders die Tochter leide darunter, dass sie ihren Vater nur noch im Gefängnis sehen kann, umziehen musste und auf eine neue Schule geht. “Der Fall ist nicht einfach, nicht schwarz und weiß,” erklärte mir der Sprecher. Jose habe eine Drogenstrafe von früher und sei schonmal abgeschoben worden. Aber: Jessica und ihre Mutter seien bestimmt gute Interviewpartner und hätten eine eindrückliche Geschichte zu erzählen.
Er hatte Recht. Ich traf Jessica und Norma in ihrem neuen zu Hause – sie leben jetzt in einem kleinen Zimmer bei den Eltern von Norma. Zum Gespräch kam auch Joses Mutter dazu. Als der von den Immigrationsbeamten abgeholt wurde war es sechs Uhr morgens. Norma wollte ihn gerade zur Arbeit fahren. “Vier Streifenwagen haben uns eingekreist, Polizisten mit gezogenen Waffen sind auf uns zugerast, haben gebrüllt und auf die Windschutzscheibe geschlagen. Jose war angeschnallt, sie haben ihn aus dem Wagen gezerrt, ihm Handschellen angelegt und weggefahren”, erzählt sie. Jessica hat alles aus dem Fenster ihres Kinderzimmers beobachtet. Wenn sie davon erzählt, steigen ihr Tränen in die Augen. Sie vermisst es, mit ihrem Vater ans Meer zu gehen, zum See zu radeln, Pizza zu essen und am meisten, dass sie ihn nicht umarmen kann. Wenn sie ihn besuchen, ist eine Glasscheibe zwischen Jose und den Frauen. Norma und Jessica wissen, dass Jose vielleicht wieder abgeschoben wird. Zum ersten Mal geschah das 1994 nachdem er mit Drogen erwischt wurde, sagt Norma. Damals sei er noch am selben Tag zurück gekommen. Es sei leicht gewesen, die Grenze zu überqueren. 2010 wurde Jose bei der Arbeit aufgegriffen und abgeschoben. Diesmal war es schwieriger, zurück zu kommen, doch er schaffte es – und wurde ein paar Monate später wieder verhaftet. Jessica versteht bis heute nicht, warum ihr Vater nicht wie sie und ihre Mutter einen Pass bekommen und bei ihr bleiben kann.
Meine Nachfrage bei der Einwanderungsbehörde ergibt eine nüchterne Antwort: Die Behörde sei dazu da, illegale Einwanderer wie Jose so schnell wie möglich aus dem Land zu weisen. Mit Drogendelikt und mehrfacher illegaler Einreise sei er eine Priorität auf der Abschiebeliste. Ohne Erlaubnis ins Land einzureisen könne mit einer Haftstrafe von bis zu zwanzig Jahren bestraft werden.
Ich gebe diese Email nicht an Norma und Jessica weiter. Die Geschichte ist tatsächlich sehr kompliziert. Im Moment weiß ich noch nicht, wie ich sie am besten erzählen kann.
Hören Sie hier, wie die beiden beschrieben, wie Jose abgeholt wurde, was sie an ihm mögen und was sie für die Zukunft hoffen: Norma and Jessica
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Angela Thompson erzählt gerne aus ihrem Leben und aus dem ihrer Mutter. Über die hat sie sogar ein Buch geschrieben: “Bleib immer neben mir”. Es ist die Geschichte eines Frauenlebens im 20. Jahrhunderts mit eindrücklichsten Schilderungen unter anderen von der Bombardierung Dresdens, von überraschend wertvollen Päckchen die die in den Westen geflüchtete Familie von der in Dresden zurück gebliebenen Omi bekam, von im Rückblick verrückt erscheinenden Entscheidungen der Mutter, schwer zu ertragendem Verhalten des zurück kehrenden Vaters und Andeutungen des neuen Freiheitsgefühls der Autorin, als sie in Kalifornien ankommt und studieren kann.
In Deutschland haben viele längst genug von diesen Geschichten und ich dachte ich gehöre zu dieser Gruppe, die nichts mehr hören mag vom Krieg, von Flucht, von Hitler, von Bomben und dem Kampf ums Überleben. Bis ich Angela traf und sie mir mit Gefühl, Humor und Wissen aus ihrem Leben und dem ihrer Mutter erzählte. Besonders wichtig ist ihr dabei, dass US-Bürger diese Geschichten hören und lesen, um zu verstehen, was in den Menschen vorging, auf die die Bomben ihrer Helden fielen. Sie selbst hat sich in den 70er Jahren von Los Angeles aus für politische Gefangene in der DDR eingesetzt, unter anderen mit dem damaligen Gouverneur Ronald Reagan als Verbündeten. Sie fuhr mit dem Auto quer durchs Land um in Washington mit Kongressabgeordneten und Senatoren über Unterdrückung im Osten Deutschlands zu sprechen und machte heimliche Besuche bei den Familien der Gefangenen.
Für Radio/Audio-Enthusiasten-Truppe ‘Listen Up Los Angeles’ hat Angela einen Teil dieses interessanten Lebens erzählt. Weil heute der Jahrestag der Bombadierung von Dresden ist hier der entsprechende Ausschnitt aus meinem Interview.
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Für das Buch “Echt Wahr! Wie Journalisten Wirklichkeit erzählen” haben Studenten der Hamburg Media School (inzwischen sind sie Absolventen!) auch Interviews mit Korrespondenten des Weltreporter-Netzwerks geführt. In diesem Werkstattgespräch erzählte Janis Vougioukas Christina Lachnitt von seiner – manchmal ganz schön schwierigen – Arbeit in China.
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Keine Transparente, keine Sprechchöre. Eine kleine Demonstration, kaum als solche erkennbar. Nur ein paar Dutzend Menschen, die im Regen stehen. Selbst das ist zu viel: Die Journalisten auf dem Platz, darunter Janis Vougioukas, werden von der Polizei „eingesammelt“, wie der Korrespondent es später ausdrückt. „Das zeigt, wie nervös das Regime ist.“ Vougioukas lebt seit 2002 in Shanghai, berichtet aus Südostasien für den Stern. Mit Christina Lachnitt sprach er über die schwierigen Arbeitsbedingungen für ausländische Korrespondenten, mutige chinesische Kollegen – und warum er trotz allem gerne aus China berichtet: „Probleme machen die Arbeit für mich erst interessant.“
Herr Vougioukas, Sie sind im März 2011 in Shanghai bei einer Demonstration festgenommen worden. Was war da los?
Wenn Sie die Szene als Passant gesehen hätten, würden Sie vielleicht sagen: nichts. Vor einem Kaufhaus hatten sich etwa 50 Menschen versammelt, ohne Transparente. Sie gingen in dem Trubel auf der Straße fast unter, es war eine getarnte Demonstration. Dazu aufgerufen hatte eine Handvoll Aktivisten, die die Proteste aus der arabischen Welt nach China bringen wollten. Sie nannten das Jasminrevolution.
Wie sind Sie auf eine so dezente Meinungsäußerung aufmerksam geworden?
Die Polizei hatte alle ausländischen Journalisten angerufen und davor gewarnt, an dem betreffenden Wochenende in die Innenstadt zu gehen. Ich habe mit Kollegen gesprochen: Eigentlich war diese winzige Demonstration kein Thema für uns, wir wollten gar nicht berichten. Aber wenn die Polizei uns extra anruft, ist es unsere journalistische Pflicht, hinzugehen und aufzuschreiben, was passiert.
Der große Bruder hat Sie also selbst darauf gestoßen?
Die Reaktionen auf die Jasminrevolution waren absurd. Die Polizei ging zu Tee- und Blumenhändlern und sagte: Ihr dürft keinen Jasmintee, keine Jasminsträucher verkaufen! Es war wie bei Orwell: Die Regierung versuchte das Wort Jasmin zu eliminieren, um den Menschen ihr revolutionäres Gedankengut auszutreiben. Schon lange kursierte im Internet ein lustiges Video von Premierminister Wen Jiabao, aufgenommen bei einer Afrikareise. Er sang ein Lied, in dem eine Jasminblume vorkam. Das wollte die Regierung dann löschen.
Wo haben die Polizisten Sie hingebracht?
In einen unterirdischen Bunker, der vermutlich extra für diesen Zweck eingerichtet wurde. Aber, in China festgenommen zu werden ist für uns Korrespondenten nicht so schlimm, wie es klingt. Mir wurden nicht mal Handschellen angelegt, ich bin auch noch nie gefoltert worden. Die Festnahme hatte auch keine spürbaren Konsequenzen. Ich kannte ja die meisten der Polizisten und mit mir wurden ein Dutzend andere Journalisten festgenommen.
Und die Demonstranten?
Einige sind zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Darunter auch ein Anfang 20-Jähriger, der mit Twitter-Posts zu dieser Demonstration aufgerufen hatte.
Das ist hart.
Die harsche Reaktion zeigt, wie überrascht und besorgt die Regierung war. Kurz zuvor war ein Bloomberg-Kameramann krankenhausreif geschlagen worden. Vermieter wurden gedrängt, keine Journalisten mehr einzuquartieren. Die Familie der Freundin eines Kollegen wurde unter Druck gesetzt, damit er nicht über diese Demonstration berichtet. Das sind doch schon Gestapo-Methoden. Es gibt zwar auch sonst immer wieder Demonstrationen, aber sie richten sich gegen ein Chemiewerk oder einen korrupten Beamten. Nie gegen das System generell, das hat es seit dem Massaker auf dem Tian’anmen-Platz nicht mehr gegeben.
In Ihrem Pass steht auf Chinesisch „Journalist“ – gelten Sie dadurch als Staatsfeind?
Nein, nicht automatisch. Aber jedes Hotel, in das man eincheckt, muss das Visum kopieren und an die Sicherheitsbehörden faxen. Wir müssen sogar den Pass vorzeigen, um ein Zugticket zu kaufen. Man kann kaum unentdeckt reisen, fällt überall sofort auf. Ausländische Fernsehteams schicken deshalb oft Chinesen mit Kameras los.
Trotzdem gibt es immer wieder Festnahmen.
Ja, das passiert regelmäßig. Aber uns Korrespondenten kann ja nicht viel passieren. Die größte Gefahr besteht für unsere chinesischen Interviewpartner. Um die muss man sich am meisten sorgen.
Wie schützen Sie Ihre Interviewpartner?
Viele ahnen gar nicht, in welcher Gefahr sie sich befinden, wenn sie mit ausländischen Journalisten sprechen. Bauern oder Enteignete, zum Beispiel. Da ändern wir die Namen. Wenn man aber Ai Weiwei spricht, ist das natürlich etwas anderes.
Bekommen Sie Auflagen vom Staat? Oder gibt es ungeschriebene Gesetze?
Es gibt geschriebene und ungeschriebene Gesetze, die sich mit der Zeit geändert haben. Früher mussten wir jede Inlandsreise genehmigen lassen. Das war absurd. Einmal wollte ich nach Südchina in einen Freizeitpark fahren, für eine Geschichte mit dem Arbeitstitel „Die Chinesen entdecken den Urlaub“. Nach zwei Wochen hatte ich noch immer keine Genehmigung. Damals habe ich beschlossen, diese Regel zu ignorieren. Doch genau das ist die Idee dahinter: Wer gegen Regeln verstößt, gegen den kann die Regierung jederzeit vorgehen. Seit den Olympischen Spielen brauchen wir für Inlandsreisen keine Zustimmung der Regierung mehr und auch keine Begleiter. Das ist allerdings die einzige Regel, die sich gebessert hat. Sonst ist vieles immer komplizierter geworden.
Was zum Beispiel?
Unsere chinesischen Mitarbeiter werden stärker unter Druck gesetzt, öfter als früher von der Geheimpolizei zu Gesprächen eingeladen. Wenn sie gegen Regeln verstoßen, kommen sie auf eine schwarze Liste und werden es schwer haben, einen anderen Job im Mediensektor zu finden. Und das Internet ist ohne Tricks für Recherchen eigentlich nicht mehr zu gebrauchen. Ohne Virtuelle Privatnetzwerke, sogenannte VPNs, mit denen man Firewalls umgehen kann, läuft gar nichts. Ausländische Webseiten wie Google oder Facebook hat China längst ausgehebelt, indem chinesische Plagiate gegründet wurden. Die haben eine moderne Webseite, zensieren sich aber selbst und stehen unter der Fuchtel der Regierung.
Werden Sie abgehört?
Manchmal bekommt man durch Zufall mit, wie viel die Sicherheitsbehörden über einen wissen. Ich bin vor ein paar Jahren in Shanghai umgezogen und habe deshalb mit zwei, drei Maklern gesprochen. Dann bekam ich einen Anruf von dem Herrn, der sonst mein Visum verlängert. Er sagte mir: „Ich nehme an Sie wissen, dass Sie uns das melden müssen, wenn Sie umziehen.“ Um das zu wissen, muss er meine Telefonate mitgehört haben.
Haben Sie denn das Gefühl, in einer Diktatur zu leben?
China ist das anarchistischste Land überhaupt. Ein Kollege hat mal geschrieben: „Es gibt in China nicht einen Diktator, sondern Zehntausende!“ Das beschreibt die Situation ganz gut. Denn jeder Straßenpolizist, jeder Dorfbürgermeister, jeder kleine Beamte hat eine ganz eigene Vorstellung von Gesetzen und Vorschriften. Viele denken vor allem an die eigene Tasche, nicht an das Wohl des Staates. Es gibt keine Rechtssicherheit. Man kann sich auf keine Vorschrift, auf kein Gesetz verlassen. Das hat wirklich anarchische Züge. Viele Europäer haben da ein ganz falsches Bild.
Sie beschreiben in Ihrem Buch „Wenn Mao das wüsste“ das neue China. Was darf Mao nicht wissen?
China ist aggressiver im Kapitalismus und in der Verfolgung von materiellen Zielen als die meisten anderen Länder der Welt. Mao wäre davon schockiert. Wobei er das wahre China ohnehin nicht kannte: Weil er Flugangst hatte, fuhr er mit dem Zug. Die Behörden sorgten dann gerne dafür, dass wohlgenährte Bauern und Bäuerinnen mit Ährenbüscheln neben den Gleisen standen. So wie wir es von Propagandapostern kennen.
Wenn Sie Berichte über China in Deutschland lesen: Wird die Wirklichkeit so abgebildet, wie Sie sie erleben?
Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe des Journalismus ist, die Wirklichkeit abzubilden. Nachrichten sind Abweichungen vom Alltag. Wenn ein Flugzeug abstürzt und wir berichten darüber, ist das nur ein Ausschnitt der Realität. Die meisten Flugzeuge kommen heil an. Als 2010 die Unruhen in Bangkok waren, haben wir über die Straßen berichtet, in denen geschossen wurde, in denen Menschen in ihrem Blut lagen. Gleichzeitig konnte man an 99 Prozent der thailändischen Strände völlig unbehelligt Urlaub machen. Den Lesern ist oft nicht klar, dass sie nur einen Ausschnitt betrachten. Das gilt auch für China.
Inwiefern?
Es stimmt, dass viele Menschen in China unzufrieden sind. Sie ärgern sich vielleicht über Korruption, teure Lebensmittel oder Inflation. Aber die meisten wollen keine andere Regierung. Nur wenige träumen von einem Systemwechsel, von so etwas wie Montagsdemonstrationen. Sie wollen keine Demokratie, sondern einfach nur Verbesserungen in der Partei. Sie haben Angst vor Unordnung. Die Partei ist für viele noch immer ein Garant für Stabilität. Nicht planen zu können, das ist für viele Chinesen eine Horrorvorstellung. Für mich ist aber wichtig, wie die Regierung die Menschen behandelt, die sich gegen sie stellen. Es die Aufgabe der Journalisten, auf diese ein oder zwei Prozent der Bevölkerung zu schauen.
China steht auf Platz 171 des Pressefreiheits-Index der Organisation Reporter ohne Grenzen. Noch schlechter werden nur sieben Länder eingestuft, unter anderem Nordkorea und Iran. Wie kommen Sie denn an Ihre Informationen?
Das ist oft unglaublich schwierig, selbst wenn es nur darum geht, wie viele T-Shirts oder Feuerwerkskörper in China hergestellt werden. Man muss immer noch Faxe schicken. Diese Beantragungsfaxe sind oft länger als der Text, der am Ende gedruckt wird. Es gibt meist keine Pressesprecher. Und wenn es sie gibt, sehen sie ihre Rolle nicht darin zu kommunizieren, sondern zu verhindern. Ich habe mich bewusst für Shanghai als Wohnort entschieden, obwohl die Stadt nicht das politische Zentrum Chinas ist. Aber das ist letztlich egal, weil man in Peking genauso weit von der Politik entfernt ist. Das ist wie früher die Kreml-Astrologie in Moskau. Wir könnten auch den Kaffee- oder in China vermutlich besser den Teesatz lesen und uns überlegen, was die Regierung entscheidet. Immerhin denken inzwischen nicht mehr alle Chinesen: Oh, ein ausländischer Journalist, der ist sicher ein Spion! Sie haben sich ein bisschen an Korrespondenten gewöhnt.
Worüber würden Sie gerne berichten, bekommen aber keinen Einblick?
Kein Journalist hat je einen echten Einblick in das chinesische Weltraumprogramm bekommen. Genauso ist es völlig unmöglich, eine Hintergrundgeschichte zur Volksbefreiungsarmee zu machen. Da kommt man einfach nicht weiter. Man merkt bei der journalistischen Arbeit, dass China noch ein Entwicklungsland ist. Das sehen viele deutsche Firmen oft nicht, die hierher kommen.
Wie ist die Lage für chinesische Journalisten?
Sie sind angehalten, positiv zu berichten. Das macht die Medien hier ziemlich langweilig, die Fernsehnachrichten sind unerträglich. Mir tun die Leute leid, die diesen Job machen müssen. Doch auch die chinesischen Medien müssen Gewinne erwirtschaften – und das geht nur mit gutem Journalismus. Es wird langsam besser.
Das heißt, die Kollegen trauen sich inzwischen mehr?
Es gibt immer mehr mutige Journalisten, die die Grenzen des Systems ausreizen, so weit es geht. Da gelten viele ungeschriebene Gesetze. Eins der wichtigsten ist: Wenn du einen Skandal aufdeckst, überlege gut, wen du angreifst. Je näher eine Person an der Zentralregierung ist, desto schwieriger wird es, über einen Skandal zu berichten. Ein echtes Problem ist auch der vorauseilende Gehorsam vieler Medien, die Selbstzensur. Weil die Regeln nicht klar sind, versuchen sie, vorwegzunehmen: Was könnte zensiert werden?
Gilt das für alle Themen – oder nur für die Politik?
Vor zwei Jahren hat in Shanghai ein Hochhaus gebrannt, Dutzende von Menschen starben. Ich dachte wirklich, dass über ein solches Thema offen berichtet werden kann. Doch dann kamen viele Missstände ans Licht: Die Feuerwehr hat, obwohl die Innenstadt hier längst aussieht wie ein Bambuswald aus Hochhäusern, keine Pumpen, mit denen sie über den 5. oder 6. Stock hinauskommt. Dann ist bekannt geworden, dass die ursprünglich vom Bauherrn beauftragte Firma den Auftrag an einen Subunternehmer weitergegeben hatte. Der wiederum an einen anderen. Das Ganze ist sechs Mal passiert. Viele der Firmen waren mit dem Staat verbandelt. Deshalb hat die Regierung das Thema dann strikt kontrolliert.
Trotz allem scheinen Sie gerne aus China zu berichten. Sie leben dort seit mehr als zehn Jahren. Warum?
Bevor ich nach China kam, habe ich in der politischen Berichterstattung in Bayern gearbeitet, das war oft frustrierend – und das genaue Gegenteil. Allein dieses Gefühl, an einem Ort zu sein, an dem Weltgeschichte geschrieben wird! Ich konnte in den letzten Jahren das größte Privatisierungsprogramm der Welt beobachten. Dabei zusehen, wie 250 Millionen Menschen aus der Armut gehoben wurden. Wie ein ganzes Land nach vorne drängt, an die Weltspitze. Und dabei versucht, seine Probleme in den Griff zu bekommen. Mir gefällt das dynamische Chaos in China und Probleme machen die Arbeit ja auch interessant. Ich habe mich hier noch keinen einzigen Tag gelangweilt.
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Am Donnerstag ist es mal wieder so weit – in Hollywood gehen zu unchristlicher Zeit Lichter und Fernseher an, weil die Oscar-Akademie um halb sechs morgens bekannt gibt, wer in diesem Jahr für die goldenen Männchen nominiert ist. Warum tut sie das um diese frühe Zeit, wenn selbst in Kalifornien noch nicht die Sonne scheint? Damit die Live-Übertragung auch zur besten Sendezeit im Frühstücksfernsehen an der Ostküste (der Westküste drei Stunden voraus) für hohe Einschaltquoten sorgen kann.
Daniel Day-Lewis braucht nicht den Fernseher einzuschalten. Er hat eine Nominierung sicher für seine Lincoln-Darstellung in Steven Spielbergs Bürgerkriegs- und Sklaverei-Geschichtsschinken. Michael Haneke für sein ‘Amour’ genauso. Spannender ist, ob die Akademiemitglieder auch Quentin Tarantinos Version der Sklavengeschichte ‘Django Unchained’ mit Nominierungen ehrt. Humor und Gewalt des blutigen Spaghetti-Western mit Oscar-Gewinner Christoph Waltz in einer Hauptrolle neben Jamie Fox, Kerry Washington und Leonardo DiCaprio dürfte für manche schwer verdaulich sein.
Auch spannend: ob die einzige Frau, die jemals einen Regie-Oscar gewonnen hat wieder eine Chance bekommt. Kathryn Bigelow löst nach ‘Hurt Locker’ mit ihrer Leinwandversion Osama bin Laden-Jagd ‘Zero Dark Thirty’ Kontroversen um Medienkooperation des CIA sowie um Sinn und Zweck von Folter aus. Ich wette, sie bekommt eine Nominierung.
Scheinbar ist auch sicher, dass das Kino-Musical ‘Les Miserables’ von den Akademiemitgliedern mit Nominierungen geehrt wird. Ich habe das Kostüm- und Gesangspektakel noch nicht gesehen. Singende Schauspieler sind einfach nicht meine Sache. Angeblich hat es das Zeug, den Erfolg von ‘Chicago’ von vor zehn Jahren zu wiederholen.
Heftig die Daumen drücke ich neben Christoph Waltz Quvenzhane Wallis. Die neunjährige Hushpuppy stiehlt in der wunderbren Mischung aus Realität und traumartigen Sequenzen ‘Southern Beasts of the Wild’ allen die Schow. Bekommt Quvenzhane eine Nominierung wird sie eindeutig der Liebling auf und um jeden roten Teppich.
Leider werde ich am Tag der Oscar-Verleihung, dem angeblichen Höhepunkt des Hollywood-Kalenders am 24. Februar, dank der zahllosen Nominierungen, Preisverleihungen und Ehrungen wie jedes Jahr komplett erschöpft und vor allem froh sein, wenn der letzte Oscar für den besten Film vergeben ist.
Neugierig wer gewinnt, bin ich trotzdem. Noch.
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Ich wusste, dass die Deutsche Bank mir bei der Suche nach der Wahrheit im verworrenen Geflecht um Zwangsausweisungen nicht wirklich helfen wollte, als ich die Mail des Bank-Sprechers aus New York öffnete. Er hatte mir versprochen, der Text werde alles erklären, was ich wissen wollte. Er ist zwölf Seiten lang, hat reichlich Fußnoten und beginnt mit der Geschichte des US-Eisenbahnbaus im 19. Jahrhundert.
Ich konnte mir nun sehr gut vorstellen, welche Erfahrungen die kaum englisch sprechende Margarita Lucero gemacht hatte, als sie aus ihrem Haus geworfen wurde, erfuhr, dass die Deutsche Bank ihr Haus laut Besitzurkunde besitzt und der Sache auf den Grund gehen wollte. Bis dahin hatte Margarita nie etwas mit der Deutschen Bank zu tun gehabt. Jetzt wollte sie eine Erklärung und den neuen Hypothekenvertrag, den man ihr versprochen hatte. Sie erfuhr über Umwege, dass Deutsche Bank als Treuhänder Investoren vertritt aber nicht für Zwangsausweisungen zuständig ist. Diese unerfreuliche Arbeit erledigt Dienstleister Carrington Mortgage Service für das Geldinstitut.
Margarita Lucero hat 15 Jahre ihre Hypothekenraten pünktlich bezahlt. Vor zwei Jahren bat sie um niedrigere Raten. Sie bekam über Carrington Mortgages zweimal einen Übergangsvertrag mit dem Versprechen, wenn sie die Raten dafür pünktlich zahle würde sie eine neue Hypothek bekommen. Der zweite Übergangsvertrag lief aus. Eine neue Vereinbarung gab es nicht. Die Sheriffs kamen und warfen die Familie aus dem Haus. Margarita Lucero erfuhr, dass die Deutsche Bank ihr Haus besitzt – und dass niemand mehr mit ihr verhandeln will.
Sie wandte sich an die Occupy-Bewegung. Die prüfte den Fall und schaltete sich ein. Seit acht Wochen besetzen sie mit Mama Lucero Grundstück und Haus. Ihre Kinder, Bruder und Schwägerin sind bei Freunden und Verwandten untergebracht. Die Besetzer fordern von der Bank, dass sie der Familie Lucero, die nichts geschenkt haben will, ihr Haus mit einem fairen Vertrag zurück gibt. Sie demonstrieren, schreiben Briefe, rufen Politiker, Staatsanwälte, Banken und Konsulate an. Bisher haben sie keine Antwort bekommen. Jetzt bereiten sie eine Sammelklage gegen die Deutsche Bank vor. Familie Lucero ist nur einer von vielen ähnlichen Fällen in den USA.
Ich fragte die Deutschen Bank, ob die Familie Lucero lügt, wenn sie behauptet, dass die Bank ihre Zwangsausweisung veranlasst habe. Der Sprecher wich mit ausschweifenden Formulierungen voller Fachwörter aus. Dasselbe passierte auf die Frage, ob die Bank die Zwangsausweisung stoppen könnten. Danach bekam ich die Mail, die alles erklären sollte. Beides sind Fragen, die mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten sind. Kein Wunder dass Mama Lucero ihre Hoffnung auf ein Weihnachten zu Hause mit ihrer Familie in die Hände der Besetzer legt, die mit Schlafsäcken, Zelten und Sofas in ihrem Garten leben.
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In Australien gehen heute einige Leute pünktlich nach Hause. Die nämlich, die beim “go home on time” Day mitmachen, einer Aktion vom Australia Institute. Dies Institut, ein philantophiser Think Tank, hat zusammengezählt, dass Australier jedes Jahr 2 Milliarden unbezahlte Überstunden kloppen und ihren Arbeitgebern damit 72 Milliarden Dollar schenken (58 Mrd Euro). Einer von zehn Australiern (und zwar genau 2.2 Millionen) wissen morgens nicht, wann sie abends nach Hause kommen. Etwa doppelt so viele gehen nicht zum Sport, nicht zum Arzt oder rechtzeitig schlafen weil sie zu viel arbeiten. Daher also der Vorschlag, heute mal zur Abwechslung pünktlich Feierabend zu machen: go home on time. Ich muss mich ja nicht entschuldigen, wenn ich nach 8 Stunden den Laptop zuklappe, aber zum Spass und zur Illustration hab ich mir auch einen “Leave Pass” ausgedruckt. Schon nicht wirklich gut, wenn so was nötig ist. Ich tippe, eine Menge Mitarbeiter von FR und FTD, die mit ihren Kündigungen rechnen, haben auch massenhaft Überstunden ohne Extralohn geschrubbt. Die, die ich dort kenne haben’s jedenfalls ständig getan. Und was haben sie (oder ihre Arbeitgeber) jetzt davon? Den Beweis, dass das Konzept, “ich schenke meiner Firma meine Zeit” nicht funktioniert. Ach ja. Traurig aber wahr.
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“Während ich hier mit Ihnen sitze mache ich vermutlich 1500 Dollar mit dem Grundstück, das mein Großvater vor 70 Jahren für 1500 Dollar gekauft hat!” Der Mann, der das sagte ist Robert Anderson, Urenkel der ersten Managerin des Beverly Hills Hotels. Für ein Interview zu dessen hundertsten Geburtstag hat er mich in die Polo Lounge eingeladen, erzählt von großen Hollywood-Deals, die hier heute abgeschlossen werden, von Elizabeth Taylor, die in Bungalows des Hotels sechs von acht Flitterwochen verbrachte und von Marlene Dietrich, die an der Bar der Polo Lounge Hotelregeln brach: niemand konnte der deutschen Diva verbieten, Hosen zu tragen!
Am meisten beeindruckte mich allerdings die Geschichte von Andersons Urgroßmutter, der Gründerin des Hotelbetriebs.Margaret Anderson setzte in einer Zeit als Frauen noch nicht wählen konnten und Beverly Hills aus Feldwegen und Bohnenfeldern bestand auf Luxus. Die alleinstehende Mutter von zwei Kindern führte das Hotel zum Riesenerfolg. Ihr Sohn kaufte wenig später Immobilien in der aufstrebenden Stadt, unter anderem am Sunset Boulevard und dem heutigen Rodeo Drive. Daher das nette Einkommen von Margarets Urenkel Robert.
Nur wenige Tage nach meinem Mittagessen im Beverly Hills Hotel war ich einige Kilometer entfernt wieder am Sunset Boulevard, genauer gesagt an seinem Ostende, wo er Cesar Chavez Avenue heisst, benannt nach dem großen Kämpfer für Rechte der Landarbeiter in den USA. Im ältesten Viertel von Los Angeles, der heutigen Olvera Street traf ich den Nachkommen einer ganz anderen Familie:
Mike Mariscals Urgroßvater mietete einen der ersten Läden für mexikanische Souvenirs in der Fussgängerzone, die Touristen ins Pueblo anziehen sollte. Das Geschäft blieb in der Hand der selben Familie. Mike und seine Frau Rosa setzen sich von der Konkurrenz durch Poster, Postkarten, handbemalte Totenköpfe und handgeschnitzte Skulpturen von lokalen Künstlern ab. Die meisten Kunden sind Touristen ohne Blick für die Kunst. Sie kaufen Sombreros und Ponchos aus Massenproduktion. “Es ist schwer für uns, die Rechnungen zu bezahlen,” erzählt Mike. Die Häuser hier gehören der Stadt. Die hat vor einem Jahr angesichts von roten Haushaltszahlen die Miete um 300 Prozent erhöht.
Das Treffen dieser zwei Männer, die in vierter Generation an der selben Straße in Los Angeles wohnen, hat mir viel über die Geschichte der Stadt erzählt. Entscheidungen ihrer Urgroßeltern haben Los Angeles genauso wie die Leben von Robert Anderson und Mike Mariscal geprägt. Ihre Geschichten könnten kaum unterschiedlicher sein.
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Vor Kurzem fuhr ich in eine trostlose Gegend im Osten von Los Angeles, machte mich zwischen Schrottplätzen und Autowerkstätten auf die Suche nach einem neunjährigen Jungen, der derzeit Kinder, Eltern, Lehrer, Künstler und überhaupt alle inspiriert, die das Video über ihn angeschaut haben. Es zeigt Caine, der in den Sommerferien im Laden seines Vaters für gebrauchte Autoteile ausgeklügelte Spiele aus Pappe, Papier, Klebeband, Schnur und ein paar anderen Utensilien baut, die im Geschäft rumliegen. Er begann mit einem Basketballspiel gebaut aus Pappe und dem Netz, das Caine in seiner Lieblingspizzeria bekommen hat. Sein Lieblingsspiel ist die Greifmaschine aus einem Haken, einer Schnur und einem oben eingeritzten Pappkarton mit Sichtfenster aus Klebeband und bunten Preisen, nach denen Kunden angeln können. Doch: in der Gegend gibt es keine Fußgänger und der Vater macht seine Geschäfte inzwischen fast ausschließlich online. Deshalb hatte Caine lange keine Kunden – abgesehen von der Sekretärin oder mitfühlenden älteren Brüdern.
Bis zu dem Tag als Filmemacher Nirvan Mullick auf der Suche nach einem Türgriff für sein altes Auto den Laden betritt. Er sieht die Spielhalle aus Pappe, fängt an zu spielen, ist an seine Kindheit erinnert und beschließt einen Kurzfilm über Caine’s Arcade zu machen. Als Nirvan hört, dass Caine keine Kunden hat schafft er einen Event auf facebook – und Dutzende kommen um zu spielen. Es wird Caines glücklichster Tag in seinem neunjährigen Leben. Nirvan filmt alles und erzählt die Geschichte in einem liebevoll produzierten Film, den er ins Internet stellt.
Damit ändert sich das Leben aller Beteiligten – Caine bekommt eine facebookseite mit inzwischen über 112 tausend Fans, wird an Unis, zur NASA und zu Unternehmerkonferenzen eingeladen. Seine Eltern haben keine Zeit mehr mit Autoteilen zu handeln und jedes Wochenende wollen Hunderte Caine
s Spiele spielen. Es gibt inzwischen zwei Stiftungen in seinem Namen. Die eine sammelt Geld damit Caine studieren kann, die andere fördert Kinder mit erfinderischem Unternehmergeist.
Caine bleibt bei alledem auf dem Teppich. Mein Interview mit ihm wurde ziemlich kurz. Caine hat keine Geduld für viele Fragen, er will sich um seine Spiele und seine Kunden kümmern!
Wie wunderbar, dass er das alles gebaut hat ohne an Geld und Erfolg zu denken und dass sich Filmemacher Nirvan Zeit zum Spielen genommen hat!
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Les bons citoyens von Betchat haben gewählt. Mit überwältigender Mehrheit links. Das hatte ich auch nicht anders erwartet. Und doch hat auch hier Marine le Pen die Zahl der Stimmen des rechtsradikalen Front National FN im Vergleich zu 2007 fast verdoppeln können – auf 31. Das entspricht 12,55% der abgegebenen Stimmen. Direkt hinter Nicolas Sarkozy, der 37 Wähler überzeugte.
Wer also sind diese 31, die auf dieser gefährlich erscheinenden Marine-Welle schwimmen? Nur wenige geben in einer so übersichtlichen Gemeinde mit rund 290 Wahlberechtigten, wo jeder jeden kennt, gerne offen zu, FN zu wählen. Von einigen weiß ich es: Zum Beispiel ein älteres Ehepaar, ganz durchschnittliche, freundliche Leute, die einen zweiten Wohnsitz in Toulouse haben. Dort in einem Viertel, in das über die Jahre immer mehr Nordafrikaner oder Franzosen mit maghrebinischer Herkunft gezogen sind. Sie sagen, das Leben dort habe sich total verändert. Die Kriminalitätsrate sei drastisch gestiegen, wenn es dunkel werde, trauten sie sich nicht mehr auf die Straße. Dieses Rentnerpaar sehnt sich nach den guten alten Zeiten, als man überall in Toulouse noch zu jeder Tages- und Nachtzeit sorgenfrei herumspazieren und in den Straßencafés sitzen konnte. Deshalb gehören sie zur Fraktion „Ausländer raus – Frankreich den Franzosen“.
Diese Fraktion verkörpern inzwischen sowohl Marine Le Pen als auch Nicolas Sarkozy. Doch Le Pen spricht die Sprache des einfachen Volkes, Sarkozy nicht. Wenn ich mit meinen Nachbarn über Alltägliches rede, Probleme die sie haben, ihre Wünsche, Sehnsüchte, dann denke ich oft in diesen Tagen: Könnte gut sein, dass sie Le Pen wählen. Dabei sind sie weder besonders radikal, noch wollen sie einen Polizeistaat. Auch gegen Juden haben sie in der Regel nichts. Wenn es um Araber und Muslime geht, haben sie allerdings größere Vorbehalte. Die Medien machen ihnen Angst vor diesen Leuten. Sie verstehen sie nicht. Irgendwie wäre es schon gut, wenn die alle wieder nach Hause gehen könnten.
Einige der Pensionäre hier auf dem Land haben auch persönlich schreckliche Erfahrungen im Algerien-Krieg machen müssen. Das haben sie nicht vergessen, selbst wenn sie auf Nachfrage zähneknirschend zugeben, dass auch die Franzosen dort entsetzliche Gewalttaten verübt haben. Es war halt Krieg, heißt es dann unter einem tiefen Seufzer. Und Kriege sind immer schmutzige Angelegenheiten. Oder? Das Misstrauen ist geblieben. Auf diesem fruchtbaren Boden werden von der politischen Rechten sowie von zahlreichen französischen Medien Ängste gesät. Mit Erfolg.
So ist die Ausländer- oder vor allem die Araber-feindlichkeit – wie in Deutschland auf dem Lande auch – weit verbreitet in der Ariège. Die Mordserie von Mohamed Merah in Toulouse und Montauban hat dieses Gefühl noch verstärkt. Doch dies ist noch nicht die ganze Erklärung für die Sympathien für Le Pen in einem Teil Frankreichs, der traditionell rot ist. Viele Leute hier müssen hart für wenig Geld arbeiten. Sei es in der Landwirtschaft oder in der spärlich vorhandenen Industrie. Die meisten sind bescheiden, haben Angst vor einer unsicheren Zukunft, sie sehen, wie die staatlichen Sicherheiten, auf die sie sich mal verlassen konnten, zusammengestrichen werden.
Das prägt, bei aller Gelassenheit, die in dieser Gegend tonangebend ist, ein Lebensgefühl. Rückwärtsgewandt muss man es wohl nennen. Warum kann das Leben nicht mehr so sein wie es früher mal war? Als die Welt der Ariègois noch in Ordnung war. Als Betchat noch mehrere Handwerksbetriebe hatte, Geschäfte und ein Café. Heute gibt es nur noch eine Post, ein Bürgermeisteramt und eine Schule. Naja, und die Kirche mit Friedhof. Manchmal, aber nicht regelmäßig, wird hier noch eine Messe gelesen.
Es muss anders werden, wenn es besser werden soll. Am liebsten so wie früher. Aber wie? Wehmütig erzählt mir mein Nachbar Dede, der in der Wachmannschaft von Charles de Gaulle in den 60er Jahren gedient hat, dass man damals Politikern noch glauben konnte. Insbesondere de Gaulle natürlich. So ein Übervater, strammer Franzose mit Rückgrat, hervorgegangen aus dem Widerstand gegen Hitler und das Vichy-Regime, das wäre was. Auf den konnte man stolz sein. Aber Sarkozy, Hollande oder Mélenchon dagegen…
Und die Übermutter, Marine le Pen? Sie macht vielen noch Angst. Jedoch weniger als ihr Vater. Die Tochter hat den Front salonfähiger gemacht. Ein weiterer Grund für den Stimmenzuwachs. Und sie spricht eben tatsächlich die Sprache der einfachen Leute, die sich irgendwie von der aktuellen politischen Elite in Paris nicht wirklich vertreten fühlt. In ihren eigenen Werten und Traditionen tief verwurzelt und doch im heutigen politischen Zirkus orientierungslos – diese Beschreibung trifft wohl auf viele zu, die in Betchat am Sonntag Marine Le Pen gewählt haben. Ob sie am 6. Mai Hollande oder Sarkozy oder gar nicht wählen werden? Es werden noch Wetten angenommen.
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Ich bin noch nichtmal ganz im Restaurant, da begrüßt mich ein grauhaariger Lockenkopf in ausgewaschenem Sweatshirt und zerrissenen Jeans mit freundlichstem Lächeln und einer weit ausholenden Geste, die mir bedeutet, ich solle mich neben ihn an die Bar setzen. Aus den Lautsprechern klingt Carly Simons’ “You’re so vain”. Über den Tischen neben der Bar hängen bunte Kunstwerke, ein Surfbrett und eine US-Flagge mit Friedenszeichen über den blau-weißen Streifen. Zwischen den Tischen laufen wedelnd Hunde herum. Die Gäste begrüßen sich mit heftigen Umarmungen und großem Hallo als hätten sie sich Ewigkeiten nicht gesehen. Es stellt sich heraus, dass sie sich andauernd über den Weg laufen, sie sind alle Nachbarn in Topanga, einer Gemeinde nur wenige Kilometer entfernt von Los Angeles mitten in den Bergen. Hier ist die Zeit in den späten 60 ern stehen geblieben. Topanga Canyon war damals DER Ort für Musiker. Im Topanga Corral spielten Joni Mitchell, Bob Dylan, Jim Morrison und George Harrison. Canned Heat war die Houseband und Neil Young besass ein Haus am Fluß. Während ich meinen Cafe au Lait trinke höre ich Geschichten von Nächten, in denen sich die Bewohner zugekifft in die Wiesen legten und UFOs beobachteten nur um später festzustellen, dass die Raumschiffe mit Außerirdischen über LAX kreisende Flugzeuge waren. Pat, der Besitzer des Restaurants empfiehlt, den Dichter zu besuchen, der mit Hilfe eines Joints noch immer sein 60 Strophen langes Topanga-Gedicht von 1970 aufsagen kann. Oder die Chakra-Expertin, die alles über magnetische Felder unter der Region weiß. Ich könnte mich auch auf die Suche nach Uschi Obermaier machen. Die Kommune-1-Ikone entwirft hier oben ihre Schmuckkollektion.
Alle Gespräche über Topanga führen irgendwann zu wortreichen Versuchen, den ‘Vibe’, die ‘Energie’, die ‘Community’ hier zu beschreiben. Karen ist vor einem Monat aus Los Angeles in die Berge gezogen. Hier kann die Hauverwalterin besser meditieren, findet optimalen Zugang zu ihrer spirituellen Seite und atmet endlich wieder richtig durch. Der Sweatshirt-Träger, der mich so überschwänglich an die Bar gebeten hat, ist Filmproduzent. Philip kam zum ersten Mal 1969 nach Topanga und hat sich vor fünf Jahren endlich ein Haus hier gekauft mit traumhafter Ausicht auf Berge und Pazifik. “Ich bin mein Leben lang durch die Welt gereist und habe nach dem perfekten Ort zum Leben gesucht,” erzählt er. “Dabei war er direkt vor meiner Nase, nur zehn Kilometer entfernt von Downtown Los Angeles!”
Pat ist bis heute für die Warnung seiner Mutter dankbar. Kaum war die Familie 1964 in Los Angeles angekommen sagte die: “Geh blos nicht nach Topanga! Da sind lauter zugedröhnte Nichtsnutze mit langem Haar!” Pat war damals 16 Jahre alt und nahm diese Warnung zum Anlass so schnell wie möglich nach Topanga zu trampen. “Sie hatte Recht! Und ich passte perfekt dazu!” Pats langes Haar ist inzwischen dünn und grau geworden. Er bindet es mit einem bunten Gummi im Nacken zusammen. Natürlich ist alles auf seiner Speisekarte Öko – von den Kaffeebohnen über das Obst bis zu den Eiern von freilaufenden Hühnern. Nach einem langen Frühstück und kräftigen Abschiedsumarmungen spaziere ich durchs kleine Dorfzentrum. In den Schaufenstern liegen Kristalle, Räucherstäbchen und Batikhemden. Yogalehrer, Heiler und Trommlerinnen werben für ihre Künste. Bilder von kleinen Hütten am Fluss und Anwesen auf Hügelgipfeln hängen im Fenster des Immobilienladens. Unter 750 tausend Dollar ist kein Stück vom Hippie-Paradies zu bekommen. Die Anwesen oben auf den Bergkuppeln kosten mehrere Millionen. Ich fahre die Serpentinenstraße durch die Hügel zurück in die Stadt, schon jetzt wehmütig in Erinnerung an die hinter mir liegende gute alte Hippiewelt.
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Argentinien ist ein Land mit eigenen Regeln: Hier fahren Krankenschwestern in der gleichen Kleidung, in der sie später in der Notaufnahme stehen, morgens im voll besetzten Bus zur Arbeit. Rechnungen (auch Gas, Strom, Wasser) haben einen Strichcode und man kann sie an der Supermarktkasse zahlen. Und um eine Wohnung zu mieten, muss man eigentlich schon eine haben.
Glücklich schlafen in Buenos Aires: Nur mit garantía!
In Argentinien braucht man eine garantía, um eine Mietwohnung zu bekommen. Eine garantía ist eine Bürgschaft in Form einer anderen Wohnung. Sollte der Mieter die Bude abfackeln oder Mietschulden haben, bekommt der Vermieter die Wohnung des Bürgen. Und das kann nicht irgendeine Wohnung sein: Der Wohnraum muss einen vergleichbaren Wert haben und in einer dem Vermieter genehmen Gegend liegen. Wenn dem die Immobilie des Bürgen nicht gefällt, wird der Vertrag nicht unterschrieben.
Wer also keine eigene (Erst-)Wohnung hat, braucht Freunde, die bereit sind, Haus und Hof zu verpfänden. Jemandem eine garantía zu geben ist der vielleicht grösste Freundschaftsbeweis, den ein Argentinier machen kann. Zum Grillen einladen kann man mehrere Großfamilien und das jeden Sonntag. Die Wohnung kann nur zweidrei Mal verbürgt werden.
Als Ausländer ohne garantía hat man drei Möglichkeiten: Zu meist absurd hohen Preisen zur Untermiete hausen (und wenn Besuch aus der Heimat kommt hat man Pech, denn in den möblierten Zimmern darf man oft keine Gäste haben). Eine gefälschte garantía auf dem Schwarzmarkt kaufen und hoffen, dass sie nicht auffliegt. Jemanden finden, der sein Haus für einen verpfändet.
Es wäre allerdings ungerecht, auf die Vermieter zu schimpfen, ohne die andere Seite zu sehen (1): Argentinische Mieter scheinen außer Rand und Band zu geraten, wenn sie irgendwann ausziehen. Als ich in meine jetzige Wohnung einzog, fehlte das Rohr vom Spülkasten zur Toilette und der Sicherungskasten war weg, die Stromkabel waren mit Klebeband direkt aneinander geklebt.
Inzwischen miete ich nun seit sechs Jahren die gleiche Wohnung. Ruhe habe ich aber immer noch nicht. Erstens kümmern sich Vermieter hier um nichts (immerhin – den neuen Durchlauferhitzer hat meiner zur Hälfte übernommen, weil der alte unkontrolliert Gas ausspuckte und eine echte Gefahr war). Und zweitens werden Mietverträge in Argentinien alle zwei Jahre erneuert. Dann kann sich nicht nur die Miete verdoppeln, sondern der Makler heimst jedes Mal neu zwei ganze Monatsmieten Provision ein. Eine Quittung gibt er mir dafür – natürlich! – nicht. Mieterrechte sind gesetzlich so gut wie nicht geregelt, sagte man mir übrigens beim Mieterschutzbund. Ich könne den Vermieter ja darauf hinweisen, dass das “gegen die guten Sitten verstoße”. Mach’ ich gleich morgen. Da wird er sicher nachts ins Kissen heulen.
(1) Liebe Vermieter mit Wohungseigentum in Argentinien. Bitte seht davon ab, mir Leserbriefe zu schreiben. Es tut mir sehr Leid für Euch, wenn Eure Mieter nicht auf Eure Wohnungen aufpassen. Gebt sie einfach mir! (allen, denen diese Fußnote absurd erscheint sei gesagt: Ist sie nicht! Ich habe tatsächlich schon böse Leserbriefe von Menschen bekommen, die in Argentinien Wohnungen vermieten und das System der garantía verteidigen. Dabei zweifele ich ja gar nicht daran, dass auch die Vermieter hier ein hartes Los treffen mag!)
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Als ich noch in Deutschland wohnte, hatte die Flensburger Verkehrssünder-Datei für mich keinen guten Klang. Mittlerweile lebe ich in Äthiopien und die Verkehrssünder-Datei in Flensburg ist für mich der Inbegriff von Rechtsstaatlichkeit, Effizienz und Bürgerservice. Denn man kann Verkehrsdelikte – oder vermeintliche – auch anders ahnden. Nämlich so.
Vor ein paar Tagen fiel mir auf, dass an meinem Auto das hintere Kennzeichen abgeschraubt wurde. Zuerst dachte ich, jemand, der nichts Gutes im Schilde führe (was für ein billiges und dennoch hinweisbedürftiges Wortspiel) wolle meine autofahrerische Identität annehmen, aber das vordere Kennzeichen war dort, wo es hingehörte, und mit nur einem gestohlenen Kennzeichen wird wohl kaum jemand sein Fluchtfahrzeug bestücken.
Ein äthiopischer Freund sagte mir, dass das entwendete Kennzeichen wohl eher der Ahndung, denn der Vertuschung eines Vergehens dienen solle. Vermutlich hätte ich mir etwas zu Schulden kommen lassen, und die Polizei, mein Freund und Helfer, habe das Kennzeichen abgeschraubt, um mich zu maßregeln. Plötzlich machten all die Polizisten, die auf den Kreuzungen Addis Abebas lässig mit Nummernschildern unterm Arm herumstehen, Sinn. Der Polizist mit den meisten Blechen schien immer der wichtigste zu sein. Allerdings nicht der beliebteste.
Schon oft habe ich gesehen, wie Wachmänner sich – bewaffnet mit Schraubenzieher und Schraubenschlüssel – einem Wagen näherten. Meist versuchten die Autofahrer das irgendwie zu verhindern, meist zogen sie den Kürzeren. Aber immerhin konnten sie die schraubenden Polizisten fragen, wie sie wieder an ihr Schild kommen könnten.
Ich wusste es nicht. Also rief ich die Polizei an und schilderte mein Problem. Da ich nicht angehalten worden war, musste das Kennzeichen abmontiert worden sein, während das Auto stand. „Wo haben Sie in letzter Zeit geparkt“, fragte der Beamte. Da ich möglicherweise schon ein paar Tage ohne Nummerschild rumgefahren war ohne es zu bemerken, kamen viele Orte in der Millionen-Metropole Addis Abeba in Frage. Und somit sehr viele Wachen, bei denen die Polizisten abends ihre Tagesbeute abliefern.
Ich sagte für den nächsten Tag alle Termine ab, und wurde um 8 Uhr bei einer Polizeiwache in meiner Nachbarschaft vorstellig. Auf der Suche nach meinem Nummerschild schaute der Beamte einen dicken Folianten durch, in dem handschriftlich die sicherstellte Nummernschilder vermerkt worden waren. Der Wälzer erinnerte mich an das Haushaltsbuch eines Klosters aus dem Museum. Doch weder in dem dicken Buch noch in einem mit Nummerschildern gefüllten Schrank tauchte mein Kennzeichen auf. „Wir haben es nicht. Eine zentrale Registrierung abgeschraubter Nummerschilder haben wir auch nicht. Versuchen Sie es mal in einem anderen Revier“, sagte der Beamte und wünschte mir viel Glück.
Ich hatte viel Glück. Ich weiß nicht, wie viele Polizeiwachen es in der äthiopischen Hauptstadt gibt. Dutzende? Mehr als Hundert? Eine Polizistin fand mein Schild in der zweiten Wache, die ich aufsuchte. Angeblich hatte ich im Halteverbot geparkt. 80 Birr, umrechnet 3,47 Euro, sollte mich das kosten. Allerdings konnte ich meine Schuld nicht an Ort und Stelle begleichen, um das Nummerschild auszulösen. Die Polizistin schickte mich zu einem Postamt, in der ich eine Bareinzahlung leisten und mit der Quittung zu ihr zurückkehren sollte. „Wir machen das nicht mehr“, sagte der Postbeamte als ich die 80 Birr entrichten wollte – und schickte mich zu einer anderen Filiale. Dort reichte die Schlange bis auf den Bürgersteig – und bewegte sich nicht. Das erste Mal in meinem Leben heuerte ich einen professionellen Schlangesteher an. Ich zahlte ihm mehr als ich dem äthiopischen Staat schuldig war. Für den Schlangesteher ein super Lohn und für mich bestens investiertes Geld, denn der gute Mann stand im kafaesken Postamt mehrere Stunden an, bevor er die 3,47 Euro zahlen durfte.
Mit der Quittung löste ich am nächsten Tag problemlos Kennzeichen und Führerschein aus. De facto erhöhte mein Bußgeld sich dabei noch auf 3,56 Cent, da der Polizist, der mein Nummerschild abgeschraubt hatte, leider auch die Muttern einkassiert hatte, ich deshalb zwei neue kaufen musste.
Auf dem Rückweg bin ich noch mal an der Stelle vorbeigefahren, an der mir das Nummernschild laut Polizei abgeschraubt wurde. Ein Parkverbotsschild ist dort weit und breit nicht zu sehen.
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Internet, höre ich oft, macht unsere Arbeit schneller und flexibler, vor allem erleichtert es die Kommunikation.
Wirklich? Nach einer Woche mit einem Duzend Gesprächen wie dem Folgenden wage ich vorsichtig zu zweifeln:
– “Hi Cindy, für eine Reportage in Magazin Xy über TT würde ich gerne mit Dr Wz (Cindys Boss) sprechen. Wär das in den nächsten Tagen möglich?”
(Umrundet wird dieses Intro von dem in Australien üblichen Austausch über Wetter, Befinden der Gesprächspartner, deren letztes Wochenende, etc., die ich hier aus Gründen der Kürze weglasse).
– Was für eine großartige Idee! Wie war Ihr Name noch gleich?
– JJ
– Und wo sagten Sie noch…?
– bei XY…
(jetzt liefere ich ein Exkurs zu Auflagenzahlen, Brillanz, Schlagkraft des besagten Objekts im Allgemeinen und der Glorie, die geplante Geschichte auch für Cindy und ihren Boss haben wird im Besonderen … ps: das ist oft der Moment, in dem ich mich frage, ob ich wohl auch auf dem Isemarkt Allgäuer Bergkäse verkaufen könnte)
– How absolutely AMAZING!
(Cindy ist vor Glück überwältigt, es folgen diverse positive Ausrufe, die mein Anliegen ganz weit oben in die Kategorie “wunderbare Ereignisse der Woche” sortieren dürften)
– Well, ja, ich denke auch das könnte interessant werden.
Jetzt hat Cindy eine Idee, die ihren Tag vergoldet:
– Warum, liebe JJ, fassen Sie das alles nicht rasch für mich in einem E-mail zusammen und poppen es in meine Mailbox?
(Übersetzung: Cindy wird mein E-mail an Kylie in der Pressestelle weiterklicken, die mein E-mail in den Ordner “lästige Anfragen/zum Jahresende löschen” schiebt.)
– Warum, Cindy, kannst du uns nicht allen viel Zeit und Arbeit sparen und mich einfach zu Wz durchstellen, oder ihn bitten mich zurückzurufen. Er ist schließlich Regionalchef des Känguru-Schutz-Klubs und nicht der Kaiser von China. (Das sage ich natürlich nicht, sondern denke es nur, laut lüge ich:)– Kein Problem, das mache ich gerne, great talking to you, Cindy!
Zwei Tage später rufe ich Kylie in der Pressestelle an, wir werden ein ähnlich herzliches Gespräch führen. Zum Abschluss wird Kylie sagen:
– Warum fassen Sie das nicht rasch für mich in einem E-mail zusammen und werfen es in meine Mailbox …?
Ich lege auf. Dann denke ich dankbar darüber nach, wie Emails unsere Kommunikation erleichtern und beschleunigen, wie sie Alltag und Arbeit eigentlich überhaupt erst möglich machen… Und dann träume ich ganz kurz von jener altmodischen Epoche, in der Menschen noch miteinander telefonierten.
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Manche Geschichten lassen mein Reporterinnenherz besonders hoch schlagen. Dazu gehört die vom gigantischen Granitbrocken, der derzeit auf dem Weg vom Steinbruch ins LACMA Museum in Los Angeles ist und dabei jede Menge Neugierige und wunderbare Kommentare anzieht.
Der Fels ist über zwei Stockwerke hoch und wiegt 340 Tonnen. Das ist so schwer wie eine Boeing 747, vollgeladen und vollgetankt. Über 160 Kilometer legt die wertvolle Fracht zurück – in Plastik verpackt und in einem extra dafür angefertigten Transporter mit fast 200 Rädern und 40 individuell steuerbaren Achsen hängend. Höchstgeschwindigkeit: acht Stundenkilometer. Der Konvoi kann aus verkehrstechnischen Gründen nur nachts unterwegs sein und aus gewichtstechnischen Gründen nur auf auserwählten Straßen fahren. Sonst müssten nicht nur Ampeln, Straßenschilder und Äste entfernt werden sondern auch Brücken und Autobahnauffahrten. Der Sinn des Ganzen? Der Granitbrocken ist entscheidender Bestandteil der Skulptur ‘Levitated Mass’ des Künstlers Michael Heizer. Der hatte 1968 die Vision einer Betonspalte, die sich in den Boden gräbt und auf deren Mitte ein Riesenfels scheinbar schwebend zum Liegen kommt. Erst vor sechs Jahren hat er den richtigen Fels gefunden – im Steinbruch östlich von Los Angeles. Das LACMA Museum ist begeistert von der Skulptur. Private Spender haben zehn Millionen Dollar gegeben und dank Meisterleistungen von Ingenieuren und Stadtplanern bewegt sich nun der Fels in Richtung Museum.
Eine wahre Reporter-Schatzgrupe sind all die Neugierigen, die sich rund um den Fels versammeln. Die Diskussionen, die der Transport auslöst sind natürlich gewaltig: vor allem geht es dabei darum ob ein Riesengranitbrocken auf einer Betonspalte Kunst ist und ob die zehn Millionen Dollar nicht sinnvoller ausgegeben werden könnten, zum Beispiel um Obdach- und Arbeitslosen zu helfen. Ganz nebenbei ist eine riesige Fangemeinde entstanden. Der Granitbrocken löst Heiratsanträge, Fotowettbewerbe, Facebook- und Twitterseiten aus. Ist er nachts unterwegs, folgen Hunderte der Transport-Meisterleistung. Ist er tagsüber geparkt, gibt es Rockfestivals und Kunstunterricht am Wegesrand.
Ein wenig erinnert mich das alles an die Stimmung am Reichstag in Berlin, als der von Christo und Jean Claude verhüllt wurde. Ob das alles Kunst ist wird für mich dabei komplett nebensächlich. Der Granitblock verbindet die Stadt wie es wenige Ereignisse können. Viele, die den Transport verfolgen werden zum Museum kommen, um in der Betonspalte unter dem Brocken zu stehen. Dem wird man dann all die Arbeit nicht mehr ansehen. 340 Tonnen schwebend unter wolkenlosem blauen Himmel. Großartig!
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„Du musst schnell auf den Baum klettern!“ flüstert mir der Ranger zu. Seit mehreren Stunden bin ich bereits mit der Anti-Wilderer-Einheit auf Patrouille im Nationalpark. Und jetzt das. Ich soll klettern. „Ist das dein Ernst?“ flüstere ich sicherheitshalber zurück. Es ist sein voller Ernst. Meine Augen folgen seinem Zeigefinger: Aus einem Gebüsch, nur wenige Meter entfernt, schaut ein Spitzmaulnashorn in unsere Richtung, die Ohren gespitzt, die Nase in den Wind gereckt. Das ist natürlich ein guter Grund. Spitzmaulnashörner sind für ihre Unberechenbarkeit und Aggressivität berüchtigt. (Ein Foto habe ich leider nur von seinem freundlicheren Verwandten, dem Breitmaulnashorn…)
So leise und gleichzeitig so schnell wie möglich mache ich mich auf den Weg zum nächsten Baum. Wie lange ist es her, dass ich auf einem Baum geklettert bin? 20 Jahre vielleicht. Wäre ja peinlich, wenn ich es vermasseln würde. Nachdem es sowieso schon Monatelang gedauert hat, die Ranger davon zu überzeugen, mich mit auf eine ihrer Patrouillen zu nehmen. Auf die Begegnung mit Wilderern hatten sie mich vorbereitet, auf eine Kletterpartie nicht. Ich erreiche den Baum, stecke Mikrofon und Aufnahmegerät in meine Jackentasche, wünsche mir, größer als 1,62m zu sein. Den ersten, einigermaßen Vertrauenserweckenden Ast kann ich gerade so erreichen. Beherzt greife ich zu, stütze mich mit dem Fuß am Stamm ab und … schaffe es. Nicht elegant, aber innerhalb von Sekunden. Das weiß ich genau, denn mein Aufnahmegerät habe ich vor lauter Aufregung die ganze Zeit über mitlaufen lassen.
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Immer wieder frage ich mich, welche Geschichte wohl hinter der angebrochenen Räute, dem Griff unseres alten, eisernen Hausschlüssels steckt. Wer ihn wohl schon alles in der Hand hatte? Vielleicht sogar die letzte pensionierte Nonne, die hier alleine lebte. Sie war behindert, wurde von den Großeltern unserer Nachbarn gepflegt. Als Dank erhielten die nach ihrem Tod dieses Haus und so kam „l’ancien couvent“, das „ehemalige Kloster“ in Belloc, in weltlichen Besitz.
Der Schlüssel hat ebenso wie die Holztüre mit ihrem Türklopfer in Form eines metallenen Löwenkopfes
schon vieles überstanden. Drum sollte man sich nicht allzu große Sorgen machen. Aber nicht nur sein Zerbrechen könnte drohen, wahrscheinlicher ist vermutlich sogar sein Verlust. Und dann stehen wir da, ohne Ersatz. Also muss ein Doppel her.
Als ich mich endlich aufraffe, den Hausschlüssel sowie seinen etwa gleichaltrigen Bruder, den Garagenschlüssel (ebenfalls ein Unikat mit etwas Grünspan verziert) zu kopieren, ahne ich nicht, dass ich mich auf eine Zeitreise begebe. Beim Schlüsseldienst in Toulouse, einer dieser modernen Kopierklitschen mit ihren ohrenzersägenden Fräsemaschinen, habe ich keine Chance. Vielleicht in einer altmodischen Eisenwarenhandlung, einer Quincaillerie, sagt der Schlüsselmacher vom Dienst. In der Kleinstadt Saint Girons werde ich fündig.
Die schwere Glastüre löst ein kurzes Bimmeln aus, als ich sie öffne. Die Quincaillerie Lapeyre ist ein unübersichtlicher, düsterer Laden, der eher an eine Rumpelkammer erinnert. Vermutlich gibt es hier eine Ordnung, sie erschließt sich dem ahnungslosen Besucher nur nicht. In der linken hinteren Ecke höre ich es rumoren. Es riecht nach Zigarettenqualm. Ich gehe vorbei an Eisenstangen, Schweißerutensilien, Stellwänden mit aufmontierten Türgriffen und Schlössern, bis ich plötzlich vor einem Mann im blauen Arbeitsanzug stehe. Der Mittvierziger hockt auf dem Boden, im Halbdunkel, umgeben von hunderten Schlüsselrohlingen, die teils auf kleinen Metallständern hängen, teils auf dem Boden zerstreut liegen. In seinem Mundwinkel hängt eine Zigarette, die langsam verglimmt, während der Mann Unverständliches vor sich hin murmelt.
Durch ein kurzes Räuspern mache ich auf mich aufmerksam. Der Verkäufer mustert mich von unten nach oben mit fragendem Blick. „Ich würde gerne zwei sehr alte Schlüssel nachmachen lassen“, sage ich zögernd. „Bin mir aber nicht sicher, ob Sie das tun können.“ „Wir machen keine Schlüssel“, lautet die trockene Antwort. Aha. „Aber wir haben welche.“ Ich krame meine beiden alten Schätzchen aus der Jackentasche und zeige sie ihm. „Hmm, dann wollen wir mal sehen.“ Die Zigarette zittert bei jedem Wort zwischen seinen Lippen, bleibt aber gerade noch hängen. Von nun an heißt es: Geduld!
Seelenruhig kramt mein neuer Freund – nennen wir ihn mal Jacques, er sieht aus als könnte er Jacques heißen – in seinen Schlüsselvorräten. Ab und zu zieht er voller Hoffnung einen Rohling hervor, studiert ihn minutenlang im Vergleich zum Original, rümpft die Nase, was dazu führt, dass wieder ein wenig Asche von der Zigarettenspitze fällt, und hängt ihn wieder an seinen Platz. Oder an einen anderen. Das Konzept von „jeder Schlüssel hat seinen Platz“ scheint hier ohnehin nicht zu greifen.
Als die Glut der Zigarette sich bedrohlich seinen Lippen nähert, drückt Jacques sie rasch an einem Metallteil auf dem Tisch zu seiner Linken aus und legt den Stummel daneben.Weiter geht die Schlüsselsuche. „Ah, le voilà!“, sagt er plötzlich nach etwa 20 Minuten mit einem Anflug von Begeisterung. Der Hausschlüssel ist gefunden. Aber wir sind noch lange nicht fertig. Nun ist der Garagenschlüssel dran. Das gleiche Prozedere. Jacques hat alle Zeit der Welt. Dann erneutes Aufblitzen in seinen Augen. Auch dieser Schlüssel soll seinen Meister finden.
Nun geht es an die kleine Fräsemaschine, anschließend zieht Jacques ein paar Handfeilen aus einer hölzernen Schublade. Hingebungsvoll macht er sich an die Feinarbeit. Ein wunderbares Erlebnis, von Menschen bedient zu werden, die ihre Arbeit mögen! Wieder vergehen mindestens 15 Minuten, bis Jacques zufrieden ist. Stolz reicht er mir die neuen, glänzenden Schlüssel. Sie sind genauso klobig wie die alten, aber aus einer gelblichen Metalllegierung. Haben deutlich weniger Charme. Egal, sie tun ihren Dienst (ich hab’s probiert).
Und Jacques, den Meister der Langsamkeit und Hingabe, den habe ich ins Herz geschlossen. Ich möchte eigentlich nie mehr woanders meine Schlüssel duplizieren lassen als in der Quincaillerie Lapeyre. Dort, wo die Zeit stehen zu bleiben scheint. „Bon“, sagt Jacques lächelnd, „kann ich noch irgendetwas anderes für Sie tun?“ „Nein,“ antworte ich grinsend und gehe gedankenverloren, ja fast bezaubert zur Kasse.
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Es herrscht eine warme Atmosphäre vor dem „Monument des Morts“ in der südfranzösischen 35-Seelen-Gemeinde Belloc an diesem Freitagmorgen. Küsschen zur Begrüßung. Jeder kennt jeden. Nur die Deutsche und den Schotten, die kennen noch nicht alle. Umso freundlicher werden sie Willkommen geheißen. So etwas hat es in Belloc noch nicht gegeben: Eine Deutsche, die am Gedenktag für die Kriegstoten im 1. Weltkrieg dabei ist. „Eine starke Geste“, meint mein Nachbar Bernard. Er sei stolz, mit mir befreundet zu sein. Das fröhliche Geplänkel und der Austausch des jüngsten Klatsches kommen zu einem jähen Ende, als der Bürgermeister das Mikrofon ergreift.
André Courset trägt einen dunklen Anzug und dunkelblaue Krawatte. „Es ist unsere Pflicht, an die zu erinnern, die Frankreich und die Demokratie verteidigten und dafür den höchsten Preis zahlten“, verkündet er feierlich. Nicht nur 1914 -18 sondern zu allen Zeiten. Er persönlich nehme den Gedenktag an den Waffenstillstand des 1. Weltkrieges am 11. November 1918 sehr ernst. Courset dankt den rund 20 Belloquois besonders herzlich, dass sie diese Tradition aufrecht erhalten. Denn in einigen Kommunen werde der 11. November mangels Interesse schon nicht mehr zelebriert. In seiner Ansprache ist für jeden etwas dabei: Für die Nationalisten, für die Verwandten von Gefallenen – und das sind hier auf dem Lande viele – aber auch einfach nur für Pazifisten.
Mit weißen Handschuhen hält der Fähnrich die blau-weiss-rote Nationalflagge mit der silbernen Aufschrift „Commune de Betchat“ in den lauen Herbstwind. Nun tritt ein Kommunalbeamter etwas linkisch ans Mikrofon. Er verliest – mit getragener Stimmer – eine Kurzform der offiziellen Ansprache des Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy am Arc de Triomphe in Paris! Die Langfassung gibt es übrigens zeitgleich im Fernsehen. Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie viel Bedeutung und Respekt die Franzosen dem Amt des Präsidenten beimessen. Selbst diejenigen, die seinen derzeitigen Amtsinhaber gar nicht schätzen.
Die beiden jüngsten Teilnehmer – zwei Teenager – legen das Blumengesteck der Kommune am kleinen Kriegerdenkmal nieder. Jetzt stehen alle stramm und konzentriert da. Zwei andächtige Schweigeminuten. Nur die Vögel zwitschern. Und Crapule, die freundliche Promenadenmischung, die immer durch Belloc streift, versteht wieder den Ernst des Augenblicks nicht. Fröhlich wedelt der Hund mit dem Schwanz und fordert einen nach dem anderen zum Spielen auf. Nicht doch! Denn schon ertönen Trompeten und Trommelwirbel aus dem kleinen schwarzen Lautsprecher unter dem Monuments des Morts. Kurz darauf die Marsaillaise – die übrigens von niemandem mitgesungen wird.
So ist es also am Feiertag für den Waffenstillstand von 1918 in „la France profonde“ – also dort, wo sich normalerweise Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen, denke ich mir. Weit gefehlt. Jetzt würde es doch erst richtig nett, betonen die Nachbarn. Und schleppen uns ab zu einem „vin d’honneur“, einem fröhlichen Umtrunk im Gemeindesaal. Da sind sie einfach unschlagbar, die Franzosen: Champagner wird gereicht, wenn auch in Plastikbechern. Mit oder ohne Cassis (das ist Johannisbeerlikör, der den Schampus dann in einen „Kir Royal“ verwandelt). Dazu gibt es kleine Häppchen. Aber nicht etwa mit Schnittkäse oder Thunfisch. Na, zu Foie Gras (Gänsestopfleber) sollte es doch noch reichen im krisengebeutelten Frankreich, zumal wir uns hier in einer Hochburg seiner Produktion befinden.
Die Stimmung hebt sich, alte Freundschaften werden gepflegt, neue geschlossen. Jedenfalls erklärt so Chantal ihrer 8jährigen Tochter Melissa, warum wir heute hier sind: „Vor vielen, vielen Jahren haben Deutsche und Franzosen sich gegenseitig im Krieg erschossen. Das war furchtbar“, sagt sie ernst. „Aber heute gedenkt Birgit aus Deutschland gemeinsam mit uns dieser Toten, denn heute sind wir Freunde.“ Chantal lacht, drückt mir einen Kuss auf die Wange, und wir stoßen auf diese neue Freundschaft an. Melissa will natürlich nun auch von mir in den Arm genommen werden – und plötzlich bekommt dieser Besuch aus reiner Neugierde bei den Feierlichkeiten zum 11. November in meiner neuen Wahlheimat eine ganz tiefe Bedeutung. Vive l’amitié. Vive la République. Vive la France. Und vor allem die südfranzösische Wärme und Lebenslust.
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Mein Herz machte im Garten des schweizerischen Generalkonsuls einen kleinen Freudensprung. Ein Kurator des LACMA-Museums hatte mir gerade erzählt, dass er für das ganz Südkalifornien umfassende Kunstprojekt Pacific Standard Time die Filminstallation einer deutschstämmigen Künstlerin betreut. Endlich hatte ich einen Ansatz für meinen Bericht gefunden, der ihn von den Geschichten der Kolleginnen und Kollegen über das Giga-Kunstereignis unterscheiden würde. Der Kurator versprach, am Tag der Pressevorschau den Kontakt mit Maria Nordman herzustellen. Seinen nächsten Satz hätte ich etwas ernster nehmen sollen: “Ich habe schon mit vielen komplizierten Künstlern gearbeitet. Maria schießt den Vogel ab!”
Ein paar Tage vor dem Pressetermin bekam ich eine Email von der Künstlerin. Sie bat mich darum, ihr etwas von mir zu erzählen. Eigentlich gebe sie keine Interviews, könnte sich aber bereit erklären wenn wir uns etwas besser kennenlernen könnten. Ich schrieb ein wenig und schickte den link zu meiner webseite. Maria antwortete, sie freue sich darauf, mich bei der Pressevorschau näher kennenzulernen.
Auf den ersten Blick schien sie eine sehr freundliche, in ihrem weiten weißen Mantel und der Spiegelbrille nur leicht extravagante Künstlerin zu sein. Maria schüttelte meine Hand zur Begrüßung überschwenglich und bat, zunächst etwas mit ihr zu essen damit wir uns dabei besser kennenlernen könnten. Sie bat mich, mein Aufnahmegerät vorerst wieder einzupacken. Beim Essen sprach Maria mit jedem, der in unsere Nähe kam, aber kaum mit mir. Nach einer Stunde bat ich darum, mit ihr zur Installation ihres Films gehen zu können. Ihre Antwort: “Wir müssen uns erst noch ein bißchen besser kennenlernen.” Ihr Vorschlag: ein kleiner Spaziergang, um sich dem Werk von der besten Seite, vom Boulevard vor dem Museum, anzunähern.
An anderen Tagen hätte ich diese leichte Exzentrik sicher als wunderbaren Ausdruck eines Künstlercharakters empfunden, der sich nicht üblichen Konventionen beugt. An diesem Tag war ich unter Druck einer Deadline, schleppte eine schwere Tasche voller Papiermaterial über das Kunstprojekt mit mir herum und hatte noch nichts von den umfangreichen Ausstellungen gesehen, von denen Marias Werk nur ein minimaler Teil ist. Ich wurde nervös und packte mein Aufnahmegerät aus, um sie während des Gehens zu interviewen. Sie schaute mich leicht tadelnd an. “Aber wir müssen uns doch noch ein wenig besser kennenlernen.”
Wiederum eine Stunde später hatte Maria viele interessante Dinge erzählt, von denen ich nichts aufnehmen durfte, und mit jedem an uns vorbei kommenden Passanten, Kuratoren und Journalisten gesprochen. Auf meine Frage, was sie denn gerne über mich wissen wolle, antwortete sie vage, dass sie mich einfach nur ein wenig besser kennen lernen wolle. Sie stellte keine einzige Frage. Endlich kamen wir vor der Tür des Raumes an, in dem ihr Film gezeigt wird, wo sie sofort wieder mit einer Besucherin zu reden begann. Ich packte mein Aufnahmegerät aus.
Gerade als ich anfangen wollte, ihr Fragen zu stellen, erklärte sie, dass sie wirklich keine Interviews gebe, nur Gespräche führe. “Fein!” sagte ich etwas schnippisch. “Dann führen wir ein Gespräch.” “Ich müsste sie aber noch ein wenig besser …” bevor Maria den Satz beendet hatte kam ein Kollege in den Vorraum der Filminstallation, nahm sein Aufnahmegerät und hielt Maria ein Mikrofon unter die Nase. “Kann ich Ihnen ein paar Fragen stellen zu Pacific Standard Time und Ihrer Arbeit?”
Sie kennen die Antwort. Doch der Kollege blieb hartnäckig. “Nein, ganz einfache Fragen, ganz schnell.” Maria sah zwischen mir und dem Kollegen hin und her. “Ich weiß nicht, ich mach das eigentlich nicht… Und eigentlich habe ich Kerstin hier …”
Auf dieses Stichwort stand ich auf. “Kein Problem. Macht was Ihr wollt. Ich geh!” Ohne mich noch einmal umzusehen verließ ich den Austellungsraum. In meinem Bericht kam Maria mit keinem Wort vor, obwohl ihr schwarz-weiß-Film aus dem Jahr 1967 wirklich sehenswert ist.
Sie schrieb mir noch am selben Tag eine Email wie nett es gewesen sei, mich kennen zu lernen und welch gute Diskussionen wir geführt hätten. Jetzt könnte es auch mit einem Interview klappen. Sie habe mit dem netten Kollegen schonmal geübt.
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Heute mache ich etwas, was ich mein ganzes Leben standhaft vermieden habe: Ich gehe zur Uni. Nur eine Stunde lang. Ich werde vor Christchurchs Journalistikstudenten als leibhaftige Auslandskorrespondentin Rede und Antwort stehen. Hoffentlich hängen die Erwartungen da mal nicht zu hoch. Immerhin kann ich akute Verletzungen vorweisen. Keine Augenklappe wie Kriegsreporterin Marie Colvin von der Londoner Sunday Times im Irak, aber fast: Eine Platzwunde auf der Braue und ein grünlila Veilchen.
Das habe ich vom Golfspielen. Golf habe ich ebenfalls mein ganzes Leben vermieden, aber vor einer Woche wurde ich als Familienbegleitung zu einer kleinen Medizinerkonferenz in eine Art Landhotel eingeladen – eines von der überteuerten Sorte, die gerne unter dem blumigen Namen ‚boutique accomodation‘ laufen und amerikanischen Besuchern gefallen sollen. Was in dem Fall bedeutete, dass man sich ein Polohemd mit dem Logo des Resorts kaufen konnte und eine einfache Massage das Dreifache wie daheim kostete. Ich sparte mir Massage wie Polohemd, dafür ließ ich meine Söhne minderjährig und unerlaubterweise im Golfwägelchen herumkreuzen. Zum Abschluss wollten sie mir kurz die Driving Range demonstrieren. Und so geschah es, dass ein Schläger mit voller Wucht in meinem Gesicht landete.
Drei Tage später musste ich mich auf einen Korrespondenteneinsatz begeben. Ich sollte für ein schönes Wochenendmagazin eine schöne Farm in den Bergen besuchen und was Schönes schreiben. Sowas Angenehmes mache ich nicht alle Tage, davon konnte mich auch die leichte Gehirnerschütterung nicht abhalten. Angeregt worden war der ‚interaktive Homestay‘ von der Tourismuswerbung Neuseelands, die sich tolle Sachen einfallen lässt und Medien gerne unter die Arme greift. Doch die Sache bekam einen Haken. Wäre es doch ein Angelhaken gewesen! Aber nein, statt übers Forellenfischen oder Jetboatfahren, statt über die köstlichen Weine der Region oder gar die grünen Golfplätze Queenstowns – indiskutabel, siehe oben – wollte ich übers Schafescheren berichten. Was irgendwie nahe liegt, da es auf der Farm von 29.000 Merinoschafen wimmelt, die gerade unters Rasiermesser kommen.
Diese Interaktivität war so gar nicht im Sinne der PR-Strategen. Schafe und Neuseeland: Das passt zwar – excuse the pun – wie die Faust aufs Auge, soll aber tunlichst in jedem gedruckten Zusammenhang vermieden werden. Total imageschädigend! Schließlich hat unser Aotearoa so viel mehr zu bieten. Seit Jahren heißt das inoffizielle Motto der Tourismusbehörde ‚Don’t mention the sheep‘. Was übersetzt meinem Buchtitel „Was scheren mich die Schafe“ entspricht. Ich stehe im Fronteinsatz nach Möglichkeit auf der richtigen Seite.
Also ließ ich mich auf der Farm aus Rücksicht auf diese Befindlichkeiten nicht im Schafstall fotografieren, sondern mit einem Huhn auf dem Arm. Das flatterte erbost auf, verhakte sich mit seinen Krallen in meinem Ärmel und stach mir mit dem Flügel um ein Haar ins kaputte Auge. Die Studenten werden staunen.
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Einladungen nach Hause bin ich als Reporter gewöhnt, doch nur selten greifen meine Gastgeber nach dem Interview zur Klampfe. Arkadijus Vinokur, Jahrgang 1952, saß an einem Spätsommerabend auf dem Sofa, barfuß, das graue Haar zum Zopf gebunden. Er sang mir im schönsten Litauisch eine Weise. Es ging um die unglückliche Beziehung des Poeten zum Frühling.
Seine geographische Randlage in einem Vorort von Vilnius macht der stolze Spross einer jüdischen Familie mit einer Vielzahl von Talenten wett: Mit seiner Frau hat Vinokur in Litauen überaus populäre Kinderbücher geschrieben. Er hat ein Sudelbuch über den Eros und seine vielfältigen Facetten vorgelegt, das die tiefkatholischen Litauer vor Scham erröten ließ. In der Zeitung Lietuvos Rytas geisselt er die populistischen Kampagnen der Nationalisten und die Intoleranz gegenüber Homosexuellen. Als Berater des Premiers Andrius Kubilius hat der streitbare Kreative unlängst ganz nebenbei den seit Jahren schwelenden Konflikt um die Rückgabe des jüdischen Eigentums gelöst.
Kürzlich traf ich dieses Talent mit den vielen Leben wieder: in Stockholm, wo er nach seiner Ausweisung durch den KGB drei Jahrzehnte als Clown und Dichter überdauert hatte. Noch einmal las er seine Gedichte auf dem Norrmalmstorg. Dort versammelten sich an jedem Montag die Exilanten und ihre Freunde zum friedlichen Protest – vom März 1990 bis zum September 1991. Es waren Kundgebungen der Sympathie. Für die Aufrechten in Estland, Lettland und Litauen. Die in mächtigen Chören von der Zeit des Erwachens und von der Freiheit sangen. Die sich zu einem 600 Kilometer langen Lindwurm aus Menschenleibern formierten – von Tallinn über Riga bis Vilnius. Mein Porträt von Arkadijus Vinokur zum Nachhören beim WDR.
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Amerikaner sind bekanntlich Meister im Marketing, was Journalisten nicht selten die Arbeit erschwert. Schon oft war ich zwischen Wut und Bewunderung hin- und hergerissen ob der Kunstfertigkeit von Interviewpartnern, ihre vorbereiteten positiven Botschaften abzusetzen und aus ihrer Sicht unpassende Fragen souverän und wiederholt zu ignorieren. Kurzfristig mag das effizient sein – aber Glaubwürdigkeit oder gar Sympathie entstehen auf diese Weise nicht.
Ähnlich zwiespältig ist meine Haltung zu der Reklame, die täglich ins Haus flattert. Da wir, wie die meisten unserer Nachbarn, „Stop-Flyer“-Schilder aufgehängt haben, bleiben wir von handverteilten Restaurantbroschüren und Werbezetteln weitgehend verschont. Aber es gibt ja noch die Briefpost. „Urgent Notification – Please Expedite delivery“, Dringende Mitteilung – bitte Zustellung beschleunigen“ röhrt ein Umschlag, den ich vergangene Woche im Briefkasten finde. Immerhin ist der Absender so ehrlich, sich zu offenbaren: die Zeitschrift Harvard Business Review. Ich ahne schon, was da so schrecklich dringend ist, und so ist es: Ich soll mein abgelaufenes Abonnement verlängern.
Aber was ist das: ein weißer Umschlag, leicht verknittert, unbeholfen handgestempelt mit „To the Owner“. Ein Nachbar, er sich beschweren will? Keineswegs – ein Handwerker sendet seine Visitenkarte. Noch alarmierender wirkt ein amtlich aussehendes Schreiben mit fetter Aufschrift „Business Mail – Penalty for Tampering“, Geschäftspost – Zurückhaltung strafbar. Dazu der Hinweis, dass, wer die Zustellung dieses Schreibens verhindert, mit einer Strafe von 2000 Dollar oder 5 Jahren Gefängnis zu rechnen habe. Was ist drin? Das Angebot für einen Autokredit von Plaza Toyota.
Am schlimmsten sind Wohltätigkeitsorganisationen. Ich ärgere mich inzwischen, dass ich zu Beginn meiner New Yorker Zeit hin und wieder gespendet habe, denn das führte zu einer wahren Flut an Bettelbriefen, bis heute. Manche Organisationen melden sich jede Woche, und nicht wenige geben meine Adresse offenbar weiter. Wie viele Spenden zur Finanzierung dieses Briefverkehrs eingesetzt werden, mag ich mir gar nicht vorstellen, und erst recht nicht, wie viel Zeit Stiftungsmitarbeiter damit verbringen, sich ungeheuer kreativ zu überlegen, wie sie mich dazu bringen können, Umschläge zu öffnen.
Die harmlosere Variante: Irreführung. Dazu zählen Briefe, die keinen Absender tragen und deren Adressen perfekt aussehen wie handgeschrieben, so dass man annehmen kann, es handele sich um private Korrespondenz. Die fortgeschrittene Version: Verunsicherung. Etwa eine Sendung mit der rätselhaften Aufschrift „ASPCA Membership Card Enclosed“. Eine Mitgliedskarte bekomme ich? Hab ich was unterschrieben? Glücklicherweise nicht, noch nicht, wie sich zeigt. Aber ich soll es tun, um die Vereinigung zur Verhinderung von Grausamkeit gegen Tiere zu unterstützen, und weil ich mich so einem ehrenhaften Anliegen doch bestimmt nicht entziehen will, hat die Organisation die Mitgliedskarte gleich mitgeschickt.
Meisterhaft schließlich der Appell an die Gier derjenigen, die man schröpfen will: ein Brief mit der Aufschrift: „Check enclosed“. Tatsächlich ist es in den USA üblich, dass Firmen Rabatte oder Rückvergütungen auf diese Weise auszahlen. Als ich den Umschlag öffne, finde ich einen Scheck des „Christian Appalachian Project“, Wert: zwei Dollar. Ich werde aber gebeten, ihn nicht einzulösen und stattdessen mit einer Überweisung von 8, 14, 21 oder 33 Dollar Menschen wie der 67jährigen Lois zu helfen, die in den Bergen lebt und ohne Badezimmer zurecht kommen muss. „Ohne Hilfe wird sie unterernährt und krank werden“, lautet die düstere Prognose.
Aus purer Rachsucht gegenüber der Organisation bin ich kurz versucht, den Scheck tatsächlich zur Bank zu tragen. Aber dann fällt mein Blick auf das Foto von Lois. Spenden mag ich nichts für ihr Badezimmer, aber kann ich es verantworten, der Organisation zwei Dollar zu entziehen? Vielleicht wird Lois dann noch schneller krank. Das will ich dann doch nicht riskieren.
Foto: Christine Mattauch
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Australien hat reichlich Potential für Dramen: Fluten, Brände, Dürren – immer, oft und gern. Vulkane gehörten bislang nicht dazu. Feuerspeiende Hügel gibt’s hier unten einfach nicht. Dass sie trotzdem gerade Medien-Thema Nr. Eins sind, verdanken wir Chiles Puyehue-Cordón Caulle. Richtig: Asche kann offenbar weiter als nur von Reikjavik bis Recklinghausen reisen. Sie fliegt bei Rückenwind erstaunliche 11061,49 Kilometer von Chile bis nach Adelaide. Das nenn ich mal Globalisierung im ganz großen Stil. Aber dies nur am Rande, denn natürlich geht es hier um Wichtigeres. Um Höhere Gewalt und menschliche Schicksale!
Denn abgesehen von den Reisenden, deren Beweglichkeit durch die wg Asche stornierten Flüge eingeschränkt ist, tun mir dieser Tage vor allem meine Kollegen vom TV leid (stimmt nicht, sie gehn mir kolossal auf die Nerven): Seit Queen’s Birthday hocken sie nun in Flughäfen und führen tagein tagaus die mit Abstand uninteressantesten Interviews der Welt: Sie sprechen mit Menschen, die in Melbourne “gestrandet” sind (es gibt in Melbourne keinen Strand!), mit Passagieren, die in Adelaide “festsitzen” (ps: auch Adelaide hat Bus und Bahn), oder, Schreck-schwere-Not! solchen, die gar Hobart nicht erreichen / verlassen können.
Da stehen sie nun, die Kollegen von Kanal 2 bis 10 und halten im Halbstundentakt Leuten mit Koffern ihre Mikros und Kameras ins Gesicht. Und diese sagen dann mit 150prozentiger Sicherheit – richtig: so rein überhaupt und gar nichts Wissenswertes. Bzw: “Tja, nach xz wollte ich heute nun, und guess what? das wird wohl nix.” Manche ergänzen noch persönliche Details zb welche Festivitäten/Anschlussflüge/Konferenzen/ sie nicht erreichen.
Gestern machte derlei öffentlich rechtlich über 8 Minuten der 15-minütigen Hauptnachrichten aus! Wirklich nicht Schuld der “Gestrandeten”, dass sie uns so endlos langweilen. Aber was um Himmels willen sollen diese armen Figuren nun auch Ergreifendes sagen? Welche Originalitäten erwarten die Kollegen Reporter und TV-Stationen eigentlich?
Befreiung von der Qual, fürchte ich, kann wieder mal nur von Ganz Oben kommen. Also: Bitte liebe Asche – Senke dich, falle nieder oder flieg zurück. Wir möchten wieder Nachrichten mit Inhalt!
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In das Palästinenser-Flüchtlingslager Nahr al Bared im Nordlibanon kann man nicht einfach so gehen. Nicht nur als Journalistin wird man an den Armeecheckpoints zurückgewiesen. Selbst die dort lebenden Palästinenser benötigen Genehmigungen. Das ist so, seit die libanesiche Armee das Camp 2007 komplett zerstört hat. Nun wird es wieder aufgebaut, nach vier Jahren sind die ersten Häuser bezugsfertig.
Ein Eintrittsgenehmigung für Nahr al Bared zu erlangen ist eine kleine Odyssee. Ohne die Hilfe von UNRWA (UN-Hilfsorganisation für Palästinenserflüchtlinge) ist es fast unmöglich. Die freundliche UNRWA-Mitarbeiterin Hoda stellte für mich den Antrag, dann war ich an der Reihe. Zehn Tage später kam der Anruf vom militärischen Geheimdienst. Ich möge ins Verteidigungsministerium kommen, um die Genehmigung abzuholen. Eine knappe Stunde dauert es mit dem Auto bis hinauf nach Yarze. Vorbei an einem Anti-Kriegs-Denkmal, das eigentlich mal im Zentrum Beiruts stehen sollte, dann aber für zu hässlich befunden wurde. Und wer will schon ständig an die Schrecken des Krieges erinnert werden.
Das Verteidigungsministerium ist hochwichtig und deshalb auch mit mehreren Kontrollpunkten geschützt. Die Überwindung des ersten bringt mich immerhin schon mal auf den Parkplatz. Folgt eine halbe Stunde Wartezeit am so genannten Informationsschalter. Informationen bekommt man hier keine, dafür aber einen Besuchersticker – für den nächsten Checkpoint. Am Infoschalter stehen dutzende Libanesen vor einem vergitterten Fenster, sie drängeln sich nach vorne, strecken flehend ihre Hände durch das Gitter. Es hat etwas Unwürdiges. Eine junge Libanesin, die vor kurzem aus Frankreich zurückgekehrt ist, schaut mich Hilfe suchend an. Wir sind die einzigen beiden Frauen in dem Männergewusel. „Wann werden sich diese Zustände ändern in diesem Land“, fragt sie und verdreht die Augen.
Da wird mein Name aufgerufen oder jedenfalls etwas, das so ähnlich klingt. Ich erhalte meinen Sticker und darf zwei Felder vorrücken. Bei der nächsten Kontrolle steht ein Metalldetektor, dann bringt mich einer der dickbäuchigen Soldaten zu einer älteren Dame in einem kleinen Zimmer. Auf ihrem Schreibtisch liegt eine Zeitung, ein Aschenbecher voller Kippen steht daneben. Sie raucht, winkt mich heran und durchwühlt meine Handtasche. Das Handy, meinen Palm sowie interessanter Weise meine Zeitung behält sie auf ihrem Tisch. Ich darf nun ins Allerheiligste vordringen.
Aufzug, dritter Stock, nach Colonel Wissam fragen. Der sitzt in einem winzigen Büro voller Papiere. Prüft gewissenhaft meine Identität und legt mir dann ein Din-A-4 Schreiben auf Arabisch vor, das er mir zur Sicherheit übersetzt. Die Genehmigung gilt für eine Woche, ich muss versprechen, keine Photos zu publizieren ohne sie vorher der Armee vorzulegen, darf keine Filmkamera mitnehmen, aber mein Audio-Recorder ist erlaubt. Phew, Glück gehabt! Dass ich das alles verstanden habe, muss ich feierlich unterschreiben. Auf Zuwiderhandlung steht wahrscheinlich die Todesstrafe. Nun den ganzen Weg wieder zurück, meine Utensilien auflesen, an jeder Kontrolle sagen, dass ich jetzt gehe. Damit sie auch alle beruhigt sind.
Doch nun darf ich keineswegs direkt ins Nahr al Bared Camp – weit gefehlt. Mit meiner tollen Genehmigung darf ich zum Militärgeheimdienst im nordlibanesischen Tripoli – der ist für Nahr al Bared zuständig. Ein ähnliches Prozedere erwartet mich. Der dort zuständige Colonel nickt schließlich und sagt mit breitem Grinsen: „Sie dürfen jetzt nach Nahr al Bared fahren, am nördlichen Checkpoint erwartet Sie mein Kollege.“ Na prima! Am nördlichen Eingang des Palästinenserlagers wartet überhaupt niemand. Die hier herumlungernden Wachsoldaten winken mein Auto auf die Seite. Bitte warten. Dann debattieren sie darüber, was jetzt zu tun sein. Wollen mich zum lokalen Militärgeheimdienst schicken. Als ich mich weigere, geht die Debatte von vorne los.
Nach einer weiteren halben Stunde fährt plötzlich ein Militärfahrzeug vor. Zwei Uniformierte und ein dickbäuchiger Mann mit organgefarbenem Hemd steigt aus. Er sieht so schmierig aus, dass ich nur seufze: „Na hoffentlich will der nicht zu mir.“ Natürlich will er zu mir. Und diese drei netten Herren wollen mit mir ins Lager fahren, um mir bei meiner Recherche zu helfen. Ich protestiere lautstark. Argumentiere, dass mich im Lager ein UNRWA-Mitarbeiter erwartet, ich also keineswegs Gefahr laufe, verloren zu gehen. Stößt alles auf taube Ohren. „This is for the security.“ Das Totschlagargument. Vor die Alternative gestellt, bis hierher vorgedrungen zu sein und entweder unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu fahren oder mein Glück zu versuchen, entscheide ich mich resigniert für letzteres.
Als ich Fadi, den lokalen UNRWA-Mitarbeiter frage, wie um Himmels Willen ich vernünftige Interviews mit Palästinensern führen soll, wenn ich mit einer halben Kompanie anrücke, zuckt er nur die Schultern. „Das ist unser Problem. Aber anders geht es nicht.“ Soviel zur Pressefreiheit im ach so liberalen und demokratischen Zedernstaat.
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Die Fahrtbeschreibungen zu meinen Gesprächspartnern in Wyoming beinhaltet Ölbohrstationen, Heuhaufen, Warnungen vor Schneestürmen und den Tipp, einen guten Reservereifen mitzunehmen, weil es auf den 20 Meilen unbefestigter Straße keinen Handyempfang gibt und das Satellitentelefon auf der Rinderfarm, zu der ich fahre nur sporadisch funktioniert. Je nachdem, wie der Satellit steht. Ich kann es kaum erwarten, mich auf den Weg zu machen!
Ich fahre ewig entlang endloser Felder und roter Felsformationen. Kein Haus, kein Auto, keine Stromleitung, kein Mensch in Sicht. Am nächsten Morgen sitze ich nicht in meinem Cabrio im mehrspurigen Berufsverkehr von Los Angeles, sondern mit Mutter Gwen, ihren zwei Kindern Kody und Kiley bei Sonnenaufgang im Geländewagen. Wir fahren 45 Minuten auf einem unbefestigten Feldweg zur Haltestelle des Schulbusses, in dem die Kinder nochmal 25 Minuten zum Unterricht unterwegs sind. Statt sich Yoga, Meditation, Jogging oder anderen in Kalifornien beliebten Aktivitäten zu widmen steigt Gwen nach der Rückkehr auf den Heu-Laster, fährt mit Ehemann Reno zur Wiese, wo rund 1400 Kühe mit ihren Kälbern auf Futter warten.
Hier werden keine Sinnfragen gestellt. Es wird getan, was getan werden muss. Alle haben ihre Aufgaben. Auch die acht australischen Hütehunde, die im Sommer unverzichtbar sind, wenn mehr als 3000 Kühe auf höher liegende Bergwiesen getrieben werden. Kiley und Kody wissen: wenn sie sich über Langeweile beklagen, werden sie durch den eisigen Wind zur Scheune geschickt zum Sattel ölen, Kälber füttern oder Hundehaus säubern. Vater Reno fordert mich beim Abendessen mit Rinderbraten, Kartoffelbrei und Pekannuss-Pie auf, meinen Freunden in Kalifornien zu sagen, sie sollen Republikaner wählen und die verrückten Demokraten aus dem Amt scheuchen. Die würden Geld verschwenden an die angeblich Armen, die in Wirklichkeit nur zu faul zum Arbeiten seien. „Kaum jemand will so hart arbeiten, wie wir!“ sagt der Farmer und hat wahrscheinlich Recht. Er schiebt hinterher: „Nur die Latino-Immigranten! Die wollen auch nur ein besseres Leben für ihre Familien, wie wir alle! Die nehmen dafür jede Arbeit an!“ Für eine lange Diskussion bleibt keine Zeit. Reno schaut in den Stall. Sein Gespür hat den Bauern, der auf einer Rinderfarm ohne Strom aufgewachsen ist nicht getrogen: eine kranke Kuh kalbt, die Geburt ist kompliziert. Ich erlebe am nächsten Morgen den Höhepunkt meines Land-Ausflugs: Gwen drückt mir eine Flasche mit warmer Milch in die Hand und fordert mich auf, das frisch geborene Kalb zu füttern. Kaum angekommen, habe auch ich schon eine Aufgabe bekommen.
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Immer wenn in Indonesien eine Naturkatastrophe passiert, die groß genug ist, um es in die deutschen Medien zu schaffen, klingeln bei uns die Telefone. Geht es Euch gut? Weißt Du schon Genaueres? Meistens erfahre ich erst durch diese Anrufe, dass irgendwo wieder die Erde gebebt hat oder ein Vulkan ausgebrochen ist – oft Tausende von Kilometern entfernt.
Seit gestern Nachmittag jedoch pustet der Merapi, einer der aktivsten Vulkane der Welt, heiße Gaswolken und Asche in die Luft – und das nur 30 Kilometer nördlich von Yogyakarta, wo ich zurzeit wohne. Seltsamerweise spürt man dennoch hier in der Stadt gar nichts vom Ausbruch des spirituell bedeutsamen Berges. Nur die Anspannung ist fast greifbar: Beim letzten (kleineren) Ausbruch des Merapi vor vier Jahren kam es fast zeitgleich zum größten Erdbeben in Yogyakartas Geschichte mit rund 6000 Toten.
In solchen Situationen wenden sich die Bewohner der Sultansstadt gern an den Hüter des Merapi, den 83-jährigen Mbah Maridjan, der angeblich im direkten Kontakt mit dem Berggeist steht. So lange er es für sicher hält, lassen sich auch die Menschen in den gefährdeten Bergdörfern nur widerstrebend evakuieren – immer wieder eine Herausforderung für die Sicherheitskräfte, die den Alten beim letzten Ausbruch weder mit Drohungen noch mit dem Angebot, in einem Fünf-Sterne-Hotel zu übernachten, von seinem Berg locken konnten. Damals wurde das Dorf von Maridjan sowie der heilige Stein, an dem er meist betete, nur um wenige Meter verschont – so wie es der Weise vorhergesagt hatte. Dank seiner spirituellen Macht wurde der rüstige Urgroßvater so nicht nur zum gesuchten Berater von Politikern und anderen Persönlichkeiten, sondern auch zum Werbestar für einen potenzsteigernden Energy-Drink.
Doch diesmal scheint Maridjan den Kontakt zum Berggeist verloren zu haben. Durch sein Dorf fegte gestern Abend eine tödlich heiße Gaswolke, bevor es komplett evakuiert war. Die Rettungskräfte entdeckten heute Morgen 15 verkohlte Leichen, darunter Helfer, die den alten Mann wegbringen sollten, sowie einen Journalist, der ihn interviewen wollte. Auch im Schlafzimmer des Berghüters fand sich ein menschlicher Körper. Noch ist nicht bestätigt, ob es sich bei dem Toten um Mbah Maridjan handelt. Sollte dies der Fall sein, stehen Yogyakarta – das glauben zumindest die Einheimischen – schlimme Zeiten bevor: Die Stadt liegt genau auf der Mitte einer spirituellen Linie, die den nun entfesselten Berggeist mit seiner mindestens genauso wilden Geliebten, der Göttin des Südmeeres, verbindet. Werden sie nicht mehr gehütet und regelmäßig besänftigt, schicken sie sich gegenseitig Lava und Tsunamis als Geschenke.
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Bis heute sieht sich das Nobelkomitee am Karolinska Institutet (KI) nicht in der Lage, auf meine Anfragen zum Skandal um die Bekanntgabe des diesjährigen Nobelpreises für Physiologie oder Medizin zu antworten. Gewöhnlich wird man unter der Woche mit gefühlten zwei Dutzend Pressemitteilungen aus der Stockholmer Uniklinik bombardiert. Doch diesmal schweigen die Gelehrten vielsagend. Das Leck in ihren Reihen ist einer der größten Skandale in der Geschichte der Preisvergabe. Bereits im Juni hatten sich die sechs Mitglieder des Nobelkomitees auf den Briten John Edwards als Preisträger geeinigt, die Abstimmung im Kollegium der Nobelversammlung am Morgen der Verkündung ist eine Formalität. Den Kreis der Insider schätzt Karin Bojs, erfahrene Wissenschaftsjournalistin der Zeitung Dagens Nyheter daher auf gerade einmal 10 Personen. Die Motive für den Verrat sieht sie in anhaltenden Konflikten an der Klinik, die dem Fachblatt Nature bereits im Sommer eine Geschichte wert waren. Während sich die Konkurrenz vom Svenska Dagbladet für den gelungen Scoop auf die Schulter klopft, fürchtet Bojs um den guten Ruf der Nobelstiftung. Selbst hätte sie keine Sekunde gezögert, das Geheimnis auszuplaudern, sagte sie mir. Sie legt aber Wert drauf, dass sie einen anderen Stil pflege. Kollegen bewundern sie für ihre Einsichten in die Forscherwelt. Mit ihren Spekulationen über die Preisträger hat sie immer wieder richtig gelegen. Keine Zauberei, versichert sie mir, sondern Früchte eines fleißigen Studiums offener Quellen. Sie liest die Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften und die Kommentare, lauscht den Symposien. Von Forschern lässt sie sich höchst ungern beeinflussen. Und Pressemitteilungen sind so launisch wie der Herbstregen in Schweden (s.o.).
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Sonne, Palmen, Margaritas am Strand und laue Nächte an Pools der Promis in Hollywood – so stellen sich viele das Leben einer Reporterin in Los Angeles vor. An dieser Stelle muss ich zumindest eine Illusion zerstören – die von der Sonne und den lauen Nächten. Die Beach Boys haben schlicht völlig verantwortungslos gelogen mit ihrem „It never rains in Southern California“. Das hab ich gemerkt, kaum war ich angekommen als Korrespondentin in Los Angeles. Das war in einem völlig verregneten März. Endlose Wasssergüsse führten zu bedrohlichen Erdrutschen, stundenlangen Telefon-, Internet- und Fernsehausfällen. Das Spielchen wiederholte sich jedes Jahr. Bisher aber nur im Winter und Frühling. Und dann kam der Sommer 2010! Erst gab es wochenlang eine hartnäckige graue Suppe aus Meeresrichtung, die die Südkalifornier in Depressionen schickte. Dann kamen plötzlich drei Tage Rekordhitze von über 45 Grad, bei denen wir nicht ins Auto steigen konnten ohne uns den Hintern am Sitz zu verbrennen und das Cabrio-Verdeck zulassen mussten, um nicht als Trockenpflaumen zu enden. Dann kam eine kurze sehr interessante Zwischenphase mit dramatischen Wolkenlandschaften und zugegebenermaßen wunderschönen Regenbögen.
Und jetzt das! Feuchte Kälte! In den letzten Tagen versammeln sich Kalifornier lieber mit Kuscheldecken vorm Kaminfeuer als mit Drinks an Pazifik oder Pool. Ich gestehe, dass wir hier etwas empfindlich sind und dazu neigen, schon bei 15 Grad Plüsch-Puschen, gefütterte Stiefel, dicke Pullis, Handschuhe und Strickmützen anzuziehen.
Die einzigen, die sich über das verrückte Wetter freuen, sind die Meteorologen. Bei denen ist endlich mal was los! Die Grafikabteilung muss nicht mehr nur blauen Himmel malen, sondern kann bei der Sieben-Tage-Vorhersage ihre ganze Symbol-Palette ausschöpfen: Wolken, Wind, Regen – Aus deutscher Sicht wirklich nichts Besonderes, aber für so ein Wetter zieht doch kein Mensch nach Kalifornien!
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Am Mittwoch war Generalstreik in Spanien. Vor meiner Haustür trug der Streik das Gesicht von Robert de Niro. Der warb auf einer Leuchtreklame mit zwei Schusswaffen in den Händen für den Film „Machete“. Weil ihm aber jemand „Vaga!“ (Streik auf katalanisch) über die Brust gesprüht hatte, sah er plötzlich aus wie ein strenger Gewerkschafter, der seine Ziele by all means necessary durchsetzt. Ich verbrachte einen Gutteil des Vormittags vor dem Bildschirm und verfolgte via Internet die Streiknachrichten. Gelegentlich tauchte auch mein gerade vier Jahre alt gewordener Sohn an der Seite des Computers auf. Der Kindergarten hatte allen Eltern nahegelegt, die Kinder am Streiktag besser zuhause zu lassen. Mein Sohn wollte mit mir spielen. Ich sagte: Geht jetzt nicht, ich muss arbeiten. Er fragte: „Was guckst Du da an?“ – Das hat alles mit dem Streik zu tun. – „Was ist ein Streik?“ – Wenn die Leute nicht zur Arbeit gehen. – Mein Sohn sagte eine kleine Weile gar nichts. Er warf noch einen Blick auf den Bildschirm. Dort wurde gerade eine Straßenumfrage gezeigt. Mein Sohn legte nach: „Die Leute gibt es wirklich?“ – Ja, die gibt es wirklich (das heißt für ihn: weder Walt Disney noch die Gebrüder Grimm oder andere haben sie sich ausgedacht). „Und die arbeiten alle nicht?“ – Nein, in ganz Spanien arbeiten die Leute heute nicht. – „Und warum arbeitest du dann?“ Mein Sohn hatte mich in die Ecke getrieben. Ich konnte nur noch sagen: Die Spanier arbeiten nicht – aber die Deutschen ja! Das klang irgendwie nach einem uralten Vorurteil. Ich hoffte gleich, der Satz würde nicht bei ihm hängen bleiben wie so mancher andere.
Am nächsten Tag, als der Generalstreik vorüber war und die Spanier wieder arbeiteten wie die Deutschen, merkte ich, dass mein Sohn an einer ganz anderen Frage hängengeblieben war. Nach gemeinsamer Ansicht eines alten Disney-Strips, in dem sich Donald und Dagobert als Weihnachtsmänner verkleiden und am Ende auch noch der echte Weihnachtsmann auftaucht, nach diesem im Grunde also komplexen Stück Fiktion in der Fiktion, sah mich mein Sohn ernst an und fragte: „Papa, wir sind aber nicht in einem Film, oder? Wir sind nicht ausgedacht…“